Theorie schlägt Praxis, einstweilen zumindest

Auf der »Sozialen Kampfbaustelle« wurde in Leipzig über Stadtpolitik diskutiert – bald sollen nun auch praktische Schritte folgen

Pavillons, Stühle Tische und Bierbänke luden in der vergangenen Woche zwischen bunten Häusern im Leipziger Stadtteil Lindenau zum Verweilen ein. Das Inventar gehörte zur »Sozialen Kampfbaustelle«, die vom 15. bis zum 22. August am Rande der Gießer Straße ihre Zelte aufgeschlagen hatte. »Das Protestcamp mitten in Leipzig sollte Stadtteilbewohnern die Möglichkeit geben, sich über steigende Mieten, Stress mit dem Jobcenter oder im Minijob auszutauschen«, berichtet Mitorganisator Lukas gegenüber »nd«.

Die Idee dafür kam von Menschen aus den Leipziger Stadtteilen Plagwitz und Lindenau. Inspiriert hatte sie ein Kölner Protestcamp, das unter dem gleichen Namen in den Jahren 2013 und 2014 den Widerstand gegen Sanktionen im Jobcenter, hohe Mieten und Verdrängung organisatorisch bündeln wollte.

Auch in Leipzig stand in unterschiedlichen Arbeitsgruppen die Verbindung verschiedener Alltagskämpfe im Mittelpunkt der Diskussionen, die sich dann meist noch an der Bar oder beim gemeinsamen Essen fortsetzen. Bewohnerinnen und Bewohner eines noch unsanierten Hauses in Lindenau berichteten etwa, wie sie mit Unterstützung aus der Nachbarschaft verhindern konnten, dass der neue Investor die Kamine abreißen lässt und damit das Haus unbewohnbar macht.

Solche Beispiele motivierten offensichtlich. »Es gibt in Leipzig viele Wagenplätze, Wohngemeinschaften und Kneipen, die sich der Entwicklung zu immer teurerem Wohnraum entgegenstellen«, meint etwa Lukas, der an dem Protestcamp teilnahm. Obwohl die Organisierung im Stadtteil im Mittelpunkt der Diskussionen stand, widmete sich das Camp aber auch internationalen Themen. Am Samstagabend berichteten kurdische Aktivisten über ihre Versuche, in Rojava Strukturen der Selbstorganisation aufzubauen.

Doch nicht alle in Leipzig freuen sich über den Alltagswiderstand im Stadtteil. »Unter dem sehenden Auge der Stadtspitze hat sich eine rechtsfreie Subkultur entwickelt«, monierte etwa der Ortsvorsitzende der CDU-Altwest Michael Weickert und forderte wegen des Protestcamps mehr Polizeipräsenz im Stadtteil. Solcher politischer Druck blieb nicht ohne Folgen. Eine bereits erteilte Zusage an die Politcamper in einem Nachbarschaftsgarten in Lindenau wurde kurzfristig zurückgezogen. Stolz waren die Organisatoren aber, dass es ihnen gelungen ist, das Camp ohne Anmeldung am Ersatzort durchzuführen. »Die Gemeinflächen, die wir nutzen, gehören denen, die hier wohnen – und nicht dem Ordnungsamt«, lautete die Begründung.

Lukas erlebte die Tage im Camp als ein soziales Experiment. Doch etwas mehr Resonanz über den Kreis der politisch aktiven Szene hinaus hätte er sich schon gewünscht. Das Camp sei durch den Ortswechsel im Straßenbild des Viertels zu wenig sichtbar gewesen, vermutet der Aktivist. Auch wurde das ursprüngliche Vorhaben verworfen, während des Camps zu Orten der Verdrängung in der Stadt zu gehen und mit Betroffenen Kontakt aufzunehmen: Es gab so viele Workshops und Veranstaltungen, dass für eine solche praktische Anschauung nicht ausreichend Zeit blieb.

Doch habe die Theorie die Praxis nur zeitweise geschlagen, heißt bei den Campern. Diese Planungen seien nur aufgeschoben: »Auf dem Camp sind konkrete Ideen für den weiteren Widerstand gegen Entmietung und Verdrängung vorgestellt worden.«

Diese Vorschläge sollen von Interessierten konkretisiert werden. Perspektivisch ist die Gründung eines Solidarischen Netzwerkes im Stadtteil geplant. Damit nehmen die Leipziger Stadtteilaktivisten Bezug auf ein Organisationsmodell, mit dem in verschiedenen Städten der USA in den letzten Jahren erfolgreiche Kämpfe gegen Verdrängung und Niedriglöhne geführt wurden.

Eine Art organisatorischer Leitfaden zum Aufbau eines solchen Solidarischen Netzwerkes ist mittlerweile in die deutsche Sprache übersetzt worden und kann im Internet heruntergeladen werden.

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Peter Nowak