Aus den Fabrikhallen dieser Welt

Neues kanal B-Video über Arbeitskämpfe in Indien
Ein neues Video thematisiert die Kämpfe indischer Automobilarbeiter im Industriegürtel von Delhi.

»Wir stellen Teile für Maruti her. Ohne uns kann das Auto nicht produziert werden.« Der junge Inder klingt sehr selbstbewusst. Er lebt mit zwei Arbeitskollegen in einer kleinen Wohnung am Rande der indischen Metropole Delhi und verdient monatlich umgerechnet 85 Euro. Porträtiert wird er in dem Video »Die Strategie der Strohhalme«. Die Berliner Filmemacherin und Mitbegründerin des Videokollektivs »kanal B« Bärbel Schönafinger beschäftigt sich in dem knapp einstündigen Film mit der Ausbeutung und dem Widerstand im Industriegürtel von Delhi.

 Zu Wort kamen Beschäftigte, die wegen der miserablen Lebensbedingungen aus den Dörfern in die Großstadt kamen. Eine 17-Jährige hat sogar ihr Alter nach oben korrigiert, um den begehrten Arbeitsplatz zu bekommen. Die 65 Euro, die sie monatlich verdient, schickt sie in ihr Dorf – an ihre Familie, die darauf angewiesen ist. Allein im Industriegürtel von Delhi arbeiten mittlerweile vier bis fünf Millionen Menschen. Sie ruinieren ihre Gesundheit für Löhne, die kaum das Überleben ihrer Familien sichern und schaffen so die Grundlagen für den Aufstieg Indiens zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt. Doch anders als im Fall von China, dem großen Konkurrenten beim Aufstieg, werden die Arbeitsbedingungen in Indien bisher wenig thematisiert. Daher ist dem Video eine große Aufmerksamkeit zu wünschen.

Denn Schönafinger zeigt nicht nur die Ausbeutung, sondern auch die Organisierungsversuche der Beschäftigten. Selbst der 17-jährigen Jungarbeiterin ist die Gewerkschaft »Einheit« bekannt. Einer ihrer Kollegen vergleich sie mit einem Nest aus Strohhalmen, das den Einzelnen auffängt und schützt. Diese Metapher ging in den Titel des Videos ein.

In den Gesprächen machen die Arbeiter deutlich, dass sie sich ihrer Macht bewusst sind. Als während der Fabrikkämpfe im Jahr 2009 die Produktion im Industriegürtel von Delhi stockte, kamen bald auch die Fließbänder von General Motors in verschiedenen US-Werken zum Stehen. Denn die indischen Billiglohnklitschen gehören zur Lagerhalle der weltweiten Automobilindustrie. Die Beschäftigten fordern eine Selbstverwaltung auch in der Gewerkschaft. Deswegen haben sie auch Probleme mit einer der großen indischen Gewerkschaften, die Plakate der Arbeiter entfernen wollte, weil dort das Organisationslogo nicht verzeichnet war. Jawah, ein kommunistischer Gewerkschafter, berichtet über den blutig niedergeschlagenen Generalstreik in der indischen Stadt Faridabad im Jahr 1979. Die Zahl der erschossenen Arbeiter ist bis heute nicht bekannt. Nach der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen wurde dort gewaltsam die Leiharbeit durchgesetzt, berichtet der Gewerkschafter. Um zu verhindern, dass die proletarische Unruhe in Delhi ebenfalls unterdrückt wird, bedarf es der weltweiten Aufmerksamkeit und Solidarität. Dazu leistet das Video einen wichtigen Beitrag.

kanal B Ausgabe Nr. 35: Die Strategie der Strohhalme – Proletarische Unruhe im Industriegürtel von Delhi, 58 Min, 10 Euro, bestellen, herunterladen oder ansehen unter: kanalb.org/editions.php

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185567.aus-den-fabrikhallen-dieser-welt.html

Peter Nowak