Gedenkaktion für NS-Opfer zieht aufs Tempelhofer Feld

ERINNERUNG AN DIE VERDRÄNGTE GESCHICHTE DES AREALS

Immer am zweiten Sonntag im September gedenken alte und junge AntifaschistInnen der Verfolgten des NS-Regimes und diskutieren über den Kampf gegen alte und neuer Nazis – eine Tradition seit 22 Jahren. Am kommenden Sonntag findet die Aktion erstmals auf dem Tempelhofer Feld statt. Unmittelbarer Grund für den Umzug aus Mitte sind laut Hans Coppi vom Veranstalter VVN-BdA die Bauarbeiten rund um den Schlossplatz. Es ist aber auch eine Rückkehr zu den Wurzeln: In Tempelhof fand 1946 der erste Tag der Mahnung statt.

Damals war den Überlebenden noch das berüchtigte Columbiahaus bekannt, eines der ersten Berliner Konzentrationslager, das auf dem Areal errichtet worden war. Nach Auflösung des KZ mussten ZwangsarbeiterInnen auf dem Gelände für den Bau des neuen Flughafens und die Luftrüstung schuften. Später wurde die NS-Geschichte des Ortes verdrängt – nur so sei zu erklären, dass das Areal heute „Tempelhofer Freiheit“ genannt werde, kritisiert die Historikerin Beate Winzer, die seit Jahren für einen Erinnerungsort auf dem Areal kämpft. Am Sonntag bietet sie um 14 Uhr eine Exkursion zu den Stätten der NS-Verfolgung am Tempelhofer Feld an.

Diskussionen über historische Themen und aktuellen Rassismus stehen auch auf dem Programm. Um 15 Uhr gibt es ein Gespräch mit Janina Duda. Die jüdisch-polnische Partisanin gehörte als Fallschirmspringerin und Kommandeurin des Emilia-Plater-Bataillons zu den polnischen BefreierInnen vom Nationalsozialismus.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F09%2F08%2Fa0219&cHash=63f962c6693f3ef76c13aa6e093b3f13

Peter Nowak

Esel hinter Stacheldraht

Durch die Documenta wurde ein lange vergessenes nordhessisches NS-Konzentrationslager und ein dort verübtes Massaker weltweit bekannt

Zu Documenta-Zeiten durchweht das nordhessische Kassel ein kosmopolitischer Flair. Menschen aus allen Ländern und Kontinenten sind auf der Suche nach den in der gesamten Stadt verteilten Kunstwerke. Auch die kleine Gruppe, die sich am Mittwochmittag am Kasseler Opernplatz trifft könnte als eine der vielen Kunstexkursionen durchgehen. Doch die hier beginnende Tour ins knapp 15 Kilometer entfernte Cuxhagen ist eine Zeitreise in die deutsche Vergangenheit, in eine Geschichte des Beschweigens und Verdrängens. Die Nazis errichteten in Cuxhagen auf dem Gelände des idyllisch an der Fulda gelegenen Klosters Breitenau. das seit 1874 als Arbeitshaus benutzt wurde, am 15 Juni 1933 eines jener frühen Konzentrationslager, in die Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere Nazigegner verschleppt wurden. In Hessen gehörte neben Breitenau noch das durch den Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers weltbekannt gewordene Osthofen zu diesen KZ der ersten Stunde. Durch die diesjährige Documenta machten sich in den letzten Wochen viele Künstler und Ausstellungsbesucher aus aller Welt auf die Zeitreise in die deutsche Geschichte Nordhessens, meint Gunnar Richter. Er beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit diesen Ort, zunächst als Student, dann als engagierter Wissenschafter und seit einigen Jahren als Leiter der Gedenkstelle Breitenau. Als er Ende der 70er Jahre an der Kasseler Gesamthochschule sein Studium begann, gingen die meisten ehemaligen Nationalsozialisten in Westdeutschland in Rente und eine durch die Apo politisierte junge Generation interessierte sich für die Alltagsgeschichte des NS. Unter dem damaligen SPD-Oberbürgermeister Hans Eichel habe Kassel eine Vorreiterrolle bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte gespielt, berichtet Richter stolz.
Mittlerweile sei die Zusammenarbeitung mit der Bevölkerung vor Ort gut. Als die jungen Studierenden Ende der 70er Jahre auf dem Klostergelände nach Spuren der NS-Verbrechen forschten, stießen sie auf eine Mauer des Schweigens. Davon wollten die Bewohner nie etwas gehört und gesehen haben. Im Sommer 1940 wurde Breitenau zum Arbeitserziehungslager erklärt. Ein Großteil der Insassen waren ausländische Zwangsarbeiter, darunter auch Kinder Am 30. März 1945, als die US-Befreier schon wenige Kilometer an das Lager herangerückt waren, ließ die SS achtundzwanzig Gefangene erschießen. Sechzehn Opfer des in der Geschichtsforschung als „Massenmord am Fuldaberg“ bezeichneten Verbrechens kamen aus der Sowjetunion, 10 aus Frankreich und zwei aus Holland. „In den 70er Jahre gab es vor Ort keinerlei Hinweise auf das Verbrechen“, erinnert sich Richter. Dabei hatte der Kasseler Journalist Willi Beltz, der wie sein Vater als Kommunist im KZ-Breitenau inhaftiert war, in seinem 1960 erschienenen Widerstandsrom „Die Standhaften“ die Massenerschießung beschrieben, sich t allerdings bei der Opferzahl geirrt Der langjährige Vorsitzende der Kasseler VVN/Bund der Antifaschisten. Beltz hat auch über das Holzkreuz berichtet, das nach der Befreiung durch die Alliierten im Kloster Breitenau aufstellten. Erst nach einer mühevollen Suche, wurden die Geschichtsforscher in den 70er Jahren fündig. Denn das Kreuz, aber auch die Leichen der Erschossenen waren schon lange auf einen Kriegsopferfriedhof in der Nähe umgebetet worden. Mit den Opfern und dem Kreuz schien im Kloster Breitenau jede Spur des NS-Verbrechens beseitigt. In einer Festschrift zum 600ten Jubiläum von Cuxhagen wird 1952 die gesamte NS-Zeit ganz ausgeblendet Man merkt Richter den Stolz auf die Veränderungen im nordhessischen Geschichtsbild, das er mit angestoßen hat. Aber man hört seinen engagierten Anführungen auch an, dass für ihn die Geschichte nicht vergangen ist. Immer wieder erinnert er daran, dass die Verbrechen der Nazis nicht im Verborgenen sondern vor aller Augen stattfanden. In den Vitrinen der Breitenauer Ausstellung finden sich Kopien der nordhessischen Lokalpresse der NS-Zeit, die ausführlich über das Konzentrationslager Breitenau berichtet. Ein Zeitungsfoto aus jener Zeit, das in der Ausstellung zu sehen ist, beeindruckt viele Besucher und inspirierte einige Künstler, die in den letzten Wochen die Ausstellung besucht haben. Es zeigt einen Esel hinter Stacheldraht Das Foto wurde am 1. April 1933 am Kasseler Opernplatz aufgenommen An diesem Tag hatten die Nazis zum ersten landesweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Der von der SA bewachte Esel hinter Stacheldraht sollte zeigen, was denen blüht, die den Boykott ignorieren.
In der Unterzeile aus der zeitgenossischen Zeitung heißt es über diese SA-Präsentation: „Die Kasseler haben sich von morgens bis abends darüber gefreut“.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/237679.esel-hinter-stacheldraht.html

Peter Nowak

Erfurt mit Naziproblem?

In der Landeshauptstadt Thüringens mehren sich die rechten Übergriffe

MICAHEL KLEINERT ist Mitglied des Bildungskollektivs Biko, das seit zehn Jahren in Erfurt Bildungsarbeit und Veranstaltung gegen Rechts organisiert. Über Naziübergriffe in Erfurt und polizeiliche Versäumnisse sprach mit ihm für »nd« PETER NOWAK.

nd: In den letzten Wochen gab es in Erfurt vermehrt rechte Übergriffe. Hat die Stadt ein Naziproblem?
Kleinert: In den 90er Jahren war die Stadt eine Nazihochburg. Zwei Menschen sind durch rechte Gewalt gestorben. In den letzten Jahren war es gelungen, zumindest in der Innenstadt von Erfurt die Rechten zurückzudrängen. In den letzten Monaten gab es aber eine besorgniserregende Entwicklung. Seit Frühjahr diesen Jahres hatten wir eine Reihe von Neonaziüberfällen mitten im Erfurter Zentrum, die von der Mitte der Gesellschaft ignoriert wurden.

Können Sie Beispiele nennen?
Während einer öffentlichen Übertragung der Fußball-EM skandierte eine Gruppe von Rechten abwechselnd Sieg und heil. Die Mehrheit der Fußballfans ignorierte das. Eine Gruppe von Antifaschisten, die daraufhin »Nazis raus« rief, wurde physisch angegriffen und auch das führte nicht dazu, dass die Fußballfans eingegriffen hätten.

Ist das eine Ausnahme?
Durchaus nicht. Wer gegen Nazis aktiv wird, wird misstrauisch beäugt. Davon betroffen sind Punks, alternative Jugendliche, aber auch Studierende. So sind uns auf und um den Campus der Erfurter Universität in den letzten Monaten mehrere Übergriffe auf Studierende bekannt geworden.

Wie reagiert die Polizei auf die rechten Übergriffe?

Wir haben Fälle protokolliert, bei denen die Polizei Opfern rechter Gewalt von einer Anzeige abgeraten hat. In einem Fall wurde ein Betroffener, der aussagte, von einem Neonazi angegriffen worden zu sein, von einen Polizisten zurecht gewiesen. Er sollte nicht Neonazi sagen, dass würde provozieren.

War das Bildungskollektiv Biko, in dem Sie Mitglied sind, auch von rechter Gewalt betroffen?

Besucher unserer Jubiläumsfeier im Juni zum zehnjährigen Bestehen von Biko wurden auf dem Heimweg von 20 Neonazis angegriffen. Mehrere Menschen wurden durch Faustschläge und Flaschenwürfe verletzt. Im Anschluss geriet ein Mitarbeiter des Biko ins Visier der Polizei, nachdem er von den Rechten beschuldigt wurde, sie angegriffen zu haben.

Ihr kritisiert auch die Reaktion der Polizei auf den Angriff auf eine Veranstaltung im Erfurter Kunsthaus im Zentrum Erfurt.
Am 13. Juli wurden mehrere Besucher des Kunsthauses durch Neonazis teilweise schwer verletzt. Die Polizei negierte zunächst den Neonazihintergrund und sprach in einer Pressemeldung von einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen. Nachdem der Überfall bundesweit Schlagzeilen machte, räumte ein Pressesprecher der Polizei den rechten Hintergrund ein, erklärte aber, es werde zu oft die Antifakarte gezogen, wenn Alkohol im Spiel war.

Gibt es auch Strategien gegen die Rechten in der Innenstadt?
Im Rahmen des lokalen Aktionsplans wurden Anwohner der Erfurter Kneipenmeile zu einem Gespräch eingeladen. Dort gibt es Lokalitäten, in denen die Rechten regelmäßig verkehren. Ein Kneipenbesitzer hat mittlerweile Hausverbote für erkennbare Neonazis verhängt. Wir hoffen, dass dieses Beispiel Nachahmer findet

http://www.neues-deutschland.de/artikel/237415.erfurt-mit-naziproblem.html

Interview: Peter Nowak

Eine deutsche Eiche vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus

Am Wochenende gab es zweierlei Gedenken in Rostock

„Störer wie euch dürfen niemals durchkommen.“ Diese unsouveräne Antwort gab Bundespräsident Joachim Gauck einer Gruppe von Antirassisten, die ihn am Sonntag vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus mit „Heuchler“-Rufen und einem Transparent mit der Aufschrift „Rassismus tötet“ empfingen.

Das renovierte Haus war in den letzten Wochen in vielen Zeitungen und auf vielen Plakaten zu sehen. Vor 20 Jahren wurde es durch von einem Bürgermob angefeuerte Neonazis in Brand gesteckt. Zu dem diesem Zeitpunkt waren Polizei und Feuerwehr abgezogen worden. In letzter Minute konnten sich die noch im Gebäude anwesenden Flüchtlinge samt Unterstützer durch eine Dachluke vor den Flammen retten. Von Gauck, der heute gerne auf seine Rostocker Herkunft verweist, war damals übrigens nichts zu hören. Das Foto eines Betrunkenen mit erhobenen rechten Arm ging um die Welt und prägt für viele bis heute das Bild jener pogromartigen Ereignisse vor 20 Jahren. In dem Buch Kaltland hat ein Autorenkollektiv noch einmal das Klima jener Zeit nicht nur im Osten Deutschlands festgehalten.

„Sie können jetzt einpacken“

Vielleicht hätte ein anderes Bild, das leider nie so bekannt geworden ist, noch treffender die damaligen deutschen Zustände vermittelt. Es zeigt eine rumänische Romafrau, die mit den anderen Rostocker Flüchtlingen nach den rassistischen Ausschreitungen auf die Busse wartet, die sie aus Rostock abtransportieren. Das Foto des Fotografen Jürgen Siegmann dürfte in der nächsten Zeit bekannter werden. Schließlich ist es in dem Film Revision zu sehen, der demnächst in die Kinos kommt und die Geschichte von zwei rumänischen Flüchtlingen aufarbeitet, die Ende Juli 2002 an der deutschpolnischen Grenze von Jägern erschossen worden, die sie angeblich mit Wildschweinen verwechselten.

Das Foto spielt deshalb in dem Film eine Rolle, weil die abgebildete Frau die Witwe eines der Erschossenen ist. Ihre wenigen Habseligkeiten sind in einer Plastiktüte mit der Aufschrift „Sie können jetzt einpacken“ verstaut. Der lustig gemeinte Werbespruch eines Discounters wurde dem Mob aus Bürgern und Nazis in Rostock umgedeutet. Als die Flüchtlinge abtransportiert wurden, applaudierten sie über ihren „Sieg“.

Als wenig später die Asylgesetze in Deutschland so sehr eingeschränkt wurden, dass kaum noch ein Flüchtling in Deutschland davon profitieren kann, konnten sie noch einen vermeintlichen Sieg feiern. Welches Signal sendet nun das Pflanzen einer Eiche vor dem renovierten Rostocker Sonnenblumenhaus aus? Die Initiatoren argumentieren einerseits pragmatisch damit, dass die Eiche besonders langlebig sei und sprechen von der Friedenseiche als einem alten deutschen Symbol. Linke Kritiker sehen in der Eiche eher ein deutschnationales Symbol.

Gedenktafel oder Eiche?

Bei der unterschiedlichen Ausgangslage ist es nicht verwunderlich, dass es am Wochenende zwei unterschiedliche Arten des Gedenkens in Rostock gab. Die offizielle Gedenkfeier verurteilt die rassistische Übergabe und spricht scheinbar selbstkritisch vom Versagen des Staates. Gauck forderte eine „wehrhafte Demokratie“. Die könnte sich dann ebenso gegen die Antirassisten richten, die Gauck als Störer adressierte, wie gegen angeblich illegale Flüchtlinge. Schließlich wird im offiziellen Gedenken peinlich darauf geachtet, dass die massive Einschränkung des Asylrechts nicht mit dem Pogrom von Rostock in Verbindung gebracht wird, obwohl vor 20 Jahren zahlreiche Politiker selber den Zusammenhang herstellten. So reiht sich das offizielle Gedenken in ähnliche Veranstaltungen zu den NS-Verbrechen ein. Schlimme Zeit damals, aber Deutschland hat daraus gelernt und ist gestärkt darauf hervorgegangen, heißt kurz zusammengefasst das Fazit. So gesehen ist die Eiche vielleicht ein passendes Symbol.

Die linken Kritiker hingegen betonten im Aufruf zu der von mehreren tausend Menschen besuchten Demonstration in Rostock besonders den Zusammenhang zwischen der Verschärfung des Asylrechts und dem Pogrom. Sie sprachen sowohl vom institutionellen Rassismus als auch von dem in der Mitte der Gesellschaft. Sie brachten eine Gedenktafel erneut am Rostocker Rathaus an, mit der die Organisation Töchter und Söhne der aus Frankreich deportierten Juden bereits vor 20 Jahren gegen den Rassismus Stellung nahmen. Die Tafel wurde von der Stadt entfernt, die Aktivisten, darunter auch Beate Klarsfeld, festgenommen.

Gedenktafel versus Eiche, allein in diesen Symbolen wird die Unterschiedlichkeit des Gedenkens deutlich. Dazwischen agierte ein zivilgesellschaftliches Bündnis, das die Ablehnung von rechter Gewalt mit einer Imagewerbung für Rostock verbindet. Allerdings kooperieren manche der Aktivisten jenseits von zentralen Gedenkveranstaltungen mit Aktivisten des linken Bündnisses im Alltag in antirechten Bündnissen. Daher ist auch die Konfrontation nicht mehr so schroff wie vor 20 Jahren, als schon einmal ein Bundespräsident, damals war es von Weizsäcker im Berliner Lustgarten, bei einer offiziellen Gedenkveranstaltung zu den Opfern rechter Gewalt ausgepfiffen und mit Heuchlerrufen bedacht wurde.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152667
Peter Nowak

Verleugnete Nazi-Opfer I

Fulda: Antifaschisten bemühen sich um Aufklärung im Fall Dorit B.
Fulda ist eine Kleinstadt in Hessen. Wenig ist von ihr über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Doch in Fulda hat sich vor mehr als einer Dekade ein Mord ereignet, der einen rechten Hintergrund haben könnte. Antifaschisten bemühen sich in dem Fall um Aufklärung.

Heute jährt sich zum elften Mal der Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau Dorit B. Die 54-Jährige war am 17. August 2001 in dem von ihr betriebenen Military-Shop im Zentrum der osthessischen Stadt erstochen worden. Der Täter wurde wenige Stunden nach der Tat verhaftet. Der zur Tatzeit 18-jährige Thüringer wurde vom Landgericht Erfurt nach Jugendstrafrecht wegen Mord aus Habgier verurteilt. Dorit B. habe den jungen Mann dabei ertappt, als er Bekleidungsstücke im Wert von etwa 1000 Euro aus dem Laden entwenden wollte, so die Anklagebehörde.

Naziaufmarsch im bayerischen Wunsiedel

Die »Fuldaer Zeitung« schrieb schon kurz nach der Tat: »Für eine Verbindung zur rechten Szene gibt es nach den bisherigen Ermittlungen keine Anhaltspunkte«. Doch Antifaschisten recherchierten weiter und veröffentlichten die Ergebnisse auf der Onlineplattform www.fuldawiki.de.

Am Tatwochenende mobilisierte die Naziszene bundesweit zu einem Aufmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess ins bayerische Wunsiedel. Fulda fungierte damals als einer der Orte, von dem die Rechten Mitfahrmöglichkeiten anboten. War der Täter auf dem Weg zum rechten Aufmarsch und wollte die geklauten Military-Kleidungsstücke dort weiterverkaufen, lautet eine der bisher unbeantwortet gebliebenen

Fragen der Antifaschisten.

Der Täter sagte mehrmals aus, dass der Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau ein Aufnahmeritual für die Heidenfront war. Diese völkische Strömung kombiniert einen Bezug zu germanischem Heidentum mit der »Blut-und-Boden-Ideologie« des Nationalsozialismus. Das Christentum wird von ihr »als Schwächeanfall des germanischen Volkes« bezeichnet. In verschiedenen skandinavischen Ländern verübten rechte Heiden Brandanschläge auf Kirchen. In Thüringen machte ein Aktivist der neuheidnischen Szene in den 90er Jahren Schlagzeilen, weil er einen 14-jährigen Mitschüler in Sondershausen tötete. Seit mehreren Jahren ist die Heidenfront politisch inaktiv.

»Der rechte Hintergrund des Mörders von Dorit B. spielt auch zehn Jahre nach der Tat noch immer keine Rolle«, so Karin Masche gegenüber »nd«. Sie sitzt für »Die Linke.Offene Liste« im Fuldaer Stadtparlament. In einer Anfrage an den Magistrat der Stadt wollte die Fraktion wissen, ob sie Dorit B. als Opfer rechter Gewalt anerkennt und ihrer gedenkt. In seiner Antwort wollte der Fuldaer Bürgermeister Wolfgang Dippel (CDU) beide Fragen nicht beantworten. »Die Bewertung und Ermittlung zum Tathergang obliegt in der alleinigen Zuständigkeit der Strafermittlungsbehörde, d. h. der Staatsanwaltschaft und allenfalls noch des Verfassungsschutzes«, weist er die Verantwortung der Politik zurück.
Ausweichende Antwort der Bundesregierung

Auch die Linksfraktion im Bundestag wollte in einer Anfrage von der Bundesregierung wissen, warum die Tötung von Dorit B. nicht als politisch motivierte Straftat erfasst wird. In der Antwort weist ein Sprecher der Bundesregierung darauf hin, dass die Zuordnung einer Straftat zur politisch motivierten Kriminalität den Polizeibehörden des Landes, in dem sich der Tatort befindet, obliegt.

Masche will sich auch nach dem Jubiläum weiter um Aufklärung bemühen und dafür kämpfen, dass Dorit B. als Opfer rechter Gewalt gedacht wird.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/235793.verleugnete-nazi-opfer-i.html

Peter Nowak

Parole an der Wand


GEDENKEN In Kreuzberg wird der kommunistische Widerstandskämpfer Wolfgang Szepansky geehrt

Mit der Anbringung einer Gedenktafel wird am Samstag in Kreuzberg an einen antifaschistischen Widerstandskämpfer erinnert. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Verband der Antifaschistinnen (VVN-VdA) und das Aktive Museum befestigen an der Wand der ehemaligen Schultheissbrauerei in der Methfesselstraße die Plakette für Wolfgang Szepansky. „Wir wollen damit einen Mann ehren, der bis zu seinem Tod im Alter von 98 Jahren in der antifaschistischen Bewegung aktiv war“, sagte Frieder Böhne von der VVN-VdA gegenüber der taz zu den Beweggründen.

Am 11. August des Jahres 1933 hatte der damals 23-jährige Szepansky an dieselbe Mauer die Parolen „Nieder mit Hitler! KPD lebt! Rot Front!“ gepinselt. Dafür wurde er ins Columbiahaus, das berüchtigte erste Konzentrationslager Berlins auf dem Tempelhofer Feld eingeliefert. Nach seiner Freilassung emigrierte er nach Holland, wo ihn der Naziterror mit der deutschen Besetzung einholte. Er wurde 1940 an die Gestapo ausgeliefert und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht.

Als Teilnehmer der Todesmärsche, bei denen die SS in den letzten Tagen des Naziregimes KZ-Häftlinge durch Deutschland trieb, wurde Szepansky durch britische Alliierte befreit. Sofort beteiligte er sich am Aufbau des antifaschistischen Jugendausschusses in Tempelhof. Szepansky arbeitete als Lehrer, wurde aber im Zuge der Kommunistenverfolgung des Kalten Krieges aus dem Schuldienst entlassen. Dafür engagierte er sich bis ins hohe Alter gegen alte und neue Nazis. Als Zeitzeuge begleitete er zahlreiche antifaschistische Stadtrundfahrten. Er starb 2008.

Mehr als zwei Jahre dauerten die Verhandlungen über den neuen Gedenkort. Der ursprünglich vorgesehene Eingangsbereich der Schultheissbrauerei war vom Eigentümer abgelehnt worden. „Nach Vermittlung durch den Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz kam es nun zur Einigung“, freut sich Frieder Böhne
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F08%2F10%2Fa0214&cHash=343c56193a
Peter Nowak

Enthüllung der Gedenktafel: Samstag, 11 Uhr, Methfesselstr. 42

Extremismusklausel für Sportler?

Als Konsequenz aus der Diskussion über das Umfeld der olympischen Ruderin Nadja Drygalla soll der Staat mehr Macht bekommen

Eigentlich war man bisher davon ausgegangen, dass Sportler sich an der Olympiade beteiligen wie Fußballspieler an den Europa- und Weltmeisterschaften, weil sie sich mit anderen Sportlern in ihren jeweiligen Disziplinen messen wollen. Die Politik gehörte gemeinhin nicht dazu. Daher war es schon immer peinlich anzusehen, wenn Sportfunktionäre oder auch ausgewählte Sportler besondere politische Belange vertreten sollten. So kam es vor der diesjährigen Fußball- EM zu manchem Spreizschritt, weil sich Berufene einerseits für die Demokratie in der Ukraine einsetzen wollten, andererseits aber doch darauf zu achten hatten, dass die EM-Veranstalter und Sponsoren nicht zu stark vor den Kopf gestoßen würden. Die Sportler mussten also Diplomaten werden.

Man könnte in dieser Rolle einen Fortschritt gegen über der Weltmeisterschaft 1978 sehen. Damals wurde die WM in Argentinien ausgetragen, wo zu dieser Zeit eine blutige Militärdiktatur herrschte. Aber die Forderungen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, sich doch für die Gefangenen einzusetzen, wurde von einigen Kickern nicht nur brüsk abgelehnt, sondern sogar mit Hohn und Spott kommentiert. Unpolitisch war die deutsche Elf aber schon damals nicht. Schließlich hatten sie in den Spielpausen Zeit, den ewigen NS-Nostalgiker und Freund der argentinischen Militärjunta Hans-Ulrich Rudel rein privat zu einem Besuch in ihrem Quartier zu empfangen. Dieser Besuch löste 1978 einen Skandal aus.

33 Jahre später sind die Nazis der Generation Rudels weitgehend tot und die zweite und dritte Generation macht nun Ärger. Der Anlass sind die privaten Beziehungen der Ruderin Nadja Drygalla zu einem ehemaligen Aktivisten der neonazistischen Freien Kameradschaften und zeitweiligem NPD-Mitglied. Die Diskussion war kaum aufgebrandet, da verließ die Sportlerin schon das olympische Team. Damit war die Debatte nicht zu Ende.

SPD-Politiker warfen den Sportgremien vor, nicht rechtzeitig über die Personalie Drygalla informiert zu haben. Und bald darauf begann auch die Debatte, ob es sich bei dem öffentlichen Hype nicht um eine jener Übungen in hilflosem Antifaschismus handelt, bei dem am Ende mehr Kontrolle und Gesinnungsprüfung herauskommt. Spätestens nachdem das Bundesinnenministerium eine Extremismusklausel für öffentlich finanzierte Sportverbände ins Gespräch brachte, drängt sich dieser Verdacht noch deutlicher auf.

Schließlich sind die Pläne, wie das Ministerium betont, schon älter. So wird der Fall Drygalla also als gute Gelegenheit dafür gesehen, solche Pläne auch in die Tat umzusetzen. Schließlich will niemand ausgewiesene Vertreter der Rechten im Olympiateam haben. Aber hier zeigt sich schon die Schieflage der gesamten Debatte. Es geht nicht um irgendwelche Äußerungen oder Handlungen von Drygalla sondern um das politische Umfeld ihres Lebensgefährten. So wurde gleich Entwarnung gegeben, als nun offiziell bestätigt wurde, dass dieser die NPD mittlerweile verlassen hat. Dass ein längjähriger Aktivist der Freien Kameradschaftsszene zur NPD-Mitgliedschaft nur ein taktisches Verhältnis hat und dass Aus- und Wiedereintritte dort nicht selten sind, blieb dabei unerwähnt. Auch die politischen Ansichten von Drygalla und ihren Lebensgefährten waren kaum Gegenstand der Debatte, es ging um Organisationen und Mitgliedschaften.

Kein brauner Fleck auf deutsches Olympiateam

Und da sollte kein brauner Fleck auf das deutsche Olympiateam fallen. Hier wird auch eine weitere problematische Seite der gesamten Debatte deutlich. Es wird unhinterfragt davon ausgegangen, dass die Sportler nicht für sich und ihr Sportteam, sondern für die Nation Deutschland in den Wettkampf ziehen. Daher wurden auch bei der Fußball-EM die Lippenbewegung der deutschen Spieler beim Singen der Nationalhymne genau registriert und gerügt, wenn sie nicht genügend deutlich mitsangen. So wäre es auch nur konsequent, wenn dann auch die Sportler auf das deutsche Grundgesetz eingeschworen werden sollen, wie es ja bei Beamten bereits der Fall ist und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, wenn sie Gelder bekommen sollen, geplant ist…

Es gab anlässlich der Fußball-EM erneut Kritik an der Verschmelzung von Spiel und „Patriotismus“ – dem Einschwören von Sportlern und Fans auf die Nation. Die Kritiker müssten nun auch im Fall Drygalla gegen eine Extremismusklausel für Sportler eintreten, weil damit die Athleten auf eine heikle Weise von der Nation vereinnahmt werden. Mit dem Kampf gegen Rechts im Sport hat das sehr wenig zu tun. Der wird sowieso erfolgreicher von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Umfeld von Fußballspielen praktiziert. Dabei geht es weniger um Mitgliedschaften in rechten Organisationen, sondern um nationalistische und rassistische Alltagspraktiken, die nicht an Organisations- und Parteimitgliedschaften gebunden sind.

Der hilflose Antitotalitarismus, der im Fall Drygalla von Politik, Sportverbänden und Teilen der Medien praktiziert wird, behindert eine solche Arbeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen eher, die ja schließlich ebenfalls einer Extremismusklausel mit merkwürdigen Auswüchsen unterliegen (Führt Extremismusklausel zu Misstrauen und Beschnüffelung?), die nun besser installiert werden kann.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152542

Peter Nowak

Hitlers Gegner, Stalins Opfer

In Berlin wurde erstmals der deutschen Kommunisten und Sozialisten gedacht, die der stalinistischen Verfolgung in der UdSSR zum Opfer fielen.

»Mein Großvater hatte ein typisch kommunistisches Schicksal«, sagt Oswald Schneidratus. »SPD, USPD, Spartakus, Strafbataillon vor Verdun, KPD, Republik der Wolgadeutschen, Studium in Moskau, als Architekt Neugestaltung Moskaus 1933 bis 1935, bei Stalin in Ehren empfangen. 1936 als Oberstleutnant nach Spanien, 1937 erschossen in Butowo bei Moskau.« Mit diesen Worten skizzierte er in der vergangenen Woche auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin die politische Biographie seines Großvaters.

Dort gedachten Angehörige und Freunde der in Deutschland geborenen Kommunisten und Sozialisten, die den Nazis entkommen konnten und dann in der Sowjetunion der stalinistischen Verfolgung zum Opfer fielen. Schneidratus’ Großvater gehörte dazu. Sein Name war einer von 750, die während der knapp einstündigen Gedenkveranstaltung verlesen wurden. Damit wurde erstmals öffentlich an ein Datum erinnert, das für die stalinistische Verfolgung eine große Bedeutung hat: Am 25. Juli vor 75 Jahren begann mit dem NKWD-Befehl 00439 auf Anordnung Stalins und seines Geheimdienstchefs die sogenannte Deutsche Operation. In der UdSSR lebende Deutsche wurden unter den Generalverdacht profaschistischer Spionage gestellt. Die Operation war Teil der als »großer Terror« bekannten Verfolgungen der Jahre 1937/38.

Viele Überlebende gingen in den Fünfzigern in die DDR, wo sie den Verfolgten des Nationalsozialismus rechtlich gleichgestellt wurden, aber in der Öffentlichkeit nicht von der Verfolgung in der UdSSR reden sollten. Viele Überlebende und Angehörige blieben bis zum Schluss überzeugte Verteidiger des Realsozialismus. Sie wollten schon deshalb nicht über die Verfolgungen unter Stalin sprechen, weil sie den Gegnern im Kalten Krieg nicht in die Hände spielen wollten.

Immer noch fällt es vielen Betroffenen schwer, an die Öffentlichkeit zu gehen. »Einige Angehörige wollten nicht, dass die Namen ihrer ermoderten Verwandten verlesen werden, und das haben wir auch akzeptiert«, sagt Hans Coppi der Jungle World. Er ist Mitglied im Arbeitskreis zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration verfolgten, deportierten und ermordeten deutschen Antifaschisten bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Nach mehreren Veranstaltungen war die öffentliche Ehrung ein weiterer Schritt, um die damaligen Ereignisse öffentlich zu machen. In der nächsten Zeit soll eine Ausstellung über die Verfolgung in der Sowjetunion konzipiert werden. Mittlerweile hat der Arbeitskreis auch angeregt, einen Gedenk­ort einzurichten. Am Karl-Liebknecht-Haus, der früheren Zentrale der KPD und dem derzeitigen Sitz der Linkspartei, soll eine Gedenktafel mit der Inschrift angebracht werden: »Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunisten und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.« Der Historiker Wladislaw Hedeler hält die Wahl des Gedenkorts für richtig, weil viele der später Ermordeten mit Billigung des KPD-Zentralkomitees in die UdSSR gingen.

Es war sicher auch der Lage des Termins im Sommer geschuldet, dass die Angehörigen auf der Gedenkveranstaltung überwiegend unter sich blieben. Dabei haben sich in den vergangenen Jahren auch jüngere, antifaschistische und antinationale Linke mit dem Stalinismus befasst. Die Leipziger Initiative gegen jeden Extremismusbegriff hat im Unrast-Verlag unter dem Titel »Nie wieder Kommunismus?« ein Buch mit zwölf Aufsätzen zur Kritik an Stalinismus und Realsozialismus herausgegeben. Auch der kürzlich im Verlag Buchmacherei von Philippe Kellermann herausgegebene Band »Gespräche über die Geschichte und Gegenwart der sozialistischen Bewegungen« widmet sich dem Stalinismus und seiner Vorgeschichte. Mit dem Arbeitskreis bei der VVN eint die Autoren beider Bücher ihre Kritik am Stalinismus ohne Bezugnahme auf die Totalitarismus­theorie und ihre Weigerung den Kapitalismus zu verteidigen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/31/45968.html
Peter Nowak

Nazi-Rauswurf mit finanziellen Folgen

ORANIENBURG Weil er einen NPDler aus dem Saal schmiss, muss ein Versammlungsleiter blechen

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass der NPD-Kommunalpolitiker Detlef Appel bei einer Gedenkveranstaltung zum Hitler-Attentäter Georg Elser in Oranienburg aus dem Saal geschmissen wurde. Das hatte ein juristisches Nachspiel: Wie jetzt bekannt wurde, verurteilte das Landgericht Neuruppin den Versammlungsleiter Ende Mai, dass er dem NPD-Politiker knapp 400 Euro Schadenersatz zahlen und sämtliche Verfahrenskosten tragen muss. Der Saalverweis sei geeignet, „sich abträglich auf Ansehen und Ehre des politisch aktiven Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken“, hieß es.

Die „Courage-Elser-Initiative“ hatte damals zu einer Gedenkveranstaltung für den verhinderten Hitler-Attentäter ins Bürgerzentrum Oranienburg geladen. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, sprach zum Thema „Georg Elser – ein Volksheld oder ein Täter mit gutem Gewissen?“. Im vollbesetzten Saal habe Detlef Appel, Kreistagsabgeordneter in Oberhavel und Stadtverordneter in Oranienburg, massiv gegen Elser gehetzt, erinnert sich der Vizevorsitzende der Elser-Initiative, Bernd Findeis. „Die Anwesenden waren zunächst fassungslos, dem Entsetzen folgte ein immer deutlicher werdender Protest.“ Als der Versammlungsleiter Appel des Saales verwies, habe der anstandslos seinen Mantel genommen und sei verschwunden.

Markus Roth von der Antifa Friedrichshain kritisiert, dass der rechte Hintergrund des Politikers in dem Urteil komplett ausgeblendet worden sei. Diese juristische Normalisierungsstrategie konterkariere die Bemühungen, NPD-Mandatsträger bewusst auszugrenzen.

Roth befürchtet nicht, dass in Zukunft die Präsenz von Personen aus der rechten Szene bei antifaschistischen Veranstaltungen hingenommen werden müsse. Man sollte allerdings schon bei der Werbung deutlich machen, dass diese Leute nicht geduldet würden. Darauf verweist auch Annika Eckel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Der Verein hat auf seiner Homepage eine Handreichung veröffentlicht, um Ausschlüsse von Rechten juristisch wasserdicht zu machen. Selbst wenn eine Ausschlusserklärung versäumt wurde, hätte die Veranstaltung kurzfristig aufgelöst und unter Ausschluss der Rechten neu eröffnet werden können.

Für die Georg-Elser-Initiative kommen diese Ratschläge zu spät. Sie hat ein Spendenkonto eröffnet, damit der Versammlungsleiter nicht auf den Kosten sitzenbleibt.
ttp://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F31%2Fa0157&cHash=3dd8500c2a

Peter Nowak

Oury Jalloh: Rassismus mit Todesfolge

Konferenz zum Feuertod des Asylbewerbers
Seit sieben Jahren kämpfen Flüchtlingsorganisationen darum, den Tod von Oury Jalloh aufzuklären. Am Samstag haben sie auf einer Berliner Konferenz eine kritische Bilanz der bisherigen Ermittlungen gezogen.

Im Münzenberg-Saal des nd-Gebäudes hängen zahlreiche Fotos. Sie zeigen die Gesichter von Christy Schwundeck, Ousyman Sey und Oury Jalloh. Darunter, die Daten ihres Todes. Es handelte sich um Menschen ohne deutschen Pass und ohne weiße Hautfarbe. Alle sind in den letzten Jahren durch Schüsse aus Polizeipistolen oder in Polizeigewahrsam umgekommen. Der bekannteste dieser Fälle ist der von Oury Jalloh, der im Januar 2005 in der Zelle einer Dessauer Polizeistelle verbrannte.

Zweifel an den Todesumständen

Die beiden Anwälte Gabriele Heinecke und Philipp Napp, die als Verteidiger der Nebenkläger in das Verfahren involviert sind, hatten es nicht leicht, den juristischen Sachverhalt den über 100 Besuchern des Kongresses plausibel zu erklären. Die Anklage wirft dem Polizisten Andreas S. vor, Jalloh zu spät zu Hilfe gekommen zu sein. Sie ist bisher davon ausgegangen, dass er mit einem Feuerzeug, das bei der Leibesvisitation nicht entdeckt wurde, die Matratze, auf der er gefesselt lag, selbst angezündet habe.

Es mehren sich die Zweifel an dieser Version. So wurden an dem Feuerzeug weder DNA-Spuren von Jalloh noch andere Hinweise gefunden, die belegen, dass es sich bei Ausbruch des Brandes in der Zelle befand. Damit gewinnt die von Unterstützergruppen vertretene Version an Bedeutung, dass das Feuer von noch unbekannten Personen gelegt wurde. Da der angeklagte Polizist dafür nicht infrage kommt, weil er ein Alibi für die Zeit des Brandbeginns hat, muss er freigesprochen werden. Am Ende würde dann festgestellt, dass die Umstände des Brandes nicht geklärt werden konnten.

Für Heinecke wäre ein solcher Ausgang des Prozesses ein Erfolg. »Damit wäre der Raum geöffnet, für neue Ermittlungen in alle Richtungen«, betonte sie. Da sich die Justiz nicht vorstellen kann, dass ein Polizeibeamter für den Brand verantwortlich sein könnte, wurde eine Brandstiftung des Flüchtlings als die einzige Möglichkeit angesehen.

Jalloh ist kein Einzelfall

Vertreter von Flüchtlingsorganisationen sahen den Tod von Jalloh als Beispiel für die Fortdauer kolonialistischer Gewalt und zogen Parallelen zu anderen Fällen. So erinnerte ein Aktivist aus Frankfurt am Main an den Tod der in Afrika geborenen Christy Schwundeck, die vor mehr als einem Jahr in einem Jobcenter von einer Polizistin erschossen wurde. Obwohl sie mehr als zwei Meter entfernt stand, wurde auf Notwehr erkannt. Anklage wurde nicht erhoben.

Erst vor wenigen Wochen rief Ousyman Sey einen Arzt. Er gab an, gesundheitliche Probleme zu haben. Statt dessen nahm ihn die Polizei fest. In Polizeigewahrsam starb Sey an Herzversagen. Auch in seinem Fall forderten die Initiativen eine vollständige Aufklärung. Es ist fraglich, warum ein Mann, der um ärztliche Hilfe bat, in Handschellen gefesselt sterben musste.

Auf der Konferenz wurde deutlich, dass auch die Angehörigen der Opfer leiden. So zum Beispiel die kürzlich an Herzinfarkt verstorbene Mutter von Jalloh, die sich längere Zeit in Deutschland aufgehalten hatte und sich um Gerechtigkeit für ihren verstorbenen Sohn bemühte.
Peter Nowak
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233910.oury-jalloh-rassismus-mit-todesfolge.html
Peter Nowak

Eine Liste mit 750 Namen erinnert an die Opfer

GEDENKEN Vor 75 Jahren begann Stalins Terroraktion gegen deutsche Kommunisten in der UdSSR

Am heutigen Mittwoch gedenken AntifaschistInnen am Rosa-Luxemburg-Platz der Opfer des Stalinismus. Ab 11 Uhr sollen insgesamt 750 Namen von Menschen verlesen werden, die entweder als KommunistInnen und SozialistInnen oder als SpezialarbeiterInnen beim Aufbau der Sowjetunion mithelfen wollten und in die Mühlen des stalinistischen Terrors gerieten.

Am 25. Juli 1937 begann mit dem NKWD-Befehl Nr. 00439 auf Anordnung Stalins und seines Geheimdienstchefs die sogenannte Deutsche Operation. In der UdSSR lebende Deutsche wurden unter den Generalverdacht profaschistischer Spionage- und Diversionstätigkeit gestellt. Die Aktion war Teil der als Großer Terror in die Geschichtsbücher eingegangenen Verfolgungen der Jahre 1937/38. Viele Überlebende gingen in den 1950er Jahren in die DDR, wo sie den Verfolgten des Naziregimes rechtlich gleichgestellt wurden, aber in der Öffentlichkeit nicht über die Verfolgung sprechen sollten.

„Mit der Gedenkaktion zum Jubiläum wird das erste Mal in Berlin öffentlich der namenlosen deutschen Opfer des Großen Terrors in der Sowjetunion gedacht“, betont Hans Coppi vom Arbeitskreis zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration verfolgten, deportierten und ermordeten deutschen Antifaschisten bei der Berliner VVN-BdA. Der Arbeitskreis wurde vor zwei Jahren von Angehörigen der Opfer initiiert und hat bisher mehrere Veranstaltungen organisiert. An der Gedenkaktion soll mit dem 92-jährigen Frido Seydewitz einer der letzten Überlebenden der stalinistischen Verfolgung teilnehmen.

Nicht alle Angehörigen gaben jedoch ihre Zustimmung zur Verlesung der Namen. „Manche waren sich unsicher, ob ihre betroffenen Verwandten damit einverstanden gewesen wären“, berichtet Coppi. „Andere befürchteten, antisowjetischen Stimmungen Rechnung zu tragen.“ Einige unverbesserliche Stalinfans hätten die VeranstalterInnen telefonisch beschimpft.

Unbeeindruckt davon bereitet der Arbeitskreis eine Ausstellung über die Opfer des Stalinismus vor. Zudem will er vor dem Karl-Liebknecht-Haus, der ehemaligen KPD- und heutigen Linkspartei-Zentrale, am Rosa-Luxemburg-Platz einen Gedenkort für sie schaffen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2F07%
2F25%2Fa0140&cHash=52d77d4abd

Peter Nowak

Eine Frage des Selbstverständnisses

Dürfen linke Anwälte Neonazis verteidigen? Ein Fall in Freiburg sorgt für heftige Debatten
Eine Anwältin aus dem linken Spektrum hat ihr Umfeld gegen sich aufgebracht, weil sie einen Neonazi gerichtlich vertritt. Dieser soll einen jungen Antifaschisten schwer verletzt haben. Die Diskussion in Freiburg berührt Grundsatzfragen des linken Selbstverständnisses.

Das Verfahren gegen den Neonazi Florian S. sorgt seit Wochen für Aufmerksamkeit. Der 30-jährige Versicherungsvertreter ist vor dem Freiburger Landgericht wegen versuchten Totschlags angeklagt. Er wird beschuldigt, am 1. Oktober 2011 einen 21-jährigen Antifaschisten angefahren und schwer verletzt zu haben. Morgen soll das Urteil gesprochen werden.

Linke Gruppen gehen davon aus, dass S. mit voller Absicht in eine Gruppe Antifaschisten gerast sei und verweisen auf dessen Facebook-Seite, auf der er sich in Vernichtungsfantasien gegen politische Gegner ergehe. So habe er dort angekündigt, nur darauf zu warten, von Antifaschisten angegriffen zu werden, um sie dann »in Notwehr die Klinge fressen zu lassen«.

Kurz nach Beginn des Verfahrens landete der Angeklagte einen Coup, der nun in linken Kreisen für Streit sorgt. So behauptete Florian S., aus der Naziszene ausgestiegen zu sein und feuerte seine bisherige Anwältin Nicole Schneider, die in rechten Kreisen einen guten Namen hat. Zu seinem neuen Verteidigerteam gehört die junge Anwältin Tina Gröbmayr, bis dahin Sprecherin der Grünen Alternative Freiburg (GAF), einer linken Abspaltung der lokalen Grünen. Als Studentin war sie aktiv beim Arbeitskreis Kritischer Juristen (akj). Ihr neuer Job bringt nicht nur mit sich, Entlastendes für ihren Mandanten zu suchen, sondern könnte auch bedeuten, die Antifas in ein schlechtes Licht zu rücken, wenn es der Verteidigung dient. Gröbmayrs politisches Umfeld reagierte entsetzt.

Vier Vorstandskollegen traten nach dem Bekanntwerden der Mandatsübernahme zurück, ein Ex-Vorstandsvorsitzender ganz aus der Gruppierung aus. Auch die beiden GAF-Stadträte haben kein Verständnis für die Entscheidung, so dass Gröbmayr inzwischen ihren Sprecherposten abgeben musste. Die Vorwürfe weist sie jedoch zurück. In Interviews erklärte sie, sie sei vor allem Anwältin, persönliche politische Auffassungen spielten dabei keine Rolle.

Auch beim Arbeitskreis Kritischer Juristen löste Gröbmayrs Entscheidung kontroverse Diskussionen aus. Erst Anfang Juli trat sie dort als Referentin auf. Eine Distanzierung lehnt der akj aber ab. In einer differenzieren Stellungnahme wird betont, dass es nachvollziehbare Gründe für und gegen die Verteidigung eines Neonazis gebe. »Der akj Freiburg bekennt sich ausdrücklich zur aktiven Ablehnung faschistischen Denkens und Handelns. Gleichzeitig bekennen wir uns zum Recht eines jeden Menschen auf ein faires Verfahren und eine bestmögliche Verteidigung. Hierin sehen wir keinen unüberwindbaren Widerspruch, sondern ein im Einzelfall aufzulösendes Spannungsfeld«, heißt es in der Erklärung.

Der akj sieht bei manchen Kritikern die Grenze zur Diffamierung überschritten. Dabei bezieht er sich auf Texte auf der linken Internetplattform Indymedia-Linksunten, in denen die Anwältin als Naziverteidigerin tituliert wurde. Allerdings finden sich auch dort abwägende Stimmen. »Natürlich ist es ein zivilisatorischer Fortschritt, dass im Rechtsstaat BRD – bei aller gut begründbaren Kritik an der deutschen Justiz – jeder Angeklagte einen Anwalt hinzuziehen kann. Allerdings bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass jeder Anwalt jedes Mandat annehmen muss«, ist in einem Beitrag zu lesen. Das sehen auch andere linke Anwälte so. Für viele kommt eine Verteidigung von Neonazis oder auch mutmaßlichen Vergewaltigern nicht infrage. Auch im akj geht die Debatte weiter. »Für mich persönlich ist eine Mitgliedschaft im akj sowie mein Selbstverständnis als linker Anwalt nicht vereinbar damit, einen Neonazi wegen einer neofaschistisch motivierten Tat zu verteidigen«, sagt der Berliner Rechtsanwalt Martin Henselmann gegenüber »nd«.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/232284.eine-frage-des-selbstverstaendnisses.html
Peter Nowak

„Es ist noch vieles aufzuarbeiten


NS-ZEIT Ein Buch informiert über Arbeitsverweigerungen von ZwangsarbeiterInnen in Berlin. Das Interesse am Thema sei vorhanden, sagt Herausgeber Stefan Heinz. Jetzt müsse die Forschung an den Unis verankert werden

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Herr Heinz, der Titel des von Ihnen herausgegebenen Buchs lautet „Der vergessene Widerstand der Arbeiter“. Aber gab es nicht in den 70er- und 80er-Jahren eine Hinwendung zur Geschichte der Arbeiterbewegung und auch des Widerstands?

Stefan Heinz: Einige Widerstandsgruppen sind in der Tat wieder in Vergessenheit geraten. Andere waren bis vor kurzem vergessen oder sind es noch immer. Während DDR-Historiker auf den KPD-Widerstand fixiert blieben, wurden in der Bundesrepublik ab den 70er-Jahren Vorstöße von meist jüngeren Leuten gemacht, Fragen zur Arbeiterbewegung und deren Widerstand gegen das NS-Regime zu thematisieren. Zuvor beschäftigte sich dort die Öffentlichkeit fast ausschließlich mit dem Widerstand konservativer Kreise um den 20. Juli 1944 und der Kirchen. Nach 1989/90 entstand die kuriose Situation, dass bisher nicht zugängliche Archivakten neue Forschungen ermöglicht hätten, die finanzielle Förderung für entsprechende Projekte aber zurückgefahren wurde. Dies entsprach einer Erinnerungskultur, in der linker Arbeiterwiderstand, gerade weil er sich zum Teil als revolutionär verstand, schlicht nicht mehr angesagt war.

In den 90er-Jahren vertraten auch manche linke Historiker die These, dass der Großteil der ArbeiterInnen loyal zum NS-System stand und nur eine verschwindende Minderheit Widerstand leistete. Können das Ihre Forschungen bestätigen?

Ich denke zum einen, dass loyales Verhalten schwer messbar ist, wenn alle, die mit der NS-Politik nicht einverstanden waren, damit rechnen mussten, mundtot gemacht zu werden. Denk- und Verhaltensweisen in der Arbeiterschaft stehen im Widerspruch zur NS-Propaganda einer vereinten „Volksgemeinschaft“. Zum anderen bedeutete Nichtzustimmung keineswegs automatisch widerständiges Handeln, das nur eine Minderheit praktizierte. Wenn zeitliche Phasen betrachtet werden, wird man oft unterschiedliches Verhalten in ein und derselben Person entdecken. Fakt ist, der Arbeiterwiderstand begann schon 1933 und hatte die meisten Verluste zu beklagen. Umfang und Intensität der illegalen Aktivitäten, vor allem von Gewerkschaftern, werden erheblich unterschätzt.

Ein Aufsatz beschäftigt sich am Beispiel von Erich Wollenberg auch mit im Stalinismus verfolgten Kommunisten. Welchen Stellenwert hat das Thema in der Forschung zur Arbeiterbewegung?

Es gibt mehrere Projekte, die sich mit der Verfolgung von Kommunisten im sowjetischen Exil beschäftigen. Diese und andere Forschungen sind wichtig, da auch in diesem Bereich vieles aufzuarbeiten ist. Allerdings sollte darauf geachtet werden, die Funktion von Repression und Gewalt in die Besonderheiten eines politischen Systems einzuordnen, um falsche Gleichsetzungen zwischen Stalins Herrschaft und dem NS-Regime zu vermeiden.

In einem Kapitel beschäftigt sich die Historikerin Gisela Wenzel mit dem Widerstand von in Berlin lebenden polnischen StaatsbürgerInnen. Obwohl die Recherchen weit zurückreichen, ist das Thema kaum bekannt. Wo sehen Sie die Gründe?

Wie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene haben solche Gruppen kaum eine Lobby, der es ein Bedürfnis ist, sich in ihre Tradition zu stellen und ein Gedenken zu pflegen. Im Vergleich zum Kreis des 20. Juli 1944 war bei diesen Widerständlern eine späte Gewissensentscheidung gar nicht nötig, da sie nie mit den Nazis sympathisiert hatten. Auch hinterließen sie wenig Selbstzeugnisse. Das macht sie für manche uninteressant.

Welche weiteren Aufgaben sehen Sie für die Forschung zum ArbeiterInnenwiderstand in Zukunft?

Es gibt noch sehr viel in den Archiven zu erforschen. Erfreulicherweise wächst das Interesse am Thema bei Studierenden derzeit wieder. Dies belegen auch einige Beiträge in dem Sammelband. Dieses Interesse zu fördern, an den Unis zu verankern und mit einer Gedenkkultur zu verbinden, ist die wichtigste Aufgabe und eine Herausforderung zugleich.

Hans Coppi/Stefan Heinz (Hrsg.): „Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter“. dietz Verlag, Berlin 2012, 383 Seiten, 29,90 Euro



Stefan Heinz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle „Nationale und Internationale Gewerkschaftspolitik“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F07%2Fa0231&cHash=ba7ae1e0de

Interview: Peter Nowak

Tod im Getreidefeld

Vor 20 Jahren wurden im Nordosten zwei Migranten getötet
Am 29. Juni 1992 wurden in Mecklenburg-Vorpommern zwei Migranten aus Rumänien angeblich bei einem Jagdunfall erschossen. Der genaue Tathergang wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Heute wird es keine Gedenkveranstaltungen für Grigore Velcu und Eudache Calderar geben. Dabei jährt sich an diesen Tag ihr Tod zum zwanzigsten Mal. Die offizielle Version lautet, die beiden Roma aus Rumänien seien beim illegalen Grenzübertritt von Jägern erschossen wurden, die die in dem Getreidefeld auf ihren Transfer wartenden Menschen mit Wildschweine verwechselt habe. Nur einige Zeitungen berichteten darüber. Im Frühjahr diesen Jahres gab es plötzlich noch einmal größeres Interesse am Schicksal von Velcu und Calderac. Dafür sorgte Philipp Scheffners Film „Revision“, der auf der diesjährigen Berlinale erstmals gezeigt wurde und mittlerweile auf verschiedenen Filmfestivals Preise gewonnen hat.
Scheffner rekonstruiert den Tod der beiden Rumänien und stößt auf haarsträubende Ignoranz der Behörden.
Die Schützen konnten schnell ermittelt werden. Ein Ex-Polizist und passionierter Jäger aus der Region sowie ein Jäger aus Hessen wurde wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Nachdem das Verfahren über mehrere Jahre verschleppt wurde, erfolgte unbemerkt von jeder kritischen Öffentlichkeit die Einstellung. Auch eine Revision wurde verworfen. Es habe nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden können, wer den tödlichen Schuss abgegeben hat, der beide Männer getötet hat, lautet die Hauptbegründung für die Einstellung.
Dass die Jäger weder erste Hilfe für die von den Schüssen Getroffenen geleistet noch einen Rettungswagen verständigt hatten, wurde vom Gericht ignoriert. . Dabei atmete mindestens eines der Opfer noch, als er viele Stunden später gefunden wurde. Er starb erst am Weg ins Krankenhaus. Ob er überlebt hätte, wenn sofort lebensrettende Maßnahmen eingeleitet worden wären wurde nie geklärt.
Dass ist nur eine von vielen Ungereimtheiten, die Scheffner bei seiner Filmrecherche aufdeckt. So sagte eine Gutachterin aus, dass bei den Lichtverhältnissen in der Morgendämmerung Wildschweine von Menschen klar zu unterscheiden gewesen wären. Ein Augenzeuge, der zu der Flüchtlingsgruppe gehörte, in der sich auch Velcu und Calderar befanden, beharrt auch nach mehrmaligen Nachfragen auf seiner Version, dass der tödliche Schuss mit Zielfeuerwaffen von einem Polizeiauto erfolgt sei, dass am Rande des Felds gestanden habe,
Keiner der Augenzeugen, die mit den Opfern im Feld auf ihren Transfer wartete, wurde als Zeugen gehört. Die meisten waren zu diesem Zeitpunkt längst abgeschoben werden. Die Polizei hatte die Gruppe wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen auf einer nahen Autobahnraststätte aufgespürt.
Die Verwandten der Opfer waren nie über ihre Rechte und einer ihnen zustehenden finanziellen Entschädigung informiert worden. Die Männer waren zum Arbeiten nach Deutschland gekommen und hatten mit ihren Einkommen ihre Familien in der Heimat unterstützt. Ihr Tod stürzte die Familien zusätzlich zu ihrer Trauer auch in große soziale Not. Frau Caldarar war ihren Kindern sogar zeitweise obdachlos.

Knapp zwei Monate nach dem Tod der beiden Rumänen belagerten Neonazis und Aktivbürgern in Rostock-Lichtenhagen ein Erstaufnahmelager für Migranten. Unter den Bewohnern, die in letzter Minute evakuiert wurden, nachdem es den Angreifern gelungen war, Teile des Gebäudes mit Molotow-Cocktails in Brand zu stecken, waren auch einige Augenzeugen der tödlichen Schüsse auf Calderar und Velcu. Der hat das rassistische Klima im Flüchtlingsheim Gelbersand selber spüren bekommen. Die Grabstätte seiner Mutter, die in dem Heim starb, war von Unbekannten verwüstet worden. Daraufhin entschloss er sich, in Rumänien die Formalitäten für die Überführung der Leiche seiner Mutter in ihre Heimat in die Wege zu leiten. Auf dem Rückweg nach Deutschland wurde b er im Getreidefeld erschossen. Das zerstörte Grabkreuz, lagerte in einer Kirche in der Umgebung. Auf Initiative einer Lehrerin aus der Region soll das Grab von Siminica Ecaterina wieder hergerichtet werden. Vielleicht wird es auch noch Velcu und Calderar Gedenkort geben. Im September 2012 startet Scheffners Film Revision in den deutschen Kinos.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/231102.tod-im-getreidefeld.html

Peter Nowak

„Krieg gegen das deutsche Volk“

Berlin – Unter dem Motto „Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein! Stoppt EMS! Raus aus dem Euro!“ hat die NPD am Freitagnachmittag zu einer Kundgebung am Potsdamer Platz in Berlin aufgerufen.

Unter den rund 30 Teilnehmern befanden sich auch Mitglieder der NPD-Landtagsfraktionen aus Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Zuerst sprach der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Arne Schimmer, der beklagte, dass Deutschland in den letzten Tagen zwei Niederlagen einstecken musste: beim Fußball und beim EU-Gipfel. Jetzt müsse Deutschland auch für korrupte griechische Reeder zahlen, so Schirmer, der den EMS einen neuen Versailler Vertrag nannte.

Während Schimmer den Part des Parteiintellektuellen mimte, der sogar Hannah Arendt zitierte, sorgte der NPD-Fraktionschef in Mecklenburg-Vorpommern Udo Pastörs für populistische Töne. Der EMS sei die Fortsetzung des Krieges gegen das deutsche Volk mit den Mitteln der Währung. Dagegen habe das deutsche Volk ein Widerstandsrecht. Pastörs beendete seine Rede mit dem Ausruf „Deutsches Volk steh’ auf!“

Nach den auch vom eigenen Anhang nur verhalten beklatschten Beiträgen war die Kundgebung beendet. Zunächst hatte die NPD eine Demonstration gegen den EMS geplant, scheint davon wegen mäßigen Interesses in den eigenen Reihen aber wieder abgekommen zu sein. Am Rande der Kundgebung gab es gelegentlich verbale Auseinandersetzungen zwischen NPD-Ordnern und Nazigegnern, die gegen den rechten Aufmarsch protestierten.

Erst am 7. Juni hatte sich die NPD an einer von verschiedenen rechtspopulistischen Initiativen organisierten Anti-ESM-Kundgebung vor dem Berliner Reichstagsgebäude beteiligt.
http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/
krieg-gegen-das-deutsche-volk

Peter Nowak