Beim Adbusting werden Werbeplakate beklebt, bemalt und dabei satirisch verändert. Lieblingsziel der Adbuster ist derzeit das deutsche Militär
Die Bundeswehr wirbt in diesen Wochen mit einer gigantischen Plakatkampagne um Rekruten. Doch einige Menschen greifen nun zur Waffe der Gegenpropaganda.
»Deutschlands Freiheit wird auch im Cyberraum verteidigt«, heißt es in großen Lettern auf der Plakatwand. Wesentlich kleiner kann man erfahren, wer diese Botschaften in der Öffentlichkeit verbreitet. Es ist die Bundeswehr, die auf diese Weise Arbeitskräfte sucht. »Mach, was wirklich zählt« – dieses Motto findet sich in Zeitungsanzeigen ebenso wie auf den unterschiedlichen Plakaten im öffentlichen Raum wieder, mit denen sich die Bundeswehr als moderner Arbeitgeber präsentieren will. Lange Zeit brauchte sie sich nicht um Arbeitskräfte sorgen. Doch seitdem die Wehrpflicht in Deutschland am 1. Juli 2011 ausgesetzt wurde, fehlt bei der deutschen Armee der Nachwuchs. »Junge Menschen fragen heute immer mehr nach dem Sinn ihrer Arbeit und was ihnen diese neben einem Einkommen eigentlich bringt. Darauf haben wir in der Bundeswehr starke Antworten«, sagt der Pressebeauftragte für die aktuelle Werbekampagne, Dirk Feldhaus, auf der Homepage der Bundeswehr.
Doch einige junge Menschen wollen von propagandistischen Vereinnahmungsversuchen nichts wissen. Sie stellen den Sinn der Institution Bundeswehr als Ganzes in Frage und greifen zum Mittel der Gegenpropaganda. So wurde die Werbung der Bundeswehr bereits Ziel für vielfältige Adbusting-Aktionen, wie die Veränderung oder das Entfernen von Werbebotschaften im Bewegungsjargon genannt wird. Die Bandbreite ist groß. Manchmal werden Plakate überklebt oder übermalt, manchmal satirisch verändert. So findet man nun anstelle der Bundeswehrwerbung die folgende Mitteilung: »Hier wurde ein Bundeswehrplakat entfernt.«
Erst Anfang April sind Unbekannte in mehreren Berliner Stadtteilen auf diese Weise der Bundeswehrwerbung zu Leibe gerückt. In einer über die Netzzeitung »Indymedia« verbreiteten Erklärung wurde von einer Schlacht der »Kommunikationsguerilla« mit der Öffentlichkeitsabteilung der Bundeswehr gesprochen. »Vater Staat warnt uns vor den gesundheitlichen Folgen des Zigarettenkonsums. Genauso sehen wir uns in der Verantwortung, unsere Mitbürger_innen vor diesem visuellen Angriff zu schützen und vor den Risiken und Nebenwirkungen ausbeuterischer Konflikte zu warnen«, begründeten die unbekannten Aktivisten ihre Aktion im Netz.
Cornelia Mannewitz von der größten deutschen antimilitaristischen Organisation »Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner« (DFG-VK) sieht Adbusting als Teil der antimilitaristischen Praxis. Das bloße Entfernen oder Übermalen der Plakate sieht sie allerdings kritisch. Besser findet Mannewitz »ein pfiffiges Verfremden« und verweist auf ein von ihrer Organisation erstelltes Plakat. Dort wurde ein Motto der Bundeswehr – »Mach, was wirklich zählt« – genutzt, um die Toten des Kriegseinsatzes in Afghanistan zu zählen. Mannewitz sieht in solchen Adbusting-Aktionen mehrere Pluspunkte, um junge Menschen für eine antimilitaristische Kritik zu interessieren: »Bilder sowie ihre Verfremdungen treffen kurze, einprägsame Aussagen und sind auch gut im Netz weiterzuverbreiten.«
Für den 11. Juni plant die Bundeswehr einen deutschlandweiten Aktionstag. Auch bei diesem »Tag der Bundeswehr« wird die Rekrutenwerbung im Mittelpunkt stehen. Mannewitz hofft, dass im Vorfeld die Aktionen noch zunehmen. Strafrechtliche Verfolgung haben die Aktivisten im Moment kaum zu befürchten, denn die Bundeswehr selbst verspricht auf einem ihrer Werbeplakate vollmundig: »Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst.« Und das meint sie offensichtlich ernst. »Wir sehen bislang keinen Anlass, Strafanzeigen zu erstatten«, sagte der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Jörg Franke, gegenüber »nd«. Die Bundeswehrplakatkampagne habe zum Ziel gehabt, »provokative Denkanstöße« auszulösen. Nun sorgten die Adbusting-Aktionen für Kontroversen, die wiederum dazu beigetragen haben, die Bundeswehrkampagne bekannter zu machen.
Ein bündnispolitischer Irrweg könnte die Reste der deutschen Friedensbewegung noch länger beschäftigen, doch eine Trennung ist nicht einfach für sie
„Die DFG-VK zieht ihre Unterstützung des ‚Friedenswinters‘ zurück“, vermeldete[1] die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner[2], eine antimilitaristische Organisation mit langer Geschichte. Mit einem Satz beendet sie eine Bündnisoption der Reste der deutschen Friedensbewegung, die diesen noch lange zu schaffen machen werden.
Weil die Aktivisten immer wieder registrierten, dass ihre Aktionen nur wenig Zuspruch vor allem bei jungen Leuten fanden, versuchte sie eine neue Bündnispolitik. Schließlich hatten sich die sogenannten Friedensmahnwachen gebildet, die offiziell weder rechts noch links und ideologiefrei sein wollten und damit viele Verschwörungstheoretiker aller Couleur geradezu anzogen. Anfangs hatten noch viele Aktivisten der alten Friedensbewegung den Charakter dieser rechtsoffenen Friedensmahnwachen richtig erkannt und sind auf Distanz gegangen. Doch dann scheint bei den Friedensfunktionären die Verlockung, wieder Massen anführen zu können, zu groß geworden sein und man kreierte den sogenannten Friedenswinter[3], das Bündnis zwischen alter Friedensbewegung und Mahnwachen (Rechtsruck in der deutschen Friedensbewegung?[4]) und riskierte damit sogar, wichtige antimilitaristische Organisationen wie die VVN/BdA[5] oder die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft[6] vor dem Kopf zu stoßen (Friedenscocktail aus Berlin[7]).
„Was ’spontan‘ und ‚unorganisiert‘ wirkt, wurde allerdings von Personen initiiert, die entweder selbst rechts verortet sind, oder von solchen, die keine Notwendigkeit sehen, sich nach rechts abzugrenzen“, begründete die VVN-BdA die Ablehnung des Bündnisses mit den Mahnwachen.
Wenn Kritiker zu von der Nato gekauften Feinden werden
Die DFG-VK war im Herbst 2014 noch bereit, dem Bündnis mit den Friedensmahnwachen eine Chance zu geben[8], auch weil sie den Dissens in der sowie so marginalen Antikriegsbewegung nicht weiter befördern wollte. Der unmittelbare Anlass für den Rückzug der DFG-VK lieferte dann ein verbaler Ausfall des Mahnwachen-Aktivisten Ken Jebsen gegen den politischen Geschäftsführer der DFG-VK Monty Schädel. Auf einer Kundgebung bezeichnete[9] der wegen seiner regressiven Israelkritik von einem Radiosender geschasste Moderator Schädel als Feind, der von der Nato gekauft ist. Damit reagierte Jebsen auf ein Interview[10], in dem Schädel eine kritische Bilanz des Friedenswinters zog und zu dem Fazit kam, dass dieser die Friedensbewegung nicht etwa voranbringt, sondern kaputt macht. Dabei äußerte Schädel auch Selbstkritik über seine Einschätzung der Abgrenzung der Mahnwachen nach rechts:
Meine Beobachtung ist, dass es von den Mahnwachen zwar viele Erklärungen gab, die sich von rechts distanzierten oder zum Antifaschismus und Humanismus bekannten. Diese Erklärungen wollte auch ich beim Wort nehmen. Es hatten sich verschiedene Mahnwachenaktivisten mit Personen der Friedensbewegung, die ich seit Jahren und Jahrzehnten kenne, zusammengetan, sie haben miteinander geredet, Positionen angeglichen. Das deckte sich mit meinen Ansichten nicht in allen Punkten, aber in den allermeisten. In der Realität, vor allem in den vergangenen Wochen, sehe ich aber, dass bei Mahnwachenveranstaltungen Leute aufgetreten sind, die auch in anderen Zusammenhängen eine Rolle spielen, zum Beispiel bei ‚Endgame‘, den neurechten ‚Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas‘[11]. Es gab eine klare Distanzierung von bestimmten Personen aus dem rechten Spektrum, und trotzdem agieren Mahnwachenvertreter, die auch für den ‚Friedenswinter‘ sprechen wollen, also mit mir und uns als DFG-VK in einem Bündnis sind, mit solchen Personen auf Demonstrationen.
Monty Schädel
Gerade die Endgame-Veranstaltungen haben anders als die Pegida-Aufmärsche tatsächlich in Teilen eine Querfront verwirklicht und Menschen mit einbezogen, die sich weiterhin als links verstehen. So bringen es Andreas Neumann und Annelie Fikentscher fertig, einerseits Proteste gegen die Pegida-Ableger in NRW positiv zu bewerten und gleichzeitig zu schreiben[12]:
„Die ‚Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas‘ dagegen sind diejenigen, die erkannt haben, von wo die großen Bedrohungen für die Menschheit ausgehen.“ Dabei ist bei einen Blick auf die Endgame-Internetpräsenz[13] zu erkennen, dass dort mit dem Antiamerikanismus und dem Lügenpresse-Vorwurf sowie Verschwörungstheorien aller Art nur eine Variante von Pegida aktiv ist. Nun kommen allerdings Neumann und Fikentscher nicht aus dem Spektrum der Mahnwachenbewegung, sondern sind Traditionslinke, die nach dem Ende des Nominalsozialismus die politische Orientierung verloren haben. Damit dürften sie allerdings auch in der alten Friedensbewegung nicht allein sein, weshalb die Trennung von den Mahnwachen so einfach nicht sein dürfte.
Friedensbewegungsaktivisten in Duisburg bestanden etwa darauf, dass in der Stadt bei einer der Ostermärsche-Auftaktveranstaltungen[14] die Band Bandbreite[15] auftritt, weil die ja bei den Friedensmahnwachen und bei vielen anderen Querfrontprojekten sehr beliebt[16]. Nun muss sich der Kopf der Bandbreite dafür rechtfertigen, dass er mit einem bekannten Neonazi auf einem Foto[17] zu sehen ist. Doch was kann er dafür, wenn er von diesem nach einem Auftritt auf der Endgame-Kundgebung in Erfurt von diesem Rechten angesprochen wird? Schließlich ist sich die Bandbreite mit Fikentscher und Neumann einig, dass Endgame engagierte Friedenskämpfer sind.
Kann sich Friedensbewegung in eine Antimilitarismusbewegung transformieren?
Dass die Trennung vom Friedenswinter für manche Aktivisten der alten Friedensbewegung schwierig wird, zeigen auch die Beobachtungen[18], die der Journalist Kevin Culina bei dem Koordinationstreffen des Friedenswinters in Frankfurt/Main[19] gemacht hat. Er kommt zu einem sehr pessimistischen Resümee, was die Perspektiven der Friedensbewegung betrifft:
Die Distanzierungen mancher Protagonisten des „Friedenswinters“ verhallen, deren eigene Gruppen suchen lieber die Nähe. Die große Solidarität mit Ken Jebsen, die nicht feststellbare Ablehnung einer Beteiligung Jürgen Elsässers auf der Konferenz sowie die Verschwörungstheorien um gesteuerte Medien zeugen ebenfalls von den verschwommenen ideologischen Grenzen. Auch die mit Applaus bedachten Vorschläge aus dem Plenum, das Bündnis solle die „Solidarität mit Palästina gegen die israelische Besatzung“ und die „Souveränitätsproblematik“ stärker thematisieren, unterstreichen das. Da längst überfällige Abgrenzungen nicht vollzogen wurden und nicht zu erwarten sind, wird man große Teile der Friedensbewegung zukünftig einfach als Querfrontbewegung bezeichnen können – der gemeinsame Auftritt der Mahnwächter Jebsen und Märholz mit dem „Distanzierer“ Braun auf der Berliner Mahnwache am Montag spricht Bände.
Kevin Culina
Allerdings machen das Interview von Monty Schädel sowie die von Anfang kritischen Stellungnahmen von VVN-BdA und ähnlichen Gruppen auch deutlich, dass es in Teilen der Friedensbewegung Potential für eine Antimilitarismusbewegung gibt, die sich zumindest der Fragen und Probleme bewusst wird, mit denen sie in Deutschland heute konfrontiert ist. Das beginnt schon damit, dass viele nicht begreifen, dass die Massenbewegungen der deutschen Friedensbewegung der späten 70er und frühen 80er Jahre an den Widerstand gegen die Stationierung von US-Raketen in Westeuropa gebunden und nur vor dem Hintergrund einer Blockkonfrontation denkbar waren. Nach 1989 haben diese Proteste daher ihre Grundlage verloren.
In dem Maße, wie Deutschland selber an Kriegen beteiligt ist, muss eine Antimilitarismusbewegung genau diese Politik in den Fokus der Kritik rücken und erreicht damit natürlich keine Massenmobilisierung. Alte Denkmuster von vor 1989 hingegen sind mit ein Grund, warum in Teilen der alten Friedensbewegung das Bündnis mit dem Friedenswinter favorisiert wurde. Da werden weiter die USA und nicht die Politik Deutschlands und der EU als Hauptgefahr bezeichnet und manche imaginieren in Putin die frühere Sowjetunion. Unabhängig von der alten Friedensbewegung hat sich schon vor einigen Jahren eine junge Antimilitarismusbewegung[20] entwickelt, die sich mit den aktuellen Militarisierungstendenzen in Deutschland befasst, die Rekrutierung von Soldaten in Schulen und Jobcenters ebenso kritisiert, wie sie das im Bau befindliche Gefechtsübungszentrum[21] bei Magdeburg jährlich besucht[22] (Vor dem Auslandseinsatz geht es künftig zur Probe in die Altmark[23]).
Es gab in den letzten Jahren eine lose Kooperation zwischen dieser Antimilitarismusbewegung und der alten Friedensbewegung. Zurzeit liegt sie auf Eis, weil die jungen Antimilitaristen die Zusammenarbeit mit den Friedensmahnwachen ablehnen[24]. So hätte der Teil der ehemaligen Friedensbewegung durchaus andere Bündnisoptionen und könnte so Teil einer Antimilitarismusbewegung werden, die sich den aktuellen Fragen in Deutschland 2015 widmet und nicht die Schlachten des Kalten Krieges weiter schlägt und verliert.
Bei Autos und Spielzeug liest man immer wieder, dass einige Produkte wegen möglicher gesundheitsschädlicher Fehler bei der Konstruktion zurückgerufen werden. Nun konnte man in der Wochenendausgabe der Taz einen Rückruf der besonderen Art lesen [1]. Dort heißt es:
Auf Anordnung der Bundesregierung müssen die Firmen Heckler & Koch GmbH, Carl Walther GmbH sowie SIG Sauer GmbH & Co ab sofort Faust- und Handfeuerwaffen zurückrufen [2] .
Explizit richtete sich der Rückruf an Empfängerländer wie Mexiko, Kolumbien und Saudi-Arabien. In der Anzeige heißt es:
In unabhängigen Prüfungen wurde festgestellt, dass es bei sachgemäßer Bedienung dieser Waffen zu tödlichen Zwischenfällen kommen kann. Es muss davon ausgegangen werden, dass bereits Millionen Menschen weltweit durch diese Waffen den Tod gefunden haben. Die Anzahl der Verletzten dürfte diese Zahlen noch weit übersteigen.
Damit wird deutlich gemacht, dass die Herstellung und der Vertrieb der Waffen und nicht eventuelle Herstellungsfehler das Problem sind. Daher sollten die Waffen direkt an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie [3] in der Scharnhorststraße in Berlin zurückgeschickt werden. Ob bei dieser Adresse einige zurückgeschickte Waffen ankamen, konnte nicht Erfahrung gebracht werden. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Waffenhändler auf eine Taz-Anzeige reagieren, zumal die auswärtigen Waffenkunden sie nicht lesen können.
Stephan Möhrle vom Rüstungsinformationsbüro [4] erklärte gegenüber Telepolis, man habe bisher in diesen Ländern keine Anzeigen geschaltet, weil einerseits die Kontakte fehlen und es in Diktaturen wie Saudi Arabien keine Medien gäbe, die eine solche Anzeige schalten würden.
Streit um deutsche Waffen nach Mexiko
In Mexiko könnte man sich allerdings solche Anzeigen in Zukunft noch vorstellen, weil es dort sowohl Medien als auch Initiativen gibt, die sich gegen den deutschen Waffenhandel wenden. Das Land war in den letzten Monaten in die Schlagzeilen geraten, weil nachgewiesen werden konnte, dass Waffen aus Deutschland auch in mexikanische Konfliktgebiete gelangt sind, in die sie nach den deutschen Ausfuhrbestimmungen nicht geliefert werden durften [5].
Selbst bei der Ermordung von 43 Studierenden in Mexiko, die Ende September 2014 nach einer Demonstration von Polizei und Mafia verschleppt worden waren, kann eine Beteiligung deutscher Waffen nicht ausgeschlossen werden [6]. Nun ist es allerdings eine merkwürdige Vorstellung, dass der Export von Waffen aus Deutschland in einige Gebiete Mexikos erlaubt sein soll und in andere nicht. Dass hier so einfach aus dem globalen Norden die Souveränität Mexikos in Frage gestellt wird, scheint dabei niemand aufgefallen zu sein.
Würde es wohl akzeptiert, wenn Mexiko bestimmte Produkte nach Deutschland exportiert, dabei aber ausschließt, dass sie nach Bayern oder Hamburg geliefert werden? Dabei wäre es doch eine viel einfachere Forderung, die Waffenlieferungen überhaupt zu unterbinden. Damit wären die Rüstungsfirmen und ihre Standorte im Fokus der Auseinandersetzung. Bei der Diskussion um bestimmte Gebiete in Mexiko, die von deutschen Waffen verschont bleiben sollen, hingegen werden die mexikanischen Behörden ins Visier genommen. Die Debatte verschiebt sich insgesamt von dem Profitinteresse der Waffenhändler zu den staatlichen Strukturen in Mexiko.
Es ist eine Stärke des Aufrufs zum Waffenrückruf, dass der Fokus wieder auf die hiesigen Firmen und die Ministerien gelegt wird. Juristische Folgen erwartet Stephan Möhrle wegen des Aufrufs nicht. Schließlich sei sehr klar gewesen, dass es sich um eine Satire handelt und außerdem hat die antimilitaristische „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner“ sehr schnell mit einer Erklärung [7] deutlich gemacht, woher der Aufruf zum Rückruf kommt, auch wenn dort, um die Form zu wahren, noch von einem Erkenntnisprozess der Bundesregierung die Rede ist.
Allerdings ist zu fragen, ob das öffentliche Interesse nicht größer gewesen wäre, wenn der Aufruf nicht so schnell als Satire erkennbar gewesen wäre und die Bundesregierung erst ausführlich hätte erklären müssen, dass sie mit dieser Aktion nichts zu tun hat. Ein gutes Beispiel bot das Zentrum für politische Schönheit [8], als es die Aufnahme von Kindern aus Syrien meldete [9], und die Bundesregierung in der wenig komfortablen Lage war, die von vielen Seiten begrüßte Aktion dementieren zu müssen.
Die Proteste gegen die Afghanistankonferenz in Bonn sind das zentrale Aktionsfeld der nächsten Wochen für die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK). Weitere Schwerpunkte für die älteste deutsche Friedensorganisation sind der Kampf gegen Waffenhandel und Bundeswehrwerbung an Schulen oder in Jobcentern. Darauf verständigten sich die Delegierten bei ihrem Bundeskongress am Wochenende in Leipzig.
Reiner Braun (IALANA) zeigte sich bei einer Diskussionsrunde überzeugt, dass Anfang Dezember viele Menschen dem Protestaufruf folgen werden. Parallel zu der Konferenz Petersberg II, wo Politiker aus aller Welt über die Perspektive von Afghanistan beraten wollen, planen die Kriegsgegner eine internationale Demonstration, Aktionen und eine Konferenz. Dass erstmals auch die Gewerkschaft ver.di zu den Protesten aufruft, ist für Braun Grund für Optimismus.
In Leipzig plädierten verschiedene Redner dafür, nicht nur auf Aktionen zu setzen, die auf Zustimmung bei der Mehrheit der Bevölkerung träfen. Frank Brendle von der DFG-VK Berlin warb für Aktionen, die für Aufsehen und auch für Ärger sorgen. Dadurch werde mehr zum Nachdenken angeregt als mit altbekannten Protestformen, die kaum wahrgenommen würden, vertrat er. Seine Gruppe hatte mit einem Aufruf, jeden gefallenen Soldaten zu feiern, im vergangenen Jahr auch innerhalb der Organisation für Kontroversen gesorgt. Die sind heute weitgehend beigelegt. Auf die Formel, dass Aktionen phantasievoll sein und sich nicht immer an der staatlichen Legitimität orientieren sollen, konnten sich alle einigen. Deshalb bekam Aktivistin Hanna Poddig nicht nur viel Applaus für ihre Erklärung, dass sich das Malen eines Friedenssymbols und direkte Aktionen ergänzten. Sie konnte von der Konferenz auch noch eine Spende für ihre Prozesskosten mitnehmen. Die haben sich angehäuft, weil sich Poddig 2008 ankettete, um eine Militärübung zu blockieren.
Kontroverser war die Debatte, ob auch Menschen, die wegen des Anzündens von Militärgerät vor Gericht stehen, die Solidarität der DFG-VK zu erwarten haben. Die Einwände richteten sich dabei weniger gegen das Unbrauchbarmachen von Kriegsgerät, als gegen die Anonymität der Akteure. So sehen viele DFG-VK-Mitglieder ihre Vorbilder in christlichen Pazifisten, die sich wie in den USA nach dem Zerstören von Kriegsgerät vor Ort festnehmen ließen.
Bei einer Kundgebung in der Innenstadt machten die Antimilitaristen darauf aufmerksam, dass über den Flughafen Leipzig Kriegsgerät in alle Welt. geliefert wird. Zudem blockierten sie am Sonnabend vorübergehend den Stand der Bundeswehr auf einer Hobbymesse in der Stadt. Die Bundeswehr als »Spaßprogramm« zu präsentieren, zeuge entweder von Verachtung gegenüber den Opfern von Krieg und Gewalt oder von unglaublicher Naivität, kritisierte der am Wochenende in seinem Amt bestätigte DFG-VK-Geschäftsführer Monty Schädel.
Pazifisten an der Front
ANTIMILITARISMUS Bei der Friedensgesellschaft wird scharf geschossen: Landesverband und Bundesvorstand streiten sich um den juristischen Umgang mit einem satirischen Flugblatt
Der Landesverband der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) wirft seinem Bundesvorstand Denunziation vor. Der Bundesvorsitzende der ältesten friedenspolitischen Organisation Deutschlands, Jürgen Grässlin, hat die Namen von drei Berliner DFG-VK-Mitgliedern sowie ein internes Schreiben an die Staatsanwaltschaft weitergegeben, nachdem diese die Herausgabe der Daten verlangt hatte. „Die Übermittlung der Namen geschah in vollem Wissen, dass den Betroffenen nun mit hoher Wahrscheinlichkei Hausdurchsuchungen bevorstehen und ein Ermittlungsverfahren wegen ihrer politischen Aktivitäten droht“, so der Landesverband Berlin-Brandenburg in einer Stellungnahme.
Der Grund sind Ermittlungen wegen eines satirisch gemeinten Aufrufs der DFG-VK Berlin-Brandenburg, der unter dem doppeldeutigen Motto „Feste feiern, wenn sie fallen“ zum Schampus-Saufen aufruft, wenn ein Bundeswehrsoldat beim Afghanistan-Einsatz ums Leben kommt (siehe Interview unten). Die im April beendete Aktion hatte bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt und juristische Ermittlungen nach sich gezogen. Mehrere von Bundeswehrverbänden angestrengte Klagen wegen Beleidigung waren zwar bereits im vorigen Jahr eingestellt worden. Doch das Berliner Landeskriminalamt ermittelt weiter.
Im April waren in Berlin drei Buchläden, die Büroräume eines Internetproviders und Privatwohnungen auf der Suche nach den Verantwortlichen der Aufrufe durchsucht worden. Weil die Ermittlungsbehörden keinen Hinweis auf die Urheber der satirischen Aufrufe gefunden haben, wandten sie sich an den DFG-VK-Bundesvorsitzenden – mit Erfolg.
„Als BSK waren wir uns einig, dass wir den Ermittlungsbehörden keinen Vorwand für eine Hausdurchsuchung in der Bundesgeschäftsstelle mit der Beschlagnahme aller Computer und weiterer Unterlagen geben dürfen“, begründete der Bundessprecher Jürgen Grässlin gegenüber der taz die Datenweitergabe. „Die Personendaten unserer mehr als 4.000 Mitglieder sowie die weiteren Unterlagen, wie Brief- und Mailwechsel, Protokolle all unserer Aktivitäten, gehen die Staatsanwaltschaft absolut nichts an.“ Zudem verstehe sich die DFG-VK nicht als Untergrundorganisation, die mit subversiven Mitteln gegen die Staatsmacht angeht. „Wir bekennen uns bei all unseren Aktionen mit unserem Namen zu unseren Taten“, so Grässlin.
Hinter dem Streit stehen politische Gegensätze. Während sich viele DFG-VK-Mitglieder in der Friedensbewegung der 80er-Jahre politisierten und heute vor allem bei der Organisierung von Ostermärschen gegen Atomraketen und als Kritische AktionärInnen von Rüstungsbetrieben engagieren, sorgten im Landesverband Berlin-Brandenburg jüngere AntimilitaristInnen mit provokativen Aktionen auch verbandsintern öfter für Unmut. So wurde das Plakat „Schritt zur Abrüstung“ mit dem Sarg eines getöteten Soldaten auch von DFG-VK-Mitgliedern als menschenverachtend kritisiert.
Die Weiterleitung der Namen hat die Krise zugespitzt. Der Landesverband Berlin-Brandenburg will vorerst keine Informationen über geplante Aktivitäten mehr an die Bundesebene weiterleiten. Man plane aber keinen Austritt aus dem Verband, sagte ein Landesverbandsmitglied der taz.
DFG-VK-Bundessprecher gibt Namen an Staatsanwaltschaft weiter
Gegen Mitglieder der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) ermittelt die Staatsanwaltschaft. Wie jetzt bekannt wurde, hat ein Spitzenfunktionär der Organisation mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet.
Bei der DFG-VK wird zur Zeit heftig gestritten. Der Landesverband Berlin-Brandenburg der ältesten deutschen Friedensorganisation wirft dem Bundessprecherkreis (BSK) Denunziation vor. Bundesvorstandsmitglied Jürgen Grässlin habe die Namen von drei Berliner DFG-VK-Mitgliedern sowie ein internes Schreiben an die Staatsanwaltschaft weitergegeben, nachdem sie per Fax die Herausgabe dieser Daten verlangt hatte, so der Vorwurf.
Der Grund sind Ermittlungen wegen eines satirischen Aufrufs der DFG-VK Berlin-Brandenburg. Unter dem Motto »Feste feiern, wie sie fallen« hat der Landesverband zum Schampus-Saufen aufgerufen, wenn ein Bundeswehrsoldat beim Afghanistan-Einsatz ums Leben kommt. Die innerhalb der Organisation umstrittene, Ende April 2010 beendete Aktion sorgte bundesweit für große Aufmerksamkeit und zog juristische Ermittlungen nach sich. Mehrere angestrengte Klagen wegen Beleidigung und übler Nachrede wurden im vergangenen Jahr eingestellt. Doch das Berliner Landeskriminalamt ermittelt weiter, weil die Flyer zu der Aktion ihrer Ansicht nach geeignet seien, »den im Ausland stationierten Soldaten der Bundeswehr ein Lebensrecht abzusprechen«. Außerdem werde durch den Aufruf zum Feiern das Sicherheitsgefühl der Bundeswehrangehörigen und deren Familien stark beeinflusst.
Im April waren in Berlin mehrere Buchläden, die Büroräume eines Internetproviders und Privatwohnungen erfolglos nach Hinweisen auf die Verantwortlichen der inkriminierten Flyer durchsucht worden. Nachdem die Behörden nicht fündig geworden sind, wandten sie sich mit Erfolg an den DFG-VK-Bundessprecher.
»Als BSK waren wir uns einig, dass wir den Ermittlungsbehörden keinen Vorwand für eine Hausdurchsuchung in der Bundesgeschäftsstelle mit der Beschlagnahme aller Computer und weiterer Unterlagen geben dürfen«, begründet Jürgen Grässlin auf ND-Nachfrage die Datenweitergabe. Zudem verstehe sich die DFG-VK nicht als Untergrundorganisation, die mit subversiven Mitteln gegen die Staatsmacht angeht. »Wir bekennen uns bei all unseren Aktionen mit unserem Namen zu unseren Taten und stehen oft genug auch vor Gericht zu den sich für uns ergebenden Folgen«, so Grässlin.
Der politische Geschäftsführer der Organisation, Monty Schädel, der verbandsintern gegen die Weitergabe der Daten opponierte, kritisierte gegenüber ND seine Mitstreiter: »Ich bin entsetzt über dieses unsolidarische Vorgehen, auch wenn ich mir selbst vorwerfen muss, nicht in allen Phasen des Ablaufs energisch und aufmerksam genug gegen dieses Vorgehen eingeschritten zu sein.« Er wirft dem BSK vor, die Daten übergeben zu haben, obwohl lediglich ein Fax, aber kein rechtsverbindliches Anschreiben der Staatsanwaltschaft vorlag. Zudem sei ein Termin mit dem Landesverband Berlin-Brandenburg, auf dem über einen gemeinsamen Umgang mit den Ermittlungen beraten werden sollte, ignoriert worden.
Nach der Datenübergabe hat der Landesverband beschlossen, vorerst keine Informationen über geplante Aktivitäten mehr an die Bundesebene weiterzuleiten. Man sei allerdings weiterhin an einer handlungs- und bündnisfähigen DFG-VK interessiert und plane daher keinen Austritt aus dem Verband, so die Berliner Antimilitaristen. Viel werde jetzt von den Reaktionen des Bundessprecherkreises abhängen.