Peter Nowak zur Vergangenheit einer Berliner Siedlung

Anfang der fünfziger Jahre wurde das Waldviertel in Berlin-Zehlendorf noch ganz unbefangen „SS-Siedlung“ genannt. Am Rande der Hauptstadt war Ende der dreißiger Jahre eine Kameradschaftssiedlung der Nazi-Schutzstaffel errichtet worden. Man lebte in einem Umfeld, „in dem die Angehörigen der SS ausreichend und gesunden Wohnraum finden und das insbesondere den Aufstieg der Familien zu fördern geeignet ist“, so „Reichsführer“ Heinrich Himmler.
Nach dem Ende des NS-Regimes war es für die braune Elite erst einmal mit dem Stadtrandidyll vorbei. Die Alliierten vergaben die Wohnungen an Verfolgte und Emigranten. Doch schon Mitte der fünfziger Jahre wehte wieder ein anderer Wind. Antonin Dick, der als Emigrantenkind seine Schulzeit in dem Viertel verbracht hat, kann sich noch erinnern, wie SS-Leute Anspruch auf ehemaligen Wohnungen und zurückgelassenes Mobiliars erhoben.
Heute will ein Großteil der Bewohner an die Nazi-Vergangenheit der Siedlung möglichst nicht mehr erinnert werden. Man solle doch endlich die Vergangenheit ruhen lassen, hieß es, als das Zehlendorfer Kulturamt die Aufstellung einer Informationstafel zur Geschichte der Siedlung beschloss. Die Siedlung stehe schon siebzig Jahre – und habe nur sieben Jahre davon SS-Zwecken gedient, so ein Bewohner. Ein anderer befürchtete gar, dass Neonazis angelockt werden könnten.
Anwohner stellen Fragen
Die Einwände hatten Erfolg. Das zuständige Kulturamt wartete mit einer ganz neuen Variante des Prinzips „Geschichte von Unten“ auf. Da die Bewohner mehrheitlich den Namen Himmler im Zusammenhang mit der Vergangenheit der Siedlung nicht lesen wollten, wurde der kurzerhand gestrichen. Auch die Rolle der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Gagfah) wird in dem Text weitgehend ausgeblendet. Das Unternehmen war für Bau und Verwaltung der Siedlung zuständig. Gagfah-Architekt Hans Gerlach hatte die Planung mit dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS für abgestimmt. Die Gagfah gehörte auch in der Nachkriegszeit zu den führenden Berliner Wohnungskonzernen.
Kulturamtschefin Sabine Weißler räumte ein, dass es schwierig sei, historisch korrekt zu bleiben und gleichzeitig die Anwohner-Wünsche zu berücksichtigen. Die Zehlendorfer Version der Vergangenheit kann man nun auf der Tafel lesen. „Die friedvolle Atmosphäre, welche die in den Landschaftsraum eingebettete Siedlung dem unbefangenen Betrachter heute vermittelt, macht es schwer, ihre Geschichte in Erinnerung zu rufen. Diese ist unmittelbar mit ihrer Entstehungszeit im Nationalsozialismus verwoben.“ Eine NS-Verfolgte, die von den Alliierten eine Wohnung in der Siedlung zugewiesen bekam und dort bis heute wohnt, wurde ebenso wenig zur Diskussion um die Tafel eingeladen, wie ihr in der Emigration geborener und in Berlin aufgewachsener Sohn.
Sollte das Zehlendorfer Modell Schule machen und Informationstexte über die NS-Vergangenheit künftig mit den Anwohnern ausgehandelt werden? Dann würde wohl bald kein bekannter Nazi mehr namentlich genannt werden – weil die heutigen Bewohner nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden wollen.

Quelle: der Freitag,

28. Januar 2010
4. Woche, S. 4
Peter Nowak

Verfahren gegen linkes Webportal

Hoher Strafbefehl wegen Prozessberichts
Am kommenden Dienstag verhandelt das Amtsgericht Krefeld gegen eine Redakteurin, die in ihrem Online-Magazin einen Text der Roten Hilfe veröffentlichte.

Die Betreiberin der linken Online-Zeitung »Scharf-Links«, Edith Bartelmus-Scholich, hatte Widerspruch gegen einen Strafbefehl in Höhe von 12 000 Euro eingelegt. Er wurde verhängt, weil sie einen Richter des Oberlandesgerichtes Düsseldorf beleidigt haben soll. Doch sie hat den inkriminierten Text nicht selbst verfasst. Es handelt sich um einen Prozessbericht der Ortsgruppe Düsseldorf-Mönchengladbach der Roten Hilfe zum Verfahren gegen den türkischen Linken Faruk Ereren.

Seit mehreren Monaten wird gegen ihn wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach dem Paragrafen 129b vor dem OLG Düsseldorf verhandelt. »Wir beobachten das Verfahren regelmäßig und verfassen Prozessberichte, um Öffentlichkeit über das Verfahren herzustellen«, erklärte am Montagabend eine Vertreterin der Roten Hilfe auf einer Informationsveranstaltung im Düsseldorfer DGB-Haus. Die Berichte wurden an linke Publikationen wie »Scharf-Links« geschickt.

In dem Text, der jetzt die Justiz befasst, wurde über einen Verhandlungstag berichtet, in dem gegen den Zeugen Nuri Eryüksel Beugehaft verhängt wurde. Der türkische Journalist hatte es abgelehnt, über die Strukturen der türkischen Exilorganisation Aussagen zu machen, weil er sich dabei selber belasten könnte. Das Gericht bestand aber auf seine Zeugenaussage und erließ nach seiner Weigerung eine sechsmonatige Beugehaft, die noch im Gerichtssaal vollstreckt wurde. Dieses Vorgehen sorgte unter den Prozessbeobachtern für Aufregung. Eryüksel war mehrere Jahre in türkischen Gefängnissen inhaftiert, wo er schwer gefoltert wurde. Als Spätfolge der Folter hat er mittlerweile sein Augenlicht verloren.

Zynisch empfundene Äußerung des Richters

Darum dreht sich auch der inkriminierte Satz in dem Prozessbericht, mit dem sich das Gericht befassen muss. Die Prozessbeobachter schreiben, der zuständige Richter habe nach der Verkündung der Beugehaft erklärt, damit könne Eryükesel trotz seiner Erblindung eine andere Sichtweise bekommen. Während der Richter diese Äußerung vehement bestreitet, haben mehrere Prozessbeobachter, darunter auch ein Vertreter des Komitees für Grundrechte und Demokratie, unabhängig voneinander bestätigt, der Richter habe bei der Verhängung der Beugehaft eine von ihnen als zynisch empfundende Äußerung getätigt. An den genauen Wortlaut aber können sie sich nicht mehr erinnern.

»Zu unseren Grundsätzen gehört es, linken Projekten die Möglichkeit zu geben, ihre Erklärungen bei uns zu veröffentlichen«, erklärte Edith Bartelmus-Scholich. Sie sieht in dem Verfahren ein Angriff auf die Pressefreiheit und moniert besonders das Vorgehen des Gerichts. Es habe weder eine Beschwerde über den Bericht noch die Aufforderung zu einer Gegendarstellung gegeben. Stattdessen sei ohne Vorwarnung der hohe Strafbefehl erlassen worden. Für die Online-Redakteurin ist klar, dass sie den Betrag nicht zahlen kann. »Sollte er von dem Krefelder Gericht bestätigt werden, droht mir ersatzweise Haft.«

Mittlerweile läuft ein weiteres Verfahren gegen den presserechtlich Verantwortlichen des »Gefangeneninfos«, einer Publikation, die sich mit Knast und Repression befasst und den Prozessbericht ebenfalls abgedruckt hat.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/164772.verfahren-gegen-linkes-webportal.html

Peter Nowak

Westerwelle-Dämmerung

Landtagswahl in NRW wird der interne Burgfrieden halten
So schnell kann es gehen. Am Tag der Bundestagswahl wurde die FDP unter ihrem Vorsitzenden Guido Westerwelle noch als die große Siegerin gefeiert. Knapp vier Monate später sehen selbst die den Liberalen nahestehenden Medien die FDP im Sinkflug. Am Sonntag lud Westerwelle dann zu einer parteiinternen Krisensitzung, die natürlich offiziell nicht so genannt wurde. Kurs halten und die eigenen Pläne, vor allem bei den Steuersenkungen noch beschleunigen, hießen die Stichworte. Doch damit wird sich der koalitionsinterne Streit fortsetzen, bei dem die FDP momentan am meisten verliert.

Mittlerweile ist den liberalen Spitzenpolitikern klar geworden, dass es um ihre Zukunft geht. Es reicht nicht mehr, wie es Westerwelle vor einigen Tagen noch gemacht hat, als Bundesminister weiter so zu agieren, als sei er noch in der Opposition, und gleichzeitig den jetzigen Oppositionsparteien eine Kampagne vorzuwerfen. Wenn eine Partei innerhalb weniger Monate in Umfragen fast die Hälfte der Wähler weg bricht, müssen die Parteistrategen die Ursachen in erster Linie im eigenen Lager suchen.

 

Erfolg mit Leihstimmen

Dass die FDP mit dem Wahlerfolg unabhängig von ihrer späteren Politik ihren Zenit schon überschritten hatte, war Politbeobachtern klar. Denn die hohen Ergebnisse bestanden zum nicht unerheblichen Teil aus Leihstimmen aus dem christdemokratischen Lager. Diese Wähler wollten die Fortsetzung der großen Koalition verhindern und gaben dieses Mal der FDP ihre Stimme.

Daneben hat das konkrete Agieren der FDP in den letzten Wochen auch einen Teil der liberalen Stammwähler vor den Kopf gestoßen. Sie gerierte sich in der Debatte über die Gesundheitsreform und die Steuersenkungen als eine Programmpartei, die ihre Politik von ideologischen Prämissen ableitet. Ein nicht geringer Teil der FDP-Wähler sieht sich aber als ideologiefrei. Ideologisch sind im zweifelsfrei immer die politischen Gegner, vor allem die Gewerkschaften und die Grünen.

Dieser Teil der Liberalen wirft Westerwelle vor, mit der Ideologisierung der Debatte die Verwirklichung der Ziele eher erschwert zu haben. Sie sehen sich als Pragmatiker der Macht, denen es mehr um die konkreten Ergebnisse als auf die korrekte ideologische Begründung ankommt. Sie kreiden der FDP an, ihre Rolle als Regierungspartei noch nicht gefunden zu haben. Diese Kritik kommt auch aus der FDP selber und dürfte deshalb von der gegenwärtigen Parteiführung besonders ernst genommen werden. Denn hier könnte sich ein zukünftiger innerparteilicher Konflikt auftun, an dem Westerwelle sicher kein Interesse hat.

 

Erinnerung an J.W.Möllemann

Dabei würde es auch um eine parteiintern nie geleistete Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit gehen. Es war der FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann, der die Strategie der Ideologisierung der Partei gegen den Willen der an pragmatischen Politikmodellen interessierten Altliberalen vorangetrieben hatte. Zu seinen eifrigsten Unterstützern gehörte der damalige aufstrebende Jungpolitiker Westerwelle. Zeitweise wirkten beide im Kampf gegen die alte Garde aus der Kohlära wie ein Tandem.

Erst nachdem Möllemann mit dubiösen Spendentricksereien und antiisraelischen Tönen politischen und kurz danach auch physischen Selbstmord verübt hatte, war für Westerwelle der Weg an die Parteispitze frei. Möllemann wurde in kurzer Zeit zur Persona non grata. Nur die hohen Geldstrafen für die nicht angegebenen Spenden erinnern noch an seine Zeit. Eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Politikkonzept, das in modifizierter Form auch das von Westerwelle ist, hat es nicht gegeben. Wenn jetzt in den Medien beim Streit in der FDP auch wieder an Möllemann erinnert wird, muss das an der Parteispitze als Warnsignal aufgefasst werden.

 

Gnadenfrist für Westerwelle

Noch scheint Westerwelle parteiintern unangefochten. Seit er selber potentielle Konkurrenten wie seinen Vorgänger Wolfgang Gerhardt abservierte, gab es in der FDP keine personelle Alternative mehr. Zudem ist es Westerwelle gelungen, die Bürgerrechtsliberalen um Sabine Leutheusser-Schnarrenberger parteiintern einzubinden, die zeitweise in der FDP wie ein versprengter Haufen unter all den Wirtschaftsliberalen wirkten.

Die Kritik dürfte schnell zunehmen, wenn sich die momentane Schwäche der FDP nicht nur an Umfragewerten, sondern an Wahlergebnissen festmachen lässt. Der Wahl in NRW kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Auch dort werden der FDP hohe Verluste prognostiziert, die der schwarz-gelben Landesregierung in Düsseldorf die Mehrheit kosten könnten. Die Neuauflage eines Bündnisses zwischen SPD und Grünen wäre ebenso denkbar, wie ein schwarz-grünes Bündnis an der Ruhr. Nachdem die Grünen dort auch schon mit Wolfgang Clement regierten, gegen den Rüttgers fast schon wie ein Herz-Jesu-Sozialist wirkt, dürften sie keine großen Probleme damit haben. Wohl aber die FDP, denn jede weitere schwarz-grüne Koalition geht an ihre Existenz. Es würde sich damit eine zweite Variante einer bürgerlichen Koalition mit den auch nicht mehr ganz so jungen Linksliberalen von den Grünen etablieren.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32044/1.html

 

Peter Nowak

Späte Anklage

In New York läuft ein Verfahren gegen die deutschen Unternehmen Daimler und Rhein-Metall; ihnen wird vorgeworfen, dass sie mit dem früheren südafrikanischen Apartheid-Regime wirtschaftlich zusammengearbeitet haben
Fast zwei Jahrzehnte ist das Apartheid-Regime in Südafrika schon Vergangenheit. Jetzt könnten mehrere Großkonzerne doch noch von der Geschichte eingeholt werden. Zur Zeit läuft in New York ein Verfahren gegen die deutschen Unternehmen Daimler und Rhein-Metall sowie die US-Firmen GM, Ford und IBM. Opfer des Apartheid-Regimes, die sich in der Khulumani-Support-Group zusammengeschlossen haben, und ihre Unterstützer werfen diesen Unternehmen vor, durch die wirtschaftliche Zusammenarbeit dazu beigetragen zu haben, dass sich das international geächtete Regime an der Macht halten konnte.

So wird dem Daimler-Konzern vorgeworfen, dem Apartheidregime-Regime Hubschrauber und Flugzeuge geliefert zu haben, die auch bei der Bekämpfung von Protesten der Bevölkerung zum Einsatz gekommen sind. Dadurch seien sie auch an deren Verbrechen gegen die Bevölkerung schuldig, argumentieren die Rechtsanwälte, die eine Sammelklage von mehreren Tausend Apartheidgegnern eingereicht haben. Sollten sie Erfolg haben, müssten die Firmen mit Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe rechnen. Auch der Imageverlust für die betroffenen Firmen wäre enorm.

Frage der Zuständigkeit

Doch zunächst geht es vor dem New Yorker Gericht um die Frage, ob die Klagen überhaupt zulässig sind. Die Kläger berufen sich auf den Alien Tort Claims Act, mit dem gegen die Piraterie vorgegangen werden sollte. Das Papier von 1798 erklärt völkerrechtliche Verletzungen von Nichtamerikanern gegenüber Nichtamerikanern für gesetzeswidrig und gesteht ihnen das Recht zu, sich an Gerichte in den USA zu wenden. Die Bundesregierung will die Zuständigkeit eines US-Gerichts für deutsche Firmen nicht anerkennen. Bisher haben auch mehrere Vorinstanzen in diesem Sinne entschieden und die Klagen deshalb als unbegründet zurückgewiesen.

Doch jetzt stehen die Chancen für die Kläger besser. So hat der südafrikanische Justizminister Jeff Radebe ein Verfahren in den USA ausdrücklich begrüßt. Auch die Obama-Regierung hat sich, anders als ihre Vorgänger, für die Anwendung des Alien Tort Claims Act in diesen Fällen ausgesprochen. Der Anwalt der Kläger Michael Hausfeld gehört zu den politischen Unterstützern des gegenwärtigen US-Präsidenten
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/147035

Peter Nowak

Grundgesetz und AKW

Laufzeitverlängerung verletzt Schutzpflicht
In die Diskussion um die Laufzeitverlängerung von AKW hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) einen besonderen Akzent gesetzt. Sie stellte in dieser Woche in Berlin ein Gutachten vor, in dem ein längerer Weiterbetrieb der AKW für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wird.

 Für die Autorin Cornelia Ziehm, die bei der DUH das Ressort Klimawende und Energiewandel leitet, verletzt der Staat seine Schutzpflichten, wenn er die Produktion weiteren Atommülls zulässt, ohne dass es eine Lösung für die Endlagerung hoch radioaktiven Abfalls gibt. Ziehm leitet diese Einschätzung aus den im Grundgesetz festgelegten Grundrechten auf Leben, Gesundheit und Eigentum sowie dem seit 1994 dort festgeschriebenen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen ab.

Das mediale und politische Interesse an dieser Expertise hielt sich in Grenzen. Die SPD hat die Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufgefordert, das Thema aber auch nicht besonders hoch gehängt. Denn einen Hebel zum Ausstieg liefert das Gutachten wohl kaum. Sonst hätte der AKW-kritische Teil des Parlaments schon längst ein Normenkontrollverfahren einleitet, um die Frage zu klären, ob der Betrieb der AKW überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die in dem Gutachten angesprochenen Probleme beginnen nicht erst bei einer Laufzeitverlängerung.

Der Schritt unterbleibt aber aus gutem Grund. Die zuständigen Richter werden sich der Auslegung des DUH schwerlich anschließen. Verfassungsfragen sind auch und in erster Linie Machtfragen. Wenn AKW stillgelegt werden, dann wegen des politischen Drucks oder aus ökonomischen Gründen. Deswegen sind die AKW-Gegner auch gut beraten, ihren außerparlamentarischen Widerstand zu vergrößern. Wenn der Druck groß genug ist, könnte auch eine Debatte darüber geführt werden, wie realistisch ein AKW-Verbot im Grundgesetz ist.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/164603.grundgesetz-und-akw.html

Peter Nowak

Nie wieder Deutschland am Hindukusch

Wer sich mit der afghanischen Demokratiebewegung solidarisieren will, muss den Abzug der internationalen Truppen fordern.

„Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt«, lautete in den achtziger Jahren ein beliebter Slogan auf Demonstrationen, als Deutsch­land wegen seiner Vergangenheit noch als nur begrenzt kriegsfähig galt und keine Soldaten in Kriegseinsätze schickte. Heute dagegen gehen auch deutsche Soldaten, etwa das weitgehend un­ter Ausschluss der Öffentlichkeit agierende Kom­mando Spezialkräfte (KSK), in aller Welt ihrem schon von Kurt Tucholsky prägnant benannten Handwerk nach.

Spätestens seit dem von deutschen Militärs zu verantwortenden Massaker an einer unbekannten Zahl von afghanischen Dorfbewohnern dürfte allgemein bekannt sein, dass die Bundeswehr in Afghanistan nicht als bewaffnete Hilfsorganisation tätig ist. Führende Politiker, an der Spitze Bundeskanzlerin Angela Merkel, verbaten sich jeg­liche Kritik aus dem In- und Ausland am Bombardement. Und führende deutsche Militärs legten mit der Bemerkung, dass die in Kunduz getöteten Zivilisten keine Unbeteiligten gewesen seien, das internationale Kriegsrecht in deutscher Tradition aus. Fast gleichzeitig mit dem Kunduz-Massaker wurde im Bendlerblock, dem Sitz des deutschen Kriegsministeriums, ein Ehrenmal für die bei ihrem Job in aller Welt ums Leben gekommenen deutschen Soldaten eingeweiht.

Die Warnungen vor der Entstehung einer neuen deutschen Militärmacht, die vor knapp 20 Jahren die Kampagne »Nie wieder Deutschland« antrieb, haben sich also zumindest in diesem Punkt voll bestätigt. Doch heute hört man von denen, die sich mehr oder minder in diese Tradition stellen, keine Proteste gegen die selbstbewusste deutsche Militärmacht, die arme afghanische Bauern, die sich offenbar etwas Benzin aus gestohlenen Tanklastzügen abzapfen wollten, mit dem Tode bestrafte.

Im Gegenteil. Da benutzt Magnus Klaue in einem Artikel in der Jungle World (Nr. 3/2010) die Phrase von der »Verteidigung der Zivilisation«, die schon 1914 von der SPD-Führung verwendet wurde, um der sozialdemokratischen Basis den Krieg gegen das zaristische Russland schmackhaft zu machen. In der aktuellen Ausgabe der Monatszeitschrift Konkret kreiert Stefan Frank eine jihadistische Weltverschwörung und wirft Obama vor, dieser nicht mit der nötigen Entschlossenheit entgegenzutreten. Sollte man Obama nicht gleich empfehlen, von Deutschland zu lernen? Schließlich hat sich Oberst Klein in Kunduz nicht von den Bedenken von US-Militärs abhalten lassen, die gestohlenen Tanklastzüge und die sie umgebende Menschenmenge bombardieren zu lassen.

Wer meint, der Militäreinsatz diene der Demokratisierung und sei deshalb gerechtfertigt, sollte auf die Demokratiebewegung in Afghanistan hören. Denn die kämpft nicht nur gegen die Taliban, sondern auch gegen die Warlords im Lager des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai und damit auch gegen die westlichen Militärs, die dessen Regierung stützen. Die afghanische Islamkritikerin und parteilose Abgeordnete Malalai Joya, die nach Morddrohungen prowestlicher Islamisten und Warlords untertauchen musste und ihr Mandat verlor, spricht sich in ihrem Buch »Ich erhebe meine Stimme« für einen Abzug aller fremden Truppen aus Afghanistan aus, denen sie vorwirft, nicht die Demokratie, sondern »eine Fraktion der Warlords und Islamisten« zu fördern. Auch die Frauenorganisation Rawa, die den Sturz der Taliban begrüßt hat, spricht sich mittlerweile für einen schnellen Truppenabzug aus.

Auf diese Kräfte kann sich eine emanzipatorische Linke stützen, wenn sie einen schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert. Die in deutschen Medien vielzitierten deutschnationalen Lautsprecher dieser Forderung sollte man dagegen rechts liegenlassen. Etwa Rupert Neudeck, den Chef der Hilfsorganisation Grünhelme, der in der Frankfurter Rundschau über die den Deutschen »aus ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein« zutiefst verbundenen afghanischen Stämme schwadroniert. Oder den ehemaligen CDU-Rechtsaußen Jürgen Todenhöfer, der sich in der Taz als Friedensfreund produziert, den Krieg wegen der alliierten Bombardements auf Hanau hassen gelernt haben will und sich nun um das Image Deutschlands sorgt. Seine aktive Unterstützung der afghanischen Islamisten, die Anfang der achtziger Jahre gegen die von der Roten Armee gestützte linke Regierung kämpften, wird in der Taz derweil als »Reise zu afghanischen Freiheitskämpfern« bezeichnet.

Die linke Reformregierung, die 1978 tatsächlich in Afghanistan Rechte für Frauen einführte und eine Bildungs- und Gesundheitsreform realisierte, hätte damals kritischer Unterstützung von links bedurft. Aber bis auf wenige Ausnahmen schlug sich die deutsche Linke damals auf Seiten der Islamisten. Heute dagegen gibt es auf Seiten der afghanischen Regierung keine emanzipatorische oder zivilisatorische Kraft, auf die sich Linke positiv beziehen könnten, sondern allein kleine demokratische Ansätze in der afghanischen Gesellschaft. Diese davor zu schützen, unter die Stiefel deutscher Soldaten oder ins Visier deutscher Bom­ber zu geraten, wäre die Aufgabe der hiesigen minoritären Linken. Und diese Aufgabe beinhaltet, zu verlangen, dass die Bundeswehr abzieht.

http://jungle-world.com/artikel/2010/05/40279.html

Peter Nowak

 

Solidarität mit Tekel wächst

Kundgebung in Berlin für Arbeiter des türkischen Ex-Staatsbetriebs
In Berlin demonstrierten Deutsche, Türken und Kurden zusammen gegen die Massenentlassungen beim ehemaligen türkischen Staatsunternehmen Tekel. Auch Gewerkschaften hierzulande solidarisieren sich.
 
Sprechchöre in deutscher, türkischer und kurdischer Sprache schallten am Mittwochnachmittag durch Kreuzberg. Rund 100 Menschen hatten sich in Berlin mit dem Arbeitskampf der Beschäftigten bei Tekel solidarisiert. Seit der Privatisierung des ehemals staatlichen türkischen Tabakkonzerns protestieren fast 12 000 Arbeiter seit dem 15. Dezember gegen drohende Entlassungen und Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen.

Ein Sprecher des aus Gewerkschaftern sowie türkischen und kurdischen Vereinen bestehenden Solidaritätskomitees mit den Tekel-Beschäftigten berichtete über den aktuellen Stand des Arbeitskampfes. Der Streik habe in der Türkei schnell eine landespolitische Bedeutung bekommen. In ihm komme die zunehmende Unzufriedenheit mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik der konservativ-islamischen Regierung zum Ausdruck. Wegen der großen Unterstützung in der Bevölkerung mussten sich mittlerweile die Verantwortlichen der Polizei für die Repression entschuldigen, mit der anfangs gegen die Streikenden vorgegangen worden war. Derzeit versucht die Regierung Zeit zu gewinnen, so die Einschätzung eines anderen Redners. Ein Vermittlungsversuch unter Beteiligung führender Gewerkschaften sei vor wenigen Tagen gescheitert, weil die Regierung nur über Entschädigungen verhandeln wollte.

Eine Gruppe von Arbeitern hat daraufhin einen ausgesetzten Hungerstreik wieder aufgenommen. Rufe nach einem Generalstreik in der Türkei werden immer lauter. Gleichzeitig hat der türkische Ministerpräsident Erdogan mit der baldigen Räumung der Zeltstadt in Ankara gedroht, in der sich die Streikenden aufhalten. Sie ist auch Anlaufpunkt für die Delegationen aus aller Welt geworden.

Inzwischen haben in vielen Ländern Solidaritätsaktionen begonnen – in Deutschland relativ spät, meinte Selahattin Yildirim gegenüber ND. Er ist Koordinator der Solidaritätsaktionen in Deutschland. »Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unterstützt als Partnerorganisation der Tekel-Beschäftigten die Solidaritätsarbeit von Anfang an«, betont Yildirim. Vom DGB allerdings wünscht er sich noch eine wirkungsvolle Unterstützung. Auch der Berliner IG-Metall-Betriebsrat Mustafe Efe sprach sich auf der Berliner Kundgebung für eine stärkere gewerkschaftliche Unterstützung für die türkischen Kollegen aus. Er zog dabei auch Parallelen zur Situation in Deutschland. Kämpferische Gewerkschafter fühlen sich durch den Arbeitskampf in der Türkei motiviert, meinte Efe, der in einem Berliner Autowerk für eine linksoppositionelle Liste zur Betriebsratswahl kandidiert. Am kommenden Mittwoch ist in Berlin eine weitere Kundgebung geplant. In anderen Städten sind ähnliche Aktionen in Vorbereitung. Auch das Europäische Parlament will sich mit den Arbeiterrechten in der Türkei befassen, so Yildirim. Schließlich seien bei der Privatisierung der Tabakfabrik wesentliche Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) umgangen worden.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/164421.solidaritaet-mit-tekel-waechst.html

Peter Nowak

Sicherheitscheck abgelehnt

PROTEST FU-Student steht vor Gericht, weil er ein Plakat ohne Impressum getragen haben soll
Ist es strafbar, ein Plakat ohne Impressum vor dem Bauch zu tragen? Mit dieser Frage wird sich das Landgericht Berlin am heutigen Freitag befassen. Dort ist der Politologiestudent Jens Q. angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Verletzung des Pressegesetzes, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung vor.

Q. hatte am 5. November 2008 an der Freien Universität (FU) gegen die verschärften Sicherheitsstandards wegen einer Rede von Bundespräsident Horst Köhler im Rahmen der Immatrikulationsfeier für Erstsemester auf dem Campus protestiert. Studierende, aber auch die Datenschutzbeauftragte der FU, Ingrid Pahlsen-Brandt, monierten damals, dass alle ZuhörerInnen der Köhler-Rede ihre Personalien vom Bundespräsidialamt überprüfen lassen mussten. Zudem gab es beim Einlass zwei Sicherheitskontrollen. Als Protest organisierten Studierende eine alternative Immatrikulationsfeier in der Nähe des Hörsaals, in dem Köhler sprach. „Ich hielt ein Mobilisierungsplakat für die Aktion vor die Brust, als ich und drei weitere KommilitonInnen von Polizisten festgenommen wurden“, berichtet Q. der taz.

Bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht im vergangenen Jahr hatten neben dem Angeklagten drei StudentInnen als Zeugen ausgesagt, Q. habe bei seiner Festnahme keinen Widerstand geleistet. Der Polizist, der Q. festgenommen hat, erklärte, jener sei seiner Aufforderung, zum Polizeiauto zu gehen, nicht gefolgt. Zudem habe er leichte Verletzungen an der Handinnenfläche davongetragen, als er dem Festgenommenen die Hände auf den Rücken drehte und dieser den Griff lockern wollte. Q. wurde zu einer Geldstrafe von 450 Euro verurteilt. Er legte dagegen Berufung ein.

„Das Amtsgericht stützte meine Verurteilung lediglich auf die Aussage des Polizisten, obwohl ihm vier Aussagen widersprachen“, kritisiert Q. Er habe den Eindruck gehabt, allein die Festnahme bei den Protesten werde ihm schon als Beweis seiner Schuld ausgelegt. Ein studentisches Unterstützungskomitee ruft für diesen Freitag zur Prozessbeobachtung vor dem Landgericht auf.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F02%2F05%2Fa0064&cHash=bde5535575

PETER NOWAK

 Prozessbeginn:5. Februar, 9 Uhr, Raum 220, Turmstraße 91. Die Beobachtergruppe trifft sich um 8.30 Uhr am Eingang des Gerichts

Lauschig wohnen in früherer SS-Siedlung

GESCHICHTE In Zehlendorf erinnert eine Stele an die NS-Vergangenheit der Waldsiedlung. Einigen Anwohnern passt das gar nicht, andere fordern mehr Information – etwa über die SS-Mitglieder unter den früheren Mietern

In der Zehlendorfer Waldsiedlung wird seit kurzem auf einer Stele über die braune Vergangenheit informiert. Doch die späte Erinnerung ist umstritten. Die Initiative ging vom Kulturamt Steglitz-Zehlendorf aus, das bisher bereits drei Informationsstelen zu geschichtlichen Themen in dem Stadtteil erarbeitet hat. Doch noch nie war die Diskussion im Vorfeld so kontrovers wie in der Waldsiedlung. Denn ein Teil der Bewohner möchte möglichst gar nicht daran erinnern, dass der attraktive Wohnort am Rande Berlins in den 30er-Jahren als SS-Kameradschaftssiedlung entstanden ist.

„Die friedvolle Atmosphäre, welche die in den Landschaftsraum eingebettete Siedlung dem unbefangenen Betrachter heute vermittelt, macht es schwer, ihre Geschichte in Erinnerung zu rufen. Diese ist unmittelbar mit ihrer Entstehungszeit im Nationalsozialismus verwoben.“ Diese Sätze stehen auf einer Informationsstele, die an der Kreuzung Argentinische Allee, Ecke Teschener Weg in der Waldsiedlung Krumme Lanke in Zehlendorf eingeweiht wurde. Bis zum Ende des NS-Regimes waren mehr als 90 Prozent der Bewohner SS-Leute und ihre Familien. Ziel war es damals, eine Siedlung zu schaffen, „in der die Angehörigen der SS ausreichend und gesunden Wohnraum finden, der insbesondere den Aufstieg der Familien zu fördern geeignet ist“, schrieb Ende der 30er Reichsführer SS Heinrich Himmler über das Wohnprojekt.

„Man soll doch endlich die Vergangenheit ruhen lassen. Schließlich steht die Siedlung schon 70 Jahre. Sieben Jahre davon hat sie SS-Zwecken gedient“, sagte ein Anwohner vor kurzem bei einer Bürgerversammlung. Ein anderer befürchtete gar, durch die Debatte um die braune Vergangenheit des Wohngebiets könnten Neonazis angelockt werden. Dabei sei man froh, dass die Waldsiedlung nicht mehr mit ihrer Vergangenheit in Verbindung gebracht wird. In den frühen 50er-Jahren hieß das Areal in der Bevölkerung noch SS-Siedlung. Die Alliierten hatten dort nach 1945 bevorzugt Verfolgte und Widerstandskämpfer untergebracht.

Die 99-jährige Dora Dick lebt noch heute in der Wohnung, die sie als jüdische Emigrantin und kommunistische Widerstandskämpferin nach ihrer Rückkehr aus dem Exil zugewiesen bekam. Ihr Sohn Antonin Dick kann sich noch gut an die Schulzeit in der Siedlung erinnern. Dazu gehörte auch, dass schon bald nach Beginn des Kalten Krieges einige SS-Leute Anspruch auf ihre ehemaligen Wohnungen und Teile des Mobiliars erhoben.

Dass an die braune Vergangenheit der Siedlung erinnert wird, begrüßt Dick grundsätzlich. Der Theaterregisseur, der sich in seinen Stücken häufig mit NS-Verfolgung, Flucht und Emigration befasst hat, kritisiert allerdings, dass die dort noch lebenden NS-Gegner nicht von Anfang an in das Projekt einbezogen worden sind. „Weder ich noch meine Mutter wurden eingeladen, als es um die Planung der Stele oder die Diskussion um den Text ging“, moniert er. Erst aus der Zeitung habe habe er von der Bürgerversammlung erfahren.

Dick kritisiert auch, dass die Rolle der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Gagfah) in dem Text weitgehend ausgeblendet wird. Das Wohnungsunternehmen war für den Bau und die Verwaltung der Siedlung zuständig. Gagfah-Architekt Hans Gerlach hatte die Planung mit dem SS-Hauptamt für Rasse und Siedlung abgestimmt. „Die Frage, wer von den SS-Kriegsverbrechern in der Siedlung gewohnt hat, ist noch immer weitgehend unklar. Um die aufzuklären, müsste die Gagfah Mietsverträge und Geschäftsbücher aus der damaligen Zeit öffentlich zugänglich machen“, fordert Dick.

http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F01%2F06%2Fa0159&cHash=c2ae67833a

Peter Nowak

Eine Stele des Anstoßes

In der Zehlendorfer Waldsiedlung wird über braune Vergangenheit informiert
»Die friedvolle Atmosphäre, welche die in den Landschaftsraum eingebettete Siedlung dem unbefangenen Betrachter heute vermittelt, macht es schwer, ihre Geschichte in Erinnerung zu rufen. Diese ist unmittelbar mit ihrer Entstehungszeit im Nationalsozialismus verwoben.« Diese Sätze stehen auf einer Informationsstele, die an der Kreuzung Argentinischen Allee/Ecke Teschener Weg in der Waldsiedlung Krumme Lanke in Zehlendorf eingeweiht wurde.

 Die Initiative ging vom Kulturamt Steglitz-Zehlendorf aus, das bisher schon drei Informationsstelen zu geschichtlichen Themen in dem Stadtteil erarbeitet hat. Doch noch nie war die Diskussion im Vorfeld so kontrovers wie in der Waldsiedlung. Denn ein Teil der Bewohner möchte möglichst nicht daran erinnern, dass der heute hochattraktive Wohnort am Rande Berlins in den 30er Jahren als SS-Kameradschaftssiedlung entstanden ist. Bis zum Ende des NS-Regimes waren mehr als 90 Prozent der Bewohner SS-Leute und ihre Familien. Ziel war es, eine Siedlung zu schaffen, »in der die Angehörigen der SS ausreichend und gesunden Wohnraum finden, der insbesondere den Aufstieg der Familien zu fördern geeignet ist«, schrieb Ende der 30er Jahre Reichsführer SS Heinrich Himmler über das Wohnprojekt.

Man solle endlich die Vergangenheit ruhen lassen, meinte ein Anwohner bei einer Bürgerversammlung. Schließlich stehe die Siedlung schon siebzig Jahre. Sieben Jahre davon habe sie SS-Zwecken gedient. Ein anderer Anwohner fürchtete, durch die Debatte könnten Neonazis angelockt werden. Dabei sei man froh, dass die Waldsiedlung nicht mehr mit ihrer Vergangenheit in Verbindung gebracht wird.

In den frühen 50er Jahren hieß das Areal in der Bevölkerung noch die SS-Siedlung. Damals war allerdings ein Großteil der führenden Nationalsozialisten geflohen. Die Alliierten hatten nach 1945 bevorzugt Verfolgte und Widerstandskämpfer in den Wohnungen untergebracht. Die 99-jährige Dora Dick lebt noch heute in der Wohnung, die ihr als jüdischer Emigrantin und kommunistischer Widerstandskämpferin nach Rückkehr aus dem britischen Exil zugewiesen wurde. Ihr Sohn Antonin Dick kann sich gut an die Schulzeit erinnern. Dazu gehört, dass bald nach Beginn des Kalten Krieges einige SS-Leute Anspruch auf ihre ehemaligen Wohnungen und Teile des Mobiliars erhoben hatten.

Dass an die braune Vergangenheit der Siedlung erinnert wird, begrüßt Dick. Er kritisiert allerdings, dass die dort noch lebenden NS-Gegner nicht von Anfang an in das Projekt einbezogen worden sind. »Weder meine Mutter noch ich wurden eingeladen, als es um die Planung der Stele oder die Diskussion um den Text ging«, moniert Dick. Sabine Weißler vom Kulturamt ist von der Auseinandersetzung nicht überrascht. »Schließlich sind historische Themen kontrovers, eine einheitliche Meinung kann es da gar nicht geben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/162202.eine-stele-des-anstosses.html

Peter Nowak

Verkürzte Medienkritik

Eine Initiative stellt jährlich eine Liste in den Medien vernachlässigten Themen zusammen, bleibt aber mit ihrer Kritik an der Oberfläche.
Was haben die mangelhafte Deklarierung von Jodsalz in Lebensmitteln, die Zwangseinweisung von Menschen in die Psychiatrie und der Notstand im Krankenhaus miteinander zu tun? Sie gehören zu den 10 Themenfeldern, die nach Meinung der Initiative Nachrichtenaufklärung im letzten Jahr in deutschen Medien kaum oder mangelhaft behandelt worden sind.

Die INI war im Jahr 1997 nach dem Vorbild des US-amerikanischen Project Censored gegründet worden. Sie wird von der TU-Dortmund und der Jakocs University Bremen getragen.

Die nach Meinung der Initiative vernachlässigten Medienthemen werden jährlich von einer Jury aus den Vorschlägen ausgewählt, die von Wissenschaftlern, Medienschaffenden und interessierten Einzelpersonen eingereicht worden sind. Bei der Auswahl spielt die gesellschaftliche Relevanz der Themen eine wichtige Rolle. Kritisch könnte man einwenden, dass man dadurch eine Fülle von Themen vor sich hat, die medial völlig unterschiedlich behandelt werden. Auch die Gründe für eine mögliche Vernachlässigung sind unterschiedlich. So kommt der als Top 1 auf der Liste genannte Pflege-Notstand durchaus in den Medien vor. Allerdings wird er oft auf ein individuelles Problem abgehandelt. Die Verbindung zu einer Sozialpolitik, die den Pflegekräften ihre Arbeit immer schwerer macht, wird dagegen seltener gezogen.

Dagegen wird in den wenigsten Medien thematisiert, dass die seit einem Jahr auch für Deutschland verbindliche UN-Behindertenkonvention in Widerspruch zur weiterhin praktizierten zwangsweisen Einweisung von Menschen psychiatrische Kliniken steht. Das steht auf Punkt 2 der Liste. Die Proteste von Betroffeneninitiativen werden weitgehend ignoriert und erst aufgegriffen, wenn die Anliegen von Gerichten oder der Politik getragen werden. Die Gründe liegen weniger in einer direkten Zensur sondern in gesellschaftlichen Konventionen, denen auch Medienvertreter ausgesetzt sind. Eine Aneinanderreihung von angeblich vernachlässigten Themen bleibt unbefriedigend, wenn nicht die Zusammenhänge in jedem einzelnen Fall aufgezeigt werden. Zudem stellt sich die Frage, wie weit auch das Internet in die Medienanalyse einbezogen worden ist. 
 

http://www.heise.de/tp/blogs/6/147009
Peter Nowak

Peinlicher Abschluss

Gewerkschafter kritisieren neuen Tarifvertrag für Leiharbeitnehmer
Der Tarifvertrag für Zeitarbeiter stößt an der Gewerkschaftsbasis auf Kritik.
»Ein guter Tag für die Zeitarbeit«, lautete der Titel einer gemeinsamen Erklärung des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA) und der Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des DGB. Diese hatten sich Ende vergangener Woche auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Danach sollen Mitarbeiter, die am 1. Mai 2010 vier Monate oder länger ohne Unterbrechung beschäftigt waren, für die Monate Januar bis April eine Einmalzahlung von 80 Euro erhalten. Ab 1. Mai 2010 und 2011 sollen die Löhne jeweils um 2,5 Prozent erhöht werden. Die Tarifpartner empfehlen allen Zeitarbeitsfirmen, sich an dem Vertrag zu orientieren.

An der Gewerkschaftsbasis hingegen wird keineswegs gefeiert. Kritik gibt es vor allem in der IG Metall (IGM), deren Tarifkommission heute über den Vertrag abstimmt. »In den letzten Tagen sind massenhaft Protestmails an die verantwortlichen Funktionäre gegangen«, erklärte ein Gewerkschafter aus der Zeitarbeitsbranche, der nicht namentlich genannt werden will, gegenüber ND. Das Ergebnis gehe nicht über das Angebot des BZA hinaus. Die Gewerkschaft habe die Druckmittel nicht genutzt, die vor allem durch die öffentliche Diskussion um das Lohndumping bei Schlecker entstanden sei. Zudem hätten auch die Unternehmer wegen der ab Januar 2011 geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU Interesse an einem Tarifvertrag.

In einem von der IG Metall organisierten Internetforum für Zeitarbeiter überwiegen kritische Kommentare. »Leute, die ich organisiert habe, haben mir geschrieben, es ist peinlich. Die hätten lieber keine solche Erhöhung als so eine Erniedrigung«, schreibt ein Metaller. Ein anderer Gewerkschafter moniert, es habe seines Wissens noch keine Sitzung der Tarifkommission der Gewerkschaft gegeben, obwohl dort auch Betriebsräte aus Verleihbetrieben säßen.

Nicht nur die Basis äußert Kritik. Ein bayerisches Mitglied der Tarifkommission will den Vertrag ablehnen. »Alles was nach zwei Jahren abgeliefert wurde, ist eine Zustandsbeschreibung, die Aktive vor Ort wahrscheinlich in 30 Minuten selbst hätten schreiben können.« Die IGM-Verwaltungsstellen Regensburg und Augsburg hatten Anfang Januar dem Gewerkschaftsvorstand ihre Bedenken mitgeteilt.

Der Verhandlungsführer des DGB bei den Tarifverhandlungen, Reinhard Dombre, sieht die Kritik gelassen. Man solle die heutige Entscheidung der Tarifkommission abwarten, erklärte er gegenüber ND. Zudem betonte er, dass eine reale Gefahr bestanden hätte, dass der BZA mit den Christlichen Gewerkschaften einen schlechteren Tarifvertrag abschließt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/164224.peinlicher-abschluss.html

Peter Nowak

Weltwirtschaftsforum am Ende?

Im vierzigsten Jahr ist das WEF in einer Sinnkrise geraten, seine Kritiker allerdings schon zuvor
Am Sonntag ging das Welt-Economic-Forum im schweizerischen Davos zu Ende. Es stand in diesem Jahr unter dem Motto „Rethink, Redesign, Rebuild“. Wenn sich die WEF-Organisatoren in Pressemeldungen auch noch immer als wichtigen Player der Weltökonomie gerieren, ist doch Beobachtern längst klar, dass das leicht esoterisch angehauchte Treffen von Politikern, Wissenschaftlern und Ökonomen in seinem 40ten Jahr in die Krise geraten ist.
   

Nicht nur die linksliberale Taz prognostiziert das Ende von Davos, auch in wirtschaftsnahen Medien läuteten die Sterbeglocke für das WEF.
——————————————————————————–

 The World Economic Forum is about to begin again in Davos, Switzerland but Davos Man, that quintessential pan-national, pro-market, global leader of finance and business is all but dead.
Business-Week

 

Warnungen vor der sozialen Krise

Selbst von WEF-Gründer Klaus Schwab sind selbstkritische Töne zu hören. Angesichts einer Kombination von Wirtschaftskrise, leeren Kassen und hohen Arbeitslosenzahlen warnte er vor einer sozialen Krise. Für ähnliche Prognosen sind im letzten Jahr Gewerkschafter und SPD-Politiker noch heftig gescholten worden. Schwab regte die Ökonomen an, über eine neue Unternehmensethik nachzudenken und sich die Frage zu stellen, warum sie in der Krise versagt haben.

Nun war es gerade Schwabs Anspruch, solche Themen im mondänen Davos zu diskutieren. Tatsächlich wurde das Meeting von den Entscheidungsträgern auch gerne genutzt. Allerdings machte das WEF schon seit Jahren andere Schlagzeilen. Im letzten Jahr stritten sich der türkische und der israelische Premierminister lautstark über den Gazakrieg (Keine Einheit in der Krise). Erdogan ließ sich in der Türkei dann als Politiker feiern, der Israel gekontert hat. Sein Versprechen, nicht mehr nach Davos zu kommen, hielt er in diesem Jahr ein.

Das wäre für das WEF wohl zu verschmerzen gewesen. Dass auch US-Präsident Obama wegen dringenderer Termine nicht einmal auf eine Stippvisite in die Schweizer Berge kam, wog da schon schwerer. Doch der eigentliche Grund liegt schlicht in der Erkenntnis, dass angesichts der Wirtschaftskrise die Vorstellung, Weltprobleme könnten bei Kamingesprächen gelöst werden, wohl endgültig obsolet ist. Doch mehr hatte das WEF nie zu bieten. So kann man den Newsweek-Korrespondenten nur zustimmen, wenn er konstatiert:
——————————————————————————–

 Davos Man now stands naked in front of the world, devoid of the mantel of superior economic theory and absent the technical (certainly financial) skills required to guide the world economy.
Newsweek

Die realen Interessengegensätze unter den Globalplayern lassen sich jedenfalls nicht durch gutes Zureden übertünchen. Während beispielsweise die Europäische Zentralbank als Konsequenz aus der Krise für eine stärkere Regulierung der Wirtschaft eintritt, lehnen andere Bankmanager und Ökonomen jegliche Reglementierung der Wirtschaft strikt ab. So ist es reiner Zweckoptimismus, wenn es dann in Pressemeldungen heißt, dass auf dem WEF Einigkeit über eine stärkere Regulierung des Finanzsektors bestanden hätte.

Doch neben dem Streit der unterschiedlichen Wirtschaftskreise trägt zur Krise des WEF auch die Erkenntnis bei, dass die Probleme der Welt nicht auf Gipfeltreffen gelöst werden können. Ob G8, G20, oder WEF, alle diese Instanzen sind längst auf ihre reale Bedeutung reduziert worden. Auch das Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen dürfte gehörig zur Entmystifizierung solcher Großevents beigetragen haben.

 

Abschied von den Großevents

Unter den Klimaaktivisten wird verstärkt die Frage diskutiert, ob die Bewegung nicht mehr an der Basis arbeiten sollte, als in regelmäßigen Kraftakten Großevents kritisch zu begleiten, zu be- oder verhindern. Die globalisierungskritische Bewegung hat die Frage schon längst praktisch entschieden. Die verschiedenen Gipfel werden zunehmend ignoriert. Dazu hat neben der staatlichen Repression auch die Erkenntnis beigetragen, dass man nicht so einen Aufwand zur Mobilisierung zu Gipfelevents betreiben muss, die real gar keinen großen Einfluss haben.

An den Anti-WEF-Protesten löst sich gut Aufstieg und Stagnation einer Bewegung aufzeigen. Das Jahr 2001 war eindeutig der Höhepunkt der durch die Proteste von Seattle angefeuerten Mobilisierung (»Davos wird brennen«). Damals stand die Frage, ob sich WEF politisch halten lässt im Raum (Weltwirtschaftsforum vor dem Aus?). Im Folgejahr wich das WEF in die USA aus (Zwischenstand beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in New York: Furcht). Bis 2005 blieb die Mobilisierung auf einem hohen Niveau (WEF gehört die Stadt), doch dann begann der Abschwung (Bonzen im Schnee). Auch hier waren eine Gemengelage aus Repression, Spaltung des Gegenbündnisses und die Erkenntnis, dass die Bedeutung des WEF überschätzt wird, die wesentlichen Gründe.

In diesem Jahr gab es Demonstrationen gegen das WEF in Basel, Luzern und Genf. Das NGO-Bündnis Das andere Davos brachte ihre Alternativvorschläge ein.

Auf dem 9ten Weltsozialforum in Brasilien, das als Gegenforum zum WEF entstanden war, wurde die Bedeutungsverlust des Schweizer Pendants mit Zufriedenheit festgestellt. Doch zum Feiern hatten die WEF-Kritiker wenig Grund. Schließlich hatten sie kaum etwas zur Demontage des WEF beigetragen und sind zudem selbst in der Krise. Denn die Skepsis gegenüber Großevents hat auch die Sozialforen erreicht. Die Hoffnungen, die es noch vor 10 Jahren gab, dass sich dort gesellschaftliche Alternativen entwickeln und durchsetzen lassen, haben zumindest einen starken Dämpfer bekommen. Zudem gibt es unterschiedliche Perspektivvorstellungen. Während ein Teil der Aktivisten, die Sozialforen als Treffen ohne Beschlussfassung und die Einbeziehung von Politikern erhalten wollen, wünschen sich andere eine stärkere Kooperation mit den sozialreformerischen Regierungen in Latein- und Zentralamerika, beispielsweise in Venezuela, Bolivien und Ecuador.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32009/1.html

Peter Nowak

Militante Gruppe Leipzig: Bekennerschreiben im „vorläufig offiziellen“ Blog

Die Gruppe, die sich zu Brandanschlägen auf Polizei- und Privatautos bekennt, gibt weiter Rätsel auf
Mit einem eigenen Internet-Blog will eine Militante Gruppe Leipzig „unvollständigen, falschen und verschwörerischen Meldungen in den Medien“ entgegentreten. Auf dem Blog ist auch ein Schreiben dokumentiert, in dem sich eine Gruppierung mit diesem Namen zu zwei Brandanschlägen auf Polizeifahrzeuge am 21.Januar in Leipzig bekennt und zu einem Anschlag auf ein privates Auto („Bonzenkarre“) am gestrigen Morgen, weitere Aktionen werden ankündigt. Auf dem Blog befindet sich auch die Reaktion auf eine Erklärung der Linkspartei-Politikerin Juliane Nagel, die eine Urheberschaft für die Brandstiftung weitgehend ausgeschlossen hat.

„Ihr Irrglaube, die linke Szene wähle vermutlich andere Mittel als Brandanschläge, macht deutlich, dass das notwendige Umdenken noch nicht bei jedem angekommen ist einzuleiten“, heißt es an die Adresse der linken Kommunalpolitikerin.

In Telepolis (siehe Geisteskranke oder False-Flag-Operation?) wie in anderen Medien, aber auch in der linken Szene war die Authentizität der Bekennerschreiben angezweifelt worden. Auch der Leipziger Polizei gibt die Gruppe Rätsel auf.

Ob nun das Blog die Rätsel um die Leipziger Gruppe beseitigt, ist eher zweifelhaft. Denn für eine konspirativ arbeitende Gruppe ist es zumindest äußerst ungewöhnlich, einen Blog einzurichten, auf dem man nicht nur Kommentare hinterlassen, sondern auf dem man sich auch anmelden kann. Es ist fraglich, ob die Verfasser des Bekennerschreibens mit ihrer Behauptung, die Infrastruktur für einen anonymisierten Mailverkehr zu besitzen, so überzeugend sind, dass Interessierte auf ihrem Blog Datenspuren hinterlassen.

Es gibt allerdings auch keinen Beweis dafür, dass sich hinter der Leipziger MG Rechte oder Irre verbergen. Schließlich ist der Begriff „Militante Gruppe“ nicht geschützt und es gibt sicherlich keine feste Organisation mit klaren Aufnahmekriterien, wie etwa einer Rechtschreibprüfung. Das sollten alle bedenken, die aus einer mangelhaften Orthographie den Beweis für eine Aktion unter falscher Flagge ziehen wollen. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/147002

Peter Nowak

Solidarität über Gewerkschaftsgrenzen

Workshop in Berlin suchte Umgangsstrategien zum faktischen Gewerkschaftsverbot der FAU
Am vergangenen Wochenende diskutierten linke Gewerkschafter in Berlin bei einem Workshop darüber, wie mit den Restriktionen gegen die Freie ArbeiterInnen Union (FAU) umzugehen sei. Der waren im Zuge des Arbeitskampfes um das Berliner Kino Babylon Mitte gerichtlich zunächst Arbeitskampfmaßnahmen untersagt, schließlich dann das Recht abgesprochen worden, sich als Gewerkschaft bezeichnen zu dürfen (ND berichte).
Am 16. Februar wird das Berliner Landesarbeitsgericht entscheiden, ob das von der Vorinstanz verhängte faktische Gewerkschaftsverbot der FAU Bestand hat. Unterdessen habe die Geschäftsführung des Kinos Strafantrag gegen die FAU Berlin gestellt, weil diese angeblich gegen die Unterlassung verstoßen habe, erläuterte Holger Marcks von der FAU bei dem Workshop am Samstag. In Marcks Augen ein starkes Stück: »Menschen sind akut von Haft bedroht, nur weil sie angeblich das Wort ›Gewerkschaft‹ auch nur sinngemäß in den Mund genommen haben sollen.«

Die Maßregelungen bezeichnete Jochen Gester vom Arbeitskreis Internationalismus der Berliner IG Metall als »Angriff auf die Organisationsfreiheit aller Gewerkschafter«. Der AK Internationalismus gehört ebenso wie das gewerkschaftslinke »Forum, Betrieb, Gewerkschaft und soziale Bewegungen Berlin« zu den Mitunterzeichnern eines Solidaritätsaufrufes mit der FAU. Auch der emeritierte Politologe Bodo Zeuner sprach sich bei dem Workshop für die Organisationsfreiheit der FAU aus, ohne deren Gewerkschaftskonzept zu teilen.

Der Experte erklärte mit Verweis auf die Geschichte der Gewerkschaften, dass es dort oft eine begrenzte Solidarität gegeben habe. So habe sich die Druckergewerkschaft lange Zeit gegen die Mitgliedschaft von Frauen ausgesprochen, nannte er ein Beispiel. Mit Blick auf die gegenwärtige Situation plädierte Zeuner für einen erweiterten Solidaritätsbegriff, der auch mit dem DGB konkurrierende Organisationen einschließt.

Die Potsdamer Historikerin Renate Hürtgen und der Journalist Willi Hajek erinnerten daran, dass sich Lohnabhängige sehr unterschiedlich organisieren. Hajek verwies auf die Rolle der GDL beim Lokführerstreik. Er rief dazu auf, auch die Entwicklungen in der Gewerkschaftslinken im Auge zu behalten. So treten etwa bei den Betriebsratswahlen im Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde neben der offiziellen IG-Metall-Liste oppositionelle Gewerkschafter unter dem Namen Alternative zur Wahl an. Bisher konnte ihr Ausschluss aus der IG-Metall verhindert werden.

Weitgehend Konsens erlangte bei der Veranstaltung ein Aufruf aus dem Publikum: »Ob sich die Kollegen in einer DGB-Gewerkschaft, der FAU oder einer anderen Gewerkschaft organisieren, ist deren Sache. Wir müssen für ihre Organisationsfreiheit eintreten«, hieß es dort.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/164159.solidaritaet-ueber-gewerkschaftsgrenzen.html

Peter Nowak