Hartz IV? Mañana!

BEHÖRDENWILLKÜR Jobcenter will in Berlin lebendem Spanier kein Geld zahlen – trotz Gerichtsbeschluss

Seit Ende März erhält Esteban Granero (Name geändert) kein Geld mehr vom Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg. Dabei hat der Anwalt des Spaniers, Michael Wittich, erfolgreich einen Eilantrag beim Sozialgericht gestellt, das die Behörde zur Weiterzahlung verpflichtete.

Der seit einem Jahr in Berlin erwerbslos gemeldete Graneros hatte bis Leistungen nach SGB III bezogen. Ende März informierte ihn das Jobcenter, die Leistungen würden zum 1. April eingestellt. „Der Antragssteller ist spanischer Staatsbürger und hält sich nur zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland auf. Er fällt damit unter die Personengruppe, die nach der Vorbehaltserklärung der Bundesregierung gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EPA) von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen ist“, so die Behörde. Das Sozialgericht hält dies für unvereinbar mit Europarecht – es gab dem Eilantrag statt.

Gegen den Richterspruch legte das Jobcenter Widerspruch ein. Man wolle erst die Entscheidung des Landessozialgerichts abwarten, so Behörde. Anwalt Wittich hält das für rechtswidrig. „Ein Eilantrag muss sofort umgesetzt werden. Es liegt nicht im Belieben der Behörde, die Umsetzung wochenlang zu verschleppen.“ Der Jurist hat gegen die Verzögerung juristische Schritte eingeleitet und ist optimistisch, dass sein Mandant Erfolg hat.

Doch Graneros ist weiterhin ohne Geld. Seine Wohnung droht er deshalb zu verlieren. Das Jobcenter reize seine Macht auf Kosten des Erwerbslosen aus, moniert Anwalt Wittich. Dabei geht es für die Behörden um ein Nullsummenspiel: Wenn das Gericht gegen Graneros entscheidet, muss der Bezirk einspringen.

Wittichs Mandant ist nicht der einzige EU-Bürger, der Probleme mit dem Jobcenter hat. Weitere Erwerbslose wurden nach Streichung der Hartz-IV-Leistungen nicht zu den Sozialämtern weitergeleitet, andere sind ausgereist (taz berichtete).

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F05%2F08%2Fa0157&cHash=5b0c4ee0e3
Peter Nowak

Ausschluss von EU-Bürgern aus deutschen Sozialsystem stößt an Grenzen

Die Bundesregierung gerät mit ihrem Versuch, erwerbslose EU-Bürger in Deutschland von Sozialleistungen auszuschließen, juristisch und politisch in die Defensive

Die Bundesrepublik Deutschland erklärte im Dezember 2011 einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen, das die Sozialleistungen der Mitglieder des Europarates regelt. Danach erhielten zahlreiche erwerbslose EU-Bürger keine Hartz-IV-Leistungen mehr. Mit der Maßnahme will die Bundesregierung verhindern, dass Menschen aus der europäischen Peripherie infolge der Wirtschaftskrise in Deutschland ihr Auskommen suchen.

Mittlerweile haben Sozialgerichte in Leipzig und Berlin entschieden, dass EU-Ausländer in Deutschland Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt haben.

„Die Entscheidung des Sozialgerichtes Leipzig, mit der der Kläger aus Griechenland gegen die Auffassung des Jobcenters Leipzig die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zugesprochen wird, ist ein Erfolg für das akut bedrohte und langsam erodierende Sozialstaatsprinzip in Deutschland und ein Teilerfolg im Kampf gegen staatlichen Rassismus“, kommentierte die Leipziger Stadtverordnete der Linkspartei, Juliane Nagel, das Urteil.

Sozialhilfe kann nicht verweigert werden

Das Bundesarbeitsministerium hat nach einer Anfrage der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Katja Kipping zudem erklärt, dass EU-Bürger gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe haben.

„Der Vorbehalt wurde nur für die Anwendung des Sozialgesetzbuchs (SGB) II erklärt“, schreibt nun das Ministerium in der Unterrichtung an den Ausschuss. Die Betroffenen könnten aber „stattdessen einen Anspruch auf Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII“, also der Sozialhilfe, haben“, zitiert die Welt aus dem Schreiben des Ministeriums. Die Verlagerung von Hartz-IV auf Sozialhilfe bedeutet, dass die Kosten auf die Kommunen abgewälzt werden.

Vor allem in Berlin wächst derweil die Kritik an den Jobcentern über den Umgang mit erwerbslosen EU-Bürgern. So moniert der Rechtsanwalt Michael Wittich, dass sein Mandant, ein spanischer Staatsbürger, der seit einem Jahr erwerbslos gemeldet ist, seit März kein Geld bekomme und seine Wohnung nicht mehr bezahlen könne. Dabei hat Wittich vor dem Sozialgericht einen Eilantrag erwirkt, der das Jobcenter Friedrichshain Neukölln zur Zahlung verpflichtet. Weil das Amt aber Widerspruch bei der nächsten Instanz eingereicht hat, will es mit der Zahlung warten. „Ein Eilantrag muss sofort umgesetzt werden. Es liegt nicht im Belieben der Behörde die Umsetzung wochenlang zu verschleppen“, rügt Wittich das Verhalten. Mittlerweile erhalten die Betroffenen Unterstützung von sozialen Initiativen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151934
Peter Nowak

Kein Hartz IV für bestimmte EU-Bürger?

Die Bundesregierung, die soviel vom vereinigten Europa redet, treibt die Spaltung bei der Gewährung von Sozialleistungen weiter voran

Manuel P. ist wütend. Bisher hat der in Deutschland lebende spanische Staatsbürger Leistungen nach Hartz IV bekommen. Doch jetzt teile ihm das Jobcenter mit, dass er künftig keine Leistungen mehr erhalten soll.

Er steht damit nicht allen. Nach einer Geschäftsanweisung des Bundesarbeitsministeriums an die Bundesagentur für Arbeit haben zahlreiche erwerbslose EU-Bürger ähnliche Schreiben bekommen.

Hintergrund sind die unterschiedlichen Auswirkungen der Wirtschaftskrise in der EU-Zone. Vor allem wegen der nicht zuletzt auf Druck der deutschen Regirung veranlassten Krisenprogramme wächst in Ländern der europäischen Peripherie wie Griechenland, Spanien und Portugal die Verarmung. Manche Menschen suchen einen Ausweg, in dem sie sich in Deutschland auf Arbeitssuche machen. Die Bundesregierung will verhindern, dass die Menschen auch die in Deutschland üblichen Sozialleistungen bekommen.

Die Nachricht zog Anfang März erste Kreise Die Angst von der Leyens vor spanischen und griechischen Zuwanderern ohne Arbeit?; seither hat sich einiges getan.

Erster Widerstand regt sich

In Berlin wurden im März zahlreiche dieser Schreiben verschickt. „Es laufen einige Eilverfahren beim Berliner Sozialgericht. Es sind aber schon Leute in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Dies liegt wohl auch daran, dass sie nicht ausreichendes Wissen über ihre Rechte und Klagemöglichkeiten haben“, erklärt der auf Sozialrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Lutz Achenbach gegenüber Telepolis.

Mittlerweile wollen soziale Initiativen den Betroffenen politische und rechtliche Unterstützung zukommen lassen.


Rechtliche Grauzone

Ihre Chancen sich erfolgreich rechtlich zu wehren, stehen nicht schlecht. Schließlich regelt das 1956 unterzeichnete Europäische Fürsorgeabkommen den Bezug von Fürsorgeleistungen auf EU-Ebene. Das Bundessozialgericht hat in mehreren Fällen entschieden, dass trotz verschiedener Ausschlussregelungen in Deutschland lebende französische Staatsangehörige Hartz-IV-berechtigt sind.

2009 hat sich bereits der Europäische Gerichtshof mit den Kriterien für Hartz IV-Bezug von EU-Bürgern in Deutschland befasst. Damals hatten griechische Staatsbürger, die in Deutschland in Minijobs beschäftigt waren und keine Leistungen bekommen sollten, geklagt.

Mit dem im März 2012 von der Bundesregierung eingelegten Vorbehalt gegen das Fürsorgeabkommen soll die vom Sozialgereicht für unwirksam erklärte Ausschlusspraxis fortgesetzt werden. Die Bundesagentur für Arbeit zieht danach auch die Rücknahme bereits bewilligter Leistungen in Erwägung. Rechtsanwalt Achenbach bezweifelt die rechtliche Tragfähigkeit aus mehreren Gründen:

„Erstens ist ein Vorbehalt wegen eines Urteils laut Vertragstext nicht vorgesehen. Zweitens steht die Frage im Raum, ob die gesetzliche Regelung im Sozialgesetzbuch II nicht auch gegen andere höherrangige Regelungen verstößt. So ist in der europäischen Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auch ein Diskriminierungsverbot enthalten.“

Viele Gerichte hätten Zweifel, ob sich der gesetzliche Leistungsausschluss in § 7 SGB II mit dieser Verordnung in Einklang bringen lässt. Weil eine höchstrichterliche Entscheidung bisher aussteht, haben viele Kammern des Berliner Sozialgerichts den Betroffenen deshalb Leistungen nach Hartz IV zugesprochen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151849
Peter Nowak