Trump – zu unkonventionell für das Partei-Establishment

Der größte Albtraum mancher Parteipolitiker der Republikaner: Ihr ungeliebter Kandidat könnte die Wahlen gewinnen

Eigentlich ist nach den Parteitagen der Republikaner und Demokraten in den USA die Ausgangslage für die Präsidentschaftswahlen in den USA klar. Clinton gegen Trump lautet das Personaltableau. Aber manche Trump-Gegner in der Republikanischen Partei scheinen sich noch immer nicht mit ihrer Niederlage auf dem Parteitag abgefunden zu haben. Es gibt Pressemeldungen über Notfallpläne.

So sollen bereits Ersatzkandidaten im Gespräch sein, falls Trump noch kurzfristig ausfällt. Nur auf welches Szenario wird in diesen Notfallplan rekurriert? Dass Trump selber nach seinen Sieg am Parteitag aufgibt, scheint ausgeschlossen. Dazu hätte er sicherlich im wechselvollen Vorwahlkampf genug Gelegenheit gehabt. Er sah dort ja keinesfalls immer als Sieger aus und viele Kommentatoren haben noch wenige Wochen vor dem Parteitag geschrieben, dass Trump nie Präsidentschaftskandidat wird.

Damals wurden auch noch realistische Szenarien diskutiert, einen Präsidentschaftskandidaten Trump zu verhindern. So sollte auf dem Parteitag eine offene Debatte über den Kandidaten beantragt und allen Delegierten die Wahl freigestellt werden. Dieses ungewöhnliche, aber satzungsgemäß mögliches Szenario, die Nominierung von Trump zu verhindern, wurde von ihm und seinen Anhängern als Programm zur Spaltung der Republikanischen Partei bezeichnet.

Die Parteiführung schreckte schließlich vor solchen Schritten zurück. Dass nun plötzlich satzungsgemäß nicht mehr gedeckte Pläne bekannt werden, zeigt abseits einer möglichen Realisierungschance, dass manche im Partei-Establishment in Trump eine so große Gefahr für ihre Interessen sehen, dass sie sogar offene Putschpläne zumindest nicht ausschließen. Denn,  selbst wenn im Wahlkampf noch ein ganz großer Skandal über Trump rauskommen sollte oder er durch ein Attentat schwer verletzt oder getötet würde, sehen die Regularien vor, dass der ebenfalls auf dem Parteitag gewählte Vizepräsident an seine Stelle tritt. Da der auch parteiintern als Konsenskandidat gilt, ist umso unverständlicher, dass nun solche Pläne zumindest diskutiert werden.

Dabei wird für diese Absatzbewegung die auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung angeboten, die Parteistrategen befürchten mit Trump einen solch massiven Einbruch bei den Wählern, dass solche außergewöhnliche Szenarien überlegt werden. Davon abgesehen, dass solche Pläne gemeinhin die Wahlchancen nicht vergrößern, ist die Erklärung auch nicht schlüssig.

Wenn die Gegner Trumps überzeugt von seiner Wahlniederlage sind, müssten sie ihn ja nur passiv in seinen Untergang begleiten. Je größer seine Niederlage, desto besser für seine Kritiker innerhalb der Partei, die dann ja nur auf ihre frühen Bedenken hinweisen könnten. Die Absatzbewegung ist auch mit Umfragewerten nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Nach dem Parteitag der Republikaner lag Trump in Umfragen vor Clinton, danach hat sie wieder etwas aufgeholt. Da es letztlich aber nicht um die Umfragen, sondern darum geht, welcher Kandidat in den entscheidenden Swing-Staaten bei den Wahlen die Nase vorn hat, ist für beide Seiten noch alles offen.

Bettina Gaus und Michael Moore sehen Trump als Gewinner der Präsidentschaftswahlen

Entscheidender dürfte sein, dass zwei völlig unterschiedliche Beobachter der US-Gesellschaft, die sich nicht auf Wahlprognosen und die Kommentatoren großer Tageszeitungen verlassen, sondern in die US-Gesellschaft hineingehorcht haben, davon überzeugt sind, dass Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnen kann .

So benennt der in der Bush-Ära weltweit bekannt gewordene Filmemacher und Satiriker Michael Moore fünf Gründe, warum Trump gewinnen wird[1].

Sein Wahlkampf werde sich auf die vier Bundesstaaten Ohio, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin stützen, wo er im mittlerweile abgehängten Industriegürtel bei den vom Kapitalismus für überflüssig erklärten Menschen auf Zustimmung stoßen könnte. Genau diese Bundesstaaten könnten als Swing-Staaten aber wahlentscheidend sein. Zudem werde Trump die Ressentiments des „wütenden weißen Mannes“ ausnützen und in diesen Kreisen neue Wählerschichten auftun.

Einen weiteren Grund für den Wahlsieg von Trump sieht Moore in der Person seiner Kontrahentin. Clinton stehe für alle vom Kapitalismus Abgehängten so sehr für das verhasste System, dass sie die schon Prinzip nicht wählen werden. Clinton könnte die Wahlverweigerer unter den Abgehängten dazu bringen, dieses Mal Trump zu wählen.

Dass eine vergleichbare Gegenreaktion aus dem Lager der Afroamerikaner und Latinos erfolgt, die Clinton wählen um Trump zu verhindern, glaubt auch die Taz-Publizistin Bettina Gaus nicht. Auch sie ist von einem Erfolg Trumps bei den Präsidentenwahlen überzeugt[2] und hat sich dafür auf eine Wette mit einem Kollegen eingelassen. Es sei eine Wette, die sie sehr gerne verlieren würde, erklärte Gaus auf einer Veranstaltung im Taz-Cafe, wo sie ihre neuesten Reportagen über ihre Reisen durch die USA vorstellte[3]. Dabei hat sich Gaus in den Städten und Dörfern umgesehen, in denen die Bevölkerung ihre politischen Überzeugungen nicht aus den Kommentaren der Trump-kritischen Medien bezieht.

Gaus hat einen wachsenden Überdruss großer Teile dieser Bevölkerung mit dem US-System festgestellt. Während Trump sich so gibt, als stehe er außerhalb dieses Systems, war Clinton seit Jahrzehnten Teil dieses Systems und tut im Wahlkampf alles, das noch mal zu betonen. Daher hat Gaus auch bedauert, dass Sanders gegen Clinton verloren hat, weil dieser auch nach allen Umfragen größere Chancen gehabt hätte, sich gegen Trump bei den Wahlen durchzusetzen.

Trump setzt sich über Ansichten vieler Rechter in den USA hinweg

Warum der immer als rechtspopulistisch etikettierte Trump auch bei der Wählerbasis des sozialdemokratischen Kandidaten Sanders Chancen hat, erstaunt nur auf den ersten Blick. Die aktuellen Diskussionen um Trump in den USA zeigen, dass er durchaus im Stande ist, manches Credo der Rechten in den USA infrage zu stellen.

Dazu gehört das Brimborium um sogenannte Heldeneltern, wie es Khizr und Ghazala Khan[4] sind. Im Irakkrieg wurde ihr Sohn getötet. Anders als die Tausende toten Iraker eines auf Lügen basierenden Krieges hat er einen Namen und Eltern, die sich dafür hergeben, den Tod ihres Sohnes mit nationalistischen Phrasen zu bemänteln. Auf dem Parteitag der Demokraten erzählte der Vater von den Opfern, die er mit dem Tod seines Sohnes auf sich genommen habe, und fragte, welche Opfer Trump gebracht hat.

Der so Angegriffene antwortete erst sehr rational, dass er Opfer mit seinem unternehmerischen Engagement gebracht hat. Das ist natürlich ebenso Ideologie wie sein Versuch, die Mutter des Toten als nicht emanzipierte Frau hinzustellen. Doch ist es noch größere Ideologie, wenn nun von einem Angriff Trumps auf die Heldeneltern schwadroniert wird. Was gibt es schließlich Obszöneres als Eltern, die den Tod eines Soldaten zum nationalen Heldenakt aufwerten und damit weitere Helden für die Nation produzieren wollen?

Vor allem ist die Gegenüberstellung der unternehmerischen Tätigkeit gegen das scheinbar selbstlose Opfer für die Nation ein Topos rechter Argumentation. Hier hat Trump in der Tat ein Credo nicht nur der Rechten und Nationalisten in den USA gebrochen. So etwas versuchen sonst antimilitaristische Streiter mit wesentlich weniger Erfolg.

Auch Trumps Einlassungen zum Krim-Konflikt sind ein Affront für die Rechte in den USA und die Falken, die sich hinter Clinton stellen, zeugen aber durchaus von einer realistischen Sichtweise auf das Weltgeschehen. Bezeichnend für die manipulative Berichterstattung über Trumps Positionen zur Krim ist ein Artikel[5] im Tagesspiegel, der schon mit der irreführenden Überschrift beginnt, dass Trump Verständnis für die russische Intervention auf der Krim zeigte.

Im Artikel heißt es dann richtig, dass Trump „im Falle eines Wahlerfolges die – vom Westen als illegal betrachtete – Annexion der Krim durch Russland anerkennen würde“. Das weist ihn nun keineswegs als Anhänger Putins aus, sondern als Vertreter einer Schule des außenpolitischen Rationalismus, der Fakten, die nicht rückgängig zu machen sind, zumindest solange anerkennt, solange sich das Kräfteverhältnis nicht geändert hat.

Nun kann niemand ernsthaft glauben, dass sich Russland in absehbarer Zeit von der Krim zurückzieht, zumal auch eine von der UN überwachte Abstimmung eine große Mehrheit einen Verbleib bei Russland ergeben würde. Auch hier hat Trump eine sehr realistische Sichtweise. Er ist bereit, diesen Fakt anzuerkennen, während seine Kontrahenten einen kalten Krieg gegen Russland entfachen wollen.

Realistisch ist zudem Trumps Position zur Ukraine, die auch in vielen Medien in Deutschland kritisiert wird. Wenn Trump feststellt, dass es keine regulären russischen Soldaten auf ukrainischem Territorium gebe, entspricht das dem aktuellen Informationsstand. Es gibt dafür zumindest keine belastbaren Beweise. Nachgewiesen ist aber, dass ehemalige russische Militärs auf ostukrainischem Gebiet gekämpft haben und dass es wohl auch zahlreiche Tote unter ihnen gegeben hat. Es ist auch sehr klar, dass ihre Anwesenheit nicht ohne Billigung staatlicher Behörden möglich wäre.

Doch ist es in der Außenpolitik ein eminenter Unterschied, ob man behauptet, dass russisches Militär auf ukrainischem Territorium kämpft, oder ob man feststellt, dass dort Einheiten sicher nicht ohne Zustimmung russischer Behörden aktiv sind. Schließlich waren auch in den 1980er Jahren in El Salvador und anderen mittelamerikanischen Staaten Militärberater der USA aktiv, aber es war kein regulärer Truppeneinsatz der US-Army. Das hätte eine ganz andere Eskalationsstufe bedeutet.

Trump: Kein kleineres Übel als Clinton

Auch hier erweist sich Trump als Anhänger der realistischen Schule in der US-Außenpolitik, der eher auf Entspannung als auf Konfrontation aus ist. Das zeigten auch seine despektierlichen Äußerungen zu den Clinton-Leaks, wo noch unbekannte Hacker Zugriff auf die Kommunikation der Demokratischen Partei hatten. Während dafür sofort ohne belastbare Beweise russische Hacker verantwortlich gemacht wurden, forderte Trump genau diese auf, doch weitere Daten der Kontrahenten zu hacken.

Auch hier hat Trump dem nationalen Credo nicht nur der US-Rechten zuwidergehandelt und sich, ob bewusst oder nicht, der transnationalen Logik einer Internetszene angenähert, die solche nationalen Narrative verachtet. Nun ist das alles aber nur die Performance eines flexiblen Geschäftsmanns, der keine politische Ideologie hat und als Präsident durchaus genauso militaristisch und reaktionär sein dürfte, wie seine Kontrahenten inner- und außerhalb seiner Partei.

Es ist also kein Grund, plötzlich gar an Trump irgendetwas zu finden, was ihn im emanzipatorischen Sinne akzeptabel macht, wie es Rainer Rupp behauptet („Im Vergleich zur korrupten Hillary ein ehrlicher Geschäftsmann“[6]), der den „ehrlichen Unternehmer Trump gegen die korrupte Clinton“ setzt und damit selber Ideologie verbreitet. Vor allem ignoriert er den manifesten Rassismus von Trump und wird so zum Vorreiter einer Querfront, die durchaus eine ernst zu nehmende Gefahr ist.

Die Entspannungssignale Trumps gegen Russland könnten mit der in rechten Kreisen anzutreffenden Putin-Bewunderung kompatibel sein. Daher ist die Befürchtung von Liberalen nicht unberechtigt, die in Trump eine Putin-Imitation sehen. Doch umgekehrt nun für Clinton und die militärischen Falken einzutreten, ist genauso fatal.

In einer Situation, in der zwei bürgerliche Kandidaten die Widersprüche des US-Kapitalismus  gut verdeutlichen, wäre es für emanzipatorische Kräfte die zentrale Aufgabe, eine Alternative zu etablieren, die sich nicht mehr der Logik des kleineren Übels beugt, das oft gar nicht so klein ist. Diese Alternative müsste in den Stadtteilen und an den Arbeitsplätzen entstehen und sich gegen die Zumutungen wappnen, die eine Präsidentin Clinton oder ein Präsident Trump noch der Mehrheit der Bevölkerung auferlegen wollen.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49041/1.html

Anhang

Links

[0]

https://www.flickr.com/photos/disneyabc/27854799503/in/album-72157668335568183/

[1]

http://michaelmoore.com/trumpwillwin/

[2]

http://www.taz.de/!5322422/

[3]

https://www.luebbe.de/bastei-entertainment/ebooks/politik-und-gesellschaft/auf-der-suche-nach-amerika/id_3135087

[4]

http://www.express.co.uk/news/world/695409/donald-trump-who-is-ghazala-khan-mother-dead-muslim-soldier-democratic-convention

[5]

http://www.tagesspiegel.de/politik/auf-einer-linie-mit-wladimir-putin-donald-trump-zeigt-verstaendnis-fuer-krim-annexion/13956732.html

[6]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48653/

Mein größter Schatz ist mein Arbeitsplatz!

Eine Studie erklärt, warum viele Amazon-Beschäftigte von den Streiks nichts halten

Der Arbeitskampf beim Onlineversandhandel Amazon ist Gegenstand verschiedener Untersuchungen geworden. Dabei stehen meist die Beschäftigten im Mittelpunkt, die sich gemeinsam mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dafür einsetzen, dass für Amazon die Tarifbedingungen des Einzelhandels gelten.

Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Apicella hat in ihrer kürzlich von der Rosa Luxemburg-Stiftung veröffentlichten Studie »Amazon in Leipzig. Von den Gründen, (nicht) zu streiken« die Blickrichtung geändert. »Warum streiken einige Amazon-Beschäftigte in Leipzig, während sich die Mehrheit nicht an den Streiks beteiligt?« lautete ihre Fragestellung. Dazu hat die Sozialwissenschaftlerin einen Fragebogen ausgearbeitet, den sie im August 2014 vor den Eingängen des Amazon-Versandzentrums in Leipzig verteilte. 132 Fragebögen kamen ausgefüllt zurück.

Unter ihnen war das Verhältnis zwischen Befürwortern und Gegnern des Arbeitskampfes fast ausgeglichen. 65 Beschäftigte gaben an, nie an einem Streik teilgenommen zu haben. 55 der Befragten hatten sich dagegen an allen bisherigen Arbeitskämpfen beteiligt.

Apicella hebt in der Interpretation der Ergebnisse hervor, dass Beschäftigte, die tagtäglich mit den gleichen Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen über ihre Arbeitsbedingungen kämen. Während die streikbereiten Kollegen die akribischen Kontrollen im Arbeitsalltag von Amazon als entwürdigend wahrnehmen, werden sie von den Streikgegnern verteidigt. »Es ist das gute Recht vom Arbeitgeber zu kontrollieren«, wird ein vierzigjähriger Holger in der Studie zitiert.

Nicht nur bei der Frage nach Kontrollen hat Apicella bei den Streikgegnern eine starke Identifikation mit dem Unternehmen festgestellt. So erklären Holger und ein weiterer Mitarbeiter Tobias, sie seien stolz bei einem bekannten Unternehmen zu arbeiten, »das alle kennen und bei Rankings gut abschneidet«. Die Berichterstattung über die Arbeitskämpfe aber auch die öffentliche Thematisierung der Arbeitsbedingungen bei Amazon werden von den Streikgegnern als Angriff auf das von ihnen geschätzte Unternehmen interpretiert.

Mehrere der von Apicella Befragten betonten, dass die Zufriedenheit der Amazon-Kunden für sie an erster Stelle stehe. »Wir versuchen immer alles, um unsere Kunden glücklich zu machen, und, (dass) sie rechtzeitig ihre Artikel erhalten«, macht sich Streikgegner Holger die Amazon-Philosophie zu Eigen. Den streikwilligen Kollegen unterstellt er neben Habgier auch Faulheit. »Ich habe mein Einkommen, meiner Familie geht es gut, mir geht es gut.« Ansonsten müsse jeder zusehen, wie er zu etwas komme und wo er bleibe, fast Holger zusammen. Anders als beim streikbereiten Teil der Belegschaft kommt Solidarität in seinem Weltbild nicht vor.

Im Fazit ihrer Untersuchung hebt Apicella hervor, dass die politische Einstellung und ein Klassenbewusstsein bei der Frage, ob Menschen zu Arbeitskämpfen bereit sind oder nicht, eine zentrale Rolle spielen. Die Untersuchung habe ergeben, dass niedrige Gehälter und mangelnde Sonderzuwendungen durch Amazon keinen entscheidenden Einfluss auf die Kampfbereitschaft haben.

Die Studie kann her runtergeladen werden:

https://www.rosalux.de/publication/42258/amazon-in-leipzig.html

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1020982.mein-groesster-schatz-ist-mein-arbeitsplatz.html

Peter Nowak

Kommentar zur Rezension:

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1021088.ueberlebenskampf-prekaritaet.html

Von Sebastian Kleiner

05.08.2016

Überlebenskampf Prekarität

Sebastian Kleiner über die Gründe mangelnder Streikbereitschaft von Amazon-Mitarbeitern

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat in einer Studie die mangelnde Streikbereitschaft von Amazon-Mitarbeitern untersucht. Das Fazit: Politische Einstellung und Klassenbewusstsein spielen eine zentrale Rolle, ob Menschen zu Arbeitskämpfen bereit sind – oder nicht. Niedrige Löhne und mangelnde Sonderzuwendungen haben dagegen kaum Einfluss.

Tränen standen in den Augen vieler Beschäftigter, die am 29. Dezember 14 mit mir zusammen im Amazon-Lager in Brieselang mitgeteilt bekamen, keinen neuen Arbeitsvertrag zu bekommen. Immer wieder hatten die Geschäftsleitung und Vorgesetzte damit gelockt, dass bei entsprechender Leistung im Weihnachtsgeschäft eine Übernahme möglich sei. Alle zwei Wochen wurde die eigene Arbeitsleistung kontrolliert, die Geschwindigkeit gemessen und nach Fehlern gesucht. Dabei wurde die eigene Leistung nicht nur mit dem Durchschnitt im Lager verglichen, sondern auch mit der Leistung derer, die gleichzeitig angefangen hatten. Wie groß die Chancen für eine Übernahme standen, war einfach auszurechnen. Die Entscheidung, an einem Streik teilzunehmen oder nicht, fiel entsprechend aus. Im Überlebenskampf Prekarität sind politische Einstellung und Klassenbewusstsein ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann.

Hinweis auf Labournet:

http://www.labournet.de/politik/gw/kampf/kampf-all/studie-amazon-in-leipzig-von-den-gruenden-nicht-zu-streiken/?cat=8158

Ein Ort des Schreckens

NS-GESCHICHTE Ausstellung in der Charité zeigt die Arbeit im Krankenrevier des KZ Ravensbrück

Jeder Mensch denkt bei dem Wort ‚Krankenrevier‘ an lange, stille Gänge, weiße Betten, tüchtige Schwestern. Für die Häftlinge des KZ Ravensbrück war das Revier wie jeder Winkel des Lagers ein Ort der Angst und des Schreckens“, schrieb die langjährige politische Gefangene Erika Buchmann in dem Standardwerk „Die Frauen von Ravensbrück“. 120.000 Frauen aus 30 Ländern waren zur Zeit des Nationalsozialismus von der SS in das 80 Kilometer nördlich von Berlin gelegene Konzentrationslager gepfercht worden. Einer kleinen Ausstellung über die Arbeit im Krankenrevier des KZ Ravensbrück, die im Campus der Charité gezeigt wird, gelingt es, etwas von dem Schrecken zu vermitteln.,Zahlreiche Fotos, Zeichnungen und Schriftzeugnisse ehemaliger Revierarbeiterinnen und ihrer Patientinnen geben einen Eindruck von den Ängsten der Häftlinge, aber auch der Solidarität unter ihnen. „Zunächst wurden im Krankenrevier hauptsächlich die Folgen von Arbeitsunfällen und isshandlungen notdürftig behandelt. Mit der zunehmenden Überfüllung nach Kriegsbeginn breiten sich Seuchen und andere Krankheiten aus, für deren Behandlung die SS nie ausreichend Medikamente zur Verfügung stellte“, schreibt die Historikerin Christl Wickert, die die Ausstellung zusammen mit Ramona Saavedra Santis kuratierte. Auf einem Foto ist der entstellte Fuß einer Frau zu sehen, der von SS-ÄrztInnen Krankheitskeime injiziert wurden. Viele Gefangene überlebtensolche Versuche nicht oder trugen lebenslange gesundheitliche Schäden davonMehrere Tafeln widmen sich der juristischen Aufarbeitung dieser medizinischen Verbrechen nach dem Krieg. Auch medizinische Helferinnen unter den Häftlingen wurden beschuldigt, der SS geholfen zu haben. „Es waren alles Spritzen zu Heilzwecken“, rechtfertigte sich die Schweizerin Anne Spoerry 1949, als man ihr vorwarf, sie sei durch ihre Tätigkeit für den Tod von Häftlingen mitverantwortlich. Die Ausstellung ist Teil des

Projekts „Wissenschaft in Verantwortung – GeDenkOrt Charité“ und leistet damit auch ei-nen Beitrag zur  eschichtsaufarbeitung. „Auch Ärzte der Berliner Universitätsmedizin waren in der Zeit des Nationalsozialismusan Medizinverbrechen im Konzentrationslager Ravensbrück beteiligt“, heißt es seitens der Charité. Die Schau ist als Wanderausstellung konzipiert und kann verliehen werden.

Peter Nowak

Taz vom 3.8.2016
■■Die Ausstellung „… unmöglich, diesen Schrecken aufzuhalten“ ist bis 31. August im Charité-CrossOver, Campus Charité Mitte, Charitéplatz 1 zu sehen. Mo.–Fr. 7–20 Uhr, Eintritt frei


Stadteilinitiativen wollen Räumung des M 99 verhindern

Mit der Ladenwohnung würde auch eine reale Gentrifizierungsbremse verschwinden, an der sich in der Vergangenheit acht HausbesitzerInnen die Zähne ausgebissen haben.
Am 9. August soll der „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“ (M99) in der Manteuffelstraße geräumt werden. Damit würde der Ladenbetreiber Hans Georg Lindenau, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, auch seine Wohnung verlieren. In den nächsten Tagen wollen seine Unterstützer/innen mit Aktionen und Kundgebungen gegen die Räumung mobilisieren. In der letzten Woche trafen sich etwa 100 UnterstützerInnen auf Einladung des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“ im Berliner S0 36, um die Protestagenda zu koordinieren. Am 7. August soll eine Kiezdemonstration um 16 Uhr am Heinrichplatz beginnen, um den Betreiber Lindenau, der auch HG genannt wird, zu unterstützen. Im Stadtteil haben sich zahlreiche Läden und Projekte für seinen Verbleib eingesetzt. Auch die Stadtteilinitiative Bizim Kiez unterstützt ihn. Zur Demonstration haben sich auch UnterstützerInnen aus anderen Städten und aus dem Ausland angekündigt. Eine Arbeitsgruppe möchte Schlafplätze für die auswärtigen Unterstützer/innen organisieren. Am 9. August sollen sich ab 8 Uhr die Menschen rund um das M99 versammeln. „Wir wollen so viele sein, dass für die Gerichtsvollzieherin, die die Räumung vollstrecken will, kein Durchkommen mehr ist und sie unverrichteter Dinge wieder abziehen muss“, sagte ein Unterstützer von HG. Auf diese Weise konnten in der Vergangenheit mehrere Zwangsräumungen zumindest aufgeschoben werden. Sollte die Räumung nicht verhindert werden können, will Hans Georg Lindenau in einen Hungerstreik treten und gemeinsam mit Unterstützer/innen den Verkauf seiner Waren mittels eines Containers organisieren.

Altes gegen neues Kreuzberg


Viele NachbarInnen von HG befürchten, dass die drohende Räumung des Ladens auch eine Gefahr für sie selber ist. „Zahlreiche nichtkommerzielle Projekte mussten in der letzten Zeit aus Kreuzberg wegziehen. Wenn  jetzt auch der  M99  aus Kreuzberg  verschwinden soll, der in vielen Reisebüchern aufgeführt ist, dann bedeutet das, dass wir alle hier in diesem Stadtteil  nicht mehr sicher sind“, erklärte eine Nachbarin  Sie verweist darauf, dass in der letzten Zeit zahlreiche nichtkommerzielle Projekte ebenso aus Kreuzberg verdrängt wurden, wie MieterInnen mit geringen Einkommen.  Bereits 2012 war  an der Fassade des an dem M99 angrenzenden Laden mit Leuchtschrift „Casino“   zu lesen. Über den Laden von HG prangt hingegen noch immer der handgeschriebene Schriftzug „M99 – Laden mit Revolutionsbedarf“. So konnte man auf engsten Raum das alte und neue Kreuzberg an ihren Symbolen erkennen.  Der Konflikt, der mit HGs Räumung enden soll, währt schon mehr als ein  Jahrzehnt. Insgesamt zehn HauseigentümerInnen wollten in den letzten Jahren das Haus sanieren. Doch HG weigerte sich, auszuziehen und er gewann zahlreiche Gerichtsprozesse. Er wurde so auch zur realen Gentrifizirungsbremse.  Viele BewohnerInnen im Stadtteil hoffen nun, dass zumindest im ersten Anlauf die Räumung am 9. August misslingt.

MieterEcho online 03.08.2016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/m-99.html

Peter Nowak

Hat der Kopftuchislam den Euro-Islam besiegt?

Bassam Tibis Einlassungen zum regressiven Islam

Der Islamologe[1] Bassam Tibi gehörte in der Islamdebatte zu den Stimmen, die auf Differenzierungen bestanden. Die Leserinnen und Leser seines Internetblogs[2] werden mit diesen klugen Sätzen zur Islamdebatte begrüßt:

Mich als ein in Deutschland lebender muslimischer Migrant, der einen Aufklärungsislam vertritt, irritiert der durch die Kombination aus Irrsinn und Unwissenheit gekennzeichnete Islamstreit in der deutschen Öffentlichkeit. Die Bundeskanzlerin und die AfD haben die Gemeinsamkeit, kein Sachwissen über den Islam zu haben. Stattdessen streiten sie ideologisch darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht. Im Englischen fragt man in Fällen, bei denen die Debattierenden ohne Wissen streiten: „What are we talking about?“. Den Islam gibt es nicht, und so kann es keine nützliche Debatte über einen unterstellten „Eintopf-Islam“ geben.

Warum das Kopftuch-Klischee?

Und nun wird ein Aufsatz, den Tibi im Cicero veröffentlichte[3], mit für den Wissenschaftler ungewohnten Klischees zusammengefasst. So lautet die Titelzeile im islamkritischen Blog Achgut[4]: „Bassam Tibi: „Ich kapituliere. Der Kopftuch-Islam hat den Euro-Islam besiegt“.

Nun kann man den Artikel mittlerweile online vollständig lesen[5] und feststellen, dass die  Tibis Thesen, in der Überschrift tatsächlich treffend zusammengefasst worden sind.

Er beschreibt, wie er sich ein Vierteljahrhundert bemühte, „eine Brücke zwischen den europäischen Gesellschaften und den islamischen Migranten“ zu bauen. „Die Brücke nannte ich Euro-Islam, die einen Reform-Islam voraussetzt.“ Diesen Versuch erklärt Tibi für gescheitert. Dann kommen die plakativen und für einen Mann der differenzierten Sprache ungewöhnlichen Sätze.

Der „Kopftuch-Islam“ ist der Gegensatz zum Euro-Islam, der Kopftuch-Islam ist ein Scharia-Islam, der von Islamisten und orthodoxen salafistischen Muslimen gegen jeden fortschrittlichen Islam vertreten wird. Heute gebe ich mich geschlagen. Den Euro-Islam wird es nicht geben. Ich kapituliere.

Gleich im Anschluss kommt Tibi auf eine Frage zu sprechen, die sich nach diesem Einstieg geradezu aufdrängt. Warum verwendet der Wissenschaftler gerade das  Kopftuch als ein Unterscheidungsmerkmal zwischen einen seiner Ansicht nach fortschrittlichen versus reaktionären Islam? Gibt es nicht viele selbstbewusste Frauen, die ihre Rechte einfordern und Kopftuch tragen? Ein Beispiel ist die Ägypterin Marwa el-Sherbini, die sich in Dresden gegen rassistische Angriffe eines Neonazis juristisch wehrte[6] und dafür im Gerichtssaal erstochen wurde[7].  Müsste die Parole des Euro-Islams daher nicht eher lauten, „jede Frau muss das Recht haben mit oder ohne Kopftuch nach ihrer Fasson zu leben?

Tibi schreibt, dass es nicht in seiner Absicht liege, sich auf eine Debatte über das Kopftuch einzulassen. Nur, warum wählt er dann das Kopftuch als Unterscheidungsmerkmal zwischen zwei Islamversionen? Auffällig ist auch, dass Tibi in seinem Text umstandslos vom Tragen eines Kopftuchs zur Verschleierung wechselt und damit die Unterschiede verwischt. Während die Verschleierung in der Tat die Entpersonifizierung einer Frau bedeutet und Verbote wie in Frankreich daher durchaus sinnvoll sind, sollte das Tragen eines Kopftuchs der Entscheidung jeder einzelnen Person überlassen bleiben. Staatliche Stellen müssten nur eingreifen, wenn Druck ausgeübt wird, ein Kopftuch zu tragen oder nicht zu tragen.

Geht es Tibi vor allem um die Abwehr der Flüchtlinge?

Weiterhin verwundert Tibis Erklärung, wann er seine Vorstellung des Euro-Islams für gescheitert erklärt hat:

Das Jahr 2015 markiert das Ende meiner Hoffnung auf eine Europäisierung des Islam. 2015 sind mehr als anderthalb Millionen Flüchtlinge aus der Welt des Islam, überwiegend meiner Heimat Syrien, nach Europa gekommen, unter denen ich keine einzig europäisch gekleidete Frau gesehen habe. Ich sehe bärtige Islamisten und Frauen in islamistischer Uniform und resigniere.

Hier fällt zunächst auf, dass die Bilder, die Tibi bemüht, nicht mit denen übereinstimmen, die über die vielen Geflüchteten in den Medien verbreitet wurde. Die meisten der jungen Männer aus Syrien und anderen Ländern sahen eher sehr westlich-modern aus und genau darüber regten sich auch viele Flüchtlingsgegner bei Pegida und Co. auf. Nur eine Minderheit der Geflüchteten trugen Bärte und sahen aus, wie man sich einen Islamisten gemeinhin vorstellt.

Zudem sind ja viele dieser Menschen gerade vor islamistischen Tugendterror geflohen, was bei Tibi auch nicht vorkommt. Die Gründe, warum generell weit mehr Männer als Frauen migrieren, sind vielfältig. Sie haben sicher auch etwas  mit patriarchalen Gesellschaften zu tun, in denen die Männer für den Rest der Familie sorgen sollen. In vielen Fällen wollen die Männer später den Rest der Familie, Frauen und Kinder nachholen. Es ist unverständlich, warum Tibi all diese Gründe ausblendet und die Überzahl der Männer unter den Geflüchteten nur mit dem Islamismus in Verbindung bringt.

Gerade bei diesem Abschnitt stellt sich die Frage, ob Tibi nicht mit seiner mit starken Methapern unterlegten „Kapitulationserklärung“ nur noch einmal seine Gegnerschaft zur Aufnahme von Geflüchteten ausdrücken will. Zudem fällt auch bei ihm auf, dass er sich als Opfer einer angeblichen Doktrin geriert, wonach in Deutschland nichts Negatives über den Islam gesagt werden dürfe. Solche untauglichen Versuche mag es tatsächlich in einigen akademischen Blasen noch geben. Doch im Jahr 2016 kann niemand mehr behaupten, Islamkritiker seien in Deutschland eine verfolgte Minderheit.

Regression in der islamischen Welt gibt es tatsächlich

Dabei gibt es in Tibis Text einige schlaue Gedanken, die es wert wären weiter diskutiert zu werden. Dazu gehört die Feststellung, dass es in den letzten Jahren eine Regression in der islamischen Welt gegeben hat. Der Aufstieg des Dschihadismus ist hier ebenso zu nennen wie der islamistische Antisemitismus, den Tibi gar nicht erwähnt. Ich würde diese regressive Strömung als islamistische Version des Faschismus bezeichnen.

Tibi kritisiert auch treffend die deutsche Politik, wenn er schreibt:

Das obrigkeitsstaatliche Denken deutscher Politik erschöpft sich im Glauben, durch Gesetze und staatliche Politik die Muslime zu integrieren. Das kann niemandem gelingen. Integration bedeutet Inklusion in ein Gemeinwesen, nicht Unterbringung, Sprachkurse und Versorgung von Staats wegen, wie der Begriff heute in Deutschland verhunzt wird.

Treffend kritisiert Tibi auch die Kooperation der deutschen Staatsapparate mit islamischen Verbänden, die von sich fälschlich behaupten, alle in Deutschland lebenden Muslime zu vertreten. Oft werden dabei besonders konservative und reaktionäre Organisationen aufgewertet, denen  es um die Bewahrung ihrer Pfründe geht. Liberale Moslems und säkulare Menschen, die sich durch diese Verbände nicht vertreten fühlen, werden damit übergangen. Die deutsche Politik handelt hier aber  nicht naiv, sondern sie sieht in den konservativen Moslemverbänden Garanten der Durchsetzung einer konservativen auf Ruhe und Ordnung zählenden Politik.

So werden diese Moslemverbände als durch die dem deutschen Staatsinteresses nützlichen ideologischen Staatsapparate gefördert. Dazu zählt auch der Verband Ditib[8], der die islamisch-konservative Politik der türkischen Regierung in Deutschland verbreitet. Dagegen hatten viele deutsche Politiker lange Zeit nichts einzuwenden. Denn auch sie teilten Erdogans Ziel, dass die Verbände dafür sorgen sollten, dass die Einwanderer aus der Türkei brave Staatsbürger werden, die sich der Obrigkeit nicht wiedersetzen. Das sollte nach ihren Willen sowohl in Deutschland und in der Türkei gelten.

Erst in den letzten Monaten wird vermehrt von einem Loyalitätskonflikt der türkischen Einwanderer gesprochen, die sich entscheiden sollen, ob sie sich für die deutsche oder türkische Politik interessieren. Dass die türkische Community in Deutschland schon in den 1980er Jahren wesentlich konservativer war als die Menschen in der Türkei, sprach die türkische Künstlerin Gülsün Karamustafa[9] 2003 in dem Film Es Express[10] an (aktuell ist er in einer großen Retrospektive[11] zu sehen).

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49025/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.bassamtibi.de/buecher/buecher_dt

[2]

http://www.bassamtibi.de/start/

[3]

http://www.cicero.de/salon/islamwissenschaftler-bassam-tibi-ich-kapituliere

[4]

http://www.achgut.com/artikel/fundstueck_bassam_tibi_ich_kapituliere._der_kopftuch_islam_hat_den_euro_isl

[5]

http://www.bassamtibi.de/ich-kapituliere-artikel-von-bassam-tibi-im-cicero

[6]

http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Weisse-Rosen-fuer-eine-Frau-die-zu-mutig-war

[7]

http://www.sueddeutsche.de/panorama/dresden-mord-in-gerichtssaal-trauerfeier-fuer-getoetete-aegypterin-1.80812

[8]

http://www.ditib.de

[9]

http://www.milliyet.com.tr/gulsun-karamustafa

[10]

http://pong-berlin.de/de/1/films/es-express

[11]

http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/hamburger-bahnhof/ausstellungen/detail/guelsuen-karamustafa-chronographia.html

Ausgelöschte linke Erinnerung

Ein kürzlich publiziertes Buch des Historikers und Romanisten Alexandre Froidevaux beschäftigt sich mit der Erinnerungsgeschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur sogenannten „Transición“.

Der 19. Juli 1936 war für viele ZeitgenossInnen in aller Welt ein wichtiges Datum. In Spanien stoppte an diesem Tag ein Aufstand grosser Teile der Bevölkerung einen faschistischen Putsch. „No pasarán!“, sie werden nicht durchkommen, wurde zum geflügelten Wort. In aller Welt entstanden Solidaritätskomitees für die spanische Revolution, an denen sich auch viele KünstlerInnen beteilig ten. Freiwillige aus aller Welt kämpften mit der Waffe in der Hand in den Internationalen Brigaden in Spanien. Viele von ihnen kamen aus Ländern, in denen der Faschismus schon an der Macht war. Sie wollten in Spanien auch dessen mörderische Weltherrschaftspläne stoppen. 80 Jahre später ist das Datum, das weltweit soviele Hoffnungen auslöste, fast vergessen.

Die Gründe dafür werden von Alexandre Froidevaux in „Gegengeschichten oder Versöhnung?“ sehr gut herausgearbeitet. Sehr detailreich gibt der Autor Einblick in die spanische Erinnerungskultur. Dabei liefert er auch einen gut belegten Einblick in die Geschichte der spanischen ArbeiterInnenbewegung zwischen 1936 und 1982. Bevor die Tage der Hoffnung im Juli 1936 in die Zeit des schrankenlosen Terrors gegen alle VerteidigerInnen der Republik mündeten, nahmen die Auseinandersetzungen innerhalb der spanischen Linken immer schärfere Formen an.

Keine gemeinsame Erzählung

Diese führten dazu, dass die VerteidigerInnen der Republik nicht einmal eine gemeinsame Erzählung von der Niederlage pflegten. Froidevaux macht das an der Rezeption des sogenannten Casado-Putschs deutlich, bei dem am 5. März 1939 ein Bündnis aus rechten SozialistInnen und Teilen der AnarchosyndikalistInnen die wesentlich von der Kommunistischen Partei unterstützte Negrin-Regierung stürzte. Für die KommunistInnen war das der Grund, um ihre Tiraden gegen angebliche trotzkistische und anarchistische VerschwörerInnen, die den Francotruppen den Weg geebnet haben sollen, endlos zu wiederholen. Tatsächlich waren die GegnerInnen Negrins überzeugt, dass die Lage für die Republik aussichtslos war und es Verhandlungen mit Franco geben müsse. Die Negrin-Regierung und die Kommunistische Partei hingegen setzten auf das Durchhalten, bis sich die weltpolitische Lage ändern und sie Unterstützung von Staaten wie Grossbritannien und Frankreich bekommen würden. Diese hatten seit 1936 alles getan, um die Unterstützung der spanischen Republik und ihrer bürgerlich-demokratisch gewählten Linksregierung zu sabotieren. Die rechten PutschistInnen konnten hingegen von Anfang an auf die grosszügigste Unterstützung Hitler-Deutschlands und Mussolini-Italiens rechnen. Ohne deren Militärhilfe wäre der Putsch bereits in den ersten Tagen zusammengebrochen. Stille Sympathie hatten die PutschistInnen bei konservativen Kräften in vielen westlichen Staaten, die durchaus das Ziel des europäischen Faschismus teilten, der Sowjetunion und ihren UnterstützerInnen weltweit eine Niederlage zu bereiten. Doch hatte Stalin mittlerweile die Revolution erstickt, führende Köpfe des Roten Oktober waren hingerichtet oder inhaftiert worden. Daher war die spanische Revolution für viele Linken in aller Welt auch die Hoffnung auf eine Erneuerung der revolutionären Bewegung ausserhalb der SU. Die stalinschen Repressionsorgane verfolgten linke KritikerInnen auch auf spanischem Boden und die Kommunistische Partei Spaniens verteidigte diese Massnahmen.
Diese politische Gemengelage, in der sich die Interessen der sowjetischen Aussenpolitik unter Stalin mit dem revolutionären Impetus vieler KommunistInnen in und ausserhalb verschiedener Parteien vermengte, wird im Buch sehr gut beschrieben. So wird die Kluft deutlich, die sich nach der Niederlage unter den spanischen VerteidigerInnen der Republik auftat und zu einem regelrechten Hass zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen führte. Bis Anfang der 1960er Jahre lehnten viele SozialistInnen und AnarchistInnen die Kooperation mit der KP ab, die sie für die Repression gegen ihre GenossInnen verantwortlich machten. Doch auch innerhalb der Gruppierungen ging der Streit nach der Niederlage weiter. Froidevaux schreibt über die Spaltung der anarchosyndikalistischen CNT: „Die andauernden Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fraktionen bleiben der Vergangenheit verhaftet, begründen sich, wie gezeigt, aus unterschiedlichen Lesarten der CNT-Politik im Bürgerkrieg und speisen sich aus persönlichen Animositäten“.

Konservative feiern Franco

Froidevaux macht aber auch das Ausmass des Terrors deutlich, mit dem der spanische Faschismus sein proklamiertes Ziel, Spanien von allen Linken, Gottlosen und Freimaurern zu säubern, vor allen in den ersten Jahren gnadenlos umsetzte. Froidevaux geht von mindestens 150.000 Ermordeten aus. Wesentlich höher war

die Zahl der Gefolterten und der ZwangsarbeiterInnen, die etwa die Monumentaldenkmäler des Regimes errichten mussten. Auch die Erinnerung an das republikanische Spanien wurde mit massivem Terror rigoros unterbunden. Froidevaux spricht von einem Memorizid. „Auf diese Weise ging linke Identität verloren, begleitet und verstärkt durch den Verlust kollektiver Erinnerung“. Der Memorizid führte dazu, dass auch nach der sogenannten „Transición“, bei der aus Franco-FaschistInnen wieder Konservative wurden, die Geschichte der spanischen Revolution nicht erzählt wurde. Es gab auch keine Gerechtigkeit für die Opfer der faschistischen Gewaltpolitik. Erst mit grosser Verspätung gab es in den 1990er Jahren die ersten Versuche, von den faschistischen Schergen Ermordete umzubetten und Gedenkorte einzurichten. „Das Vergessen setzt sich durch“, das gilt auch für die Nachfranco-Ära. Froidevaux kommt bei aller Kritik im Detail zu dem Fazit, dass es angesichts der Kräfteverhältnisse keine Alternative zur Politik der „Transición“ gegeben habe. Doch angesichts der portugiesischen Revolution und dem weltweiten revolutionären Aufbruch, der Mitte der 1970er Jahren noch im Gang war, sollte man dahinter ein grosses Fragezeichen setzen. Und man sollte nie vergessen, es waren deutsche ChristdemokratInnen und die konservative FAZ, die bis zum Schluss Franco als Bollwerk des christlichen Abendlands gegen den Kommunismus feierten. So schrieb ein Robert Held 1961 zum 25. Jahrestag des Putsches in der FAZ, die Obristen hätten das Schlimmste gerade noch verhindert – womit die spanische Revolution gemeint war.

Alexandre Froidevaux: „Gegengeschichten oder Versöhnung? Erinnerungskulturen und Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur ‚Transición‘ (1936-1982)“ Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2015,   600 Seiten, ca. 30 Franken

Peter Nowak

vorwärts – die sozialistische zeitung, Nr. 27/28 vom 15. Juli 2016,

Dokumentiert auf Schattenblick:

http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/vorw1207.html

Nr. 27/28 – 72. Jahrgang – 15. Juli 2016, S. 8

Ein kürzlich publiziertes Buch des Historikers und Romanisten Alexandre Froidevaux beschäftigt sich mit der Erinnerungsgeschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur sogenannten „Transición“.

Der 19. Juli 1936 war für viele ZeitgenossInnen in aller Welt ein wichtiges Datum. In Spanien stoppte an diesem Tag ein Aufstand grosser Teile der Bevölkerung einen faschistischen Putsch. „No pasarán!“, sie werden nicht durchkommen, wurde zum geflügelten Wort. In aller Welt entstanden Solidaritätskomitees für die spanische Revolution, an denen sich auch viele KünstlerInnen beteilig-

Per Du mit den Schlapphüten

Die Amadeu Antonio Stiftung wird immer wieder von rechts attackiert – neu ist Kritik aus dem linken Lager

Linke streiten seit Jahren über die Frage, ob der Verfassungsschutz reformiert werden kann. Die Amadeu Antonio Stiftung wird für ihre Kooperation mit dem Geheimdienst stark kritisiert.

Die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) sieht sich dieser Tage massiver Kritik ausgesetzt – von links und von rechts. In Thüringen bekam die Stiftung von der rot-rot-grünen Landesregierung den Auftrag, eine Dokumentationsstelle für Menschenrechte aufzubauen und zu betreiben. Der Soziologe Matthias Quent von der AAS ist seit Montag Leiter dieses neuen Instituts. CDU und AfD lehnen nicht nur die Dokumentationsstelle ab, sondern auch die ihrer Meinung nach intransparente Vergabe. Am 11. August soll sich der Landtag in einer Sondersitzung mit den Vorwürfen befassen. Auch die Staatsanwaltschaft prüft nach einer anonymen Anzeige die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit der Projektvergabe.

Aber auch von links bekommt die sonst in antirassistischen Kreisen geschätzte Stiftung Gegenwind. Seit etwa einer Woche findet sich im Internet ein Offener Brief zivilgesellschaftlicher Gruppen, in dem die »lieben Freundinnen und Freunde« aufgefordert werden, ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz zu beenden. Konkret monieren die Unterzeichner, zu denen unter anderem die Humanistische Union, die Berliner Naturfreundejugend und das Forum für kritische Rechtsextremismusforschung gehören, dass der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer im Stiftungsrat der AAS sitzt. Moniert werden auch Veranstaltungen, auf denen Mitglieder der AAS und Vertreter unterschiedlicher Verfassungsschutzämter gemeinsam aufgetreten sind.

George Kaplan von der Initiative »Blackbox Verfassungsschutz« erklärt gegenüber »nd«: »Die unterzeichnenden Initiativen befassen sich seit Jahren mit dem NSU-Komplex und arbeiten mit den Angehörigen und Opfern des NSU-Terrors eng zusammen. Daher ist eine Zusammenarbeit mit Geheimdiensten für uns nicht vereinbar mit der Arbeit gegen Rassismus und Antisemitismus«.

Anetta Kahane von der AAS betonte gegenüber »nd«, dass sie ihre Kritik am Umgang der Verfassungsschutzämter mit der NSU-Affäre und der rechten Szene weiterhin deutlich äußern werde. So habe sie bei ihrer Rede beim Symposium ostdeutscher Verfassungsschutzämter, die in dem Offenen Brief angesprochen wird, eine prononcierte Kritik an den Ämtern geübt. Solange Verfassungsschutzämter Teil des Staatsgefüges sind, werde die AAS mit ihren Vertretern sprechen und versuchen, Reformen durchzusetzen. So bewertet es Kahane im Gegensatz zu den Unterzeichnern des Briefes als positiv, dass sich Mitarbeiter mit der AAS über Recherchemethoden in der rechten Szene ausgetauscht haben. Schließlich habe eine zentrale Kritik an den Geheimdiensten in deren Inkompetenz und Unwissenheit in Bezug auf die rechte Szene bestanden. Nicht verstehen kann Kahane die Kritik an Stephan Kramer. »Ich kenne ihn seit seiner Arbeit als Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Er ist seit Jahren Mitglied im Stiftungsrat der AAS und wird es auch bleiben.« Seine Arbeit als Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes werde daran nichts ändern. Kahane erinnerte daran, dass Kramer das Amt mit dem Anspruch angetreten habe, dringend nötige Reformen in der Behörde umzusetzen.

VS-Kritiker Kaplan hat daran Zweifel. »Seine Äußerungen in der Öffentlichkeit lassen den Eindruck aufkommen, dass Kramer alles vermeiden will, was die alten Behördenmitarbeiter verärgern könnte.« Kaplan kann Kramers Verhalten in seiner Position verstehen. Doch dadurch würden er und die Mitunterzeichner des Briefes in der Überzeugung bestärkt, dass der Verfassungsschutz nicht reformierbar ist. Eindeutig distanziert sich Kaplan von rechten Angriffen auf die AAS und Kahane, die sich in den letzten Monaten häuften. »Wir schätzen die Arbeit der AAS im Kampf gegen Rassismus und werden sie gegen alle Angriffe von Rechts verteidigen.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1020735.per-du-mit-den-schlapphueten.html

Peter Nowak