„Der französische Staat ist zu groß, zu mächtig“

Die Herabstufung des EMS ist der Höhepunkt einer Kampagne gegen die Politik der französischen Regierung
„Frankreich sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzmärkte nervös werden und Reformen von der Regierung von Präsident François Hollande erwarten“, sagt Heribert Dieter, Finanzexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Moderator hatte den Ton vorgegeben und über unser Nachbarland so geredet, wie ein Großteil der Politik und der Medien seit Monaten über Griechenland spricht:

Jeder vierte Franzose verdient sein Geld im öffentlichen Dienst oder in der Staatswirtschaft. Nicht wenige dort genießen Sonderrechte, etwa einen Urlaubsanspruch von vier Monaten im Jahr. Im Kabinett in Paris streiten sage und schreibe 39 Minister um Zuständigkeiten, Personal und Einfluss. Frankreichs Ämter sind übergewichtig, ineffizient und teuer. Schon länger sorgen sich Beobachter um den gravierenden Reformstau in unserem Nachbarland.

Auf diese Weise wurden die Hörer schon mal eingestimmt und Dieter brauchte dann nur zu bestätigen, „dass die französische Gesellschaft Schwierigkeiten hat, mit internationalem Wettbewerb, mit den Schwierigkeiten, die die Globalisierung mit sich bringt, umzugehen.“

Was Dieter damit meint, ist klar. Wer vom Pfad des deutschen Sparmodells auch nur um einige Millimeter abweicht, bekommt es mit den Märkten zu tun und hat die Zwänge einer globalisierten Welt noch nicht verstanden. Dabei wird das deutsche Modell als alternativlos hingestellt. Dass es gegen dieses Modell seit Monaten in vielen europäischen Ländern Proteste von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, aber auch von Politikern bis weit ins bürgerliche Spektrum gibt, wird ignoriert. Die Wahl von Hollande war von einem Teil der Kritiker des deutschen Modells als Hoffnungsschimmer gesehen worden, manche erwarteten gar eine politische Zäsur, Schließlich war mit Sarkozy in Frankreich der Politiker abgewählt worden, der mit Merkel ein Tandem bei der Durchsetzung des europäischen Sparmodells bildete.

Tatsächlich begannen sich nach dem Regierungswechsel in Frankreich auch die konservative und wirtschaftsliberalen Regierung in Italien und Frankreich, um Beinfreiheit vom Berliner Spardiktat zu kämpfen. Nach seinem Regierungsantritt ist Hollande allerdings jeder Konfrontation mit der deutschen Politik aus dem Weg gegangen. So sorgte er für eine Zustimmung zum ESM, den er im Wahlkampf eigentlich neu verhandeln wollte.

„Es muss in Frankreich ein schnelles Revirement der Regierungspolitik geben“
Doch die konziliante Haltung des Sozialdemokraten wurde von Deutschlands Liberalen und Konservativen, die nicht verwunden haben, dass ihr Wunschkandidat Sarkozy die Wahlen verloren hat, nie gewürdigt. Immer wieder wurde mit offenen oder unterschwelligen Bemerkungen von Politikern der Regierungsparteien gegen die französische Wirtschafts- und Sozialpolitik geschossen. Bereits am 13.11. 2012 gab der CSU-Haushaltspolitiker und Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung seiner Partei, Hans Michelbach, ebenfalls im Deutschlandfunk seine Meinung über Frankreich, dem nach Griechenland zweiten „kranken Mann Europas“, unmissverständlich zum Ausdruck:

Also wenn die sozialistische Regierung Hollande so weitermacht, dann ist Frankreich im freien Fall. Das muss man ganz klar sehen. Ich bin nicht der, der die Spekulanten antreiben möchte, aber man muss der Realität ins Auge schauen. Es muss in Frankreich ein schnelles Revirement der Regierungspolitik geben.

Michelbach bedauerte auch, dass die Regierungsdelegationen nicht so deutlich Klartext reden können. Da kommt die Herabstufung durch die der Ratingagentur gerade recht, um den vermeintlichen Abweichlern vom marktwirtschaftlichen Kurs die Leviten zu lesen. Wenn Heribert Dieter erklärt, „der französische Staat ist zu groß, zu mächtig“, kann man darin nicht nur das Lamento eines Wirtschaftsliberalen lesen, sondern auch die Haltung eines Interessenvertreters des deutschen Standortes, der einen potentiellen Konkurrenten in der EU die Grenzen aufzeigen will.

Was kommt nach dem Warnschuss?
Wenn der Unionspolitiker Wolfgang Bosbach die Entscheidung der Ratingagentur als „Warnschuss an Frankreich“ interpretiert, muss man sich die Frage stellen, welche Instrumente herrausgeholt werden, wenn die französische Regierung nicht bereit ist, sämtliche Wahlversprechen zu vergessen oder die französische Bevölkerung die versprochene Sozial- und Wirtschaftspolitik einfordert? Von den Linkskeynisanern, die große Hoffnungen in die Regierung Hollande setzten, ist wenig zu hören. Einer ihrer Exponenten, Dierk Hierschel aus dem verdi-Bundesvorstand, kann nur resignativ vermelden „Merkel grillt Frankreich“:

Das französische Drama dokumentiert die Ohnmacht nationaler Politik. Auf entfesselten Finanzmärkten und in einem Europa des Marktes gibt es kaum Spielräume für eine fortschrittliche nationale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wer beim grenzüberschreitenden Unterbietungswettbewerb um Steuern, Sozialausgaben und Löhnen nicht mitspielt, dem drohen die Unternehmen mit Abwanderung und die Kapitalmärkte mit Strafzinsen. Wobei Deutschland durch Billiglöhne und Steuersenkungen seinen linksrheinischen Nachbar ständig unter Druck setzte.

Wenn Hierschel dann nicht mehr als die Hoffnung auf einen Regierungswechsel im nächsten Jahr in Berlin einfällt, muss man sich doch fragen, ob der Mann vergessen hat, wer mit der Niedriglohnpolitik in Deutschland begonnen hat. Wenn Steinbrück der schärfste Pfeil im Köcher der Keynisaner ist, haben sie sich mit ihrer eigenen Niederlage schon abgefunden. Die Kampagne gegen Frankreich ist auch ein Warnschuss an alle europäischen Länder, die womöglich einen Ausweg jenseits der Schröder-Merkel-Doktrin aus der Krise suchen. Gerade weil Hollande von einigen zur Alternativen zur deutschen Politik aufgebaut wurde, die er wahrscheinlich nie sein wollte, wird seine Regierung jetzt ins Visier genommen.

http://www.heise.de/tp/artikel/38/38116/1.html
Peter Nowak

Wenn Jerusalem Berlin wäre

Einseitige Berichterstattung und Änderungen in der Realpolitik: Ist die Beziehung zu Israel abgekühlt?

„Am Mittag schlägt auf dem Breitscheidplatz ein Flugkörper ein. Bei einem anderen Bombentreffer in Tiergarten sterben drei Menschen, und Schloss Sanssouci in Potsdam wird sogar von elf Raketen getroffen. Das ist Krieg, sagen Sie? Dann wissen Sie, wie sich die Menschen in Israel schon seit sechs Tagen fühlen.“

Diesem Text hat die BZ eine Graphik vorangestellt, in der die geographischen Verhältnisse zwischen Gaza und Israel maßstabsgetreu nach Berlin/Brandenburg verlegt wurden.

Jerusalem wäre dann das Örtchen Hönow bei Berlin und Tel Aviv Birkenwerder in Brandenburg. Raketeneinschläge gäbe es in den Stadtteilen Prenzlauer Berg genau so wie in Zehlendorf und Steglitz. Tatsächlich wird in der Boulevardzeitung sehr anschaulich ein Aspekt verdeutlicht, der in der aktuellen Berichterstattung über den neuesten Nahostkonflikt oft untergeht: der Raketenbeschuss von Gaza auf israelisches Gebiet. Dabei geht es auch um die Frage, wann der neuste Nahostkrieg begonnen hat. Mit der Tötung des Hamas-Militärchefs, wie es die arabische Welt unisono behauptet, um Israel als alleinigen Aggressor hinzustellen? Die israelische Seite weist hingegen darauf hin, dass die Tötung des Militärchefs eine Antwort auf den sich verstärkenden Raketenbeschuss gewesen ist.

Die israelische Regierung steht bei der Bevölkerung unter Druck, endlich dafür zu sorgen, dass diese Raketenangriffe eingestellt werden. Schließlich haben führende israelische Politiker recht mit ihrer Erklärung, dass keine Regierung der Welt zusehen würde, wie ihre Bevölkerung und ihr Territorium diesen Angriffen ausgesetzt wird.

Wie „Bild“ den Deutschen 1967 Israel erklärt hat

Der Vergleich zwischen Jerusalem und Berlin hat historischen Vorläufer. Während des 6-Tage-Krieges 1967 war er vor allem von der Springerpresse bemüht worden. Im letzten Jahr setzte sich eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt/Main über Axel Springer und die Juden kritisch mit der Art und Weise auseinander, wie „Bild“ den Deutschen damals den Nahostkonflikt erklärte hatte.

Dort war auch eine Polemik des früheren Spiegel-Kommentators Otto Köhler dokumentiert, der die damalige Israel-Begeisterung nicht nur im Hause Springer als Blaupause zur Lösung der deutschen Frage interpretierte:

„Was läge näher, als das israelische Blitzsieg-Rezept auf das Jerusalem des allernächsten Ostens anzuwenden und auch dort durch Vormarsch den Frieden zu retten.“

Die „Welt“ jedenfalls findet angesichts des wiedervereinigten Jerusalems spontan: „Man muss unwillkürlich an Berlin denken.“ „Bild“ erläutert für alle, die zu langsam begreifen: „Unsere Araber“, das sind: „Ulbrichts Volksarmee oder die Tschechen oder die Polen oder alle drei“, schreibt Köhler.

Heute, wo die deutsche Frage nicht mehr offen ist, ist auch die Liebe zu Israel in Deutschland abgekühlt. Mag die Bundesregierung auch rhetorisch auf Seiten Israels stehen, was vom derzeit wieder vielgefragten Nahostexperten Michaels Lüders als einseitige Parteinahme beklagt wird, die Realpolitik sieht anders aus.

Da werden der Türkei die Patriot-Raketen an der Grenze zu Syrien geradezu aufgedrängt. Dabei ist der türkische Ministerpräsident Erdogan nicht nur für den Konflikt an der syrischen Grenze wesentlich mitverantwortlich. Zurzeit profiliert er sich im neuesten Nahostkonflikt als Scharfmacher, bezeichnet Israel als terroristischen Staat und wirft ihm ethnische Säuberungen vor. Wenn Erdogan erklärt, dass Israel begreifen müsse, dass sich der Nahe Osten heute geändert hat, kann das in Tel Avis durchaus als Drohung verstanden werden. Für die Bundesregierung sind solche Töne allerdings kein Grund, die Lieferung von Patriot-Raketen auch nur zu überdenken. So weit geht die Solidarität mit Israel dann doch nicht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153227
Peter Nowak

„Ein Kind, das an Hunger stirbt, wurde ermordet!

Positiv- und Negativpreise für Jean Zieger und den Rohstoff-Multi Glencore

Der Saal im Berliner Pfefferwerk war voll, als dort am Samstag die Stiftung Ethecon ihren Positiv- und Negativpreis vergab. Publikumsmagnet war der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der sich den Kampf gegen den Hunger verschrieben hat und dafür auch in UN-Gremien als Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung arbeitete.

„Ziegler setzt sich seit Jahren unerschrocken für das Recht auf Nahrung ein“, begründete Ethecon-Sprecherin Bettina Schneider die Auswahl des diesjährigen Preisträgers. Bei seinem Engagement ging es Ziegler immer auch um die gesellschaftlichen Ursachen für den Hunger in der Welt, worauf der Gründer der NGO Business Crime Control, Hans See, in seiner ausführlichen Laudatio auf den Preisträger hinwies. „Nie mehr auf Seiten der Henker stehen“, sei Zieglers Devise, betonte See. Vor wenigen Monaten ist Zieglers Buch Wir lassen sie verhungern – die Massenvernichtung in der dritten Welt auf Deutsch erschienen. Dort geht er mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem hart ins Gericht. Zieglers Äußerung: „Ein Kind, das an Hunger stirbt, wurde ermordet“, wurde am Samstag häufig zitiert.

Strukturelle Gewalt statt böse Manager

In seiner Dankesrede lieferte der Geehrte viele Details zum weltweiten Skandal des Hungers. Ziegler betonte, dass bei den heutigen technischen Mitteln kein Mensch mehr Hunger leiden müsste. Hunger sei nicht die Folge von Mangelproduktion, sondern bedingt durch den fehlenden Zugang zu Nahrung. Dabei betonte Ziegler, dass es sich um strukturelle Gewalt handelt und eine Anprangerung von angeblich „bösen Managern“ daher zu kurz greife.

Diesen Befund sollte man im Hinterkopf haben, wenn jetzt von drei Preisträgern die Rede ist, welche die ihnen zugedachte Ethecon-Ehrung ignoriert haben. Simon Murray, Tony Hayward und Ivan Glasenberg sollten stellvertretend für den Schweizer Rohstoff-Multi Glencore den Negativpreis der Stiftung entgegennehmen. Die Schmährede, in der diese Wahl begründet wurde, hielt der Schweizer Gewerkschafter und engagierte Antimilitarist Josef Lang.

Er berichtete, dass Glencore in der Schweiz seit langem in der Kritik steht und auch schon mit Negativpreisen bedacht wurde. Mit der Verleihung des jetzigen Negativpreises dürften auch in Deutschland die Praktiken des umstrittenen Konzerns bekannter werden.

„Multis wie Glencore verletzen Menschen- und Sozialrechte, verursachen Umweltschäden und vergiften Gewässer, verschieben Gewinne in Steuerparadiese, vergrößern den globalen Graben zwischen arm und reich“, heißt es dem Aufruf eines Komitees Solidarität mit den Opfern der Rohstoffmultis.

Das Komitee hatte vor einigen Monaten zu einer Demonstration im Schweizer Örtchen Zug, in der Glencore seinen Sitz hat, aufgerufen. Der Konzern wurde von dem Schweizer Ölhändler Marc Rich gegründet. Er war mit Diktatoren verschiedener Länder befreundet und wurde von den US-Behörden wegen Steuerhinterziehung und Falschaussagen angeklagt, aber 2001 vom damaligen Präsidenten Bill Clinton begnadigt.

Eröffnet wurde die gesellschaftskritische Herbstschule, zu der sich die alljährlich Mitte November stattfindende Ethecon-Preisverleihung mittlerweile entwickelt hat, von dem Kölner Publizisten Werner Rügemer, der sich in seiner Rede mit dem Ausverkauf öffentlicher Güter im Rahmen des Public Private Partnership auseinandersetzte.

Die Stiftung Ethecon wurde 2004 von Axel Köhler Schnurra und Gudrun Rehmann mit dem Ziel gegründet, ökologische, soziale und menschenrechtliche Prinzipien im Wirtschaftsprozess zu fördern sowie demokratische und selbstbestimmte Strukturen zu stärken.

In den letzten Jahren waren u.a. die indische Globalisierungskritikerin Vandana Shiva, der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, der österreichische Menschenrechtler Elias Bierdel und die langjährige Kämpferin gegen Rassismus und den gefängnisindustriellen Komplex in den USA, Angela Davis mit dem Preis geehrt worden.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153213
Peter Nowak

„Berlin spürt die Folgen der Krise“

Doro Zinke ist Vorsitzende des DGB, Bezirk Berlin-Brandenburg. Der Gewerktschaftsbund ruft am 14. November um 14 Uhr auf dem Pariser Platz unter dem Motto „Nein zur sozialen Spaltung Europas“ zu einer Solidaritätskundgebung mit den Generalstreik auf, zu dem an diesen Tag Gewerkschaften in Italien, Spanien, Portugal, Malta, Zypern und Griechenland gegen die europäische Krisenpolitik aufrufen. Auf dieser Kundgebung spricht auch eine Vertreterin des Griechenlandsolidaritätskomitees, in dem zahlreiche linke Gruppen vertreten sind. Das Bündnis organisiert eine Demonstration, die im Anschluss an die DGB-Kundgebung um 16:30 auf dem Pariser Platz unter dem Motto „Gemeinsam gegen die Krise kämpfen“ beginnt.

Der DGB ruft am heutige Mittwoch zu einer Solidaritätskundgebung für die von der Eurokrise gebeutelten EU-Länder auf. Warum?

taz: Frau Zinke, was sind die konkreten Forderungen des DGB-Berlin-Brandenburg?
Doro Zinke: Die EU konzentriert sich einseitig auf die Ökonomie, die Europäische Union braucht aber auch ein soziales Gesicht: dazu gehören Beschäftigungsprogramme für Jugendliche genauso wie eine intensive Bekämpfung des Lohndumping europaweit und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Damit können auch öffentliche Dienstleistungen bezahlt werden, die ein Stück Lebensqualität sichern helfen.

In dem Aufruf wird auch vor der Einschränkung von Gewerkschaftsrechten gewarnt. Gibt es dafür Beispiele und gibt es die auch in Deutschland?
In Spanien und Griechenland werden die Gewerkschaftsrechte eingeschränkt und in Großbritannien der Gang zum Arbeitsgericht für Beschäftigte erschwert. Die Einführung des Niedriglohnsektors in Deutschland drückt auf die Löhne und damit auf die Tarifpolitik der Gewerkschaften. Das ist eine subtile Form von Einschränkung, die sich natürlich auch in Berlin auswirkt.

Hat der sich in den letzten Jahren in Deutschland massiv entwickelnde Niedriglohnsektor nicht mit zur Krise in Europa beigetragen?
Der Niedriglohnsektor führt zur Lohndrückerei. Wer jahrzehntelang für wenig Geld schuften musste, kann kaum etwas zusätzlich für die Rente ansparen. So wird Altersarmut programmiert. Leben am Rande des Existenzminimums verletzt die Menschenwürde! Wenn ich die Aufstockung meines Lohnes durch Steuergeld benötige, zeigt das das Dilemma auf: wir Steuerzahler subventionieren Jobs und Geringverdienern wird das Gefühl vermittelt, ihre Arbeitskraft sei nichts oder nur wenig wert.


Wie stark ist bei den DGB-Mitgliedern das Bewusstsein einer Notwendigkeit der Solidarität mit Streiks in anderen EU-Ländern?

Der DGB hat acht Mitglieder: die Einzelgewerkschaften. Deren Mitglieder haben in vielen Fragen fast genau so unterschiedliche Bewusstseinslagen wie der Rest der Bevölkerung. Die meisten Menschen in Deutschland können sich gar nicht vorstellen, was die Politik der Troika in Griechenland bedeutet: dass Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden, der Arbeitgeber einseitig Lohnkürzungen vornehmen darf, kein Geld mehr da ist für Milch für die Kinder, Renten halbiert wurden. Und dass alle diese Schweinereien an der Verschuldung des Landes nichts ändern, sondern das Land immer stärker an den Rand des Abgrunds treibt.

Im Anschluss an die DGB-Kundgebung plant ein linkes Bündnis eine Solidaritätsdemonstration. Gibt es Kontakte zu beiden Aktionen?
Ein Vertreter des Griechenland-Solidaritäts-Komitees wird auf der DGB-Kundgebung sprechen und eine Gewerkschaftskollegin auf der Abschlusskundgebung der Solidaritäts-Demonstration.

Soll die Kundgebung der Beginn weiterer Solidaritätsaktionen mit den KollegInnen in anderen europäischen Ländern sein?
Das können wir jetzt noch nicht sagen. Es hängt davon ab, was unsere internationalen Organisationen von uns erwarten und die deutschen Gewerkschaften für realistisch halten.
Interview: Peter Nowak

Vaterlandslose Gesellen

Peter Nowak über Repressionsmaßnahmen in der Krise

„Linke Chef marschiert mit Anti-Merkel-Mob“, titelte eine Berliner Boulevardzeitung unter einem Foto, dass Bernd Riexinger während des Merkelbesuchs auf einer Kundgebung in Athen zeigt. Damit machte es deutlich, was es von denen hält, die es wagen, im deutschen Hinterhof gegen den von Merkel und Co. diktierten Verarmungskurs auf die Straße zu gehen. Die alte Bezeichnung für deren deutschen Kollaborateure holt der Chef vom Dienst bei der Stuttgarter Zeitung mit dem Namen Joachim Volk aus der deutschnationalen Mottenkiste. „Mit dem links-linkischen Riexinger tritt erstmals der Chef einer deutschen Oppositionspartei als vaterlandsloser Geselle im Ausland auf.“ Dabei hatte der nicht einmal Gelegenheit, seinen Landesverrat zu vollenden und mittels einer Ansprache „Vorurteile und Ressentiments gegen die deutschen Sparforderungen zu schüren“.
Da bis auf die Kundgebung sämtliche Demonstrationen während des Merkel-Besuchs in der Athener Innenstadt verboten waren und 6000 schwerbewaffneten Polizisten zur Durchsetzung bereit standen, mussten alle eingeplanten Redebeiträge ausfallen. Viele Teilnehmer konnten sich an den letzten Herbst erinnern, als der Massenprotest der Bewegung der Empörten in Griechenland enorm angewachsen war. „Als diese Bewegung dann durch die Unterdrückung des Staates zerschlagen wurde, herrschte fast schon Krieg. Es kamen viele Tonnen Chemikalien zum Einsatz“, erinnert sich der griechische Linkspolitiker Alexis Tsipras. Damit liegt Griechenland voll im europäischen Trend. Die politische Repression gehört in allen europäischen Ländern zu den Begleiterscheinungen politischer Bewegungen. Aktuell sind vor allem die unterschiedlichen Krisenproteste davon betroffen.
In Spanien nehmen Polizei und Justiz Gewerkschaften und Oppositionsbewegungen seit Monaten in den Zangengriff. So wurden Demonstranten, die sich am 25. September an den Krisenprotesten in Madrid beteiligen wollten, bei der Anreise im Bahnhof Atocha von Polizisten schwerverletzt. Bereits nach dem landesweiten Generalstreik am 29. März wurden in ganz Spanien gewerkschaftliche Aktivisten unter dem Vorwurf festgenommen, sich an Akten des „öffentlichen Vandalismus“ beteiligt zu haben. Unter diesen Gummibegriff fällt die Teilnahme an einer Demonstration ebenso wie die aktive Durchsetzung eines Streiks.
Passiert so etwas in Moskau, gilt es hiesigen Medien und Politikern als Beweis, dass die europäischen Werte unter Putin nicht gedeihen können. In Frankfurt, Madrid und Athen werden die Maßnahmen realitätsgerechter von der Justiz und vielen Medien als notwendig für das reibungslose Funktionieren von EZB und Geschäftswelt verteidigt. Nur der Anti-Merkel Mob und einige vaterlandslose Gesellen erheben dagegen Einspruch.
http://www.konkret-magazin.de/hefte/aktuelles-heft/articles/das-neue-heft-946.html

aus Konkret, 11/2012
Peter Nowak

Erster europaweiter Generalstreik geplant

In Deutschland rufen jetzt auch DGB-Gewerkschaften zu Kundgebungen auf.

Am 14. November gibt es eine Premiere in der europäischen Protestagenda. In Italien, Spanien, Portugal, Zypern und Malta organisieren die Gewerkschaften erstmals koordiniert einen Generalstreik gegen die Krisenpolitik. Zu dem vom Europäischen Dachverband initiierten Streik rufen auch zahlreiche Basisgewerkschaften auf.

Schien sich der Ausstand zunächst auf Südeuropa zu beschränken, wollen sich nun auch belgische Gewerkschaften daran beteiligen. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass das Ford-Werk in Genk geschlossen werden soll. In einer Spontanaktion beteiligten sich daraufhin 200 Arbeiter am 7. November an einer Protestaktion vor den Fordwerken in Köln, was einen Großeinsatz der Polizei auslöste. Für den 14. November planen die belgischen Ford-Arbeiter erneute Streiks und Proteste.

Weckruf an die Kollegen in Deutschland

„Wir wollten unsere Kölner Kollegen warnen. Jeden Tag kann es passieren, dass die da oben weitere Stellenstreichungen und ganze Werksschließungen verabschieden“, begründete ein belgischer Arbeiter seinen Protest in Köln. Diese Worte könnten durchaus auch bei einigen Kollegen im Bochumer Opelwerk auf offene Ohren stoßen. Schließlich ist das Werk von Schließung bedroht und noch 2004 hatten die Beschäftigten einen einwöchigen wilden Streik organisiert. Doch nach der Einschätzung von Wolfgang Schaumberg, der lange Zeit in der linksgewerkschaftlichen Gruppe Gegenwehr ohne Grenzen aktiv war, ist dort aktiver Widerstand zurzeit nicht zu erwarten. „Alle rechnen sich aus, ob sie mit Abfinden aus dem Betrieb ausscheiden sollen“, beschreibt Schaumberg die aktuelle Situation.

So kommt unter den Kollegen kein Widerstandswille auf und die Unterstützer aus der näheren und weiteren Umgebung, die noch 2004 den Streik mitgetragen haben, werden nicht zu Aktionen bereit sein, wenn es keine Signale aus dem Werk gibt, so die Einschätzung. Wenn sich selbst bei Opel-Bochum trotz Schließungsdrohung und kämpferischen Traditionen wenig regt, kann man in anderen Teilen der Metallbranche auf noch weniger Bereitschaft zählen, sich am Streik zu beteiligen. Die IG-Metall hat in einem auch gewerkschaftsintern umstrittenen Aufruf mit dem Titel „Für ein krisenfestes Deutschland und ein soziales Europa“ ein Loblied auf die „Wirtschaftslokomotive Deutschland“ angestimmt, die kräftig Dampf ausstoße. Damit sie das auch in Zukunft tut, soll nach den Vorstellungen der IG-Metall der Lohn erhöht und einige Steuerreformen umgesetzt werden. Von den Streiks in vielen europäischen Ländern ist in dem Aufruf nichts zu lesen.

Diese Linie der Sozialpartnerschaft hat sich in der IG-Metall während der aktuellen Wirtschaftskrise verstärkt. Die staatliche Politik mit Kurzarbeiterregelung und Abwrackprämie wurde von der IG-Metall unterstützt. Hintergrund dieser Politik ist nach Meinung des Sozialwissenschaftlers Peter Birke, der zum aktuellen Krisenbewusstsein geforscht hat, die Fragmentierung in der Lohnarbeiterschaft in Deutschland. Ein Krisenbewusstsein sei bereits seit mehreren Jahren vorhanden, was einen Gewöhnungsprozess befördert. Zudem erschwere die Spaltung der Arbeiterschaft in Kernbelegschaften und Leiharbeiter einen gemeinsamen Widerstand. Daher wird es in Deutschland am Mittwoch wohl nicht zu Streiks, wohl aber zu Kundgebungen und Demonstrationen kommen, zu denen auch der DGB und zahlreiche linke Gruppen aufrufen.

Wie in Berlin ist auch in zahlreichen anderen Städten am kommenden Mittwoch ein gemeinsamen Vorgehen von Gewerkschaften und Solidaritätsinitiativen geplant. Letztere sehen die Teilnahme der Gewerkschaften als Erfolg und erhoffen sich eine stärkere Beteiligung an den Aktionen. Die europäische Revolution, wie sie Ex-Kanzler Helmut Schmidt kürzlich prophezeite, wird am 14. November sicher nicht auf der Tagesordnung stehen. Aber ein erfolgreicher Streik in mehreren Ländern könnte dafür sorgen, dass länderübergreifende Ausstände und andere Proteste im EU-Raum zukünftig zunehmen. Dazu wird es aber nur kommen, wenn wie Arno Klönne mit Recht anführt, die „vaterländischen Illusionen“ unter den Lohnabhängigen sich auflösen. Darüber wird bisher aber nur am linken Flügel der Bewegung diskutiert. Das Berliner M31-Bündnis, das zum europaweiten Aktionstag am 31. März mobilisierte, will mit sich in seinem Aufruf zum Aktionstag gegen jede Standortlogik aussprechen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153163
Peter Nowak

Kämpferisch für Bildung

Nicole Andersson ist Mitglied der französischen Gewerkschaft SUD-Éducation

nd: Im französischen Wahlkampf spielte Bildungspolitik eine große Rolle. Was hat sich nach dem Regierungswechsel verändert?
Es hat sich durch den Regierungswechsel nichts Wesentliches verändert, lediglich die prekären Beschäftigungsverhältnisse nehmen auch im Bildungsbereich zu. Die Sozialisten hatten im Wahlkampf versprochen, die 60000 unter Sarkozy gestrichenen Stellen im Bildungsbereich wieder zu besetzen. Doch es sind keine neuen Vollzeitkräfte geschaffen worden. Dafür nehmen die Zeitarbeitsverträge zu. Vor allem ältere Menschen aber auch schlecht ausgebildete junge Arbeitskräfte werden hier zu niedrigen Löhnen eingestellt. Dadurch wird der Lehrerberuf insgesamt entwertet.

2.) Gibt es Widerstand wegen der nicht eingehaltenen Wahlversprechen?

Nein, es ist zurzeit schwer Widerstand zu mobilisieren. Die meisten Menschen warten ab und wollen der Regierung Gelegenheit geben, ihre Politik umzusetzen. Es ist zudem generell schwerer, gegen die Politik der Sozialisten als der Konservativen Widerstand zu mobilisieren. Manche, die gegen die Politik von Sarkozy auf die Straße gegangen sind, argumentieren nun, dass die öffentlichen Kassen wohl wirklich leer sein müssen, wenn auch die Sozialisten diesen Diskurs ebenfalls übernehmen.

3.) Wie positionieren sich die Gewerkschaften zur neuen Regierung?

Die großen Gewerkschaften verhalten sich abwartend und mobilisieren ihre Basis nicht. Lediglich die Basisgewerkschaft SUD und die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften rufen auch gegen die Politik der neuen Regierung zum Widerstand auf. Dass die Streikbereitschaft in Frankreich in der letzten Zeit nachließ, liegt auch daran, dass die Streiktage nicht bezahlt werden und daher jeder Ausstand für die Beschäftigten mit Einkommensverlusten verbunden ist. Oft haben sie die Streiktage auf ihren Urlaub anrechnen lassen.

4.) Beschäftigt sich die SUD-Education auch mit der Frage einer emanzipativen Bildung?

Das ist ein wichtiges Thema. Uns geht es auch darum, die soziale Spaltung im französischen Schulsystem zu bekämpfen. Während die Privatschulen boomen, fehlt für die Ausstattung der Schulen in Stadtteilen mit der einkommensschwachen Bevölkerung oft das Geld.

5.) Welche Widerstandsmöglichkeiten haben sie?

N.C.: Die SUD-Education hat zur Verweigerung der Dossiers aufgerufen, mit denen Schülern schon von der Grundschule an bewertet werden soll. Dort sollen auch Angaben über das Elternhaus der Schüler einfließen. Lehrer, die sich dieser Datensammlung verweigert haben, wurde der Lohn gekürzt. Die neue Regierung lehnt die Rückzahlung des einbehaltenen Betrags mit der Begründung ab, dass damit die Lehrer belohnt würden, die gegen ein Gesetz verstoßen haben. Dabei wurde es mittlerweile von der Regierung zurückgenommen.

6.) Die SUD hat auch in Deutschland viel Beachtung gefunden. Wie ist ihr aktuelle Entwicklung?

N.C.: Gegründet wurde die SUD nach den großen Streik von 1995 von Basisgewerkschaftern, die mit den großen Gewerkschaften unzufrieden waren. Lange galt sie als ultralinks. Der heutige Präsident Hollande beschimpfte die SUD noch beim großen Streik 2009 als unverantwortliche Gewerkschaft, die bekämpft werden muss. Doch heute ist der Reiz des Neuen vorbei und die SUD hat sich als kämpferische Basisgewerkschaft stabilisiert.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/803634.kaempferisch-fuer-bildung.html
Interview. Peter Nowak

Superviren und die Gefahren von Forschung im Biotechsektor

Gesellschaftliche Debatte zur Biotechnologieforschung gefordert

Am Mittwoch fand im Bundestag ein Fachgespräch zum Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungsergebnissen statt. Das Thema hat in der letzten Zeit im Zusammenhang mit der Forschung an Vogelgrippeviren an Relevanz gewonnen. Wissenschaftlern des niederländischen Erasmus Medical Centers Rotterdam und der Universität von Wisconsin in Madison war es gelungen, eine Variante des Vogelgrippevirus herzustellen, die für Menschen und Tiere vermutlich gefährlicher ist als die bereits bekannten Varianten.

Darauf wies in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel das in Berlin ansässige gen-ethische Netzwerk und die Organisation Testbiotech hin. Dort wurde die Bundeskanzlerin aufgefordert, sich für einen Stopp der Herstellung von neuen Varianten des Vogelgrippevirus (H5N1) und eine Beschränkung des Zugangs zu den Genom-Daten einzusetzen. Beide Organisationen kritisierten, dass das Bundeskanzleramt eine Stellungnahme ablehnte. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob nicht der Bundestag der richtige Ort für die Debatte war, und ob es immer sinnvoll ist, wenn solche Frage zur Chefsache erklärt werden. Warum die vom gen-ethischen Netzwerk und Testbiotech geforderte gesellschaftliche Diskussion um die Forschung im biotechnischen Bereich befördert werden soll, wenn das Kanzleramt eine Stellungnahme abgibt, ist nicht so recht verständlich.

Dagegen sind die Forderungen der beiden Organisationen sehr begründet. Dazu gehört eine staatliche Überwachung von Laboren, die in der Lage sind, Erbgut künstlich zu synthetisieren. Zudem sollte ein demokratisch legitimierter und transparenter Entscheidungsprozess festgelegt werden, wer über die Durchführung derartiger Forschungsprojekte entscheidet und wer Zugang zu den Daten haben soll.

Eine weitere wichtige Forderung benennt Christof Potthof vom gen-ethischen Netzwerk gegenüber Telepolis. Die Studierenden der biotechnischen Fachbereiche sollten bereits im Grundstudium mit den Missbrauchsmöglichkeiten ihrer Forschung vertraut gemacht werden. Bisher ist es üblich, solche Debatten erst in späteren Semestern zu führen. Potthof befürchtet, dass die Kommilitonen dann schon so tief der naturwissenschaftlichen Logik verhaftet sind, dass sie die Missbrauchsgefahren kaum noch wahrnehmen. Dass drücke sich schon darin aus, dass viele Biologen ihre Forschungen immer damit rechtfertigen, dass sie medizinisch sinnvoll sind. Die Gefahren werden dabei ausgeblendet.

Verfahrensfragen in den Mittelpunkt stellen

Christof Potthof, der auf Einladung der Linke-Bundestagsabgeordnete Petra Sitte an dem Fachgespräch teilnahm, betonte in seiner Stellungnahme, dass es nicht ausreiche, über die Ergebnisse von biotechnologischer Forschung zu reden. Es müsse schon die Formulierung der Forschungsergebnisse in den Focus gerückt werden. Nur dann kann im Vorfeld eine Risikoabwägung zwischen Nutzen und Gefahren von Forschungsergebnissen abgewogen werden.

Solche Forderungen wurden bereits 2006 erhoben, als es um die Forschung zu der Spanischen Grippe ging. In seinen weiteren Ausführungen ging Potthof dann genauer auf die Debatten im Bereich der Grippevirenforschung ein. Gerade auf diesem Gebiet wird auch die Notwendigkeit von mehr Transparenz im Forschungsbereich deutlich. Denn parallel zu einer Forschungsgemeinde, die sich vor öffentlichen Debatten möglichst abschottet, gibt es Gruppen und Netzwerke von Impfgegnern, die mit Halb- und Viertelwissen gemixt mit Spekulationen und Verschwörungstheorien gegen jegliche Impfungen mobil machen.

Eine sich abschottende Wissenschaft bestärkt solche teilweise irrationalen Haltungen sicher noch. Insofern könnte die geforderte gesellschaftliche Debatte über den Nutzen und die Gefahren einer Biotechnologieforschung auch dazu beitragen, eine rationale Debatte über diese Problematik zu fördern. Die Bundestagsdebatte vom 7.11., die in Text und als Video im Internet vorliegt, kann vielleicht einen Beitrag zu dieser geforderten gesellschaftlichen Debatte leisten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153146
Peter Nowak

Nein zu Spardiktaten und Nationalismus

Besuch in Griechenland: Soziale Projekte aus der Not heraus und Selbstorganisation
Gewerkschafter lernten bei einer Griechenland-Reise ein Land zwischen sozialen Experimenten und faschistischer Gefahr kennen

»Unser Ziel ist es, zu gewährleisten, dass niemand im nächsten Winter an Hunger stirbt.« Diesen Satz sagte ein Abgeordneter der linkssozialistischen Syriza in Griechenland zu einer Gruppe von europäischen Gewerkschaftern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. »Wir wollen uns ein eigenes Bild von dem krisengebeutelten Land machen und unsere Solidarität bekunden«, beschreibt der Berliner Metall-Gewerkschafter Hans Köbrich die Motivation der einwöchigen Solidaritätstour.
Die Gewerkschafter besuchten zahlreiche Solidaritätsprojekte, in denen die Menschen versuchen, die Folgen der Krise zumindest abzumildern. Gleich am zweiten Tag der Delegation besichtigten sie ein im Aufbau befindliches soziales Zentrum in Athen. Es wird in einer ehemaligen Privatschule auf Spendenbasis eingerichtet. Ein Gesundheitszentrum stand ebenso auf der Agenda der Delegation wie ein besetzter ehemaliger Campingplatz, der 20 Jahre nicht mehr genutzt wurde. Anwohner haben die »Bürgerinitiative Alternative Aktion« gegründet und das Areal besetzt, damit sie kostenlos den Strand nutzen können.

Die Solidaritätsreisenden haben verschiedene dieser selbstorganisierten Projekte sowie verschiedene Basisgewerkschaften besucht. Sie haben dabei ihre parteipolitische Neutralität deutlich gemacht. Allerdings wird auf dem auf der Internetplattform Labournet veröffentlichten Reisetagebuch deutlich, dass Aktivisten von Syriza öfter bei den Treffen anwesend waren, während ein Besuch bei der der Kommunistischen Partei nahestehenden Gewerkschaftsverband Pame nicht geplant war. Dabei wäre es sicher auch interessant gewesen, was aus den Beschäftigten geworden ist, die mehrere Monate ein Stahlwerk bei Athen besetzt hatten. Die maßgeblich von der Pame getragene Aktion war von Gewerkschaften in verschiedenen Ländern als Protest gegen die EU-Politik unterstützt worden.

Rechte Gewalt steigt an

Besonders entsetzt waren die Gewerkschafter über das Ausmaß rechter Gewalt, von der in den letzten Monaten besonders Flüchtlinge in Griechenland betroffen sind. Dabei sei die neonazistische Partei der Morgenröte mit ihren gewalttätigen Angriffen nur die Spitze des Eisbergs, berichten die Gewerkschaftler. So hätten die Polizeirazzien in von Flüchtlingen bewohnten Stadtteilen massiv zugenommen. Gleichzeitig seien Antifaschisten, die sich mit den bedrohten Menschen solidarisieren, von staatlicher Repression betroffen.

Die Gewerkschafter sind nach der einwöchigen Delegation also mit sehr gemischten Eindrücken zurückgekehrt. Das Anwachsen der rassistischen und faschistischen Bewegung gehört zweifellos den negativsten Erfahrungen. Prägend war für viele Teilnehmer auch der Alltagswiderstand in Griechenland, der hierzulande kaum bekannt ist. Selbst in linken Medien werde oft nur die Opferhaltung, kritisiert ein Delegationsteilnehmer. »Griechenland wird oft als Experimentierfeld bezeichnet, das zeigen soll, wie weit die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten vorangetrieben werden kann. Wir haben aber auch ein Land kennengelernt, das ein Laboratorium für neue Formen des sozialen Lebens geworden ist.« Ihre so völlig unterschiedlichen Eindrücke wollen die Gewerkschafter auf Veranstaltungen in Deutschland weiter vermitteln. In Berlin berichtet die Reisegruppe am 13.November um 18 Uhr im Haus der IG Metall in der Alten-Jakob-Straße 149. Dort sollen auch Spenden für die soziale und antifaschistische Projekte gesammelt werden.

Das Tagebuch finden Sie unter: www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/2012/griechenreisetagebuch.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/803711.nein-zu-spardiktaten-und-nationalismus.html
Peter Nowak

Arm, aber durchleuchtet

Sozialhilfeempfänger im Schweizer Kanton Bern müssen einer Offenlegung ihrer persönlichen Verhältnisse zustimmen.

Die Schweiz ist berühmt für ihr Bankgeheimnis, und viele Schweizer wollen auch, dass das so bleibt. Für alle Bürger gilt es jedoch nicht. Das stellte kürzlich das Schweizer Bundesgericht in einem Urteil klar, als es die Verfassungsmäßigkeit des zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern überprüfte. Geklagt hatten zahlreiche Organisationen, darunter die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (DJB), die Partei der Arbeit, die Alternative Linke und das Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen Kabba.

Ihrer Ansicht nach verstößt das Gesetz nicht nur gegen die Verfassungsgrundsätze des Datenschutzes, sondern verletzt außerdem das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Hilfe in Notlagen. Ihr Hauptkritikpunkt ist der Zwang zur Datenabgabe, die im Berner Sozialhilfegesetz festgeschrieben ist. So müssen Bewerber um Sozialhilfe bereits beim Einreichen ihres Antrags eine Vollmacht ausstellen, die den Sozialbehörden Einblick in sensible persönliche Informationen wie Krankenakten oder Bankdaten ermöglichen soll.

Kritiker sprechen von einem Zwang zur Denunziation und von »Spitzeldiensten gegen Hilfsbedürftige«. Schließlich werde nicht nur der Informationsaustausch zwischen Behörden erleichtert. Das Gesetz verpflichtet auch Vermieter, Firmen, Familienangehörige oder WG-Mitbewohner »zur Erteilung mündlicher und schriftlicher Auskünfte, die für den Vollzug erforderlich sind«. Die Behörden können solche Informationen ohne Zustimmung und Wissen der betroffenen Person einholen.

»Die hysterisch geführte Sozialhilfemissbrauchsdebatte führt im Kanton Bern zur systematischen Entrechtung Hilfsbedürftiger«, schreibt die Schweizer Wochenzeitung. Doch die Mehrheit der Richter beim Schweizer Bundesgericht erklärte den Passus für verfassungsgemäß. In der Anfang Oktober veröffentlichten schriftlichen Urteilsbegründung wird allerdings festgestellt, dass die Vollmacht nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen solle. Überdies dürfe bei einer Weigerung, sie zu unterzeichnen, die Sozialhilfe nicht unter das Existenzminimum gekürzt werden. Für den Gerichtspräsidenten Rudolf Ursprung sind die Zweifel daran, dass die buchstabengetreue Lesart des Gesetzes verfassungskonform ist, nicht beseitigt. Die Sozialdienste hätten aber kein Interesse an einer verfassungswidrigen Auslegung, begründete das Mitglied der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) seine Zustimmung zum Gesetz.

Die SVP sorgt mit Kampagnen gegen Migranten und Muslime, aber auch gegen Sozialhilfeempfänger immer wieder für Schlagzeilen. Die Kläger äußerten sich trotz ihrer Niederlage in einer Erklärung zufrieden, weil das Gericht erkannt habe, dass die Vollmacht aus politischen Gründen in das Gesetz geschrieben worden sei. Außerdem hoffen sie, dass mit dem Urteil einer extensiven Auslegung der Vollmacht Grenzen gesetzt worden sind.

Besonders zufrieden zeigt sich allerdings neben der SVP die wirtschaftsliberale FDP. Beide Parteien haben in Bern die Regelung gegen den Widerstand von Sozialdemokraten und Grünen im Parlament durchgesetzt. Nachdem die Verschärfung im Kanton Bern vor Gericht Bestand hatte, gibt es auch in anderen Kantonen Überlegungen, ähnliche Regelungen einzuführen. Die von manchen Demokratietheoretikern auch hierzulande gelobten Volksabstimmungen sind kaum ein Hindernis, weil Initiativen, die die Interessen von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängern stärken wollen, dabei in der Regel keine Mehrheit bekommen.

Diese Erfahrung mussten auch die Gegner des Berner Sozialhilfegesetzes machen. Unter dem Motto »Datenschutz für alle« hatten verschiedene soziale Initiativen und Erwerbslosengruppen im vorigen Jahr Unterschriften für ein Referendum gesammelt. Dies wurde abgebrochen, weil nur knapp die Hälfte der erforderlichen Unterschriften zusammengekommen war. Erst dann versuchte man, den Schnüffelparagraphen auf juristischem Weg zu stoppen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/41/46380.html
Peter Nowak

Proteste in Griechenland – Ruhe in Deutschland

Merkel zeigte sich solidarisch mit griechischer Regierung, aber wo blieb die Solidarität der sozialen Bewegungen mit der griechischen Bevölkerung?

Tausende gehen auf die Straße, ganze Industriezweige sind in den Streik getreten, um heute gegen die Sparpolitik von Angela Merkel zu protestieren. Diese Nachrichten stammen aus Griechenland, wo die Kanzlerin eine eintägige Stippvisite unter Freunden angetreten ist. Weder Gewerkschaften, soziale Bewegungen oder die stärkste Oppositionspartei, die linkssozialdemokratische Syriza, standen auf ihrem Besuchsprogramm. Daher ist auch die Vorstellung absurd, Merkel sei nach Griechenland gereist, um zu erfahren, wie große Teile der Bevölkerung unter dem Krisenprogramm leiden. Vielmehr diente ihre Kurzvisite der Rückenstärkung des konservativen Ministerpräsidenten, dessen Dreiparteienkoalition sich schwertut, die von der EU immer vehementer eingeforderte Umsetzung des Spardiktats durchzusetzen. Für viele Menschen in Griechenland gehört Merkel zu den wichtigsten Protagonisten des Spardiktats. Daher galt in der Zeit ihres Besuches in Athen Sicherheitsstufe 1.

Doch wie reagierten die sozialen Bewegungen in Deutschland, die in den letzten Monaten immer betonten, sie seien solidarisch mit der griechischen Bevölkerung? Selbst die üblichen Solidaritätskundgebungen scheinen ausgefallen zu sein. Lediglich das globalisierungskritische Netzwerk zückte seine stärkste Waffe, die Presseerklärung, und erklärt sich solidarisch mit den „Demonstrierenden in Griechenland“.

Vom Sommerloch in den Winterschlaf?

„Nein zum Kürzungsdiktat der Troika: Besetzen, Blockieren, Demonstrieren“, heißt es auch auf der Homepage des bundesweiten Krisenprotestbündnisses. Wer darin eine zumindest verbale Unterstützung der griechischen Demonstranten erkennen will, irrt. Denn es handelt es sich um den Aufruf zu den Blockuppy-Aktionstagen vom Mai dieses Jahres. Seitdem scheint die Homepage nicht mehr aktualisiert worden zu sein.

Auch das M31-Bündnis, das am 31. März dieses Jahres mit einem europaweiten antikapitalistischen Aktionstag auf sich aufmerksam machte, scheint sich vom Sommerloch in den Winterschlaf begeben zu haben. Zumindest ist auf der Homepage die Zeit am 31. März stehen geblieben. Wer den Terminkalender für den September anklickt, findet nur leere Felder. Dabei hatte der Aktionstag, der von den Protesten gegen die Privatisierung eines Wasserwerks in Thessaloniki beeinflusst war, den Anspruch, der Beginn eines europaweiten Protestzyklus auf antikapitalistischer Grundlage zu sein.

Selbst von den Griechenland-Solidaritätskomitees, die vor allem von Gruppen aus dem trotzkistischen Spektrum gegründet wurden, hört man dieser Tage nichts . Da drängt sich der Verdacht auf, dass sie vor allem gegründet wurden, um bei einem Syriza-Wahlsieg Präsenz zu zeigen. Da es dazu nicht gekommen ist, halten sich die Aktivitäten in engen Grenzen.

Vielleicht wird diese Inaktivität der gesamten Protestbewegung in Deutschland bald Thema der Blockuppy-Tage im Zelt sein, zu dem für übernächstes Wochenende nach Frankfurt geladen wird. Dort soll ein Teil der Vorträge im Zelt nachgeholt werden, die im Mai wegen des Verbots nicht durchgeführt werden konnte. Auf einen Bewegungs- und Aktionsratschlag soll auch über weitere Aktionen diskutiert werden. Eine Art Blockuppy 2013 ist in der Diskussion.

Dabei müsste einmal die Frage diskutiert werden, warum solche Proteste nur als kräftezehrendes Großevent möglich sind, nach dem immer große Pausen folgen, in denen sich die Aktivisten psychisch und finanziell regenerieren müssen. Gerade der fehlende Alltagswiderstand ist der Grund, warum der Griechenlandbesuch Merkels hierzulande ohne Resonanz blieb. Deutschland als fast protestfreie Zone, dieses Szenario haben bereits vor 20 Jahren auf Konferenzen Aktivisten wie Thomas Ebermann heraufziehen sehen. Sie begründeten das Szenario mit der politisch und ökonomisch gestärkten Rolle Deutschlands, in dem die Protestbewegung eine ähnlich marginale Rolle wie in den USA spielen würde. Dieser Vergleich würde auch erklären, warum zumindest in Griechenland, aber sicher auch in anderen Ländern der europäischen Peripherie ein Besuch deutscher Spitzenpolitiker eine ähnliche Protesthaltung hervorruft wie in Lateinamerika der Besuch des US-Präsidenten.

Einige Aktivisten aus Deutschland haben sich doch an Protesten beteiligt. So heißt es auf der Attac-Homepage: „Eine soziale Bewältigung der Krise ist nur durch massiven Widerstand gegen die Kürzungsdiktate, die Verarmungspolitik und den Privatisierungswahn durchsetzbar“, ergänzte Tine Steininger, die am Montag für Attac Deutschland nach Athen gereist ist, um sich den Demonstrierenden anzuschließen. Zudem hat Attac einen Weblog eingerichtet, der aktuell über die aktuellen Proteste in Griechenland informiert.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152951
Peter Nowak

Kein Pride in Belgrad

Homosexuellen-Parade bleibt auch 2012 verboten

Der bei der Berlinale preisgekrönte Film »Parada« hat die rechten Angriffe auf Homosexuelle im Jahr 2010 in Belgrad zum Thema. Darin werden ehemalige Kriegsveteranen zum Schutz des »Belgrad Pride« angeheuert – in der Realität bleibt das undenkbar. Wie schon im letzten Jahr wurde die für Samstag von Schwulen- und Lesbengruppen geplante Demonstration in Belgrad vom serbischen Ministerpräsident und Innenminister Ivica Dacic verboten.

Er habe nach der Auswertung der Sicherheitshinweise entschieden, alle geplanten Versammlungen in der Hauptstadt zu verbieten, teilte das Innenministerium mit und stützte sich damit auf dieselbe Begründung wie 2011, um Kundgebungen von Schwulen und Lesben zu verbieten. Es ist die Reaktion auf Bilder von knüppelschwingenden Männern, die vor zwei Jahren brutal auf feiernde Teilnehmer einer Homosexuellenparade in Belgrad einschlugen.

Auch in diesem Jahr hatten rechte Gruppen zu Angriffen auf die Parade aufgerufen. Mit dem Verbot werden sie aber noch gestärkt. Die Maßnahme ist auch ein Affront gegen die EU. Schon 2010 übte Brüssel Kritik am mangelnden Schutz der Homosexuellen. Der EU-Berichterstatter für den serbischen EU-Beitritt, Jelko Kacin, will weiter Druck auf die serbische Regierung ausüben. »LGBT-Rechte sollten das ganze Jahr über geachtet werden. Die ersten Verurteilungen wegen Hassgewalt haben wesentliche Präzedenzfälle geschaffen«, so Kacin.

Die Organisatoren der Belgrader Parade wollen trotz des Verbots feiern, legen es aber nicht auf eine Konfrontation mit der Polizei an und werden deshalb eine Saalveranstaltung abhalten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/800298.kein-pride-in-belgrad.html
Peter Nowak

Homosexuellenparade in Belgrad verboten

Wie schon zuvor werden als Grund mögliche Ausschreitungen angegeben

Nach Angaben verschiedener serbischer Medien werden die Behörden eine für den kommenden Samstag geplante Homosexuellenparade in der serbischen Hauptstadt verbieten. Der offizielle Grund lautet, es bestehe die Gefahr von Auseinandersetzungen, weil rechte und nationalistische Gruppen wie die Bewegung Dveri angekündigt hatten, die Parade mit allen Mitteln zu verhindern.

Dass es die serbische Rechte nicht bei Drohungen belässt, zeigte sich in den vergangenen Jahren. Seit sich 2001 in Serbien erstmals Homosexuelle organisierten und in die Öffentlichkeit gingen, traten militante Rechte auf den Plan, um diese anzugreifen. 2010, als in Belgrad die erste große Schwulenparade stattfand, gingen Bilder von knüppelschwingenden Rechten, die tanzende Homosexuelle angreifen, um die Welt. Auch im letzten Jahr war die Parade verboten worden, ebenfalls mit der Begründung mangelnder Sicherheit.

Die Problematik ist mittlerweile auch in Deutschland einem größeren Publikum bekannt, seit der auf der Berlinale ausgezeichnete und kürzlich in den Kinos angelaufenen Film Parada diese Angriffe zum Thema gemacht hat In dem Film schützen Kriegsveteranen die Homosexuellen vor den Angriffen.

Test für die EU-Tauglichkeit Serbiens?

Davon kann im realen Alltag in Serbien keine Rede sein. Seit es die Angriffe auf die Homosexuellen gibt, versuchen diese, Unterstützer in und außerhalb des Landes zu finden. Weil die Kräfte im Inland sehr schwach sind, haben sie schon vor 10 Jahren auf die EU gesetzt. So sehen einige der Gruppen, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen, den Umgang mit der Parade als eine Art Lackmuspapier auf die serbische EU-Tauglichkeit. Nachdem der prowestliche Präsident durch einen Exponenten der nationalistischen Rechten, der erst vor wenigen Jahren seinen Frieden mit der EU gemacht hat, abgelöst wurde, haben EU-Behörden diesen Standpunkt noch einmal bekräftigt. So erklärte der Berichterstatter für den serbischen EU-Beitritt Jelko Kacin: „Wir werden den Behörden in Belgrad weiterhin zureden, dass sie sicherstellen, dass die nächste Reise eines MEP zur Pride-Parade in Belgrad nicht nur für eine Pressekonferenz sein wird, so wie meine Reise letztes Jahr. LGBT-Rechte sollten das ganze Jahr über geachtet werden, und die ersten Verurteilungen wegen Hassgewalt haben wesentliche Präzedenzfälle geschaffen.“

Die Anlehnung an die EU ist aus der Sicht der schwachen demokratischen Kräfte im Land verständlich, aber keineswegs unproblematisch. Denn damit wird die diffizile Frage, wie der Umgang der EU mit Serbien zu beurteilen ist, mit der Haltung zur Schwulenparade kurzgeschlossen. Das gibt nationalistischen Gruppen die Gelegenheit, alle diejenigen, die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen die EU-Politik ablehnen, gegen die angeblich von der EU gesponserten Homosexuellen und ihre Freunde zu mobilisieren. Umgekehrt werden damit Homosexuelle unabhängig von ihrer sozialen Situation und ihrer politischen Positionierung automatisch ins Lager der EU-Freunde gerechnet.

Die Veranstalter wolle nun die Parada nach drinnen verlegen, aber dennoch während des Tages „gewisse Ereignisse“ organisieren. Man werde nicht untägig herumsitzen, wenn das Verbot tatsächlich verhängt werden sollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152902
Peter Nowak

Monate auf Visa warten?

Sevim Dagdelen moniert lange Wartezeiten für die Visa nach Deutschland

nd: Sie monieren lange Wartezeiten für die Visa nach Deutschland. In welchen Ländern dauert es besonders lange – und wie lang muss man sich dort gedulden?
Dagdelen: Besonders betroffen sind beispielsweise Russland und China, aber auch die Ukraine oder Ägypten. Die Wartezeit etwa in Shanghai und Kairo beträgt neun, in Moskau, Nowosibirsk oder Peking inzwischen fünf und sechs Wochen. In Kiew sind es sogar 11 Wochen bei normalen Besuchsreisen. Dazu muss man wissen, dass allein Moskau, Nowosibirsk, Shanghai und Peking mit weit über 500 000 Anträgen mehr als ein Viertel aller Visaanträge ausmachen. In Russland ist die Zahl der zu bearbeitenden Visaanträge pro Mitarbeiter/in zuletzt um 15 Prozent gestiegen.

Was ist der Grund? Abschreckung – oder Ineffektivität nach der teilweisen Privatisierung der Visaerteilung?
Lange Wartezeiten schrecken ab, zumal wenn ein großer finanzieller und zeitlicher Aufwand mit fraglichem Ausgang betrieben werden muss. Die Erteilungspraxis ist überaus streng. Bei den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden und afrikanischen Staaten gibt es Ablehnungsquoten von einem Drittel bis über 50 Prozent. Familienbesuche und der wichtige zivilgesellschaftliche Austausch werden durch diese restriktive Visapraxis behindert. Aber auch die wirtschaftlichen Beziehungen werden erschwert. Die Teil-Privatisierung des Visumverfahrens ist für die Betroffenen mit erheblichen Mehrkosten verbunden. »Externe Dienstleister« sollen nach EU-Vorgaben eigentlich nur als »letztes Mittel« zum Zuge kommen. Hiervon kann aber keine Rede sein, wenn die Bundesregierung nicht einmal genügend Personal in den Botschaften einsetzt wie etwa in Russland.

Sie sehen durch die Verzögerungen bei der Visavergabe das EU-Recht verletzt.
Es geht um Artikel 9 Absatz 2 des Visakodex. Dabei handelt es sich um eine verbindliche Verordnung der EU aus dem Jahre 2009. Danach müssen Auslandsvertretungen Antragstellenden innerhalb von zwei Wochen einen Termin zur Beantragung eines Schengen-Visums geben. Diese Frist kann nur in Ausnahmefällen überschritten werden. Bei der deutschen Visapraxis kann von einer Ausnahme aber keine Rede sein, wie die deutlichen Fristüberschreitungen, zum Teil über Monate hinweg, zeigen. Die Bundesregierung versucht, sich mit Verweisen auf saisonale Schwankungen und Reisestoßzeiten zu rechtfertigen. Ein Handbuch zum Visakodex sieht allerdings vor, dass die Personalkapazitäten so anzupassen sind, dass die Frist auch in Stoßzeiten eingehalten werden kann. Da die Bundesregierung das nicht tut, habe ich Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt und Zahlenmaterial über die untragbaren Zustände in wichtigen deutschen Botschaften übermittelt.

Könnten die Visa nicht einfach abgeschafft werden?
Tatsächlich ist für die LINKE die Beseitigung der Visumspflicht noch immer die beste Erleichterung. Damit stehen wir parlamentarisch allerdings allein. Deshalb fordern wir die Bundesregierung zumindest zu einer grundlegenden Korrektur und Liberalisierung der Visapolitik auf. Die Visaregeln und Anforderungen im Verfahren müssen so weit wie möglich gelockert, das Personal aufgestockt und das Verfahren insgesamt erleichtert werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/239705.monate-auf-visa-warten.html
Interview: Peter Nowak

Kanton Bern darf weiter schnüffeln

Auskunftspflichten in Sozialhilfegesetz bestätigt

Die Schweiz gilt als Eldorado für Millionäre, die vehement auf ihr Bankgeheimnis bestehen. Für Sozialhilfebezieher gelten solche Privilegien nicht. Dass stellte kürzlich das Bundesgericht in einem Urteil klar, in dem es die Verfassungsmäßigkeit des seit Beginn dieses Jahres in Kraft befindliche Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern überprüfen sollte. Geklagt hatten die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (DJB) und das Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen Kabba. Ihr Hauptstreitpunkt in war der Zwang zur Datenabgabe, die in dem Berner Sozialhilfegesetz festgeschrieben ist. So müssen: Bewerber um Sozialhilfe bereits Einreichen ihres Antrags eine Vollmacht ausstellen, welche den Sozialbehörden Einblick in sensible persönliche Informationen wie Krankenakten oder Bankdaten ermöglichen soll.Zudem sollen Vermieter, Firmen, Familienangehörige oder WG-Mitbewohner bei Nachfragen der Sozialbehörden zur Datenabgabe verpflichtet werden. Kritiker sprechen von einem Zwang zur Denunziation.
Eine Mehrheit der Richter erklärte den Passus für verfassungsgemäß, eine Minderheit betonte in einem Sondervotum, dass in dem Sozialhilfegesetz festgelegt wird, dass die Vollmacht nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen solle.
Für den Gerichtspräsidenten Rudolf Ursprung sind die er Zweifel, ob die buchstabengetreue Lesart des Gesetzes verfassungskonform ist, nicht beseitigt Die Sozialdienste hätten aber kein Interesse an einer verfassungswidrigen Auslegung, begründete das Mitglied der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP),warum er das Gesetz trotz Zweifel für verfassungskonform hält
.. Die SVP war in den letzten Jahren unter ihrem Vorsitzenden, dem Chemiefabrikanten Blocher, weit nach rechts gerückt und sorgt mit Kampagnen gegen Migranten, Moslems aber auch gegen Sozialhilfeempfänger für Schlagzeilen. Die Kläger zeigten sich trotz ihrer Niederlage in einer Erklärung zufrieden, dass das Gericht erkannt habe, dass die Vollmacht aus rein politischen Gründen in das Gesetz geschrieben wurde. Außerdem hoffen sie, dass mit dem Urteil einer extensiven Auslegung der Vollmacht Grenzen gesetzt sind. Besonders zufrieden zeigen sich allerdings neben der SVP die wirtschaftsliberale FDP. Nachdem die Verschärfung im Kanton Bern vor Gericht bestand hatte, gibt es auch in anderen Kantonen Überlegungen ähnliche Regelungen einzuführen. Die von manchen Demokratietheoretiker hochgelobten Volksabstimmungen sind dagegen kaum ein Hindernis, weil Interessen von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängern dort in der Regel keine Mehrheit bekommen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/238491.
kanton-bern-darf-weiter-schnueffeln.html

Peter Nowak