Der Citec auf die Pelle rücken

MieterInnnen aus Berliner Citec-Häuser wollen künftig zusammenarbeiten.

Einschüchterungen von MieterInnen, fehlende Transparenz, Verdacht auf Baubetrug, die Liste der Vorwürfe ist lang, die Berliner MieterInnen am 19. Februar zusammengetragen haben. Sie richten sich alle an den gleichen Eigentümer, die Citec Immo Invest GmbH mit Sitz in Berlin.
Bereits im Frühjahr letzten Jahres hatten sich erstmals berlinweit Mieter/innen aus Citec-Häusern zum Austausch getroffen. Dort hatte man ein  erneutes Treffen in diesem Jahr vereinbart. BewohnerInnen der Friedelstraße 54 haben die Einladung jetzt übernommen. Sie wehren sich seit mehr als einen Jahr gegen die von der Citec angekündigte energetische Modernisierung und die damit verbundenen Mieterhöhungen. Zum 30.April wurde dem Stadtteilladen f54 in dem Haus gekündigt.In diesem Räumen fand nun das Treffen mit Mieter/innen aus 7 Citec-Häusern statt. Sie kamen aus den Stadtteilen Neukölln, Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg.
Angst vor Kündigung ist groß

Schnell stellte sich heraus, dass die energetische Modernisierung und die damit verbundenen  Mieterhöhungen die zentralen Probleme in den Citec-Häusern sind So bezweifeln MieterInnen aus mehreren Häusern die Angaben der Citec, dass mehr als 10 %  der Hausfassade schadhaft sind. Dieser Prozentsatz ist für die Eigentümer wichtig Denn Häuser, deren Fassade mehr als 10 % beschädigt ist, müssen laut Gesetzgeber modernisiert werden. Die MieterInnen können in einem solchen Fall keine finanziellen Härtefälle geltend machen. Stutzig wurden die MieterInnen, dass das auf sämtliche Citec-Häuser zutreffen soll. Darunter sind auch Gebäude, deren Fassade erst vor einigen Jahren vollständig renoviert wurde. Deutlich wurde aber auch, dass es sehr schwierig für die MieterInnen ist, hier einen Baubetrug nachzuweisen, weil ihnen der Einblick in die Unterlagen verweigert wird und sie auch von der Justiz dabei keine  Unterstützung bekommen. Eine Klage auf Einsicht in die Unterlagen wurde abgelehnt. Andere Mieter/innen, die gegen eine hohe Mieterhöhung kämpfen, haben sich unter Druck bereiterklärt, diese unter Vorbehalt zu zahlen. Vorher hatten sie nur die Miete in der ursprünglichen Höhe bezahlt. Weil sie dann aber schnell mit mehr als einer Monatsmiete in Verzug gekommen wären, wollten sie keinen Kündigungsgrund liefern und zahlten unter Vorbehalt. Es stellt sich auch heraus, dass einige Mierter/innen eine  Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hatten, aber nicht Mitglied einer MieterInnenorganisation sind. Die Bewohner/innen der Friedelstraße warben noch einmal für einen Eintritt in die Berliner Mietergemeinschaft und wiesen darauf hin, dass es ihnen dabei nicht nur um den Rechtsschutz sondern auch um die Mitgliedschaft in ein Organisation geht, die politische Forderungen im Interesse der Mieter/innen stellt. Die anschließende Diskussion zeigte, dass das Vernetzungstreffen, aber auch die oft schon monatelangen Auseinandersetzungen mit der Citec in den einzelnen Häusern, bei den betroffenen MieterInnen die Bereitschaft zur Organisierung erhöht haben.

Der Citec auf die Pelle rücken

In den nächsten Wochen stehen weitere gemeinsame Aktionen der Citec-MieterInnen an. Dazu gehört eine Busfahrt von Berlin nach Wien am 18./19. März. Dort soll vor der Citec-Zentrale protestiert werden Die Aktion wird auch von österreichischen Gruppierungen unterstützt. „Wir wollen in Wien deutlich machen, dass wir keine Mietzahlungsautomaten sind“, begründete eine Mieterin die Fahrt nach Wien. Die Friedelstraße 54 organisiert im Rahmen der Reihe „Logik der Verdrängung  – Logik des Kapitals“ an  unterschiedlichen Orten Veranstaltungen zum Thema „Wohnen und Widerstand“. Am 24. 2. Februar liest Margit Englert  Auszüge aus dem von ihr herausgebenden Buch „Rosemarie F. – Kein Skandal“, als Exempel für die ganz normale aber in der Konsequenz tödliche Logik des Kapitals auf dem Wohnungsmarkt.  Die  weiteren Termine der Veranstaltungsreihe finden sich hier:
nouvelledune.blogsport.de/2016/01/25/veranstaltungsreihe-logik-der-verdraengung-logik-des-kapitals/

MieterEcho oline 23.02.2016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/citec.html

Peter Nowak

Verschwörungstheorien über Beeinflussung Deutschlands durch Russland?

Der neu-alte Buhmann Russland muss für die Entstehung des Rechtspopulismus herhalten

Das Kanzleramt soll BND und Verfassungsschutz mit der Untersuchung beauftragt haben, ob die russischen Geheimdienste über russische Medien Deutschland destabilisieren wollen (Kanzleramt will Aufklärung über mögliche russische Medienkampagne[1]).

Wie würde man jemand bezeichnen, der behauptet, dass die USA gezielt Einfluss auf den politischen Diskurs in Deutschland mit dem Ziel nehmen, die Souveränität des Landes zu unterminieren? Rechtsoffen mit Hang zur Verschwörungstheorie. So kann man tatsächlich einen großen Teil des politischen Umfelds klassifizieren, das sich zwischen Pegida, Friedenswinter und großen Teilen der AfD tummelt.

Dabei geht es gar nicht darum, darüber zu streiten, ob die USA Einfluss auf die politische Debatte nehmen. Natürlich versuchen verschiedene Fraktionen, Stiftungen oder Thinkthanks der USA auch auf die politischen Diskurse in Deutschland Einfluss zu nehmen wie umgekehrt auch. Es sind zwei wichtige Staaten mit unterschiedlichen Interessen – und es ist eigentlich selbstverständlich, dass diese Interessen auch in die politische Debatte in Deutschland einfließen und dass es dabei auch Politiker, Publizisten und andere Meinungsführer gibt, die daran mehr beteiligt sind als andere.

Selbstverständlich ist es legitim, sich damit auch kritisch auseinanderzusetzen. Antiamerikanische Züge bekommt eine solche Debatte dann, wenn es als etwas besonders Verwerfliches dargestellt wird, dass unterschiedliche Akteure aus den USA mit ihrer Sichtweise in die deutsche Debatte eingreifen, verschwörungstheoretische Züge bekommt der Diskurs, wenn unterstellt wird, es gebe eine generelle Instanz, die die Einflussnahme steuere und politische Entscheidungen damit erzeuge.

Nach rechts offen sind solche Diskurselemente, weil schnell die deutsche Souveränität aufgerufen wird, die angeblich bedroht oder gar nicht gegeben sei. Ganz rechtsaußen wird dann die Reeducation angeführt und dann wird endgültig klar, dass manche den USA noch immer nicht ihren verziehen haben, dass sie den NS besiegten.

Verschwörungstheorien auch über Russlands Macht und Einfluss

Nun gibt es aber auch in anderen Teilen des politischen Spektrums, das sich selber mit Tributen wie aufgeklärt, westlich etc. beschreibt, ein Lamento über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Deutschland durch die russische Politik, das ähnliche verschwörungstheoretische Elemente enthält. Auch hier gilt es vorauszuschicken, dass es nicht mein Ziel  ist, darüber zu rechten, wo und ob es diese Einflussversuche gegeben hat und gibt. Ich gehe davon aus, dass verschiedene russische Akteure versuchen, auch in Deutschland ihre Interessen zu vertreten. Genauso wie im Fall der USA finde ich das weder besonders schlimm, ebenso wenig wie die kritische Diskussion darum.

Genauso wie im Fall der USA gibt es aber auch hier verschwörungstheoretische Elemente. Als Beispiel soll ein Interview[2] der Grünen-Politikerin Marieluise Beck im Deutschlandfunk herangezogen, in dem sie nicht von der offensichtlichen Beeinflussungsversuchen der politischen Diskurse auch durch russische Akteure ausgeht, sondern von einer gezielten Beeinflussung zur „Zerstörung des Glaubens in die Demokratie“. Prompt wird die Verantwortung von Wahlmündigkeit, dem Anwachsen rechter und rechtspopulistischer Strömungen wieder nach Außen verlegt.

So soll es für das Anwachsen der AfD oder für zunehmende rechte Gewalt nicht etwa Gründe in der Verfasstheit dieses Landes geben, sondern diese werden ins Ausland delegiert. Der Russe ist wieder einmal schuld. Auch hier wird durchaus an alte Ressentiments angeknüpft. Natürlich hat man vielerorts in Deutschland, dem Russen, wie die Rote Armee noch immer genannt wurde, nicht verziehen, dass er den NS besiegt und Auschwitz befreit hatte. Während des Kalten Krieges konnte man die nur notdürftig aktualisierten NS-Feindbilder in Bezug auf die Sowjetunion schnell wieder einsetzen.

Nicht wenige haben gedacht, damit wäre es nach 1989 und dem Sieg des Westens im Systemwettlauf endgültig Schluss. Sie haben sich getäuscht. Je mehr sich zeigte, dass Russland sich nicht einfach zum Hinterhof der Deutsch-EU degradieren lässt, desto lauter wurden von bestimmten Fraktionen in den Staatsapparaten die Klage über die „hybride Kriegsführung“ Russlands, wie sich auch Marieluise Beck ausdrückt.

Dabei wird schnell deutlich, auf welch dünnem Eis sich Beck damit bewegt. So erklärt sie erst auf die Frage nach den Beweisen für ihre These von der gezielten russischen Beeinflussung der öffentlichen Meinung: „Es gibt leider keine.“ Schnell hat sie gemerkt, dass damit ihre ganze Klage an Glaubwürdigkeit verliert, weshalb sie nachschiebt: „Ja doch! Es gibt inzwischen ganz klare Belege.“ Die Interviewpartner gingen auf diese Widersprüche nicht weiter ein. Dabei wird doch hier offensichtlich, dass mit dem Feindbild Russland, das hier das Feindbild Sowjetunion ablöst, gezielt Politik gemacht wird.

Wie nimmt Deutschland Einfluss auf die öffentliche Meinung anderer Länder?

Dabei wird nicht die Frage gestellt, wie deutsche Politiker und Journalisten Einfluss auf die Politik anderer Länder nahmen und nehmen. Während des Kalten Krieges war allgemein bekannt, dass Sender wie Radio Free Liberty auch vom Territorium der BRD aus in den Ostblock hinein strahlten und massiv Einfluss auf die innenpolitische Entwicklung in diesen Ländern nahmen.

Besonders intervenierte man natürlich in der DDR. Das setzte sich aber nach der Maueröffnung fort. Damals hatten die aus dem Aufstand gegen das autoritäre SED-Regime entstandenen Runde Tische, die mehrheitlich nicht die Wiedervereinigung, sondern eine eigenständige basisdemokratische DDR zum Ziel hatten, jede Einmischung von BRD-Parteien und Institutionen in die Wahlen im März 1990 untersagt. Alle BRD-Parteien ignorierten diese Verfügung ostentativ und fanden es nicht mal nötig, eine Begründung dafür zu geben. Im Denken der BRD-Verantwortlichen war die DDR immer nur der sowjetisch besetzte Teil Deutschlands, der schnell heimgeholt wurde. Dass man damit auch gleich die vorher noch gelobte DDR-Opposition brüskierte, nahm man gerne in Kauf.

Aber auch in andere, vor allem osteuropäische Länder nahm Deutschland nach 1990 massiv Einfluss. Die Linie zieht sich vom von deutschen Politikern wesentlich vorangetriebenen Zerfall Jugoslawiens bis zum letzten Umsturz in der Ukraine. Der damalige Außenminister Guido Westerwelle ließ es sich nehmen, persönlich am Maidan in Kiew aufzutauchen. Im Schlepptau hatte er Vitali Klitschko, der in Deutschland für seine Politikerrolle in Kiew vorbereitet wurde. Spätestens da war klar, dass Deutschland nun auch in Gebieten aktiv wurde, die Russland als seinen Einflussbereich betrachtete. Der Verlauf der Entwicklung ist bekannt.

Es ist unbestritten, dass auch Russland ähnliche Einflussstrategien gegenüber Deutschland und anderen Ländern einsetzt. Allerdings hat man noch keinen russischen Außenminister bei einer Pegida-Demonstration in Dresden gesehen, der dem Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer als künftigen Bundeskanzler anpreist. Das bedeutet aber, dass alle die, sich jetzt so über russische Einflussstrategien in Deutschland empören und sogar nach dem Verfassungsschutz rufen, aber von den eigenen Einflussstrategien in andere Länder nicht wissen wollen, wieder einmal Deutschland als Opfer Russlands imaginieren. Sie ähneln durchaus den Kreisen, die immer besonders laut und mit Verve Abhöraffären und Menschenrechtsverletzungen in den USA anprangern, über ähnliche Vorfälle in den EU-Ländern und besonders in Deutschland aber schweigen.

Rechtspopulismus von Russland importiert?

In letzter Zeit mehren sich in liberalen Kreisen die Stimmen derer, die Putin-Russland für das Anwachsen von Rechtspopulismus in Deutschland verantwortlich machen. Der wahre Kern an den Vorwürfen besteht darin, dass Teile der russischen Staatsapparate tatsächlich auch verschiedene rechte Gruppen und Parteien Westeuropas unterstützten.

Es sind vor allem die, die sich für ein Eurasien, also ein Bündnis zwischen Westeuropa und Russland aussprechen und dabei die USA aussparen wollen. Hier gibt es Übereinstimmungen zwischen rechten Gruppen in Russland und verschiedenen Ländern Westeuropas. Auch deutsche Rechte beteiligen sich daran, darunter ein starker Flügel innerhalb der AfD. Doch Russland hat diese Bewegungen weder geschaffen, noch steuert es sie. Die Gründe für ihre Entstehung liegen in der deutschen Gesellschaft.

Teile des deutschen Bürgertums rücken nach rechts, die herrschende Austeritätspolitik verschärft die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Hier liegen die Gründen für das Entstehen von Rechtspopulismus. Statt nun aber die Verantwortung in der deutschen Gesellschaft zu suchen und über Veränderungen zu diskutieren, sucht man die Ursache im Ausland. So soll der Antisemitismus aus den arabischen Ländern wie der Rechtspopulismus aus Russland exportiert worden sein und gefällt sich die deutsche Gesellschaft gefällt sich wieder einmal in der Rolle des Opfers.

Auch in dem Buch „Gefährliche Bürger – Die Neue Rechte greift nach der Mitte[3], das kürzlich im Hanser-Verlag erschienen ist, wird diese Strategie erkennbar. Die Herausgeber, das CDU-Mitglied Liane Bednarz und das FDP-Mitglied Christoph Geisa, beschreiben sehr detailliert den Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft seit dem Erfolg von Thilo Sarrazin. Doch nicht Geflüchtete, Linke und gesellschaftliche Minderheiten sind für Geisa und Bednarz das Ziel der Rechten, am Ende steht Russland als angeblicher Förderer dieser Entwicklung am Pranger.

Das Buch reiht sich so in einen Streit innerhalb des deutschen Machtblocks. Pro-Atlantiker, die weiter das Bündnis mit den USA suchen, stehen gegen Kräfte gegenüber, die mit Russland einen Ausgleich oder ein Bündnis suchen. Die gegenwärtige Diskussion um die russischen Einflussstrategien ist Teil des Machtkampfes unter den Eliten. Nebenbei wird auch die deutsche Geschichte entsorgt. Denn wenn Russland als wahre Ursache rechter Bewegungen gebrandmarkt wird, kann man gerne vergessen, welches Land die meisten Opfer im Kampf gegen den deutschen Nationalsozialismus gebracht hat. Vom Jubelschrei „Die Russen kommen“ der letzten Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz, als sie die ersten Soldaten der Roten Armee sahen, hat die große Mehrheit in Deutschland sowieso nie etwas hören wollen. „Die Russen kommen“ war immer mit der Erzählung vom deutschen Leid verbunden, als die Nazis nicht mehr siegten. Auch so kann man deutsche Geschichte entsorgen.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47469/3.html

Peter Nowak

Merkels Regierungserklärung: Abgrenzungs- statt Willkommenskultur

Verteilung der Migranten innerhalb der EU ist aufgrund der Xenophobie und der Ablehnung der deutschen Hegemonie in der EU-Politik gescheitert

„Wir schaffen das.“ Mit diesen drei Worten wurde Bundeskanzlerin im letzten Jahr berühmt und bekam viel Sympathie im grünen und linksliberalen Milieu. Dabei reagierte sie nur auf die Menschen, die einfach keine Grenzen mehr kennen wollten auf dem Weg nach Kern-Europa. In ihrer Regierungserklärung[1] am 17. Februar wiederholte sie diese drei Worte nicht mehr. Denn nun hat sie klar ausgeführt, was sie nun schaffen will: die Zahl der Migranten begrenzen.

Von Willkommenskultur ist keine Rede mehr. Dass der Begriff oft ein Nebelvorhang war, hinter dem beispielsweise ohne großes öffentliches Interesse Roma, die teilweise seit Jahrzehnten in Deutschland lebten, samt ihren in Deutschland geborenen Kinder in von der Bundesregierung für sicher erklärte Herkunftsländer abgeschoben wurden, wurde selten erwähnt. Nun braucht es keine beschwichtigende Rhetorik mehr, wenn es darum geht, deutlich zu machen, dass die Einwanderung begrenzt werden muss.

„Unser gemeinsames Ziel ist es, die Zahl der Flüchtlinge spürbar und nachhaltig zu reduzieren, um so auch weiter den Menschen helfen zu können, die unseres Schutzes bedürfen“, war ein zentraler Satz in Merkels Regierungserklärung. Nur wer die Flüchtlinge sind, die Schutz bedürfen, kann sich nach politischen Konjunkturen sehr schnell ändern. Wer keines Schutzes bedarf, sondern nur ein besseres Leben in Deutschland erhofft, ist hier schon gar nicht gemeint.

Dabei benannte Merkel drei Maßnahmen zur Flüchtlingsbegrenzung, die nun wahrlich nicht neu sind. Es sollen die Fluchtursachen bekämpft, die Außengrenzen der EU wiederhergestellt und die Verteilung der Migranten innerhalb der EU geregelt werden.

Aufteilung von Menschen auf die EU gescheitert

Der letzte Punkt war in den letzten Monaten das zentrale Anliegen Merkels, bei dem sie klar gescheitert ist, was sie auch in der Regierungserklärung einräumte. Die Umverteilung sei nicht einmal ansatzweise gelungen. Die Gründe bei den Verweigererländern liegen auf der Hand. Sowohl das rechtspopulistisch regierte Ungarn als auch das nationalkonservativ regierte Polen oder die Slowakei mit einer sozialdemokratischen Regierung wollen keine Migranten aufnehmen und schon gar keine Mohammedaner.

Die Gründe sind sicher eine Melange aus Rassismus, Xenophobie, aber auch eine Weigerung, sich von dem in der EU lange Zeit übermächtigem Deutschland Aufnahmequoten diktieren zu lassen. Dabei wird aber ein wichtiger Aspekt in der Debatte in Deutschland oft vergessen. Die Migranten wollen in ihrer übergroßen Mehrheit auch gar nicht in diese Länder. Sie erhoffen sich ein besseres Leben nicht in Ungarn oder der Slowakei. Der Lebensstandard dieser Länder ist wesentlich niedriger als in Kern-Europa. Viele Beschäftigte dieser Länder arbeiten in Österreich oder Süddeutschland.

So ist das vorläufige Scheitern der sogenannten Paketlösung eine Niederlage der deutschen Regierung, aber auch ein Erfolg für die Migranten. Es ist schon paradox, dass in Zeiten der Willkommenskultur kein Aufschrei dagegen erfolgte, die Menschen wie Pakete hin und her zu schieben. Deutschland ist nun als Zielort nicht so beliebt wegen der Kultur oder des Reinheitsgehalts des deutschen Bieres, sondern weil es innerhalb der EU ökonomisch dominiert. Daher ist es nur verständlich, wenn die Einwanderer nicht in den deutschen Hinterhof wollen, sondern direkt ins Kernland.

Kampf um den EU-türkischen Ansatz

Nun will sich die Bundesregierung darauf konzentrieren, die EU-Außengrenzen zusammen mit der Türkei zu sichern. Merkel sprach davon, dass es auf dem EU-Gipfel, der morgen beginnt, darum gehen soll. Sie stellte die beiden alternativen Wege zur Flüchtlingsbegrenzung deutlich heraus und machte damit, anders als manche linke Merkel-Versteher, erfreulich deutlich, dass es nicht um Flüchtlingsrechte geht.

Merkel stellte den mazedonisch-griechischen Weg dem europäisch-türkischen Weg gegenüber. Für letzteren wolle sie auf dem EU-Gipfel kämpfen. Der Unterschied besteht darin, dass beim ersten Weg die Grenze innerhalb, beim anderen jedoch außerhalb des Schengenraums aufgebaut würde. Für die betroffenen Migranten sind beide Alternativen schlecht. Nur bietet eine Grenze innerhalb des Schengenraums mehr Druckmöglichkeiten. Schließlich könnten Geflüchtete, die in Griechenland stranden, auf die Unterstützung einer dort sehr ausgeprägten Zivilgesellschaft setzen.

Es gab und gibt in mehreren griechischen Landesteilen, an denen Migranten ankommen, europäische Netzwerke, die Geflüchtete unterstützen. So könnte der Druck auf das restliche Europa schnell wachsen, die Grenzen wieder aufzumachen. Werden die Sperren aber an die türkische Grenze verlegt, ist eine solche Unterstützung aus geografischen und politischen Gründen viel schwieriger. Wichtig ist, dass die Geflüchteten außerhalb des Schengenraums blieben und die türkische Herrschaft schon mittels Polizei und Justiz mögliche Gegenaktivitäten kleinhalten würde.

Aufwertung der „personifizierte Fluchtursache“ Erdogan

Vor allem Redner der Opposition haben darauf hingewiesen, dass ausgerechnet die Türkei eine Schlüsselrolle bei der Flüchtlingsabwehr einnehmen soll. Es ist dasselbe Land, das gerade in Kurdistan mit Militär gegen eine widerständige Bevölkerung vorgeht und in Syrien gegen den Willen von Russland und den USA Stellungen der gegen den IS kämpfenden kurdischen Nationalbewegung bombardiert.

Die Rednerin der Linkspartei Sahra Wagenknecht nannte den türkischen Präsidenten eine „personifizierte Fluchtursache“. Ähnliche Formulierungen haben in den letzten Monaten bereits Politiker der Grünen verwendet[2].

Merkels Plan zur Flüchtlingsabwehr ist auf Zeitgewinn ausgelegt. Eine politisch durchdachte Strategie ist nicht zu erkennen und wahrscheinlich auch gar nicht möglich. Es ist schon ein Widerspruch, einerseits die Bekämpfung der Fluchtursachen als Ziel zu fordern, um dann mit der türkischen Regierung zu kooperieren, die in Kurdistan und Syrien massiv Menschen in die Flucht treibt.

Erstaunlich ist, wie in manchen Medien Merkels Auftritt kommentiert wird. So titelt der Focus „Merkel erteilt Flüchtlingskontingenten vorerst Absage“[3]. Damit wird suggeriert, dass die Regierung eine von außen herangetragene Forderung ablehnen würde. Dabei wäre die richtige Überschrift: „Merkel ist mit Forderung nach Flüchtlingskontingenten gescheitert.“

Derweil schafft Österreich, das immer noch zur ominösen Koalition der Willigen gehören soll, die Merkels Politik unterstützen, vor dem EU-Gipfel Fakten[4]. Es sollen Tageskontingente eingeführt werden, 3.200 Menschen sollen täglich einreisen dürfen und 80 Asylanträge angenommen werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47441/2.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

http://dbtg.tv/fvid/6561444

[1]

https://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Artikel/2016/02/2016-02-17-regierungserklaerung-merkel.html

[2]

http://www.focus.de/fotos/fuer-cem-oezdemir-ist-erdogan-eine-personifizierte-fluchtursache_id_5021758.html

[3]

http://www.focus.de/politik/deutschland/regierungserklaerung-und-debatte-im-live-ticker-kurz-vor-eu-gipfel-jetzt-verteidigt-merkel-ihre-fluechtlingspolitik-im-bundestag_id_5290816.html

[4]

http://derstandard.at/2000031313807/Mikl-Leitner-Nur-mehr-80-Asylwerber-pro-Tag

[5] http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_26.htm

Die Entsolidarisierung in der EU schreitet voran

Deutscher Außenminister besucht zwei „Kopf ab-Diktaturen“

Freiburger Nachtleben: Kein Zutritt für Geflüchtete

Zutrittsverbote für Flüchtlinge in Clubs oder Bars und Schwimmbädern bedienen angesichts der gegenwärtigen Stimmung eine Stigmatisierung. Angebrachter wäre es, Verhaltensregeln besser zu vermitteln

Freiburg hat den Ruf, eine liberale Ökoprovinzstadt zu sein. Ausgerechnet dort haben Geflüchtete in zahlreichen Diskotheken und Clubs keinen Zutritt mehr. Wie die Badische Zeitung berichtete [1], habe es „Zwischenfälle, darunter sexuelle Übergriffe auf Besucherinnen“ gegeben. Angezeigt wurden die Vorfälle größtenteils nicht, so der Bericht. Die Polizei habe keine Zunahme der Straftaten in diesem Bereich festgestellt, heißt es dort.

(Ein Bericht der Freiburger Polizei, der hier zuvor irrtümlich erwähnt wurde, bezog sich auf einen anderen Vorfall [2] der sexxuellen Belästigung, außerhalb von Freiburg, begangen von einem „alkoholisierten Urlaubsgast“ in Feldberg/Schwarzwald).

[Link auf http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110970/3234088] [3]Der Genuss von Alkohol und anderer bei manchen Menschen aggressionshemmende Substanzen sind in allen Clubs und Diskotheken die Regel. Zudem sind die Berichte, über oft vergebliche Versuche, am Türsteher vorbeizukommen, nun wahrlich Legion. Schon immer spielte dabei auch die Hautfarbe und die Nationalität von Menschen inoffiziell eine Rolle.

In den letzten Jahren mussten Clubs öfter Strafe zahlen, wenn sie Menschen auf Grund ihres nichtdeutschen Aussehens den Eintritt in die Räumlichkeiten verwehrten [4]. 2011 hat ein dunkelhäutiger Mann Schadenersatz bekommen, weil er nicht in eine Disko gelassen [5] wurde. Die Richter waren „überzeugt, dass ihm der Eintritt verwehrt wurde, weil männliche Ausländer nicht erwünscht waren“.

Harte Linie gegen Flüchtlinge

Eigentlich könnte man erwarten, dass der grüne Oberbürgermeister von Freiburg, Dieter Salomon, auf das Diskriminierungsverbot verweist und alles unternehmen wird, um es durchzusetzen. Doch längst hat der Rechtspopulismus zu einem Erodieren dieser egalitären Grundsätze beigetragen. So werden in vielen Medien Geflüchtete pauschal zu Vergewaltigern gestempelt. Gewalt gegen Frauen und sexistische Anmache waren in Deutschland wohl nicht unbekannt. Nur will sich jetzt plötzlich niemand mehr erinnern, dass es immer wieder Probleme mit alkoholisierten Männern gab und gibt.

Vielleicht hätte Bürgermeister Salomon Einführungskurse anregen können, in denen Geflüchtete über die Problematik alkoholhaltiger Getränke informiert werden. Denn es mag tatsächlich so sein, das viele junge Menschen aus arabischen Staaten kultur- und religionsbedingt wenig Erfahrung mit dem Konsum von solchen Getränken haben und die Konsequenzen nicht kennen. Dann müssten aber die Rechtspopulisten zugeben, dass der von ihnen für alles Böse verantwortlich gemachte Islam an betrunkenen, aggressiven Männern nicht schuld sein kann.

Im Gegenteil können es die Erfahrungen einer Befreiung aus einer religiös reglementierten Welt sein, die auch Nebenfolgen hat, mit denen die Menschen umgehen lernen, wie es Menschen aus unseren Breiten ja auch müssen. Doch davon fällt bei Salomon kein Wort, denn dann würde er in den Fokus der Populisten geraten. So kündigt [6] der grüne Oberbürgermeister brav eine harte Linie gegen „kriminelle Flüchtlinge“ an. Damit trägt er mit zur Stigmatisierung bei. Schließlich ist die Herkunft und Nationalität von aggressiven Betrunkenen rechtlich völlig gleichgültig.

Bäderverbot nach wenigen Tagen aufgehoben

Schon zuvor hatte ein Bäderverbot für männliche Flüchtlinge im hessischen Bornheim für Diskussionen gesorgt. Nach wenigen Tagen wurde es wieder aufgehoben, wohl auch weil zahlreiche Rechtsaußengruppierungen der Stadt Bornheim ihre Zustimmung zukommen ließen. In der Zwischenzeit wurden Geflüchteten die Regeln in deutschen Bädern vermittelt.

Der Grund für das zeitweise Badeverbot waren Beschwerden von Besucherinnen über Belästigungen der unterschiedlichsten Art. Auch hier soll daran erinnert werden, dass das aggressive Verhalten vor allem männlicher Jugendlicher meist in Freibädern seit Jahren ein großes Thema ist. Auch hier geht es also nicht primär um die Herkunft.

Zudem sollten sich historisch interessierte Menschen sich daran erinnern, dass schon lange vor der NS-Zeiten den berühmten deutschen Nord- und Ostseebädern Juden der Zutritt verboten [7] war. Es gab sogar Postkarten, auf denen sich angesehene Kurbäder schon lange vor 1933 judenfrei erklärten. Das macht deutlich, dass solche Ausgrenzungen am Beginn für weitere Stigmatisierungen stehen können .

In Großbritannien ist die Sensibilisierung wohl größer als in Deutschland. Dort sorgten rote Armbänder, die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften den Bewohnern gaben, angeblich um die Essensausgabe besser zu regeln, für Angriffe von Rassisten, aber auch für Empörung bei der Zivilgesellschaft [8] und einer Debatte im Londoner Unterhaus [9].

http://www.heise.de/tp/news/Freiburger-Nachtleben-Kein-Zutritt-fuer-Gefluechtete-3084059.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.badische-zeitung.de/freiburg/kein-zutritt-mehr-fuer-fluechtlinge-in-freiburgs-clubs-und-diskotheken–116454714.html

[2]

http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110970/3234088

[3]

http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110970/3234088

[4]

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/diskriminierung-disco-muss-1000-euro-schmerzensgeld-zahlen-a-916803.html

[5]

http://www.taz.de/!5105520/

[6]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/dieter-salomon-freiburgs-buergermeister-fordert-harte-linie-a-1073645.html

[7]

http://www.his-online.de/fileadmin/verlag/leseproben/0000042001.pdf

[8]

http://www.welshrefugeecouncil.org/news/25012016-1244/statement-on-red-wristbands

Unterschiediche Methoden der Flüchtlingsbegrenzung

Abschiebung in die Fremde

Nachdem die Balkan-Länder zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt worden sind, werden nun massenhaft Roma dorthin abgeschoben. Viele Jüngere kennen die Länder nicht einmal, weil sie in Deutschland geboren wurden. Auf dem Balkan droht ihnen Diskriminierung.

Bis Mitte Dezember führten Gzim und Ramiz Berisha das Leben ganz normaler Teenager in Hannover. Sie gingen zur Schule und engagierten sich in der Freizeit in der Roma-Selbstorganisation »Amaro Drom«. Doch der 16. Dezember sollte ihr Leben grundlegend ändern. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15jährigen Schüler mit ihren Familien abgeschoben. Es waren zwei von insgesamt 125 Menschen, die allein an diesem Tag aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert wurden. Darunter waren viele Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden. Sie haben von Anfang an die deutsche Sprache gelernt und erfüllten damit die Voraussetzung, die hierzulande von Politik und Öffentlichkeit an eine gelungene Integration gestellt wird. Wobei diese Forderung bei in Deutschland Geborenen wie Gzim und Ramiz Berisha ohnehin fragwürdig ist, die ja auf die dummdeutsche Frage, woher sie kommen, wahrheitsgemäß nur angeben können: Aus Deutschland.

Dass die Berishas jetzt in ein ihnen völlig fremdes Land deportiert wurden, ist die Folge einer Regelung, die vor einigen Monaten für eine kurze Zeit für Debatten sorgte. Damals wurden die Balkan-Länder Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo, Albanien und Mazedonien zu »sicheren Herkunftsländern« erklärt. Bei den Grünen gab es deswegen einige innerparteiliche Auseinandersetzungen. Die Parteibasis war wohl mehrheitlich dagegen, weil bekannt ist, dass in diesen Ländern Roma noch immer auf verschiedenen Ebenen diskriminiert werden. Doch im Bundesrat stimmte der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, für diese Regelung. Bei ihrer Klausur im neuen Jahr haben sich die Grünen dafür nachträglich selbst gerühmt. Damit habe man in der Öffentlichkeit das Signal ausgesendet, dass man auch zu Abschiebungen bereit sei, lobte die FAZ.

Nachdem die Regelung den Bundesrat passiert hatte, konnte in allen Bundesländern die Abschiebemaschinerie anrollen. Allein in drei fränkischen Regierungsbezirken Bayerns erhielten nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrates Ende November 800 Geflüchtete vom Balkan die Aufforderung, sich in einer Kaserne in Bamberg einzufinden, von wo sie abgeschoben wurden. Auch ein junger Mann, der als Epileptiker auf ärztliche Versorgung angewiesen ist, war davon betroffen. In Nordrhein-Westfalen sitzt der Rapper Hikmet Prizreni alias Prince-H seit Oktober in Abschiebehaft. In den vergangenen Monaten hat er sich künstlerisch für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt. Während des Roma-Tages am 8. April 2015 trat er vor dem Brandenburger Tor in Berlin auf. Weil er wegen eines Drogendelikts zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, soll der Künstler das Land verlassen, in dem er seit 27 Jahren lebt.

Die Öffentlichkeit reagiert auf die Massenabschiebungen kaum. Schließlich liegt der Fokus seit einigen Monaten auf der angeblich einmaligen deutschen Willkommenskultur. Während damit von Grünen ein neuer Patriotismus ausgerufen wurde, werden Menschen, die oder deren Eltern vor zwei Jahrzehnten aus den Balkanländern geflohen waren, weggeschoben wie ein lästiges Möbelstück. Hier wird eine klare Hierarchie unter Geflüchteten aufgebaut. Die Pressesprecherin von »Amaro Drom«, Anita Burchardt, bringt den Zynismus der deutschen Flüchtlingspolitik auf den Punkt: »Sie sind abgeschoben worden mit der Begründung, dass Deutschland Platz schaffen muss. Deutschland muss Platz schaffen, indem Menschen, die geduldet sind, abgeschoben werden in die Länder, welche von der Bundesregierung als ›sichere Herkunftsländer‹ eingestuft worden sind.«

Das Schicksal von Gzim und Ramiz Berisha wurde im Gegensatz zu vielen faktisch Namenlosen bekannt, weil die beiden Teenager sich in der Roma-Selbstorganisation engagiert hatten. Die versucht nun, die Teenager und ihre Eltern zurückzuholen, und hat eine Online-Petition gestartet. »Gzim und Ramiz Berisha wurden in ein Land abgeschoben, das sie noch nie zuvor gesehen haben – den Kosovo«, heißt es in der Begründung. Man wolle es nicht akzeptieren, dass in Deutschland aufgewachsene Jugendliche einfach aus ihrem Zuhause weggerissen und irgendwohin geschickt werden.

Lediglich glücklichen Zufällen ist es geschuldet, dass die im Kosovo geborene Nizaqete Bislimi nicht abgeschoben wurde. Wegen eines Formfehlers der zuständigen Ausländerbehörde konnte sie mit ihren Eltern und Geschwistern in Deutschland bleiben. Heute ist sie Anwältin und engagiert sich für die Rechte von Geflüchteten. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland beklagte sie die Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge: »Eine Mandantin vom Balkan berichtet, sie bekomme keine Beratung in der Gemeinschaftsunterkunft, weil man dort annehme, sie müsse ohnehin in Kürze ausreisen. Lieber wolle man den syrischen Flüchtlingen helfen.« Bislimi hält es nicht für unwahrscheinlich, dass diese Politik dazu führen könne, dass syrische Geflüchtete Roma aus den Balkan-Staaten vorwerfen, dass sie ihnen den Platz in Deutschland wegnähmen, wenn sie nicht freiwillig ausreisten.

Die Abschiebung von in Deutschland geborenen Menschen in »sichere Herkunftsländer«, aus denen sie gar nicht kommen, ist natürlich auch eine Drohung an Neuankömmlinge. Ihnen wird so mitgeteilt, dass der Staat sie ein- und aussortiert und nicht nur darüber entscheidet, wann sie zu verschwinden haben. Staatliche Instanzen entscheiden auch über das Leben von in Deutschland geborenen Kindern

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53306.html

Peter Nowak

Druck auf Merkel in der Flüchtlingsfrage wächst

In der EU ist Merkel isoliert, in Österreich wird eine Großoffensive gegen Migranten geplant, die Linke steckt im Moralisieren fest

Vor einigen Wochen noch wurde Angela Merkel wieder einmal als große Siegerin in den Medien gefeiert. Schließlich wurde sie am CDU-Parteitag mit viel Applaus bedacht und ihre Kritiker in der Flüchtlingsfrage gaben sich mit Formelkompromissen zufrieden. Vor allem Grüne und Zivilgesellschafter, ja sogar Campino von den Toten Hosen[1] sehen in Merkel die große Flüchtlingsfreundin.

Dass damals schon Tausende Menschen aus den Balkanländern, darunter Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden, in ihre sogenannten sicheren Herkunftsländer abgeschoben wurden, ging dabei weitgehend unter. Die Willkommenskultur galt wohl nicht für Roma aus Kosovo. Doch der innerparteiliche Burgfrieden währte nur kurz. Schon wieder melden sich Unionspolitiker zu Wort, die gegen die Merkelsche Flüchtlingspolitik opponieren. Dieses Mal geht es nicht um die Obergrenze, sondern um die Durchsetzung des Dublin-Systems. Einer der Initiatoren dieser Bewegung, der Unionsabgeordnete Christian von Stetten[2], wird in der Zeit zitiert[3]: „Bei einer solch entscheidenden Frage muss sich die Fraktion eine Meinung bilden.“

Zeit Online zitiert aus dem Antrag, dass dort eine „verlässliche Sicherung der deutschen Staatsgrenzen“ gefordert werde, solange internationale Maßnahmen wie die Sicherung der EU-Außengrenze noch keine Wirkung zeigten: „Notwendig sei eine ‚vollständige grenzpolizeiliche Kontrolle und Registrierung aller nach Deutschland Einreisender‘. Diese Maßnahmen müssten auch auf die Grüne Grenze übertragen werden. „Zurückweisungen (…) sind zumindest bei denjenigen vorzunehmen, bei denen keine offenkundigen, zwingenden humanitären Gründe für eine Einreise sprechen“, heißt es weiter.

Dies treffe vor allem auf allein reisende junge Männer zu. Aber auch Menschen, denen eine Wiedereinreisesperre auferlegt wurde, bereits einen Folgeantrag gestellt haben oder bei der Feststellung ihrer Identität nicht mitwirken, soll die Einreise verweigert werden. Nun sind diese Forderungen nicht besonders spektakulär. Ein Großteil ist bereits heute Gesetz. Allerdings können oder wollen die Initiatoren die Frage nicht beantworten, woher beispielsweise das Personal kommen soll, dass nicht nur die offizielle, sondern auch die Grüne Grenze vollständig überwachen soll.

So scheint hinter den Antrag eher die Panik von Unionspolitikern zu liegen, die bei den nächsten Landtagswahlen eine empfindliche Schlappe der Union und den Aufstieg der AfD befürchten. Es sind nicht nur Unionspolitiker, die sich Sorgen machen. Wenn vor einigen Wochen SPD-Politiker Merkel gerügt haben, sie lasse es mit ihrer Politik zu, dass die Konservativen in der Union heimatlos werden, dann kommt dort natürlich die Angst zum Ausdruck, dass die Union der SPD die Wähler wegnimmt.

Wenn man wahrnimmt, wer sich in den letzten Wochen mehr oder weniger verschämt alles als Merkel-Fan geoutet hat, dann ist diese Befürchtung sicher nicht unberechtigt. Wenn dann in der Folge die Union allerdings noch mehr Wähler an die AFD verliert, stehen die sogenannten Parteien der Mitte vor einem Dilemma. Es könnte die Zeit kommen, wo sie selber zusammen in einem Landtag keine absolute Mehrheit mehr haben.

Machtmenschen wie der Merkel-Vorgänger Schröder nutzen nun gleich die Gelegenheit, um Merkel noch zu bescheinigen[4], in der Flüchtlingspolitik keinen Plan gehabt zu haben. Seine Kritik ist teilweise verständlich, wenn er die Weigerung der Union, ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden, kritisiert, was dazu führt, dass Migranten, die in Deutschland bessere Lebensbedingungen suchen, aber nicht politisch verfolgt werden, unter die Asylgesetzgebung gepresst werden, die für diese Menschen gar nicht passt. Wenn Schröder konsequente Abschiebung von straffälligen Migranten fordert, ohne auch nur mal die rechtliche Grundlage zu erörtern, betreibt er natürlich gnadenlosen Populismus.

Es ist aber weniger Merkel als vielmehr Sigmar Gabriel, der durch die Schröder-Attacken aufgeschreckt werden müsste. Vielleicht plant er doch noch mal eine Rückkehr in die Politik? Schließlich darf der Begriff vom Altkanzler nicht täuschen. Es gab Kanzler, die waren schon beim Amtsantritt älter als Schröder heute. Wenn sich der Abwärtstrend der SPD bei den nächsten Wahlen nicht aufhalten lässt, könnte es gut sein, dass Schröder als Retter in der Not gerufen wird. Er kann sogar glaubwürdig Merkel in der Flüchtlingsfrage von rechts kritisieren.

Landrat schickt Geflüchtete vor das Bundeskanzleramt

Wie groß die Ablehnung der Merkelschen Flüchtlingspolitik schon ist, zeigte auch die Aktion[5] eines bayerischen Landrats, der 31 syrische Geflüchtete mit dem Bus nach Berlin schickte, um gegen die Flüchtlingspolitik zu protestieren. Da der Landrat zu den Freien Wählern gehört, fanden vor allem die CSU und auch viele Medien keine guten Worte für die Aktion.

Tatsächlich macht der Landrat deutlich, dass er für eine Flüchtlingsbegrenzung eintritt, also die Aktion zur Umsetzung einer politischen Agenda nutzt. Allerdings könnte sie gegen seinen Willen auch den Geflüchteten entgegen gekommen sein. Vielleicht sehen sie in der Großstadt Berlin mehr Chancen für sich als in der bayerischen Provinz. Wenn sie schlau sind, haben sie Vorkehrungen getroffen und nutzen die Aktion des Landrats, um in Berlin zu bleiben. Dann stünde der Politiker blamiert da und einige Menschen wären zufriedener.

In der EU ist Merkel völlig isoliert

Doch nicht nur in Deutschland mehr noch in der EU wächst der Druck auf Merkel. Das wurde beim gestrigen Besuch von EU-Kommissionspräsident Juncker in Berlin deutlich. Der favorisierte EU-Verteilungsplan geht nicht auf. Ob Dänemark, Schweden, Tschechien. Polen oder die Slowakei, von Ungarn gar nicht zu reden, alle Länder mit ihren unterschiedlichen Regierungen fordern eine Verminderung von Migranten in ihren Ländern oder zumindest ein geordnetes Prozedere.

In einem Interview[6] des Deutschlandfunks mit dem Direktor des Europaprogramms der Bertelsmann-Stiftung Joachim Fritz-Vonnahme[7] wird auch deutlich, wie gespalten die EU in der Flüchtlingsfrage ist. Auf die Frage, ob es noch eine europäische Lösung geben wird, antwortet Fritz-Vonnahme:

Ich glaube nicht mehr, dass es in absehbarer Zeit eine europäische Lösung geben wird, und zwar, weil die Probleme inzwischen zu einem wahren Gestrüpp von nationalen Egoismen herangewachsen sind. Ich will mal nur ein oder zwei Beispiele nennen. Da wird beschlossen, dass man die Grenzschutztruppe Frontex auf 1.500 Mann bis Mitte dieses Jahres aufstocken soll. Die aktuelle Ratspräsidentschaft der Niederländer sagt, das kann aber noch ein bisschen warten. Die Slowaken, die anschließend übernehmen, sagen, nein, nein, wir können überhaupt nicht bis Mitte des Jahres warten, das muss sofort geschehen.

Zweites Beispiel ist die Quote von 160.000 Flüchtlingen, die verteilt werden sollen. Da sind einige wenige Hundert nach Monaten inzwischen verteilt. Oder ein weiteres Beispiel die Überlegung der niederländischen Ratspräsidentschaft, ausgerechnet in dem Augenblick, in dem sie Vorsitz haben, ein Mini-Schengen zwischen vier, fünf, sechs Mitgliedsstaaten aus der Taufe zu heben. Das ist die Spaltung der EU von unten her, von innen her. Das ist wie gesagt alles nur Gestrüpp, in dem keiner so richtig weiß, welchen Weg er eigentlich einschlagen will.Joachim Fritz-Vonnahme

Joachim Fritz-Vonnahme

Großoffensive gegen Migranten in Österreich

Derweil meldet[8] die österreichische Kronenzeitung, sie haben einen eigentlich noch geheimen Plan enthüllt, nach dem das österreichische Bundesheer schon in den nächsten Tagen gegen Migranten an der Grenze vorgehen will und dabei mit der deutschen und slowenischen Regierung in Gesprächen sei. Hier würde nur nachvollzogen, was bereits an vielen anderen Grenzen Praxis ist.

Man vertraut also nicht mehr darauf, dass die türkische Regierung die potentiellen europäischen Einwanderer schon zurückhält und sie teilweise sogar gleich nach Syrien zurückschickt. Denn auch das gehörte zur Flüchtlingspolitik à la Merkel. Doch vor allem ihre neuen Freunde, die wie die Taz gleich einen neuen deutschen Willkommenspatriotismus ausgerufen hatten, ignorierten solche unschönen Details ebenso wie die seit Wochen laufenden Massenabschiebungen in den Kosovo und andere Balkanländer.

Moral statt Analyse in der linken Flüchtlingsdebatte

Gerade die letzten Monate der Flüchtlingspolitik haben die völlige Konzeptlosigkeit einer Linken entlarvt, die in der Flüchtlingsfrage nicht über moralische Bekenntnisse hinauskam. Dabei stand weniger das Interesse der Migranten, sondern das Bedürfnis, sich mit einem angeblich so humanen Deutschland zu solidarisieren, im Mittelpunkt.

Das merkt man allein schon daran, dass in den meisten Publikationen ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Mirganten n Deutschland für immer leben wollen. Dabei haben viele Flüchtlingsorganisationen immer wieder betont, dass sie gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen, wenn sich die Bedingungen in ihren Ländern verbessert haben. So betonen in einer Publikation[9] der zivilgesellschaftlichen Organisation Adopt the Revolution[10], die für eine demokratische Entwicklung ohne die Islamisten und das Assad-Regime in Syrien eintritt, mehrere Interviewpartner, dass sie keinesfalls dauerhaft in Europa bleiben wollen.

Die Initiative Afrique-europe-Interact[11] redet in ihrer jüngsten Publikation vom Recht zu gehen und vom Recht zu bleiben. Dort werden anders als in der moralischen deutschen Flüchtlingsdebatte auch die Folgen für die Länder beschrieben, aus denen viele meist junge Menschen migrieren.

Es wäre zu wünschen, wenn mehr solche Initiativen, in denen Geflüchtete selber zu Wort kommen, gehört werden. Der Mainstream der deutschen Willkommenskultur macht das genau nicht. Ihnen geht es vor allem um die großen Chancen für eine alternde Gesellschaft in Deutschland, die Zuwanderung mit sich bringen sollen. Dabei sind sie sich auch mit führenden Wirtschaftsverbänden einig. Das war auch der Motor der Willkommenskultur im Spätsommer 2015. Die Linke spielte dabei in der Regel die Rolle des humanitären Feigenblattes.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47130/1.html

Peter Nowak 15.01.2016

Anhang

Links

[1]

http://www.express.de/duesseldorf/lob-fuer-die-kanzlerin-campino—merkel–ich-koennte-sie-umarmen—23106736

[2]

http://www.christian-von-stetten.de/

[3]

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-01/angela-merke-cdu-fluechtlinge-streit

[4]

http://www.focus.de/politik/deutschland/altkanzler-zur-fluechtlingskrise-da-wurde-schlicht-die-realitaet-ignoriert-schroeder-kritisiert-merkel_id_5212643.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/landrat-peter-dreier-schickt-fluechtlinge-per-bus-zu-angela-merkel-a-1072011.html

[6]

http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingspolitik-keine-europaeische-loesung-in.694.de.html?dram:article_id=342465

[7]

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ueber-uns/wer-wir-sind/ansprechpartner/mitarbeiter/cid/joachim-fritz-vannahme/

[8]

http://www.krone.at/Oesterreich/Grossoffensive_gegen_illegale_Einwanderer-Heeres-Geheimplan-Story-491105

[9]

http://www.adoptrevolution.org/ich-will-syrerin-bleiben/).

[10]

http://www.adoptrevolution.org/

[11]

http://afrique-europe-interact.net/

In die Ferne fuchteln

Eine fortschrittliche Linke muss sich jeder Nation verweigern und jedem Krieg eine Absage erteilen.

Anfang der neunziger Jahren wurde in antideutschen Kreisen für Linke, die ohne jeglichen gesellschaftlichen Einfluss immer ein Repertoire an Vorschlägen für die Lösung der Konflikte in aller Welt parat hatten, der schöne Begriff des Fernfuchtlers geprägt. Nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 wurden einige vormalige Antideutsche selbst Fernfuchtler. Spätestens als die Zeitschrift Bahamas im April 2003 den US-Präsidenten zum »Man of Peace« kürte und die schnelle Niederlage des Ba’ath-Regimes nicht nur feierte, sondern damit die Hoffnung auf ein Ende der antisemitischen Internationale verband, war klar, dass ein Teil dieser Strömung es nicht mehr bei Ideologiekritik belassen wollte. Nach den Anschlägen von Paris schwingt sich die Fernfuchtler-Fraktion zu neuen Höhenflügen auf. Bereits im Dossier der Jungle World 48/2015 blies Matthias Küntzel zum großen Krieg und unterschied sich in seinen Argumentationen kaum vom rechten Flügel der US-Republikaner. So warf er US-Präsident Obama eine Politik der »Selbstentmachtung« und der »Selbstdemütigung« vor. Ausgeblendet hat er dabei, dass Obama mit seiner Politik auf das völlige Scheitern der Außenpolitik seines Vorgängers reagierte und nachvollzog, was große Teile der US-Bevölkerung nach der Ende der Bush-Ära einforderten. Bushs außenpolitische Bilanz war geprägt von einer wachsenden Zahl toter US-Soldatinnen und -Soldaten. Die toten Zivilisten vor Ort spielten für den Kurswechsel eine geringere Rolle. Die größte Selbstdemütigung der USA, zumindest für die Menschen, für die ihre Gründungsdokumente noch eine Bedeutung hat, waren sicherlich die Foltermethoden von Guantánamo bis Abu ­Ghraib. Hier wurde übrigens auch auf vielfältige Art und Weise gesät, was die unterschiedliche ­Islamistenfraktionen später ernten konnten. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist nur die zurzeit bekannteste dieser islamfaschistischen Bewegungen.

Es sind ganz konkrete Maßnahmen, wie die Auflösung der irakischen Armee nach dem Sturz des Ba’ath-Regimes, die erklärbar machen, wie eine Gruppierung wie der IS so stark werden konnte. Und die Bilder von Abu Ghraib und Guantánamo haben dazu beigetragen, dass in vielen arabischen Ländern und längst nicht nur in islamistischen Kreisen jegliches Vertrauen in die US-Politik verloren ging. Ist schon vergessen, dass nach 2001 nicht wenige tatsächliche oder vermeintliche Islamisten für die Schmutzarbeit an die Häscher des syrischen Regimes übergeben wurden? So bediente sich der Westen genau der Terrormethoden des syrischen Regimes, die heute so wortreich beklagt werden. Von alldem lesen wir bei Küntzel nichts, der den Westen zum ganz großen Kampf gegen die von ihm so bezeichnete »Koalition der Wahnsinnigen« aufruft. Diese umfasst die Hamas, die Hizbollah, al-Qaida, den IS und den Iran. All diesen Akteuren wird niemand eine Träne nachweinen.

Die Leidtragenden einer Intervention in Syrien wären neben den vielen Zivilisten auch die Israelis. Es ist ein Glück für Israel, dass die islamistischen Kräfte untereinander zerstritten sind. Eine vereinigte islamistische Front würde erst geschmiedet, wenn jemand mit Macht, vielleicht ein US-Präsident Donald Trump, Küntzels Vorschlag umsetzen wollte. Für Israel wäre das eine große Gefahr. Es ist auffallend, dass in Küntzels Aufzählung der Wahnsinnigen Saudi-Arabien nicht auftaucht. Dabei hat das Regime bei der Praktizierung von Terror nach innen und Islamismusexport nach außen den Iran längst eingeholt. Gehört das Land jetzt nach Küntzels Meinung zu den wesentlichen Verbündeten des Westens?

Auch Gerhard Scheit erweist sich in seinem Beitrag in der Jungle World 49/2015 als Fernfuchtler mit globalem Anspruch. Allein der Vorwurf des Appeasements gegen Politiker, die nicht überall Bomber hinschicken wollen, macht deutlich, wie sehr er in militärstrategischen Kategorien denkt. Da ist für zivilgesellschaftliche, geschweige denn herrschaftskritische Gedanken kein Platz mehr. Das wird deutlich, wenn Scheit es begrüßt, dass »der NSA-Skandal« nach den Anschlägen von Paris »von deutschen Moralaposteln und grünen Politikern natürlich abgesehen, kaum noch jemanden interessiert«. Nun kann man mit Recht an dem Mainstream der deutschen NSA-Debatte kritisieren, dass sie die Überwachungsmethoden deutscher Dienste bagatellisierte, von Antiame­rikanismus geprägt war und die angeblich nicht vorhandene deutsche Souveränität beklagte. Wenn aber der Protest gegen die NSA-Überwachung für nebensächlich gehalten wird, zeigt dies doch vor allem, dass die individuellen Grundrechte – und dazu gehört das Recht, nicht abgehört zu werden – auf der Strecke bleiben, wenn das Fernfuchteln beginnt.

Und nicht nur das. Nach den Anschlägen von Paris wollten plötzlich von einer Kritik an der omnipräsenten französischen Fahne auch solche Menschen nichts mehr hören, die eigentlich immer eine klare Kritik an Staat und Nation geübt haben. Dabei entscheidet sich gerade dann, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird, was diese Kritik wert ist. Denn dann werden von der Herrschaft die Toleranzgrenzen eng gezogen, und es kann sogar strafrechtlich sanktioniert werden, wenn man an der alten Staatskritik festhält. Da wird historisch argumentiert, dass es die Fahne der französischen Revolution ist. Doch die französische Fahne bedeutet einen nationalen Schulterschluss, bei dem dann zumindest kurzfristig die innergesellschaftlichen Widersprüche, wie den Kampf gegen die Rechte in Gestalt des Front National (FN), aber auch Arbeitskämpfe an Bedeutung verlieren.

Die französische Fahne zu zeigen, bedeutet auch zu schweigen über ein anderes Pariser Massaker, bei den am 17. Oktober 1962 Hunderte Teilnehmer einer von der französischen Regierung verbotenen Demonstration für die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN ermordet und wurden. An solche und andere Verbrechen der Nation gerade in Zeiten zu erinnern, in denen zum na­tionalen Schulterschluss aufgerufen wird, gehört zu der wichtigsten Aufgabe einer Linken, die ihre Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus ernst nimmt. Sie erkennt als erstes ihre völlige Machtlosigkeit und unterlässt jedes Fernfuchteln.

Nur eine Linke, die sich in Zeiten des Notstands und des Ausnahmezustands verweigert, wenn zur Vereinigung unter den unterschiedlichen Nationalfahnen aufgerufen wird, wird in der Lage sein, einen widerständigen Block zu bilden, der die Barbarisierungspotentiale im Zerfallsprozess des Kapitalismus analysiert und bekämpft. Dazu gehört der Klerikalfaschismus, wovon die unterschiedlichen islamistischen Gruppen nur die Speerspitze bilden. Dazu gehören aber auch die unterschiedlichen faschistischen oder nationalistischen Gruppierungen, die in ganz Europa anwachsen.

Eine Linke, für die die Kritik an Staat, Kapital und Nation kein Schönwettergeschwätz ist, sollte dazu beitragen, dass diese Zusammenhänge erkannt und der Widerstand gegen die beiden Formen der extremen Krisenreaktionen des Kapitalismus in den Stadtteilen organisiert wird, in denen die Menschen leben, die heute oft nicht einmal mehr vom Kapitalismus ausgebeutet werden. Es sind die Stadtteile, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Wählerpotential rechter Bewegungen wurde. Es sind auch Quartiere, in denen die überwiegende Mehrheit der islamfaschistischen Attentäter leben. Man braucht also nicht Bomber in den Nahen Osten zu schicken, wenn man die unterschiedlichen Spielarten des Faschismus bekämpfen will. Diese Klärungs- und Organisationsprozesse sollten in den europäischen Kernländern geführt werden. Doch dazu braucht es eine antagonistische Linke, die nicht durch die Zusammenarbeit mit der Macht diskreditiert ist. Historische Reminiszenzen sollten sicher nicht überstrapaziert werden. Doch diese antagonistische Fraktion der Linken kann sich ein historisches Vorbild an der Zimmerwalder Linken nehmen, sich mitten im Ersten Weltkrieg in einem Meer von Nationalismus, Chauvinismus und Kriegsbegeisterung die entschiedenen Kriegsgegner sammelten. Bei allen zeitbedingten Unterschieden sind zwei Grundsätze der Zimmerwalder heute aktueller denn je: die Absage an die Kriege der Herrschenden nach außen und an die Politik des Burgfriedens nach innen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53320.html

Peter Nowak

Wie Liberale und Linke den Säkularismus verraten

Lobbycontroll oder Reglementierung à la Putin?

Refugees in Prager Hofburg nicht willkommen

»Frontex kann nicht reformiert werden«

Vergangene Woche hat die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, die Befugnisse der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zu erweitern, die zudem besser ausgerüstet und personell verstärkt werden soll. Über die europäische Flüchtlingsabwehr und die Rolle von Frontex sprach die Jungle World mit Harald Glöde. Er ist Mitbegründer und langjähriger Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM). 2007 gründete er mit anderen die Initiative Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.

Lange Jahre wurde die europäische Grenz­schutz­agentur Frontex von Antirassisten kritisiert. In der letzten Zeit ist das in den Hintergrund getreten. Was war der Grund?

Es stimmt, dass Frontex im »Sommer der Migration« in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wurde. Das liegt aber schlicht daran, dass sie bei den jüngsten Flüchtlingsbewegungen, insbesondere auf der Balkan-Route, bislang keine Rolle gespielt hat.

In neueren Berichten über Frontex wurde öfter die Lebensrettung von Geflüchteten thematisiert. Ist das nur Propaganda oder gab es in dieser Hinsicht Verbesserungen?

Dieser Versuch einer Imageverbesserung ist schon älter. Bei der Neuverhandlung des Frontex-Mandats 2011 wurden dort ein Menschenrechtsbeauftragter und ein sogenanntes Konsultativforum installiert, das Frontex in Menschenrechtsfragen beraten soll. In dieser Zeit hat der Chef der Abteilung Joint Operations, Klaus Rösler, öfter betont, dass seine Organisation Leben rette. Doch das widerspricht anderen Äußerungen von Frontex-Verantwortlichen, die beispielsweise betonten, dass bei der Operation Triton das eindeutige Mandat und damit die Priorität von Frontex bei der Sicherung der Grenzen liegt. Grenzsicherung heißt aber im Klartext Abschottung und Flüchtlingsabwehr.

Mehrere Nichtregierungsorganisationen beraten mittlerweile Frontex. Wäre auch Borderline Europe bereit, in einem dieser Gremien mitzuarbeiten?

Nein, wir würden uns daran nicht beteiligen. Für uns ist Frontex eine Organisation, deren Kernaufgabe die Abschottung und der Ausbau der Flüchtlingsabwehr ist. Sie kann nicht reformiert werden.

Nun soll nach den Plänen der EU Frontex umgebaut werden und mehr Macht bekommen. Was ist geplant?

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll Frontex in eine Europäische Agentur für Grenz- und Küstenschutz umgewandelt werden. Frontex’ Auftrag wird es dann sein, die Arbeit von etwa 300 verschiedenen militärischen und zivilen Organisationen, die in der EU im Küstenschutz aktiv sind und oft nebeneinanderher arbeiten, zu koordinieren. Sie soll dann auch kontrollieren, ob die Außengrenzenstaaten der EU ­fähig sind, ihre Grenzen zu sichern. Um dies dauerhaft gewährleisten zu können, ist der Aufbau ­eines Analysezentrums zur Beobachtung der Flüchtlingsbewegungen in die EU vorgesehen. Die Abschottungsmaßnahmen der einzelnen Staaten sollen durch regelmäßige »Stresstests« kontrolliert werden. Außerdem soll im Rahmen dieser neuen Agentur ein »Rückführungsbüro« eingerichtet werden, das die Mitgliedstaaten bei der Abschiebung von Flüchtlingen unterstützen soll. Dieses Büro soll auch die Vollmacht erhalten, ohne Anforderung des betreffenden Mitgliedstaates tätig zu werden.

Handelt es sich dabei um mehr als um die bessere Koordinierung der bisherigen Frontex-Arbeit?

Eine qualitative Neuerung an dem Plan der EU-Kommission ist die Forderung nach einer Truppe von mindestens 1 500 Grenzbeamten, die innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein sollen. Es ist auch die Möglichkeit vorgesehen, diese Truppe in EU-Mitgliedsländern einsetzen zu können, ohne dass die betroffenen Länder zustimmen. Das Prinzip der Freiwilligkeit, auf dem das Agieren der Grenzschutzagentur bisher beruht, empfindet die EU-Kommission als entscheidenden Mangel. Ob sie einen Frontex-Einsatz überhaupt benötigen und in welchem Umfang sie Personal und Ausrüstung für Einsätze bereitstellen, entscheiden die Mitgliedstaaten nämlich bislang selbst. Im Fokus stehen sicherlich Italien und vor allem Griechenland, die nach Auffassung der Kommission beim Schutz der EU-Außengrenze versagen.

Soll damit verhindert werden, dass eine europäische Regierung die Flüchtlingsrechte ernster als die EU nimmt und nicht nur auf Abschreckung zielt? Solche Forderungen standen sowohl im Programm der griechischen Partei Syriza als auch dem von Podemos in Spanien und anderer linker Parteien.

Es ist offensichtlich, dass diese Pläne auf Griechenland zielen.

Was soll sich ändern?

Mit der Drohung des direkten Eingreifens der EU und der damit verbundenen Verletzung der Souveränität soll auf die betreffenden sogenannten Risikoländer, wozu Griechenland nach diesen Vorstellungen gehört, größerer Druck ausgeübt werden, damit sie ihre Grenzen stärker abschotten. Wie weit die Vorstellungen der EU-Kommission hierbei reichen, zeigt das folgende Zitat aus ihrem Papier: »Die Entscheidungen der Agentur sind für die Mitgliedstaaten bindend.« Die Kommission könne selbständig Anordnungen treffen, »einschließlich der Entsendung europäischer Grenz- und Küstenschutzteams«, wenn die Maßnahmen nicht innerhalb der gesetzten Frist um­gesetzt werden. Die Kommission will dafür eine »stehende Truppe« mit 1 500 Grenzschützern aufstellen, die über die nötige Ausstattung an Fahrzeugen und sonstiger Ausrüstung verfügt.

In Griechenland hat die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank auf wirtschaftlichem Gebiet in die Souveränität des Landes eingegriffen. Passiert Ähnliches durch die geplante Stärkung von Frontex nun auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik?

Die mächtigen Kernstaaten der EU verschaffen sich damit Eingriffsrechte in die Souveränität anderer EU-Mitgliedstaaten, hier den Staaten an den EU-Außengrenzen, die ja auch schon im Zuge der Finanzkrise gezwungen wurden, die Vorgaben aus Brüssel umzusetzen. Insofern gibt es durchaus Parallelen zwischen den aktuellen Bestrebungen zur Stärkung von Frontex und dem Verhalten der EU in der Finanzkrise.

Regt sich gegen diese Pläne Protest?

Ja, den wird es mit Sicherheit geben. Zum einen werden sicherlich die Staaten, die diese Angriffe auf ihre Souveränität befürchten müssen, sich dagegen zur Wehr setzen und auch im EU-Parlament, das diesen Plänen noch zustimmen muss, wird sich sicherlich Widerstand regen. Zu befürchten ist aber auch, dass hierzu nationalistische Diskurse initiiert werden, die rechten Gruppen weiteren Auftrieb geben könnten. Zum an­deren werden natürlich auch Flüchtlings-, Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen ­gegen diese Verschärfung der Abschottung protestieren und Widerstand organisieren.

Noch handelt es sich um einen Plan der EU-Kommission. Wie realistisch ist dessen Umsetzung?

Noch ist vieles unklar. Die entsprechenden Verordnungen oder Richtlinien müssen erst noch entworfen und diskutiert werden, was einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Es gibt mehrere Momente, die in dieser Zeit eine wichtige Rolle spielen werden. Da sind zum einen die weitere Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen, zum anderen das Ausmaß zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen diese Stärkung von Frontex. Letztlich wird auch der Ausgang anderer EU-weit ­geführter Debatten, wie beispielsweise die Austrittsdrohung Großbritanniens, die Diskussion um den EU-weiten Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen, die Frage des TTIP-Abkommens, Auswirkungen auf diese Auseinandersetzungen haben. Es wäre sehr zu wünschen, dass die breite Willkommensbewegung in Deutschland sich stärker an den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Protesten gegen diese Verschärfungen der EU-Flüchtlingspolitik beteiligt.

Einige zivilgesellschaftliche Initiativen wie Sea-Watch widmen sich der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer. Müsste das Engagement an­gesichts dieser Pläne nicht verstärkt werden?

Die Ausweitung der Rettung von Flüchtlingen ist natürlich absolut notwendig angesichts der etwa 3 500 Menschen, die in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken sind. Meiner Meinung nach muss diese Seenotrettung aber verbunden werden mit der Forderung nach legalen Zugangsmöglichkeiten und einem Ende der Abschottungspolitik, die die Ursache für diese vielen Todes­fälle ist. Das praktizieren ja zum Beispiel bereits Sea-Watch und das Alarmtelefon von Watch the Med.

http://jungle-world.com/artikel/2015/52/53233.html

Interview: Peter Nowak

Afghanische Opposition gegen Islamismus und NATO-Besatzung

Wenn es um Afghanistan geht, fallen uns sofort Begriffe wie Taliban, IslamistInnen und Warlords ein. Schliesslich
kommt das Land fast nur mit Meldungen über islamistische Anschläge in die Schlagzeilen.
Doch am 11. November gab es Meldungen, die deutlich machten, dass sich in Afghanistan auch viele Menschen
aktiv gegen islamistischen Terror, aber auch gegen die Besatzung durch die NATO, wehren. Nach einem besonders
brutalen islamistischen Verbrechen, bei dem sieben Angehörige der ethnischen Minderheit der Hasara enthauptet
wurden, demonstrierten in Kabul Tausende, darunter viele unverschleierte Frauen. Sie belagerten den
Präsidentenpalast, versuchten sogar, dort einzudringen, und warfen der Regierung vor, dass sie zu wenig macht,
um die Menschen gegen den islamistischen Terror zu schützen.
Die Opposition wird sichtbar
Die Meldungen sorgten auch deshalb für Aufsehen, weil damit die Existenz einer oppositionellen Bewegung sichtbar
wurde, die in der hiesigen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Mitte November informierten drei VertreterInnen
dieser säkularen, linken afghanischen Oppositionsbewegung auf einer Rundreise durch verschiedene
Städte in Deutschland über ihren schwierigen Kampf in Afghanistan.
Hafiz Rasikh sitzt im Vorstand von „Hambastagi“, der Solidaritätspartei Afghanistans. Sie zählt mittlerweile rund
30.000 Mitglieder. Zu ihren programmatischen Grundlagen gehören der Kampf für Demokratie und für die
Gleichberechtigung der Ethnien, die Gleichheit von Mann und Frau sowie die juristische Ahndung der Kriegsverbrechen
der letzten Jahrzehnte. „Wir positionieren uns sowohl gegen die sowjetische Besatzung, die Herrschaft
der unterschiedlichen Fraktionen der Islamisten, aber auch die NATO-Besatzung“, stellt Hafiz Rasikh klar. Die internationale
Solidarität ist eine wichtige Maxime der „Hambastagi“. Kontakte bestehen zu Podemos in Spanien,
aber auch zu Syriza in Griechenland sowie zu ausserparlamentarischen Bewegungen in vielen Ländern. Während
der jüngsten Rundreise nahm Hafiz Rasikh an einer Demonstration gegen ein militärisches Spektakel zum 50.
Jahrestag der Bundeswehr teil. In seiner Rede forderte er den Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan.
Sie seien Teil des Problems und keine Lösung, stellte er klar. Eine wichtige Rolle beim Kampf um die Aufarbeitung
von Verbrechen der letzten Jahrzehnte in Afghanistan spielt die „Social Association for Afghan Justice
Seekers (SAAJS), die auf der Rundreise von ihrer Direktorin Weeda Ahmad vorgestellt wurde. Die 2007 gegründete
Organisation unterstützt die Opfer von Verbrechen und Gewalt in Afghanistan. Sie fordert die Errichtung von
Gedenkorten und die juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen.

Kein kritischer Rückblick auf die Geschichte
Zu den politischen Bezugspunkten sowohl der Solidaritätspartei wie der SAAJS gehört die feministische Organisation
RAWA, die schon im Kampf gegen die Rote Armee und die damalige afghanische Linksregierung im Untergrund
aktiv war. Sie hat auch unter der Herrschaft der Taliban ihre Tätigkeit fortgesetzt. Viele RAWA-Mitglieder
sind in den letzten Jahrzehnten ermordet worden. Auch heute kann die Organisation in Afghanistan nicht öffentlich
auftreten. Sie arbeitet daher weiterhin klandestin. Die RAWA-Vertreterin Mariam-Rawi erklärte auf ihrer
Rundreise, dass es noch immer lebensgefährlich ist, sich in Afghanistan zur RAWA zu bekennen. Das Ziel ist es,
diese Organisationen zu kriminalisieren, betonte Rawi. Sie bestritt vehement, dass die NATO-Besetzung mit den
Rechten der Frauen zu tun hat und forderte ebenso den vollständigen Abzug aller fremden Truppen.
Die RAWA kommt ursprünglich aus einer maoistischen Tradition und hat auch mit diesem politischen Hintergrund
gegen die Linksregierung gekämpft, die nach der April-Revolution 1978 entstanden ist. Sie hatte grundlegende
gesellschaftliche Reformen eingeleitet, dazu zählten eine Landreform und die Gleichberechtigung der Frau.
Damals gingen Frauen selbstbewusst ohne Schleier und Kopftuch auf die Strasse. Sie zogen sich den Zorn von IslamistInnen
zu, die gegen diese Frauen mit Gewalt vorgingen und einen bewaffneten Kampf gegen die afghanische
Regierung begannen. Der Einmarsch der Roten Armee war die Antwort. Auf die Frage, ob es nicht im Nachhinein
ein grosser Fehler für eine feministische Organisation war, die afghanischen Linksregierungen nicht zumindest
kritisch unterstützt zu haben, bleibt Mariam Rawi konsequent. Für sie war die Linksregierung auch vor
dem Einmarsch der Roten Armee eine Filiale der Sowjetunion. Die Reformen seien nur Fassade gewesen. Es ist
bedauerlich, dass auch im Abstand von 35 Jahren hier noch keine kritische Reflexion einsetzte, warum eine feministische
Organisation eine Regierung bekämpfte, die wesentliche Beiträge zur Frauenbefreiung unternommen
hatte. Trotzdem ist es wichtig, die aktuelle linke Opposition in Afghanistan kennenzulernen, sich mit ihrem Kampf
und ihren politischen Vorstellungen auseinanderzusetzen und sie zu unterstützen.
*
Quelle:
vorwärts – die sozialistische zeitung, Nr. 43/44 vom 4. Dezember 2015

http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/vorw1151.html

Peter Nowak