Welchen Einfluss bekommen die Taliban in Afghanistan?

Nicht alle Afghanen sind erfreut, für Daud Rawosh von der Peoples Party of Afghanistan können Verhandlungen nur unter klaren Bedingungen geführt werden

Der Kampf um ein Afghanistan nach dem Abzug der ausländischen Truppen hat begonnen. In den letzten Tagen lieferten sich die Karsai-Regierung und die USA einen öffentlichen Schlagabtausch über die Frage, wer berechtigt ist, mit den Islamisten zu verhandeln. Doch die Verhandlungen selber standen nicht zur Disposition. Auch der deutsche Verteidigungsminister de Maiziere hat sich grundsätzlich für Verhandlungen mit den Taliban ausgesprochen, wenn diese sich klar von Al-Qaida distanzieren.

Damit rennt er bei großen Teilen der deutschen Friedensbewegung offene Türen ein, die schon lange Verhandlungen mit den Taliban fordern. Vor einigen Wochen berichtete die Delegation von Friedensgruppen voller Stolz, dass sie überraschend die Möglichkeit hatten, einen Taliban-Vertreter zu treffen, der ihnen auch versicherte, dass ihnen in Zukunft auch die Bildung von Frauen am Herzen liege.

Doch linke Parteien, Politiker, Frauenorganisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen in Afghanistan, die den Terror der Taliban am eigenen Leib erfahren haben, befürchten, dass Verhandlungen mit den Taliban dazu führen, dass die in der afghanischen Verfassung stehenden Grundrechte weiter zurückgedrängt werden und das Leben für alle Menschen, die sich nicht einen islamischen Tugendterror beugen wollen, noch unangenehmer wird. Zu diesen Kräften gehört auch vor einem Jahr gegründete Peoples Party of Afghanistan Mit deren Vorsitzenden Daud Rawosh sprach Peter Nowak in Berlin.

„Wir sind selbst auf das schlimmste Szenario vorbereitet“

Zur Zeit gibt es Streit zwischen den USA und die afghanische Regierung um Verhandlungen mit den Taliban. Wie stehen Sie als Vorsitzender einer linken afghanischen Partei dazu?

Daud Rawosh: Wir halten Gespräche mit den Taliban nur unter ganz klaren Bedingungen für sinnvoll. Dazu gehört die Respektierung der afghanischen Verfassung, was die Rechte der Frauen einschließt. Zudem müssen sie den bewaffneten Kampf aufgeben.

Befürchten Sie nach deren Abzug einen Machtzuwachs der Taliban?

Daud Rawosh: Die ausländischen Truppen ziehen nicht vollständig ab. Zudem ist mittlerweile auch eine afghanische Sicherheitsstruktur entstanden, die eine Machtübernahme der Taliban verhindern könnte. Aber selbst auf dieses schlimmste Szenario ist unsere vorbereitet. Schließlich konnten wir selbst unter der Taliban-Herrschaft illegale Strukturen aufrechterhalten.

Wie steht Ihre Partei zur Militärintervention von 2001?

Daud Rawosh: Wir sind prinzipiell gegen jede Besatzung. Doch 2001 gab es für uns nur die Alternative, weiter unter dem besonders reaktionären, mittelalterlichen Taliban-Regimes zu leben, oder es durch die Intervention loszuwerden. Zudem darf nicht übersehen werden, dass in dieser Zeit Afghanistan zum Aufmarschgebiet von Al-Qaida und anderen islamistischen Gruppen geworden war. Deshalb lehnen wir diese Intervention nicht ab. Wir protestieren aber gegen jegliche Menschenrechtsverletzungen durch die Natotruppen in unserem Land.

Afghanische Frauenorganisationen sehen nicht nur in den Taliban, sondern auch in den islamistischen Warlords ein Problem, die sich auf Seiten des Westens gestellt haben.

Daud Rawosh: Diese Einschätzung teilen wir uneingeschränkt. Der Einfluss dieser islamistischen Gruppen ist zurzeit ein großes Hindernis bei der Durchsetzung von Demokratie und Frauenrechten.

Könnte durch die Verhandlungen mit den Taliban nicht das Gewicht dieser reaktionären Gruppierungen wachsen und Rechte von Frauen und Minderheiten noch mehr bedroht werden?

Daud Rawosh: Unsere Position ist klar. Die in der Verfassung garantierten Rechte dürfen weder durch die Taliban noch durch andere Gruppierungen infrage gestellt werden.

Wie sehen Sie die Rolle des gegenwärtigen Präsidenten?

Daud Rawosh: Es ist bekannt, dass Karsai einem korrupten politischen System vorsteht, das im Drogenhandel verstrickt ist. Daher sind wir erklärte Gegner von Karsai. Das schließt allerdings nicht aus, dass wir einzelne Maßnahmen von Karsai unterstützen, wenn sie zur Stärkung der demokratischen Rechte beiträgt.

„Soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen die ethnische Zersplitterung sind unsere zentralen Ziele“

Wie ist die von Ihnen repräsentierte Partei entstanden?

Daud Rawosh: Sie wurde2012 gegründet und ging aus den „Bewegungen für Demokratie“ hervor, die in den letzten Jahren in Afghanistan aktiv waren. Die Partei sieht sich in der historischen Tradition der afghanischen Volkspartei, die 1978 führend an der Aprilrevolution beteiligt war, die zu einer tiefgreifenden sozialen Umgestaltung des Landes geführt hat. Allerdings handelt es sich um eine völlig neue Partei, die unter den aktuellen Bedingungen und auf dem Boden der afghanischen Verfassung agiert.

Wie groß ist der Zuspruch bisher?

Daud Rawosh: Viele der ehemaligen Aktivisten der historischen Afghanischen Volkspartei sind auch in der neuen Partei aktiv. Mittlerweile ist die Partei in 24 Provinzen vertreten, in 15 Provinzen wurden Pateibüros eröffnet. Ein Schwerpunkt der Partei ist die Arbeit in Gewerkschaften und Frauenorganisationen. Auch der Vorsitzende des afghanischen Handwerkverbandes ist Mitglied unsere Partei.

Was sind die zentralen Ziele Ihrer Partei?

Daud Rawosh: Der Kampf um soziale Gerechtigkeit und die Ablehnung der ethnischen Spaltung. Die meisten Parteien in Afghanistan sind nur in einer bestimmten Ethnie verankert, was zur Zersplitterung des Landes führt. Wir hingegen haben eine gesamtgesellschaftliche Perspektive und kämpfen für egalitäre Verhältnisse.

Warum wird in dem Programm Ihrer Partei ausdrücklich der Charakter als islamisches Land betont, wo doch die historische Demokratische Volkspartei den Säkularismus betont hat?

Daud Rawosh: Wir müssen anerkennen, dass sich in Afghanistan heute 99 % der Bevölkerung zum Islam bekennen. Wir kämpfen dafür, dass diese Menschen in sozialer Gerechtigkeit und Frieden leben. Wir respektieren den Glauben dieser Menschen, ohne ihn notwendigerweise selber zu praktizieren.

Kandiert Ihre Partei bei den nächsten Wahlen?

Daud Rawosh: Wir arbeiten in einer Allianz mit insgesamt 9 Parteien demokratischen Parteien zusammen. Dort diskutieren wir eine gemeinsame Kandidatur zu den Wahlen. Kommt es nicht dazu, würde unsere Partei selber kandieren.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154491
Peter Nowak

Nie wieder Deutschland am Hindukusch

Wer sich mit der afghanischen Demokratiebewegung solidarisieren will, muss den Abzug der internationalen Truppen fordern.

„Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt«, lautete in den achtziger Jahren ein beliebter Slogan auf Demonstrationen, als Deutsch­land wegen seiner Vergangenheit noch als nur begrenzt kriegsfähig galt und keine Soldaten in Kriegseinsätze schickte. Heute dagegen gehen auch deutsche Soldaten, etwa das weitgehend un­ter Ausschluss der Öffentlichkeit agierende Kom­mando Spezialkräfte (KSK), in aller Welt ihrem schon von Kurt Tucholsky prägnant benannten Handwerk nach.

Spätestens seit dem von deutschen Militärs zu verantwortenden Massaker an einer unbekannten Zahl von afghanischen Dorfbewohnern dürfte allgemein bekannt sein, dass die Bundeswehr in Afghanistan nicht als bewaffnete Hilfsorganisation tätig ist. Führende Politiker, an der Spitze Bundeskanzlerin Angela Merkel, verbaten sich jeg­liche Kritik aus dem In- und Ausland am Bombardement. Und führende deutsche Militärs legten mit der Bemerkung, dass die in Kunduz getöteten Zivilisten keine Unbeteiligten gewesen seien, das internationale Kriegsrecht in deutscher Tradition aus. Fast gleichzeitig mit dem Kunduz-Massaker wurde im Bendlerblock, dem Sitz des deutschen Kriegsministeriums, ein Ehrenmal für die bei ihrem Job in aller Welt ums Leben gekommenen deutschen Soldaten eingeweiht.

Die Warnungen vor der Entstehung einer neuen deutschen Militärmacht, die vor knapp 20 Jahren die Kampagne »Nie wieder Deutschland« antrieb, haben sich also zumindest in diesem Punkt voll bestätigt. Doch heute hört man von denen, die sich mehr oder minder in diese Tradition stellen, keine Proteste gegen die selbstbewusste deutsche Militärmacht, die arme afghanische Bauern, die sich offenbar etwas Benzin aus gestohlenen Tanklastzügen abzapfen wollten, mit dem Tode bestrafte.

Im Gegenteil. Da benutzt Magnus Klaue in einem Artikel in der Jungle World (Nr. 3/2010) die Phrase von der »Verteidigung der Zivilisation«, die schon 1914 von der SPD-Führung verwendet wurde, um der sozialdemokratischen Basis den Krieg gegen das zaristische Russland schmackhaft zu machen. In der aktuellen Ausgabe der Monatszeitschrift Konkret kreiert Stefan Frank eine jihadistische Weltverschwörung und wirft Obama vor, dieser nicht mit der nötigen Entschlossenheit entgegenzutreten. Sollte man Obama nicht gleich empfehlen, von Deutschland zu lernen? Schließlich hat sich Oberst Klein in Kunduz nicht von den Bedenken von US-Militärs abhalten lassen, die gestohlenen Tanklastzüge und die sie umgebende Menschenmenge bombardieren zu lassen.

Wer meint, der Militäreinsatz diene der Demokratisierung und sei deshalb gerechtfertigt, sollte auf die Demokratiebewegung in Afghanistan hören. Denn die kämpft nicht nur gegen die Taliban, sondern auch gegen die Warlords im Lager des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai und damit auch gegen die westlichen Militärs, die dessen Regierung stützen. Die afghanische Islamkritikerin und parteilose Abgeordnete Malalai Joya, die nach Morddrohungen prowestlicher Islamisten und Warlords untertauchen musste und ihr Mandat verlor, spricht sich in ihrem Buch »Ich erhebe meine Stimme« für einen Abzug aller fremden Truppen aus Afghanistan aus, denen sie vorwirft, nicht die Demokratie, sondern »eine Fraktion der Warlords und Islamisten« zu fördern. Auch die Frauenorganisation Rawa, die den Sturz der Taliban begrüßt hat, spricht sich mittlerweile für einen schnellen Truppenabzug aus.

Auf diese Kräfte kann sich eine emanzipatorische Linke stützen, wenn sie einen schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert. Die in deutschen Medien vielzitierten deutschnationalen Lautsprecher dieser Forderung sollte man dagegen rechts liegenlassen. Etwa Rupert Neudeck, den Chef der Hilfsorganisation Grünhelme, der in der Frankfurter Rundschau über die den Deutschen »aus ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein« zutiefst verbundenen afghanischen Stämme schwadroniert. Oder den ehemaligen CDU-Rechtsaußen Jürgen Todenhöfer, der sich in der Taz als Friedensfreund produziert, den Krieg wegen der alliierten Bombardements auf Hanau hassen gelernt haben will und sich nun um das Image Deutschlands sorgt. Seine aktive Unterstützung der afghanischen Islamisten, die Anfang der achtziger Jahre gegen die von der Roten Armee gestützte linke Regierung kämpften, wird in der Taz derweil als »Reise zu afghanischen Freiheitskämpfern« bezeichnet.

Die linke Reformregierung, die 1978 tatsächlich in Afghanistan Rechte für Frauen einführte und eine Bildungs- und Gesundheitsreform realisierte, hätte damals kritischer Unterstützung von links bedurft. Aber bis auf wenige Ausnahmen schlug sich die deutsche Linke damals auf Seiten der Islamisten. Heute dagegen gibt es auf Seiten der afghanischen Regierung keine emanzipatorische oder zivilisatorische Kraft, auf die sich Linke positiv beziehen könnten, sondern allein kleine demokratische Ansätze in der afghanischen Gesellschaft. Diese davor zu schützen, unter die Stiefel deutscher Soldaten oder ins Visier deutscher Bom­ber zu geraten, wäre die Aufgabe der hiesigen minoritären Linken. Und diese Aufgabe beinhaltet, zu verlangen, dass die Bundeswehr abzieht.

http://jungle-world.com/artikel/2010/05/40279.html

Peter Nowak