Kleine Erfolge

Nikolai Huke zieht Bilanz der Krisen-Protestbewegung in Spanien

Nikolai Huke: Krisenproteste in Spanien. Zwischen Selbstorganisation und Überfall auf die Institutionen, Edition Assemblage, Münster, 175 Seiten, 14,80 Euro, ISBN: 978-3960420064

Knapp fünf Jahre ist es her, dass in Spanien im Zeichen der Euro- und Bankenkrise eine massive Protestbewegung mit Platzbesetzungen, Großdemonstrationen und Streiks eine solidarische Gesellschaft einforderte. Am 15. März 2011 besetzte die Bewegung der Indignados öffentliche Plätze in zahlreichen spanischen Städten.

Die Aktion, die bewusst in Abgrenzung zu sämtlichen etablierten politischen Organisationen vorbereitet wurde, gab der Unzufriedenheit großer Teile der spanischen Bevölkerung mit der Austeritätspolitik einen politischen Ausdruck, schreibt der Tübinger Politologe Nicolai Huke in seiner im Verlag Edition Assemblage herausgegeben fundierten Untersuchung über die kurze Geschichte der Krisenproteste in Spanien.

Obwohl Indignados mit ihren Platzbesetzungen zum Symbol geworden waren, bildeten sie nur einen Teil der spanischen Protestbewegung ab. Ausführlich geht Huke auf die von der Bewegung der Hypothekenbetroffenen (PAH) organisierten Kämpfe gegen Zwangsräumungen ein. „Das individuelle Problem der Hypothekenschulden wurde zu einer Frage kollektiver Organisierung“, beschreibt er die Bedeutung der wesentlich von Frauen getragenen Organisation.

Auch bei den Protesten im Bildungs- und Gesundheitsbereich in den Jahren 2012 bis 2014 spielten Frauen eine wichtige Rolle. Die Marea Verde im Bildungs- und die Marea Blanca im Gesundheitsbereich mobilisierten nicht nur gegen die staatliche Kürzungsorgie. Mit ihrer Forderung nach Bildung und Gesundheit für Alle konnten sie auf großen Vollversammlungen Lehrende, Schüler/innen aber auch Eltern und Patient/innen begeistern. Huke beschreibt, wie die etablierten Gewerkschaften irritiert über die neuen Aktionsformen waren, sich aber in der politischen Auseinandersetzung neue Kooperationen herausbildeten.

Höhepunkt dieser gewerkschaftlichen Mobilisierung war der landesweite Generalstreik vom 29. März 2012. Im letzten Kapitel skizziert der Politologe die verschiedenen neuen Parteineugründungen wie CUP und Podemos aber auch kommunale Wahlbündnisse in Madrid und Barcelona, mit denen die Aktivisten die Institutionen besetzen wollten. Diese neuen Parteien profitierten von der Erschöpfung des außerparlamentarischen Protestzyklus, die spätestens ab 2014 deutlich geworden war.

Hukes Fazit der kurzen Geschichte der spanischen Protestbewegungen ist dennoch optimistisch. Ihnen sei es gelungen, „kleine Erfolge zu erzielen, die durch ihr erfolgreiches Scheitern die spanische Gesellschaft grundlegend veränderten“.

14
8. Oktober 2016

http://fm1.apm.ag/verdi_news_wcms/fmpro?-db=verdi_news_wcms.fp5&-lay=e&-format=txtdet.html&-recid=41551&-find

Peter Nowak

Das Fehlen einer linken Opposition


Ohne irgendwo zu regieren, bewirkt die AfD einen gesellschaftlichen Rechtsruck

Die Menschen haben die Bilder noch vor Augen, wie ein Zug von Tausenden von illegalen Migranten, angeführt von einem Polizeifahrzeug, über die Wiesen ins Land reingehen. Das sind die Bilder, die in den Köpfen sind.

Es war kein Politiker der AfD, der am Tag nach der Berlinwahl dieses Statement abgegeben hat. Nein, der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl[1] hat im Deutschlandfunk-Interview[2] Bilder heraufbeschworen, die im Umfeld von Pegida verbreitet wurden und zum Aufstieg der AfD beigetragen hatten.

Unter dem Schlagwort „Das entgrenzte Deutschland muss beendet werden“, versuchte Uhl den Grundsatz seines politischen Ziehvaters Franz Joseph Strauß umzusetzen, wonach man rechts von der Union keine Partei aufkommen lässt, indem man deren Positionen mit übernimmt. Uhl konnte bei dem Interview gleich dokumentieren, wie gut das klappt. So erklärte er: „Die Menschen müssen wieder Vertrauen haben, dass wir eine Grenze ziehen

Hätte ein AfD-Politiker ähnliches von sich gegeben, wäre er sicher gefragt worden, ob er im Ernstfall auf Geflüchtete schießen lassen würde, um die Grenze zu sichern. Uhl wurde die Frage nicht gestellt.

Aufwind für rechte Positionen

Gönnerhaft erklärte Uhl, dass Merkel das Reizwort Obergrenze nicht aussprechen muss. Dafür muss sie aber „die Begrenzung, die Grenzkontrolle, die Zurückweisung an der Grenze, sie muss alles, was Schutz an den deutschen Grenzen bedeutet und auch natürlich an den europäischen Außengrenzen, an den Binnengrenzen in der Europäischen Union, all diese Grenzkontrollen muss sie wollen“.

Wenn Uhl erklärt, man müsse sich mit dem Wähler versöhnen, dann meint er, dass man den Rechtspopulisten die Wähler abspenstig machen will, indem man deren Programm übernimmt. Wenn er dann, an die Moderation gewandt, erklärt: „Denn am konservativsten, Frau Heuer, ist immer das Volk und das Volk will Schutz und Sicherheit und das Volk hat derzeit nicht das Vertrauen in die regierenden Parteien, dass sie Schutz und Sicherheit gewähren“, dann könnte man genau jene Rehabilitation des Völkischen raus hören, für die AfD-Vorsitzende Frauke Petry kürzlich scharf kritisiert wurde.

Und wenn Uhl auf die Frage, was passiert, wenn Merkel unter solchen Prämissen gar nicht mehr zur Wahl antritt, erklärt: „Das ist ihre ganz höchst persönliche Entscheidung. Das kann ihr niemand abnehmen. Nur das Desaster muss ein Ende haben, dass die CDU von Wahl zu Wahl verliert“, dann liest sich das wie eine direkte Aufforderung an Merkel zurückzutreten.

Nicht einmal die kleinste Floskel, dass der CSU-Politiker trotz aller Differenzen weiter hinter Merkel stehe, wurde eingefügt. Hier wird deutlich, dass der AfD-Erfolg wie zuletzt in Berlin auch den Rechten in der Union Auftrieb gibt. Die Unzufriedenheit mit Merkel verleiht in und außerhalb des Parlaments jenen rechten Kreisen Aufwind, die Merkel Verrat an alten konservativen Werten vorwerfen und eine stärker nach rechts orientierte Agenda fordern.

Mit jeder neuen Wahlniederlage werden die Angriffe von dieser Seite stärker. Teile der SPD und auch die FDP, die sich laut Diktion ihres Vorsitzenden Lindner wieder in den Bundestag schleicht, wollen von der Stimmung gegen Merkel profitieren.

Merkel rückt symbolisch nach rechts

Die Kanzlerin hat schon darauf reagiert und versucht sich in den letzten Tagen mit deutschnationalen Sprüchen in der Art von „Deutschland wird Deutschland bleiben“ – sowie mit einer halben Distanzierung von ihrer „Wir schaffen das“- Rhetorik, um bei ihrer eigenen Basis und der CSU-Führung für Entspannung zu sorgen.

Die CSU reagierte darauf mit hämischem Lob, das Merkel signalisiert: „Na, es geht doch. Langsam übernimmt sie unsere Linie.“

Diese Auseinandersetzung spielt sich auf einer symbolischen Ebene ab. Dort ist es oft besonders schwierig, sich davon zu verabschieden. Schließlich bekam Merkel gerade wegen dem „Wir schaffen das“-Spruch Unterstützung im liberalen und linken Lager. Doch inhaltlich sind die Positionen längst nicht so weit entfernt.

Schließlich wurden in den letzten Monaten mehrmals die Flüchtlingsgesetze verschärft. Die Zahl der angeblich sicheren Drittstaaten hat zugenommen und vor allem Roma aus Ostereuropa wurden in den letzten Monaten vermehrt abgeschoben. Ein Protest der Betroffenen am Denkmal für die im NS verfolgten und ermordeten Roma wurde von der Polizei schnell beendet. Könnte doch ein solcher Protest am geschichtlichen Ort manche Kontinuitäten aufzeigen, von denen das wieder erstarkte Deutschland nichts wissen will.

In der praktischen Politik der Flüchtlingsabwehr sind sich Merkels Anhänger und Kritiker also weitgehend einig. Es geht bei dem Streit um die Frage, wie man die Politik nach außen präsentiert. Will man eher ein tolerantes und weltoffenes Deutschland suggerieren, wie es Merkel und ein Großteil der exportorientierten Industrie vertritt oder soll sich das Land nicht vielmehr die Flüchtlingsabwehr zum Markenkern machen? Das sind im Wesentlichen die Fragen, über die seit letztem Herbst in der Union gestritten wurde.

Der Rechtsruck drückt sich auch an der Debattenkultur in Deutschland aus

„Besorgte Bürger“ heißt die Überschrift einer Kolumne in der Sächsischen Zeitung[3], bei der sich der als Pegida-Erklärer bekannt gewordene[4] Dresdner Politologe Werner Patzelt mit einen anderen Kommentator abwechselt Der zivilgesellschaftliche Blog Atticus warf ihm vor[5], in einem Kommentar Goebbels-Zitate und Nazivergleiche verwendet zu haben.

In der vergangenen Freitagsausgabe (16.09.) der Sächsischen Zeitung stellte Herr Prof. Dr. Patzelt von der TU Dresden in der Kolumne „Besorgte Bürger“ bedenkliche Vergleiche der Weltkriegsjahre ab 1914 und 1939 und unserer heutigen Zeit an. Damals wie heute würden Andersdenkende ausgegrenzt. Darin sieht Herr Patzelt eine Parallele zwischen den Gegnern des Nationalsozialismus und den heutigen Rechtspopulisten und betont im Umgang mit beiden gar eine Art „kulturelle Kontinuität“.Blog Atticus

Blog Atticus

Patzelt reagierte mit einer ausführlichen Antwort[6]. Es zeigt sich auf vielen Ebenen, dass die AfD-Erfolge den politischen Diskurs nach rechts verschieben, ohne dass sie irgendwo mitregiert. Allein die Tatsache, dass sie als die eigentliche Opposition wahrgenommen wird, die eine andere Republik will, sorgt dafür, dass sich Politiker, Medien und Öffentlichkeit mit den Thesen der AfD befassen.

Rechtsaußen in der Union wie Uhl bekommen durch einen AfD-Erfolg mehr Freiraum für ihre Thesen, natürlich noch mit der Erklärung, es gelte die AfD überflüssig zu machen. Sollte das in absehbarer Zeit nicht gelingen, wird in der Union eine Diskussion um die Kooperation mit der AfD beginnen. Einige Politiker aus der zweiten Reihe haben schon erste Testballons aufsteigen lassen (Wann wird es erste Bündnisse zwischen AfD und Union geben?[7]).

Einbeziehung der Parlamentslinken in die Regierung

Der AfD-Erfolg hat auch bei der parlamentarischen Linken einen Effekt, der einen Rechtsruck darstellt, auch wenn er als Linksruck gehandelt wird. Seit der Wahl in Berlin ist ein Projekt wieder im Aufwind, um das sich seit fast zwei Jahrzehnten Sozialdemokraten in den unterschiedlichen Parteien bemühen: eine Regierung links von der Union.

Nun ist zumindest Sahra Wagenknecht aufgefallen, dass rein rechnerisch eine solche parlamentarische Mehrheit im aktuellen Bundestag bestünde. Sie forderte[8] den SPD-Vorsitzenden Gabriel auf, noch vor der nächsten Bundestagswahl die rechnerische zu einer realen Mehrheit werden zu lassen.

Es gebe dafür sogar schon einen Fahrplan. Im nächsten Jahr stehen Wahlen im wichtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen an. Sollten dort die drei Parteien der Reformlinken passabel abschneiden und die Union viele Stimmen an die AfD verlieren, könnte Gabriel einen der vielen Streitpunkte in der großen Koalition zum Anlass nehmen, aus der Regierung auszuscheiden und sich dann im Parlament zum Kanzler wählen zu lassen.

Dieser Paukenschlag würde, so die Hoffnung nicht nur von Wagenknecht, genügend Rückenwind für eine Mehrheit der Reformlinken im nächsten Bundestag geben. Der Fahrplan hört sich nicht schlecht an. Tatsächlich würde durch einen vorzeitigen Regierungswechsel der Eindruck erweckt, dass es bei den Wahlen tatsächlich um eine Richtungsentscheidung ginge.

Doch um welche Alternativen ginge es tatsächlich, in einem Land, in dem sich die Politik schon längst zugunsten der Wirtschaft selbst entmachtet hat? Welches Reformprogramm hofft Wagenknecht mit einem Kanzler Gabriel und einer neoliberalen Grünen Partei umzusetzen, die sich vielleicht lieber mit Kretschmann auf den Weg zu Schwarz-Grün machen will?

Erst zu Wochenbeginn hat Gabriel bei der Durchsetzung der CETA-Verträge in der eigenen Partei gezeigt, dass er ganz in der Tradition der SPD seit spätestens 1914 steht, die nie etwas beschließen wird, dass die Märkte und das Kapital verärgern könnte. Und wie hofft Wagenknecht neue Akzente in der Sozialpolitik zu setzen, wo aktuell die Bundesarbeitsministerin Nahles sich für angeblich sozialdemokratischen Akzente feiern lässt, bei der viele Erwerbslose und Migranten schlechter gestellt werden?

Ganz ausgeblendet wird zudem der gesamte Komplex der Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei müsste die Linkspartei als Preis für eine Teilhabe an der Regierung auch offiziell ihren Frieden mit Marktwirtschaft und Nato schließen. Was bleibt dann noch übrig, von dem Mantra aller Linksparteipolitiker, dass die Linke die Friedenspartei bleibt? Tatsächlich würde eine solche Regierungsbeteiligung die letzten oppositionellen Elemente der Linkspartei tilgen.

Unterschiede zu Spanien und Griechenland

Dass wäre umso fataler, als es in Deutschland anders als in Spanien und Griechenland keine starke außerparlamentarische linke Opposition gab und gibt. Wie Nikolas Huke in seinen informativen Buch über die Krisenproteste in Spanien[9] darlegt, war dort der Aufstieg von linken Protestparteien eine Folge der Erschöpfung der außerparlamentarischen Bewegung.

Die Aktivisten brachten aber einen konfrontativen Politikstil auch in die neuen Parteien. Doch schon nach kurzer Zeit passten sich die Parteien den parlamentarischen Gepflogenheiten an.

Huke spricht trotzdem von „einem erfolgreichen Scheitern“, das die spanische Gesellschaft veränderte. Er meint damit, dass die Protestbewegung Menschen in ihren Alltagskämpfen am Arbeitsplatz und im Kampf gegen Zwangsräumungen ermutige. In Deutschland gibt es bisher nur wenig Ansätze solcher emanzipatorischer Selbstermächtigung.

Wie werden aus individualisierten Niedriglöhnern selbstbewusste Lohnabhängige?

Dem Co-Vorsitzenden der Linken Bernd Rixinger ist zuzustimmen, wenn er in einem Beitrag für die Wochenzeitung Kontext über die Gründe des gegenwärtigen Rechtsrucks schreibt[10]:

Die Ursache dafür, dass es überhaupt ein gesellschaftliches Klima geben konnte, in dem man den Höckes und Petrys plötzlich zuhört, ist das Ergebnis einer Politik, die aus selbstbewussten Kumpels erpressbare Lohnarbeiter gemacht hat, die Niedriglöhner gegen Erwerbslose ausspielt, die soziale Spaltung befeuert und statt die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, Menschen zu hoch flexibilisierten Individualisten trimmt, die allein verantwortlich für ihr Schicksal und ihr Scheitern sein sollenBernd Rixinger

Bernd Rixinger

Der Linken-Vorsitzende hätte nur noch fragen müssen, wo seine Partei mehr dazu tun kann, dass aus flexibilisierten Lohnabhängigen wieder selbstbewusste kämpferische Lohnabhängige werden, die aus der Tradition der Arbeiterbewegung lernen können, ohne deren Pathos der Arbeit zu übernehmen.

Solange eine Linke innerhalb und außerhalb des Parlaments dazu nicht in der Lage ist, können AfD oder andere Rechte Erfolge verbuchen. Daher könnte ein neuer linksreformistischer Block, zu den ein Taz-Kommentator sogar die neue FDP zählt[11], in zweierlei Hinsicht einen Rechtsruck bedeuten. Zunächst werden die letzten transformatorischen Ansätze bei der Reformlinken über Bord geworfen und AfD und Co. können sich als die einzige Kraft gerieren, die die Gesellschaft noch verändern will.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49483/2.html

Anhang

Links

[1]

https://www.uhl-csu.de/

[2]

http://www.deutschlandfunk.de/csu-politiker-uhl-im-verhaeltnis-der-waehler-zu-den.694.de.html?dram:article_id=366278

[3]

http://www.sz-online.de/sachsen/besorgte-buerger-t67.html

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Patzelt-Pegida-Erklaerer-oder-versteher-2542334.html

[5]

https://www.facebook.com/atticusdresden/posts/1227743873965416:0

[6]

http://wjpatzelt.de/?p=965

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49339/

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/rot-rot-gruen-wagenknecht-ermuntert-gabriel-zu-machtwechsel.447.de.html?drn:news_id=658126

[9]

https://www.edition-assemblage.de/krisenproteste-in-spanien/

[10]

http://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/285/kein-herz-fuer-reiche-und-rechte-3867.html

[11]

http://www.taz.de/!5337177

Erst herrscht Ruhe im Land

Die Probleme bei Blockupy sind auch die Probleme der Krisenproteste auf europäischer Ebene

„Gemeinsam kämpfen gegen Rassismus und Soziabbau“ lautete das Motto eines Transparents, das zwei Aktivsten am 2. September an der Fassade des Berliner Hauptbahnhofs angebracht hatten. Sie wurden dafür kurzzeitig festgenommen[1].

„Erst herrscht Ruhe im Land“ weiterlesen

Berlin-Blockade, zweiter Versuch


Manche verfassen bereits Nachrufe auf das »Blockupy«-Bündnis. Dieses ruft indessen zu einem Aktionswochenende in Berlin auf.

Ende Juli machte eine merkwürdige Reisegruppe mit Koffern und Kartons kurzzeitig Halt vor dem Bundesarbeitsministerium. »Blockupy zieht nach Berlin« hieß das Motto der Veranstaltung, die bei einigen Linken jedoch für Spott sorgte. Schließlich war das »Blockupy«-Bündnis hauptsächlich für drei politische Großdemonstrationen und -blockaden in Frankfurt am Main bekannt, die die Polizei mit Großeinsätzen be­endete, und nicht für Polittheater. Die »Blockupy«-Aktion 2015 war mit einer in den vergangenen Jahren in Deutschland eher ungewöhnlichen linken Militanz verbunden. Deshalb waren manche überaus verwundert, dass die Organi­satoren des Bündnisses mit einem im Vergleich zu den Ereignissen des vergangenen Jahres harmlosen Auftritt ihren Einstand in Berlin gaben.

Ob »Blockupy« auch in Berlin für Protest mit so viel Herz sorgen wird wie hier in Frankfurt im März 2015?

Ob »Blockupy« auch in Berlin für Protest mit so viel Herz sorgen wird wie hier in Frankfurt im März 2015? (Foto: Action Press / NurPhoto / Rex / Markus Heine)

Für den 27. August hatten sich einige Unterstützer von »Blockupy« anlässlich des Tags der offenen Tür der Bundes­regierung erneut das Bundesarbeitsministerium für eine Protestaktion ausgesucht. Sie entrollten ein Transparent mit der Parole »Exit Fortress Europe, Austerity, Capitalism – Blockupy 2.9. Berlin«. Damit machten sie auf den bundesweiten Aktionstag am Freitag aufmerksam. Wie schon anlässlich der Demonstrationen und Blockaden in Frankfurt müssen die Teilnehmer auch in Berlin früh aufstehen. Bereits ab 7.30 Uhr wollen sie vom Potsdamer Platz und vom Gendarmenmarkt aus zur Blockade des Arbeitsministeriums aufbrechen.

Mit der Wahl dieses Ziels richtet das Bündnis seine Kritik unter anderem auf die Austeritätspolitik, die im Wesentlichen von Deutschland ausgeht. »Wir glauben, es ist dringend an der Zeit, das Lager der Solidarität im Zentrum des europäischen Kapitalismus sichtbar werden zu lassen und hier gemeinsam die vermeintliche Alternativlosigkeit der neoliberalen Mitte anzugreifen – bevor nationale ›Lösungen‹ in Gesetzen, in Parlamenten und auf der Straße überhand nehmen«, heißt es in dem zentralen Aufruf. In einem Text zur »Feministischen Intervention« wird an den Druck erinnert, der durch die in Deutschland vorangetriebenen Hartz-Reformen auch europaweit auf die ­Bereiche der sozialen Reproduktion ausgeübt wird. »Was im politischen Labo­ratorium Deutschland erfolgreich getestet wurde, soll nun als Exportschlager allen anderen europäischen Ländern aufgezwungen und in Deutschland weiter verschärft werden«, heißt es dort. Die Verfasserinnen und Verfasser erinnern daran, dass besonders alleiner­ziehende Frauen von Armut betroffen sind.

Die geplante Blockade ist dabei nur der Auftakt eines Aktionswochenendes. Am 3. September ruft ein Bündnis unter dem Motto »Aufstehen gegen rechts« zum Protest gegen den Aufstieg der AfD auf. Die Beteiligung von Grünen und SPD an dieser Demonstration ruft nicht nur Freude hervor. »Vom pragmatischen Antihumanismus von SPD, Grünen und CDU zur authentischen Menschenfeindlichkeit einer Frauke Petry und eines Björn Höcke ist es nur ein kleiner Schritt«, heißt es in einem Aufruf des Blocks »Nationalismus ist keine Alternative«, der vom kommunistischen Bündnis »Ums Ganze« getragen wird. Dort wird auch »Sahra Obergrenze Wagenknecht« als ein Beispiel dafür benannt, wie parlamentarische Linke den Rassismus entschuldigen oder sogar forcieren.

»Mit der geplanten Blockade des Bundesarbeitsministeriums wollen wir deutlich machen, dass die jüngsten Hartz-IV-Verschärfungen von den Intentionen her das umsetzen, was auch die AfD fordert«, sagt Klaus Steinle von der Berliner »Blockupy«-Plattform der Jungle World. »Denn mit den Arbeitsmigranten aus EU-Ländern und den Alleinerziehenden werden genau die Gruppen noch einmal schlechter gestellt, die auch im Visier der Rechtspopulisten stehen«, betont Steinle. Er erwartet eine dreistellige Teilnehmerzahl. Hannah Schuster, Pressesprecherin von »Blockupy«, sieht in dem Aktionswochenende mehr als ein Event. »Es geht um den Versuch, ein linkes Projekt, einen linken Pol zu bilden, der die soziale Frage und Antirassismus offensiv zusammenführt«, sagt sie. Darüber soll am 4. September auch auf einem bundesweiten Aktionstreffen in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Berliner Mehringplatz beraten werden.

Das »Blockupy«-Bündnis muss derzeit auch gegen seine mediale Dar­stellung ankämpfen. Denn stellenweise werden schon Nachrufe verfasst. So sieht der Taz-Redakteur Martin Kaul in dem Aktionswochenende den »Abschluss eines einst erfolgreichen Bündnisses«, das seinen Glanz verloren habe. Dass selbst die rechte Boulevardpresse vor der geplanten Ministeriumsblockade keine Schreckensmeldungen über drohende Gewalt verbreitet, zeigt, dass das Bündnis auf der Gegenseite nicht mehr ernst genommen wird. Niemand scheint zu erwarten, dass am kommenden Wochenende Berlin lahmgelegt wird wie Frankfurt die drei Jahre zuvor. Das liegt vor allem an der Rat­losigkeit der Krisenprotestbewegung auf europäischer Ebene. »Bisher gibt es keine wirksame emanzipatorische Antwort auf die europäische Krise«, heißt es im Aufruf von »Nationalismus ist keine Alternative«.

Der Politologe Nikolai Huke hat kürzlich im Verlag Edition Assemblage unter dem Titel »Krisenproteste in Spanien« ein Buch veröffentlicht, in dem er detailliert aufzeigt, wie die verschiedenen gewerkschaftlichen und sozialen Protestbewegungen in den vergangenen fünf Jahren an ihre Grenzen gestoßen sind. Dabei weist Huke auch nach, dass es nicht Parteien wie Podemos waren, die den sozialen Protestbewegungen ihre politische Kraft genommen haben. Vielmehr profitierten solche neuen Parteien von der Erschöpfung des außerparlamentarischen Protestzyklus. Podemos brauchte Huke zufolge gar nicht an die Regierung zu kommen, um zu verdeutlichen, dass der Anspruch einer ganz anderen Politik bereits gescheitert ist. Trotzdem kommt der Autor zu dem gar nicht so pessimistischen Schluss, dass es den unterschiedlichen Bewegungen, aber auch der neuen linken Partei in Spanien gelang, »in diesem Prozess kleine Erfolge zu erzielen, die durch ihr erfolgreiches Scheitern die spanische Gesellschaft grundlegend veränderten«. Huke hat diese These auch am Beispiel der Bewegung gegen die Zwangsräumungen und der jahrelangen Kämpfe im Bildungs- und Gesundheitsbereich gut belegt. In diesen Sektoren führten Beschäftigte teilweise lang anhaltende Arbeitskämpfe, aber meist ohne die bisher dominierenden Gewerkschaften.

Auch das »Blockupy«-Netzwerk hat in den vergangenen Monaten verstärkt das Augenmerk auf Arbeitskämpfe in Bereichen gerichtet, die bisher kaum gewerkschaftlich organisierbar waren. Anfang Oktober 2015 fand in Poznan unter dem Motto »Dem transnationalen Streik entgegen« eine europaweite Konferenz statt (Jungle World 42/15). Im Oktober wird es in Paris erneut eine Konferenz zum selben Thema geben, auf der auch die jüngsten Erfahrungen mit den Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen in Frankreich einfließen sollen. Am 1. März 2016 gab es erstmals in mehreren europäischen Ländern zugleich Aktionen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse (Jungle World 8/16). Wenn das Protestbündnis diese Orientierung weiterverfolgt, könnte der Begriff Krisenproteste eine neue Bedeutung bekommen: Es ginge dann nicht mehr um die Banken und die Börse, sondern um die alltägliche Krise der prekär Beschäftigten im Kapitalismus.

http://jungle-world.com/artikel/2016/35/54762.html

von Peter Nowak