Das Ei des Kommunismus

Linke DDR-Oppositionelle greifen Systemdebebatte auf
In der außerparlamentarischen Linken wird verstärkt wieder über den Kommunismus diskutiert. Am kommenden Montag beginnt in Berlin eine dreiteilige Veranstaltungsreihe mit der Fragestellung »Was tun mit Kommunismus?« Zu den Unterstützern gehört der Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost/West, die North-East-Antifa, die Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie verschiedene linke Zeitschriften. Die Linkspartei lieferte den Anlass für die Vorbereitung. »Die von Gesine Lötzsch und Inge Viett angerührte Diskussion über Wege zum Kommunismus, die sofort von der Linkspartei wieder kassiert worden war, hat uns zu der Veranstaltungsreihe motiviert«, meint der Historiker Harry Waibel gegenüber ND. Die Veranstalter grenzen sich aber auch von Linken ab, die den repressiven Charakter der sozialistischen Staaten leugnen bzw. jede linke Kritik daran abschmettern.

Für Waibel sollen drei grundlegende Fragen bei den Veranstaltungen behandelt werden. Ist es heute möglich, den Begriff und den Inhalt von »Kommunismus« mit sozial-emanzipatorischen Positionen zu verbinden? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Scheitern von Lenins autoritärem Konzept des »Demokratischen Zentralismus«? Ist eine horizontale Organisierung radikaler und revolutionärer Interessen eine Möglichkeit? So wird sich die erste Podiumsveranstaltung mit dem Verhältnis verschiedener emanzipatorischer Strömungen der antikapitalistischen Linken zum »real existierenden Sozialismus« befassen. Daran werden der Basisgewerkschafter Willi Hajek, der linke DDR-Oppositionelle Thomas Klein, die sächsische Landtagsabgeordnete der LINKEN, Monika Runge, die Autorin Bini Adamczak und der Verleger Jörn Schüttrumpf teilnehmen. Tags darauf diskutieren unter anderem die Zeithistorikerin Renate Hürtgen und der Publizist Christoph Jünke über die Frage, wie sozialistisch der »real existierende Sozialismus« war.

Die Organisatoren der Veranstaltungen, zu denen die heutige Erwerbslosenaktivistin Anne Seek gehört, nennen sich satirisch »Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus«, kurz SEK. Seek ist nicht die einzige DDR-Oppositionelle, die an der Vorbereitung beteiligt ist.

Auch Bernd Gehrke von der AG Geschichte der sozialen Bewegungen Ost-West, der in der DDR die Oppositionsgruppe Vereinigte Linke mitgegründet hat, gehört dazu. Er wird bei der Abschlussveranstaltung über Utopien jenseits des Kapitalismus diskutieren und zwar mit der Trotzkistin Lucie Redler, den Kölner Aktivisten Detlef Hartmann und Christoph Frings sowie dem anarchistischen Arzt Michael Wilk.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Referenten und Veranstalter gibt es einen Konsens: Alle suchen nach einen Kommunismus ohne Staat und Stasi.

Berlin, 31. Oktober, 18 Uhr, Mehringhof, Gneisenaustr. 2a; 1. November, 18 Uhr, Haus der Demokratie, Greifswalder Str.; 6. November, 17 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130.

eidesk.wordpress.com

http://www.neues-deutschland.de/artikel/209728.das-ei-des-kommunismus.html

Peter Nowak

Zurück zu Willy Brandt

Die Linke gibt es sich mit großer Mehrheit ein Grundsatzprogramm und stärkt Lafontaine und Wagenknecht

In den letzten Monaten wurde die Linkspartei in der Öffentlichkeit mehr als einmal zum Auslaufmodell erklärt. Begründet wurde diese Einschätzung neben den parteiinternen Streit auch damit, dass ja jetzt anders als zur Zeiten der Hartz IV-Proteste, die soziale Frage an Bedeutung verloren habe.

Nun müssten nach dieser Logik die Aktien der Linkspartei eigentlich wieder steigen. Schließlich hat die zweite Bankenkrise eine diffuse Protestbewegung auch in Deutschland hervorgebracht, die durchaus mit den frühen Anti-Hartz-Protesten vergleichbar ist. Zwar liegt der Occupy-Bewegung sicher keine Kapitalismuskritik zugrunde, aber sie drückt einen Unmut über die Verhältnisse aus. Auf jeden Fall hat sie es wie 2004 der Anti-Hartz-Protest geschafft, dass in den Medien die Krise wieder registriert wird.

Das neue Parteiprogramm wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen. Das von der Linkspartei auf ihrer Website veröffentlichte Bild soll wohl den Jubel – oder die Erleichterung? – darstellen.

Gute Zeiten eigentlich für die Linkspartei, die von ihrem Glück noch nichts ahnen konnte, als sie den Parteitag ganz im historischem Bewusstsein für Ende Oktober in Erfurt ansetzte. Schließlich bedeutete der Erfurter Parteitag der Sozialdemokratie vor 120 Jahren den Durchbruch des Marxismus in der alten Sozialdemokratie.

„Koks ja – Banken nein“

Wenn der Linken also ein Traditionsbewusstsein nicht fehlt, kann dennoch niemand sagen, sie gehe nicht mit der Zeit. Das zeigte die Abstimmung über die Legalisierung aller Drogen, den die Parteitagsmehrheit gegen den Willen des Vorstands durchsetzte. Da war das Grundsatzprogramm noch nicht beschlossen und schon titelten die Medien hämisch und verkürzt „Koks ja – Banken nein“.

Nachdem die ersten negativen Pressereaktionen kamen, wurde der Beschluss schnell wieder relativiert und korrigiert. Damit wurden auch sofort die Grenzen der Konfliktfähigkeit der Linken markiert. Für die Forderung nach Verstaatlichung der Banken und der langfristigen 30-Stunden-Woche ist auch die Basis der Linken bereit zu streiten. Aber sich eine Drogenlegalisierungsdebatte aufzuhalsen, dafür hat auch in großer Teil der Linkenbasis dann doch keine Lust. Schließlich weiß man auch nicht, ob man sich da für die Forderung einer Klientel einsetzt, die dann doch eher die Piratenpartei oder gar nicht wählt.

Alle aufeinander angewiesen

Wer wie ein Großteil der Medien auf den großen Flügelkampf in der Linken, gar eine Spaltung gewartet hatte, wird nach Erfurt enttäuscht sein. Der Leitantrag des Parteivorstandes, um den in einzelnen Formulierungen noch lange gerungen wurde, bekam eine übergroße Mehrheit von 503 Stimmen bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen. Er soll jetzt den Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt werden. Da man von einer großen Zustimmung ausgehen kann, hat dann die Partei ihr erstes Grundsatzprogramm, und die ständigen Kritiker, die immer auf den programmlosen Zustand aufmerksam gemacht haben, haben ein Argument weniger.

Das Abstimmungsergebnis macht deutlich, dass in Erfurt die Sorge um den gemeinsamen Untergang der Partei überwogen hat. Der mit sinkenden Wahlergebnissen und Umfragewerten verbundene innerparteiliche Streit der letzten Monate hat allen Flügelexponenten deutlich gemacht, dass sie aufeinander angewiesen sind. Allein hätte keiner der Flügel eine realistische Chance, in ein Parlament einzuziehen. Also wäre auch die Machtperspektive verloren, auf die besonders die Realpolitiker setzen.

Das Wissen um den drohenden gemeinsamen Untergang förderte die Kompromissbereitschaft. An dieser flügelübergreifenden Einigkeit hatten Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine einen wichtigen Anteil. Letzterer setzte sich auf den Parteitag persönlich für einen Kompromiss bei der Formulierung der antimilitaristischen Grundsätze der Partei ein. Die waren in den letzten Wochen zu einem wichtigen Zankapfel im innerparteilichen Streit geworden.

Diese Auseinandersetzung hat schon die PDS mehr als 10 Jahre begleitet. Jeder Versuch der Realos, die antimilitaristischen Grundsätze aufzuweichen, um das Mitregieren zu ermöglichen, traf auf heftige Gegenwehr des linken Parteiflügels. Nach dem in Erfurt verabschiedeten Kompromiss soll Deutschland aus den militärischen Strukturen der Nato austreten, die Bundeswehr soll alle Kampfeinsätze beenden. Ein generelles Verbot, Bundeswehrsoldaten ins Ausland zu schicken, fand ebenso keine Mehrheit wie ein sofortiger Austritt aus der Nato.

Besonders Lafontaine hatte sich auf dem Parteitag für diesen Kompromiss eingesetzt. Von ihm stammt auch der Vorschlag eines Willy-Brandt-Korps zur unbewaffneten Katastrophenhilfe. Damit will der alte Sozialdemokrat seine ehemalige Partei ärgern. Allerdings dürfte der Bezug auf Willy Brandt bei Parteilinken nicht unumstritten sein. Denn der gehört in den 60er Jahren zu den Scharfmachern im Kalten Krieg, bevor er sich unter dem Einfluss von Egon Bahr auf das Konzept des Wandels durch Annäherung und damit die Entspannungspolitik einließ. Auch den Vietnamkrieg der USA unterstützte Brandt. Deshalb war sein Auftreten nicht unumstritten, als er als Elder-Stateman und Präsident der Sozialistischen Internationale in den 80er Jahren wieder seine Gegnerschaft zu Waffen und Raketen made in USA entdeckte. Damals galt Lafontaine als einer der Brandt-Enkel in der SPD. Auf diese Phase bezieht sich daher wohl auch Lafontaine mit seinen Vorschlag.

Wagenknechts Aufstieg

Schon zu Beginn des Parteitags hat sich auch Sahra Wagenknecht an die Realofraktion gewandt und zur Einigkeit gemahnt. Wagenknecht dürfte wohl in der Partei bald eine größere Rolle spielen. Sie ist schon als stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Gespräch. Die Realofraktion hat immer weniger Argumente dagegen.

Wagenknecht gilt als wirtschaftspolitische Expertin und hat in der aktuellen Krise dazu mehrmals fundiert Stellung genommen. Zudem hat sie in ihren jüngsten Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard gegen den aktuellen Neoliberalismus verteidigt. Diese kontrovers diskutierten Thesen dürften auch als Kooperationsangebot an die Realos gedacht sein.

Wer in der Linkspartei Karriere machen will, darf nicht als Flügelexponent auftreten, schon gar nicht, wenn man von der Kommunistischen Plattform kommt. Das informelle Bündnis Wagenknecht-Lafontaine existiert schon länger in der Linkspartei. Der linke Flügel hatte mit dem Motto „Kurs halten“ auf einer Konferenz im Vorfeld des Parteitags für den Erhalt des innerparteilichen Status Quo geworben. Sie haben sich als Vertreter der Parteimehrheit gesehen. Für diese Taktik wurde ihr auch von innerparteilichen Gegnern Respekt gezollt.

Die Schwäche der Realos liegt allerdings nicht nur an fehlenden vorzeigbaren Personen. Es gibt keinen Partner für ihre Vorstellungen eines politischen Ko-Managements. Das zeigt sich aktuell sogar in den Berliner Bezirken. Dort bildet sich eine Zählgemeinschaft aus SPD, Grünen und Union, um die Wiederwahl von Bürgermeistern der Linken zu verhindern, die teilweise seit Jahren dort regiert haben. Diese ganz große Koalition lässt sich lediglich vom Reflex gegen die Linke leiten.

Dass unter solchen Umständen die Kritiker einer Koalition um jeden Preis Gehör finden, dürfte nicht verwundern. Zumal weder Lafontaine, der wohl unter den Exponenten der Linkspartei die längste Regierungserfahrung hat, noch Wagenknecht ein Mitregieren generell ausschließen. Nur unter den Bedingungen, unter denen sich der Berliner Zweig darauf eingelassen hat und ihm einen großen Wählerschwund bescherte, will man sich wohl vorerst nicht mehr zum pflegleichten Juniorpartner degradieren lassen. Allerdings dürfte in den ostdeutschen Landesverbänden bald wieder eine Regierungsbereitschaft um jeden Preis diskutiert werden, wenn in einem der Bundesländer die Bedingungen dafür gegeben sind. Das kann sogar in Sachsen der Fall sein, wo manche in der SPD ihrer Rolle als Juniorpartner im CDU-Staat überdrüssig geworden sind. Die Koalitionsfrage wird die Linke also weiter begleiten.

Die medialen Kritiker, die vor allem in der Tageszeitung die Linke immer aufforderten, Teil eines Blocks aus SPD und Grünen zur Ablösung der Union und damit superrealistisch zu werden, raten ihr nun, von dem Erfolg der Piratenpartei zu lernen und den Klassenkampf sein zu lassen. Da nun aber die Piratenpartei zu Ausbeutungsverhältnissen auch in der Internetbranche wenig zu sagen hat und bei der Frauenemanzipation noch hinter die CSU zurückfällt, wäre die Umsetzung eines solchen Rats der Selbstmord der Linken. Zumal auch jenseits der medial mit Aufmerksamkeit verfolgten Grundsatzdebatte interessante Diskussionen um feministische Perspektiven geführt wurden, wird dadurch eher das Defizit der Piraten in diesen Fragen verdeutlicht.

Übrigens hat die innerlinke Nah-Ost-Debatte, die zeitweilig ein großes Thema vor allem außerhalb der Partei war (Linker Antisemitismus?), auf dem Parteitag keine große Rolle mehr gespielt. Schon vor einigen Wochen zeigte eine kleine Broschüre unter dem Titel „Königsweg der Befreiung oder Sackgasse der Geschichte“ auf , wie eine „Annäherung an eine aktuelle Nahostdebatte“ ohne aufgeregten Flügelstreit möglich ist.
a Luxemburg erklärte bei der Gründung der KPD um die Jahreswende 1918/19, dass man nun wieder bei Marx angelangt sei. Die Linke ist nach Erfurt im Oktober 2011 wieder bei Willy Brandt.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35751/1.html

Peter Nowak

Wettbewerbung der Bewegungsversteher

In den Medien sind die neuen Krisenproteste vorerst wieder in den Hintergrund gerückt. Doch für einen harten Kern von Aktivisten gehen die Proteste weiter – und alle haben sie irgendwie lieb

Auf einer der neuen Protestwebseiten heißt es: „Jeden Tag 15 Uhr, Assamblea am Bundestag, ab 20 Uhr Assamblea im IRC-Chat.“ Auch im Protestcamp vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main ist der Aktivismus noch ungebrochen. Dort wird für den kommenden Samstag eine große Party in der Frankfurter Innenstadt vorbereitet.

Auch in anderen Städten wie Berlin, Kiel und Düsseldorf sind für kommendes Wochenende weitere Krisenproteste geplant. Ob das Ziel, die Teilnehmerzahl vom 15.Oktober zu übertreffen, erreicht wird, bleibt offen. Zumal es in der Eile des Aktionismus oft noch Koordinierungsprobleme gibt. So war es noch vor einigen Tagen unklar, ob die Demo in Berlin am Roten Rathaus oder am Bundestag startet. Mittlerweile hat sich der letzte Ort durchgesetzt.

Doch die Protestbewegung denkt schon über das nächste Wochenende hinaus. Für den 29.Oktober ist ein neuer globaler Aktionstag geplant. Dafür wird auf der Website von Adbusters geworben, denen schon für die weltweite Koordination der Proteste der letzten Wochen eine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Die Initiatoren sind in den vergangenen Jahren vor allem als Werbe- und Konsumkritiker bekannt geworden. Die Probleme von Menschen mit geringen Einkommen waren also bisher nicht ihr zentrales Thema.

Neue Montagsdemonstrationen?

Vor allem in Ostdeutschland wird bereits wieder über die Reanimation der Montagsdemonstrationen nachgedacht.  Auf der zentralen Leipziger Kampagnenseite distanziert man sich von Drittbrettfahren aus der rechten Szene, die auf „Weltnetzseiten“ wie Volksbetrug und Volkswille ebenfalls von den Protesten zu profitieren hoffen. Derweil gibt es auch in der linken Bewegung Diskussionen über den Umgang mit der neuen Bewegung. Einerseits blicken viele Linke mit leuchtenden Augen auf eine Bewegung, die am letzten Samstag in Deutschland mehr Menschen auf die Straßen brachte, als die Anti-Krisenbündnisse. Sie erinnern sich daran, dass im Oktober 2010 eine Blockade des Frankfurter Bankenviertels mangels Masse abgesagt werden musste, während zurzeit tagelang Menschen vor den Bankzentralen campieren.

Andererseits wird auch die Orientierung großer Teile der Bewegung auf eine Bankenkritik äußerst kritisch gesehen. Teile des außerparlamentarischen Bündnisses Interventionstische Linke warnt die linke Bewegung davor, ihre Themen der neuen Bewegung aufzudrängen, und rät ihr, der Masse zuzuhören. Dem entgegnen andere, es wäre niemand damit gedient, wenn die linke Bewegung diskutierte Thesen zurücknähme. Schließlich fehle es der neuen Bewegung nicht an Fans, aber an Inhalten.

„Lasst Euch vereinnahmen“

Mittlerweile haben fast alle Bundestagsparteien, einschließlich der Union, ihr Verständnis für die Protestanliegen geäußert. Wenn sich auch die Aktivisten selber gegen alle Vereinnahmungsversuche wehren, so hat der Wettbewerb um die besten Protesteversteher schon begonnen.

Mittlerweile hat der der Attac nahestehende Publizist Mathias Greffrath der Bewegung auch schon geraten, keine Angst vor solchen Vereinnahmungen durch die Parteien zu haben. Der emeritierte Politologe Peter Grottian hat mit weiteren als Aktivisten bekannten Wissenschaftlern und Publizisten einen offenen Brief an Attac unterschrieben, in dem die weitgehende Inaktivität der Organisation bei den neuen Protesten kritisiert wird. Überhaupt nicht in Aktion treten die Sozialforen, die ein Jahrzehnt lang unterschiedliche Proteste zu koordinieren versuchten. Sie haben sich wohl als Aktionsform überlebt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150670

Peter Nowak

Aufrufe zu weiteren Bankenprotesten

Finanzmarktkritiker bereiten für das Wochenende neue Aktionen vor
Nach dem weltweiten Aktionstag versuchen Aktivisten, den Protest am Köcheln zu halten. In vielen Städten laufen die Vorbereitungen für Demonstrationen am kommenden Wochenende bzw. für die kommenden Montage.

Nachdem am 15. Oktober auch in Deutschland Zehntausende Menschen gegen die Macht der Finanzmärkte und die kapitalistische Krise auf die Straße gegangen sind, gehen die Proteste weiter. In Berlin treffen sich jeden Nachmittag rund 200 Menschen auf dem Platz der Republik vor dem Reichstag. In Hamburg campieren seit dem Wochenende Demonstranten vor der HSH Nordbank, in Frankfurt am Main vor der Europäischen Zentralbank (EZB). In der Finanzmetropole soll am Sonnabend zudem unter dem Motto »Join the Revolution« ab 12 Uhr auf den Rathenauplatz eine große Party gefeiert werden. Die Mobilisierung läuft vor allem über Internet.

Aber auch in vielen anderen Städten laufen derzeit die Vorbereitungen für neue Freiluftaktionen am kommenden Wochenende, wenn beim EU-Gipfel in Brüssel ein neues Bankenrettungspaket geschnürt werden soll. »Die neuen Bankenrettungspläne sind in den Augen großer Teile der Bevölkerung nicht legitim. Erneut sollen die Verursacher der Krise enorme Summen erhalten, während die Kosten auf die Bevölkerung abgewälzt werden«, kritisiert Alexis Passadakis vom Attac-Koordinierungskreis.

In ostdeutschen Städten setzt man dagegen wieder auf Montagsdemonstrationen. Unter dem Motto »Demokratie jetzt« wird in Leipzig für die nächste Woche zu 19 Uhr auf den Augustplatz mobilisiert. Der LINKEN-Vorsitzende Klaus Ernst erklärte im »Tagesspiegel«, er könne sich vorstellen, dass »überall Initiativen entstehen« und Menschen »jeden Montag vor der örtlichen Filiale der Deutschen Bank oder der Commerzbank dafür demonstrieren, dass die Banken an die Kette gelegt werden«. Welche Rolle organisierte Strukturen in der Bewegung spielen sollen, ist allerdings umstritten.

Die Angst vor Vereinnahmung ist bei den Neulingen groß. Bei einem Treffen von rund 150 Aktivisten der Berliner Occupy-Bewegung auf der Reichstagswiese wurde noch einmal die Unabhängigkeit gegenüber Parteien und etablierten Organisationen betont. Attac und das außerparlamentarische Bündnis Interventionistische Linke (IL), die seit Langem gegen die Krisenpolitik demonstrieren, sind als Ratgeber willkommen, aber nicht als Wortführer.

»Die Füßchen, die diesen Protest tragen, sind noch recht schwach und unerfahren«, sagt der emeritierte Politologe und Bewegungsaktivist Peter Grottian. Er vermisst professionelle Strukturen bei der Occupy-Bewegung. Grottian gehörte zu den Mitbegründern der Sozialforumsbewegung, die in den 90er Jahren Proteste koordinierte. Sie verlor in den letzten Jahren jedoch an Bedeutung. Dass die damaligen Netzwerke bisher nicht reaktiviert werden konnten, wird von langjährigen Mitarbeitern von Sozialforen als Indiz gewertet, dass sich diese Form der Protestorganisierung überlebt hat.

Die linken Krisenprotestbündnisse, die seit 2009 mehrere bundesweite Demonstrationen organisiert haben, dabei aber nie die Teilnehmerzahlen der Occupy-Bewegung vom Wochenende erreichten, scheinen dagegen durch die neuen Proteste wiederbelebt zu werden. So lud das Berliner Krisenbündnis für Dienstagabend zu einer kurzfristigen Vollversammlung, um mögliche gemeinsame Aktivitäten zu beraten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/209250.aufrufe-zu-weiteren-bankenprotesten.html

Peter Nowak

„Ich bin so wütend, dass ich dieses Schild gemalt habe“

Berlin: Occupy-Proteste mit großer Beteiligung, aber ohne Verbindung zur konkreten Situation

Mögen die Veranstaltungen zum globalen Antikrisentag am 15. Oktober insgesamt eher schwach besucht  gewesen sein, so traf das für Berlin nicht unbedingt zu. Rund zehntausend Menschen hatten sich am frühen Nachmittag zu einer Demonstration versammelt, die vom Alexanderplatz zum Bundeskanzleramt ziehen sollte. Kurz vor dem Ziel verließ die Menge die angemeldete Route und besetzte den Platz vor dem Reichstag. Auch der Pfeffersprayeinsatz der überraschten Polizei konnte die Menge nicht aufhalten. Bald herrschte am Platz zwischen Kanzleramt und Reichstag im spätherbstlichen Sonnenschein Feierlaune. Einige sahen den Jongleuren bei der Arbeit zu, andere ließen große Seifenblasen platzen, die wohl die Finanzblasen symbolisieren soll.

Als am späten Abend immer noch mehrere hundert Menschen auf den Rasen saßen und auch keine Anstalten machten, ihn zu verlassen, begann die Polizei mit der Räumung. Schon zuvor hatte die Polizei Decken und warme Kleidung beschlagnahmt und alle Versuche, Zelte auf der Wiese aufzubauen, unterbunden.

Kaum innenpolitische Auswirkungen

„Ich bin so wütend, dass ich dieses Schild gemalt habe.“ Ob der Spruch, den eine Frau auf ein Stück Pappe geschrieben hat, ironisch gemeint war? Jedenfalls charakterisiert es den Protest recht gut. Zum Schildermalen reicht die Wut, aber weiter?

Auch gegen wen sich die Wut richtete, war nicht so klar. Reden gab es keine, auch Flugblätter waren eher dünn gesät. „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“, lautete die häufig skandierte Parole. Andere Teilnehmer betonten im Gespräch, dass sie eigentlich zufrieden wären, wenn es wieder eine soziale Marktwirtschaft gäbe. Schließlich war der Aufruf für den Aktionstag so breit gefasst, dass im Grunde wirklich die viel zitierten 99% der Bevölkerung irgendwie damit einverstanden sein konnten.

Deswegen durfte es auch nicht zu konkret werden. So fehlte jeder Bezug zum Arbeitskampf bei der Charité Facility Management, obwohl sich einer der Standorte in unmittelbarer Nähe der Demonstration befindet und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zwei Stunden vor Beginn der Antikrisendemo auf der gleichen Route eine Solidaritätsdemonstration für die Streikenden organisiert hat. Anders als in den USA, Israel und auch in verschiedenen anderen Ländern hapert es hierzulande mit der Kooperation zwischen den Krisenprotesten und gewerkschaftlichen Gruppen.

Ein zentraler Grund liegt im Fehlen von Organisationen, die eine Verbindung herstellen können. Das war vor einigen Jahren die zentrale Aufgabe der Sozialforen, die aber in letzter Zeit stark an Bedeutung verloren haben, ebenso wie die Antikrisenbündnisse. Es ist fraglich, ob die Proteste des 15.Oktober diesen Organisationen neues Leben einhauchen. Schließlich hätte ein Aufruf des Antikrisenbündnisses nie eine solche Resonanz gehabt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150641

Peter Nowak

Hekla-Alarm in Berlin

Sprenganschläge auf Kabelschächte der Bahn konnten verhindert werden, mit ihnen sollte die Hauptstadt entschleunigt und Kritik am Krieg geübt werden

Ein Faible für isländische Vulkane ist den unbekannten Verfassern von Bekennerschreiben zu Anschlägen auf das Berliner S-Bahnsystem nicht abzusprechen. Im Mai 2011 war ein Schreiben zu einem Anschlag auf die Bahninfrastruktur am Ostberliner Umsteigebahnhofskreuz Ostkreuz mit dem metaphorischen Namen „das Grollen des Eyjafjallajökull“ unterzeichnet worden. Der Vulkan gleichen Namens sorgte mit seiner Aschewolke für Chaos auf den Airports. Am Montag hat ein Hekla-Empfangskomitee sich dazu bekannt, gleich sieben Sprengsätze an Zufahrtstunnels zum Berliner Hauptbahnhof angebracht zu haben. Hekla ist ebenfalls ein isländischer Vulkan, der nach Ansicht von Geologen kurz vor dem Ausbruch steht.

Obwohl die Sprengsätze in einer Tunnelausfahrt nördlich des Hauptbahnhofes in Moabit rechtzeitig entschärft werden konnten und so nicht zur Explosion kamen, war auch so der Schaden für die Bahn groß. Der Bahnverkehr kam zum Erliegen. Für eineinhalb Stunden war keine Durchfahrt durch den Bahnhof möglich. Bereits am frühen Morgen hatte ein Brandanschlag in Brandenburg Signalleitungen an der Bahnstrecke nach Hamburg zerstört, was zu massiven Einschränkungen im Zugverkehr geführt hatte.

Jeder Tag ein Kriegstag?

In dem auf der süddeutschen Indymedia-Dependance dokumentierten Schreiben, das als Presseerklärung bezeichnet und an viele Medien verschickt wurde, sagen die Verfasser, sie wollten die Hauptstadt in den „Pausenmodus“ zwingen und entschleunigen. Sie fordern Freiheit für Bradley Manning und nehmen als Begründung für den versuchten Anschlag auf den zehnten Jahrestag des Beginns des Afghanistankrieges Bezug.
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So heißt es dort in einem zentralen Abschnitt:

Zum Beispiel jährt sich gerade der Angriff auf Afghanistan zum zehnten Mal. Das nehmen wir zum Anlass zu bekräftigen, dass sich an den Divertissement gründlich etwas ändern muss. Die Gewohnheit, mit der hier jede Scheiße hingenommen oder durchgesetzt wird, muss durchbrochen werden. Angeblich sind 70 Prozent der deutschen Bevölkerung gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Trotzdem morden die Soldat_innen, der Waffenhandel floriert, die Aktien der Kriegsindustrie steigen. Der relative Reichtum hier begründet sich jeden Tag aufs Neue durch Krieg anderswo – durch Ressourcenklau und internationale Machtdemonstrationen. Jeden Tag wird aus Deutschland Kriegsmaterial in die Welt exportiert. Jeder Tag ist Kriegstag.

In dem Schreiben, das im Gegensatz zu vielen anderen dieser Selbstbekenntnisse nicht parolenhaft formuliert ist und erkennbar den Teil der Bevölkerung ansprechen soll, der zu den Gegnern des Afghanistankrieges gehört, aber keine politische Handlungsoption sieht, wird auch auf die angebliche politische Alternativlosigkeit eingegangen. Diese Metapher sei zur „prägenden Kategorie des Alltags geworden“. Die unbekannten Autoren begründen damit ihre militanten Aktionen, die allerdings ausdrücklich so angelegt gewesen seien, dass sie keine Menschenleben in Gefahr bringen sollten. In dem eher philosophischen Teil der Erklärung heißt es:

Die Funktionsfähigkeit dieser Gesellschaft aufrecht zu erhalten, bedeutet die Katastrophe, auf die diese Gesellschaft hinausläuft, alternativlos zu machen. In diesem Sinne ist die Krise keine Krise und die Katastrophe gar keine Katastrophe. Krise und Katastrophe sind der Normalzustand in einer Gesellschaft, in der Krisen und Katastrophen als alternativlos gelten.

Ein Hauch von Frankfurter Schule

„Wo es keine Alternative gibt, gibt es nichts mehr zu diskutieren oder einzufordern. Wenn der Krieg ein Dauerzustand ist, ein permanentes Mittel, um die Sicherheit aufrecht zu erhalten, macht es keinen Sinn mehr, den Abzug aus einem Land xy zu fordern“, begründen die Verfasser, warum ihrer Meinung nach ein friedlicher Protest bei den politischen Verhältnissen nicht mehr angemessen sei.

So wird auch die Wahl der militanten Mittel begründet, die selbst wenn die Verletzung von Personen ausgeschlossen worden ist, zu massiven Einschränkungen bei Bahnkunden, also Menschen, die mit dem Krieg nichts zu tun haben, führten. Damit wird auf Aktionsformen zurückgegriffen, wie sie Ende der 1960er Jahre in den USA und Deutschland diskutiert und praktiziert worden sind. So hat der radikalere Teil der US-Bewegung gegen den Vietnamkrieg die Parole „Bring die Truppen heim“ umgewandelt „Bring den Krieg heim“.

Auch damals wurde argumentiert, dass angesichts der Realität des Kriegsgeschehens bloße Forderungen nach Frieden nicht mehr adäquat seien. Hinzu kamen philosophische Anleihen aus der Theorie der Frankfurter Schule, die von einer total verwalteten Gesellschaft ausging, wo Opposition nur noch an den Rändern oder ganz außerhalb der Gesellschaft möglich sei. Auch in der Frühphase der RAF spielten diese Theoreme der Frankfurter Schule eine nicht unwichtige Rolle.

Auch nichtmilitante Kriegsgegner überlegen, unbequemer zu werden

Die Anschläge am Ostkreuz wurden von einem Teil der Afghanistan-Kriegsgegner mit dem Argument scharf verurteilt, damit bringe man die Menschen eher gegen sich auf. Allerdings gibt es bei seit Jahren politisch aktiven Menschen auch Verständnis für Aktionen, die nicht auf ungeteilte Sympathie stoßen, aber zu Diskussionen anregen.

Das zeigte sich bei einer Diskussionsveranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner im Rahmen ihres Leipziger Bundeskongresses. Obwohl dort auch ein starker Widerspruch gegen militante Aktionen vorgetragen wurde, formulierten viele Teilnehmer ein Gefühl der Rat- und Hilflosigkeit, wenn jeder Protest ignoriert wird und verpufft. Dem ständigen Verweis auf die große Mehrheit der Gegner des Afghanistan-Krieges in Deutschland wurde entgegen gehalten, dass sich diese Mehrheit aber politisch nicht artikuliert. Deswegen müsse auch gefragt werden, ob es sich wirklich um Gegner des Krieges handele oder ob die nur Kritik üben, wenn mal wieder ein deutscher Soldat in Afghanistan stirbt.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35661/1.html

Peter Nowak

Neues Leben unter dieser Nummer

Radikale Linke, die ihrem Leben eine neue Richtung geben wollen, haben jetzt dank der Bundesregierung eine besondere Chance
  Seit einigen Tagen bietet die Bundesregierung ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten an: „Das Programm richtet sich an Personen, die sich dazu entschieden haben, sich aus dem Einflussbereich linksextremistischer Strukturen zu lösen, den Ausstieg jedoch aus eigener Kraft nicht schaffen“, heißt es auf der Homepage.

Wer sich vertrauensvoll an die Rufnummer Rufnummer 0221/792-6600 oder die Emailadresse aussteiger@bfv.bund.de wendet und glaubhaft machen kann, dass er dem Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft ebenso abgeschworen hat, wie der Vorstellung, anstelle der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ein sozialistisches System etablieren zu wollen, kann unter anderem Unterstützung bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche sowie der Vermittlung von schulischen oder beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen erwarten. Auch Kontakte zu Justiz, Behörden und Arbeitgebern werden angeboten.

Die Ankündigung, dass das Aussteigerprogramm eine Beratungsstelle für Familienangehörige und Freunde von Angehörigen der linksextremistischen Szene darstellt, könnte vor allem bei jungen Menschen auch als Drohung verstanden werden.

Rechts gleich Links

Die Bundesregierung versteht das Aussteigerprogramm als „Teil des ganzheitlichen Ansatzes zur umfassenden Auseinandersetzung mit allen Erscheinungsformen des Extremismus“. Dadurch ist also eine weitere Variante der These „Links gleich Rechts“ aufgelegt worden. Allerdings erwarten Szenebeobachter, dass die Nummer und Emailadresse keine nennenswerte Anzahl linker „Aussteiger“ produziert. Das Angebot sei ein „symbolischer Akt“, zitiert die taz einen Sprecher des Verfassungsschutzes.

Ernster zu nehmen sind da schon Initiativen wie Bayern gegen Linksextremismus, die wie ein Internetpranger wirken und schon zu Raumverboten und anderen Behinderungen politischer Arbeit geführt haben. Dagegen kann die Hotline des Verfassungsschutzes fast schon unter Satire abgebucht werden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150596

Peter Nowak

Hoffnung auf Exportmotor Rüstung?

Eine Studie der IG Metall sorgt für Irritationen
Deutschen Waffen, deutsches Geld … schaffen Arbeitsplätze? Die IG Metall spricht sich in einer Studie für den Ausbau der maritimen Rüstung aus.

Die »Einsatzfähigkeit« der Kriegsmarine gegen die »Bedrohung des freien Warenverkehrs« muss ebenso sicher gestellt werden wie die »Exportfähigkeit« deutscher Waffen. Diese Anforderungen an die deutsche Rüstungsindustrie stammen aus einer von der IG Metall in Auftrag gegebenen Studie mit dem Titel » Perspektiven der deutschen militärischen Schiffbaukapazitäten im europäischen Kontext«.

Zu den Autoren gehören Kai Burmeister, der beim IG-Metall-Vorstand für Wehrtechnik zuständig ist, und die gewerkschaftsnahen Unternehmensberatungen Wilke, Maack und Partner in Hamburg und PCG-Project Consult in Essen. Die Studie war bereits 2010 fertig, aber erst vor wenigen Wochen durch einen Artikel auf der Webseite von German Foreign Policy bekannt geworden. Im Vorwort setzen Wolfgang Rohde vom IG Metall Vorstand und die Bezirksleiterin der IG Metall Küste Jutta Blankau Hoffnungen »auf die Wachstumsmärkte außerhalb Europas«. So heißt es dort, »tatsächlich planen einige Schwellenländer milliardenschwere Beschaffungen von Marineeinheiten«.

Für die Rüstung als Exportmotor sprechen sich auch die Verfasser der Studie aus. Sie weisen darauf hin, dass in den letzten beiden Jahrzehnten »allenfalls 20 bis 30 Prozent der national vorhandenen Entwicklungs- und Fertigungskapazität« der deutschen Marine ausgelastet gewesen seien. Seit den 60er Jahren seien 35 der in deutschen Werften gebauten U-Boote für die deutsche Marine und 81 Boote für den Export bestimmt gewesen. Das Bemühen »um eine gemeinsame Rüstungs- und Technologiebasis als Baustein einer glaubwürdigen und zukunftsfähigen europäischen Sicherheitspolitik« wird als Zielstellung der Studie benannt.

Nach dem Vorbild des Flugzeugträgerbaus schwebt den Verfassern eine Zusammenführung von Unternehmen im Marinebereich zu einer »EADS der Meere« vor. Hinter dem Kürzel verbirgt sich Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern, der mittlerweile auch zu den führenden Rüstungsfirmen gehört. So viel Unterstützung für die deutschen Rüstungsinteressen ist in- und außerhalb der Gewerkschaften auf Kritik gestoßen. Die Gewerkschaft nehme in Kauf, dass Entwicklungs- und Schwellenländer auch zukünftig mit dem Kauf deutscher Waffensysteme die Entwicklungshilfe mehrfach wieder zurückzahlen sollen. Sie verzichtet auf Widerspruch dagegen, dass Diktatoren und Terrorfinanzierer wie das Regime in Saudi-Arabien auch weiterhin deutsche Rüstungsgüter erhalten«, moniert die Bundestagsabgeordnete der LINKEN Kathrin Vogler in einer Mitteilung. Die Gewerkschafterin fragt sich, ob das noch die gleiche IG Metall ist, die einst über Kriegsdienstverweigerung und Alternativen zur Rüstungsproduktion aufklärte.

In einer Stellungnahme verwahrt sich der AK Wehrtechnik bei der IG Metall gegen die Vorwürfe. Dort wird der Bericht von German Foreign Policy als »Schmähschrift« bezeichnet, die der Denunziation und nicht der Argumentation diene. Es werde nicht zwischen den »analytischen Beschreibungen der Strategie der Bundesregierung und der NATO« und den Auffassungen der IG Metall unterschieden, moniert der Arbeitskreis. Er verweist auf das Vorwort der Studie, wo allgemein über friedenspolitische Grundsätze gesprochen geschrieben wird. Warum die IG Metall die Studie nicht ins Internet stellt, damit sich Interessierte selber von der Stichhaltigkeit der Kritik überzeugen können, bleibt offen. Sie kann allerdings unter der Adresse wi@igmetall.de bestellt werden.
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http://www.neues-deutschland.de/artikel/208324.hoffnung-auf-exportmotor-ruestung.html

Peter Nowak

Willkür gegen Migranten

UN-Arbeitsgruppe kritisiert deutsche Abschiebehaft und pychiatrische Zwangseinweisungen
Eine Delegation des UN-Menschenrechtsrates besuchte Gefängnisse, Polizeidienststellen und psychiatrische Einrichtungen in Deutschland, um Fälle von willkürlicher Inhaftierung aufzudecken.

Georgien, China, Iran, das sind nur einige der Länder, die einem sofort einfallen, wenn es um die willkürliche Inhaftierung von Menschen geht. Aber Deutschland doch nicht. Schließlich würde dort nach weit verbreiteter Meinung eine unabhängige Justiz solche Willkürmaßnahmen verhindern.

Dass es sehr wohl auch in Deutschland ein Problem mit willkürlichen Inhaftierungen gibt, wurde jüngst durch die Debatte um die Sicherungsverwahrung einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Sie war eines der Themen auf einer Pressekonferenz, die Delegationsmitglieder der »UN-Arbeitsgruppe zu willkürlicher Haft« am gestrigen Mittwoch im Auswärtigen Amt gaben. Es handelt sich dabei um eine von 33 Sondergruppen des UN-Menschenrechtsrates.

Wie die Delegationsmitglieder Hadji Malick Sow aus Senegal und Shaheen Sardar Ali aus Pakistan berichteten, haben sie in der Zeit vom 26. September bis zum 5. Oktober dieses Jahres Gefängnisse, Polizeidienststellen und psychiatrische Einrichtungen besucht. Ebenfalls auf der Agenda der zehntägigen Deutschlandvisite standen Treffen mit staatlichen Stellen und mit Nichtregierungsorganisationen. Die Kooperation mit den staatlichen Stellen in Deutschland sei gut gewesen, betonten die beiden UN-Delegierten. Gewünschte Informationen hätten sie erhalten.

Ausführlich ging Malick Sow auf die Entstehung und die Tätigkeit der Arbeitsgruppe ein. Sie ist 1991 entstanden und untersucht weltweit Fälle, in denen Menschen ohne rechtliche Grundlage die Freiheit entzogen wurde. Hierzu zählt behördlich angeordnete Haft, die nicht gerichtlich überprüft werden kann. Zudem schaut sich die Arbeitsgruppe an, ob Inhaftierungen auf diskriminierender Grundlage erfolgten und ob in Strafverfahren der Grundsatz der Fairness so schwerwiegend verletzt wurde, dass die Inhaftierung als willkürlich einzustufen ist.

Besonderes Augenmerk richtet die Arbeitsgruppe zunehmend auf die langfristige Inhaftierung von Flüchtlingen und Migranten. Das ist auch in Deutschland ein zentrales Problem, betonten die Mitglieder der Untersuchungskommission. Damit gingen sie auch kritisch auf die Praxis der Abschiebehaft in Deutschland ein. Hier werden Flüchtlinge inhaftiert, ohne dass sie eine Straftat begangen haben. Der Kommission seien bei Gesprächen mit Flüchtlingsorganisationen zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen sich Migranten über einen langen Zeitraum in Abschiebehaft befinden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für die Kommission die Zwangseinweisung von Menschen in psychiatrische Anstalten. Dagegen wenden sich nicht nur Betroffenenorganisationen, sondern zunehmend auch Menschenrechtsgruppen, die darin eine Willkürmaßnahme sehen. Mit dieser Kritik sind sie bei der Kommission auf offene Ohren gestoßen. Die Delegationsmitglieder wollen in ihren Empfehlungen an die Bundesregierung Änderungen der bisherigen Praxis anregen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung der Situation in Deutschland wird in den Bericht einfließen, den der UN-Rat für Menschenrechte im nächsten Jahr präsentieren wird.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/208234.willkuer-gegen-migranten.html

Peter Nowak

Rot-Grün in Berlin schon in der ersten Runde gescheitert

Rot-Grün in Berlin schon in der ersten Runde gescheitert Nur einige Kilometer Autobahn und schon das Ende der Blütenträume?

Zwei Wochen konnten die Freunde eines rot-grünen Regierungsbündnisses davon träumen, dass diese Variante von Berlin aus noch einmal die Republik erfassen könnte. Doch diese Blütenträume scheinen erst einmal ausgeträumt. Am Mittwoch wurde schon nach dem ersten Koalitionsgespräch das Scheitern vermeldet. Dabei wurde in den letzten Tagen immer wieder betont, dass sich SPD und Grüne doch in so vielen Fragen einig seien. Nur einige Kilometer Autobahn, die selbst innerhalb der SPD umstritten sind, wurden vordergründig zum Stolperstein. Mit Bundesmitteln soll ein 3,2 Kilometer langes Teilstück von Neuköln nach Treptow gebaut werden. Nicht nur Anwohner laufen dagegen Sturm. Nach den Wahlen schien es so, als würden die Grünen sich ihre Opposition gegen die A100 mit Gegenleistungen auf anderen Gebieten abkaufen lassen. Erste Anzeichen eines solchen Deals lösten bei der Linken Schadenfreude, aber auch in der eigenen Partei einen kleinen Aufstand aus. Der Grüne Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz drohte sogar mit einem Parteiaustritt, wenn sie die Autobahn durchwinke. Das führte dazu, dass die grünen Verhandlungsführer deutlich machten, dass sie sich nicht an das Votum des CSU-Verkehrsministeriums binden. Das Ministerium hatte schon betont, dass man die für die A100 bereit gestellten Bundesmittel nicht für andere Verkehrsprojekte verwenden könne. Die SPD erklärte sofort, dass dann das Autobahnteilstück gebaut werden müsse, die Grünen hingegen wollten alle juristischen und politischen Mittel ausschöpfen, um das Projekt doch noch zu verhindern.

Grüne zu selbstbewusst?

Hinter dem Streit um knapp 3 Kilometer Autobahn steht allerdings auch die Frage, ob die Grünen ein so pflegeleichter Koalitionspartner sein würde, wie es ein Jahrzehnt lang die PDS beziehungsweise die Linkspartei war. Die trug bis zur Selbstverleugnung und der Dezimierung ihrer Wählerbasis die Projekte der SPD mit. Die Grünen sahen das Verhalten der Linkspartei eher als abschreckendes Beispiel und verlangten eine Koalition auf Augenhöhe. Da ein rot-grünes Bündnis nur eine Stimme Mehrheit gehabt hätte, wären die Grünen auch in einer starken Verhandlungsposition gewesen. Daher ließ die SPD diese Koalitionsvariante schon in der ersten Verhandlungsrunde platzen. Nach den letzten Wahlen konnte die SPD auf die PDS zurückgreifen, die umso dankbarer war, weiter in der Regierung bleiben zu können, dass sie ihre Wahlversprechen gar nicht erst auf die Tagesordnung setzte. Für das Bündnis der beiden Sozialdemokraten fehlen nach den letzten Wahlen die Mandate. So muss Wowereit mit der CDU die Gespräche aufnehmen, die ebenfalls froh ist, wieder in Regierungsverantwortung zu stehen und einiges von ihrer Programmatik setzen kann. Zudem regieren CDU und Grüne in Berliner Bezirken wie Steglitz-Zehlendorf schon über mehrere Jahre. In der Autobahnfrage und auch bei der inneren Sicherheit dürften sich beide Parteien schnell einig werden. Auch die von dem SPD-Innensenator Körting favorisierte Ernennung eines Law-and Order-Mannes als neuem Polizeipräsidenten dürfte mit der Union leichter umzusetzen sein als mit den Grünen. Trotzdem ist diese Hinwendung zu den Konservativen für Wowereit nicht risikolos. Sein Klientel stand eher für rot-grüne Bündnisse, manche sahen ihn schon als SPD-Hoffnungsträger für eine solche Option. Solche Pläne dürften sich jetzt erledigt haben. Ein rot-schwarzes Bündnis in Berlin kann keine Opposition im Bundesrat betreiben und könnte eher die Indizien stärken, dass auch nach den nächsten Bundestagswahlen ein solches Bündnis von der SPD wieder angestrebt wird. Dafür stehen aber schon viele SPD-Bundespolitiker bereit, dafür braucht es nicht noch einen Woworeit. Zudem ist in Berlin die große Koalition nicht besonders beliebt. Sie wird dort mit politischem Stillstand, Postenschacher und unpopulären politischen Projekten assoziiert. Darüberhinaus könnte sich die Union als gar nicht so pflegeleichter Partner erwarten, wie von Wowereit erhofft. Der hat, nachdem er den Grünen einen Korb gegeben haben, keine Alternativen mehr, mit denen er drohen kann. Die Grünen, die sich schon zwei Wochen lang als Regierungspartner gesehen haben, werden ihre Ablehnung für ihr Klientel zu nutzen wissen und sich als knallharte Opposition gerieren. Eher eine gute Nachricht ist diese Entwicklung für die zahlreichen außerparlamentarischen Initiativen in Berlin. Die können gegen eine große Koalition viel einfacher mobilisieren, als gegen eine Regierung unter Beteiligung der Grünen. Es wäre schon ein Treppenwitz der Geschichte, wenn die A100 durch eine solche Opposition in Berlin noch verhindert würde, obwohl eine große Koalition regiert, während in Baden-Württemberg ein grüner Ministerpräsident ein von ihm nicht gewolltes Stuttgarter Bahnprojekt durchsetzen muss.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150573

Peter Nowak

Unbequemer werden

DFG-VK diskutierte über Formen des Widerstands

Die Proteste gegen die Afghanistankonferenz in Bonn sind das zentrale Aktionsfeld der nächsten Wochen für die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK). Weitere Schwerpunkte für die älteste deutsche Friedensorganisation sind der Kampf gegen Waffenhandel und Bundeswehrwerbung an Schulen oder in Jobcentern. Darauf verständigten sich die Delegierten bei ihrem Bundeskongress am Wochenende in Leipzig.

Reiner Braun (IALANA) zeigte sich bei einer Diskussionsrunde überzeugt, dass Anfang Dezember viele Menschen dem Protestaufruf folgen werden. Parallel zu der Konferenz Petersberg II, wo Politiker aus aller Welt über die Perspektive von Afghanistan beraten wollen, planen die Kriegsgegner eine internationale Demonstration, Aktionen und eine Konferenz. Dass erstmals auch die Gewerkschaft ver.di zu den Protesten aufruft, ist für Braun Grund für Optimismus.

In Leipzig plädierten verschiedene Redner dafür, nicht nur auf Aktionen zu setzen, die auf Zustimmung bei der Mehrheit der Bevölkerung träfen. Frank Brendle von der DFG-VK Berlin warb für Aktionen, die für Aufsehen und auch für Ärger sorgen. Dadurch werde mehr zum Nachdenken angeregt als mit altbekannten Protestformen, die kaum wahrgenommen würden, vertrat er. Seine Gruppe hatte mit einem Aufruf, jeden gefallenen Soldaten zu feiern, im vergangenen Jahr auch innerhalb der Organisation für Kontroversen gesorgt. Die sind heute weitgehend beigelegt. Auf die Formel, dass Aktionen phantasievoll sein und sich nicht immer an der staatlichen Legitimität orientieren sollen, konnten sich alle einigen. Deshalb bekam Aktivistin Hanna Poddig nicht nur viel Applaus für ihre Erklärung, dass sich das Malen eines Friedenssymbols und direkte Aktionen ergänzten. Sie konnte von der Konferenz auch noch eine Spende für ihre Prozesskosten mitnehmen. Die haben sich angehäuft, weil sich Poddig 2008 ankettete, um eine Militärübung zu blockieren.
Kontroverser war die Debatte, ob auch Menschen, die wegen des Anzündens von Militärgerät vor Gericht stehen, die Solidarität der DFG-VK zu erwarten haben. Die Einwände richteten sich dabei weniger gegen das Unbrauchbarmachen von Kriegsgerät, als gegen die Anonymität der Akteure. So sehen viele DFG-VK-Mitglieder ihre Vorbilder in christlichen Pazifisten, die sich wie in den USA nach dem Zerstören von Kriegsgerät vor Ort festnehmen ließen.

Bei einer Kundgebung in der Innenstadt machten die Antimilitaristen darauf aufmerksam, dass über den Flughafen Leipzig Kriegsgerät in alle Welt. geliefert wird. Zudem blockierten sie am Sonnabend vorübergehend den Stand der Bundeswehr auf einer Hobbymesse in der Stadt. Die Bundeswehr als »Spaßprogramm« zu präsentieren, zeuge entweder von Verachtung gegenüber den Opfern von Krieg und Gewalt oder von unglaublicher Naivität, kritisierte der am Wochenende in seinem Amt bestätigte DFG-VK-Geschäftsführer Monty Schädel.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/208179.unbequemer-werden.html

Peter Nowak

Proteste gegen Einheitsfeier

Deutschland begeht den 21. Jahrestag der sogenannten Wiedervereinigung. Doch nicht alle sind in Feierlaune. Und so werden die zentralen Feierlichkeiten zur deutschen Einheit, die vom 1. bis zum 3. Oktober in Bonn stattfinden, auch in diesem Jahr von Protesten begleitet. Ein Bündnis von linken Gruppen vor allem aus Nordrhein-Westfalen, das sich unter dem Motto »Friede, Freude, Eierkuchen« zusammengeschlossen hat, organisiert rund um den Tag Demonstrationen, Konzerte und inhaltliche Gegenveranstaltungen. Für Protestler aus dem linksradikalen Spektrum steht fest: »Die Feier der Nation ist ein Angriff auf das schöne Leben und die befreite Gesellschaft.«

Bereits am 2. Oktober beginnt um 19 Uhr eine antinationale Demonstration am Bonner Hauptbahnhof. Dort startet am nächsten Tag um 11 Uhr auch die bundesweite Demo gegen die Einheitsfeierlichkeiten. Auch ein antifaschistisches Bündnis will sich unter dem Motto »Imagine there’s no Deutschland« mit einem eigenen Block an dem Protestzug beteiligen. Die Antifaschisten setzen sich mit einem eigenen Aufruf mit dem aus ihrer Sicht spezifisch deutschen Nationalismus und Antisemitismus auseinander.

www.friede-freude-eierkuchen.net

http://www.neues-deutschland.de/artikel/207776.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Vor rot-grüner Landesregierung in Berlin?

Die SPD will und die Grünen machen ihr Avancen

In Berlin wird es wohl wieder einen von SPD und Grünen geführten Senat geben. Mit nur drei Gegenstimmen hat der SPD-Landesvorstand am Montag beschlossen, mit den Grünen Koalitionsverhandlungen aufzunehmen.

Obwohl die Ökopartei ihren basisdemokratischen Grundsätzen gemäß erst am kommenden Freitag auf einen Landesparteitag über die Koalitionsgespräche abstimmt, gibt es keine Zweifel, dass die Grünen zustimmen werden. Schließlich haben sie sich schon vor der Wahl von schwarz-grünen Koalitionsspielen verabschiedet, die bei der Basis der Berliner Grünen nicht gut angekommen waren. Nach der Wahl machten die Grünen der SPD fast täglich Avancen. Schließlich war die Furcht groß, dass sie von der Wowereit-SPD abermals in die Opposition verwiesen werden.

Auch nach den letzten Wahlen hatten sich die Grünen Hoffnung aufs Mitregieren gemacht. Doch Wowereit entschied sich für die pflegeleichten Sozialdemokraten von der PDS bzw. Linkspartei. Er hätte sicher diese Koalition gerne fortgesetzt. Doch weil ein Teil der Linkenwähler zur SPD, den Piraten oder den Nichtwählern gewechselt sind, gab es rechnerisch keine Möglichkeit, diese Koalition fortzusetzen.

So blieb Wowereit als Alternative zum Bündnis mit den Grünen nur die Zusammenarbeit mit der CDU. Die hatte nach der Wahl alles versucht, um der SPD eine große Koalition schmackhaft zu machen. Schließlich lautete das Ziel der Hauptstadt-CDU mitregieren, um fast jeden Preis. Dafür wäre die eigentlich stockkonservative Union auch zu einem Bündnis mit den Grünen bereit gewesen, wenn die Mehrheitsverhältnisse das hergegeben hätten. Umso leichter wäre der CDU eine große Koalition gefallen. Denn darin waren beide Parteien schon geübt. Hierin aber lag auch für die SPD ein wichtiges Argument, sich dagegen zu entscheiden.

Schließlich wird die große Koalition in Berlin mit politischem Stillstand, aber auch mit unpopulären wirtschaftspolitischen Entscheidungen verbunden. Der zweite Grund, warum sich die SPD dagegen entscheidet, ist bundespolitischer Natur. Ein rot-grün regiertes Berlin kann im Bundesrat frontal gegen die Bundesregierung opponieren. Zudem hat die SPD bundespolitisch ihre Rhetorik auf eine Ablösung der schwarz-gelben Regierung gestellt, nachdem sich in Hamburg gezeigt hat, dass man damit Wahlen gewinnen kann. Eine große Koalition würde diese bundespolitischen Ambitionen der SPD konterkarieren.

Kompromiss beim Autobahnbau?

Bei soviel Taktik kommt es auf die Inhalte nicht mehr so stark an. Besonders an zwei zentralen Punkten ist der Dissens groß. Es geht um den Ausbau des Flughafens Schönefeld und den Ausbau der Autobahn 100. Mit Bundesmitteln soll ein 3,2 Kilometer langes Teilstück von Neuköln nach Treptow gebaut werden. Die Grünen waren vor der Wahl strikt dagegen und haben sich immer wieder gemeinsam mit Ökologen und Anwohnern an Protesten beteiligt.

Auch in der SPD ist der Autobahnausbau umstritten, es gab schon Parteitagsbeschlüsse dagegen, die von Woworeit gekippt wurden. Der autobahnkritische Flügel der SPD kann in der jetzigen Konstellation die alte Debatte wieder aufrollen und die Grünen sind in der komfortablen Situation, die Widersprüche beim Koalitionspartner aufzuzeigen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie hier schon einen ihnen weit entgegenkommenden Kompromiss erzielt haben. Danach sollen vom Bund bereit gestellten Fördermittel in andere Infrastrukturprojekte umgeleitet werden, unter der Voraussetzung der Bund stimmt zu.

Wenn nicht, soll die Autobahn doch gebaut werden und die Grünen hätten mit ihrer Basis ein Problem. Dass nun der als Autobahnfreund bekannte christsoziale Verkehrsminister Peter Ramsauer entscheidet, ob die Grünen erfolgreich sind, mag vielen nicht behagen. Aber wenn es darauf ankommt, würde wohl auch bei den Berliner Grünen mehrheitlich die Koalitionsdisziplin siegen. Sollte der linke Flügel die knappe rot-grüne Mehrheit in Gefahr bringen, wird es noch immer ein Paar Piraten geben, die einspringen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150530

Peter Nowak

Papstkritiker hatten Heidenspaß

Die Kirche hat längst ihre Nische in der Spaß- und Eventgesellschaft gefunden – auch bei vielen ihrer Gegnern, wie der Besuch des Vatikanoberhaupts in Berlin zeigte

Viel zu sehen und zu lachen gab es am Donnerstagnachmittag rund um den Potsdamer Platz in Berlin. Die Papstgegner hatten zum Protest geladen. Und der war vor allem eine Demonstration der unterschiedlichen Schattierungen der Kirchenkritik. Die ist bekanntlich theoretisch weit gefächert, um mit Nietzsche, Marx und Bakunin nur einige Referenzpunkte zu nennen. So buntscheckig war auch das Bündnis der Papstkritiker. 67 Organisationen hatten zu den Protesten aufgerufen, die in drei streng getrennten Bündnissen organisiert waren. Knapp 9.000 Teilnehmer waren nach Polizeiangaben mobilisiert worden. Der Kreis der Schaulustigen hatte man nicht mitgezählt, die Meisten schienen zumindest mitzulachen. Dazu gab es allen Grund, denn die Papstkritiker waren sehr kreativ bei ihren Protest. Mehr oder weniger originelle Parolen waren zu lesen. Selbst feministische Klassiker aus den Kämpfen gegen den Paragraphen 218 kamen wieder zu Ehren. „Hätte Jesus abgetrieben, wäre uns das erspart geblieben“, stand auf einem Transparent, „Ohne Kirche keine Hölle“, auf einem anderen Banner.

Gegenpäpstin wünscht Ratzinger Höllenqualen

Auf selbstgemachten Schildern wurden zahlreiche kirchliche Sünden angeprangert und Gegenpäpstin Rosa I wünschte Benedikt XVI, den sie schon bei seiner Landung am Flughafen Tegel begrüßte, in die Hölle. Mit kirchlichen Metaphern und Symbolen wurde viel hantiert und manchmal hatte man den Eindruck, nicht wenigen machte das auch Spaß. Nur die jungen Männer, die ganz in Schwarz gekleidet ein Transparent mit dem Motto „Gegen Kirche, Staat und Kapital“ trugen, blickten etwas missmutig ob des fröhlichen Treibens um sie herum. Aus verständlichen Gründen nicht zum Lachen zumute war den Teilnehmern im Block der Gesichtslosen , in dem auf die Opfer sexualisierter Gewalt aufmerksam gemacht wurde. Dass das Anti-Papst-Event wegen juristisch bestätigter Polizeiauflagen weit weg von Benedikts Wirkungsort stattfinden musste, schien kaum jemand zu stören. Schließlich begann die Demonstration auch erst, als der Papst seine Rede im Bundestag schon beendet hatte. Manche Medien vermelden mit Erstaunen, dass er sich in dem Teil seiner Ansprache, der sich mit aktuellen Themen beschäftigte, positiv auf „frühe ökologischen Bewegungen“ bezogen hat. Es scheint noch immer wenig bekannt, dass dort tatsächlich viele Menschen mit christlicher Motivation mitwirkten und der Appell, mehr auf die Sprache der Natur zu hören, viel mit Religion zu tun. Schon im Vorfeld hatten Abgeordneter verschiedener Parteien angekündigt, die Papstrede boykottieren zu wollen. Bei der Linken ließ die große Mehrheit ihrer Mandatsträger dem Taten folgen. Nur 28 ihrer 76 Abgeordneten waren anwesend. Die Zahl der Boykotteure bei SPD und Grünen war deutlich geringer. Ein Teil der Papstgegner im Bundestag beteiligte sich demonstrativ an den Papstprotesten. Auch beim Papst kam nach der Arbeit der Spaß. Am Abend ließ er sich von über 60.000 Fans aus ganz Deutschland im Olympiastation, wo er eine Messe zelebrierte, feiern. Gläubige ließen ihre Kinder von ihm segnen. Dort ging er auf das biblische Gleichnis vom Weinstock ein, damit haben solche Auftritte doch eher einen Hauch von Woodstock. Die Kirche hat längst ihre Nische in der Spaß- und Eventgesellschaft gefunden und ist sich in diesem Punkt mit den Kritikern gar nicht so uneinig. Am Freitag wird sich auf der letzten Papst-Station in Erfurt der Event für Gläubige und Kritiker noch einmal im Kleinen wiederholen

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150511

 Peter Nowak

Gewalttätig ausgelebte Eventkulur und ritualisierte Empörung

Das Berliner Landgericht fällte im Fall von Torben P. kein Racheurteil

Zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten ohne Bewährung verurteilte das Berliner Landgericht den 18jährigen Gymnasiasten Torben P. wegen versuchten Totschlags. Er war zu Ostern auf einem Berliner U-Bahnhof betrunken mit einem Passanten in Streit geraten.

Die kurzen Videodequenzen, auf denen zu sehen ist, wie der Jugendliche auf seinen am Boden liegenden Kontrahenten einschlug, mit dem Fuß gegen dessen Kopf trat und von anderen Fahrgästen nur mit Mühe von weiteren Attacken auf sein schon schwerverletztes Opfer abgehalten wurden konnten, sorgten für heftige Debatten über die Sicherheitslage in Berlin. Forderungen nach besonders schweren Strafen wurden schnell laut.

Als das Gericht P. aus der Untersuchungshaft entließ, war die medial inszenierte Empörung groß. Doch bald stellte sich auch die Frage nach der medialen Aufbereitung solcher Gewalttaten. Nachdem ein längerer Ausschnitt des Videos veröffentlicht worden war, schrieb der Tagesspiegel, dass es „die Rolle von Opfern und Täter in einem neuen Licht erscheinen lässt“.

Denn dort wurde auch gezeigt, wie die Kontrahenten in Streit gerieten und beide Seiten mit aggressivem Verhalten die Stimmung anheizten. Das entschuldigt die Attacken des Angeklagten nicht, macht aber die Genese solcher Konflikte deutlich, die sehr eng mit einer aggressiv ausgelebten Feier- und Eventkultur verbunden ist. Vor allem an Wochenenden und Feiertagen treffen in Großstädten oft betrunkene Menschen in U- und S-Bahnhöfen aufeinander. Das Umschlagen der öffentlich zelebrierten Spaßkultur in Aggression und Gewalt ist oft sehr schnell zu beobachten. Die Auslöser sind oft sehr banal und im Nachhinein schwer zu rekonstruieren.

Gerade der Fall Torben P. blamiert alle, die diese Gewalt als sogenanntes Unterschichtenproblem aus der Gesellschaft ausgliedern wollen. Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen Gymnasiasten aus bürgerlichem Elternhaus, der nach den Zeugenaussagen seiner Mitschüler in seiner Umgebung nicht durch besondere Aggressivität und Gewalttätigkeit aufgefallen war. So darf man sein Bekunden, er sei von seiner Tat selber im Nachhinein entsetzt, nicht nur als prozesstaktisches Manöver werden.

Die Forderung nach hohen Strafen oder ein Alkoholverbot in Bussen und Bahnen wie in Hamburg, gehen von der illusionären Annahme aus, mit einer Politik der harten Hand könnte man die Gewalt bändigen. Die Frage, warum sich so viele oft sehr junge Menschen in oberflächliche Zerstreuungen und eine aggressiv ausgelebte Eventkultur flüchten, wird gar nicht erst gestellt. Dafür folgt auf die nächste Gewalttat und ihre spezielle Medienaufarbeitung erneut rituelle Empörung.

Fragwürdige Medienaufarbeitung

Am Tag des Urteilsverkündung gegen Torben P. sorgte ein neuer Fall von Gewalt in einer Berliner U-Bahn mit Todesfolge für Schlagzeilen.

Am Wochenende verunglückte ein 23jähriger Berliner tödlich, nachdem er nach einer Auseinandersetzung in einer U-Bahn vor drei Angreifern auf die Straße geflohen war. Gegen zwei Beteiligte, die sich der Polizei stellten, wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Ob sie den Angeklagten in den Tod hetzten, wie es in manchen Medien heißt, müssen die Gerichte klären.

Die emotional aufbereitete Medienberichterstattung hat viel mit einer Auflagensteigerung, wenig aber mit einem rechtsstaatlichen Verfahren zu tun. Wenn dann die Gerichtsurteile nicht mit den öffentlichen Forderungen nach harten Strafen übereinstimmen, mögen vor allem die Boulevardmedien und ihre Leser unzufrieden sein. Damit wird aber deutlich, dass sich die Justiz nicht von solchen Kampagnen unter Druck setzen lässt – und das ist zu begrüßen.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35520/1.html

Peter Nowak