Asyl: Die Gesetze sollen verschärft werden. Dagegen regt sich Protest
Kategorie: International
Wer siegt im Griechenland-Poker?
In Deutschland beginnen schon die Debatten, ob Tsipras mit seiner Taktik Erfolg hatte oder eingeknickt ist
Der Showdown um Griechenland läuft auch nach dem EU-Gipfel noch weiter. Neue Treffen werden angekündigt und schon wird darüber gestritten, wer Gewinner und wer Verlierer in der großen Inszenierung sein wird.
Vor allem konservative deutsche Politiker wie der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach bringen sich in Position. Schon vor einer Woche wurde er zum Star der Neuauflage der Bild-Kampagne „Nein zu weiteren Griechenland-Krediten“ [1] .
Wer den Schlussstrich über den deutschen NS-Verbrechen nicht akzeptiert, wird abgestraft
Nachdem Bosbach in einer Talkshow verkündete, lieber sein Abgeordnetenmandat aufgeben zu wollen, als für weitere Finanzhilfe für Griechenland zu stimmen, meldete sich die Pegida-Fraktion in der Bild-Zeitung zu Wort und forderte dazu auf, die Griechen pleite gehen zu lassen.
„Es kann nicht sein, dass ein seit langem pleitegegangenes Land eine kommunistische Regierung wählt und diese nun ganz Europa zu erpressen versucht“, lautet ein anderes Statement: Ob da jemand einfach die Stellungnahme des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel kopiert, der sich ja vor einer Woche in der Bildzeitung ähnlich geäußert [2] hat.
So wird also deutlich, dass die Diskussion über Griechenland in Deutschland viel mit innenpolitischen Motiven zu tun hat. Sowohl SPD- als auch Unionspolitiker wollen sich als besonders treue deutsche Interessenvertreter gerieren und beginnen hier schon eine Art vorgezogenen Wahlkampf.
Das Griechenland-Bashing ist auch eine Antwort auf die Versuche der aktuellen Regierung, an die deutschen Schulden bei Griechenland aus der NS-Zeit zu erinnern. Hier wird schnell klar, dass eine Regierung, die den Schlussstrich über den deutschen NS-Verbrechen nicht akzeptieren will, hier besonders bestraft wird.
Der explizite Verweis auf die angeblich kommunistische Regierung in Athen zeigt dieses Bestrafungsbedürfnis. Denn die aktuelle Regierung kann nun wahrlich nicht als kommunistisch bezeichnet werden. Man kann höchstens konzedieren, dass Syriza einen kommunistischen Flügel hat. Doch es war eine wesentlich von Kommunisten gestellte Untergrundbewegung, die in Griechenland gegen den NS kämpfte. Indem die gegenwärtige Regierung wahrheitswidrig als kommunistisch bezeichnet wird, sollen noch einmal alte Schlachten geschlagen werden.
Wenn die Sachzwanglogik politisch wird
Während also manche Diskussion in Deutschland über Griechenland weniger mit der realen Situation in dem Land als mit der deutschen Vergangenheit zu tun hat, schlagen auch einige wirtschaftsliberale Ökonomen Alarm. Sie sehen schon einen Erfolg der griechischen Regierung, dass sie die Fragen der Finanzhilfen auf die politische Ebene gehoben haben und sie nicht einfach als technisches Problem betrachten.
Schon wird gewarnt, dieses Vorgehen könnten sich auch andere Länder der europäischen Peripherie zum Vorbild nehmen. Diese Argumentation macht deutlich, wie wichtig es führenden Ökonomen und Finanzanalysten ist, wirtschaftliche Fragen als rein technische Probleme zu betrachten, die mit Politik so gar nichts zu tun haben sollen.
Wenn erst einmal erkannt wird, dass die scheinbaren Sachzwänge Folge von politischen Entscheidungen sind und die vielzitierte Alternativlosigkeit darin besteht, dass niemand den Kapitalismus infrage stellen darf, weil es politisch nicht opportun ist, könnte dies tatsächlich ein wichtiger Schritt sein, um eine Gegenposition aufzubauen.
So könnte tatsächlich die Taktik der griechischen Regierung in den letzten Monaten unabhängig vom Ergebnis nicht ganz erfolglos gewesen sein. Menschen in und außerhalb Griechenlands haben erkannt, dass die es sich bei den Rettungspaketen und den damit verbundenen Opfern für große Teile der Bevölkerung um politische Entscheidungen handelt.
In dieser Logik müsste auch ein Misserfolg der griechischen Regierung nicht als Folge eines sinnlosen Anrennens gegen feststehende Gegebenheiten interpretiert werden. Der Misserfolg wäre dann damit erklärbar, dass die griechische Regierung eben im EU-Raum allein blieb. Eine bessere Koordinierung könnte bei einem erneuten Versuch ein besseres Resultat erbringen.
Die Tsipras-Regierung ist eingeknickt?
Denn anders, als viele deutschnationale Politiker und Wirtschaftsliberale suggerieren, wird in vielen Medien davon ausgegangen, dass die Tsipras-Regierung viele ihrer Positionen aufgibt, für die sie gewählt wurde, um einen Grexit zu vermeiden. So heißt es in einem Kommentar [3] der Taz zu den Griechenlandverhandlungen: „Athen wird vor der EU einknicken.“ Im Anschluss kommen einige Einschätzungen, die man in der Taz eher selten liest:
Bereits in der letzten Woche schätzte der Historiker Karl Heinz Roth [4], der sich in der letzten Zeit sehr stark mit der Entwicklung in Griechenland publizistisch befasst hat, die Situation so ein: Es sei durchaus denkbar, dass Tsipras und seine Fraktion gegenüber den EU-Staaten nachgeben und sich dem neoliberalen Diktat beugen. Der mittlere und linke Flügel von Syriza, der bereits auf der letzten Sitzung der Führungsebene der Partei mit seiner Forderung nach Einstellung des Schuldendienstes und Nationalisierung der Banken eine große Zustimmung erfahren hat, würde sich dann abspalten.
Die Folgen könnten Neuwahlen sein, bei der Tsipras mit der linksliberalen Partei To Patami kooperiert und durchaus die Wahlen wieder gewinnen könnte. Damit wäre der linke und auch der mittlere Flügel von Syriza ausgebootet, Griechenland bekäme wieder Geld von der EZB und die Austeritätspolitik würde fortgesetzt. Roth schätzte ein solches Szenario als eine Niederlage für die politischen Kräfte in ganz Europa, die für eine Alternative zur Austeritätspolitik kämpfen.
Er zeigte sich im Gespräch aber überzeugt, dass es Tsipras kaum gelingen würde, eine solche Unterwerfung als Fortsetzung der linken Politik zu verkaufen. Dazu sei der mittlere und linke Flügel von Syriza zu stark und die würden sich dagegen wehren. Es ist also wichtig, zu sehen, wie sich die linken Bewegungen nach einer möglichen Syriza-Spaltung in Griechenland neu sortieren.
Genau so wichtig wäre aber, dass die Kritiker der Austeritätspolitik in ganz Europa von der Auseinandersetzung um Griechenland lernen, da es auf die politischen Kräfteverhältnisse ankommt, um grundlegende Veränderungen durchzusetzen. Der mehrmonatige Widerstand aus Athen könnte da eine gute Hilfestellung sein. Dann war es nicht das letzte Aufbäumen in einem befriedeten Europa, sondern der Versuch einer anderen Politik, der in anderen Formen und anderen Ländern seine Fortsetzung finden wird.
http://www.heise.de/tp/news/Wer-siegt-im-Griechenland-Poker-2725417.html
Peter Nowak
Links:
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Crowdfunding fürs Gedenken
Dem Bildungswerk Stanislaw Hantz ist es gelungen, das Kommandanturgebäude des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec vor der Versteigerung zu retten.
Es geschah spät, aber dennoch rechtzeitig. In der vergangenen Woche sagte die Polnische Bahn (PKP) die Versteigerung der Kommandantur im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec ab. »Die PKP hat erklärt, dass das Gebäude nur in Anerkennung seiner historischen Bedeutung genutzt werden soll und nicht mehr als Bauland verkauft wird«, sagt Andreas Kahrs, Mitarbeiter des Bildungswerks Stanislaw Hantz e. V., der Jungle World. Der in Kassel ansässige Verein ist nach dem polnischen Auschwitz-Überlebenden Stanislaw Hantz benannt, der bis zu seinem Tod im Jahr 2008 die Erinnerung an die deutsche Mordmaschinerie wachgehalten hat. Bis ins hohe Alter führte der Mitbegründer der Zgorzelecer Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge Teilnehmer von Bildungsreisen durch die Stätten des NS-Terrors.
Dort lernten ihn einige der jungen Menschen kennen, die später das nach ihm benannte Bildungswerk gründeten und seine Erinnerungsarbeit fortsetzten. Ihnen ist auch zu verdanken, dass mit der ehemaligen Kommandantur das letzte authentisch erhaltene Gebäude des Vernichtungslagers Belzec vor dem Abriss gerettet werden kann. Zu den weiteren Plänen des Bildungswerks gehörten die Einbeziehung des sanierten Gebäudes in die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte und die Einrichtung einer Ausstellungsfläche. Mehrere Wochen sammelte das Bildungswerk über Crowdfunding im Internet fast 10 000 Euro für das Projekt »Erhalt der Kommandantur des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec«. Zu Beginn der Spendenkampagne war die nun abgesagte Versteigerung noch für den 22. Juni angesetzt. Die Spenden sollen nun für die geplante Sanierung verwendet werden.
Das Bildungswerk erwartet auch von staatlichen Stellen in Deutschland Unterstützung. Diese haben bisher jedoch nichts dafür getan, das historische Gebäude zu erhalten. Dabei gehört Belzec zu den zentralen Stätten der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Polens. Dort wurden zwischen März und Dezember 1942 mindestens 450 000 Menschen ermordet. Im Rahmen der sogenannten Aktion Reinhard, der planmäßigen Vernichtung der polnischen Juden, wurden die Bewohner der Ghettos von Lublin, Lviv und Krakau nach Belzec deportiert. 1942 wurden zusätzlich mehr als 50 000 jüdische Menschen aus dem Reichsgebiet und den »eingegliederten Gebieten« in die Region zwischen Lublin und Zamość deportiert. Viele von ihnen wurden ebenfalls in Belzec ermordet. Die SS beseitigte im Frühjahr 1943 die Spuren des Mordens. Sie riss fast alle Gebäude ab und errichtete auf dem Gelände einen Bauernhof.
Für die Planer im Reichssicherheitshauptamt besaß Belzec »eine besondere Rolle als eine Art Versuchseinrichtung für die möglichst effiziente und rasche Ermordung von Juden im Generalgouvernement«, wie der Historiker Ingo Loose im Vorwort des Buchs »Das Vernichtungslager Belzec« schreibt. Es wurde von dem polnischen Historiker und wissenschaftlichen Mitarbeiter des Staatlichen Museums Lublin, Robert Kuwalek, 2005 veröffentlicht. 2013 ist es in deutscher Übersetzung im Berliner Metropol-Verlag erschienen. Es handelt sich um die erste deutschsprachige Publikation zum Vernichtungslager Belzec.
»Ein halbes Jahrhundert des Vergessens« ist ein Kapitel überschrieben. Der Titel trifft auch auf den deutschen Umgang mit dem Vernichtungslager zu. Dass nur das Engagement des Bildungswerks Stanislaw Hantz das letzte erhaltene Gebäude von Belzec retten konnte, ist ein deutlicher Beweis dafür. Der Vorgang sagt auch einiges über die »Gedenkkultur« eines Landes aus, das sich an einschlägigen Gedenktagen als Erinnerungsweltmeister feiert, während die ehemaligen Orte der Vernichtung zu Ruinen zerfallen. Belzec ist kein Einzelfall. Seit Januar 2015 gibt es im polnischen Słońsk einen Gedenkort für das deutsche Konzentrationslager Sonnenburg, in dem ab 1933 NS-Gegner gequält und ermordet wurden (Jungle World 6/15). Dies ist allerdings keinesfalls der Bundesregierung zu verdanken, sondern einer Initiative der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten.
http://jungle-world.com/artikel/2015/25/52152.html
Peter Nowak
Solidarität für die Flüchtlinge wächst
Jetzt wird es darauf aufkommen, ein gesellschaftliches Klima herzustellen, das die Rechte für die Flüchtlinge stärkt
Das vergangene Wochenende stand in vielen Städten und so auch in Berlin ganz im Zeichen der Solidarität mit den Geflüchteten. „Refugees Welcome“ und „Um Europa keine Mauer“ waren die Losungen einer Demonstration, die am Samstag vom Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg, der über mehrere Jahre ein Zentrum der Flüchtlingsproteste war, zum Brandenburger Tor gezogen war.
Dort startete am Nachmittag ein großes Solidaritätskonzert mit de Geflüchteten. Den Auftakt machte mit Group Yorum, eine linke Band, die betont, aus Anatolien und nicht aus der Türkei zu kommen, weil mit dem Ländernamen schon ethnische Zuschreibungen verbunden sind, die die politisch engagierten Künstler vermeiden wollen. In ihrer Heimat sorgen Grup Yorum-Konzerte für volle Plätze. Immer wieder sind die Künstler mit staatlicher Repression konfrontiert.
Ihr Auftritt auf dem Berliner Konzert könnte dafür sorgen, dass die Band auch hierzulande einer größeren Öffentlichkeit bekannt wird. Nach vielen Stunden wurde das Konzert dann mit einem Auftritt der Band Kraftklub beendet. Die Jungs aus Karl Marx Stadt haben ihre zunehmende Popularität auch für politisches Engagement genutzt So positionierten [1] sie sich gegen die rechtsoffene Band Freiwild und spielten auf Konzerten gegen Rechts und für die Solidarität mit den Geflüchteten.
Am Ende des Samstag waren viele Teilnehmer der Demonstration „Europa anders machen“ [2] nicht recht zufrieden. Obwohl die Pressegruppe von zehntausend Teilnehmern sprach [3], weiß jeder Teilnehmer, dass es gefühlt gerade mal die Hälfte war. Mit der bundesweiten Mobilisierung klappte es allenfalls im Bereich der außerparlamentarischen Linken, die zu einem Block unter dem Motto „We are the Crisis“ [4] aufgerufen hatte.
Doch das Bündnis aus Linkspartei und außerparlamentarischen Linken schaffte es kaum, über die eigene Klientel hinaus zu mobilisieren. Dabei war es immerhin gelungen, zwei Bewegungsthemen zusammenzubinden: die Solidarität mit den Geflüchteten zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni und die Ablehnung der europäischen Austeritätspolitik und des massiven Drucks auf die griechische Regierung, den Forderungen der europäischen Institutionen und des IWF nachzugeben und die abgewählte Politik des sozialen Kahlschlags fortzusetzen.
Zunächst mobilisierten die Bewegung der Flüchtlingssolidarität und der Griechenlandsolidarität unabhängig voneinander für den 20. Juni in vielen Ländern zu Protesten. Es war dann schon ein Erfolg, dass in Berlin wine Kooperation gelungen ist und in vielen Redebeiträgen wurde betont, dass eine Politik, die zur Verarmung vieler Menschen in Europa führt und die Abwehr von Flüchtlingen zusammengehören und auch zusammen bekämpft werden müssen.
Gräber vor dem Bundestag
Während die Demonstration und das Konzert am Samstag ohne Zwischenfälle verliefen, entwickelte sich ein von der Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit angemeldeter „Marsch der Entschlossenen zum Kanzleramt“ zu einer Aktion des zivilen Ungehorsams. Die eingezäunte Wiese vor dem Reichstagsgebäude wurde besetzt und zahlreiche symbolische Gräber wurden dort angelegt.
Die Polizei versuchte die Demonstranten aus dem Areal zu drängen und nahm ca. 50 Menschen fest. Am Abend war das Gelände wieder eingezäunt und erregte mit den vielen Gräbern mit Blumen und Kerzen das Interesse der zahlreichen Touristen, die sich in der Gegend immer aufhalten.
Die Aktion wurde in den letzten Tagen viel diskutiert und war auch bei Antirassisten sehr umstritten. So wurde gefragt, ob es nicht sinnvoller sei, das Leben für die Geflüchteten hierzulande zu verbessern, statt sie symbolisch oder nicht hier zu begraben. In der konkreten Aktion zeigte sich aber, dass sie tatsächlich viele Menschen angesprochen hat. Für viele Menschen, die daran teilnahmen, war es die erste politische Aktion.
Dass Geflüchtete nicht nur an den EU-Außengrenzen Deutschland immer wieder zu Tode kommen, ist nun wohl fast allen Menschen bekannt. Besonders nach Schiffsuntergängen mit vielen Toten gab es auch eine allgemeine Betroffenheit. Doch auf den Straßen in Deutschland blieb es ruhig. Es gab natürlich weiter aktive Gruppen von Geflüchteten, die seit dem Aufbruch der Flüchtlingsproteste die politische Agenda in verschiedenen Städten bestimmen.
Auch die Räumung des Refugee-Camps am Berliner Oranienplatz konnte die Bewegung nicht zerstören. Doch es ist in den ganzen Jahren des Flüchtlingsprotests nicht gelungen, eine Bewegung zu initiieren, die die Forderungen der Geflüchteten aufgriffen. Ein Versuch, mit der Aktion „Die letzte Meile laufen wir“ diese Solidarität herzustellen, ist nach wenigen Wochen eingestellt worden.
Nun könnte das Bild der toten Flüchtlinge dazu beitragen, dass sich doch noch eine größere Bewegung für die Rechte der Geflüchteten entwickelt. Es sind eben nicht mehr anonyme Leichen im Meer. Am Wochenende veröffentlichte die Taz eine Reportage [5] über tote Flüchtlinge, die in einer Klinik in Sizilien in Kühlschränken zwischengelagert wurden.
Gelingt es, eine Verschlechterung der Flüchtlingsrechte zu verhindern?
Nun wird sich zeigen, ob die Wut vieler Menschen über diesen Umgang mit den toten Flüchtlingen dazu führen wird, dass sich mehr Menschen kontinuierlich dafür einsetzen, dass sich die Rechte der lebenden Flüchtlinge zumindest nicht verschlechtert
Die Initiativen konzentrieren sich jetzt auf den Protest gegen die geplanten weiteren Asylverschärfungen [6]. Die zweite und dritte Lesung dieser Gesetze findet am 2. Juli statt. Nun sind an diesem Tage Bundestagsblockaden im Gespräch, wie sie bereits bei der faktischen Abschaffung [7] des Asylrechts 1993 in Bonn mit großem Aufsehen [8] praktiziert wurden.
http://www.heise.de/tp/news/Solidaritaet-fuer-die-Fluechtlinge-waechst-2719416.html
Peter Nowak
Links:
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Griechenland: „Es reicht“
– mit der griechischen Regierung oder mit der europäischen Austeritätspolitik? Gerade Gabriel und andere SPD-Politiker inszenierten sich in den letzten Tagen als Scharfmacher gegen die griechische Reformregierung
Wieder einmal läuft der berühmte Countdown [1] und wieder wird gerätselt, ob Griechenland nun aus den Euro fliegt oder nicht. Für den konservativen Politikberater Werner Weidenfeld gehören die ganzen Aufgeregtheiten zur Inszenierung [2]:
Wettbewerbsfähigkeit oder Solidarität
Doch hinter diesen Theaterdonner stecken handfeste politische Differenzen, die seit dem Regierungswechsel in Griechenland offen zu Tage treten. Hier das von Deutschland angeführte wirtschaftsliberale Europa, das sich wettbewerbsfähig für den Weltmarkt machen will. Mittels einer knallharten Austeritätspolitik soll dieses Ziel umgesetzt werden.
Dem gegenüber stehen die Kräfte, die unter dem Schlagwort solidarisches Europa weitere Opfer für den Markt verweigern. Sie fordern einen Richtungswechsel und treten für ein sozialeres Europa ein, was immer auch darunter verstanden werden soll. Die Auseinandersetzung über den Umgang mit den griechischen Schulden ist im Grunde ein Kräftemessen zwischen unterschiedlichen Vorstellungen von Europa.
Dabei scheint das von Deutschland dominierte Europa klar im Vorteil. Schließlich steht dahinter nicht nur eine beträchtliche ökonomische und politische Macht. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass die unterschiedlichen Machtfraktionen zusammenrücken, wenn es darauf ankommt.
So schien es in den letzten Tagen so, als würden die EU-Institutionen und der IWF darin wetteifern, wer am kompromisslosesten gegenüber der griechischen Regierung auftritt. Selbst die USA-Regierung hat in den letzten Tagen den Druck auf die griechische Regierung erhöht und sie aufgefordert, einen pragmatischen Vorschlag zu machen.
Dass es zwischen US-Regierung und der EU in der Frage der Austeritätspolitik Streit gab und die USA vor allem Deutschland davor warnte, mit ihrer Politik die Wirtschaft im EU-Raum zu erdrosseln, scheint ebenso vergessen, wie auch die Querelen zwischen EU-Institutionen und IWF. Dabei sind diese Differenzen, die aus unterschiedlichen Interessenlagen erklärbar sind, nur aufgeschoben. Aber gegen eine Regierung, die einen grundsätzlichen Kurswechsel innerhalb des Kapitalismus vorschlagen hat, werden die Reihen geschlossen.
Griechenland und das Europa der Empörten
Die scheinbare Einsamkeit der griechischen Regierung rührt gerade daher her, dass die Eliten ahnen, dass es Millionen Menschen in Europa gibt, die durchaus Hoffnung in einen Erfolg der griechischen Regierung setzen.
Nur sitzen die nicht an den Regierungen und gehören nicht zum Machtkartell. Es sind die Menschen, die in den letzten fünf Jahren Teil der Krisenproteste gewesen sind, die zumindest in den Ländern der europäischen Peripherie ein realer Machtfaktor waren. Es ist das Europa, das sich besonders bei Proteste in Griechenland und in Spanien, aber auch in anderen Ländern, gezeigt hat, das Polizeirepression ausgesetzt war, das zeitweise resigniert hat, aber den Traum von einem Leben, das nicht den Marktgesetzen unterworfen ist, nicht aufgegeben hat
Dieses Europa hofft auf einen Erfolg Griechenlands und die harte Haltung der Institutionen und des IWF rühren auch daher, dass verhindert werden soll, dass das griechische Beispiel Schule macht. Die Mächtigen ziehen dabei alle Register, um die Ausbreitung des solidarischen Gedankens möglichst schon in den Anfängen zu ersticken.
Dabei kommt ihnen auch zugute, dass der moderne Kapitalismus die Konkurrenz aller gegen alle auch in den Unterklassen enorm fördert. So gibt es neben dem solidarischen Europa auch ein Europa des Sozialchauvinismus, das Menschen, die in einer schlechten sozialen Lage sind, dafür selber verantwortlich macht.
Es ist das Europa, das am letzten Wochenende in der Schweiz sogar eine moderate Steuererhöhung von Vermögenden abgelehnt hat. Es ist das Europa, das darauf verweist, wie viele Opfer man bereits gebracht hat für den Standort Europa. Ein Erfolg des sozialen Europas würde in ihren Augen ihre Opfer als sinnlos erscheinen lassen. Deshalb unterstützen sie das Europa der Konkurrenz und zetern besonders laut über die undankbaren Griechen, die sich erdreisten, keine Opfer mehr bringen zu wollen.
SPD-Politiker verschärfen Ton gegen Griechenland
In den letzten Tagen waren es vor allem Sozialdemokraten, die sich als Scharfmacher gegen die griechische Reformregierung inszenierten. So warnte der SPD-Bundestagsabgeordnete Joachim Poß in einem Deutschlandfunk-Interview [3] vor einer „unheilvollen Wirkung zwischen linken und rechten Populismus“.
Dabei hat gerade der SPD-Vorsitzende Gabriel eine Kostprobe in rechten Populismus gegeben und dafür die darin geübte Bild-Zeitung genutzt: „Überall in Europa wächst die Stimmung Es reicht“, lautet der Aufmacher [4]. Den Höhepunkt von Gabriels Populismus hat Bild dann gleich fett gedruckt. Der SPD-Chef sagte gegenüber dem Boulevardblatt:
Das Bild von den griechischen Alt- und Halbkommunisten, für die der deutsche Steuerzahler Geld ausgeben soll, ist schon nahe an der Propaganda der extremen Rechten. Besondere Brisanz bekommen diese Ausfälle vor dem Hintergrund der Reparationsforderungen der griechischen Regierung an Deutschland.
Man kann so die Ausfälle Gabriels ebenso wie die Bild-Kampagne gegen weitere Griechenlandhilfen vor einigen Monaten [5] als eine besondere Form der Schuldabwehr gegenüber einem Land interpretieren, das Deutschland, das mit seiner Vergangenheit abgeschlossen hat, unbezahlte Rechnungen aus der NS-Zeit präsentiert.
Beginn der Solidarität auf der Straße?
Nun konnte kein politischer Beobachter erwarten, dass ausgerechnet die SPD sich mit der griechischen Regierung solidarisiert. Manche, die die SPD-Parolen von einem sozialeren Europa ernst nahmen, hatten zumindest erwartet, dass die Partei die Chance ergreift, sich als Mittler in Szene zu setzen. Zu ihnen gehört der sozialdemokratische Ökonom Gustav A. Horn [6], der heftige Kritik an der Diktion von Gabriel übte.
„Es gab SPD-Vorsitzende, die sich für so etwas geschämt hätten“, mutmaßt Horn. Relativ weit wagt sich der DGB vor, wenn er Gabriels Verdikt derart verändert [7]:
Auf der DGB-Facebook-Seite [8] wird auch daran erinnert, dass Europas Sparpolitik für Verarmung und den Abbau von Arbeitnehmerrechten verantwortlich ist. Diese innersozialdemokratischen Auseinandersetzungen könnten die Chancen für eine wahrnehmbare außerparlamentarische Solidaritätsbewegung mit Griechenland vergrößern.
Unter dem sehr vagen Motto Europa anders machen [9] plant eine republikweite Protestbewegung eine Demonstration der außerparlamentarischen Bewegung. Die europäische Flüchtlingspolitik ist dabei ebenso im Fokus der Kritik wie die Austeritätspolitik. Die Demonstration soll auch ein Auftakt für eine transnationale Griechenlandsolidaritätswoche [10] sein. Auch in vielen anderen Ländern sind Solidaritätsaktionen mit Griechenland geplant.
Es wäre zu wünschen, dass die ganzen Inszenierungen rund um Griechenland durch eine Bewegung von unten ersetzt werden. Statt Merkel dazu aufzufordern, in Europa aktiver für die Interessen Griechenland einzutreten, wie es Spiras kürzlich verlautbarte, sollte besser gefragt werden, ob es möglich ist, von Unten genug Druck für solche Forderungen aufzubauen.
http://www.heise.de/tp/news/Griechenland-Es-reicht-2714540.html
Peter Nowak
Links:
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»Ein Grexit würde die humanitäre Krise zuspitzen«
Der 1944 geborene Publizist und Soziologe Joachim Bischoff ist Mitherausgeber der Zeitschrift Sozialismus und Autor im VSA- Verlag. Die Jungle World sprach mit ihm über die griechische Finanzkrise und das Szenario des sogenannten Grexit, eines Ausstiegs Griechenlands aus der Euro-Zone.
Mittlerweile sorgt die Griechenland-Pleite für Satire. Hat das Thema durch die ständigen Drohungen seine Gefahr verloren?
Die Medien haben einen großen Anteil daran, dass in der Berliner Republik eine Mischung aus Ressentiments gegenüber dem griechischen Volk und erheblichem Desinteresse an den Folgen einer möglichen Insolvenz des griechischen Staates existiert. Gleichwohl hat selbst die Kampagne der Bild-Zeitung gegen weitere Zahlungen man Griechenland keinen durchschlagenden Erfolg gehabt. In der letzten Emnid-Umfrage – kurz vor der finalen Entscheidung im griechischen Drama – sprechen sich 67 Prozent für einen weiteren Verbleib Griechenlands in der Eurozone aus. Nur 27 Prozent der Deutschen sind dagegen und wollen lieber einen »Grexit«. Allerdings: Über den Kurs zur Euro-Rettung herrscht große Unsicherheit. So bestehen 41 Prozent der Deutschen darauf, dass Griechenland sämtliche vereinbarten Forderungen erfüllt. Immerhin 33 Prozent der Befragten können sich aber auch vorstellen, den Wünschen Athens ein Stück weit entgegenzukommen. Einen weiteren Schuldenschnitt befürworten nur 19 Prozent der Deutschen.
Wie sind diese widersprüchlichen Zahlen zu erklären?
Die Unsicherheit geht meines Erachtens entscheidend darauf zurück, dass trotz häufiger Berichterstattung die Zusammenhänge und Hintergründe nicht aufklärend präsentiert worden sind. Die griechische Ökonomie ist seit der großen Krise von 2008 um 26 Prozent geschrumpft. Es ist absurd, für die derzeitige Rezession die linke Koalitionsregierung von Syriza verantwortlich zu machen. Seit dem letzten Quartal 2014 schrumpft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erneut. Bekanntlich fand der Wechsel zu einer Anti-Troika-Politik erst Ende Januar 2015 statt. Die mögliche Pleite des griechischen Staates hat für die europäischen und politischen Eliten ihren Schrecken verloren, weil die Verflechtung der griechischen Ökonomie in die europäische Wirtschaft gering ist. Mittlerweile haben die privaten Investoren und Banken ihr Engagement in Griechenland stark zurückgefahren. Die Wertverluste einer möglichen Insolvenz tragen im Wesentlichen öffentliche Gläubiger. Die Verluste von rund 80 Miliarden Euro für Deutschland gehen zu Lasten der Steuerzahler.
Über den »Grexit« diskutieren nicht nur Neoliberale, sondern auch Linke kontrovers. Wäre der Ausstieg aus dem Euro für die griechische Regierung ein Befreiungsschlag?
Die griechische Regierung und eine große Mehrheit der Wahlbevölkerung sieht in einem Hinausdrängen des Landes aus der Euro- Zone eine schwere politische Niederlage mit gefährlichen Folgewirkungen. Eine repräsentative Befragung von Anfang Juni besagt, dass sich 74 Prozent der Befragten für den Verbleib in der Euro- Zone aussprechen, nur 18 Prozent würden lieber zur griechischen Drachme zurückkehren. Für die Griechen würde mit einem Hinausdrängen aus der Euro- Zone eine erneute schwere sozio-ökonomische Anpassungsphase einsetzen. Mit Sicherheit würde sich der wirtschaftliche Schrumpfungsprozess verschärfen. Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems zeigt, dass die Rückwirkungen der gebeutelten Wirtschaft auf andere Bereiche der Gesellschaft erhebliche negative Folgen hätten. Außerdem werden die Probleme der Bewältigung der Fluchtbewegung für Griechenland noch drückender. Und die geopolitische Konstellation des Nato-Mitglieds Griechenland gegenüber der Türkei und den gescheiterten Staaten in Nahost wirft weitere Probleme auf.
Die Wirtschaftskolumnistin Ulrike Herrmann stellte in der Taz die These auf, dass es Griechenland mit der Drachme nach anfänglichen Schwierigkeiten sogar besser gehen könnte als jetzt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Die Argumente für eine ökonomisch-politische Rekonstruktion Griechenlands nach einer erneuten Durststrecke sind nicht überzeugend. Alle Befürworter einer Rückkehr Griechenlands zu einer eigenen Währung und einem nationalstaatlich geprägten Wirtschaftsraum gehen davon aus, dass zunächst eine deutliche Abwertung der Drachme von 20 bis 30 Prozent zu verarbeiten wäre. Auch abgesehen von den komplizierten Umschuldungsprozeduren müssten viele Wirtschaftsabkommen neu justiert werden. Ein möglicher Vorteil ist die zügige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit im Tourismus. Griechenland könnte einen noch größeren Anteil im Bereich touristischer Dienstleistungen zu Lasten der Türkei, Spaniens und Italiens gewinnen. Aber da kaum mehr ein relevanter Exportsektor in der griechischen Wirtschaft existiert, wären die Folgen einer Abwertung auf längere Zeit negativ. Im Grundsatz sehen auch viele Befürworter eines Grexit die eintretende Notlage; da sich die humanitäre Krise zuspitzen würde, müsste Griechenland auf längere Zeit aus dem europäischen Raum unterstützt werden, ohne, dass diese Hilfe zu einer wirtschaftlichen Rekonstruktion und einer selbsttragenden Ökonomie führte.
Zu den Vorschlägen, wie ein Grexit verhindert werden könnte, zählt auch die Einführung eines digitalen Euro. Sehen Sie hierin eine Alternative?
Das Kernproblem in Griechenland ist nicht die Verbesserung des Geld- und Kreditsystems, sondern wie der Schrumpfungsprozess in der Realökonomie beendet werden kann und wie über die Erneuerung des öffentlichen und privatkapitalistischen Kapitalstocks eine Erholung eines sozialökologisch geprägten Wachstums eingeleitet werden kann.
Der linke Flügel von Syriza schlägt eine härtere Haltung gegenüber der Gläubigerländern und Institutionen und die Verstaatlichung der Banken vor. Die Kommunistische Partei Griechenlands will gar einen totalen Bruch mit EU und den Troika-Institutionen aus EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF). Wären solche Vorschläge praktikabel?
Keine Frage, ein Bruch mit dem europäischen Binnenmarkt, ein Austritt aus der Euro -Zone und mindestens eine Aussetzung der Mitgliedschaft in der Nato könnten durch verschiedene Maßnahmen eingeleitet werden. Seit der Regierungsübernahme Ende Januar 2015 wird der Wirtschaftskreislauf in Griechenland wesentlich durch Notkredite seitens der europäischen Zentralbank EZB gewährleistet. Das Volumen dieser Kredite beträgt aktuell über 80 Milliarden Euro. Im selben Zeitraum musste das griechische Bankensystem einen Abzug von Einlagen in der Größenordnung von 30 bis 40 Milliarden Euro hinnehmen. Die häufig geforderte Gegenmaßnahme ist die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen wie zuletzt in Zypern. Mit Kapitalverkehrskontrollen, deren Ausgestaltung und Durchführung die EZB nicht zustimmt, wäre der Ausstieg aus dem Währungs- und Kreditsystem eröffnet. Die Mehrheitsströmung in Syriza will eine solche Politikentwicklung nicht. Die Chance von Griechenland besteht in einer Investitionsoffensive und einer wirtschaftlichen Rekonstruktion im europäischen Verbund. Ein solcher Politikwechsel eröffnete auch für andere Krisenländer entsprechende Alternativen und könnte für den europäischen Verbund insgesamt eine andere Entwicklung einleiten.
In Island hatte eine bürgerliche Regierung auf Druck der Bevölkerung die Rückzahlung von immensen Schulden eingestellt, das Land wurde nicht isoliert. Warum klappte dort ein Schuldenschnitt und in Griechenland bisher nicht?
In der Tat hat Island eine bemerkenswert andere und positive Entwicklung zur Bewältigung der Folgen der großen Finanz- und Wirtschaftskrise eingeleitet. Das Verhältnis von Realökonomie und privatem sowie öffentlichem Finanzüberbau in Island ist nicht mit der Konstellation in Griechenland zu vergleichen. Griechenland schultert eine große Schuldenlast, aber der seit Jahren anhaltende Abwärtstrend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegt nicht an etwaigen unerträglichen Zinslasten oder Schuldentilgungen. Hätte Griechenland im Jahr 2014, wie von der konservativ-sozialdemokratischen Regierung und den Troika-Institutionen erhofft und prognostiziert, endlich ein positives Wirtschaftswachstum erreicht, wären sämtliche Tilgungen und Zinszahlungen problemlos möglich geworden. Griechenland muss aus dem Schrumpfungsmodus heraus. Für 2015 droht erneut bestenfalls eine Stagnation des Wachstums. Bei einem grundsätzlich möglichen Wachstum von zweieinhalb Prozent – nach einer Periode der Schrumpfung um 26 Prozent – ist, da stimme ich dem griechischen Finanzminister Varoufakis zu, die Schuldentragfähigkeit ein sekundäres Problem.
Zeigt die monatelange Hängepartie um Griechenland nicht auch, dass selbst eine moderat reformerische Politik, wie sie die jetzige Regierung vorschlägt, zurzeit keine Chance auf Umsetzung in der EU hat?
Die Macht der neoliberalen Eliten in Wirtschaft und Politik wird uns durch den Kampf um die wirtschaftlich-finanzielle Strangulation Griechenlands vor Augen geführt. Die griechische Linksregierung verdeutlicht, wie schwer ein Politikwechsel – ein Bruch mit der neoliberalen Konzeption – umzusetzen ist. Aber auch die Krisenländer Portugal und Spanien leiden sehr unter der Austeritätspolitik. Frankreich und Italien hatten ebenfalls versucht, einen Freiraum für verstärkte gesellschaftliche Investitionen zu erhalten. Man streitet also in nationalstaatlich unterschiedlichen Konstellationen für einen Bruch mit der neoliberalen Sanierungspolitik, die bestenfalls eine säkulare Stagnation mit mehr oder minder regelmäßigen Krisenprozessen von Vermögenspreisblasen beschert.
Ist die Forderung nach der Schuldenbefreiung eines Landes nicht genauso illusorisch wie eine Forderung nach Sozialismus?
Die Überschuldung vieler kapitalistischer Länder ist eine Tatsache. Die schwächelnde, teils krisenhafte Akkumulation des Kapitals ist in den letzten Jahrzehnten durch eine Expansion des Kredits überlagert worden. Es geht nicht vorrangig um Schuldenbefreiung. Schulden sind akkumulierte Ansprüche auf künftig erst noch zu produzierenden gesellschaftlichen Reichtum. Die Verteilungsverhältnisse sind stark verzerrt. Selbst die OECD und der IWF sowie andere Organisationen der kapitalistischen Länder sehen heute, dass wachsende soziale Spaltungen zu einer Blockade oder einem Hindernis für die Kapitalakkumulation und das gesellschaftliche Wachstum geworden sind. Die Auseinandersetzung dreht sich also um die gesellschaftliche Ökonomie und deren Verteilungsverhältnis.
http://jungle-world.com/artikel/2015/24/52105.html
Interview: Peter Nowak
Verkauf von SS-Kommandantur gestoppt
Bildungswerk will im einstigen nationalsozialistischen Vernichtungslager Belzec einen Täter- zum Gedenkort machen
Einen großen Erfolg kann ein antifaschistisches Bildungswerk vermelden, das sich für den Erhalt der Kommandantur des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec einsetzt. Kurzfristig sagte die Polnische Bahn, der das Grundstück mit dem historischen Gebäude gehört, eine für den 22. Juni geplante Versteigerung ab. »Die Bahn hat erklärt, dass das Gebäude nur in Anerkennung seiner historischen Bedeutung genutzt werden soll und nicht mehr als Bauland verkauft wird«, erklärte Andreas Kahrs vom Bildungswerk Stanislaw Hantz gegenüber »nd«. Genau das hatten sie gefordert.
Das Bildungswerk hatte bereits mehr als 8000 Euro über das Internet gesammelt, um das Grundstück zu erwerben. Insgesamt hätten sie voraussichtlich 40 000 Euro dafür auf den Tisch legen müssen.
Die Geschichte von Belzec ist weitgehend unbekannt. Dabei wurden in dem Vernichtungslager zwischen März und Dezember 1942 mindestens 450 000 Menschen ermordet. Im Rahmen der sogenannten Aktion Reinhart, der planmäßigen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Polens, wurden die Bewohner der Ghettos von Lublin, Lviv und Krakau nach Belzec verschleppt. 1942 wurden zusätzlich mehr als 50 000 jüdische Menschen aus dem Reichsgebiet und den »eingegliederten Gebieten« in die Region zwischen Lublin und Zamość deportiert. Viele von ihnen wurden in Belzec ermordet.
Doch die SS beseitigte im Frühjahr 1943 die Spuren ihrer Mordaktion. Fast alle Gebäude wurden abgerissen, auf dem Gelände wurde ein Bauernhof errichtet. Lange Zeit war der Ort frei zugänglich. 1963 wurde ein erstes Denkmal mit der Inschrift »Zur Erinnerung an die Opfer des Hitlerterrors« auf dem Gelände errichtet. Die jüdischen Opfer wurden dort nicht erwähnt. Das änderte sich 2004, als eine große Erinnerungsstätte eingeweiht wurde, an der internationale Gedenkveranstaltungen stattfinden. »Doch bisher fehlen in Belzec Räume für Seminare und Veranstaltungen«, sagt Kahrs vom Bildungswerk, das nach dem polnischen Auschwitz-Überlebenden Stanislaw Hantz benannt ist, der 2008 verstarb.
Hantz hatte sich aktiv am Aufbau des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau beteiligt und war Mitbegründer der Zgorzelecer Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge. Bis ins hohe Alter führte er Interessierte durch die Stätten des NS-Terrors. So kam er auch in Kontakt mit jungen Menschen, die später das nach ihm benannte Bildungswerk gründeten.
Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Organisation von Bildungsreisen zu Stätten der NS-Vernichtung. Vom 17. bis 24. Oktober ist die nächste Fahrt nach Belzec, Sobibor und Treblinka geplant. Dabei sollen den Besuchern auch Einblicke in die unterschiedlichen Aspekte der NS-Vernichtungspolitik in Ostpolen und der Ukraine vermittelt werden.
Nach den Vorstellungen des Bildungswerks könnte eine solche Arbeit in dem sanierten Gebäude der ehemaligen Kommandantur geleistet werden. Zu den weiteren Plänen des Bildungswerks gehört die Einbeziehung der Kommandantur in Führungen und die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte sowie die Einrichtung einer Ausstellungsfläche.
Nachdem nun die Polnische Bahn den Weg freigemacht hat, geht es für das Bildungswerk um die konkrete Umsetzung ihrer Pläne. »Die bisherigen Spenden möchten wir also nicht mehr nur für den Kauf, sondern bereits in die Instandsetzung investieren«, so Kahrs. Dafür erwartet er auch von staatlichen Stellen in Deutschland finanzielle Unterstützung. Schließlich gehören der Erhalt der Täterorte des ehemaligen NS-Terror.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/974583.verkauf-von-ss-kommandantur-gestoppt.html
Peter Nowak
CDU/CSU-Politiker und EU-Parlamentspräsident erhöhen Druck auf Griechenland
„Das Experiment mit den reformunwilligen Griechen im Euro-Raum ist gescheitert“. CDU-Politiker Christan von Stetten und andere forden ein Ende des Entgegenkommens
Nachdem auch das ultimativ vorgetragene letzte Angebot an Tsipras aus dem Berliner Kanzleramt nicht die gewünschte Wirkung zeigte und die griechische Regierung deutlich gemacht hat, dass sie sich nicht erpressen lässt, legen Politiker der Unionsparteien jetzt nach. Der konservative Mittelstandspolitiker Christan von Stetten fordert [1] ein Ende der sogenannten Griechenlandhilfe. Seine Wortwahl ist verräterisch.
„Die europäischen Regierungen müssen sich ehrlich machen: Das Experiment mit den reformunwilligen Griechen im Euro-Raum ist gescheitert und muss beendet werden“, sagte der CDU-Politiker dem „Handelsblatt“. Wenn er von Experiment spricht, sagt von Stetten wohl indirekt die Wahrheit. An Griechenland sollte mit dem Austeritätsprogramm experimentiert werden, wie weit sich eine Bevölkerung im EU-Raum verelenden lässt.
Hätte es dort funktioniert, wäre es weiter exportiert wurden. Nur die Mehrheit der griechischen Bevölkerung hat sich mit ihren Protesten und ihrer Wahlentscheidung im Januar 2015 gegen solche Experimente ausgesprochen und ist in der Diktion von Stettens reformunwillig.
Neue Parlamentsdebatte über „Griechenlandhilfe“
Er ist nicht allein beim Druckmachen. So mehren sich in der Union die Stimmen, die eine neue Abstimmung im Bundestag über die „Griechenlandhilfe“, die ja ein Support für die Banken ist, fordern. So echauffiert sich der christsoziale Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer, gegenüber der „Bild“-Zeitung:
Auch der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Eckhardt Rehberg, verlangt eine Bundestagsabstimmung über weitere Auszahlungen. Es gehe in den Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Geldgebern gerade über „wesentliche Änderungen“ am laufenden Hilfsprogramm, zitierte ihn die „Bild“. Es sei „ein glasklarer Fall“ und „geltende Rechtslage“, dass der gesamte Deutsche Bundestag über solch gravierende Korrekturen abzustimmen habe. „Die Zeit dafür müssen wir uns nehmen.“ Es reiche nicht aus, „die Sache nur im Haushaltsausschuss zu behandeln“.
Der CDU-Finanzpolitiker Frank Steffel sekundiert und macht gleichzeitig deutlich, was er mit dieser Initiative bezweckt. „Ein weiteres Entgegenkommen der Bundesregierung an Griechenland darf es nicht geben“, sagte er. Wenn man weiß, dass es schon während der letzten Parlamentsdebatte zur „Griechenlandhilfe“ eine populistische ressentimentgeladene Kampagne gegen das südeuropäische Land und seine Regierung gab, die von der Bildzeitung noch befeuert wurde [2], kann man sich vorstellen, dass die Union sich mit der Forderung nach einer neuen Abstimmung auch auf Wählerfang begeben will.
Sie will wieder die Hoheit über die Stammtische erlangen, die sie durch die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland zu verlieren drohte. Die dortige interne Richtungsdebatte scheint ihr eine gute Gelegenheit, sich wieder als Stimme der deutschen Steuerzahler, die angeblich für die Pleitegriechen zahlen sollen aufzuschwingen. Dass diese Hilfe nicht der Mehrheit der griechischen Bevölkerung, sondern den Eliten und Banken zugute kommt, will man dort nicht so genau wissen.
Das mit dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz ein prominenter Sozialdemokrat der Unionskampagne nicht etwa entgegentrat und die europäische Solidarität anmahnte, sondern sie noch indirekt unterstützte, kann nur jene erstaunen, die sich noch Illusionen über die Sozialdemokraten machen. Schulz hat die griechische Regierung aufgefordert, ihre Wahlversprechen endlich aufzugeben und das letzte Angebot aus dem Kanzleramt anzunehmen.
„Die ideologische Verbohrtheit eines Teils der griechischen Regierung ist ärgerlich“, umschreibt Schulz die Rüge an eine Regierung, die nicht gleich alle Wahlversprechen über Bord wirft. Schon als Diskussionsteilnehmer einer Talkshow [3] übte sich Schulz vor wenigen Tagen als Konkurrent zu Unionspolitikern für den Posten des besten Populisten.
Ihm gehe „Griechenland auf die Nerven“ und er habe „die Faxen langsam dicke“ schimpfte der Parlamentspräsident, der eigentlich nach den bürgerlichen Rollenvorstellen sein Amt so ausüben müsste, dass er sich als Interessenvertreter aller EU-Bürger geriert.
Kommt mehr Trotz aus Athen?
Es ist fraglich, ob Unionspolitiker, die den deutschen Bundestag wieder gegen Griechenland in Stellung bringen wollen, nicht eher jenen Kräften in Südeuropa Auftrieb geben, die sowieso schon der Meinung sind, nur Deutschland diktiere in Europa die Austeritätspolitik. Wenn dann noch ein EU-Parlamentspräsident so offen deutlich macht, dass ihm eine griechische Regierung, wie sie nun mal mehrheitlich gewählt wurde, auf die Nerven geht, könnte auch die Zahl derer in Griechenland zunehmen, die sich trotz vieler Bedenken von einer EU verabschieden wollen, die nicht reformfähig ist.
Die hohen Zustimmungsraten, welche die Regierung wegen ihrer harten Haltung bei den Verhandlungen mit den Institutionen bis heute bekommt, könnten darauf hindeuten. Dann könnte der Druck aus Berlin und Brüssel eher zur Unterstützung der gegenwärtigen Regierung beitragen und sie ermutigen, tatsächlich Wege eines Austritts aus der EU zu begehen.
http://www.heise.de/tp/news/CDU-CSU-Politiker-und-EU-Parlamentspraesident-erhoehen-Druck-auf-Griechenland-2680979.htmlPeter Nowak
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Ist Al Sisi der Schah 2015?
Ein Diktator des Westens zu Besuch in Berlin
Fast hätte der ägyptische Präsident mit seinen Besuch ein für Westberlin historisches Datum gestreift. Am 2. Juni 1967 sorgte der Besuch des persischen Schahs für Proteste und wurde zum Katalysator einer neuenLinken, die es allerdings auch ohne diesen besonderen Anlass gegeben hätte.
48 Jahre später dürfte der Besuch von Abdel Fattah al Sisi sicher keine neue linke Protestbewegung in Deutschland auslösen. Trotzdem gibt es inhaltich viele Parallelen zwischen den beiden Potentaten. Sie haben demokratisch gewählte, aber dem sogenannten Westen unliebsame Präsidenten gestürzt und dann einterroristisches System errichtet. Beim Schah war es der bürgerliche Präsident Mossadegh, der die Ölrente für die eigene Bourgeoisie nutzen wollte und sich zur Durchsetzung seiner Interessen auch der damals nicht einflusslosen Kommunistischen Partei des Irans bediente. Das aber war in Zeiten des Kalten Krieges für ihn zumindest politisch tödlich. Der Schah bot sich für den Westen als Statthalter ihrer Interessen an.
In Ägypten war der islamische Präsident Mursi mit großer Mehrheit gewählt worden. Er ging auch gleich dran, die Relikte der Mubarak-Ära zu beseitigen. Doch seine islamistische Agenda schreckte auch viele der Oppositionellen gegen Mubarak ab. Als er im Januar 2013 Berlin besuchte, stand vor allem seine regressive Israelkritik [1], aber auch die angebliche Christenverfolgung in Ägypten im Fokus der Kritik.
Sämtliche Fraktionen der Opposition vereint im Gefängnis
Mittlerweile sind sowohl die islamistisch-konservativen Moslembrüder als auch die säkulare Opposition gegen Islamisten und Mubarak vereint in den Gefängnissen. Todesurteile werden in Serie verhängt, oppositionelle Zeitungen, Gewerkschaften und überhaupt zivilgesellschaftliche Institutionen sind heute mehr geknebelt als zuZeiten des Mubarak-Regimes.
Für diesen Zustand sind auch die katastrophalen taktischen Fehler der säkularen Opposition verantwortlich, die in der Ära Mubarak teilweise eine Machtübernahme durch das Militär als das kleinere Übel sahen und sogar offen für einen Putsch mobilisierten. Dabei hätten sie doch die Herrschaft des politisch schwachen islamistischen Präsidenten nutzen könnten, um linke und zivilgesellschaftliche Kräfte zu stärken und so eine Alternative zu Militärdiktatur und Islam zu entwickeln.
In dieser politischen Orientierung eines Teil des liberalen Spektrums, eine Militärdiktatur als das kleinere Übel gegenüber einen schwachenislamistischen Präsidenten anzusehen, kommt auch ein Klassendünkel zum Vorschein. Mursi hatte seine Anhänger vor allem unter der armen Bevölkerung der ländlichen Region und der Kairoer Vorstädte. Doch von dort witterten viele Liberale eine große Gefahr.
In den auch in der Taz veröffentlichten Kolumnen der ägyptischen Religionswissenschaftlerin Sarah Eltantawi [2] kann die Position der zumindest temporären liberalen Diktaturbefürworter [3] gut verfolgt werden. Mag Al Sisi auch ein Diktator sein, so ist er doch für die wohlhabenden ägyptischen Kreise ein Bollwerk gegen die Wut der Armen.
Diktator des Westens
So wird der Diktatur auch vom sogenannten Westen gesehen. Er mag ein Diktator sein, aber er ist auf der Seite des Westens. Diese Haltung war im Kalten Krieg weit verbreitet, ist aber in der letzten Zeit stärker in die Kritik geraten. Das zeigt sich bei der Diskussion um den Al Sisi-Besuch.
Parlamentspräsident Lammert hat ihn nicht getroffen, was ihn auch nicht gestört haben dürfte. Die entscheidenden Verträge werden schließlich mit der Kanzlerin und dem Außenminister abgeschlossen. Zudem läuft die Kooperation zwischen Deutschland und Ägypten bei der Polizeiausbildung [4] auch ohne Staatsbesuche seit langem reibungslos. Dass sich daran nichts ändert wird, ist klar. Ägypten sei als Staat viel zu wichtig, als dass man Todesurteile am Fließband zur Grundlage der Kooperation machen könnte. Dieses Statement aus der Regierung in Berlin ist wenigstens ehrlich.
http://www.heise.de/tp/news/Ist-Al-Sisi-der-Schah-2015-2678765.html
Peter Nowak
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Diktat an Griechenland jetzt direkt aus dem Kanzleramt?
Wieder soll ein Countdown begonnen haben
„The Final Coutdown – jetzt aber wirklich“ ist seit Tagen eine Kolumne [1] im Wirtschaftsteil der Taz überschrieben. Heute sind sie beim „3. Tag bis zur Griechenlandpleite angelangt“, heißt es am 2. Juni. Mit den Texten soll durchaus ironisch darauf hingewiesen werden, dass seit Monaten die endgültige Griechenland-Pleite, der Grexit oder ähnliches, herbei geschrieben wird. Am Ende sind diese Prognosen bislang nie eingetreten.
Nun ist es wieder einmal so weit. Spätestens als am 1. Juni ein Treffen für die G7-Vorbereitung zu einem Griechenlandgipfel im Berliner Kanzleramt stattfand [2], wird verstärkt vom allerletzten Angebot an Tsipras [3] berichtet.
Natürlich wird hier wieder einmal eine Drohkulisse aufgebaut, die die griechische Regierung nun endgültig dazu bringen soll, sich von ihren Wahlversprechen zu verabschieden und sich den Vorgaben der Institutionen zu unterwerfen. Das zeigt sich schon daran, dass das Angebot direkt an Tsipras adressiert ist und nicht an die griechische Regierung. Ihm soll zugemutet werden, notfalls den linken Parteiflügel fallen zu lassen, um sich dem Druck zu beugen
Schließlich hat sich erst vor einigen Tagen auf einer Sitzung des Syriza-Zentralkomitees gezeigt, dass eine starke Minderheit bereit ist, notfalls mit den Institutionen zu brechen, die Banken zu verstaatlichen und einen neuen Weg jenseits des Euro zu gehen. Politische Beobachter stellen nun fest, dass diese Position parteiintern an Zustimmung gewonnen hat, je mehr Menschen registrieren, dass die Institutionen die Ergebnisse der demokratischen Wahlen ignorieren.
Viele Syriza-Politiker waren der Überzeugung, dass sie sich mit der EU und dem IWF zumindest auf ein Schuldenmoratorium verständigen können, weil eine solche Politik schließlich auch von vielen Ökonomen als rational bezeichnet wird. Letztendlich müsse allen klar sein, dass Griechenland die Schulden gar nicht zurückzahlen kann.
Die harte Politik ist denn auch nicht ökonomischen Erwägungen geschuldet, sondern an Griechenland soll ein Exempel statuiert werden, damit andere Regierungen gar nicht erst auf die Idee kommen, die von Deutschland gezimmerte Architektur in Frage zu stellen. Potentielle Wähler sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, Parteien zu wählen, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung, statt die Befriedigung von Banken, Märkten und Institutionen in den Mittelpunkt stellen.
Griechische Regierungsmitglieder gegen Erpressung und Ultimatum
Die Drohkulisse, die im Berliner Kanzleramt aufgebaut wurde, weist keine Elemente auf, mit denen sich die Kritiker der Institutionen besänftigen ließen. Bestätigt wird dies auch dadurch, dass der Gipfel ausgerechnet im Berliner Kanzleramt abgehalten wurde.
Seit Jahren gibt es in Athen die Kritik an dem deutschen Diktat, Merkel wird in verschiedenen unvorteilhaften Rollen dargestellt. Selbst Kritiker der Austeritätspolitik warnten vor einer Überschätzung der Rolle Deutschlands. Wenn aber nun ein Griechenlandgipfel im Berliner Kanzleramt ohne einen Vertreter der griechischen Regierung abgehandelt wird, um dem griechischen Ministerpräsidenten ein letztes Angebot zu unterbreiten, dann kann das nur als maximale Bestätigung der Kritiker verstanden werden.
Wenn dann noch IWF-Chefin Christine Lagarde, EZB-Präsident Mario Draghi, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie Frankreichs Staatschef François Hollande bei dem Gipfel dabei sind, wird sich nur das Bild der Dominanz Deutschlands verfestigen. Sie alle beratschlagten als Gäste der deutschen Regierung über die Politik eines Landes, das nicht anwesend war.
So wusste die griechische Regierung selbst am Tag nach dem Gipfel noch nicht einmal, welche Inhalte das letzte Angebot aus Berlin überhaupt hat. Führende Syriza-Politiker betonten auch, dass sie weiterhin kein Diktat und keine Erpressung akzeptieren würden.Premierminister Tsipras legte ein neues Reformprogramm vor, das wiederum von den Institutionen unterschiedlich kommentiert wurde.
Was in den meisten Medien als Chaos im griechischen Regierungslager interpretiert wird, kann durchaus als durchdachte Strategie verstanden werden. Die griechische Regierung will das Heft in der Hand behalten, wehrt sich gegen die Drohungen aus Berlin und zeigt mit ihrem Reformprogramm, dass sie eben nicht einfach übergangen werden kann. Zumal sie auch drauf setzen mag, dass die Einigkeit zwischen Troika-Institutionen und einigen EU-Regierungen, die im Berliner Kanzleramt zur Schau gestellt werden sollte, durchaus an manchen Punkten aufgebrochen werden kann. Es zeigte sich auch schon in der Vergangenheit, dass besonders die deutsche Regierung konkrete Vorschläge aus Athen seit der Regierungsübernahme von Syriza besonders ablehnend gegenübersteht.
Ist die griechische Regierung notfalls zu einem Bruch bereit?
Die griechische Regierung steht trotz des Drucks aus Berlin durchaus nicht so mit dem Rücken an der Wand, wie es manche Politiker und Medien hierzulande erhoffen. So musste selbst der Syriza kritische Deutschlandfunk einräumen, dass viele Menschen in Griechenland, selbst die die Angst vor einen Euro-Austritt haben, weiterhin die Partei unterstützen, weil sie sich gegen das Diktat der Institutionen wehrt, während die konservative Oppositionspartei auf die die Institutionen gesetzt haben, in die Bedeutungslosigkeit zu rutschen droht.
Wenn nun ausgerechnet ein griechischer Bankpräsident in London erklärt, die griechische Bevölkerung sei zu weiteren Opfern bereit, um im Euro zu bleiben, so werden die Institutionen eine solche Kunde gerne hören. Sie muss allerdings nicht besonders glaubwürdig sein. Schließlich hat ein großer Teil der griechischen Bevölkerung erfahren, dass er immer stärker verarmt und die Ökonomie des Landes gleichzeitig immer schwächer wird. Die Frage, ob trotz einer großen Angst vor einem Euroaustritt auch ein Großteil der Bevölkerung bereit wäre, einen Bruch mit diesem System einzugehen, wenn damit weitere Erpressungen und Diktate verhindert werden, müsste gestellt werden. Doch gibt es bei Syriza überhaupt einen solchen Plan B?
Die Partei hat in den Wahlen für ein Verbleiben im Euroraum unter sozialeren Bedingungen plädiert. Wenn sie nun erfahren muss, dass es diese sozialeren Bedingungen im EU-Raum nicht gibt, weil Deutschland die Austeritätspolitik mit allen Mitteln verteidigt, müsste eine verantwortungsbewusste linke Regierung nach Wegen aus dem Euro suchen und die Bevölkerung davon überzeugen. Zurzeit kursieren im Internet verschiedene Szenarien, wie sich ein Euroaustritt aufhalten ließe, ohne dass die griechische Regierung kapituliert. Solche Möglichkeiten sollten besser auf ihre Realitätstauglichkeit geprüft werden, statt ständig neue Griechenlandpleiten vorauszusagen.
http://www.heise.de/tp/news/Diktat-an-Griechenland-jetzt-direkt-aus-dem-Kanzleramt-2678074.html
Peter Nowak
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G7-Treffen als Inszenierung vom Wiederaufstieg Deutschlands
Auf dem Treffen der G7-Finanzminister in der Roten Zone in Dresden ging es um Selbstdarstellung Deutschlands und Griechenland
Ein durch einen Zaun abgetrenntes Gebiet mitten in der Innenstadt[1], in dem wesentliche Grundrechte wie das Versammlungsrecht außer Kraft gesetzt worden sind. So präsentiert sich in diesen Tagen Dresden.
Vom 27. bis 29. Mai tagen[2] in der sächsischen Hauptstadt die Finanzminister und Notenbankchefs der G7-Staaten und Dresden hat seine Rote Zone. Das Treffen findet im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft statt. Dort wird das G7-Treffen[3], das nächstes Wochenende auf Schloss Elmau stattfinden soll, auf finanzpolitischem Gebiet vorbereitet.
Deutschland – Symbol für Deutschlands Wiederaufstieg wie Phönix aus der Asche
Gastgeber Wolfgang Schäuble nutzt das Treffen zur Schaustellung des neuen deutschen Selbstbewusstseins. Auch der Tagungsort ist hier Teil des Programms. So wird auf der Webseite des Bundesfinanzministers en passant die neueste deutsche Geschichtserzählung verbreitet: „Wie kaum eine andere deutsche Stadt steht Dresden für den erfolgreichen Wiederaufbau nach zwei Diktaturen und erfolgreichen Strukturwandel. Dresden ist ein symbolträchtiger Ort, um im G7-Kreis über die Stärkung der Weltwirtschaft nach der Finanzkrise zu beraten.“
Solche Statements ignorieren jahrelange Diskussionen, die die Gleichsetzung von NS und DDR mit guten Argumenten ablehnten[4]. Die Saga vom Wiederaufstieg Deutschland wie Phönix aus der Asche funktioniert am Beispiel Dresden nur, wenn man einen Aspekt mitdenkt, der in dem Statement aus dem Hause Schäuble ausgespart wird. Es ist auch ein Affront gegen die damalige Anti-Hitler-Koalition. Die Bombardierung wird einfach als Leerstelle ausgespart.
Im heutigen Geschichtsdiskurs der selbstbewussten Nation Deutschland belässt man es vorerst eher bei Auslassungen. Die regierungsamtliche Rhetorik gibt denen Recht, die in den letzten 25 Jahren nicht nur die Neonazipropaganda, sondern auch den offiziellen Dresden-Mythos kritisch[5] unter die Lupe genommen haben. Die Erklärungen zum G7-Treffen zeigen, wie heute Dresden ganz selbstverständlich in den Dienst für das selbstbewusste Deutschland verwendet wird.
Alle reden vom Grexit
Gastgeber Schäuble versäumt auch in Dresden nicht, seinen Lieblingsgegner zu treten. Das ist Griechenland, seit die Mehrheit der dortigen Bevölkerung sich erdreistet hatte, eine Regierung zu wählen, die die Austeritätspolitik ablehnt, die wesentlich mit Schäuble verbunden ist.
Bild machte mal wieder wenig subtil Propaganda[6]. Da stichelte Schäuble gegen Athen und vergleicht den griechischen Finanzminister mit SED-Ministern. Aber nicht er, sondern Griechenland sorgt laut Bild auf den Treffen für Irritationen. Dabei hatte die griechische Regierung eigentlich auf Optimismus gemacht und eine baldige Einigung mit den Institutionen, wie die Troika und Co. jetzt genannt werden, in Aussicht gestellt. Doch Schäuble dementierte sofort. „So wurde beim heutigen G7-Treffen auch eines früh klar: So schnell, wie es die griechische Links-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras glauben macht, wird es in dem monatelangen Gezerre um neue Finanzspritzen für Athen keinen Durchbruch geben“, schreibt Bild.
Die Absicht ist klar. Man will die gegenwärtige Regierung in die Enge treiben, bis entweder Syriza zerbricht oder die Bevölkerung in Griechenland die Geduld verliert. So geht also die Demontage einer demokratisch gewählten Regierung weiter, die nicht nach Deutschlands Pfeile tanzen will. Dabei hat IWF-Chefin Largarde bekräftigt, die internationalen Geldgeber hätten im Schuldenstreit mit Griechenland noch keine großen Fortschritte erzielt. Die Fortschritte messen sich nach dieser Lesart daran, wie weit die griechische Regierung bereit ist, ihre Wahlversprechen aufzugeben und sich dem Diktat der Institutionen unterzuordnen.
In der Vergangenheit gab es zwischen dem IWF und Schäuble manchmal taktische Widersprüche. Der IWF hat die EU schon mal aufgefordert, etwas flexibler gegenüber Griechenland zu sein, damit das Land in der Lage ist, die Verbindlichkeiten gegenüber dem IWF zu bedienen. Das ginge nicht mehr, wenn das Land offiziell seine Zahlungsunfähigkeit erklären würde.
Doch in Dresden hat auch Largarde den Grexit, also den von außen ökonomisch erzwungen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, als eine Möglichkeit anerkannt[7]. Damit droht die griechische Regierung ein Druckmittel zu verlieren, weil sie immer darauf hoffte, dass es die Geldgeber dazu nicht kommen lassen wollen. Bei den Debatten geht es nicht um die Interessen der großen Mehrheit der durch die Austeritätspolitik verarmten Teile der Bevölkerung. Es geht nur darum, ob Griechenland die Schulden weiterhin abzahlt.
In den letzten Wochen hat besonders Lagarde den Druck auf die griechische Regierung erhöht und jeden Zahlungsaufschub ausgeschlossen. Diese Position hat sie in Dresden bekräftigt. Zudem beschuldigte sie die griechische Regierung, sie sei unsolidarisch gegenüber den Ländern der Asiens und Afrikas, die trotz großer Armut Schulden zurückzahlen.
Athen und die Schuldenstreichung
Das ist allerdings Demagogie. Tatsächlich fordern[8] seit Jahrzehnten Nichtregierungsorganisationen, Ökonomen und Politiker in den Ländern des globalen Südens eine Schuldenstreichung[9]. Es gibt eine weltweite Bewegung für diese Forderung.
Die Länder kämen nie aus dem Teufelskreis von Armut und Verelendung heraus, wenn die oft illegitimen Schulden nicht gestrichen werden, so die Argumente. Die Schulden wurden oft von politischen Eliten, nicht selten von Militärdiktaturen, angehäuft und kamen den politischen Eliten, nicht aber der Mehrheit der Bevölkerung zugute. Alle Versuche, eine Schuldenstreichung durchzusetzen, wurden von IWF und Weltbank abgelehnt und den Ländern mit politischer und ökonomischer Isolierung gedroht.
Es gäbe also viele Gemeinsamkeiten zwischen vielen Staaten des globalen Südens und Griechenland. Die griechische Regierung könnte sogar neue Impulse für eine internationale Debatte um die Schuldenstreichung geben, wenn sie erklären würde, dass sie die Zahlungen aussetzt und das Geld für Sozialreformen verwendet, die die notleidende Bevölkerung entlasten. Genau das fürchten IWF und die Institutionen und versuchen alles, um eine solche Solidarisierung zu verhindern. Die Propaganda vom mit den Ländern des globalen Südens unsolidarischen Griechenland gehört dazu.
Dresden – Kein Warm-up für Elmau?
Nun wäre eine solche Konferenz auch Gelegenheit, dass sich der Teil der politischen Opposition zu Wort meldet, die gegen diesen Umgang der deutschen Regierung mit Griechenland Einwände hat. Die Dresdner Behörden haben sich darauf eingestellt. Rote Zone nennt man die Hochsicherheitsbereiche mitten in den Städten seit den Hochzeiten der globalisierungskritischen Bewegung. Doch von einer großen Protestbewegung kann in Dresden nicht die Rede sein.
Die sächsische Linkspartei spricht[10] von verpassten Chancen bei dem Meeting und erweist sich damit als konstruktive Oppositionspartei, die eben noch ein paar andere Themen auf dem Treffen ansprechen will. Noch vor einem Jahr stritten sich Leser der Sächsischen Zeitung[11], ob das Treffen von der Protestbewegung ignoriert werden würde oder ob Dresden während des Gipfels zur Protesthochburg werden würde.
Nun stellt sich heraus, dass erstere recht hatten. Das ist umso erstaunlicher, als zurzeit ein Teil der außerparlamentarischen Linken nach Südbayern mobilisiert[12], wo in der nächsten Woche auf Schloss Elmau[13] das G7-Treffen[14] stattfindet (Die Alpenfestung der Reichen und Mächtigen[15]). Die Mobilisierung ist längst nicht mit der monatelangen Vorbereitung auf den G8-Gipfel in Heiligendamm zu vergleichen. Die bayerische Landesregierung und die Bürgermeister unterschiedlicher politscher Couleur versuchen die Proteste kleinzuhalten.
Zurzeit versuchen[16] die G7-Protestierer, das Verbot für ein Camp juristisch aufheben zu lassen. Das Camp wurde von den Behörden verboten, weil es in einem möglichen Hochwassergebiet liegt. Dass es in der nächsten Woche dort Hochwasser geben wird, ist eher unwahrscheinlich. Dass Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, dagegen nicht.
Ab heute wird an den Grenzen wieder kontrolliert. Schon seit einigen Tagen berichten[17] Wanderer über Verbote und Schikanen. Eigentlich wäre für die Protestbewegung das Treffen in Dresden eine gute Chance, um schon mal eigene Akzente zu setzen. 2007, als das Treffen der damaligen G8-Finanzminister bei Potsdam stattfand[18], war es Teil der Protestchoreographie. So ist die Dresdner Protestflaute auch ein Indiz für die Schwäche der aktuellen Bewegung gegen den G7-Gipfel. Dabei werden in Treffen wie in Dresden die politischen Weichenstellungen beschlossen, die dann auf den Gipfeltreffen wie in Elmau nur vorgestellt und abgenickt werden. Daher müssten eigentlich Treffen wie in Dresden in den Focus der Protestbewegung rücken.
http://www.heise.de/tp/artikel/45/45058/1.html
Peter Nowak
Anhang
Links
[1]
http://m.lvz.de/Mitteldeutschland/News/Dresden-stellt-massiven-Sicherheitszaun-fuer-G7-Treffen-der-Finanzminister-auf
[2]
http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Internationales_Finanzmarkt/Deutsche_G7_Praesidentschaft/deutsche_g7_praesidentschaft.html
[3]
http://www.g7germany.de/Webs/G7/DE/Home/home_node.html
[4]
http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/9964
[5]
http://www.verbrecherverlag.de/buch/698
[6]
http://www.bild.de/politik/ausland/griechenland-krise/griechenland-krise-tsipras-und-co-am-g-7-pranger-41124854.bild.html
[7]
http://www.rp-online.de/politik/eu/griechenland-finanzelite-spielt-den-grexit-durch-aid-1.5122074
[8]
http://www.europeana.eu/portal/record/09428/objekt_start_fau_prj_ffbiz_dm_1_zeig_1618.html
[9]
http://www.deine-stimme-gegen-armut.de/blog/2007/02/21/erlassjahr-kampagne-fordert-schuldenstreichung/
[10]
http://www.dielinke-dresden.de/politik/detail/article/27-mai-2015-gegenaktion-der-partei-die-linke-zum-g7-finanzministergipfel-in-dresden/
[11]
http://www.sz-online.de/nachrichten/g7-finanzgipfel-in-dresden-2864837.html
[12]
http://www.stop-g7-elmau.info/
[13]
http://www.schloss-elmau.de/news-webcam/
[14]
http://www.g8-2015.de/
[15]
http://www.heise.de/tp/artikel/43/43273/
[16]
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g7-gegner-wollen-sich-gegen-verbot-von-protestcamp-wehren-a-1035623.html
[17]
http://www.merkur.de/lokales/garmisch-partenkirchen/garmisch-partenkirchen/g7-gipfel-pressezentrum-eisstadion-garmisch-partenkirchen-aerger-sperrzone-5026635.html
[18]http://www.g-8.de/nn_94290/Content/DE/Artikel/2007/04/2007-04-14-g8-finanzmi
Anti-Frontex-Tage in Warschau
In den nächsten Tagen machen sich Antirassisten aus ganz Europa auf den Weg nach Warschau. Sie wollen sich an den Anti-Frontex-Tagen beteiligen, die vom 19.- bis 22. Mai 2015 in der polnischen Hauptstadt stattfinden sollen. Damit wollen die Aktivisten die Feier zum zehnten Geburtstag von Frontex konterkarieren, zu dem am 21. Mai Politiker aus ganz Europa nach Warschau kommen. In den letzten Jahren waren Anti-Frontex-Proteste in Warschau meist klein und fanden wenig Aufmerksamkeit. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Der Widerstand gegen den Frontex-Geburtstag hat in den letzten Wochen in ganz Europa größere Unterstützung erfahren. Auch in Deutschland gab In zahlreichen Städten gut besuchte Vorbereitungstreffen für die Warschauer Aktionstage. Dabei wurde die Verantwortung von Frontex für die Toten im Mittelmeer betont, die in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt und den Protest gegen in Warschau den Mobilisierungsschub gegeben haben.
aus Neues Deutschland, 195.2015
http://migracja.noblogs.org/deutsch/
Peter Nowak
»Die Russen sind da!«
In Polen steht das Ende des Zweiten Weltkriegs für den Beginn einer neuen Besatzungszeit.
Geht es nach dem polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski, soll der 8. Mai in diesem Jahr zu einem geschichtsrevisionistischen Spektakel werden. An diesem Tag will er die Staats- und Regierungschefs aller EU-Staaten auf die Westerplatte bei Gdańsk zu einer Konferenz begrüssen. auf der eine Lesart der Geschichte europäisiert werden soll, die in den letzten Jahren in Polen zum Allgemeingut geworden ist. Ihr zufolge hat die Rote Armee Polen im Frühjahr 1945 besetzt und die Befreiung habe erst 1989 stattgefunden. Es ist verständlich, dass auf einer solchen Konferenz ein Vertreter der russischen Regierung keinen Platz hat.
Auf der Westerplatte, auf der die Deutschen mit einem Schuss ausder Kanone eines Panzerkreuzersd den Zweite Weltkrieg eröffneten, soll am 8. Mai der in Russland weiter gepflegten sowjetischen Geschichtserzählung die Perspektive der Länder entgegenstellen werden, für die 1945 keine volle nationale Freiheit gebracht hat, heißt es in polnischen Medien. Das Gedenken dürfe nicht politisiert werden, entgegnete der polnische Präsident den Kritikern, die an den historischen Fakt erinnern, dass die Rote Armee mit großen Opfern die deutsche Wehrmacht aus Polen vertrieben hat.
Der absichtsvolle Ausschluss Russlands als Rechtsnachfolger der Sowjetunion hat für die Vertreter der aktuellen polnischen Geschichtspolitik allerdings mit Politik nichts zu tun; er zählt zur polnischen Staatsraison. Damit werden allerdings nicht nur die Angehörigen der Roten Armee aus der offiziellen Gedenkpolitik ausgeschlossen. „Die vielfältigen Organisationsformen des antifaschistischen Widerstands in Polen und insbesondere die Bedeutung der 1. und 2. Polnischen Armee, die Seite an Seite mit der Roten Armee kämpfte, werden heute in Polen kaum gewürdigt. Die Befreiung vom Faschismus im Mai 1945 wird in den Schulbüchern nicht als Befreiung, sondern Beginn einer neuen Besatzungsperiode gedeutet. Nicht der Kampf gegen den deutschen Faschismus und Nationalismus wird hervorgehoben, sondern der eigene Nationalismus verklärt“, kritisiert der Jurist und Publizist Kamil Majchrzak die neue polnische Geschichtspolitik. Einen zentralen Grund für das Verschweigen des linken polnischen Beitrags bei der Zerschlagung des NS sieht er darin, dass die Kombattanten nicht nur gegen die deutschen Besatzer kämpften, sondern für eine grundlegende gesellschaftliche Umgestaltung in Polen eintraten.
Nach neueren historischen Forschungen beteiligten sich an den Kämpfen um Berlin insgesamt 170 000 polnische Soldaten .12 000 von ihnen kämpften in der Berliner Innenstadt gegen die letzten Nester von Wehrmacht und Volkssturm. An den verschiedenen Fronten kämpften nach Majchrzaks Recherchen ca. von 600.000 polnischen Kombattanten gegen die Wehrmacht. Ihr Beitrag zur Zerschlagung des NS wird heute in Polen ignoriert, weil sie an der Seite der Roten Armee kämpften.
Selbst die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von Auschwitz ist in der heutigen offiziellen Geschichtspolitik zumindest strittig. Der polnische Präsident Komorowski erklärte in einem Interview mit der Gazeta Wyborcza, den Häftlingen von Auschwitz könne man nicht absprechen, dass sie sich von den sowjetischen Truppen befreit fühlten. Dies habe aber nicht für alle Menschen in Ostmitteleuropa gegolten. Dass die letzten Überlebenden von Auschwitz von der Roten Armee real befreit wurden, kam ihm nicht über die Lippen.
Polens Außenminister Grzegorz Schetyna versuchte mit der These, Auschwitz sei nicht von „Russen“, sondern von Ukrainern befreit worden, die neue polnische Geschichtsdoktrin auszuweiten. Er begründete seine Auffassung auf den Umstand, dass die 1945 in Südpolen operierenden sowjetischen Einheiten der „1. Ukrainischen Front“ angehörten. Dieser eigenwilligen Geschichtsinterpretation konterte das russische Außenministerium mit einer Erklärung, in der dem Außenminister Wissenslücken attestiert worden. „Es ist allgemein bekannt, dass das KZ Auschwitz von den Truppen der Roten Armee befreit wurde, in der Vertreter vieler Nationalitäten heldenhaft kämpften“, heißt es darin.
Unter den sowjetischen Soldaten der sogeannten Ukrainischen Front, die Auschwitz befreiten, viele Juden. Etwa Anatolij Schapiro; er öffnete als erster Soldat der Roten Armee das Tor von Auschwitz öffnete und wurde von den Überlebenden mit dem Jubelschrei „Die Russen sind da!“ begrüßt. Den Angehörigen der Ukrainischen Front in der Roten Armee stand die nationalistische ukrainische Bewegung gegenüber, die sich im Kampf gegen die Sowjetunion mit Nazideutschland verbündete und schon unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht mit den Massenmorden an den ukrainischen Juden begann. Führende Köpfe dieser Bewegung, zum Beispiel Stephan Bandera, werden in der heutigen Ukraine rehabilitiert und als Freiheitskämpfer gegen Russland gefeiert. Daher ist es eine besonders perfide Geschichtsklitterung, wenn der polnische Außenminister diese Ukraine heute in die Tradition der Auschwitzbefreier stellt.
Nicht nur als Befreier vom NS auch als Opfer der Nazis sind Kommunisten in der neuen polnischen Gedenkpolitik nicht vorgesehen. Die Konsequenzen bekamen Angehörige von NS-Opfern aus verschiedenen europäischen Ländern zu spüren. Sie wollten am 30. Januar 2015 im westpolnischen Slonsk an der Einweihung der neu gestalteten Ausstellung über das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg teilnehmen. „Sie waren eingeladen aber nicht willkommen. Nur unter großen Schwierigkeiten kamen sie in den Saal, in dem die Eröffnungsveranstaltung stattfand. Dort wurden sie nicht begrüßt. Als die Ausstellung eröffnet wurde, mussten sie vor dem Museum warten bis die Führung für die offiziellen Gäste beendet war“, heißt es in einer Pressemitteilung des Internationalen Arbeitskreises zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).
In Sonnenburg wurden bereits im Frühjahr 1933 hunderte Kommunisten und bekannte linke Nazigegner wie Erich Mühsam, Carl von Ossietzky und Johannes Litten inhaftiert und gefoltert. Nach dem 2. Weltkrieg wurden sogenannte Nacht-und Nebel-Gefangene aus ganz Europa nach Sonnenburg verschleppt. 819 Gefangenen wurden in der Nacht vom 31. Januar 1931 von einem SS-Kommando erschossen, kurz bevor die Roten Armee das Lager erreichte? Ob der polnischen Präsidenten den wenigen Gefangenen, die sich vor dem Massaker verstecken konnten, wohl ausnahmsweise zugesteht, dass die von der Roten Armee real und nicht nur gefühlt befreit wurden?
aus: Konkret 5/2015
http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2015/heft-52015/articles/in-konkret-1488.html
Peter Nowak
Mumia schwer erkrankt
MAHANOY. Starker Gewichtsverlust, schuppige Haut, verbunden mit Juckreiz und Schwindel. So beschreibt eine Besucherin Mitte April den Gesundheitszustand des US-amerikanischen Journalisten Mumia Abu Jamal, der sich auf der Krankenstation des Gefängnisses SCI Mahanoy befindet. Sein Gesundheitszustand sei weiterhin ernst, habe sich aber gegenüber Ende März gebessert. Damals war bekannt geworden, dass Mumia mit einem schweren Diabetesschock aus dem Gefängnis in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Zunächst durfte er keinen Besuch empfangen. Erst nach zahlreichen Protestmails und Kundgebungen vor US-Botschaften in aller Welt wurde seine Totalisolation aufgehoben. „Jetzt muss Mumia endlich freigelassen werden. Im Gefängnis ist seine vollständige Genesung nicht möglich“, betont Anton Mestin von der Berliner „Mumia-Solidarität“. Mumia Abu Jamal war 1982 wegen Mordes an einem Polizisten zum Tode verurteilt worden. Der Journalist, der auch Ehrenmitglied von ver.di ist, hat die Tat immer bestritten. Nach weltweiten Protesten wurde das Urteil in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt.
weitere Infos:
http://www.freiheit-fuer-mumia.de/
http://mmm.verdi.de/aktuell-notiert/2015/weltweit-sorge-um-die-gesu
aus: «M» – MENSCHEN – MACHEN – MEDIEN
http://mmm.verdi.de/medien-international/02-2015/mumia-schwer-erkrankt
Peter Nowak
Erschütternd aktuell: der Report „Deutsche Flüchtlingspolitik“
Dass Tausende Flüchtende im Mittelmeer sterben, schockiert uns immer wieder. Weniger Schlagzeilen machen die mindestens 451 Refugees, die seit 1993 in Deutschland den Tod gefunden haben. Dass diese Zahlen überhaupt bekannt werden, ist Ehrenamtlichen zu verdanken, die sich in der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) engagieren. Seit 1993
geben sie den Report Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen heraus, der die verschiedenen
Formen von Gewalt, Verletzungen und Diskriminierungen gegen Flüchtlinge recherchiert und auflistet. Alljährlich
wird er aktualisiert, gerade ist eine neue Auflage erschienen, die alle Fälle bis zum Jahresende 2014 erfasst. Die Schicksale, die dort chronologisch aufgelistet sind, schaffen es meist nur als kleine Meldung auf die hinteren Seiten der Zeitungen. Da übergießt sich am 20. Februar 2014 der Iraner Kahve Pouryazdani mit Benzin und stirbt den Feuertod. Am 11. März vergangenen Jahres versucht sich eine 39-jährige Abschiebegefangene zu vergiften, am 7. September eine Nigerianerin mit ihren beiden Kindern. Elke Schmidt, die seit Jahren die Dokumentation koordiniert, führt die Suizide auf die wachsende Verzweiflung angesichts der schlechten Lebensbedingungen zurück, denen Flüchtlinge, Asylbewerber und Menschen ohne Papiere in Deutschland ausgesetzt sind. Das Problem, sagt Elke Schmidt, seien nicht nur die restriktiven Rahmenbedingungen, die durch die bundesdeutschen Asylgesetze vorgegeben werden: „Es sind auch die Mitarbeiter der Ämter, der Polizei und der Abschiebegefängnisse, die oft mit Allmachtsgebaren, Willkür, Schikanen, Rechtsbruch und purer Gewalt gegen die Schutzsuchenden vorgehen.“ Für die Erstellung der Dokumentation wertet die Gruppe Presseartikel, Polizeiberichte und Informationen von Flüchtlingshilfsorganisationen aus. Alle Meldungen werden gegenrecherchiert und erst veröffentlicht, wenn sie von zwei unabhängigen Quellen bestätigt werden. Elke Schmidt hat das Projekt 1993 mit einer Mitstreiterin gestartet, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt hatte. Sie forschten nach und fanden heraus, dass er mit acht anderen tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken war. Mit einem Filmteam machte die ARI damals den Tod in der Neiße öffentlich. Seitdem sammelt das kleine Team Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt, die in direktem Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik stehen. Noch so ein Fall: Am 20. Januar 2014 stoppt die griechische Küstenwache einen Fischkutter. Darin sitzen 27 Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien. Einige wollen zu Verwandten nach Deutschland. Die griechische Küstenwache versucht den Fischkutter zurück auf türkisches Territorium zu drängen und nimmt ihn ins Schlepptau. In der stürmischen See reißt das Seil, der Kutter sinkt. Drei Frauen und acht Kinder sterben. Die Überlebenden mussten über Monate mit Hilfe von Pro Asyl darum kämpfen, dass sie bei Verwandten in Deutschland leben können. Auch darüber informiert die Dokumentation, die in Zeiten von Pegida und der erneuten Verschärfung der Asylgesetzgebung noch immer so wichtig ist wie vor über zwei Jahrzehnten. Dabei ist der größte Wunsch der Herausgeber, Zustände zu schaffen, in denen ihre Dokumentation endlich überflüssig wird.
S. 14
Peter Nowak