Im Sinne Erdoğans

Justiz In München läu ein Terrorverfahren gegen türkische Oppositionelle

Freundlich lächelt Dilay Banu Büyükavci in die Kamera, lockige Haare, gemustertes Halstuch. Es ist eines der wenigen Fotos, die die Öffentlichkeit von ihr kennt. Bis vor kurzem saß die 46-jährige Ärztin noch im Hochsicherheitstrakt München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Sie wird beschuldigt, die 1972 gegründete Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) unterstützt zu haben. In einem Café in der Nähe des Klinikums Nürnberg hatte sie sich am 15. April 2015 nach der Arbeit mit Kollegen getroffen, bis dort eine schwer bewaffnete Antiterroreinheit einrückte und sie verhaftete. Am 18. Februar 2018 wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Die Ärztin Susanne Kaiser freut sich, dass ihre Kollegin wieder in der Klinik arbeiten kann. Die Stelle war für Büyükavci frei gehalten worden. Viele Beschäftigte des Klinikums haben sich für Banu eingesetzt. So nennen sie ihre in der Türkei geborene Kollegin, die 2005 für die psychiatrische Facharztausbildung nach Deutschland kam. Kaiser gehört zu denen, die Briefe an Landes- und Bundespolitiker geschrieben haben. „Ich habe
sofort gesagt, Banu und Terrorismus, das passt nicht zusammen“, schildert Kaiserihre erste Reaktion auf die Verhaftung. Daran hat sie bis heute keinen Zweifel.

 Strafe ohne Straftat 

Dabei bedeutet die Freilassung nicht, dass Büyükavci freigesprochen ist. Zusammen mit neun weiteren türkischen Oppositionellen steht sie wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor dem Münchner Oberlandesgericht. „Der Haftbefehl wurde außer Vollzug gesetzt, weil das Gericht die Fluchtgefahr als nicht mehr so hoch ansieht“, erklärt Rechtsanwalt Alexander Hoffmann. Der Kieler Strafrechtsexperte vertritt im Prozess einen der Angeklagten. Dass die Ärztin ein eigenes Haus besitzt und eine feste Stelle hat, dürfte bei der Einschätzung des Gerichts eine Rolle gespielt haben. Auch in den kommenden Monaten wird Büyükavci im Wochentakt vor Gericht erscheinen müssen, begonnen hat der Prozess im Juni 2016, inzwischen haben mehr als 100 Verhandlungstage stattgefunden. Vorgeworfen wird den zehn türkischen Oppositionellen, die in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich verhaftet wurden, die Organisation von Solidaritätskonzerten oder das Sammeln von Spenden. Das sind eigentlich legale Tätigkeiten, sie sollen damit aber eine terroristische Organisation unterstützt haben. Allerdings ist die TKP/ML in Deutschland nicht verboten, sie steht auch nicht auf internationalen Terrorlisten, allein die Türkei deklariert sie als Terrororganisation. Grundlage des Verfahrens ist Paragraf 129b des Strafgesetzbuchs. Geschaffen wurde er nach den Anschlägen vom 11. September 2001, er stellt die Mitgliedschaft, die Unterstützung und das Werben für eine „kriminelle oder terroristische Vereinigung im Ausland“ unter Strafe. Konkrete Taten müssen den Beschuldigten nicht nachgewiesen werden, Nachdem der Bundesgerichtshof 2010 entschieden hat, dass auch Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK nach Paragraf 129b angeklagt werden können, stand den 21 kurdische Aktivisten vor Gericht, 19 von ihnen wurden zu teils langen Haftstrafen verurteilt. Am Freitag voriger Woche kam ein weiterer hinzu, das Oberlandesgericht Celle verurteilte Yunus O. zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren ohne Bewährung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er die in Deutschland verbotene PKK unterstützt hat. Der Verurteilte hatte den gesamten Prozess über bestritten, für die PKK tätig gewesen zu sein, seine Aktivitäten würden als terroristisch abgestempelt, obwohl er sich nur als Kurde artikulieren wolle, sagte er. Sein Anwalt kündigte nach der Urteilsverkündung an, in Revision zu gehen, und wies auf die aktuelle Situation von Kurden in der Türkei, in Syrien und im Irak hin. Kritiker sprechen davon, dass mittels des Paragrafen 129b die Verfolgung von türkischen und kurdischen Oppositionellen in Deutschland fortgesetzt wird. Bisher sind die Anwälte der 129b-Angeklagten mit dem Versuch gescheitert, die Menschenrechtslage in der Türkei zu thematisieren. „Wir haben mehrfach die Einstellung des Verfahrens beantragt, weil immer deutlicher wird, dass sich die Türkei zum autoritären Willkürstaat entwickelt und als solcher kein taugliches Schutzgut des Paragrafen 129b ist. Der Senat lehnt die Anträge regelmäßig ab“, erklärt der Nürnberger Anwalt Yunus Ziyal. Er ist einer der beiden Strafverteidiger von Büyükavci.

Regierung versus Demokratie

Das Bundesjustizministerium muss in jedem 129b-Verfahren die Verfolgungenermächtigung für die Bundesanwaltschaft erteilen. Nicht nur die Verteidiger im Münchner Prozess, sondern auch die Medien haben immer wieder kritisiert, dass sich die Anklage in großen Teilen auf Ermittlungen türkischer Behörden stützt. Bei einem Kongress in Hamburg, der anlässlich des dort laufenden Verfahrens gegen Musa Aşoğlu wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der auch in Deutschland verbotenen linksradikalen, militanten DHKP-C stattfand, war die Menschenrechtssituation in der Türkei ebenfalls Thema. Dort beschrieben mehrere Linke, die sowohl in der Türkei als auch in Deutschland im Gefängnis gesessen hatten, die Unterschiede im Haftalltag. Alle berichteten, dass in der Türkei Folter keine Seltenheit ist. In Deutschland erschwere die Isolation die Haft. 23 Stunden des Tages war auch Büyükavci in den ersten viereinhalb Monaten der Untersuchungshaft allein in der Zelle. Für 129b-Verfahren gelten verschärfte Haftbedingungen, auch die Arbeit der Verteidiger unterliegt erheblichen Einschränkungen. Die Generalanwaltschaft spricht im Hinblick auf den Münchner Prozess von einem Pilotverfahren, in dem geklärt werden soll, ob die TKP/ML eine terroristische Organisation ist. Angesichts des Gutachtens, das der vom Gericht beauftragte Türkei-Experte der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, Christoph K. Neumann, Mitte März im Prozess präsentierte, müsste nicht nur sie, sondern auch die Bundesregierung in Erklärungsnöte geraten. Der Gutachter zweifelte an der politischen Wirksamkeit der TKP/ML. Als wesentlich größere Gefahr für die Demokratie in der Türkei wertete der Experte hingegen die Aktivitäten des radikal-sunnitischen ISIS, die der türkischen Regierung und die ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. In München läuft ein Terrorverfahren gegen türkische Oppositionelle. Drei Konzerne, die global agieren, haben Kontrolle darüber, was wir essen. In der Türkei herrscht Willkür, für deutsche Gerichte ist das kein Thema.

In der Türkei herrscht Willkür, für deutsche Gerichte ist das kein Thema
aus: der Freitag | Nr. 13 | 29. März

Peter Nowak