Das Gesetz der Straße

In Halle an der Saale wird über die Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße im Universitätsviertel gestritten. Ihr Namensgeber unterstützte als Wissenschaftler die NS-Ideologie.

War der Biochemiker Emil Abderhalden ein »eugenischer Rassist der ersten Stunde«? Darüber haben in den vergangenen Wochen Wissenschaftler in der Universitätsstadt Halle heftig gestritten. Der in der Schweiz geborene Abderhalden lehrte ab 1911 in Halle. 1912 wurde er in die dortige Gelehrtenakademie Leopoldina aufgenommen, mit den Stützen der wilhelminischen Gesellschaft war er bestens bekannt. Durch die Vermittlung des Stellvertretenden Heereskommandos wurde Abderhalden die Organisation der Verwundetentransporte im Ersten Weltkrieg übertragen. Dafür erhielt er das Eiserne Kreuz 2. Klasse am Eisernen Band.

Doch der Wissenschaftler sorgte sich auch anderweitig um Deutschland. So war er 1915 Mitbegründer des Bundes zur Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft. Obwohl Abderhalden kein Mitglied der NSDAP war, gehörte er ab 1934 dem NS-Lehrerbund an. Im gleichen Jahr unterzeichnete er auch den Aufruf »Wissenschaftler für Hitler«, der im NSDAP-Blatt Völkischer Beobachter veröffentlicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt fungierte er bereits zwei Jahre als Präsident der Leopoldina, die er 1945 verlassen musste. Nach der Niederlage des Nationalsozialismus wurde er von den US-Alliierten ausgewiesen und konnte sich in seine Schweizer Heimat absetzen, wo er einen Lehrstuhl für Chemie an der Universität Zürich erhielt und 1950 starb. 1944 war er für seine kriegswichtigen Forschungen mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ausgezeichnet worden.

Wie gut Abderhaldens wissenschaftliche Arbeit mit den Bestrebungen des Nationalsozialismus harmonierte, wies bereits der Medizinethiker Andreas Frewer in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch »Medizin und Moral in Weimarer Republik und Nationalsozialismus« nach. Dort heißt es über Abderhalden, er habe 1939 in »Nova Acta Leopoldina« einen Beitrag über »Rasse und Vererbung vom Standpunkt der Feinstruktur von blut- und zelleigenen Eiweißstoffen aus betrachtet« publiziert, in dem er unter anderem behauptete, dass die Eiweißstoffe des Gewebes und Blutes Rassenmerkmale enthielten, so dass »die einzelnen Rassen scharf unterschieden werden können«.

In der Leopoldina würdigte man Abderhalden weiter als sozial engagierten Wissenschaftler. Diese Verbundenheit dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass 1953 im Universitätsviertel der Stadt Halle eine Straße nach Abderhalden benannt wurde. Damit sollte wohl auch die Distanz zwischen der SED und dem bürgerlichen Wissenschaftsapparat überwunden werden. Da Abderhalden kein NSDAP-Mitglied war, sah man gerne über seine nationalistische und völkische Einstellung hinweg. Schließlich unterschied er sich damit nicht von der Mehrheit der deutschen Wissenschaftler.

Die Emil-Abderhalden-Straße überstand auch die Wendezeit, als Straßen, die in der DDR nach antifaschistischen Widerstandskämpfern benannt worden waren, häufig umbenannt wurden.

Erst 2010 forderten die Grünen in Halle eine Umbenennung und führten neben Abderhaldens NS-freundlicher Haltung auch dessen Vorstellungen von »Rassenhygiene« als Begründung an. Die Diskussion bekam in den vergangenen Wochen neuen Schwung, nachdem Wissenschaftler des neu errichteten Geistes- und sozialwissenschaftlichen Zentrums (GSZ) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in einem offenen Brief die Umbenennung gefordert hatten. »Denn mit der Hallenser ›Emil-Abderhalden-Straße‹ wird ein Mann geehrt, der nachweislich ein eugenischer wissenschaftlicher Rassist der ersten Stunde war, der zu den Stichwortgebern der Euthanasie-Aktionen des ›Dritten Reichs‹ gehörte – und der überdies als prominenter Fälscher wissenschaftlicher Daten bezeichnet werden darf« – so wird die Forderung begründet. Unter dem Motto »Gerechtigkeit für Abderhalden« verfasste der Mediziner Dietmar Gläßer eine von weiteren Mitarbeitern der Leopoldina unterstützte Entgegnung. Während dort wortreich Abderhaldens »wissenschaftliche Leistungen« abgehandelt werden, geht der Brief auf die eugenischen und rassistischen Aspekte kaum ein. Am Schluss des Briefes wird Abderhalden bescheinigt, »von Dezember 1931 bis Juni 1945 einer der aktivsten Präsidenten der Akademie« gewesen zu sein, der »1945, von der amerikanischen Besatzungsmacht gezwungen, gegen seinen Willen« Halle habe verlassen müssen.

Während die Grünen weiter eine politische Entscheidung für die Umbenennung der Straße fordern, hält sich die Linkspartei bedeckt. Man wolle die Ergebnisse eines von der Leopoldina in Auftrag gegebenen Gutachtens abwarten, das in den kommenden Monaten veröffentlicht werden soll, sagte Erwin Bartsch, der für die Linkspartei im Kulturausschuss der Stadt Halle sitzt, der Jungle World. Reserviert äußerte er sich auch über die Idee des Oberbürgermeisters von Halle, Bernd Wiegand, der kürzlich vorgeschlagen hatte, die Emil-Abderhalden-Straße nach Anton Wilhelm Amo zu benennen. Amo war der erste bekannte Philosoph und Rechtswissenschaftler afrikanischer Herkunft in Deutschland. Der im heutigen Ghana geborene Amo, der als Kind versklavt und nach Amsterdam verschleppt wurde, studierte und promovierte im 18. Jahrhundert an der Universität Halle, bevor er wegen einer rassistischen Kampagne, die gegen ihn initiiert wurde, nach Axim im heutigen Ghana auswanderte. Amo gegen Abderhalden – das scheint eine Alternative zu sein, die auch die Linkspartei zu einer Entscheidung zwingen müsste.

http://jungle-world.com/artikel/2014/03/49152.html

Peter Nowak