ARBEITSRECHT In Dresden hat eine alternative Gastronomin Angestellten gekündigt. Seither wird das „Trotzdem“ bestreikt. Die MitarbeiterInnen sind gewerkschaftlich organisiert
BERLIN taz | „Ich will weiter ins ,Trotzdem‘ gehen – aber nicht so“. Dieser Spruch wird BesucherInnen der Szenekneipe „Trotzdem“ in Dresden-Neustadt seit einigen Tagen entgegengehalten. Manche drehen sich weg, andere ignorieren ihn oder diskutieren mit den Menschen, die sich seit dem 1. Februar jeden Abend ab zwanzig Uhr vor der Kneipe in der Dresdner Alaunstraße versammeln.
Bei den Protestierenden handelt es sich um drei der vier KellnerInnen der Kneipe sowie um deren UnterstützerInnen. Nachdem sie von der Kneipeninhaberin Johanna Kalex gekündigt wurden, sind sie am 1. Februar in den Streik getreten. Verhandlungsangebote über die Rücknahme der Kündigung waren von der Betreiberin unbeantwortet geblieben.
Die KellnerInnen seien fristgemäß gekündigt worden, begründet Johanna Kalex den Rausschmiss, „weil es in der Kneipe seit über einem halben Jahr – aktenkundig – zu fortgesetzten Diebstählen in einem Umfang kam, der für uns wirtschaftlich nicht länger tragbar war“. Man habe versucht, den oder die Täter zu ermitteln. „Wären diese Bemühungen erfolgreich gewesen, hätten wir sehr gern mit den anderen weitergearbeitet“, erklärt sie.
Die Gekündigten sehen darin eine gezielte Verleumdung und behalten sich juristische Schritte vor. Sie sehen die Kündigung im Zusammenhang mit ihrem gewerkschaftlichen Engagement. Die drei Gekündigten hatten sich in der Basisgewerkschaft Freie ArbeiterInnen Union (FAU) organisiert, die vor allem in solchen kleinen Betrieben für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen kämpft, die von den DGB-Gewerkschaften ignoriert werden. Dabei hatte ihre FAU-Betriebsgruppe im letzten Jahr Erfolge erzielt. „Wir haben am 1. April 2013 eine Lohnerhöhung von 20 Prozent durchgesetzt“, erklärt Wolf Meier von der Betriebsgruppe der Branchensektion für Nahrung und Gastronomie gegenüber der taz.
Die Beschäftigten hatten den Vorschlag gemacht, die Getränkepreise zu erhöhen und die Gäste darüber zu informieren, dass mit dem Geld die Löhne der KellnerInnen aufgestockt werden. Nachdem die Betriebsgruppe einen Lohnspiegel auf ihre Homepage gestellt hatte, in dem aufgelistet ist, wie niedrig die Löhne von KellnerInnen in Dresdner Szenekneipen sind, sorgte die Arbeit der kleinen Gewerkschaft zunehmend für Aufmerksamkeit. „Die Unterstützung bei dem Streik ist groß: Jeden Abend unterstützten uns AktivistInnen aus linken Gruppen beim Streikposten“, sagt der Gewerkschaftsmann. Zudem habe ein Arbeitskampf mitten im Dresdner Szeneviertel dafür gesorgt, dass die Arbeitsbedingungen auch in linken Kreisen wieder verstärkt diskutiert werden, zeigt sich Meier zufrieden.
Einen langen Atem werden die Streikenden brauchen. Denn auch Johanna Kalex bekommt Unterstützung. Schließlich ist sie als DDR-Oppositionelle und langjährige Friedensaktivistin über Dresden hinaus bekannt. Anfang der 90er Jahre war sie von Neonazis überfallen worden und ging danach für mehrere Jahre ins Ausland, bevor sie im Jahr 2000 die Kneipe eröffnete.
Was ist Demokratie?Die 2011 gegründete linke Berliner Gruppe andere zustände ermöglichen (aze) hat unter dem Titel „Das verflixte Wort mit D“ eine 42-seitige Broschüre mit vier Beiträgen zur Demokratiedebatte in der außerparlamentarischen Linken vorgelegt. Den Einstieg macht aze mit ihrem Plädoyer, an den Demokratiebegriff festzuhalten, weil damit „die Grundlosigkeit von Herrschaft als auch die Gleichheit der Menschen“ begründet werden kann. Hanno von der Interventionistischen Linken (IL) bezieht sich praktisch auf Demokratievorstellungen in aktuellen linken Bewegungen und theoretisch auf die Bücher von Antonio Negri. Die Politlogin Detlef Georgia Schulze untersucht rätekommunistische Demokratievorstellungen. Die Broschüre schließt mit einer Demokratiedebatte der antinationalen Gruppe nevergoinghome. Die ansprechbar gestaltete Broschüre liefert einen guten Einschlag in eine linke Demokratiedebatte und kann kostenfrei bestellt werden unter aze@riseup.net
Peter Nowak* über Federicis Versuch zur Aktualität der Hexenverfolgung
Die US-Professorin Silvia Federici, in den 1970ern Mitgründerin des International Feminist Collective und eine der InitiatorInnen der Forderung nach einem „Lohn für Hausarbeit“, wurde in Deutschland durch das 2012 erschienene Buch „Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution“ (Edition Assemblage) bekannter. Dort sind mehrere Aufsätze dokumentiert, in denen die kapitalistische Krise von einem feministischen Standpunkt analysiert, dem Zusammenhang von Reproduktions- und Produktionsarbeit nachgeht und Überlegungen zu einer feministischen Ökonomie der Gemeingüter (Commons) anstellt. Fast zeitgleich mit diesem Sammelband hat der Wiener Mandelbaum-Verlag in seiner Reihe „Kritik & Utopie“ einen ursprünglich bereits 2004 erschienenen geschichtswissenschaftlichen Grundlagentext von Federici übersetzt und einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, der als Ergänzung zu den o.g. genannten klassischen Themen der feministischen „Hausarbeitsdebatte“ gelesen werden kann.
„Caliban und die Hexe“ zeichnet die Entrechtung der Frauen am Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus nach und verbindet diese Entwicklung mit der zeitgleichen Trennung der Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land. Übersetzt wurde das Buch von Max Henninger, der auch „Aufstand aus der Küche“ ins Deutsche übertragen hat. Als koordinierender Redakteur der Webseite Sozial.Geschichte.Online ist er auch Experte für soziale Bewegungen und damit als Übersetzer von Federicis Texten insofern besonders geeignet, als Federici mehrfach betont, dass sie mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten aktuellen sozialen Kämpfen ein theoretisches Fundament liefern will.
Die Autorin nennt in der Einleitung zwei Motive, dieses Buch zu schreiben: „Erstens ist es der Wunsch, die Entwicklung des Kapitalismus aus feministischer Perspektive neu zu reflektieren, allerdings unter Vermeidung der Beschränkungen einer Frauengeschichte, die sich von der Geschichte des männlichen Teils der Arbeiterklasse absetzt“ (S. 12). Als zweite Motivation benennt sie „die weltweite, mit der globalen Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse einhergehende Wiederkehr einer Reihe von Erscheinungen, die gemeinhin mit der Genese des Kapitalismus in Verbindung gebracht werden“ (S.12). Denn die blutige Hexenverfolgung gehöre nicht der Vergangenheit an, wie Federici u.a. mit Verweis darauf, dass in Afrika und Asien Hexenverfolgungen zunehmen, zeigen möchte. Sie sieht dabei einen Zusammenhang mit den von Weltbank und IWF forcierten Angriffen auf die Subsistenzwirtschaften auf diesen Kontinenten.
Schon im Titel wird auf William Shakespeares Theaterstück „Der Sturm“ Bezug genommen, das genau in der Übergangszeit vom Feudalismus zum Kapitalismus geschrieben wurde. Federici liefert eine besondere Lesart dieses Textes, zu dessen Schlüsselfiguren Caliban, der Sklave des Zauberers Prospero, gehört: „In meiner Interpretation steht Caliban jedoch nicht für den antikolonialen Rebellen, dessen Kampf in der zeitgenössischen karibischen Literatur nachhallt, sondern er ist Symbol des Weltproletariats, genauer: des proletarischen Körpers als Terrain und Mittel des Widerstands gegen die Logik des Kapitalismus“ (S. 12).
Kapitalismus als Konterrevolution
Wie Federici bedient sich auch das Autorenduo Rediker/Linebaugh operaistischer Parameter bei ihrer Betrachtung der Geschichte. Im Gegensatz zum traditionellen Marxismus lehnen alle drei eine historische Zwangsläufigkeit ab, die vom Feudalismus über den Kapitalismus zum Sozialismus führen soll, und sprechen im Gegensatz zu Marx dem Kapitalismus in keiner Phase emanzipatorische Potentiale zu. „Der Kapitalismus war eine Konterrevolution, die die aus den antifeudalen Kämpfen hervorgegangenen Möglichkeiten zerstörte“ (S. 26), schreibt Federici. Sie bezieht sich dabei auf die europaweiten Kämpfe von Bauern, Landarbeitern und städtischen Armen, die im 15. und 16. Jahrhundert in Europa wirkungsmächtig waren. Für das Territorium des heutigen Deutschlands zählen dazu etwa die Bauernkriege und ihre Nachfolgeaufstände, die bis zu der kurzen Herrschaft der Wiedertäufer in Münster reichen. Federici weist mit Recht auf die europaweite Dimension dieser Kämpfe hin und zeigt auch, dass sich bekannte Intellektuelle und Künstler ihrer Zeit mit den Aufständischen solidarisieren. Wenn sie in diesen Bewegungen, wie auch in den Ketzerbewegungen des europäischen Mittelalters, unbedingt emanzipative Momente entdecken will, wirkt das allerdings manchmal etwas bemüht. Allzu wohlwollende Lesarten versieht sie oft selbst mit Fragezeichen. Schließlich ist die Quellenlage schlecht, und oft sind Berichte über diese Bewegungen nur von ihren Verfolgern überliefert.
Hexenverfolgung als Teil des Kampfes gegen die ArbeiterInnenbewegung
Das bezieht sich auch auf die Hexenverfolgung, die in den letzten beiden Kapiteln ausführlich dargestellt wird. Dabei kritisiert sie die Gleichgültigkeit und Ignoranz dieser „großen Hexenjagd“ (S.201) gegenüber auch bei marxistischen Historikern und bei Marx selbst: „Marxens Analyse der ursprünglichen Akkumulation erwähnt auch die ‚Große Hexenjagd‘ des 16. und 17. Jahrhunderts nicht, obgleich diese staatlich geförderte Terrorkampagne für die Niederlage der Bauern von zentraler Bedeutung war, da sie die Vertreibung der Bauern von den vormals gemeinschaftlich genutzten Ländereien erleichterte“ (S. 78).
Die Autorin begründet die These hauptsächlich damit, dass die Frauen zu den Hauptträgerinnen des Widerstandes gegen die Einhegungen gehörten. Mit der Hexenverfolgung sei dieser Widerstand wesentlich geschwächt worden.
Für Federici gehören die Hexenverfolgungen zur Geschichte der Verfolgung der Arbeiterbewegung, denn es seien schließlich in der Regel Frauen aus der Unterklasse, die als Hexen verfolgt worden seien. „Die Hexenverfolgungen vertieften die Spaltung zwischen Männern und Frauen. Sie lehrten Männer, die Macht der Frauen zu fürchten, und sie zerstörten ein ganzes Universum von Praktiken, Glaubensvorstellungen und sozialen Subjekten, deren Existenz mit der kapitalistischen Arbeitsdisziplin unvereinbar war“ (S. 203). An anderer Stelle schreibt die Autorin: „Die Hexenverfolgungen dienten auch dem Aufbau einer patriarchalen Ordnung, unter der die Körper der Frauen, ihre Arbeit und ihre reproduktiven Vermögen unter staatliche Kontrolle gestellt und in ökonomische Ressourcen verwandelt wurden“ (S. 209 f). Hier beschreibt Federici über Folgen der Hexenverfolgung. Bei ihr wird darauf aber eine Intention, als ob es gesellschaftliche Kräfte gegeben habe, die die Hexenverfolgung zielbewusst eingesetzt hätten, um den Widerstand gegen den Kapitalismus zu schwächen. Den Beweis dafür bleibt Federici aber schuldig. Gut heraus gearbeitet hat sie allerdings, wie widerständige Frauen auch dann noch zu Hexen erklärt wurden, als sie nicht mehr am Scheiterhaufen endeten.
Das Feindbild Hexe habe sich auch nach dem Ende der großen Verfolgungen gehalten. Federici verweist hier auf die hetzerische Darstellung von politisch aktiven Frauen in der Pariser Commune, die an das Bild der Hexe erinnern. „1871 griff das Pariser Bürgertum instinktiv darauf zurück, um die weiblichen Kommunardinnen zu dämonisieren und ihnen vorzuwerfen, sie wollten Paris in Brand stecken“ (S. 251). Man könnte dieses Beispiel durch die Darstellung politisch aktiver Frauen in der bayerischen Räterepublik ergänzen, auf die der Autor Klaus Theweleit in dem Buch „Männerphantasien“ hingewiesen hat.
Angriff auf die Subsistenz
Federici beschäftigt sich in einem Kapitel ausführlich mit der Politik der Einhegung und Einzäunung von Äckern und Weideland. Diese gewaltsame Trennung der Menschen vom Land, wo sie Nahrung anbauen und eine Subsistenzwirtschaft betreiben konnten, war bekanntlich eine Voraussetzung dafür, die Menschen in den Stand der „doppelt freien Lohnarbeit“ (Marx) zu setzen, die in den Manufakturen und Fabriken verrichtet werden musste. Marx fasste diesen Prozess der Trennung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln in den Begriff der ursprünglichen Akkumulation. Doch für Federici geht Marx hier nicht weit genug. “Marx analysierte die ursprüngliche Akkumulation allerdings fast ausschließlich vom Standpunkt des Industrieproletariats aus“ (S. 77). Dagegen würde er die Veränderungen in der Reproduktion der Arbeitskraft und der Stellung der Frau kaum erwähnen. Hier setzt Federici an, wenn sie betont, dass die ursprüngliche Akkumulation „nicht allein in der Konzentration von Kapital und für die Ausbeutung verfügbarer verfügbaren Arbeitern“ (S. 78) bestehe. Für sie gehört die „Akkumulation von Unterschieden und Spaltungen zwischen der Arbeiterklasse“ (S. 78) dazu. Sie benennt hierbei Hierarchisierungen, die auf Geschlecht, Rasse und Alter beruhen. Die Autorin unterstellt, dass (nur) ein heteronormatives Geschlechterverhältnis und eine entsprechend heterosexuelle familiäre Arbeitsteilung funktional für die Aufrechterhaltung kapitalistischer Produktion seien. Zudem wirft sie vielen Marxisten vor, „die kapitalistische Akkumulation mit der Befreiung des Arbeiters oder Einfügung ist richtig [der] Arbeiterin gleichzusetzen“ (S.78) und betont dagegen, dass der Kapitalismus „brutalere und listigere Formen der Versklavung“ (S. 78) habe. Hier sind kritische Nachfragen angebracht. Wo haben welche Marxisten dem Kapitalismus pauschal das Verdienst der Befreiung der Arbeiter zugerechnet? Bei Marx selbst ist der doppelt freie Arbeiter ausdrücklich kein befreites Subjekt. Es geht bei Marx immer um eine Unterscheidung der Hinsichten: Freiheit von was und Freiheit zu was? Wenn Federici zudem vom Kapitalismus als einer besonderen Form der Versklavung spricht, geht der spezifische Unterschied zwischen einer Sklavenhaltergesellschaft, in der gerade keine Lohnarbeit in großem Maße vorhanden ist, und der kapitalistischen Ausbeutung verloren. Das sind nur zwei von vielen inhaltlichen Fragen, die sich nach der Lektüre von Federicis Versuch über die Entstehung des Kapitalismus stellen. Was bleibt, ist ein brillant geschriebenes, anregendes, mit vielen zeitgenössischen Motiven Bildern, Flugschriften und Karikaturen versehenes Buch, das zur kritischen Debatte anregt, auch und gerade, wenn man ihre Argumente nicht teilt .
http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak
Silvia Federici: „Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“, übersetzt von Max Henninger, herausgegeben von Martin Birkner, 315 Seiten, Mandelbaum Verlag, Wien 2012, 24,90 Euro, ISBN 978-3-85476-615-5
Wenn ein Bischof zum Wäschewechsel in seinen Hauptwohnsitz erscheint, ist es für den öffentlich-rechtlichen Sender ein Nachrichtenblock von mehr als 15 Minuten wert
Nachrichten aus Deutschland und der Welt sollen zwischen 12 Uhr und 13.30 Uhr im Deutschlandfunk unter der Rubrik Informationen am Mittag täglich gesendet werden. Am 3. Februar werden manche Hörer kurz nach 12 Uhr ihren Ohren nicht getraut haben, als mehr als 15 Minuten über das wahrlich weltbewegende Thema berichtet wurde, dass der Limburger Bischof Tebartz von Elst, der vom Papst für einige Monate ins Kloster geschickt worden war, in seinen herrschaftlichen Bischofssitz zum Wäschewechseln gesehen worden sei. Selbst einen Gottesdienst soll er auf dem Bischofssitz beigewohnt haben.
Diese Nachricht, die wohl viele Rundfunkhörer nicht mal unter der Rubrik Klatsch und Tratsch beachten würden, war für die Sendeleitung des Deutschlandfunks so wichtig, dass nach einer ausführlichen Darstellung des Streits im Bistum Limburg noch ein Kirchenexperte des Senders und ein Sprecher der Initiative „Kirche von unten“ mit einem Interview zu Wort kamen. Der wurde seinem bischofskritischen Ruf wenig gerecht, sondern sprach sich für eine zweite Chance für den Limburger Bischof aus.
Die Katholiken können unter sich ausmachen, wie sie mit ihrem Bischof umgehen und ob sie auch etwas mehr Mitbestimmung in ihre Organisation bringen wollen. Warum muss darüber aber in einem öffentlich-rechtlichen Medium wie dem Deutschlandfunk mehr als 15 Minuten berichtet werden? Was hat die Meldung über den Wäschewechsel des Bischofs in seinem Hauptwohnsitz in einer Sendung verloren, die die Hörer über die Neuigkeiten in Deutschland und der Welt informieren soll? Versteht der Deutschlandfunk so einen Auftrag zur politischen Informationen, mit denen die öffentlich-rechtlichen Sender schließlich ihre Finanzierung über den Rundfunkbeitrag rechtfertigen?
Nun könnte man einwenden, dass auch religiöse Menschen zu den Rundfunkhörern und Gebührenzahlern gehören. Doch dafür gibt es täglich die Nachrichten aus Kirche und Religion im Deutschlandfunk. Dort hätte eine solche Meldung, wenn man sie denn überhaupt für eine hält, vielleicht ihren Platz gehabt.
Gegen „Homosexualität als europäische Leitkultur“ und „pädophile Umtriebe“
Regelmäßige Deutschlandfunkhörer monieren aber, dass die religiöse Einfärbung von Informations- und Nachrichtensendungen in dem Sender in der letzten Zeit zugenommen haben, was dem Sender dem Spitznamen Radio Vatikan eingebracht hat. So sorgte ein völlig unkritisches Interview mit Tobias Teuscher, dem Europawahlkandidaten der ultrakonservativen Bewegung Lebensschutzbewegung Force Vie ebenfalls in der Sendung Information am Mittag im Deutschlandfunk für große Kritik. Auf rechten Internetforen wurde das Interview begeistert rezipiert. Teuscher warf Kommunisten, Grünen, Sozialdemokraten und Grünen vor, gemeinsam mit den Liberalen Homosexualität als Leitkultur in Europa festschreiben und pädophile Umtriebe fördern zu wollen.
Der Deutschlandfunk-Moderator, der das Interview führte, stellte keine kritischen Fragen, sondern betätigte sich eher als Stichwortgeber. Das verwundert wenig. Denn der Moderator Jürgen Liminski ist Mitglied im katholischen Opus Dei, dem konservativen Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. und dem Aktionsbündnis Familie. Liminski publiziert regelmäßig bei der rechtskonservativen Jungen Freiheit.
Auseinandersetzung im Berliner Einzelhandel: verdi und die Solidaritätsgruppen
Anfang Dezember letzten Jahres ist in mehreren ver.di-Bezirken der Arbeitskampf im Einzelhandel beendet worden (express 12/2013). In Berlin zog sich die Auseinandersetzung noch bis zum 7. Januar hin. Hier wollte ver.di auch die Angleichung der Ost- und Westlöhne erreichen. Die jetzige Einigung sieht vor, dass dies bis Ende März 2015 geschehen soll.
Bei den Aktionen wurde ver.di auch von Berliner AktivistInnen aus dem globalisierungskritischen Blockupy-Bündnis (http://berlin.blockupy-frankfurt.org/) unterstützt. „Ob Ost, ob West – gleicher Lohn jetzt“, lautete denn auch eine der Parolen, die am Nachmittag des 20. Dezember von DemonstrantInnen vor einer H&M-Filiale in Berlin-Mitte skandiert wurden.
Das Bündnis, dem in Berlin Gruppen aus der außerparlamentarischen Linken, gewerkschaftlichen Organisationen, der Studierendengruppe „Die Linke.SDS“ u.a. angehören, hatte die bundesweiten Krisenproteste Anfang Juni 2013 in Frankfurt/Main mit vorbereitet. Schon damals stand der Kampf im Einzelhandel auf der Agenda des Bündnisses: „Mit unserer Aktion in Berlin knüpfen wir an die Aktion auf der Frankfurter Zeil im Mai dieses Jahres an, wo wir mit kreativen Mitteln unseren Widerstand in eine zentrale Einkaufsmeile getragen und mit einer Blockadeaktion den Geschäftsbetrieb gestört haben“, erklärte Anton Kohanov vom Blockupy-Bündnis. Mit der Gründung einer Streik-AG wollte das Bündnis im Anschluss daran verdeutlichen, dass Krisenproteste nicht nur bei einem Großevent, sondern auch im Alltag unterstützt werden müssen. Schon im Spätsommer diskutierte das Bündnis über geplante Solidaritätsaktionen und nahm Kontakte zu den Beschäftigten und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf. Die zuständigen Sekretärinnen und Sekretäre waren über die außergewerkschaftliche Unterstützung erfreut. Allerdings zeigte sich schnell, dass die Vorstellungen von ver.di und dem Blockupy-Bündnis im Detail durchaus verschieden waren.
Blitz-Aktion unter Kontrolle von ver.di
Die ver.di-Verantwortlichen hatten mehrere sogenannte Blitz-Aktionen geplant (siehe express 12/2013). Im Rahmen dieser Aktion wurden von Beschäftigten, GewerkschafterInnen und UnterstützerInnen ausgewählte Einzelhandelsfilialen besucht, um die Belegschaften über den Stand des Arbeitskampfes zu informieren. Ziel der Aktion sollte es sein, Beschäftigte zum Eintritt in die Gewerkschaft zu motivieren. Nur dann würden sie bei der Teilnahme an einem Ausstand auch von ver.di mit Streikgeld unterstützt, lautete die Argumentation. Ein Teil des Blockupy-Bündnisses beteiligte sich aktiv an diesen Blitz-Aktionen, ein anderer Teil vor allem aus der außerparlamentarischen Linken übte daran Kritik. Diese entzündete sich vor allem daran, dass die Blitz-Aktion vollständig in der Regie von ver.di lief und die beteiligten Gruppen und Einzelpersonen nur als ausführende UnterstützerInnen agieren konnten.
Konzept kritischer Kunden
Zudem wollten viele AktivistInnen des Blockupy-Bündnisses nicht ausschließlich als Werbetrupp für ver.di auftreten. Dabei gab es keine grundsätzliche Kritik an der Mitgliederwerbung, wenn sie von ver.di-Mitgliedern kommt. Doch es wurde die Frage gestellt, warum Menschen, die selbst gar nicht bei ver.di organisiert sind, jetzt Beschäftigte für eine Mitgliedschaft werben sollten. Die KritikerInnen des Blitz-Konzeptes verwiesen auf die Solidaritätsaktionen außerparlamentarischer Linker in Berlin beim Arbeitskampf im Einzelhandel im Jahr 2008. Damals agierten unterstützende Gruppen als kritische Kundinnen und Kunden, denen die Arbeitsbedingungen und Löhne der Beschäftigten nicht egal sind. 2008 war das Konzept der kritischen KundInnen auch von ver.di unterstützt worden. Es gab ein gemeinsames Auftreten im Rahmen des Berliner Euromayday, an dem sich Beschäftigte aus dem Einzelhandel beteiligten. Danach gab es einen gemeinsamen Workshop, wo Beschäftigte, BetriebsrätInnen, GewerkschafterInnen wie die noch amtierende ver.di-Fachbereitsleiterin Erika Ritter und solidarische Linke gemeinsam ein Konzept erarbeiteten, wie der Arbeitskampf im Einzelhandel mit solidarischen Aktionen unterstützt werden könnte. Höhepunkt war die Aktion „Dichtmachen“, bei der im Juni 2008 in Berlin eine Reichelt-Filiale von kritischen KundInnen belagert wurde. Die Beschäftigten beteiligten sich nicht direkt daran, standen jedoch dabei und machten deutlich, wie sehr sie die Aktion unterstützten. Während der Kundgebung des Blockupy-Bündnisses am 20. Dezember 2013 hingegen waren weder die Beschäftigten noch die GewerkschafterInnen zu sehen. Obwohl die Aktion im Vorfeld mit ver.di abgesprochen war und sogar auf Wunsch der Organisation einmal verschoben wurde, hatte die Gewerkschaft am 20. Dezember zu einer Aktion in eine Brandenburger Kleinstadt mobilisiert. Obwohl es zeitlich möglich gewesen wäre, gab es bei der Blockupy-Solidaritätsaktion am späten Nachmittag nicht einmal eine symbolische gewerkschaftliche Präsenz. Wenn man den Aktionsrahmen 2008 zum Maßstab nimmt, hat ver.di jetzt die Öffnung zu den sozialen Bewegungen wesentlich eingeschränkt und Aktionen, die nicht unter ihrer Regie liefen, eher ignoriert. Dabei zeigt sich immer mehr, dass für einen erfolgreichen Arbeitskampf die Unterstützung aus der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Die Zeiten, in denen ein Arbeitskampf allein im Betrieb gewonnen wurde, sind schon lange vorbei. Für den Einzelhandel mit seiner schwachen Organisierung gilt das besonders.
Kooperation nicht erst, wenn ein Streik begonnen hat
Umso wichtiger ist eine Kooperation zwischen Gewerkschaftern und der außerparlamentarischen Bewegungen, die nicht erst beginnen sollte, wenn wieder ein Arbeitskampf begonnen hat. . Die losen Strukturen der außerparlamentarischen Linken führen oft dazu, dass in konkreten Kämpfen geknüpfte Kontakte wieder abbrechen. Der Euromayday, der 2008 ein gemeinsames Forum für Gewerkschafter und außerparlamentarische Initiativen war, ist in Berlin bereits seit 3 Jahren Geschichte. Mit dem Blockupy-Bündnis und dem Klassenkämpferischen Block gib es zurzeit zwei außerparlamentarische Linke Zusammenhänge, die sich zum Ziel gesetzt haben, Betriebs- und Arbeitskämpfe zu unterstützen. Nach dem Ende des Einzelhandelsstreiks s steht die Diskussion einer festeren Organisierung an, damit beim nächsten Arbeitskampf eine schnellere Reaktion möglich ist.
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 1/2014
Während konservative Publizisten Gaucks klare Worte lobten und die deutsche Politik zu noch mehr Einsatz aufforderten, äußerten sich liberale und linke Kommentatoren kritisch. Martin Reeh erinnert in der Taz daran, dass seit nun mehr 2 Jahrzehnten eine größere Verantwortung Deutschlands eingefordert wird:
„Seit das verstärkte militärische Engagement der Deutschen nach 1990 begann, hat es nicht an Reden gefehlt, die eine veränderte Außenpolitik einforderten.“
Rühes Weckruf
Doch es wäre falsch, die Rede von Gauck nur als die Wiederholung der immer gleichen Platte zu interpretieren. Sie reiht sich vielmehr in Äußerungen von Politikern aus Union und SPD ein, die immer deutlicher den Anspruch erheben, in der ersten Liga der Weltpolitik mitspielen zu wollen. Am deutlichsten hat den Anspruch ein Verteidigungsminister aus der Ära Kohl formuliert: Volker Rühe schrieb am 21. Januar in der FAZ unter der Überschrift „Deutschland muss führen“:
„Ende des Monats, wenn die Münchner Sicherheitskonferenz zum 50. Mal tagt, ist Deutschland wieder einmal das Zentrum der internationalen Politik. Dies allerdings nur für 48 Stunden, denn in der Praxis hat sich unser Land in eine sicherheitspolitische Passivität begeben, die seiner Rolle als bevölkerungsreichster Staat Europas und als eine global führende Wirtschaftsmacht nicht entspricht. In Afghanistan haben wir unseren Einsatz frühzeitig auf den Norden sowie die Hauptstadt Kabul beschränkt und die wirklich gefährlichen Regionen dauerhaft unseren Verbündeten überlassen.“
Hier wird auch ganz deutlich, was hinter den zunehmenden Rufen nach dem Ende der Passivität und des Wegguckens steckt. Es geht um Deutschlands neue Rolle in der Weltpolitik. Dabei sollen die Interessen wenn möglich im Verbund mit den USA durchgesetzt werden. Es wird auch Situationen geben, wo Deutschlands Interessen nur gegen den einstmals engsten Verbündeten durchsetzbar sind.
Dass sich Union und SPD in dieser Frage einig sind, zeigte sich am Wochenende. Nach Ursula von der Leyen, die vage davon sprach, dass Gleichgültigkeit weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Perspektive eine Lösung sei, und damit fast wortwörtlich die Merksätze wiederholte, mit denen vor 15 Jahren die Grünen „kriegsbereit“ wurden, übersetzte Bundesaußenminister Steinmeier diese Prosa in konkrete politische Zielvorstellungen:
„Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substantieller einzubringen.“
Das Bündnis aus Union und SPD hat in der kurzen Zeit der neuen Zusammenarbeit schon deutlich gemacht, dass die Regierungsparteien die gewohnten Zügel der Zurückhaltung, die es in der Militärpolitik noch gab, fallen lassen wollen.
Hat die NSA-Debatte selbstbewusstes Deutschlands befördert?
Es wäre zu fragen, ob nicht die NSA-Debatte, wie sie in den letzten Monaten mehrheitlich geführt wurde, dieses neue deutsche Selbstbewusstsein befördert hat. Denn die hat sich schnell auf die Frage der deutschen Souveränität konzentriert, die angeblich durch die USA verletzt würde. So wurde aus dem Buch „Überwachtes Deutschland“ von Josef Foschepoth fast ausschließlich der Teil zitiert, der die Beziehungen zu den USA thematisiert.
Dass in dem Buch akribisch beschrieben wurde, wie deutsche Behörden Post aus der DDR in den fünfziger und frühen sechziger Jahren überwacht und teilweise sogar vernichtet haben, wird hingegen kaum erwähnt. Bei soviel Betonung von deutscher Souveränität ist es nicht verwunderlich, wenn die Politik diesen Grundsatz nun auch in der Außen- und Militärpolitik aufgreift.
Es wäre nicht das erste Mal, dass außerparlamentarische Bewegungen Stichwortgeber für eine selbstbewusste deutsche Nation wurden. Auch Teile der westdeutschen Friedensbewegung spielte vor über 30 Jahren eine ähnliche Rolle, wenn sie Deutschland als Opfer der ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition darstellte.
Saudische Außenminister für Menschenreche in Syrien
Natürlich spielten auf der Sicherheitskonferenz auch alle aktuellen weltpolitischen Themen eine Rolle. Der russische Außenminister stellte die berechtigte Frage, warum die Beteiligung rechter Gruppen an der Opposition in der Ukraine kaum erwähnt wird. Diese Frage richtet sich besonders an deutsche Politiker. Schließlich hat Merkel bei ihrer Regierungserklärung ausdrücklich die ukrainische Opposition ohne Differenzierungen gewürdigt.
Auch die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms hat bei ihren Besuch in der Ukraine Sanktionen gegen Regierungsmitglieder in Aussicht gestellt, aber zu dem rechten Flügel der Opposition kein kritisches Wort verloren. Auf der Sicherheitskonferenz rief Wladimir Klitschko denn auch zu noch mehr Unterstützung für die Opposition auf und forderte mehr Druck auf die Regierung. Auch von ihm hörte man keine Distanzierung von den Rechten.
Am letzten Tag bestimmten der Syrien-Konflikt und der Streit mit dem Iran in München die Agenda. Ausgerechnet der Außerministier Saudi Arabiens, eines besonders repressiven Regimes, spielte sich als Verteidiger der Menschenrechte auf. Dabei wurde einmal mehr deutlich, wie Menschenrechte im politischen Streit instrumentalisiert werden. Saudi Arabien gehört im Nahen Osten zu den schärfsten Antipoden des Irans und Syriens.
Dabei geht es um politische Vorherrschaft. Menschenrechte und Demokratie ist in all diesen Ländern ein Fremdwort. Mit dem US Republikaner McCain ergriff auch ein Kritiker des Kurses der gegenwärtigen US-Administration das Wort.
Proteste wurden kaum erwähnt
Kaum erwähnt wurde in den Medien, dass sich am Samstag auch wieder ca. 3000 Antimilitaristen an Protesten gegen die Sicherheitskonferenz beteiligten. Die Teilnehmerzahl für eine bundesweite Protestaktion ist natürlich sehr bescheiden, gerade wenn man sie mit den Zahlen der deutschen Friedensbewegung in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts vergleicht.
Damit bestätigte sich die Erkenntnis, dass in dem Maße, wie Deutschland kriegsfähig wurde, die Proteste geschrumpft sind. Eine Antikriegsbewegung, die über die Anklagen gegen Nato, USA und alle Schlechtigkeiten der Welt, die Spezifika der Politik Deutschland in den Mittelpunkt der Kritik stellt, gibt es erst in Ansätzen.
RECHTSEXTREMISMUS Holocaustleugner treffen sich seit Kurzem im Ökumenischen Zentrum Wilmersdorf. Dort wusste man offenbar nichts vom Hintergrund der Gruppe – und ist nun schockiert
Wenn sich die „Blaue Himmel Gruppe Berlin“ in einem Ökumenischen Zentrum trifft, denkt man an eine Umweltgruppe, die über Luftverschmutzung diskutiert. Doch hinter dem Kreis, der sich am heutigen Montagabend um 19 Uhr im Ökumenischen Zentrum „Wilma“ in der Wilmersdorfer Straße 164 treffen will, handelt es sich nach Erkenntnis des antifaschistischen Pressearchivs (apabiz) um esoterische Rechte aus dem Umfeld der sogenannten Reichsbürgerbewegung.
Initiator ist der „Reichsbürger“ Carl Petersen, der von der Fortexistenz des Deutschen Reiches ausgeht. Er fordert in einem im Internet veröffentlichten Brief das Meldeamt mit Foto und Unterschrift auf, ihn „unverzüglich als BRD-Personal zu streichen“. Ebenfalls im Internet findet sich Petersens Kommentar zum Vernichtungslager Auschwitz: „Ich hab mir die angebliche Gaskammer in Auschwitz angeschaut und muss erkennen, dass dieser kleine Raum (5 x 5 m) mit nach innen aufgehenden Türen an jeder Seite keine Tötungskammer gewesen sein kann.“
In einem Beitrag auf dem Blog „Berlin rechtsaußen“ berichtet Kaspar Schmid vom apabiz über die bisherigen Treffen der Gruppe Blauer Himmel. Offiziell gehe es um den Kampf gegen „Chemotrails“, mit denen nach Meinung von EsoterikerInnen Flugzeuge Gift in die Atmosphäre sprühen und damit Kondensstreifen erzeugen. Doch tatsächlich würden auf den Treffen antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet.
Ein Mitarbeiter des Wilma erklärte gegenüber der taz, das Treffen der rechten Esoteriker werde nicht stattfinden. Man werde die Gruppe auffordern, den Schlüssel für den Raum abzugeben und das Gebäude zu verlassen. Die MitarbeiterInnen des Wilma seien entsetzt gewesen, als sie vom rechten Hintergrund der Gruppe erfahren habe. Schließlich sei das Zentrum in den letzten beiden Jahren mehrmals Ziel von Anschlägen gewesen – unter anderem sollte damit eine Veranstaltung mit dem Politologen Hajo Funke über Rechtsradikalismus verhindert werden.
Verfolgte des Naziregimes wollten am Holocaustgedenktag nicht in die Stasi-Gedenkstätte Lindenstraße 54
Das Gedenken an Opfer des Faschismus darf nicht dort stattfinden, wo auch an Kriegsverbrecher erinnert wird, meinte in Potsdam das Bündnis »Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung«.
»Vor fast 70 Jahren befreiten russische Soldaten die Überlebenden von Ausschwitz aus ihrer qualvollen Hölle. Es waren nicht mehr viele, die sie retten konnten. Zu lange hatte der von Hitlers willfährigen Helfern angefachte, die Welt grausam überziehende Krieg gedauert, bis die letzte Schlacht für das NS-Regime verloren, der letzte Blutstropfen der Soldaten vergossen und das letzte unschuldige Opfer in den Konzentrationslagern qualvoll gestorben war.«
Auf der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Vernichtungslagers fand Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) am 27. Januar damit die richtigen Worte. Es war denn auch nicht diese Rede, die die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und das antifaschistische Bündnis »Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung« dazu veranlasste, diesem Gedenken fern zu bleiben. Streitpunkt war der Veranstaltungsort, die Gedenkstätte Lindenstraße. In dem ehemaligen Gerichtsgebäude befindet sich die Plastik »Das Opfer«, geschaffen von dem Künstler Wieland Förster.
Die Stadt Potsdam habe sich über die Kritik der Verbände der Naziopfer hinweggesetzt und am Holocaustgedenktag eine Veranstaltung an einem Ort abgehalten, an dem auch Kriegsverbrechern gedacht werde, begründet das Bündnis »Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung« ihr Fernbleiben. Auch Lutz Boede von der Potsdamer VVN-BdA kritisiert die Ortswahl. »Wie kommt man auf die Idee, diesen Gedenktag ausgerechnet in der Lindenstraße 54 zu begehen«, fragte er in einer Stellungnahme, die vor dem Eingang der Veranstaltung verteilt wurde. Gegenüber »nd« bekräftigt Boede diese Kritik. Der Gedenkort Lindenstraße werde von den Verfolgten des Naziregimes abgelehnt, weil auch Nazifunktionäre, die nach 1945 in der Lindenstraße inhaftiert waren, dort unter die Kategorie der Opfer fallen. Boede verweist auf Forschungsergebnisse über die Personen, die dort nach dem Zweiten Weltkrieg verurteilt wurden. »Darunter waren zum Beispiel Mitglieder der persönlichen SS-Leibstandarte Hitlers, Funktionäre der SA, des Sicherheitsdienstes (SD), des Bundes Deutscher Mädel (BDM) und der politischen Polizei. Ihnen wurde vorgeworfen, verantwortlich für die Deportation von Zwangsarbeitern aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten ins Reichsgebiet zu sein, Häftlinge im Konzentrationslager misshandelt zu haben oder Menschen wegen des Hörens von Feindsendern bei der Gestapo denunziert zu haben.« Einen gemeinsamen Gedenkort für Opfer und Verantwortliche des Naziregimes könne es nicht geben, zitiert Boede den Gründer der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Justiz Ludwig Baumann.
»Wir respektieren die Auffassung der VVN-BdA, teilen sie aber nicht. In der Gedenkstätte Lindenstraße wird den Opfern politischer Gewalt gedacht. An einem Tag wie dem 27. Januar 2014 gedenken wir ausschließlich den Opfern des Nationalsozialismus«, erklärt Stefan Schulz. Für den Pressesprecher der Stadtverwaltung ist die Gedenkstätte Lindenstraße ein authentischer Ort, der in der Zeit des Faschismus als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge genutzt wurde und nach dem Krieg durch den russischen Geheimdienst KGB und später durch das DDR-Ministerium für Staatssicherheit in gleicher Funktion übernommen wurde. »Das erklärt, dass in der zeitgeschichtlichen Betrachtung des Ortes viele unterschiedliche Opfergruppen verschiedenartige Ansätze verfolgen«, sagt Schulz.
Auch nach dem Holocaustgedenktag wird die Debatte in Potsdam weitergehen. Im März 2014 soll eine neue Gedenkkonzeption in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. Schulz weist auf eine einjährige Vorbereitung bei der Erarbeitung dieser Konzeption. 40 Initiativen, Verbände und Interessengruppen seien einbezogen gewesen. Die VVN-BdA hatte ihre Teilnahme abgesagt. Gemeinsam ein Konzept erarbeiten mit Organisation wie dem Bund der Vertriebenen, der von hochrangigen Nazifunktionären mit gegründet worden sei, dies sei für die VVN-BdA unvorstellbar.
So wie die Potsdamer Lindenstraße 54 ist auch die Gedenkstätte Sachsenhausen ein schwieriger Ort. Hier befand sich erst ein faschistisches Konzentrationslager und anschließend ein sowjetisches Speziallager, in dem dann auch viele Nazis gesessen haben. In Sachsenhausen wird die Vermengung beider Zeitabschnitte konsequent vermieden. Innerhalb der historischen Lagermauer wird ausschließlich über das KZ informiert und an seine Opfer erinnert. Außerhalb befindet sich ein Museum zum sowjetischen Speziallager.
Die deutsche Wirtschaft drängt auf Ausweitung der unsozialen Politik auf alle EU-Mitgliedstaaten
Wenige Monate vor der Europawahl wird nicht nur in der Linkspartei heftig über die EU debattiert. Auch Wissenschaftler beteiligen sich, etwa bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die deutschen Eliten haben den Blick von Europa längst abgewandt, lautet eine Erkenntnis des Politologen Ingo Stützle, der zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Stephan Kaufmann die Veranstaltungsreihe »Das neue Europa, die deutschen Pläne und die linken Kritiker« in Berlin leitet. Die Europäische Union werde in erster Linie als Sprungbrett für den Weltmarkt verstanden, weiß Stützle an Grafiken zu belegen. Aus denen geht hervor, dass die deutschen Exporte in den EU-Raum an Bedeutung verloren, die Wirtschaftskontakte nach China oder Indien hingegen gewachsen sind.
In der EU-Politik seien die Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Kapitalfraktionen und dem Bankensektor in Deutschland gering, betonten Kaufmann und Stützle. Sie stützen sich dabei auf eine Studie des Politologen Frederic Heine und des Referenten für politische Ökonomie der Globalisierung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Thomas Sablowski, in der sie die Haltung der deutschen Wirtschaftsverbände zur EU-Krise untersuchen.
Der Erhalt der gegenwärtigen Eurozone ist in der deutschen Wirtschaft weitgehend Konsens. Allerdings ist dort die Opposition gegen die Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank groß. Stattdessen wird eine Kreditvergabepraxis mit stärkeren Sanktionsmöglichkeiten gegen Schuldnerländer gefordert. Eine Sonderrolle spielen die Verbände der Familienunternehmen, die sich gegen die europäische Rettungspolitik stellen und für einen dauerhaften Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aussprechen.
Heine und Sablowski sehen die Gründe für die große Einigkeit der Wirtschaftsverbände beim Umgang mit der EU-Krise in gemeinsamen Interessen. »Die einheitliche Befürwortung radikaler Disziplinar- und Sparmaßnahmen, wie im Fiskalpakt vereinbart, verweist darauf, dass sich das deutsche Kapital international in einer Gläubigerposition befindet«, schreiben die beiden Autoren. Mit der Austeritätspolitik werde der Euro als Hartwährung in der internationalen Wirtschaftskonkurrenz verteidigt.
Trotz des weitgehenden Konsenses in Sachen Austeritätspolitik unterscheidet die Studie zwischen einer stabilitätsorientierten und einer global-expansiven Gruppierung der deutschen Wirtschaft. Letztere sei in der Mehrheit. »Die europapolitische Vision dieser Gruppierung besteht in der Erhöhung der Ausbeutungsrate der Lohnabhängigen.« Im Kern gehe es um die Ausweitung der Agenda-2010-Politik auf die gesamte Europäische Union. Grund genug für eine Linke, sich auch theoretisch intensiver mit der herrschenden EU-Politik zu befassen.
Am 4. Februar um 19 Uhr wird die Veranstaltungsreihe mit dem Thema »Die Last der Linken mit Europa« am Franz-Mehring-Platz 1 fortgesetzt. Der Eintritt ist frei.
„Wenn das Geld nicht fließt, das gibt Aggression und Gewalt, das wollen wir verhindern.“ Die BA liefert Stoff für Panikmache und Argumente gegen den Mindestlohn
„Millionen Hartz IV-Empfängern droht Zahlungsstopp“ lautete die Schlagzeile über einer Meldung der Deutschen-Wirtschafts-Nachrichten. Der Grund wäre dieses Mal keine weitere Verschärfung der Agenda-2010-Politik, sondern die Einführung einer neune Software mit dem Namen Allegro. Der Vorsitzende der Personalräte in den Jobcentern, Uwe Lehmensiek, warnte im Interview im Deutschlandfunk:
„Das ist natürlich jetzt Spekulation. Aber das ist unsere größte Sorge, dass das passiert, denn was wir machen, ist die Grundsicherung. Danach kommt nichts mehr. Und wenn das Geld nicht fließt, das gibt Aggression und Gewalt, das wollen wir verhindern. Deswegen ist das unsere größte Sorge, dass es mit der Zahlung nicht klappt.“
Software-Probleme schon bei der Einführung von Hartz IV
Nun muss man Warnungen, die gleich klarstellen, dass sie sich auf Spekulationen berufen, generell kritisch betrachten. Zudem gab es in den letzten Jahren genügend Warnungen vor angeblichen Computerausfällen mit weltweiten Folgen. Manche werden sich noch an die zahlreichen Milleniumsprophezeiungen erinnern, die sich alle als grundlose Panikmache entpuppten.
Doch bei den Warnungen vor Problemen bei der Umstellung der Software im Jobcenter sollte man sich zumindest daran erinnern, dass es bereits bei der Einführung von Hartz IV massive Software-Probleme gegeben hat, die dazu führten, dass Tausende Leistungsbezieher ihr Geld nicht rechtzeitig bekommen haben. Lehmensiek kritisiert in dem Interview auch, dass die Schulung für die neue Software von den Jobcenter-Mitarbeitern ohne zusätzliches Personal bewerkstelligt werden muss.
„Wir hätten und wir haben uns gewünscht und gefordert, dass zumindest vorübergehend mehr Personal eingestellt wird. Viele Jobcenter-Personalräte haben das auch berechnet und gefordert. Dem ist man nicht gefolgt“, moniert der Personalrat. Auch viele Gewerkschafter klagen über die zusätzliche Arbeitsverdichtung durch die Einführung der neuen Software. Dazu gehört die ver.di-Betriebsgruppe Bielefeld. Andere Gewerkschafter warnen gar vor dem drohenden Supergau bei der Software-Einführung.
Bundesagentur für Arbeit liefert Argumente gegen Mindestlohn
Wie auch mit scheinbar unpolitischen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit Politik gemacht wird, zeigt sich aktuell bei der Diskussion um die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Deutschland. Seit Wochen laufen die Lobbyverbände der Wirtschaft und ihre Epigonen in der Wissenschat und Publizistik Sturm dagegen. Nun hat die FAZ einen Bericht veröffentlicht, nach der die Zahl der Vollzeitbeschäftigten, die auf Hartz IV angewiesen sind, niedriger als bisher angenommen sein soll.
Statistik-Revisionen der Bundesagentur für Arbeit sind nicht unbekannt. So wurde sehr kreativ die Zahl der Erwerbslosen reduziert, ohne dass tatsächlich mehr Menschen in Lohnarbeit waren. Sie waren nur in irgendwelchen Maßnahmen und so aus der Statistik rausgerechnet worden. Die FAZ verschweigt die politischen Absichten der neuesten Statistik-Revision auch gar nicht:
„Die Neufassung der Statistik bringt politischen Zündstoff, da sie eines der zentralen Argumente der Befürworter des gesetzlichen Mindestlohns deutlich relativiert. Dieses besagt, dass ein immer größerer Teil der Arbeitnehmer trotz Vollzeitarbeit nicht von seinem Lohn leben kann.“
„Wohl aber haben politische Parteien die verzerrten Daten gerne genutzt, um damit das Ziel des gesetzlichen Mindestlohns zu rechtfertigen. Eine Parallele zum Jahr 2002 wäre nun äußerst wünschenswert: Auch heute sollten die Parteien ihre Pläne einer Revision unterziehen.“
Kritischer Kommilitone von Bundesagentur für Arbeit gekündigt
Warum ist es Geflüchteten nicht erlaubt zu studieren? Unter dieser Fragestellung stand kürzlich ein Workshop, den die Organisation ehemaliger Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin veranstaltete. Die Zahlen zeigen, dass es sich bei dem Thema nicht um ein Randproblem handelt. Rund 47 000 Heranwachsende und Jugendliche, die nicht in Deutschland geboren sind und hier mit einem Duldungsstatus leben, sind mit massiven Bildungshürden konfrontiert, wenn sie eine Schule besuchen oder ein Studium beginnen wollen.
Auf dem Workshop berichteten Betroffene über ihre eigenen Erfahrenen mit diesen Restriktionen. So konnte ein Flüchtling eine Schule nicht besuchen, weil sie sich im Nachbarlandkreis befand. Nach der deutschen Residenzpflichtbestimmung war es ihm verboten, den von den Ausländerbehörden zugewiesenen Landkreis zu verlassen.
Auch der Ausschluss vom Bafög oder anderen finanziellen Beihilfen erschwert die Aufnahme eines Studiums für Flüchtlinge enorm. Der Jurastudent Hassan Khateeb aus Westjordan wurde aufgrund seines Duldungsstatuses von verschiedenen Hochschulen abgewiesen. Nur seiner Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass er doch noch einen Studienplatz bekommen hat.
Es gibt aber auch andere, Mut machende Beispiele. Der in Aachen studierende Kani Kalonji z.B. hat erfolgreich eine Initiative gestartet, die es mi᠆grantischen Studierenden ermöglicht, unabhängig von ihrer Aufenthaltsdauer an der Begabtenförderung zu partizipieren. Solche Initiativen verdienen politische Unterstützung. Denn niemand muss hochbegabt sein, um sein Recht auf Bildung unabhängig von Aufenthaltsstatus und -dauer einzufordern.