In der Fraktion hat sich der Politiker durchgesetzt, jetzt hängt viel von der künftigen Bundesregierung ab
Hat in den letzten Tagen ein Machtkampf zwischen Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi um den Vorsitz der Fraktion der Linkspartei stattgefunden, wie einige Zeitungen behaupten? War es nicht eher so, dass der linke Flügel es erst gar nicht darauf ankommen ließ?
Allein Gysis Erklärung, für eine Doppelspitze nicht zur Verfügung zu stehen, hat ausgereicht, dass Wagenknecht sich mit der Funktion der ersten Stellvertretenden Vorsitzenden zufrieden gab. Wagenknechts Kalkül ist einleuchtend. Sie kann auch in der nächsten Legislaturperiode noch Fraktionsvorsitzende werden, vielleicht sogar zusammen mit dem Parteirealo Dietmar Bartsch. Eine womöglich wochenlange Machtprobe um den Vorsitz hätte dagegen die Gräben in der Linkspartei wieder aufgerissen.
Gysi profitierte von Lafontaines Rückzug
Die Erinnerung an die Wochen vor dem Göttinger Parteitag im letzten Jahr sind noch frisch, als der Streit zwischen Lafontaine und Bartsch die Partei fast auseinanderrissen hat. Der Doppelspitze Kipping/Riexinger gelang es, den Mitgliederschwund aufzuhalten und auch in die Partei hinein das Gefühl zu vermitteln, dass es sich dabei nicht um ein sterbendes Projekt handelt. Das Wahlergebnis bestätigte die Parteiführung.
Dabei hatten viele die Prognosen vor Augen, die die Linke nahe an der Fünfprozentklausel gesehen haben. Gemessen daran wurde das Wahlergebnis trotz der Verluste gegenüber der vorletzten Bundestagswahl als Erfolg gewertet. Der Rückzug von Lafontaine und die nachfolgende Konsolidierung wären ohne Gregor Gysi nicht möglich gewesen. Er sorgte vor allem dafür, dass in der Fraktion kein Oppositionskern gegen den Parteivorstand entsteht. Lafontaines Rückzug war gleichzeitig ein Machtzuwachs für Gysi.
Sein Widerstand gegen eine quotierte Doppelspitze könnte mehrere Ursachen haben. Dazu gehören sicher auch persönliche Animositäten. Schließlich reicht das Zerwürfnis zwischen Gysi und Wagenknecht bis in die 1990er Jahre zurück, als er noch erfolgreich verhindern konnte, dass Wagenknecht, damals noch in der Kommunistischen Plattform aktiv, ihre Kandidatur für den Parteivortand anmeldete. Es ist aber sicher nicht in erster Linie ihre politische Herkunft, dass sich Gysi bis heute weigert, der Politikerin einen gleichberechtigten Platz an der Fraktionsspitze einzuräumen. Dabei spräche politisch alles für die Doppelspitze. Zunächst geht es um die von einem Parteitag schon lange beschlossene geschlechtliche Quotierung der Leitungspositionen.
Wirtschaftsexpertin gegen Dampfplauderer?
Warum man ausgerechnet Gysi, der sich in der Partei und Öffentlichkeit als Modernisierer gibt, durchgehen lässt, dass er beständig verhindert, seine Macht mit einer Frau zu teilen, ist eine Frage, die sich eigentlich alle Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion stellen müssen. Zudem sprächen auch alle politischen Gründe für diese Doppelspitze.
Wagenknecht gilt in der Öffentlichkeit längst als anerkannte Wirtschaftsexpertin, was ihr auch die größten politischen Gegner bescheinigen. Sie wäre also eine Konkurrenz zum Generalisten Gysi, der auf alle Fragen eine schlagfertige Antwort weiß, wenn es nur nicht um Inhalte geht. Weniger Wohlmeinende sprechen dabei auch von Dampfplauderei. Das ist natürlich eine gute Voraussetzung, um sich als Führer der parlamentarischen Opposition zu profilieren. Genau das ist Gysis politisches Ziel vor der Rente und hierin liegt auch der Grund, warum er sich beharrlich weigert, sein Amt zu teilen. Für Gysi, der es in einem Berliner Senatsposten nicht lange ausgehalten hat, wäre es die Krönung seiner politischen Vita.
Linke profitiert nur von großer Koalition
Allerdings könnte ein Umstand auch jetzt noch Gysi um diesen Traumjob bringen: die grün-schwarze Koalition. Denn dann wäre die SPD die stärkste Oppositionsparte. Schnell würde man aus dem Munde von SPD-Politikern soziale Forderungen hören, die es der Linkspartei schwer machen, sich zu profilieren. Die kann dann gerne darauf verweisen, die SPD würde sie kopieren, was aber kaum Sympathien bringt.
Manche SPD-Politiker kokettieren auch deshalb mit dem Gang in die Opposition, weil sie so noch die Linkspartei zu marginalisieren hoffen. So hat ausgerechnet der Parteirechte Johannes Kahrs der Union ein Bündnis mit den Grünen regelrecht aufgedrängt. Umgekehrt wäre eine große Koalition die Traumkonstellation von Gysi. Dann wäre die Linksfraktion die größte Oppositionspartei und Gysi könnte als deren Vorsitzender der SPD immer wieder unter die Nase reiben, welche Wahlversprechen unerfüllt blieben. Zudem könnte so noch manches unzufriedene SPD-Mitglied gewonnen werden.
Überrdies verfolgt der Parteirealo Gysi natürlich auch mit seinem Fraktionsvorsitz innerparteiliche Absichten. Er will hier eine zweite Machtposition etablieren, die auch unter bestimmten Umständen gegen den Parteivorstand agieren könnte. Das Duo Kipping/Riexinger steht für eher für ein bewegungsorientiertes Konzept. Die Koordination mit den sozialen Bewegungen wurde unter ihrer Ägide gestärkt, was sich bei den Blockupy-Protesten zeigte. Dabei hat allerdings der Parteivorstand immer deutlich gemacht, dass die Partei zwei Standbeine brauche, das parlamentarische und den außerparlamentarische. So klang es Mitte der 1980er Jahre auch bei den Grünen. Dass sich dann Ersterer durchsetze, lag nicht nur an den Personen, sondern auch an den Zwängen und Erfordernissen einer Parlamentspartei.
Vom „feministischen Meilenstein Merklel“ und der „Kapuzenpulli-Union“
Dabei spielt allerdings auch immer das politische Umfeld eine Rolle. In den 1980er Jahren gab es eine außerparlamentarische Bewegung, nicht nur, aber auch im Anti-AKW-Bereich, die die Parlamentarisierung der Partei verlangsamte, aber letztlich nicht aufhalten konnte.
Wer sich wenige Wochen nach den Bundestagswahlen die Debatten in bewegungsnahen Medien ansieht, findet Ratlosigkeit oder die Bewunderung der Sieger. Das wird in der Wochenzeitung Freitag deutlich, wo zwei Frauen, die betonen, keine CDU-Anhängerin zu sein, über Merkel als „feministischen Meilenstein“ über eine ganze Seite dampfplaudern. In der Taz als Trendsenderin einer schwarz-grünen Kooperation, wird der Hype um den angeblich so unkonventionellen Direktkandidaten der Union am Prenzlauer Berg Lars Zimmermann fortgesetzt. Unter der Überschrift Kapuzenpulli-Union wird suggeriert, dass modische Accessoires und kulturelle Vorlieben wenig über die Wahlentscheidung aussagen. Dabei ist schon seit langem bekannt, dass Unionspolitiker auch Punkmusik hören.
Die Konzentration auf die Personen Merkel oder Zimmermann soll verdecken, dass ein Teil der ehemaligen Alternativen oder Linken den Standort Deutschland gerne weiter von Konservativen verteidigt sehen wollen. Dabei will man nicht über die Kosten reden, wozu die Toten vor Lampedusa ebenso gehören wie die Krisenopfer an der europäischen Peripherie oder in deutschen Jobcentern. Hierin liegt der Grund, warum auch in eher linksliberalen Medien auffällig häufig vom Phänomen Merkel, Lars Zimmermann und Co. schwadroniert wird. Eine außerparlamentarische Opposition wird sich daher auf absehbare Zeit nur auf Minderheiten in der Gesellschaft stützen können, die nicht vom feministischen „Meilenstein Merkel“ oder der „Kapuzenpulli-Union“ reden wollen.
Eine Linkspartei, wenn sie sich auf diese Minderheiten stützten will, müsste im Parlament und mehr noch außerhalb eine konsequente Oppositionspolitik machen. Schielt sie aber auf das Mitregieren und hält sich für die Sachverwalterin der gesamten Gesellschaft, muss sie automatisch den Weg nach rechts gehen. An solchen taktischen und strategischen Fragen könnten sich in der nächsten Zeit neue Auseinandersetzungen entzünden. Dann wird zeigten, ob Partei- und Fraktionsvorstand gemeinsam oder auf gegensätzlichen Polen agieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155133
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.fr-online.de/politik/die-linke–gysi-setzt-sich-gegen-wagenknecht-durch-,1472596,24568108.html
[2]
http://www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische_plattform_der_partei_die_linke/
[3]
http://www.welt.de/politik/deutschland/article120675601/Konservative-SPD-Politiker-wollen-Schwarz-Gruen.html
[4]
http://www.linksfraktion.de/folder/kontaktstelle-soziale-bewegungen-linken-aufbruch/).
[5]
http://www.die-linke.de/politik/aktionen/blockupy2013/
[6]
http://www.freitag.de/inhaltsverzeichnis
[7]
http://zimmermann2013.de/
[8]
https://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2013%2F10%2F11%2Fa0158&cHash=130e769ba60c2e0206a9d264794e17ab