Nicht mitmachen beim Angriff auf das Streikrecht

ver.di- und IG Metall-Mitglieder debattieren zur Gesetzesinitiative »Tarifeinheit«

Der Bremer Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler berät seit Jahren Betriebsräte und Vertrauensleute juristisch und war auch schon öfter Gutachter für DGB-Gewerkschaften. Da musste es schon einen besonderen Grund haben, wenn er bei einer Veranstaltung des ver.di-Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie des Landesbezirks Berlin-Brandenburg in der Berliner Verwaltungsstelle
der IG-Metall am 30. November 2010 gleich zu Beginn seines Referats betonte, dass ihn besonders freue, dass die Veranstaltung in diesen Räumen möglich ist. Schließlich war Däubler zu einem Vortrag über die Gesetzesinitiative des DGB und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zur sogenannten Tarifeinheit eingeladen worden, die gewerkschaftsintern für große Kontroversen sorgt. Danach soll in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die die meisten
Mitglieder hat. Alle anderen Beschäftigtenorganisationen müssten sich während der Laufzeit dieses Vertrages an die Friedenspflicht halten und dürfen nicht dagegen streiken. Viele Gewerkschafter sehen darin einen Angriff auf das Streikrecht und
sind empört, dass die DGB-Gewerkschaften dabei Hilfestellung leisten. Constanze Lindemann vom ver.di- Fachbereich Medien, Kunst und Industrie bekam viel Zustimmung für ihre Kritik, dass die Initiative ohne innergewerkschaftliche Debatte von den Gewerkschaftsvorständen in die Wege geleitet worden ist. Danach lieferte Däubler den Kritikern der Tarifeinheitsinitiative eine Reihe Argumente. In rechtlicher Hinsicht sei sie kaum praktikabel, meinte er. Allein um die Stärke der Gewerkschaften
festzustellen, sei eine aufwändige bürokratische Prozedur nötig. Zahlreiche Rechtsstreitigkeiten seien schon jetzt vorhersehbar. Zudem gab der Arbeitsrechtler zu bedenken, dass vor allem in kleineren Betrieben die Gefahr bestehe, dass die Unternehmer ihnen genehme Organisationen förderten, die so zur stärksten Gewerkschaft werden, die Tarifpolitik bestimmen könnten, während ver.di oder eine andere DGB-Gewerkschaft nicht dagegen vorgehen könnte. Dieses Szenario ist nicht unrealistisch. Schließlich gibt es schon heute Betriebe, wo ver.di in der Minderheit ist.
Däubler hatte auch kein Verständnis für die Argumentation der Tarifeinheitsbefürworter im DGB. Vor allem die Furcht vor zu vielen Arbeitskämpfen, könnte er bei Gewerkschaftern überhaupt nicht nachvollziehen, zumal gerade Deutschland eines der streikärmsten Länder Europas ist. Dass eine zunehmende Zersplitterung der eschäftigtenvertretungen die Tarifpolitik auch für Gewerkschaften
schwieriger macht, leuchtet dem Arbeitsrechtler dagegen ein. Doch die Zuflucht zu administrativen Maßnahmen wie der Gesetzesinitiative werde garantiert die Sympathien der DGB-Gewerkschaften bei den Kollegen, die sich in anderen Organisatoren organisiert haben, bestimmt nicht fördern. Die seien erst wegen Versäumnissen und Fehlern der Gewerkschaftspolitik entstanden, weil den Beschäftigten, die in der Lage sind, einen Arbeitskampf zu führen, keine attraktiven Angebote gemacht wurden, um sie im DGB zu halten, monierte Däubler. Er bezeichnete die Beteiligung des DGB an der Tarifeinheitsinitiative als Schuss ins eigene Knie. Damit werde konservativen Kreisen Tür und Tor geöffnet, die schon lange das Streikrecht weiter einschränken wollen und beispielsweise ein obligatorisches Schlichtungsverfahren Arbeitskämpfen vorschalten wollen. Gewerkschafter haben historisch für die Ausweitung des Streikrechts gekämpft und sollten jetzt nicht denen die Hand reichen, die es einschränken  wollen, meinte Däubler unter dem Applaus der Zuhörer. Die etwa 80 anwesenden Mitglieder verschiedener Einzelgewerkschaften
unterstützten einstimmig eine Resolution zur Verteidigung des Streikrechts, in der es heißt: »Die zweifellos wichtige größtmögliche
Einheit unter den ArbeitnehmerInnen darf keine Sache staatlichen Zwanges werden, bei dem dann nicht mehr nach dem Sinn und Zweck dieser Einheit für die ArbeitnehmerInnen selbst gefragt wird, sondern Unternehmenswohl und Staatsräson im Vordergrund stehen.«

http://medien-kunst-industrie.bb.verdi.de/sprachrohr/#ausgaben-2011
Peter Nowak

IG Metall schließt aus

 Die Alternativen Metaller bei der Daimler Chrysler-AG in Kassel haben mit Ausschlussverfahren der IG-Metall-Spitze Erfahrung. Bereits kurz nach der Gründung 1990, aber auch nach den Betriebsratswahlen 1993 und 2002 wurden Mitglieder der linksgewerkschaftlichen Gruppe ausgeschlossen, weil sie mit einer eigenen klassenkämpferischen Liste zu den Betriebsratswahlen angetreten sind. Nun drohen Michael Fuchs, Mirko Berger und Udo Pusceddu, drei aktiven IG Metallern, aus dem gleichen Grund erneut Ausschlüsse. Im letzten Jahr erhielten bereits linke Gewerkschafter aus dem Daimler-Werk Berlin-Marienfelde wegen Eigenkandidaturen Funktionsverbote in der IG Metall und bei Daimler-Sindelfingen gab es deswegen Ausschlüsse.

 Immer sind kämpferische Gewerkschafter betroffen, weil sie in ihrem Betrieb umsetzen, was der zweite Vorsitzende der IG Metall 2008 einforderte: Angesichts verschärfter Angriffe der Unternehmer müsse in Zukunft mehr auf die »konfliktorische Auseinandersetzung« und die »direkte Beteiligung der Beschäftigten« gesetzt werden, erklärte er. Doch mit den Ausschlüssen werden aktive Kollegen, die auch auf Betriebsratsebene für eine Alternative zum Kurs des Co-Managements eintreten, sanktioniert und nicht ermuntert. Dabei kandidieren seit Jahren ohne Konsequenzen in Berliner und Hamburger Betrieben IG Metaller auf unterschiedlichen Betriebsratslisten.

Wie in den anderen Standorten sind auch in Kassel Proteste gegen die Sanktionen angelaufen. Anfang Februar gab es eine gut besuchte Solidaritätsveranstaltung mit den vom Ausschluss bedrohten Kollegen. Gewerkschafter aus dem gesamten Bundesgebiet haben einen Aufruf unter dem Motto »Gewerkschaftsausschluss von Metallern in Kassel verhindern« gestartet, der unter www.labournet.de/branchen/auto/dc/ks/ausschlussprotest1.pdf unterstützt werden kann.

Die kämpferischen Kollegen brauchen diese Solidarität auch gegen den Konzern. So dürfen die Alternativen Metaller Betriebszeitungen, die sie vor dem Fabriktoren verteilen, nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Kassel nicht ins Netz stellen. Gegen diese Zensur müsste auch die IG Metall schon in Eigeninteresse vorgehen, statt die Kollegen zu maßregeln.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/191273.ig-metall-schliesst-aus.html

Peter Nowak

Initiative wehrt sich gegen Hartz-IV-Poker

»Aktionsbündnis Sozialproteste« in Hannover
Das »Aktionsbündnis Sozialproteste«, in dem sich Erwerbslosengruppen und soziale Initiativen zusammengeschlossen haben, hatte am Sonnabend zu einem bundesweiten Treffen nach Hannover eingeladen. Über 30 Delegierte aus allen Teilen der Republik haben daran teilgenommen.
 
Foto: dpa
Der zentrale Tagesordnungspunkt des Treffens war das wochenlange Gezerre zwischen Bundesregierung und Opposition um die Hartz- IV-Sätze. Die Delegierten monierten, dass bei dem Hartz-IV-Poker die Betroffenen von Politikern und Medien fast völlig ignoriert werden. »Wie lange noch werden die Erwerbslosen den Politikern durchgehen lassen, dass sie über unsere Köpfe hinweg über unser Schicksal verhandeln«, hieß es in der Einladung zu dem Treffen.

Das Sozialbündnis will den Druck für ein existenzsicherndes Einkommen erhöhen und setzt sich für einen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde steuerfrei ein. Um diese Forderung durchzusetzen, ruft das Bündnis zur Beteiligung an dem vom DGB initiierten Aktionstag »Gegen Lohndumping und für sichere und faire Arbeit« am 24. Februar auf.

Das Mitglied des Koordinierungskreises im »Aktionsbündnis Sozialproteste« Edgar Schu würdigte gegenüber ND auch die Arbeit der Initiative »Krach schlagen statt Kohldampf schieben«. Sie hatte am 10. Oktober 2010 in Oldenburg eine bundesweite Erwerbslosendemonstration organisiert. Dadurch sei es gelungen, Bündnisse mit Teilen der Gesellschaft zu schließen, die sich bisher mit Themen wie Hartz IV wenig befasst haben. An diese Vorarbeit will das Aktionsbündnis mit der 10-Euro-Forderung anknüpfen.

Skeptisch äußerte sich Schu zu den in den letzten Wochen laut gewordenen Aufforderungen an die Erwerbslosen, sich mit einer Klagewelle einen höheren Hartz- IV-Satz zu erstreiten. Er warnt vor Illusionen. »Wir setzen eher auf Klassenkampf und gesellschaftlichen Druck als auf die Gerichte.«

Das Bündnis hat sich auf dem Hannoveraner Treffen für die Abschaffung sämtlicher Sonderregelungen für arbeitslose Flüchtlinge ausgesprochen. Sie dürfen beim Hartz-IV-Satz nicht schlechter als die anderen Erwerbslosen gestellt sein. Damit soll die Diskriminierung von Menschen ohne deutschen Pass auf diesem Sektor aufgehoben werden. Schu erinnert daran, dass die Schlechterstellung von Menschen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, schon in der Vergangenheit Modellcharakter gehabt hatte. Oft seien bei den Flüchtlingen Maßnahmen erprobt worden, die später auf weitere Gruppen von Erwerbslosen ausgeweitet worden sind.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/190849.initiative-wehrt-sich-gegen-hartz-iv-poker.html

Peter Nowak

Hartz IV-Debatte ohne die Betroffenen?

Das Pokern um die Hartz IV-Sätze geht weiter
Der Bundesrat setzt, nachdem über die Hartz-IV-Sätze keine Einigung erzielt werden konnte, auf den Vermittlungsausschuss. Nun soll also weiter zwischen Vertretern der Bundesregierung vermittelt werden. Doch wie regieren die Betroffenen?

Von den Erwerbslosen und ihren Verbänden war in der Debatte in den letzten Monaten auch bei den Kritikern des Regierungsvorschlags selten die Rede. So erklärte der Sozialexperte der Grünen Peter Kurth im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass es ihm bei seiner Kritik der Regierungsvorschläge um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehe. Von den zahlreichen Vorschlägen und Forderungen aus dem Spektrum der aktiven Erwerbslosen redet er nicht.

Am kommenden Samstag wird sich das bundesweite Aktionsbündnis Sozialproteste, in dem sich Erwerbslosengruppen und soziale Initiativen zusammengeschlossen haben, bei einem Treffen in Kassel mit dieser für sie unbefriedigenden Situation befassen. „Wie lange noch werden die Erwerbslosen den Politikern durchgehen lassen, dass sie über unsere Köpfe hinweg über unser Schicksal verhandeln“, heißt es in der Einladung.

Niemand der Aktiven erwartet in der nächsten Zeit Massenproteste von Erwerbslosen, wie es sie vor der Einführung von Hartz IV im Jahre 2004 gab. Aber die stärkere Koordinierung zurzeit laufender Initiativen soll Thema des Treffens in Kassel sein. Dazu gehört die Aktion „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“, die am letzten Oktober auf einer Demonstration in Oldenburg Premiere hatte und seitdem in verschiedenen Städten mit kleinerer Besetzung wiederholt wurde. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149261

Peter Nowak

Erwerbslosenarbeit nicht gemeinnützig?

Finanzamt Frankfurt am Main entzieht Verein die Förderungswürdigkeit
Das Frankfurter Finanzamt hält die Unterstützung von Arbeitslosen nicht für gemeinnützig und schneidet den Verein Zusammen e. V. so von Spendengeldern ab.
Ist Stadtteilarbeit, Beratung von Erwerbslosen und Unterstützung von migrantischen Jugendlichen für das Finanzamt Frankfurt am Main nicht förderungswürdig? Diese Frage stellen sich viele Nutzer des Vereins Zusammen e. V., der im August 2006 in dem Stadtteil Rödelheim mit dem Ziel gegründet wurde, die sozial benachteiligten Bewohner über ihre Rechte zu informieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Die vom Verein initiierte Kampagne gegen Kinderarmut im Stadtteil wurde auch von vielen Lehrern aufgegriffen, die Materialen anforderten.

Trotzdem hat das Finanzamt am 19. Januar 2011 dem Verein nach einem fast einjährigen Papierkrieg die Gemeinnützigkeit entzogen. Seitdem kann er keine Spendenquittungen mehr ausstellen und muss auf die Unterstützung von Stiftungen verzichten, die auf Grund ihrer Satzung nur an gemeinnützige Vereine spenden können. Das Mitglied des Vereinsvorstands Philipp Kissel sieht in der Maßnahme einen Angriff auf die politische Arbeit von Zusammen e. V. »Da wir unabhängig von staatlichen Geldern sind und bleiben wollen, sind die Spenden neben den Mitgliedsbeiträgen die Grundlage der Finanzierung und der Unabhängigkeit«, betont er.

Das Finanzamt begründet den Entzug der Förderungswürdigkeit mit den sozialpolitischen Aktivitäten. Dort heißt es: »Schwerpunkt des Vereins ist nach eigener Darstellung die Förderung von Arbeitslosen und die moralische Unterstützung bei Ämtern. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine gemeinnützige Tätigkeit im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts (…)«. Zudem moniert das Finanzamt, die Nutzung der Vereinsangebote käme nur den Mitgliedern zugute. Dieser Vorhalt ist für Kissel unverständlich, weil das auf die überwiegende Mehrheit der gemeinnützigen Vereine zutrifft.

Zusammen e. V. will sich gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit mit juristischen und politischen Mitteln wehren. Ein Anwalt hat beim Finanzgericht Widerspruch eingelegt. Das Verfahren kann mehrere Jahre dauern und hat keine aufschiebende Wirkung. Zudem will der Verein durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit die Rücknahme der Aberkennung der Gemeinnützigkeit erreichen. Schließlich ist er kein Einzelfall, so Kissel. So wurde Anfang 2010 dem Frankfurter Dritte-Welt-Haus die Gemeinnützigkeit aberkannt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/190376.erwerbslosenarbeit-nicht-gemeinnuetzig.html

Peter Nowak

Jetzt gegen Hartz IV klagen?

Unterschiedliche Auffassungen unter Erwerbsloseninitiativen
Sind die bisherigen Hartz-IV-Sätze seit Jahresbeginn verfassungswidrig? Über diese Frage gibt es auch unter aktiven Erwerbslosen kontroverse Diskussionen.
Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland bejaht die Frage, ob die aktuellen Hartz-IV-Sätze verfassungswidrig sind. Zusammen mit anderen Erwerbslosengruppen ruft er dazu auf, Widerspruch gegen alle nach dem 1. Januar 2011 bewilligten Bescheide einzulegen.

 
 Die Verfassungsrichter hatten dem Gesetzgeber die Aufgabe gestellt, bis Anfang dieses Jahres das Karlsruher Urteil vom Februar 2010 zu den Hartz-IV-Sätzen umzusetzen. Der Bundesrat lehnte am 17. Dezember die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten neuen Sätze ab. Deshalb fehle seit Jahresbeginn eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Hartz-IV-Sätze, argumentiert Aktivist Martin Behrsing. »Fakt ist, dass insbesondere die Regelleistungen für alle Altersgruppen ab 1. Januar verfassungswidrig sind und durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar auch keine Rechtsgrundlage mehr besteht«, so Behrsing. »Außerdem wurde der Auftrag nicht erfüllt, wonach Kindern und Jugendlichen aus Hartz-IV-Haushalten Bildung und kulturelle Teilhabe ermöglicht werden muss.« Mit den Widersprüchen solle erreicht werden, dass die Jobcenter nur noch vorläufige Bewilligungsbescheide herausgeben und weitere juristische Klärungen abwarten.

Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), Heinrich Alt, reagierte noch vor Jahresende auf den Aufruf mit der Mitteilung, dass die neuen Sätze ab Jahresbeginn gelten, wegen der Verzögerungen in der Politik aber frühestens im April ausgezahlt werden können. Diese Klarstellung war mit der Warnung vor einer Welle von haltlosen Widersprüchen gekoppelt, die laut Alt die Arbeit der Jobcenter beeinträchtigen könnten. Diese würden diese Widersprüche sofort ablehnen, kündigte Alt an.

Nach dieser Intervention aus Nürnberg haben die Initiatoren der Widerspruchskampagne aus dem Erwerbslosenspektrum ihre Position jetzt noch einmal bekräftigt: »Leistungsbezieher muss es nicht interessieren, welche organisatorischen Aufgaben Behörden übernehmen müssen, wenn der Gesetzgeber seinen Aufgaben nicht nachgekommen ist. Zeit dazu hatte er genügend gehabt«, kontert Behrsing gegenüber dem BA-Vorstandsmitglied.

Doch über die Widerspruchskampagne gibt es auch unter aktiven Erwerbslosen unterschiedliche Auffassungen. So kritisiert Brigitte Vallenthin, die das Onlineportal www.hartz4-plattform.de betreut, den Aufruf: »Die Hartz4-Plattform unterstützt nicht, jetzt den Gesetzes-Müll der Politik vor die Sozialgerichte zu kippen«, betont Vallenthin. Sie bereitet stattdessen für die Zeit nach der Gesetzesverabschiedung eine neue Musterklage beim Sozialgericht vor und prüft eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde für Karlsruhe. »Dafür brauchen wir alle und jede nur mögliche Unterstützung«, so Brigitte Vallenthin.

Neben dem juristischen Geplänkel wollen Erwerbslose aus dem ganzen Bundesgebiet am 22. Januar auf einer Demonstration anlässlich der Grünen Woche in Berlin noch einmal die Forderung nach einem Hartz-IV-Satz bekräftigen, der gesunde Ernährung gewährleistet. Dazu ruft das bundesweite Erwerbslosenbündnis »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« auf.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/187684.jetzt-gegen-hartz-iv-klagen.html

Peter Nowak

Hartz ab 1. Januar ohne Rechtsgrundlage?

Sind die bisherigen Hartz IV-Sätze ab Jahresbeginn verfassungswidrig? Über diese Frage gibt es unter aktiven Erwerbslosen kontroverse Diskussionen
Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland bejaht die Frage und ruft mit anderen Erwerbslosengruppen dazu auf, Widerspruch gegen alle nach dem 1.Januar 2011 bewilligten Bescheide einzulegen.

Der Gesetzgeber hatte die Aufgabe, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010 umzusetzen – und zwar bis zum 1. Januar 2011. Der Bundesrat hat am 17. Dezember die neuen Hartz-IV-Sätze abgelehnt. Deshalb fehle mit Jahresbeginn eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Hartz IV-Sätze, so Behrsing. Mit dem Widerspruch soll erreicht werden, dass die Jobcenter nur noch vorläufige Bewilligungsbescheide herausgeben und weitere juristische Klärungen abzuwarten.

Brigitte Vallenthin von der Hartz4-Plattform kritisiert, dass durch mögliche Massenklagen die Sozialgerichte für von der Politik erzeugte Probleme in die Verantwortung genommen werden. Sie setzt sich für eine Musterklage beim Sozialgericht nach Verabschiedung der neuen Regelung ein. Dort soll festgestellt werden, ob damit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprochen wurde.

Der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt bestätigte, dass die neuen Sätze ab Jahresbeginn gelten, wegen der Verzögerungen in der Politik aber frühestens zum 1. April 2011 ausgezahlt werden können.

Diese Klarstellung war mit der Warnung vor einer Welle von Widersprüchen gekoppelt, die laut Alt die Arbeit der Jobcenter beeinträchtigen könnten. Die Initiatoren aus dem Erwerbslosenspektrum haben nach der Intervention aus Nürnberg ihre Position bektäftigt. „Leistungsbezieher muss es nicht interessieren, welche organisatorischen Aufgaben Behörden übernehmen müssen, wenn der Gesetzgeber seinen Aufgaben nicht nachgekommen ist. Zeit dazu hatte er genügend gehabt“, kontert Behrsing dem BAG-Chef.

Krach schlagen für gesunde Ernährung

Neben dem juristischen Geplänkel wollen Erwerbslose aus dem ganzen Bundesgebiet am 22. Januar auf einer Demonstration anlässlich der Grünen Woche in Berlin noch einmal Krach schlagen für einen Hartz IV-Satz, der gesunde Ernährung gewährleistet.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149012

Peter Nowak

Fehlende Solidarität

Europaweit wollen Gewerkschafter am Mittwoch gegen die Sparprogramme der Regierungen protestieren. Koordinierte Gegenwehr kommt aber kaum zustande

Wenn der Europäische Gewerkschaftsbund zu einem kontinentweiten Aktionstag gegen die Sparprogramme der Regierungen aufruft, heißt das nicht, dass auch alle Länder folgen. Zwar ist in Brüssel eine zentrale Demonstration des ETUC geplant, und nach Angaben des stellvertretenden Generalsekretärs Joël Decaillon soll es auch in Griechenland, Spanien, Frankreich, Dänemark und Tschechien Proteste geben. Deutschland kommt in dieser Aufzählung allerdings nicht vor.   Nach der geringen Resonanz bei den Aktionen gegen das Sparprogramm der Bundesregierung stellt sich die Frage nach der Zukunft der Krisenproteste
Schon beim europäischen Aktionstag Ende September hatten Attac und andere politische Initiativen dafür gesorgt, dass in der Bundesrepublik überhaupt erkennbare Aktivitäten zu verzeichnen waren. Nun wollen hierzulande nicht einmal mehr die Unermüdlichen vor Banken und Ministerien Transparente hochhalten. Nach den nur mäßig besuchten Krisenprotesten Ende November, die allgemein als Misserfolg gewertet worden waren, und den dezentralen Gewerkschaftsaktionen, die kaum eine Rolle in der Öffentlichkeit spielten, kann das niemanden mehr überraschen.

Auf den ersten Blick sieht es in den Nachbarländern anders aus. Sozialproteste mit wochenlangen Streiks und spektakulären Aktionen sorgten vor allem in Frankreich, Griechenland und Spanien für Aufsehen. Doch auch dort konnten die Sparprogramme nicht verhindert werden.

Von der Wut zur Resignation

In Großbritannien rückten Demonstranten sogar der Königsfamilie auf die Pelle. Doch während Studierende und Schüler Prinz Charles und seine Ehefrau Camilla auf der Fahrt zu einer Theateraufführung im Auto bedrängten, stimmte eine Mehrheit im Parlament den Sparbeschlüssen zu. Seitdem befindet sich der liberale Regierungspartner in einer desolaten Situation – im Wahlkampf hatte man eine Erhöhung der Studiengebühren noch definitiv ausgeschlossen. Ein Bruch der Koalition ist aber unwahrscheinlich. Schließlich dürften die Regierungsparteien kaum Interesse an Neuwahlen haben. Vor allem den Liberalen wird ein Desaster prognostiziert.

Daran wird die konservative irische Fianna Fail im kommenden Januar kaum vorbeikommen. Trotz der erwarteten Wählerstrafe hatte Regierungschef Brian Cowen darauf bestanden, das Kürzungsprogramm vor dem Urnengang zu verabschieden. In der vergangenen Woche hatten vor dem Dubliner Parlament gerade einmal rund 1.500 Menschen protestiert, Ende November waren es immerhin noch mehr als 10.000 – da hatten sämtliche Oppositionsparteien und Gewerkschaften zum Protest aufgerufen.

Der Schritt von der Wut zur Resignation ist offenbar klein, wie sich nicht nur im besonders von der Krise gebeuteten Irland zeigt. In Griechenland haben sich linke Parteien und Gewerkschaften für heute zwar wieder auf Streiks und Demonstrationen vorbereitet. Doch ob sie damit an die Massenaktionen im Frühling anknüpfen können, ist fraglich. Auch unter den Hellenen hat sich nach der langen Mobilisierung gegen das EU-Krisenpaket Ernüchterung breitgemacht. Schließlich hat die sozialdemokratische Regierung, unterstützt von der konservativen Opposition, den Sparkurs für alternativlos erklärt. Hinzu kam der Schock über den Tod von drei Bankangestellten, die ums Leben kamen, als Anfang Mai am Rande einer Protestaktion gegen die Sparpläne ein Brandsatz in ein Kredithaus flog.

Wandelndes Bewusstsein

Das linke griechischen Zeitungsprojekts TPTG erklärt das Abflauen der Proteste in Griechenland auch mit einen Wandel im Bewusstsein bei Teilen der Lohnabhängigen gegenüber dem Umgang mit den Staatsschulden. Bisher habe bei vielen die Überzeugung dominiert, da sie selbst keine Schulden gemacht haben, müssten sie auch nicht bereit sein, für die Tilgung Opfer zu bringen. Inzwischen sei aber auch unter Arbeitern und Angestellten die Meinung weit verbreitet, dass alle Opfer bringen müssten, damit es mit Griechenland wieder aufwärts geht.

Wahrscheinlich gibt es noch einen anderen Grund: Die zahlreichen Aufrufe zur Solidarität, die von den Protestierenden in Griechenland auf dem Höhepunkt der Aktionen ausgesandt worden waren, wurden in anderen Ländern weitgehend ignoriert. Auch in Deutschland mokieren sich viele lieber über die „Pleite-Griechen“, für die Steuerzahler in Deutschland nun Hilfsleistungen erbringen müssten. Solche Stimmungen, die keineswegs nur auf die Bundesrepublik beschränkt sind, haben eine länderübergreifende Solidarität verhindert. Schöne Worte aus Anlass von Aktionstagen können darüber nicht hinwegtäuschen.

http://www.freitag.de/politik/1049-fehlende-solidaritaet

Peter Nowak

Arbeitskämpfe in China

Die Berliner IG Metall informiert über das Reich der Mitte

So viele Arbeitskämpfe wie derzeit in China gibt es nirgends. Gewerkschafter diskutierten in Berlin, wie der Kontakt zu den Arbeitern dort verbessert werden kann.
Von der Wirtschaftsmacht China ist medial viel die Rede. Dass dort mittlerweile weltweit die meisten Arbeitskonflikte stattfinden, dürfte weniger bekannt sein. Deshalb war der Saal des IG-Metall-Verwaltung in Berlin schnell überfüllt, als am 7. Dezember über die Frage diskutiert wird, was die Arbeitskämpfe in China mit hiesigen Gewerkschaftern zu tun haben. Die Veranstaltung fand im Rahmen einer Ausstellung statt, die noch bis Ende Dezember im Erdgeschoss des IG-Metallhauses zu sehen ist. Dort wurde das Pekinger Museum der Wanderarbeiter nachgebaut und ihr alltägliches Leben geschildert.

Die mittlerweile mehr als 225 Millionen Menschen, die aus den ländlichen Regierungen zur Arbeit in die Stätte kommen, stehen an der Spitze der Konflikte um Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Ein Höhepunkt war ein mehrtägiger Streik, in einer Getriebefabrik der Hondawerke in der Stadt Foshan, der im Mai 2010 mehrere Montagewerke zum Stillstand brachte. Der langjährige Bochumer Opel-Betriebsrat Wolfgang Schaumberg, der erst vor wenigen Wochen von einer mehrwöchigen Chinareise zurückgekehrt ist, betonte, dass dieser größte Streik in einem internationalen Autokonzern in China für die Beschäftigten zu beträchtlichen Lohnerhöhungen geführt hat. Das trifft sich mit den Interessen der chinesischen Regierung, die zur Ankurbelung der Binnennachfrage eine Politik der Lohnerhöhungen propagiert. Schaumberg sieht auch eine Neuorientierung bei den chinesischen Gewerkschaften. Dort werde zunehmend erkannt, dass die traditionellen Gewerkschaften kaum Einfluss auf die Belegschaften hatten. Darum würden in Fabriken mancher Provinzen Arbeiterkomitees als Gesprächspartner anerkannt.

Ralf Ruckus, Experte für soziale Bewegungen in China und Buchautor, sieht diese Entwicklung sehr kritisch. Mit dieser Anerkennung wollen Wirtschaft und Politik die Bewegung wieder integrieren. Ruckus betonte, dass bei den Auseinandersetzungen in den Fabriken die chinesischen Gewerkschaften keine Rolle spielten. Deshalb hält er Gespräche auf Gewerkschaftsebene für überflüssig. Stattdessen propagierte er direkte Kontakte mit chinesischen Arbeitern. Dieser Vorschlag dürfte allerdings aus finanziellen und kulturellen Gründen kaum Chancen auf Verbreiterung haben. Schaumberg sprach sich ebenso wie der Koordinator des Projekts »Arbeitswelten Deutschland China« Peter Franke für Kontakte zu den chinesischen Partnern auf verschiedenen Ebenen aus. Sowohl bei den Gewerkschaften als auch bei den Nichtregierungsorganisationen seien Strömungen zu finden sind, die sich für die Rechte der Beschäftigten einsetzen. Daher hält er eine Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren für sinnvoll. Dazu zählt Franke neben Stadtteilgruppen auch Gewerkschaften und Regierungsvertreter.

Als ein negatives Beispiel führte Schaumberg ein Gespräch zwischen zwei deutschen Gewerkschaftern an, die auf einer Delegationsreise die Befürchtung äußerten, China könne mit seiner hohen Einwohnerzahl die internationale Gewerkschaftsvereinigungen dominieren. Für Schauberg stellte sich dagegen die Frage, wie künftige Kämpfe unterstützt werden können. Die Möglichkeiten, bei deutschen Firmen zu intervenieren, die in China investieren, wurden auf der Veranstaltung jedoch nicht erwähnt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186122.arbeitskaempfe-in-china.html

Peter Nowak

Erwerbsloser bekommt Hausverbot im Jobcenter

AMT Neuköllner soll Sachbearbeiter bedroht haben – er bestreitet das. Rund 60 Hausverbote pro Jahr
„Hiermit verbiete ich Ihnen vom Tag der Zusendung dieses Schreibens für die Dauer eines Jahres, die Liegenschaft des Jobcenters Neukölln zu betreten“, teilte Konrad Tack, Geschäftsführer des Neuköllner Jobcenters, dem Erwerbslosen Peter B. per Einschreiben mit. Er habe bei seinem letzten Termin im Jobcenter seinen Sachbearbeiter bedroht und den Geschäftsablauf gestört, so die Begründung.

Peter B. bestreitet, den Mitarbeiter bedroht zu haben. Er sei aber erregt gewesen und habe mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen, weil ihm zum wiederholten Mal eine Weiterbildung zum Veranstaltungsfachwirt verweigert worden sei. Der 47-jährige Neuköllner, der seit einem schweren Autoanfall zu 70 Prozent arbeitsunfähig ist, will in einer Konzertagentur arbeiten. Vom Jobcenter werde die Förderung mit der Begründung abgelehnt, nach 16-jähriger Arbeitslosigkeit fehle ihm die Berufserfahrung.

Der Sprecher der Berliner Arbeitsagenturen, Uwe Mählmann, erklärt, aus Datenschutzgründen zu dem Fall keine Auskunft geben zu können. Hausverbote seien allerdings keine Seltenheit, die Arbeitsagenturen würden etwa 60 im Jahr aussprechen, „deren Befristung von einen Tag bis zu einen längerfristigen Zeitraum reichen kann“.

Aussprechen kann ein Hausverbot nur der Geschäftsführer, sagt Harald Thome vom Erwerbslosenverein Tacheles e. V. Der Betroffene müsse allerdings zuvor die Möglichkeit haben, den Vorgang aus seiner Sicht darzulegen. Zudem könne der Erwerbslose innerhalb einer Frist Widerspruch gegen das Hausverbot einzureichen, der von einer aus Mitgliedern der Jobcenter-Verwaltung bestehenden Beschwerdestelle entschieden wird.

Das Problem: Von Hausverboten betroffene Erwerbslose sind nicht vom Nachweis bestimmter Pflichten, etwa der Vorlage von Bewerbungen, befreit. Dazu können sie vom Jobcenter geladen werden. Für diese Termine wird das Hausverbot außer Kraft gesetzt. „Schwierig wird es in den Fällen, in denen Erwerbslose selber mit dem Jobcenter in Kontakt treten wollen, etwa um einen Antrag zu stellen“, sagt Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen. Theoretisch könnten sie ihre Anliegen zwar schriftlich einreichen, doch in der Praxis habe sich gezeigt: Ohne persönliches Erscheinen würden die Anträge häufig liegen bleiben.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F12%2F01%2Fa0156&cHash=5391150458

Peter Nowak

Nix los mit der sozialen Bewegung?

Der geringe Widerstand gegen die Sparpakete macht die außerparlamentarische Linke ratlos
Etwa 3000 Menschen haben vergangenen Freitag in der Nähe des Berliner Reichstags gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert. Ein Drittel davon Berliner Schüler, die sich den Protesten angeschlossen haben. Die von den beschlossenen Kürzungen am meisten betroffen sind, die Ärmsten der Gesellschaft, waren hingegen zu Hause geblieben. Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland schlägt deshalb eine politische Richtungsänderung vor. Statt der Betroffenen solle die Mittelschicht mobilisiert werden. Den sozialen Bewegungen müsse es gelingen, »exponierte Vertreter der bürgerlichen Mitte für das Anliegen der Deklassierten zu gewinnen, um die soziale Frage als das solidarisch verbindende Element weiter Teile unser Gesellschaft in den Vordergrund zu rücken, ohne sich von der bürgerlichen Mitte vereinnahmen zu lassen«.
Solche konkreten Vorschläge sind wenige Tage nach der Aktion in der Nähe des Bundestages noch selten. Die Ratlosigkeit ist bei vielen Aktivisten groß. Klar ist für viele nur, der heiße Herbst war kälter erwartet.

 Das wurde auf einer Konferenz des bundesweiten Krisenprotestbündnisses in Berlin am vergangenen Wochenende deutlich. Dort wurde eine selbstkritische Analyse angemahnt. Man müsse darüber reden, warum es der sozialen Bewegung nicht gelungen sei, in diesem Herbst einen Punkt zu setzen, meinte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe (ALSO). Die Organisation hatte mit einer bundesweiten Erwerbslosendemonstration am 10. Oktober die Proteste dieses Herbstes eingeläutet. Aber das Ziel, dass Erwerbslose überall da, wo sich Politiker der Hartz-IV-Parteien treffen, mit Kochtopf und Löffel Krach schlagen, sei bisher nicht erreicht worden, stellte Grüner fest.

Ein Gewerkschafter sieht in der veränderten wirtschaftlichen Situation einen Grund für die aktuelle Protestflaute. Vor einem Jahr habe kaum jemand für möglich gehalten, dass sich die Wirtschaft so schnell wieder erhole und der Anteil der Erwerbslosen und Kurzarbeiter zurückgehe.

Auch die linke Organisation Avanti sieht in der falschen Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung einen Grund für den Misserfolg. »Kaum jemand hat damit gerechnet, dass die Bundesregierung binnen kurzer Zeit 480 Milliarden Euro mobilisieren würde und schon zwei Jahre nach dem Crash der Finanzwelt ein ›Jobwunder‹ und Wirtschaftswachstum verkünden könnte«, schreibt Avanti in einer Stellungnahme und kommt zu dem ernüchternden Fazit: »Bislang ist der Versuch, die ökonomische in eine politische Krise zu überführen, gescheitert.« Das trifft vor allem auf die Versuche zu, in den sozialen Protesten die Aktionsform der Blockade zu verankern. Eine für den 18. Oktober in Frankfurt am Main geplante Bankenblockade war von den Organisatoren wegen zu geringer Resonanz kurzfristig abgesagt worden. In Berlin scheiterte die »Bundestagsbelagerung« am Freitag ebenfalls.

Florian Wilde, Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS, betrachtet nicht nur in Deutschland die Krisenproteste mit Ernüchterung. »In vielen europäischen Nachbarländern gab es viel größeren Widerstand und auch Streiks. Aber die Verabschiedung der Spar- und Kürzungsbeschlüsse konnte in keinem Land verhindert werden.«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185427.nix-los-mit-der-sozialen-bewegung.html

Peter Nowak

Rote Karten an der Siegessäule

Nach der geringen Resonanz bei den Aktionen gegen das Sparprogramm der Bundesregierung stellt sich die Frage nach der Zukunft der Krisenproteste
„Ohne die Beteiligung der Schüler wäre die Aktion ein totales Desaster geworden“ – das Urteil eines Erwerbslosenaktivisten mag hart klingen. Nach der nur mäßig besuchten Protestaktion anlässlich der Verabschiedung des schwarz-gelben Haushalts im Bundestag am Freitag teilten allerdings viele Teilnehmer die ernüchternde Einschätzung. Mehrere Tausend Menschen hatten zunächst an einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor teilgenommen, später setzte sich noch ein Demonstrationszug in Richtung Großer Stern in Bewegung. Ein Drittel der etwa 3.000 Teilnehmer waren Berliner Schüler, die dem Aufruf des Bündnisses „Bildungsblockaden einreißen“ gefolgt sind.
 Angesichts der geringen Resonanz konnte von einer Bundestagsbelagerung an diesem Tag keine Rede sein. Alle Versuche, auch nur in die Nähe des Gebäudes zu kommen, wurden von der massiv auftretenden Polizei verhindert. Am Ende wurden in der Nähe der Siegessäule rote Karten gegen das Sparpaket hochgehalten. Als dann noch von einem Lautsprecherwagen fälschlich verkündet worden war, dass die unweit gelegene Bundeszentrale der CDU besetzt worden sei, machte sich eine große Polizeiarmada auf den Weg – immerhin konnte rund 1.000 Menschen mit einer weiteren Kundgebung den freitäglichen Autoverkehr für einige Zeit lahmlegen.

Soll das der Höhepunkt des monatelang vorbereiteten heißen Herbstes des sozialen Bewegungen gewesen sein? Die misslungene Bundestagsbelagerung dürfte vorerst der letzte Versuch gewesen sein, unter dem Label „Krisenproteste“ auf die Straße zu mobilisieren. Im Frühjahr 2009 waren die ersten Aktionen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ organisiert worden. Die Resonanz war nicht berauschend, aber die Organisatoren hielten sie für ausbaufähig. Immerhin hatten zu jener Zeit auch die bürgerlichen Medien außerhalb des Feuilletons mitunter Marx zitiert und entdeckt, dass der Kapitalismus ein Verfallsdatum haben könnte.

Harmlose Gewerkschaften

Doch schnell zeigte sich, dass die Mehrheit der Gewerkschaften bei den Krisenprotesten nicht mitziehen würde. Vor allem die IG Metall propagierte im Schulterschluss mit den Unternehmern die Standortverteidigung, setzte auf Abwrackprämie und Kurzarbeiterregelung. Derweil übten sich die Organisatoren der Krisenproteste in Zweckoptimismus und redeten sich ein, die Bewegung werde doch noch wachsen, wenn die Krise bei den Menschen angekommen ist und die Bundesregierung endlich die Sparprogramme vor legen würde, die sie wegen der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen lange in den Schubläden behalten hatte.

Im November 2010 muss dies als Selbsttäuschung erkannt werden. Die Bundesregierung hat mit der Gesundheitsreform und dem Sparpaket Maßnahmen eingeleitet, die Millionen Menschen in Zukunft massiv belasten werden. Der Protest dagegen wurde jedoch kaum wahrgenommen. Selbst Demonstrationen mit einer fünfstelligen Teilnehmerzahl – im Rahmen der Aktionswochen des DGB gegen das Sparpaket – fanden auf den Medien nur auf hinteren Seiten Platz. Was nicht zuletzt daran lag, dass die Aktionen derart konstruktiv angelegt waren, dass sie den Medien zu harmlos schien. Das Krisenbündnis musste auf seine eigenen Kräfte zurückgreifen – und die sind,  wie sich nicht erst am 26. November zeigte, sehr schwach.

Frustrierte Aktivisten

Das zeichnete sich schon ab, als die monatelang vorbereitete und für den 18. Oktober geplante Blockade von Großbanken in Frankfurt/Main wegen zu geringer Resonanz abgesagt werden musste. Bis auf einige hämische Artikel gab es in linken Medien und Internetforen kaum eine Auseinandersetzung darüber. Dafür wuchs der Frust bei den Aktivisten, die viel Zeit und Kraft in die Vorbereitung gesteckt hatten. Wie die Bankenblockade hatte auch die Bundestagsbelagerung das Ziel, die sozialen Proteste zu radikalisieren und Möglichkeiten des Widerstands jenseits von Demonstrationen aufzuzeigen. In beiden Fällen ist man nicht näher gekommen.

Auf einer Konferenz des bundesweiten Krisenprotestbündnisses wurde im Anschluss an die Berliner Demonstration am Freitag eine selbstkritische Analyse angemahnt. Man müsse jetzt ernsthaft darüber reden, warum es der sozialen Bewegung nicht gelungen sei, in diesem Herbst einen Punkt zu setzen, forderte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe. Ein Gewerkschafter bemängelte die überholte Krisenanalyse des Bündnisses. Den raschen Wirtschaftsaufschwung habe vor einem Jahr niemand für möglich gehalten. Statt der Krise komme nun mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und weniger Kurzarbeit der Aufschwung „bei den Menschen in den Betrieben“ an – ein Aufschwung, der allerdings erkauft ist mit der Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Niedriglöhnen, die mit Hartz IV aufgestockt werden müssen. Für viele Erwerbslose wiederum findet die Krise nicht auf dem Börsenparkett statt, sondern bei Schikanen in Jobcentern und Beschäftigungsmaßnahmen. Ein Bündnis gegen diese Krisen im Leben vieler Menschen ist bisher nicht in Sicht.

http://www.freitag.de/politik/1047-rote-karten-an-der-siegessaeule

Peter Nowak

Der heiße Herbst ist ausgefallen

Nach den geringen Teilnehmerzahlen bei den Protesten gegen das Sparprogramm der Bundesregierung beginnt die Fehleranalyse
Ca. 3.000 Menschen haben gestern in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhauses gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert, das an diesem Tag beschlossen wurde.

Erst am Vortag wurde die geplante Demonstration gerichtlich genehmigt. Sie war wegen der Teilnahme von zwei antifaschistischen Gruppen verboten worden, weil das Landeskriminalamt befürchtete, dass ein Teil der Demonstranten in die Bannmeile eindringen könnte, um in die Nähe des Parlaments zu kommen. Diese Versuche gab es auch. Doch zur großen Überraschung der Polizei tauchte ein Teil der Demonstranten vor der Parteizentrale der CDU auf. Auch wenn ein großes Polizeiaufgebot den Zugang verhinderte, äußerten sich viele Aktivisten zufrieden mit dieser Aktion. Zumal die anderen Ziele des Protestes nicht wurden. Der Bundestag konnte nicht, wie angekündigt, belagert werden. Das Zücken von Roten Karten mehr als 2 Kilometer entfernt davon, war nicht einmal eine symbolische Aktion.

Die Gesamtbilanz des Aktionstages fällt noch viel negativer aus, wenn man berücksichtigt, dass der 26. 11. der Höhepunkt des heißen Herbstes der sozialen Bewegungen gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung sein sollte Er begann mit einer lautstarken Erwerbslosendemonstration in Oldenburg. Doch schon die für den 18.Oktober geplante Bankenblockade in Frankfurt/Main musste wegen zu geringer Beteiligung abgesagt werden.

Im Rahmen der gewerkschaftlichen Aktionswochen gegen die Politik der Bundesregierung gab es in den letzten Wochen durchaus Demonstrationen mit einer Teilnehmerzahl im fünfstelligen Bereich. Auch an regionalen Protesten gegen die Sparpolitik, beispielsweise in Dresden, nahmen viele Menschen teil. Darauf wiesen Redner auf der Aktionskonferenz des bundesweiten Sozialprotestbündnisses in Berlin hin, das im Anschluss an die Demonstration begann. Dort äußerten viele Aktivisten ihre Ratlosigkeit angesichts der ausbleibenden Sozialproteste in Deutschland.

Selbstkritische Analyse angemahnt

Guido Grüner von der Oldenburger Arbeitslosenselbsthilfe plädierte dort für eine gründliche, selbstkritische Analyse der Krisenproteste. Ein Gewerkschafter wies darauf hin, dass ein Grund für die Protestflaute auch in der schnellen Erholung der Wirtschaft in Deutschland liege. Es handele sich dabei nicht nur um Propaganda der Bundesregierung, wie der Rückgang der Zahlen für die Kurzarbeit zeigt.

Auf diesen Aspekt wies auch das Bündnisprojekt Avanti in seiner Auswertung hin. „Bislang ist der Versuch, die ökonomische in eine politische Krise zu überführen, gescheitert. Bedeutsam hierfür war die relative Stabilität der bundesdeutschen Wirtschaft und die im weltweiten Vergleich enormen Finanzreserven, aber auch die geschickte Verzögerung der ‚gefühlten Krise‘ durch die Regierung.“ 
 
http://www.heise.de/tp/blogs/8/148822

Peter Nowak

Mindestlohn für den Standort Deutschland

Wegen der im Mai 2011 in Kraft tretenden Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus Osteuropa sind scheinbar in Deutschland nun auf einmal alle für einen Mindestlohn – nur die FDP ziert sich noch
Eigentlich wollte die Bundesregierung die Chaoswochen hinter sich lassen, in denen sich die Koalitionäre auf offener Bühne stritten. Und dann das. Die FDP ändert bei der Frage eines Mindestlohns für Leiharbeiter innerhalb von Stunden ihre Position. Da war am vergangenen Donnerstag schon verkündet worden, dass auch die FDP ihren Widerstand aufgegeben hat, dann kam prompt das Dementi. Der liberale Fraktionsvize Heinrich Kolb betonte, seine Partei sehe in dieser Angelegenheit nach wie vor keinen Handlungsbedarf. Damit stellt sich die FDP gegen ein ganz breites Bündnis, das von der Linken über die SPD, die Grünen bis zur Union, den Bundesländern, den Gewerkschaften und auch Wirtschaftsvertretern reichte.
   

Faire Entlohnung statt Mindestlohn

Die von Kolb vorgetragene Alternative könnte allerdings auch bei Gewerkschaftern auf Zustimmung stoßen:

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 Wir wollen daher den Grundsatz des equal pay (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) im Bereich der Zeitarbeit stärken. Die Angleichung an die Entlohnung der Stammbelegschaft des Entleihers ist sachgerecht und dient den Interessen der Zeitarbeitnehmer besser als ein Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche, den die FDP ablehnt.
Heinrich Kolb

 Auch die Begründung konnte direkt aus einem Think Thank der Gewerkschaften kommen:
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 Die mit den Hartz-Gesetzen seinerzeit von der rot-grünen Bundesregierung in das Arbeitnehmerüberlassungs-Gesetz (AÜG) eingeführte Tariföffnungsklausel hat zu einer Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses geführt: Die Entlohnung der Zeitarbeitnehmer wird heute zu fast 100% per Zeitarbeits-Tarifvertrag festgelegt. Die Gleichbehandlung mit der Stammbelegschaft ist dahinter nahezu vollständig zurückgetreten.
Heinrich Kolb

Allerdings will die FDP das Prinzip equal pay in der Leiharbeitsbranche erst nach einer Anlernzeit anwenden.

Deutschland im November 2010. Die ganz große Volksfront für den Mindestlohn und die FDP stattdessen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit? Hat also der Neoliberalismus endgültig abgedankt, wie verschiedene Experten im letzten Jahr auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise prophezeiten?

Nein, der ungewohnte Frontverlauf in Sachen Mindestlohn kommt nicht daher, dass alle ihr soziales Gewissen entdeckt haben. Es geht vielmehr um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Im Mai 2011 tritt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen osteuropäischen EU-Ländern in Kraft. Zeitarbeitsfirmen mit Sitz in Polen könnten dann nach derzeitiger Rechtslage billige Arbeitskräfte nach Deutschland verleihen, die nicht den deutschen Tarifen unterliegen. Schon gibt es in der deutschen Zeitarbeitsbranche Überlegungen, mittels Tochterfirmen in Deutschland die Löhne zu drücken. Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass deutsche und nicht polnische Unternehmen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit am meisten profitieren werden.

Allerdings ist die Zeitarbeitsbranche nur eine Gruppe innerhalb der deutschen Wirtschaft. Ein großer Teil der in der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zusammengeschlossenen Unternehmensvertretern sieht in ihnen Konkurrenten, die polnische Tarifverträge auch nutzten könnten, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Teilen der Wirtschaft zu sichern. Darin liegt auch der Grund, warum sich der BDA-Präsident Dieter Hundt dafür einsetzt, dass der geltende Mindestlohn auch auf die ausländischen Zeitarbeitsfirmen ausgedehnt wird.

In dieser Frage treten die Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Fraktionen der Wirtschaft besonders deutlich zu Tage. Aber solche Gegensätze gibt es auch in anderen Fragen häufig. Politiker, aber auch Interessenverbände sind in der Regel bestrebt, diese Widersprüche möglichst auszugleichen und erst gar nicht in die öffentliche Debatte zu bringen. Bei der Mindestlohndebatte ist das noch nicht gelungen. Gerade deswegen ist der Druck auf die FDP groß. Schon ist von einer Paketlösung die Rede. Danach würde die FDP einem Mindestlohn auch für ausländische Lohnabhängige akzeptieren, wenn die Weiterbildungsbranche und die Briefdienstleistungen aus dem Arbeitnehmerentsendegesetz gestrichen würden. Flächendeckende Mindestlöhne wären dann für diese Branchen nicht mehr möglich.

Angst vor den „Billigpolen“

Die Kontroverse ist noch nicht beendet. Doch auffällig ist, dass die Befürworter des Mindestlohns in der Regel nicht mit sozialen Argumenten, sondern mit Standortverteidigung auftrumpfen.

„Aber es ist auch bezeichnend, dass erst dann, wenn wieder der vermeintliche „Billiglöhner“ aus Polen vor der Tür steht, selbst liberale Politiker der Einführung einer Lohnuntergrenze in Deutschland doch nicht so abgeneigt sind“, schreibt eine Kommentatorin in der Taz. In diesem Szenario wird die Diskussion um die Einführung einer sozialen Maßnahme für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Herkunft mit der Angst vor den „Billigpolen“ orchestriert. Damit werden wieder neue Spaltungslinien aufmacht. Wer in den 90er Jahren verfolgt hat, wie polnische und andere osteuropäische Bauarbeiter zu Sündenböcken stilisiert und bei einer Bauarbeiterdemonstration sogar angegriffen worden sind, muss solche Töne äußerst kritisch sehen.

Auch der DGB argumentiert bei dieser Frage zwiespältig. In einer Meldung geht er immerhin darauf ein, dass auch deutsche Firmen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren:
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 Dem Chef des Unternehmerverband für grenzüberschreitend tätige Zeitarbeitsfirmen IPP, Tomasz Major, zufolge gründen derzeit deutsche Leiharbeitsunternehmen Niederlassungen in Polen. „Einige haben von polnischen Rechtsanwälten Firmentarifverträge aufsetzen lassen, in denen Dumping-Stundenlöhne von vier, fünf Euro stehen.“
DGB

Wegen der deutlich gesunkenen Arbeitslosigkeit in Polen erwarte Deutschland aber „keine Flut“, wird Jerzy Golbik, Geschäftsführer des Leiharbeitsunternehmens Personnel International, zitiert. Wenn der Satz auch Entwarnung geben soll, werden doch Metaphern verwendet, die die Angst vor Kollegen aus dem Ausland eher verstärken. Dabei gibt es in der deutschen Arbeits- und Wirtschaftsgeschichte gute Beispiele, wie eine große Zahl von polnischen Arbeitskräften Ende des 19.Jahrhunderts ins Ruhrgebiet eingewandert ist und sich schnell zu einer der Stützen der damals entstehenden Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung entwickelte. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit unabhängig von der Herkunft der Arbeiter“ lautete damals die Forderung.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33733/1.html

Peter Nowak

Ein-Euro-Jobs keine Brücke in ersten Arbeitsmarkt

Der Bundesrechnungshof moniert Praxis der Ein-Euro-Jobs, sieht darin aber nur einen Missbrauch

 

Dass Ein-Euro-Jobs der Aktivierung von Langzeiterwerbslosen dienen und keineswegs dazu geeignet sind, ihnen den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern, haben Kritiker der Hartz IV-Gesetzgebung schon vor deren Einführung moniert und danach immer wieder darauf hingewiesen. Jetzt haben sie die Bestätigung aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales bekommen.

Solche Arbeitsgelegenheiten seien immer als „Aktivierungsmaßnahmen“ für Langzeitarbeitslose, nicht „als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt“ gedacht gewesen, betonte eine Sprecherin des Ministeriums und erinnerte noch einmal an den Charakter dieser Jobs. Ein-Euro-Jobs seien nicht freiwillig, sondern müssten von den Betroffenen angenommen werden, wenn das Jobcenter eine solche Arbeitsgelegenheit im Rahmen der Eingliederung vorsehe.

Der Anlass für diese offenen Worte von offizieller Stelle war eine vernichtende Kritik des Bundesrechnungshofs an den Ein-Euro-Jobs, die Medien am Wochenende bekannt machten.

Reguläre Arbeitsplätze werden vernichtet

Der Bericht bemängelt, dass mehr als die Hälfte der Ein-Euro-Jobs eigentlich nicht gefördert werden dürften, weil sie keine zusätzlichen Tätigkeiten im Interesse der Allgemeinheit waren oder in Konkurrenz zu ungeförderten Unternehmen standen. Kommunen, Wohlfahrtsverbände oder Unternehmen aus der Weiterbildungsbranche könnten mit den Langzeitarbeitslosen ungeförderte Tätigkeiten im ersten Arbeitsmarkt ersetzen und so ihre Personalkosten reduzieren.

Dafür werden in den Bericht zwei Beispiele aufgeführt: So wurden Langzeitarbeitslose bei der Beseitigung von illegalem Müll, dem Umzug eines städtischen Bauhofs und der Reinigung von Duschen in einem Altenheim eingesetzt.

Außerdem moniert der Bundesrechnungshof, dass Jobcenter nach wie vor meist wahllos Arbeitsgelegenheiten zuwiesen, ohne die Hilfsbedürftigen weiter zu beraten und individuelle Ziele für die Teilnahme festzulegen. Die Jobcenter hätten ihre Tätigkeit bei der Schaffung von Arbeitsgelegenheiten seit 2005 nicht merklich verbessert, so die Rechnungsprüfer.

Nur Kritik an Missbrauch

Dem Bundesarbeitsministerium dürfte die Kritik, die auch schon vom Institut für Arbeits- und Berufsforschung formuliert wurde, gar nicht so unpassend kommen. Da der Bundesrechnungshof nicht die Ein-Euro-Jobs, sondern die konkrete Umsetzung kritisiert, kann sie der rot-grünen Vorgängerregierung handwerkliche Fehler zuschreiben und auf die eigenen Reformvorhaben verweisen.

Zudem verdeckt die Kritik am angeblichen Missbrauch der Ein-Euro-Jobs, dass eine ihrer Zielsetzungen die Senkung der Lohnkosten insgesamt war. Mit seiner Mängelliste hat der Bundesrechnungshof bestätigt, dass es auch gelungen ist, reguläre Arbeitsplätze durch Billigjobs zu ersetzen. Die Replik aus dem Ministerien macht noch einmal deutlich, warum alle Bemühungen, mit einem Stopp der Sanktionspraxis der Hartz IV-Gesetzgebung zumindest die Zähne zu ziehen, bisher kein Erfolg beschieden war. Damit würde das vom Gesetzgeber vorgesehene Ziel der Agenda 2010-Gesetzgebung nicht erreicht.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148756

Peter Nowak