FLÜCHTLINGE Eine von Neonazis in Zossen zerstörte antirassistische Ausstellung zur FLüchtlingspolitik ist rekonstruiert worden und im Haus der Demokratie zu sehen
Der Mann mittleren Alters war empört: Er sei nicht vor 20 Jahren gegen die Mauer auf die Straße gegangen, um jetzt einen schriftlichen Antrag zu stellen, wenn er von Oberhavel nach Berlin fahren will. Diese Maßnahme hatte ihm ein Team junger Männer und Frauen angekündigt, die sich „Arbeitskreis Innere Sicherheit Oberhavel“ nannten. Die Szene findet sich in einem Video, das in der am Montagabend im Berliner Haus der Demokratie wiedereröffneten Ausstellung „Residenzpflicht – Invisible Borders“ zu sehen ist. Die 1982 im Bundestag verabschiedete Regelung verbietet Flüchtlingen das Verlassen des ihnen von den Ausländerbehörden zugewiesenen Landkreises ohne Genehmigung. Die in dem Video gezeigten Szenen sind also nicht so absurd, wie sie sich anhören.
Die Ausstellung ist Teil einer Diplomarbeit, die der Architektursoziologe Philipp Kuebart an der TU Berlin erstellt hat. Dass die Exposition jetzt in Berlin gezeigt werden kann, ist dem Engagement vieler UnterstützerInnen zu verdanken. Sie war am 22. Januar bei einem von Neonazis gelegten Brand im Haus der Demokratie in Zossen (Teltow-Fläming) völlig zerstört worden. Während zivilgesellschaftliche Initiativen in Zossen im Gebäude einer ehemaligen Kfz-Zulassungsstelle ein neues Haus der Demokratie aufbauen, ist die überarbeitete und erweiterte Ausstellung im Berliner Haus der Demokratie bis 2. Juli zu sehen.
Neu hinzugekommen sind die Landschaftsbilder des Fotografen Max Kratzer. Die abgebildeten Wiesen, Feld- oder Waldwege sind für Flüchtlinge Orte der Angst und Kontrolle, die sie beim Verlassen ihres Flüchtlingsheims passieren müssen. Kay Wendel vom Flüchtlingsrat Brandenburg betonte in seiner Eröffnungsrede, dass in der Ausstellung Flüchtlinge nicht zu Opfern gemacht werden. Stattdessen stehe in den Arbeiten die Technik der Überwachung und Kontrolle im Mittelpunkt. Das wird an den ausgestellten Modellen verschiedener Brandenburger Flüchtlingsheime deutlich, die häufig in ehemaligen Kasernen errichtet worden sind. In Wort, Bild und Text werden den BesucherInnen Hintergründe zum deutschen Asylrecht vermittelt.
In der letzten Zeit sei der Druck zur Aufhebung dieser Bewegungseinschränkung in verschiedenen Bundesländern gewachsen, betont Wendel. In Bayern und Thüringen habe der kontinuierliche Widerstand von Flüchtlingen für Diskussionen gesorgt. In Brandenburg und Berlin habe sich die Linkspartei als Teil der Landesregierung gegen die Residenzpflicht ausgesprochen, während die SPD noch bremse. Deswegen planen antirassistische Gruppen anlässlich des SPD-Parteitags am Samstag um 8.30 Uhr vor der Kongresshalle eine Kundgebung.
Die Ausstellung könne in einer Zeit, wo es eine öffentliche Diskussion über die Residenzpflicht gibt, eine wichtige Aufklärungsfunktion übernehmen, betonte Wendel. Unter anderem soll sie in der Kreisverwaltung von Luckenwalde zu sehen sein, wo auch ein Publikum garantiert ist, das Informationsbedarf hat.
Die Ausstellung „Residenzpflicht – Invisible Borders“ ist bis 2. Juli montag bis samstags von 10- 17 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, zu sehen
Antirassistische Gruppen planen anlässlich des SPD-Parteitags am Samstag um 8.30 Uhr eine Kundgebung
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F06%2F23%2Fa0165&cHash=aecdb71f33
Peter Nowak