„Demnächst passiert hier sicher ein Anschlag“

Der auch der eigenen Partei umstrittene AfD-Abgeordnete Marcus Pretzell[1] war der Klassenstreber bei der Verurteilung von Migranten und Merkel nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Als offiziell noch alle von einem ungeklärten Geschehen schrieben, twitterte[2] der rechte Europaabgeordnete unter dem Hashtag „Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei auf? Es sind Merkels Tote.“ (vgl. Berliner Weihnachtsmarkt: Ein Anschlag oder ein Unfall?[3])

Die darauf folgende rituelle Kritik und Empörung[4] war da von Pretzell schon einkalkuliert und sorgte nur dafür, dass seine wenige Zeilen noch bekannter wurden. Denn Pretzell drückt hier nur, noch recht gemäßigt, aus, was in rechten Kreisen so gedacht wird.

Dort wartete man schon lange auf einen solchen Anschlag in Deutschland und der AfD-Politiker dürfte sich seine Zeilen schon im Vorfeld für alle Fälle zurecht gelegt haben. Man muss nur an den Anschlag des faschistoiden Amokläufers in München[5] erinnern, der als Anhänger des norwegischen Nazis Brevik ein Blutbad plante. In rechten Kreisen war die Enttäuschung groß, dass es sich nicht um den lang erwarteten Anschlag der Islamisten handelte. Selbst als der rechte Hintergrund des Münchner Amokläufers nicht mehr zu leugnen war, versuchten die Rechten[6] ihre Version zu retten.

Die rechtskonservative Junge Freiheit zitiert sich gleich selber, bzw. einen von ihr beauftragten Undercover-Journalisten, der sich in eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Tempelhof begeben hatte und angeblich zur Einschätzung kam[7]: „Demnächst passiert hier sicher ein Anschlag.“

Dabei fällt auf, dass dieser Satz mal als Zitat eines syrischen Migranten angeführt und dann wieder ebenfalls in Anführungszeichen in indirekter Rede formuliert ist. Das kann ein verzeihlicher Fehler in der redaktionellen Eile sein. Es zeugt aber auch vom Bemühen, besonders schnell in die Öffentlichkeit hinauszuposaunen, dass man es ja schon immer gewusst habe.

Dass die Polizei eben noch erklärte, der Einsatz in der Migrantenunterkunft auf dem Tempelhofer Feld habe nichts mit dem Anschlag am Weihnachtsmarkt zu tun und obwohl die Zweifel wachsen, dass der festgenommene Migrant überhaupt etwas mit dem Anschlag zu tun hat, spielen in der Berichterstattung der rechten Zeitung keine Rolle.

Für Zweifel ist auch beim CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer wenige Stunden nach dem Anschlag kein Platz. Er wiederholt nur, was er seit Monaten fordert, eine Neujustierung der Einwanderungspolitik,[8] und hat nur die Begründung nach dem Anschlag aktualisiert.

Sein Parteifreund Hans Peter Uhl unterstützt Seehofer darin und bringt im Interview mit dem Deutschlandfunk[9] ein weiteres Lieblingsthema in die Debatte.

Sicherheit fällt doch nicht vom Himmel. Sicherheit muss dauerhaft ganzjährig erarbeitet werden von den Fachleuten. Und wenn es Länder gibt wie Griechenland, die versprochen haben, unsere Sicherheit dadurch zu gewährleisten, dass sie die Außengrenzen sichern, und wenn dieses Land Griechenland in einem unverantwortlichen Amnestiegesetz eine Vielzahl von Schwerverbrechern entlässt, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, als Flüchtling nach Deutschland zu kommen, dann sind das doch Dinge, die man korrigieren muss. Das heißt, ein Land wie Griechenland gehört aus dem Schengen-Raum vorübergehend ausgeschlossen.

Hans Peter Uhl

Nun kann man sicher viele Interviews finden, in denen der Rechtskonservative Uhl gegen die Linkssozialdemokraten von Syriza agiert. Dass die griechische Regierung nun auch noch entgegen des von Deutschland ausgehenden Austeritätsdiktats die griechischen Rentner nicht noch weiter belasten will, dürfte die Sympathien nicht erhöht haben.

Dass nun aber der Politiker einer deutschen Regierungspartei der Regierung eines EU-Mitglieds vorwirft, Schwerverbrecher freizulassen und deutlich macht, dass das Land keinesfalls in die EU gehört, ist schon ein besonderes Beispiel für deutschnationale Geschichtsvergessenheit.

Schließlich hat Deutschland schon wenige Jahre nach dem Ende des NS großen Druck auf die griechische Regierung gemacht, dass NS-Verbrecher[10], die viele Menschen ermordet hatten[11], freigelassen werden. Da werden sich manche in Griechenland noch an die Berliner Diktate und ihre blutigen Folgen vor 1945 erinnern und man hat den Eindruck, dass Uhl und Co. Griechenland noch immer ihre überaus erfolgreiche Partisanenaktivitäten übel nehmen.

So wird dann schon mal von Uhl der Berliner Anschlag instrumentalisiert, um das Ressentiment gegen Griechenland ausleben zu können. Gerade in der nachrichtenarmen Zeit um Weihnachten werden sich auch weitere Politiker aller Parteien die Chance nicht entgehen lassen, auch mitzuspielen beim populistischen Spiel, wie schaffe ich es, den Anschlag für die eigene Partei und die eigene Politik zu vereinnahmen.

Dabei können sie sich der Rückendeckung von der rechtskonservativen polnischen Regierung ebenso erfreuen wie vom designierten US-Präsidenten Trump. Der sprach im Gleichklang mit den rechten Medien schon kurz nach dem Anschlag von einem islamistischen Anschlag, während die Berliner Polizei und auch viele Medien zunächst von einem Unfall bzw. später von einem mutmaßlichen Anschlag sprachen.

Für besondere Häme sorgte in den Kreisen der Sofort-Bescheidwisser ein Beitrag in der Taz[12], wo es zunächst hieß, ein LKW habe die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt getötet. Später wurde die Zeile dann dahingehend korrigiert, dass eben der LKW in die Menge raste. Nun gibt es da eigentlich für diese Häme keinen Grund.

Denn die Taz hat sich mit ihrer Berichterstattung an die Ratschläge der Polizei von Montagabend gehalten, sich aller Spekulationen enthalten, und nur berichtet, was gesichert war. Zu dem Zeitpunkt der Taz-Schlagzeile war eben nur bekannt, dass ein LKW in die Menge gerast war. Ob es sich um einen Unfall oder einen Anschlag handelte oder ob ein noch völlig unbekannter Kontext hinter dem Geschehen steht, ist selbst am Dienstagnachmittag noch nicht ganz klar.

Dass bei der schnellen Produktion der Online-Texte auch etwas missverständliche Formulierungen zu verzeichnen sind, ist wohl nicht verwunderlich. Nur ist der zitierte Beitrag der Jungen Freiheit – wo das Bestreben, dem Ressentiment gegen Migranten Recht zu geben, so groß ist, dass sogar eine indirekte Rede als Zitat gekennzeichnet wird – auf jeden Fall journalistisch weniger zu rechtfertigen als die Taz-Schlagzeile, die eben nur widergibt, was zum Zeitpunkt des Verfassens bekannt war.


Doch die Rechten können triumphieren, wenn sie stolz vermelden, sie haben schon unmittelbar nach dem Anschlag vom islamistischen Anschlag gesprochen – wie auch Trump -, die „Systemmedien“ hätten dagegen erst Stunden später nachgezogen. Dabei zeigt dies nur, dass es ihnen egal ist, was die Ermittlungen ergeben, dass sie die konkreten Tatsachen nicht interessieren.

Sie haben schon lange auf den großen islamistischen Anschlag in Deutschland gewartet, sahen sich bereits in München am Ziel und mussten zurückstecken. Doch das war ihnen keine Lehre. Denn Ressentiments sind nicht Fehler und Versäumnisse, die korrigiert werden können. Wenn sie nun einmal Recht behalten, stimmen sie ein umso lauteres Triumphgeschrei an und machen alle nieder, die tatsächlich an den Ermittlungen der tatsächlichen Ereignisse interessiert sind.

Doch auch Liberale und Linke müssen selbstbewusster sein, ohne ihre Linie aufzugeben, sich an die Tatsachen zu halten und Vorverurteilungen zu vermeiden. Sie müssten sagen, wenn es kein Unfall, sondern ein bewusst herbeigeführtes Ereignis war, dann war es ein Akt des faschistischen Terrors, egal wer die Täter waren.

Ob es Islamfaschisten, Brevik- oder Hitler-Anhänger waren, ist für die Ermittlungen wichtig. Für die politische Beurteilung aber sind es verschiedene Spielarten des Faschismus, die bei allen Unterschiedlichkeiten eines eint: Sie sollen Terror und Schrecken bei allen Menschen erzeugen. Alle Menschen sollen an jedem Ort und zu jeder Zeit in Gefahr sein. Und all die unterschiedlichen Faschisten verehren den Tod und hassen das Leben.

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[3] https://www.heise.de/tp/features/Berliner-Weihnachtsmarkt-Ein-Anschlag-oder-ein-Unfall-3576433.html
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-cem-oezdemir-kritisiert-marcus-pretzell-fuer-tweet-a-1126698.html
[5] http://www.heise.de/tp/features/Muenchen-Massenmord-aus-Auslaenderfeindlichkeit-3287743.html
[6] https://juergenelsaesser.wordpress.com/2016/07/23/muenchen-amoklauf-einzeltaeter-nix-mit-dem-islam-zu-tun-wollt-ihr-uns-verarschen/
[7] https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2016/demnaechst-passiert-hier-sicher-ein-anschlag/
[8] https://www.merkur.de/politik/nach-berlin-schock-csu-chef-horst-seehofer-will-zuwanderungs-politik-neu-justieren-zr-7142386.html
[9] http://www.deutschlandfunk.de/hans-peter-uhl-csu-zu-berlin-anschlag-sicherheit-faellt.694.de.html?dram:article_id=374423
[10] https://sites.google.com/site/geokerk/thetrialofmaxmerteninthechangingmirrorsoftimeandplace
[11] http://www.trend.infopartisan.net/trd7800/t537800.htm
[12] http://www.taz.de/Weihnachtsmarkt-in-Berlin/!5368077/

Das Fehlen einer linken Opposition


Ohne irgendwo zu regieren, bewirkt die AfD einen gesellschaftlichen Rechtsruck

Die Menschen haben die Bilder noch vor Augen, wie ein Zug von Tausenden von illegalen Migranten, angeführt von einem Polizeifahrzeug, über die Wiesen ins Land reingehen. Das sind die Bilder, die in den Köpfen sind.

Es war kein Politiker der AfD, der am Tag nach der Berlinwahl dieses Statement abgegeben hat. Nein, der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl[1] hat im Deutschlandfunk-Interview[2] Bilder heraufbeschworen, die im Umfeld von Pegida verbreitet wurden und zum Aufstieg der AfD beigetragen hatten.

Unter dem Schlagwort „Das entgrenzte Deutschland muss beendet werden“, versuchte Uhl den Grundsatz seines politischen Ziehvaters Franz Joseph Strauß umzusetzen, wonach man rechts von der Union keine Partei aufkommen lässt, indem man deren Positionen mit übernimmt. Uhl konnte bei dem Interview gleich dokumentieren, wie gut das klappt. So erklärte er: „Die Menschen müssen wieder Vertrauen haben, dass wir eine Grenze ziehen

Hätte ein AfD-Politiker ähnliches von sich gegeben, wäre er sicher gefragt worden, ob er im Ernstfall auf Geflüchtete schießen lassen würde, um die Grenze zu sichern. Uhl wurde die Frage nicht gestellt.

Aufwind für rechte Positionen

Gönnerhaft erklärte Uhl, dass Merkel das Reizwort Obergrenze nicht aussprechen muss. Dafür muss sie aber „die Begrenzung, die Grenzkontrolle, die Zurückweisung an der Grenze, sie muss alles, was Schutz an den deutschen Grenzen bedeutet und auch natürlich an den europäischen Außengrenzen, an den Binnengrenzen in der Europäischen Union, all diese Grenzkontrollen muss sie wollen“.

Wenn Uhl erklärt, man müsse sich mit dem Wähler versöhnen, dann meint er, dass man den Rechtspopulisten die Wähler abspenstig machen will, indem man deren Programm übernimmt. Wenn er dann, an die Moderation gewandt, erklärt: „Denn am konservativsten, Frau Heuer, ist immer das Volk und das Volk will Schutz und Sicherheit und das Volk hat derzeit nicht das Vertrauen in die regierenden Parteien, dass sie Schutz und Sicherheit gewähren“, dann könnte man genau jene Rehabilitation des Völkischen raus hören, für die AfD-Vorsitzende Frauke Petry kürzlich scharf kritisiert wurde.

Und wenn Uhl auf die Frage, was passiert, wenn Merkel unter solchen Prämissen gar nicht mehr zur Wahl antritt, erklärt: „Das ist ihre ganz höchst persönliche Entscheidung. Das kann ihr niemand abnehmen. Nur das Desaster muss ein Ende haben, dass die CDU von Wahl zu Wahl verliert“, dann liest sich das wie eine direkte Aufforderung an Merkel zurückzutreten.

Nicht einmal die kleinste Floskel, dass der CSU-Politiker trotz aller Differenzen weiter hinter Merkel stehe, wurde eingefügt. Hier wird deutlich, dass der AfD-Erfolg wie zuletzt in Berlin auch den Rechten in der Union Auftrieb gibt. Die Unzufriedenheit mit Merkel verleiht in und außerhalb des Parlaments jenen rechten Kreisen Aufwind, die Merkel Verrat an alten konservativen Werten vorwerfen und eine stärker nach rechts orientierte Agenda fordern.

Mit jeder neuen Wahlniederlage werden die Angriffe von dieser Seite stärker. Teile der SPD und auch die FDP, die sich laut Diktion ihres Vorsitzenden Lindner wieder in den Bundestag schleicht, wollen von der Stimmung gegen Merkel profitieren.

Merkel rückt symbolisch nach rechts

Die Kanzlerin hat schon darauf reagiert und versucht sich in den letzten Tagen mit deutschnationalen Sprüchen in der Art von „Deutschland wird Deutschland bleiben“ – sowie mit einer halben Distanzierung von ihrer „Wir schaffen das“- Rhetorik, um bei ihrer eigenen Basis und der CSU-Führung für Entspannung zu sorgen.

Die CSU reagierte darauf mit hämischem Lob, das Merkel signalisiert: „Na, es geht doch. Langsam übernimmt sie unsere Linie.“

Diese Auseinandersetzung spielt sich auf einer symbolischen Ebene ab. Dort ist es oft besonders schwierig, sich davon zu verabschieden. Schließlich bekam Merkel gerade wegen dem „Wir schaffen das“-Spruch Unterstützung im liberalen und linken Lager. Doch inhaltlich sind die Positionen längst nicht so weit entfernt.

Schließlich wurden in den letzten Monaten mehrmals die Flüchtlingsgesetze verschärft. Die Zahl der angeblich sicheren Drittstaaten hat zugenommen und vor allem Roma aus Ostereuropa wurden in den letzten Monaten vermehrt abgeschoben. Ein Protest der Betroffenen am Denkmal für die im NS verfolgten und ermordeten Roma wurde von der Polizei schnell beendet. Könnte doch ein solcher Protest am geschichtlichen Ort manche Kontinuitäten aufzeigen, von denen das wieder erstarkte Deutschland nichts wissen will.

In der praktischen Politik der Flüchtlingsabwehr sind sich Merkels Anhänger und Kritiker also weitgehend einig. Es geht bei dem Streit um die Frage, wie man die Politik nach außen präsentiert. Will man eher ein tolerantes und weltoffenes Deutschland suggerieren, wie es Merkel und ein Großteil der exportorientierten Industrie vertritt oder soll sich das Land nicht vielmehr die Flüchtlingsabwehr zum Markenkern machen? Das sind im Wesentlichen die Fragen, über die seit letztem Herbst in der Union gestritten wurde.

Der Rechtsruck drückt sich auch an der Debattenkultur in Deutschland aus

„Besorgte Bürger“ heißt die Überschrift einer Kolumne in der Sächsischen Zeitung[3], bei der sich der als Pegida-Erklärer bekannt gewordene[4] Dresdner Politologe Werner Patzelt mit einen anderen Kommentator abwechselt Der zivilgesellschaftliche Blog Atticus warf ihm vor[5], in einem Kommentar Goebbels-Zitate und Nazivergleiche verwendet zu haben.

In der vergangenen Freitagsausgabe (16.09.) der Sächsischen Zeitung stellte Herr Prof. Dr. Patzelt von der TU Dresden in der Kolumne „Besorgte Bürger“ bedenkliche Vergleiche der Weltkriegsjahre ab 1914 und 1939 und unserer heutigen Zeit an. Damals wie heute würden Andersdenkende ausgegrenzt. Darin sieht Herr Patzelt eine Parallele zwischen den Gegnern des Nationalsozialismus und den heutigen Rechtspopulisten und betont im Umgang mit beiden gar eine Art „kulturelle Kontinuität“.Blog Atticus

Blog Atticus

Patzelt reagierte mit einer ausführlichen Antwort[6]. Es zeigt sich auf vielen Ebenen, dass die AfD-Erfolge den politischen Diskurs nach rechts verschieben, ohne dass sie irgendwo mitregiert. Allein die Tatsache, dass sie als die eigentliche Opposition wahrgenommen wird, die eine andere Republik will, sorgt dafür, dass sich Politiker, Medien und Öffentlichkeit mit den Thesen der AfD befassen.

Rechtsaußen in der Union wie Uhl bekommen durch einen AfD-Erfolg mehr Freiraum für ihre Thesen, natürlich noch mit der Erklärung, es gelte die AfD überflüssig zu machen. Sollte das in absehbarer Zeit nicht gelingen, wird in der Union eine Diskussion um die Kooperation mit der AfD beginnen. Einige Politiker aus der zweiten Reihe haben schon erste Testballons aufsteigen lassen (Wann wird es erste Bündnisse zwischen AfD und Union geben?[7]).

Einbeziehung der Parlamentslinken in die Regierung

Der AfD-Erfolg hat auch bei der parlamentarischen Linken einen Effekt, der einen Rechtsruck darstellt, auch wenn er als Linksruck gehandelt wird. Seit der Wahl in Berlin ist ein Projekt wieder im Aufwind, um das sich seit fast zwei Jahrzehnten Sozialdemokraten in den unterschiedlichen Parteien bemühen: eine Regierung links von der Union.

Nun ist zumindest Sahra Wagenknecht aufgefallen, dass rein rechnerisch eine solche parlamentarische Mehrheit im aktuellen Bundestag bestünde. Sie forderte[8] den SPD-Vorsitzenden Gabriel auf, noch vor der nächsten Bundestagswahl die rechnerische zu einer realen Mehrheit werden zu lassen.

Es gebe dafür sogar schon einen Fahrplan. Im nächsten Jahr stehen Wahlen im wichtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen an. Sollten dort die drei Parteien der Reformlinken passabel abschneiden und die Union viele Stimmen an die AfD verlieren, könnte Gabriel einen der vielen Streitpunkte in der großen Koalition zum Anlass nehmen, aus der Regierung auszuscheiden und sich dann im Parlament zum Kanzler wählen zu lassen.

Dieser Paukenschlag würde, so die Hoffnung nicht nur von Wagenknecht, genügend Rückenwind für eine Mehrheit der Reformlinken im nächsten Bundestag geben. Der Fahrplan hört sich nicht schlecht an. Tatsächlich würde durch einen vorzeitigen Regierungswechsel der Eindruck erweckt, dass es bei den Wahlen tatsächlich um eine Richtungsentscheidung ginge.

Doch um welche Alternativen ginge es tatsächlich, in einem Land, in dem sich die Politik schon längst zugunsten der Wirtschaft selbst entmachtet hat? Welches Reformprogramm hofft Wagenknecht mit einem Kanzler Gabriel und einer neoliberalen Grünen Partei umzusetzen, die sich vielleicht lieber mit Kretschmann auf den Weg zu Schwarz-Grün machen will?

Erst zu Wochenbeginn hat Gabriel bei der Durchsetzung der CETA-Verträge in der eigenen Partei gezeigt, dass er ganz in der Tradition der SPD seit spätestens 1914 steht, die nie etwas beschließen wird, dass die Märkte und das Kapital verärgern könnte. Und wie hofft Wagenknecht neue Akzente in der Sozialpolitik zu setzen, wo aktuell die Bundesarbeitsministerin Nahles sich für angeblich sozialdemokratischen Akzente feiern lässt, bei der viele Erwerbslose und Migranten schlechter gestellt werden?

Ganz ausgeblendet wird zudem der gesamte Komplex der Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei müsste die Linkspartei als Preis für eine Teilhabe an der Regierung auch offiziell ihren Frieden mit Marktwirtschaft und Nato schließen. Was bleibt dann noch übrig, von dem Mantra aller Linksparteipolitiker, dass die Linke die Friedenspartei bleibt? Tatsächlich würde eine solche Regierungsbeteiligung die letzten oppositionellen Elemente der Linkspartei tilgen.

Unterschiede zu Spanien und Griechenland

Dass wäre umso fataler, als es in Deutschland anders als in Spanien und Griechenland keine starke außerparlamentarische linke Opposition gab und gibt. Wie Nikolas Huke in seinen informativen Buch über die Krisenproteste in Spanien[9] darlegt, war dort der Aufstieg von linken Protestparteien eine Folge der Erschöpfung der außerparlamentarischen Bewegung.

Die Aktivisten brachten aber einen konfrontativen Politikstil auch in die neuen Parteien. Doch schon nach kurzer Zeit passten sich die Parteien den parlamentarischen Gepflogenheiten an.

Huke spricht trotzdem von „einem erfolgreichen Scheitern“, das die spanische Gesellschaft veränderte. Er meint damit, dass die Protestbewegung Menschen in ihren Alltagskämpfen am Arbeitsplatz und im Kampf gegen Zwangsräumungen ermutige. In Deutschland gibt es bisher nur wenig Ansätze solcher emanzipatorischer Selbstermächtigung.

Wie werden aus individualisierten Niedriglöhnern selbstbewusste Lohnabhängige?

Dem Co-Vorsitzenden der Linken Bernd Rixinger ist zuzustimmen, wenn er in einem Beitrag für die Wochenzeitung Kontext über die Gründe des gegenwärtigen Rechtsrucks schreibt[10]:

Die Ursache dafür, dass es überhaupt ein gesellschaftliches Klima geben konnte, in dem man den Höckes und Petrys plötzlich zuhört, ist das Ergebnis einer Politik, die aus selbstbewussten Kumpels erpressbare Lohnarbeiter gemacht hat, die Niedriglöhner gegen Erwerbslose ausspielt, die soziale Spaltung befeuert und statt die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, Menschen zu hoch flexibilisierten Individualisten trimmt, die allein verantwortlich für ihr Schicksal und ihr Scheitern sein sollenBernd Rixinger

Bernd Rixinger

Der Linken-Vorsitzende hätte nur noch fragen müssen, wo seine Partei mehr dazu tun kann, dass aus flexibilisierten Lohnabhängigen wieder selbstbewusste kämpferische Lohnabhängige werden, die aus der Tradition der Arbeiterbewegung lernen können, ohne deren Pathos der Arbeit zu übernehmen.

Solange eine Linke innerhalb und außerhalb des Parlaments dazu nicht in der Lage ist, können AfD oder andere Rechte Erfolge verbuchen. Daher könnte ein neuer linksreformistischer Block, zu den ein Taz-Kommentator sogar die neue FDP zählt[11], in zweierlei Hinsicht einen Rechtsruck bedeuten. Zunächst werden die letzten transformatorischen Ansätze bei der Reformlinken über Bord geworfen und AfD und Co. können sich als die einzige Kraft gerieren, die die Gesellschaft noch verändern will.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49483/2.html

Anhang

Links

[1]

https://www.uhl-csu.de/

[2]

http://www.deutschlandfunk.de/csu-politiker-uhl-im-verhaeltnis-der-waehler-zu-den.694.de.html?dram:article_id=366278

[3]

http://www.sz-online.de/sachsen/besorgte-buerger-t67.html

[4]

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Patzelt-Pegida-Erklaerer-oder-versteher-2542334.html

[5]

https://www.facebook.com/atticusdresden/posts/1227743873965416:0

[6]

http://wjpatzelt.de/?p=965

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49339/

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/rot-rot-gruen-wagenknecht-ermuntert-gabriel-zu-machtwechsel.447.de.html?drn:news_id=658126

[9]

https://www.edition-assemblage.de/krisenproteste-in-spanien/

[10]

http://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/285/kein-herz-fuer-reiche-und-rechte-3867.html

[11]

http://www.taz.de/!5337177