Das Bündnis Sahra Wagenknecht wollte mit Sozialpolitik punkten. Bald könnte es mit der CDU koalieren. Muss das sein, um die AfD zu stoppen? Ein Kommentar.
Ein innerparteilicher Diskurs kann so auch nicht gefördert werden, dann dazu gehören nun mal Diskussionen und Auseinandersetzungen. Es wäre doch interessant, wenn jemand versuchen würde, im BSW eine kommunistische Plattform zu gründen – wie es die Namensgeberin vor vielen Jahren in der PDS und späteren Linkspartei tat. Wäre das ein Grund, ihn gar nicht erst aufzunehmen oder wieder auszuschließen?
Nach der Europawahl und den Kommunalwahlen in Sachsen und Sachsen-Anhalt gilt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) neben der AfD als Gewinner. Die Erfolgsserie könnte weitergehen. Umfragen sehen das BSW bei der Landtagswahl in Thüringen als …
Die von Wagenknecht und Lafontaine unterstützte Initiative hat mit vielen ihrer Kritiker eines gemeinsam, sie ist zutiefst reformerisch und erfüllt nicht einmal da die linken Mindeststandards
Der FAZ-Kommentator Jasper von Altenbockum steht nun wahrlich nicht in Verdacht, der Linkspartei im Allgemeinen und Sahra Wagenknecht und ihrem Team[1] besonders nah verbunden zu sein. So qualifiziert er die von ihr lancierte Initiative „Aufstehen“ in einem Kommentar[2] auch als „einen Angriff auf den Liberalismus“.
Fortsetzung des Schulz-Hypes?
Doch gerade, weil er der Initiative so fernsteht, kommt er zu erstaunlichen Schlussfolgerungen über die Initiative:
Nur vorsichtig erinnert Andrea Nahles ihre Partei daran – aber schon Abgrenzungen gegenüber den Grünen oder der Satz „Wir können nicht alle aufnehmen“ verursachen Erdbeben in einer Partei, die mittlerweile von vier Seiten angegriffen wird: von der Merkel-CDU, von der AfD, von der Linkspartei und von den Grünen, die am wenigsten Grund haben, sich zu ändern.
Die einzigen Verbündeten, die Nahles hat, dürften die Gewerkschaften sein, denen es bitter aufstoßen muss, dass unter ihren Mitgliedern das AfD-Parteibuch überrepräsentiert ist. Auch deshalb versprechen sich Lafontaine und Wagenknecht von ihrer „Bewegung“ so großen Erfolg – sie wirkt wie die Fortsetzung der „Montagsdemonstrationen“ gegen die Agenda 2010, nur dieses Mal mit einem neuen Thema und anderen Mitteln.
So lange ist es aber noch gar nicht her, dass Deutschland von einer Bewegung erfasst wurde, die großen Erfolg versprach. Sie kam sogar aus der SPD – der Schulz-Zug. Er blieb aber auf halber Strecke stehen. Aus Angst vor der AfD? Wie auch immer: „Aufstehen“ könnte für die SPD bedeuten, dass er endgültig abgefahren ist.
Jasper von Altenbockum, FAZ
Nun ist der Verweis auf den „Schulz-Zug, der nie abgefahren ist“, sicher überflüssig. Doch Altenbockum hat erkannt, dass sich die Initiative „Aufstehen“ genau an das politische Milieu richtet, das sich von der SPD seit der Agenda 2010 nicht mehr vertreten fühlt, für welches die Linkspartei aber aus unterschiedlichen Gründen keine Wahlalternative ist.
Mit seinem Verweis auf die Montagsdemonstrationen im Vorfeld der Einführung der Agenda 2010 ist der FAZ-Kommentator auf der richtigen Spur.
Vorbild für „Aufstehen“ sind die Komitees für Gerechtigkeit
Er hätte sogar noch ein Jahrzehnt weiter zurückgehen können. Anfang der 1990er Jahre initiierte die damalige PDS die Komitees für Gerechtigkeit[3] und wollte so vor allem in der ehemaligen DDR ihre Bündnisfähigkeit verbreitern, was ihr in begrenztem Umfang gelungen ist[4].
Im Grunde ist die „Aufstehen“-Initiative die Fortsetzung dieser Komitees für Gerechtigkeit, nur geht es im Jahr 2018 nicht mehr nur um die ehemalige DDR. Die ist zu einem Pilotprojekt für die Prekarisierung und Deregulierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse geworden. Dagegen will die Initiative „Aufstehen“ aktiv werden.
Die Kritikpunkte, die bereits Anfang der 1990er Jahre gegen die Komitees für Gerechtigkeit laut wurden, gelten auch für „Aufstehen“. Der alte sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat wird zurückgewünscht, was schon aus ökonomischen Gründen reaktiv ist. Es ist letztlich eine neue reformistische Illusion.
Nun hat Sahra Wagenknecht in den letzten Jahren den Weg von Karl Marx zu Ludwig Erhardt zurückgelegt und damit klargestellt, dass sie im reformistischen Politikzirkus mitspielen will. Die Initiative „Aufstehen“ gehört dazu. Nur ist ein Großteil ihrer Kritiker im Umfeld der Linkspartei[5] immer schon im reformistischen Spektrum verankert gewesen und hat vor einigen Jahren noch Wagenknecht als „linkssektiererisch“ bezeichnet. Befürchtet wird, sie könnte die SPD von einem Bündnis mit der Linken abschrecken.
Dabei war zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass Wagenknecht nur mit anderen Mitteln das gleiche Reformziel anstrebt. Es ist also eine Auseinandersetzung unter Reformisten, die der Öffentlichkeit seit einigen Wochen geboten wird. Reformpolitiker der Partei, die Wagenknecht schon stoppen wollten, als sie noch als Kommunistin galt, schelten sie plötzlich als populistisch, gar als AfD-nah.
Das ist natürlich eine durchsichtige Masche, welche die Grünen seit Langem praktizieren. Die hatten schon lange erkannt, dass man in der Realpolitik Rechte von Flüchtlingen und Migranten einschränken kann, aber immer das richtige emphatische Wort für die „Schutzsuchenden“ finden muss. Dann ist man ganz nah an dem Flügel des Kapitals, der weiß, dass Zuwanderung für den Wirtschaftsstandort Deutschland schon mittelfristig überlebenswichtig ist.
Wagenknecht und Co. praktizieren diese Art von Standortpflege nicht. Auch für die Sorgen der Frauen aus dem Mittelstand, die im Wesentlichen die Trägerinnen der Meetoo-Kamapagne sind, scheinen sie nicht viel übrig zu haben, was der Publizist Lukas Hermsmeier in der taz kritisiert[6]. Doch sein Rat, „Aufstehen“ solle sich an linkeren Strömungen innerhalb der US-Demokraten ein Beispiel nehmen, übersieht gleich mehreres.
Vergleiche mit Bewegungen anderer Länder
Da werden Kandidatinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez[7] zu linken Hoffnungsträgerin, obwohl sie sich politisch im Mittelfeld der SPD befinden. Da wird die Akademikerin Alexandria Ocasio-Cortez gar zur Gastronomin, weil sie dort das Geld für ihr Studium verdiente.
Gravierender aber ist, dass bei dem Vergleich die Unterschiede zwischen den USA und Deutschland auf der innenpolitischen Ebene schlicht ausgeblendet werden. In den USA hat sich der nichtweiße Teil der Bevölkerung zu organisieren begonnen, was durch die rechte Politik der Trump-Regierung noch befördert wurde.
Doch auch andere von Befürwortern und Gegnern der Aufstehen-Initiative herangezogene Vergleiche mit Bewegungen anderer Länder hinken genauso. Da wird oft auf die Bewegung „Unbeugsames Frankreich“[8] rekurriert. Trotz einiger Gemeinsamkeiten – der Gründer kommt wie Lafontaine aus der Sozialdemokratie -, überwiegen doch die Unterschiede. Es ist eben ein französisches Phänomen.
Dort gab es schon mehrere Bewegungen, die wie die Unbeugsamen die Republik neu begründen wollten. Mag sich der frankreichfreundliche Lafontaine auch geschmeichelt sehen, mit dieser Bewegung verglichen zu werden, so ist es doch wesentlich sinnvoller, die „Aufstehen“-Initiative mit den Komitees für Gerechtigkeit und den Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010 in Beziehung zu setzen. So werden auch ihre Grenzen klarer benannt.
Linke Mindeststandards werden nicht eingehalten
Auch wenn man die AfD-Vergleiche der „Aufstehen“-Kritiker zurückweisen muss, ist es sehr berechtigt, darauf hinzuweisen, dass dieses Projekt auch in seiner nationalen Beschränktheit in der Tradition von Komitees für Gerechtigkeit und Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010 steht.
Der Publizist Johannes Simon hat in der Printausgabe der Wochenzeitung „Freitag“ sehr prägnant den Vorwurf zurückgewiesen, der SPD liefen die Wähler davon, weil sie zu kosmopolitisch sei, und erinnerte daran, dass die Agenda 2010 der Förderung des Wirtschaftsstandortes Deutschlands dienen sollte und so beworben wurde.
Für die bessergestellten Milieus, die in der SPD und den liberalen Medien den Ton angeben, ist der Vorwurf an sich selbst natürlich viel angenehmer, sich zu sehr um Minderheitenrechte gekümmert zu haben, anstatt einzugestehen, dass man ohne mit der Wimper zu zucken das brutale Hartz IV-System, Leiharbeit, wachsende Kinderarmut und dergleichen unterstützt hat, nur weil man Angst um den Standort Deutschland und den eigenen Wohlstand hatte.
Johannes Simon, Freitag
Am Ende seines Beitrags formuliert Johannes Simon die Minimalstandards jeder aktuellen linken Bewegung:
Anstatt vage kulturelle Ressentiments zu bestärken, sollte die Linke vielmehr die systematische Logik des Kapitalismus aufzeigen. Das Problem ist die Macht des Kapitals und die Machtlosigkeit der arbeitenden Bevölkerung. Ob diese Arbeiterinnen jetzt blaue Haare haben oder am Wochenende auf Crystal Meth polysexuelle Techno-Orgien feiern oder sich im Biergarten Weißwurst und Blasmusik gönnen, ist dabei erst einmal völlig irrelevant.
Johannes Simon, Freitag
Solche Sätze liest man weder bei den Unterstützern der „Aufstehen“-Initiative noch bei den meisten ihrer Kritiker.
Während ein FAZ-Kommentator erste Lockerungsübungen Richtung AFD macht, wollen die Europäischen Konservativen deren Abgeordnete loswerden
Die AfD-Erfolge bei den hessischen Kommunalwahlen sorgen schon bei manchen Konservativen für Vorfreude. Schließlich könnte da der Union ein Bündnispartner von rechts erwachsen. Mit „Am Ende des Regenbogens“ war ein Kommentar [1] in der FAZ überschrieben, die in der letzten Zeit wegen ihrer kritischen Berichterstattung zur AfD und Pegida in rechten Kreisen schon als Antifazeitung tituliert wurde. Nun versuchte der FAZ-Kommentator alles, um diesen Eindruck zu zerstreuen. Der Kommentar zeigt schon einmal auf, wie sich das politische Feld verändern könnte, wenn sich die AFD dauerhaft etablieren sollte.
„Der Kampagnenfähigkeit der Linken hatten Konservative nichts entgegenzusetzen. Die Liste der Themen, die davon betroffen waren, wurde gezwungenermaßen lang und länger: Europa, Energie, Verteidigung und so gut wie jedes Feld der Gesellschaftspolitik – von Abtreibung über Familie, Erziehung, Bildung, Genderpolitik und Homo-Ehe.“
Doch das könnte sich ändern und der Kommentator kann seine Zufriedenheit kaum verbergen:
„Doch der Platz zwischen Mitte und rechtsradikal ist nie und nirgends einfach verschwunden. Er war nur leer, von Thema zu Thema sogar gähnend leer, so leer, dass selbst die liberalen Parteigründer der AfD zu Rechtsradikalen gestempelt wurden. Nun kommt aber seit Jahren als Großthema die Einwanderung noch hinzu. Weil es dabei ums Ganze geht, um ‚Deutschland‘ und um ‚Leitkultur‘, spiegeln sich darin alle anderen Themen wider. Rechtspopulisten füllen in dieser Spiegelung die Leere eines gestörten Gleichgewichts.“
Dazu gibt es auch gleich einen Fingerzeig über die Grenzen der Politikfähigkeit der AfD:
„Das kann man füglich und ausgiebig bedauern, ist aber nicht damit zu bekämpfen, dass die Petrys, Meuthens und Storchs mit den ollen Kamellen bundesrepublikanischer oder realsozialistischer Tradition beworfen werden, nur weil sie auf die Höckes passen: rechtsradikal, rassistisch, völkisch, extremistisch.“
Höcke mit seinem rechten Populismus ist dann doch zu pöbelhaft und plebejisch. So hatten bereits adelige Reaktionäre in der Weimarer Republik über Hitler und seine NSDAP geurteilt, bis sie sich dann doch auf die erfolgreichste Variante der völkischen Bewegung geeinigt hatten. Ob es der adelige Name ist, weshalb Jasper von Altenbockum die AfD-Politikerin Beatrix von Storch zum Kreis der Politikfähigen innerhalb der Partei zählt? Obwohl sie noch vor kurzen erst nach massiven Protesten erklärt hatte, dass es ein falscher Mouse-Klick war, der sie erklären ließ, dass im Notfall auch auf migrantische Frauen und Kinder geschossen werden kann.
Rechte Parlamentsgruppe will AFD-Abgeordnete loswerden
Die nach rechts weit offene Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR oder ECR [2]) im Europaparlament kann wohl kaum beschuldigt werden, mit „ollen Kamellen bundesrepublikanischer oder realsozialistischer Tradition“ zu werfen. Doch die Gruppe hat von Storch und ihren AfD-Kollegen Marcus Pretzell aufgefordert, die Fraktion in den nächsten Wochen zu verlassen und mit Ausschluss gedroht.
Als Begründung wurde genannt, dass beide Abgeordnete den Schusswaffengebrauch gegen Migranten verteidigt haben. Beide Abgeordnete lehnen einen freiwilligen Austritt ab und sehen den Beschluss sogar als Erfolg, weil sich für einen Antrag nach einen sofortigen Ausschluss keine Mehrheit gefunden [3] habe. Von Storch sieht die Ausschlussforderung als Ergebnis des Drucks von Merkel auf die EKP-Fraktion. Dabei sind die Unionsparteien dort gar nicht vertreten. Tatsächlich dürfte die Ausschlussforderung mehr mit den innerparteilichen Verwerfungen in der AFD selbst zu tun haben.
Zwischen Willkommenskultur und Schießbefehl
Die Entscheidung für eine Beteiligung an der EKP-Fraktion erfolgte noch während der Ära Lucke-Henkel in der AFD. Henkel ist jetzt für seine Neugründung ALFA weiterhin in der Fraktion. Da zwischen ihm und der heutigen AFD eine regelrechte Feindschaft entstanden ist, dürfte eine gemeinsame Kooperation in der EKP nicht einfach sein.
Der rechte Flügel wollte, statt in eine Fraktion mit den britischen Konservativen, lieber mit der Partei der britischen EU-Gegner zusammengehen. Damit dürften die beiden AfD-Parlamentarier auch heute keine Probleme haben Aber schon aus Prinzip werden sie sich gegen Austrittsforderungen wehren. Der Streit dürfte noch zunehmen, wenn Henkel auch in den Medien wieder mehr gefragt wird.
Kürzlich wurde er vom Deutschlandfunk als Interviewpartner eingeladen [4]. Er positionierte sich zwischen Merkels Willkommenskultur und dem Schießbefehl führender AfD-Exponenten. Wenn Henkel gegen eine angebliche Sozialdemokratisierung der CDU und einen Linksruck in der Gesellschaft redet, unterscheidet er sich gar nicht so sehr von der AfD. Er gehört aber endgültig zu den Kräften, mit denen manche Konservative gerne kooperieren würden.