Parteilich für die Leidenden

Zum 30. Todestag des langsam wieder entdeckten Sozialpsychologen und APO-Aktivisten Peter Brückner

Es gibt in diesem Jahr gleich zwei Gründe, an den Sozialpsychologen Peter Brückner zu erinnern. Der linke Wissenschaftler starb vor 30 Jahren, am 11. April 1982, mit 59 an Herzversagen. Am 12. Mai 2012 wäre er 90 Jahre alt geworden.

Brückner, der in Hannover lehrte und die 68er Jugendrevolte unterstützte, war in der Bundesrepublik eine Art »Symbolfigur für den linken Professor«. Bis kurz vor seinem Tod war er wegen seines politischen Engagements politischen Drucks ausgesetzt. Nicht nur die Springerpresse und konservative Politiker sahen in ihm einen Linken, der sich unter dem »Schutz« des Professorenstatus staatsfeindlich betätige. Bis weit in das liberale und sozialdemokratische Lager wurde Brückner als »Radikaler im öffentlichen Dienst« geschmäht. Gleich zweimal wurde Brückner als Professor vom Dienst suspendiert und seine Bezüge gekürzt. Die Universität verhängte sogar ein Hausverbot gegen ihn.

Es war die Zeit des sogenannten deutschen Herbstes, als im Zuge der Terrorismushysterie kritische Forschung und Lehre ins Visier der Staatsorgane gerieten. Wie vielen Linken wurde Brückner Unterstützung der RAF vorgeworfen. Distanzierung von jeglichem subversiven Gedankengut war angesagt. Doch Brückner lehnte das ab. Er verteidigte öffentlich den umstrittenen Buback-«Nachruf« eines anonymen Göttinger Studenten, bekannt als »Mescalero-Affäre«. Wegen dieser Schrift fanden damals Razzien, Hausdurchsuchungen und Ermittlungsverfahren statt. Intellektuelle, die mit der Herausgabe der Schrift ein Zeichen gegen die Repression setzen wollten, wurden eingeschüchtert und zogen ihre Unterschrift zurück. Brückner stand dazu.

Der Mann, der sich selbst als »antiautoritärer Sozialist« bezeichnete, war 1922 als Sohn einer jüdischen Künstlerin und eines liberalen Demokraten in Dresden geboren worden. Die Mutter und der Halbbruder konnten sich im Nationalsozialismus durch Emigration retten, der Vater hangelte sich von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten. Diese Familiensituation hat ihn politisch geprägt. »Ein so gebildetes Kind wird durch seine sozialen Erfahrungen auf dem Spielplatz, im Kindergarten und in der Schule zur Parteilichkeit genötigt: für die je Leidenden und gegen die Gewalt, die ihnen rücksichtslos angetan wird«, schrieb Brückner zwei Jahre vor seinem Tod in dem Aufsatz »Über linke Moral«.

Parteinahme für die Leidenden, das war auch das Credo seiner wissenschaftlichen und politischen Arbeit. Brückner gehörte zu den jungen linken Intellektuellen, die mit viel Hoffnung und Engagement nach 1945 für einen demokratischen Neuanfang eintraten. Als KPD-Mitglied beteiligte er sich am Neuaufbau der Leipziger Universität. Abgestoßen von autoritären Parteistrukturen ging er 1949 in den Westen. Bei aller Kritik, die er in vielen seiner Schriften am Realsozialismus übte, ließ er sich jedoch nicht zum Kronzeugen gegen die DDR machen. Brückner, der 1967 einen Lehrstuhl für Psychologie in Hannover annahm, wurde zu einem wichtigen Bezugspunkt der außerparlamentarischen Bewegung. »Was heißt Politisierung der Wissenschaft und was kann sie für die Sozialwissenschaften heißen« war der Titel seiner 1972 veröffentlichten, sehr populären Schrift. »Wie kein anderer machte er sich zum Interpreten linker Erneuerung und wie kein anderer beobachtete und analysierte er ihren widersprüchlichen und langsamen Zerfall«, beschrieb der Historiker Christoph Jünke das Verhältnis Brückners zur antiautoritären Revolte der späten 60er Jahre, die weit über das studentische Milieu hinausging.

Wie viele linke Intellektuelle dieser Zeit war auch Brückner lange vergessen, bis er in den letzten Jahren wieder entdeckt wurde. So gab der Sozialpsychologe Klaus Weber 2004 Brückners Buch »Sozialpsychologie des Kapitalismus« neu heraus. Im Vorwort schrieb Weber, die Neuauflage solle Brückner und dessen Werk »dem Vergessen entreißen, für diejenigen, die immer die Befreiung der Menschen aus unmenschlichen Verhältnissen sich zum Ziel setzen«. Anfang März dieses Jahres ging die Neue Gesellschaft für Psychologie bei einem Kongress in Berlin der Frage nach, was an Brückners Erkenntnissen heute noch aktuell ist. An der Tagung nahmen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch linke Aktivisten teil. Der Berliner Psychologe Klaus-Jürgen Bruder wies dabei darauf hin, dass sich Brückner intensiv mit den Reaktionen der Menschen auf Krisen auseinandergesetzt habe. Demnach nimmt in Krisenzeiten die Loyalität der Menschen mit dem Staat zu, autoritäre Krisenlösungsmodelle stoßen dagegen auf mehr Zustimmung. Für das nächste Jahr ist ein weiterer Kongress geplant.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/223691.parteilich-fuer-die-leidenden.html

Peter Nowak

Roma ins Elend abgeschoben

Antirassistische Initiative beleuchtet Schicksale von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien
Die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) beobachtet seit 19 Jahren die oft tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. Alljährlich sammelt sie Fakten über Flüchtlinge, die durch Angriffe von Neonazis oder durch staatliche Maßnahmen zu Schaden kommen. Die gesammelten Daten werden akritisch geprüft, bevor sie veröffentlicht werden. Der Schwerpunkt in dem aktuellen Bericht, der von der ARI jetzt veröffentlicht wurde, ist der Umgang mit den Romaflüchtlingen, die vor der Verfolgung nach dem Zerfall des Staates Jugoslawien in Deutschland Asyl suchten aber nicht fanden. Die Bundesregierung will sie ihre Heimat abschieben. Diese Politik wurde auch im letzten Jahr zielstrebig in allen Bundesländern umgesetzt. Die ARI hat in der Dokumentation an zahlreichen Beispielen die menschlichen Schicksale bekannt gemacht, die sich dahinter verbergen. In zahlreichen Beispielen wurde verdeutlicht, wie der deutsche Staat die Romaflüchtlinge in Not und Elend abschiebt und selbst auf lebensgefährliche Erkrankungen keine Rücksicht nimmt.
So musste die Romafrau Snezana X am 6. April 2011 mit ihrer Tochter und drei Enkelkindern nach Serbien ausreisen, nachdem die Ausländerbehörde Trier der r krebskranken Frau mit Abschiebung gedroht hat. Mitgliedern einer Romaorganisation berichtete Snezana X, die in Vranska Banja eine Unterkunft gefunden hatte, dass sie Wasser im Bauch und Blut gespuckt habe. Am schlimmsten aber seien die Schmerzen. „Wenn Du hier in Serbien keine Geld hast, dann stirbst Du einfach“, klagte die Frau den Besuchern. Im Oktober erlag Snezana X. ihrem Krebsleiden. Der Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz erhielt auf Nachfragen von der zuständigen Kreisverwaltung Germersheim die Antwort, dem Amt sei eine Erkrankung der Frau X. nicht bekannt gewesen.
Auch die 25 Jahre alte Romafrau Sevlije Begani war im April 2011 mit ihren vier Töchtern aus dem niedersächsischen Landkreis Harburg in den Kosovo abgeschoben worden. Zu dieser Zeit lag ihr Mann mit einer schweren Lungenerkrankung in einem Münchner Krankenhaus. Nach seiner Entlassung kommt er entgegen dem ärztlichen Rat in Abschiebehaft und wurde im Juli 2011 mit einem Flugzeug nach Belgrad gebracht. Sevlije Begani berichtet Unterstützern, die sie im Sommer 2011 besuchen, sie sei rassistischen Angriffen ausgesetzt. Ihre Wohnung sei mehrmals mit Steinen beworfen worden. Ihr Mann zeigte Narben im Gesicht und den Armen, nachdem er von Rassisten angegriffen und zusammengeschlagen worden sei.
Der 22jährige Roma Miroslav Redzepovic konnte seine erneute Abschiebung in letzter Minute verhindern. Er wurde im Januar 2011 aus der Abschiebehaft entlassen, nachdem er sich im Dezember 2011 die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Redzepovic war am 16. November 2011 in Haft genommen worden. Genau acht Jahre zuvor hatte sich sein Vater vor dem Syker Rathaus aus Protest gegen die Behandlung durch die deutschen Behörden verbrannt. Zwei Jahre später wurde die Witwe mit ihren fünf minderjährigen Kindern nach Serbien abgeschoben. Nachdem Miroslav Redzepovic, der mit 14 Jahren der Älteste war, mehrmals rassistischen Angriffen ausgesetzt war, floh er erneut nach Deutschland. Auch nach seiner Haftentlassung bleibt sein Aufenthaltsstatus ungesichert.
Für die Bundesregierung sind die in der Dokumentation gut belegten Menschenrechtsverletzungen kein Grund, ihre Abschiebepraxis zu überdenken. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion der Linken erklärte ein Sprecher der Bundesregierung, es sei schon mehrmals dargelegt worden, „dass in der Republik Kosova keine unmittelbare Gefährdung mehr nur auf Grund einer Person zu einer bestimmten Volksgruppe besteht“. Eine Sprecherin der ARI spricht von einer „zynischen Ignoranz angesichts der Realität, vieler Berichte von Menschenrechtsorganisationen und der historischen Verantwortung “. Schließlich befanden sich unter den Hunderttausenden im Nationalsozialismus ermordeten Roma viele aus den Balkanländern.

Peter Nowak
Die Dokumentation kann bestellt werden über:
Antirassistische Initiative – Dokumentationsstelle
Mariannenplatz 2, Haus Bethanien, Südflügel, 10997 Berlin
Fon: 030-61740-440, Funk: 0177-3755924, Fax: -101,
ari-berlin-dok@gmx.de,
Im Netz findet sich die aktualisierte Fassung demnächst unter: www.ari-berlin.org/doku/titel.htm

https://www.neues-deutschland.de/artikel/223315.roma-ins-elend-abgeschoben.html

Marktwirtschaft menschlich gestalten?

Einige Ökonomen wollen mit mehr Ethik die Krise überwinden

In Zeiten der Krise melden sich Ökonomen der unterschiedlichen Couleur mit ihren Anliegen zu Wort. Jetzt hat eine Gruppe von Wirtschaftsethikern das Memorandum „Für eine Erneuerung der Ökonomie“ veröffentlicht und fordern eine grundlegende Wende in der ökonomischen Wissenschaft. Ulrich Thielemann, einer der Mitverfasser des Memorandums, geht mit seinen Kollegen hart ins Gericht: „Über Jahrzehnte haben sich die Wirtschaftswissenschaften eingekapselt und so die Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse vorangetrieben“, moniert er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Ökonomen aller Lager hätten das Kapital stets hofiert, so Thielmanns Einschätzung, die hier fast Ansätze von linker Wirtschaftskritik enthält. Doch der Eindruck täuscht. Thielemann rekurriert mit seiner Kritik unter anderem auf den wirtschaftsliberalen Ökonomen Thomas Straubhaar und seine Abrechnung mit dem Wirtschaftsimperialismus.

Abkehr vom homo oeconomicus?

Wie Straubhaar rügt auch Thielemann das Modell des homo oeconomicus, das lange Zeit in der klassischen Ökonomie vorherrschte. „Es gibt seit Jahren neuere Forschungszweige wie die Verhaltensökonomie, die nicht von einem abstrakten Homo oeconomicus ausgeht, sondern vom realen Menschen. Das Problem ist, dass diese Erkenntnisse bisher zu wenig in wirtschaftspolitisch relevante makroökonomische Modelle eingebaut worden sind. Da ist noch viel zu tun“, so Straubhaar.

Das Me’M, das sich als „Denkfabrik für eine menschliche Marktwirtschaft“ begreift, widmet sich dieser Aufgabe schon länger. Bereits 2009 forderte Thielemann, die Marktwirtschaft weniger kapitalistisch zu gestalten. Diese Intention teilt auch das Baseler Manifest für mehr Wirtschaftsethiker, das ebenfalls zu den Referenzpunkten des neuen Memorandums gehört. Dort werden zahlreiche mehr oder weniger bekannte Ökonomen aus aller Welt genannt, die ebenfalls das Ziel einer menschlichen Marktwirtschaft teilen sollen.

Spätestens seit der Wirtschaftskrise wird viel von einer Erneuerung der Wirtschaft geredet und da sind Ethiker immer sehr gefragt. „Bei guter Witterung findet die Religion im Wort zum Sonntag und auf der Lohnsteuerkarte statt. Zieht aber ein Gewitter auf, fliegen die Pfaffen tief“, diese Erkenntnis des Konkret-Herausgebers Hermann Gremliza gilt auch in der Ökonomie. Hier nehmen die Wirtschaftsethiker die Rolle der Geistlichen ein. Sie reden viel von den Fehlern, die gemacht wurden, fordern eine Umkehr, wollen aber andererseits auch, dass sich möglichst wenig am System ändert. Das ist ihnen freilich nicht anzulasten. Schließlich richten sich der Markt und die Börse eben nicht nach Moral und Ethik, sondern suchen sich die besten Möglichkeiten zur Kapitalverwertung. Daher werden wir auch in den nächsten Jahren noch viele Aufrufe und Memoranden für eine moralische Ökonomie lesen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151755
Peter Nowak

Gefährden Israels Atomraketen den Weltfrieden?

Günter Grass und Teile der deutschen Friedensbewegung üben sich in Israelkritik

Von dem Nobelpreisträger Günter Grass ist eigentlich seit einigen Jahrzehnten bekannt, dass er sich oft und gerne zu Wort meldet. Geschwiegen hat er höchstens zu lange über seine SS-Mitgliedschaft. Die ist allerdings nicht gemeint, wenn Grass heute in verschiedenen Zeitungen ein Gedicht mit dem Titel „Was gesagt werden muss“ veröffentlicht, dass mit dem Satz beginnt: „Warum schweige ich, verschweige zu lange.“

Grass prangert Israels Atomwaffen an und sorgt sich darum, dass damit die iranische Bevölkerung wegen des Maulheldentums ihres Präsidenten ausgelöscht werden könnte. Die eigentliche Sorge von Grass besteht aber darin, dass Deutschland sich daran mit einer U-Boot-Lieferung an Israel beteiligt. Deswegen hat Grass jetzt beschlossen, nicht mehr zu schweigen.

Die von Grass bestimmt kalkulierte Kritik kam sofort. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden sprach von einer aggressiven Polemik und warnte vor einer Dämonisierung Israels. Der Publizist Henryk M. Broder konterte wie gewohnt weniger diplomatisch: „Nicht ganz dicht, aber ein Dichter.“ Broder wirft Grass vor, in dem Gedicht nur zusammengefasst zu haben, was er schon immer gedacht und gesagt hat:

„Ganztätig mit dem Verfassen brüchiger Verse beschäftigt, hat er keine der vielen Reden des iranischen Staatspräsidenten mitbekommen, in denen er von der Notwendigkeit spricht, das ‚Krebsgeschwür‘, das Palästina besetzt hält, aus der Region zu entfernen. Denn das ist nur ‚Maulheldentum‘, das man nicht ernst nehmen muss, so wie die Existenz einer einzigen Bombe ‚unbewiesen‘ ist, bis sie zum Einsatz kommt. In dem Falle würde Grass um die Opfer trauern und den Überlebenden Trost spenden, denn er fühlt sich dem Land Israel ‚verbunden‘.“

Lautsprecher des Mainstreams

Tatsächlich fallt auf, dass sich Grass mit der mehrmals wiederholten Floskel „Was gesagt werden muss“, „das allgemeine Schweigen“, als mutiger Mann zu inszenieren versucht, der zumal in Deutschland „mit letzter Tinte“ und Zittern vor eigenem Mut Israel vorwirft, den Weltfrieden zu gefährden. Nur ist Grass damit durchaus ein Lautsprecher einer Mehrheit nicht nur in Deutschland, sondern in vielen EU-Ländern, die Israel als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnen. Die Gefahr einer Dämonisierung Israels ist also sehr real. Zumal das von Grass aufgeworfene Szenario eines Atomschlags, bei dem die iranische Bevölkerung umkommt, schon Teil einer Projektion ist. Schließlich sind bislang zielgenaue Anschläge gegen iranische Atomanlagen und nicht ein Atombombenabwurf gegen Teheran in der Diskussion. Bemerkenswert ist auch, dass Grass, der auch in dem Gedicht seine Verbundenheit mit Israel bekundet, keinen Gedanken daran verschwendet, dass ein Regime im Besitz von Atomwaffen gelangen könnte, dessen führenden Repräsentanten immer wieder dem Staat Israel ein schnelles Ende wünschen.

Dass Grass mit seiner einseitigen Israelschelte nicht allein ist, zeigte auch eine kürzlich in mehreren Zeitungen veröffentlichten „Erklärung aus der Friedensbewegung und der Friedensforschung“, in der ein Ende aller Kriegsdrohungen und Sanktionen gefordert wird und dabei Israel als das eigentliche Problem gebrandmarkt wird: „Das iranische Volk will – alle Indizien sprechen dafür – weder einen Krieg noch iranische Atombomben. Es wehrt sich allerdings gegen jede militärische Bedrohung von außen. Israels Atomarsenal und die militärische Einkreisung Irans durch die USA, die inzwischen in nahezu allen seinen Nachbarländern Militärbasen errichtet haben, sind wichtige Ursachen für die Rüstungsanstrengungen Irans.“

Der als langjähriger Kritiker der israelischen Rechten bekannte Publizist Micha Brumlik bezeichnete in der Tageszeitung den Aufruf als geschichtsvergessen. Warum Grass nicht einfach diese Erklärung unterschreiben, sondern aus seiner Israelkritik ein Gedicht machen musste, ist leicht zu erklären. Dann stände er nicht im Mittelpunkt der Diskussion – und das mag ein Günter Grass wohl nun mal gar nicht.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/151745
Peter Nowak

Menschenunwürdige Zustände in deutschen Gefängnissen

Vielleicht kann die Kritik der Anti-Folter-Stelle an der Situation in deutschen Gefängnissen der Einsicht zum Durchbruch verhelfen, dass auch Häftlinge Rechte haben und sie auch durchsetzen können müssen

Verdreckte Zellen, lange Einzelhaft, enge Zellen. Die Mängelliste ist lang, mit der die Anti-Folterstelle in ihrem Jahresabschlussbericht das deutsche Gefängnissystem charakterisierte.

Die Nationale Stelle wurde auf Grundlage des Fakultativprotokolls zur UN-Antifolterkonvention vom 10. Dezember 1984 geschaffen. Sie hat den gesetzlichen Auftrag, regelmäßig „Orte der Freiheitsentziehung“ zu besuchen und die Bedingungen für die Behandlung der dort untergebrachten Personen zu überprüfen. Sie weist auf ggf. vorgefundene Missstände hin und richtet Empfehlungen zur Verbesserung an die zuständigen Aufsichtsbehörden

Diese durch ein internationales Abkommen nötig gewordene Einrichtung wurde von der deutschen Politik bisher weitgehend ignoriert. Die Meinung, dass eine Anti-Folterstelle in Ländern wie Deutschland überflüssig sei, hält sich hartnäckig. Dass es sich dabei um ein Fehlurteil handelt, zeigt der aktuelle Jahresbericht.

Weitwinkelspione in den Toilettenräumen

Die Mängelliste ist lang. So wurde in den Zellen des Polizeirevier Kehls, über das zahlreiche Flüchtlinge nach Frankreich zurückgeschickt werden, der Einsatz von Weitwinkelspionen in den Toilettenräumen als Eingriff in die Menschenwürde kritisiert. In den Räumen der Bundespolizeidirektion Düsseldorf wurden an den Pritschen angebrachte metallene Fixierungsvorrichtungen gerügt. In mehreren der besuchten Gewahrsamszellen waren zudem keine Brandmelder angebracht, was angesichts der heftigen Diskussion anlässlich des bis heute ungeklärten Feuertodes des Flüchtlings Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle besonders verwunderlich ist.

Besonders kritisiert wurden die Zustände in der Jugendvollzugsanstalt Berlin: „Der besonders gesicherte Haftraum befand sich zum Bezugszeitpunkt in einem unhygienischen, ekelerregenden Zustand. Die Schaumstoffmatratze … wies undefinierbare Flecken auf und war übersät mit toten Insekten. Die Toilette sowie der Trinkwasserspender waren völlig verdreckt“, heißt es in dem Bericht. Auch die Arresträume wurden als extrem ungepflegt charakterisiert. In der Justizvollzugsanstalt Bernau am Chiemsee moniert die Anti-Folter-Stelle, dass Einzellzellen doppelt belegt gewesen seien. In anderen JVA waren die Zellen zu eng.

Die in dem Bericht erwähnten Zustände in vielen Gefängnissen machen verständlich, warum Gefangene nicht selten Leben und Gesundheit gefährden, um die Änderung der von ihnen als unmenschlich empfundenen Zustände im Gefängnis durchzusetzen. Erst kürzlich hat der in der Häftlingsinteressenvertretung aktive Peter Scherzl mit einen Hungerstreik Verbesserungen in seinem Knastalltag zu erreichen versucht. Nach der Aussetzung der Aktion versuchen Solidaritätsgruppen bisher vergeblich, eine Verbesserung zu erwirken.

Im letzten Jahr hatte sich der Häftling Werner Braeuner mit einem langen Hungerstreik unter anderem gegen Verunreinigungen im Essen gewehrt. Solche Aktionen bekommen in der Regel wenig Öffentlichkeit und werden von Teilen der Bevölkerung sogar regelrecht abgelehnt. Die Vorstellung, dass Strafgefangene keine Forderungen zu stellen haben, ist weitverbreitet. Vielleicht kann die Diskussion um den Jahresbericht der Anti-Folter-Stelle der Vorstellung zum Durchbruch verhelfen, dass eine JVA kein rechtsfreier Raum ist und dass auch verurteilte Strafgefangene Rechte haben und diese auch einfordern können müssen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151739
Peter Nowak

Medizinische Hilfe für die Vergessenen

Gewerkschaftsinitiative sammelt für ein Gesundheitszentrum in Fukushima
Mittlerweile wird auch von offizieller Seite zugegeben, dass der Atomunfall im japanischen Fukushima weitaus gefährlicher war als anfangs behauptet. Eine Gewerkschaftsinitiative will nun Geschädigten helfen, indem sie Geld für den Aufbau eines Kindergesundheitszentrums sammelt.

Mit einem internationalen Solidaritätsaufruf haben sich japanische Gewerkschafter gemeinsam mit Umweltschützern und Medizinern an die Weltöffentlichkeit gewandt. Sie rufen zur Gründung eines Gesundheitszentrums für die Kinder von Fukushima auf, für das sie Spenden sammeln.

Die Initiatoren heben den politischen Charakter des Projekts hervor. »Die japanische Regierung erkennt das Recht auf Evakuierung und Entschädigung der Menschen von Fukushima nicht an. Zu der fehlenden offiziellen Unterstützung kommen finanzielle Schranken der Betroffenen, weshalb die meisten Menschen in Fukushima keine Wahl haben, als dort zu leben und die Gesundheit ihrer Kinder weiter aufs Spiel zu setzen«, sagt Koichi Hashimoto, Generalsekretär einer Regionalabteilung der Eisenbahnergewerkschaft. Er ist schon seit den 70er Jahren in der Anti-AKW-Bewegung aktiv.
Damit knüpft die Initiative an die Proteste vieler Mütter aus den gefährdeten Gebieten an, die mit Sitzstreiks vor Ministerien und anderen Behörden für eine Entschädigung kämpfen. Inspiriert wurde das Projekt von früheren Kampagnen wie den Solidaritätsinitiativen für die Kinder von Tschernobyl und die Kämpfe der Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. »Auch bei ihnen wurden die gesundheitlichen Folgen der Strahlenschäden zunächst ignoriert. Unter dem Slogan ›Gebt die Menschenleben zurück‹ erkämpften sie das Recht auf Gesundheit und nahmen die medizinische Betreuung selbst in die Hand«, heißt es in dem Aufruf. Auch bei den geplanten Gesundheitszentren in Fukushima soll der Gedanke im Mittelpunkt stehen, dass die Betroffenen die Verantwortung für ihre Gesundheit selber in die Hand nehmen.

Mit dem Projekt soll auch auf die soziale Komponente der Folgen des Reaktorunfalls aufmerksam gemacht werden. Besonders Menschen mit wenig Geld haben kaum die Möglichkeit, die verstrahlte Gegend zu verlassen. Zudem wurden schon vor dem GAU Menschen mit geringen Einkommen als Leiharbeiter für gefährliche Tätigkeiten in Atomkraftwerken eingesetzt. Um die Folgeschäden dieser gefährlichen Arbeit hat sich niemand gekümmert Das Schicksal dieser sogenannten Nuklearnomaden wurde erst nach dem GAU in einer größeren Öffentlichkeit in Japan diskutiert.
Auf ein von Koichi Hashimoto eingerichtetes PayPal-Konto können Spenden eingezahlt werden. Informationen im Internet unter:
https://bronsteyn.files.wordpress.com/2012/03/gesundheitszentrum_fuer_fukushima-kinder.pdf.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/223030.medizinische-hilfe-fuer-die-vergessenen.html
Peter Nowak

Was brachte der europäische antikapitalistische Aktionstag?

Flop oder Beginn einer neuen Runde: Nach den 31-Protesten hat die Auseinandersetzung um die politische Bewertung begonnen

„Jetzt könnt ihr noch mal schauen, wo wir eigentlich heute hinwollten“. Fast etwas wehmütig klang die Stimme der Moderatorin, als sie am Samstag gegen 19 Uhr die zu diesem Zeitpunkt noch knapp 2000 Demonstranten in der Innenstadt von Frankfurt/Main auf die Türme im Hintergrund hinwies. Mehrere Stunden zuvor waren vom Hauptbahnhof der Mainmetropole noch fast 6000 Menschen aufgebrochen, um die Baustelle der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) am Ostbahnhof zu erreichen.
Sonne und dunkle Wolken über dem Protestzug; was wiegt stärker? (Foto: indymedia) Sonne und dunkle Wolken über dem Protestzug; was wiegt stärker? (Foto: indymedia)

Sogar Besetzungspläne kursierten in Internetforen. Doch nach ca. 2. Stunden war klar, die Demonstration würde das Ziel nicht erreichen. Nach einigen Steinwürfen auf Bankfilialen kesselte die Polizei einen Teil der Demonstranten am Rande der Frankfurter Innenstadt ein. Nach einer längeren Warteperiode, die die Geduld der Demonstranten arg strapazierte, kam dann die Auflösung der Demonstration. Sofort begann im Internet die Debatte, ob die ganze Aktion ein weiterer Flop der radikalen Linken war, oder ob es sich um den Beginn einer neuen Runde von europäischen Krisenprotesten handelte, wie es die Publizistin Jutta Ditfurth in ihrer sehr optimistischen Rede auf der Auftaktkundgebung ankündigte.

Praxistest für Alltagskämpfe

Schließlich war die Demonstration in Frankfurt Teil eines europaweiten Bündnisses von linken außerparlamentarischen Gruppen und Basisgewerkschaften, die sich damit gegen die europäische Krisenpolitik wandten. Ihnen ging es dabei nicht nur um die ökonomischen Folgen, sondern auch autoritäre Krisenlösungsstrategien von Staat und Teilen der Bevölkerung. An dem M312- Bündnis, wie sich die Koordination nach dem Datum des ersten Aktionstages nenn, ist mit der spanischen CNT auch eine Gewerkschaft beteiligt, die dort wichtige Impulse für einen landesweiten Generalstreik am 29. März gab, dem sich schließlich sämtliche größeren Gewerkschaften anschlossen.

Von solchen Zuständen kann in Deutschland keine Rede sein. Obwohl fast alle DGB-Gewerkschaften kürzlich einen Aufruf gegen den Fiskalpakt initiierten, sind zur Zeit selber DGB-Linke wie das ver.di-Vorstandsmitglied Dierk Hirschel und der IG-Metall-Vize Hans-Jürgen Urban zu mehr Engagement nicht bereit.

Während Hirschel auf einer Veranstaltung in der Berliner IG-Metall-Verwaltungsstelle am 13. März vage meinte, im Herbst könnte mal über weitere Proteste reden, will Urban ebenso nebulös „Mehrheiten in der europäischen Öffentlichkeit“ für Alternativen zur Fiskalpolitik suchen. Gleichzeitig werden die Rufe an der Gewerkschaftsasis nach konkreten Widerstandsstrategien gegen die Krisenpolitik lauter. So wurde auf der Veranstaltung im IG-Metall-Haus am 13. März eine Resolution unter dem Motto „Griechenland ist überall“ einstimmig angenommen, in der zu europaweiten Widerstand gegen die europäische Krisenpolitik aufgerufen wird.

EZB-Baustelle

In den letzten Wochen hat sich auf verschiedenen Veranstaltungen gezeigt, dass diese kämpferischen Gewerkschafter auch Gruppen der außerparlamentarischen Linken als Bündnispartner anerkennen, wenn die bereit und in der Lage sind, einen Beitrag zu der Herausbildung eines solchen Widerstands zu leisten, der aktuell weder bei einer politischen Partei noch von den Vorständen der DGB-Gewerkschaften auf der Agenda steht. Kann die M31-Mobilisierung einen solchen Anspruch erfüllen? Von der Antwort auf diese Frage wird die Beurteilung abhängen, ob der europäische Aktionstag insgesamt und die Demonstration in Frankfurt im Besonderen ein Erfolg war oder nicht. Die Frage, ob es realistisch war, die EZB-Baustelle zu erreichen und gar zu besetzen, ist dagegen sekundär, zumal es seit Monaten vor der aktuellen EZB-Zentrale das Occupy-Camp gibt.

Auch die Frage, ob die für Mitte Mai abermals in Frankfurt/Main geplanten Aktionstage gegen autoritäre Krisenstrategien größer als die am 31.März werden ist letztlich nicht das entscheidende Erfolgskriterium. Der Gradmesser wird tatsächlich sein, ob diese mit viel logistischen Aufwand vorbereiteten Großaktionen, sich auf Alltagskämpfe in Betrieben, Jobcentern und Stadtteilen stützen können oder nicht. Dass in Frankfurt am 31. März, wie schon so oft, Polizei und Bankfilialen Ziele von militanten Aktionen waren und jetzt für Schlagzeilen sorgen, erweckt zumindest Zweifel an der so viel beschworenen Kreativität und Phantasie der aktivistischen Teile der linken Szene.

Die Besetzung einer der kürzlich geschlossenen Schlecker-Filialen aus Solidarität mit den auf die Straße gesetzten Beschäftigten wäre auch nach einer vermutlich schnellen Räumung ein besseres Signal gewesen, dass eine linke Praxis mehr ist als Ritual und zweifelhafte Symbolpolitik.
http://www.freitag.de/politik/1213-europaeischer-antikapitalistischer
-aktionstag-2013-auftakt-oder-event
Peter Nowak

Europäischer antikapitalistischer Aktionstag

Nach den 31-Protesten hat die Auseinandersetzung um die politische Bewertung begonnen

In zahlreichen europäischen Ländern haben Menschen am 31. März gegen autoritäre Krisenlösungsstrategien protestiert. Aufgerufen hatte ein Bündnis linker Gruppen und Basisgewerkschaften, die sich bewusst in Abgrenzung zu etablierten, oft staatstragenden Organisationen und Gewerkschaften organisierten. Schließlich kritisierten die Organisatoren nicht nur die ökonomischen Folgen der Krisenpolitik, sondern warnten auch vor wachsenden nationalistischen und antidemokratischen Tendenzen in vielen europäischen Ländern in der Folge der Krise.

In Ländern mit einer starken traditionellen Linken wie in Griechenland war die Beteiligung an den Protesten am Samstag eher klein. Hier stehen die an den M31-Protesten beteiligten Gruppen zu den großen anarchistischen und kommunistischen Gruppen in Opposition, die in den letzten Monaten häufig zu Protesten mobilisierten. In Ländern, in denen es bisher kaum Proteste gab und die verschiedenen linken Organisationen keine große Rolle spielen, waren die M31-Aktionen größer. So legte bereits am 29. März ein von Basisgewerkschaften, die Teil des M31-Prozesses sind, initiierter Generalstreik Spanien lahm. Im holländischen Utrecht gab es am Samstag eine landesweite Antikriesendemonstration, die von den Organisatoren als Erfolg eingeschätzt wurde.

Beginn der diesjährigen Krisenproteste in Deutschland

Auch in Deutschland läutete im Rahmen von M31 eine bundesweite Demonstration in Frankfurt/Main die diesjährigen Krisenproteste ein. Wie immer bei solchen Aktionen gehen die Angaben über die Zahl der Beteiligten zwischen der Polizei, die von 3000, und den Organisatoren, die von 6000 Demonstranten sprachen, weit auseinander. Allerdings war die zweite Zahl für die erste Hälfte der Demonstration nach übereinstimmenden Berichten verschiedener Augenzeugen wesentlich realistischer.

Nachdem es zu einzelnen Farbbeutel- und Steinwürfen gegen die Fassaden der Europäischen Zentralbank und anderer Bankfilialen gekommen war, kesselte die Polizei den hinteren Teil der Demonstration mehrere Stunden ein und verhinderte so, dass sie wie geplant und angemeldet zur Baustelle der EZB zwischen Ostbahnhof und Main ziehen konnte. Nachdem im Internet Aufrufe zirkulierten, im Anschluss an die Demonstration das Areal zu besetzen, war die Baustelle schon vor Tagen mit Stacheldraht eingezäunt worden.

Die Veranstalter, die sich sehr um Deeskalation bemühten und die Demonstranten immer wieder aufriefen, nicht durch Provokationen das Ziel zu gefährden, lösten gegen 19 Uhr schließlich die Demonstration auf. Auf Indymedia brach sofort eine heftige Debatte über die Einschätzung von M31 auf europäischer und deutscher Perspektive an, die natürlich nach politischen Einschätzungen geleitet sind. Während manche Jungakademiker schon ihre mit ihren Adorno-Zitaten gespickten Totalverrisse auf der Demonstration verteilten, äußerte sich die an der Vorbereitung der M31-Proteste beteiligte Publizistin Jutta Ditfurth in ihrer Rede auf der Auftaktveranstaltung sehr optimistisch: „Wo immer wir am Ende dieses Tages stehen – oder sitzen – werden: Es ist großartig, dass es zum ersten Mal gelungen ist, aus eigener Kraft, unabhängig auch von staatstragende Organisationen, diesen ersten ‚Europäischen Aktionstag gegen den Kapitalismus‘ zu organisieren.“

Basisgewerkschafter hingegen verweisen darauf, dass es im Rahmen der M31-Mobilisierung zu einer Annäherung zwischen Aktivisten sozialer Kämpfe in der Arbeitswelt und linken Gruppen gekommen ist. Für sie ist ein Kriterium für den Erfolg des M31-Prozesses, ob sich jenseits von Großdemonstrationen aus diesen Diskussionen eine gemeinsame Praxis im Alltag entwickelt. Das Interesse daran ist gewachsen, weil selbst der linke Flügel der DGB-Gewerkschaften angesichts der EU-Krisenpolitik noch immer in Wartestellung verharrt, während an der Gewerkschaftsbasis die Forderungen nach Widerstandsperspektiven lauter werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151727
Peter Nowak

Pfiffe für den Zauderer

Am Wochenende ist es so weit: In Deutschland und anderen europäischen Ländern soll »M31« stattfinden. Deutsche Wissenschaftler, Gewerkschafter und außerpar­lamentarische Linke erhoffen sich einiges von dem Aktionstag.
»Wir sind diese unsoziale und antidemokratische Politik ebenso leid wie die rassistischen Attacken auf die griechische Bevölkerung. Reden wir stattdessen von den menschenverachtenden Folgen dieser Politik. Reden wir über die autoritäre Wende Europas und deutsche Niedriglöhne als Krisenursache.« Dieser Appell findet sich in dem Anfang März veröffentlichten Aufruf »Demokratie statt Fiskalpakt«, der von der »Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung« (AKG) verfasst wurde. Der Zusammenschluss von Sozi­alwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern hat es sich zum Ziel gesetzt, »gesellschaftskritische Theorieansätze« angesichts »ihrer zunehmenden Marginalisierung an den Hochschulen« zu sichern und weiterzuentwickeln.

In ihrem Aufruf kritisieren die Wissenschaftler die mit dem Krisenprogramm verbundene Renaissance autoritärer Herrschaftsmodelle. Sie zeigen eine Kontinuität auf, die von der blutigen Durchsetzung der neoliberalen Politik in Chile während der Militärdiktatur unter Pinochet über die mit der Verarmung großer Teile der Bevölkerung verbundenen Transformationsprozesse in vielen osteuropäischen Länder nach 1989 bis zur derzeitigen Durchsetzung des EU-Diktats in Italien, Griechenland und Portugal reicht. Die AKG ruft auch zur Beteiligung an den in den kommenden Wochen geplanten Protesten gegen die EU-Krisenpolitik auf. Dabei steht der europaweite antikapitalistische Aktionstag am 31. März nicht nur zeitlich an erster Stelle.

Angesichts der Kritik der AKG nicht nur an der Wirtschaft, sondern auch an der Rolle des Staates bei der Krisenbewältigung gibt es inhaltlich viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Aufruf der Wissenschaftler und »M31«. Dieses Kürzel für den Aktionstag ist mittlerweile auf Plakaten und Aufklebern in vielen europäischen Städten zu sehen. »Auf zahlreichen Informationsveranstaltungen in allen Teilen der Republik wurde ­darüber diskutiert«, sagt Jutta Sommer vom Berliner »M31«-Vorbereitungskreis der Jungle World. Deshalb sieht sie Grund zum Optimismus. »Noch Anfang des Jahres hätte ich nicht gedacht, dass diese Initiative auf so viel Resonanz stößt.« Auch in der Vorbereitung sieht sie eine neue Qualität. »Auf verschiedenen Veranstaltungen haben Aktivisten der außerparlamentarischen Linken mit Gewerkschaftern über gemeinsame Krisenstrategien diskutiert.« Dabei betonten in der vergangen Woche auf einer Veranstaltung sowohl Andreas Förster von der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter­union (FAU) wie auch der bei Verdi organisierte Personalrat bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben, Georg Heidel, die Notwendigkeit, Alltagskämpfe in den Betrieben mit einer antikapitalistischen Praxis zu verbinden.

Dass auch an der Basis des DGB die Unzufriedenheit wächst, zeigte sich auf einer Veranstaltung, die Mitte März von linken Gewerkschaftern und der Gruppe »Real Democracy Now! Berlin/Griechenland« im Berliner IG-Metallhaus veranstaltet wurde. Eingeladen waren ein Stahlarbeiter aus einer besetzten Fabrik in Athen und eine Journalistin von der Zeitung Eleftherotypia, die seit zwei Monaten von der Belegschaft in Selbstverwaltung herausgegeben wird. Dierk Hirschel, der Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim Verdi-Bundesvorstand, bekundete zwar seine Solidarität. Doch Proteste stellte er frühestens für den Herbst in Aussicht, weshalb er von Teilen des Publikums ausgepfiffen wurde. In einer auf der Veranstaltung angenommenen Resolution wird zu europaweitem Widerstand gegen die Krisenpolitik aufgerufen. Am heutigen Donnerstag soll der erste praktische Versuch erfolgen. Aus Solidarität mit einem von spanischen und baskischen Basisgewerkschaften ausgerufenen Generalstreik sind in vielen europäischen Ländern Solidaritätskundgebungen vor spanischen Konsulaten geplant.
http://jungle-world.com/artikel/2012/13/45143.html
Peter Nowak