„Für arme Leute scheint eine freie Wahl des Wohnortes nicht gewollt zu sein“

„Dem Jobcenter die Zähne ziehen“, lautete die Parole auf einem Transparent, mit dem am 25.Juli Mitglieder der Erwerbsloseninitiative Basta vor dem  Jobcenter Mitte gegen die vielfältigen Hindernisse protestierten, mit denen Hartz IV-Empfänger/innen an einen Wohnungswechsel gehindert werden. Zeitgleich besetzten Jobcenter-Aktivist/innen das Jobcenter und verteilten Flyer, die  größtenteils mit Sympathie aufgenommen wurden, an die Wartenden.  Eine Frau sagte spontan: „Es ist gut, dass ihr gekommen seid“. Im Gespräch stellte sich heraus, dass ihre Tochter nicht umziehen kann, weil sich das Jobcenter querstellt. Für Basta-Aktivistin Gitta Schalck ist es nur ein weiterer Beweis für eine Entwicklung, die sie bei ihren wöchentlichen Beratungen immer wieder macht. „Eine freie Wahl des Wohnortes armer Leute scheint nicht gewollt zu sein. Das zeigt der Berg an Hürden, den wir vor Abschluss eines Mietvertrages beim Jobcenter bewältigen müssen.“ “ An der Erlaubnis zum Umzug  hängen die Bewilligung der Umzugskosten, der Kaution und der Mietkosten“, schrieb die Initiative in einem Offenen Brief an das Jobcenter, den MieterEcho-Online veröffentlichte (http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/basta-jobcenter.html). Besonders zwei Punkte standen auch bei der Besetzung im Fokus ihrer Kritik.

Nach der Räumungsklage werden die ALGII-Leistungen gestrichen
„Wiederholt verschleppt die Behörde die Bearbeitung der Zusage nach Übernahme der Wohnkosten. Die ist aber die Voraussetzung zum Abschluss eines Mietvertrags. Auch die Übernahme von Kautionen bei Untermietsverträgen seien vom Jobcenter Mitte in mehreren Fällen verweigert worden. Damit werde das Recht von Erwerbslosen  verletzt, ihren Wohnort selber wählen zu können, moniert Schalk. Sie forderte von der Behörde, dass über die Übernahme der Wohnkosten sofort entschieden wird  und auch die Kaution für Untermietsverträgen generell übernommen werden soll. „Die Umsetzung unseres Anliegens würde den durch chronischen Geldmangel,  Bevormundung und Schikanen geprägten Alltag vieler ALGII-Berechtigter in  einem kleinen, aber wichtigen Teilbereich ein wenig entlasten“, begründete Schalk die Konzentration auf die beiden Forderungen. Derweil hat Basta an einen  weiteren Beispiel deutlich gemacht, wie einkommensschwache Menschen unter Druck gesetzt werden. Walter Sch. (vollständiger Name der Redaktion bekannt) sah einer Räumungsklage seiner Vermieters mit großer Sorge entgegen. Dann erhielt der Hartz IV-Empfänger  ein Schreiben des Jobcenter Mitte, das ihn noch mehr beunruhigte. „Ihre Leistungen wurden vorläufig eingestellt, weil Ihre Wohnung zum  6.7.2016 geräumt wird und Sie Ihren gewöhnlichen Aufenthalt eventuell nicht mehr im Bezirk der für Sie bisher zuständigen, im Briefkopf genannten Stelle, haben dürften“, wurde dem Mann mitgeteilt. Neben dem drohenden Verlust seiner Wohnung musste S. so auch noch befürchten, dass ihm die finanziellen Leistungen gestrichen werden. Der Pressesprecher des Jobcenter Mitte Andreas Ebeling blieb gegenüber MieterEcho-Online sehr allgemein. Die Behörde  bearbeite Anträge auf Übernahme der Wohnkosten als Sofortfälle, wenn die Dringlichkeit klar ist. Der Umgang seiner Behörde mit Anträgen auf die Übernahme einer Kaution bei Untermietverhältnissen sei in der Ausführungsverordnung  Wohnen  geregelt. Ebeling betonte, das Jobcenter halte das Gesprächsangebot gegenüber Mitgliedern von Basta ebenso aufrecht, wie die Strafanzeige gegen die TeilnehmerInnen der Besetzungsaktion.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/jobcenter-basta.html

MieterEcho online

Peter Nowak

Plötzlich Leistung weg

HARTZ IV Erwerbslose auf Wohnungssuche müssen mit Schikanen des Jobcenters rechnen

Walter S., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, war wegen einer Räumungsklage seines Vermieters ohnehin schon in Sorge. Dann erhielt der Hartz-IV-Empfänger ein Schreiben vom Jobcenter Mitte. Darin stand: „Ihre Leistungen wurden vorläufig eingestellt, weil Ihre Wohnung zum 6. 7. 2016 geräumt wird und Sie Ihren gewöhnlichen Aufenthalt eventuell nicht mehr im Bezirk der für Sie bisher zuständigen, im Briefkopf genannten Stelle haben dürften.“ Neben dem Verlust seiner
Wohnung musste S. nun befürchten, dass ihm die Leistungen gestrichen werden. Für Gitta Schalk von der Berliner Erwerbsloseninitiative Basta ist das Schreiben keine Ausnahme. „Unter dem scheinbar schönen Label „Bürokratieabbau“ werden von den Jobcentern ständig neue Schikanen gegen Erwerbslose ausgeheckt“, erklärt sie. Es handele sich um hausinterne Regelungen und Dienstanweisungen, die den Betroffenen nicht bekannt sind. Nur die Konsequenzen haben sie zu tragen. Besonders ein Wohnungswechsel sei für Hartz-IV-EmpfängerInnen im Jobcenter Mitte mit bürokratischen Hürden verbunden, berichtet Schalk aus ihrer täglichen Beratungstätigkeit.

Offener Brief

In einem offenen Brief an das Jobcenter hat Basta Kritik am Umgang mit wohnungsuchenden Hartz-IV-BezieherInnen geübt.
Wiederholt verschleppe die Behörde nach einer Zusage die Übernahme der Wohnkosten. Die ist aber die Voraussetzung
zum Abschluss eines Mietvertrags. Auch die Übernahme von Kautionen bei Untermietsverträgen sei vom Jobcenter Mitte
in mehreren Fällen verweigert worden. Damit werde das Recht von Erwerbslosen verletzt, ihren Wohnort selber zu wählen, moniert Schalk. Das müsse sich ändern. Der Pressesprecher des Jobcenters Mitte, Andreas Ebeling, sagte der taz, dass er den Brief von Basta und die konkreten Vorwürfe nicht kenne. Generell sei das Jobcenter dafür nicht die richtige Anlaufstelle. Es etze nur die vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen Richtlinien um. Die ErwerbslosenaktivistInnen sehen  das anders: Die Praxis des Jobcenters ignoriere die Grundrechte einkommensschwacher Menschen.

TAZ. DIENSTAG, 26. JU LI 2016

Peter Nowak