Hekla-Alarm in Berlin

Sprenganschläge auf Kabelschächte der Bahn konnten verhindert werden, mit ihnen sollte die Hauptstadt entschleunigt und Kritik am Krieg geübt werden

Ein Faible für isländische Vulkane ist den unbekannten Verfassern von Bekennerschreiben zu Anschlägen auf das Berliner S-Bahnsystem nicht abzusprechen. Im Mai 2011 war ein Schreiben zu einem Anschlag auf die Bahninfrastruktur am Ostberliner Umsteigebahnhofskreuz Ostkreuz mit dem metaphorischen Namen „das Grollen des Eyjafjallajökull“ unterzeichnet worden. Der Vulkan gleichen Namens sorgte mit seiner Aschewolke für Chaos auf den Airports. Am Montag hat ein Hekla-Empfangskomitee sich dazu bekannt, gleich sieben Sprengsätze an Zufahrtstunnels zum Berliner Hauptbahnhof angebracht zu haben. Hekla ist ebenfalls ein isländischer Vulkan, der nach Ansicht von Geologen kurz vor dem Ausbruch steht.

Obwohl die Sprengsätze in einer Tunnelausfahrt nördlich des Hauptbahnhofes in Moabit rechtzeitig entschärft werden konnten und so nicht zur Explosion kamen, war auch so der Schaden für die Bahn groß. Der Bahnverkehr kam zum Erliegen. Für eineinhalb Stunden war keine Durchfahrt durch den Bahnhof möglich. Bereits am frühen Morgen hatte ein Brandanschlag in Brandenburg Signalleitungen an der Bahnstrecke nach Hamburg zerstört, was zu massiven Einschränkungen im Zugverkehr geführt hatte.

Jeder Tag ein Kriegstag?

In dem auf der süddeutschen Indymedia-Dependance dokumentierten Schreiben, das als Presseerklärung bezeichnet und an viele Medien verschickt wurde, sagen die Verfasser, sie wollten die Hauptstadt in den „Pausenmodus“ zwingen und entschleunigen. Sie fordern Freiheit für Bradley Manning und nehmen als Begründung für den versuchten Anschlag auf den zehnten Jahrestag des Beginns des Afghanistankrieges Bezug.
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So heißt es dort in einem zentralen Abschnitt:

Zum Beispiel jährt sich gerade der Angriff auf Afghanistan zum zehnten Mal. Das nehmen wir zum Anlass zu bekräftigen, dass sich an den Divertissement gründlich etwas ändern muss. Die Gewohnheit, mit der hier jede Scheiße hingenommen oder durchgesetzt wird, muss durchbrochen werden. Angeblich sind 70 Prozent der deutschen Bevölkerung gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Trotzdem morden die Soldat_innen, der Waffenhandel floriert, die Aktien der Kriegsindustrie steigen. Der relative Reichtum hier begründet sich jeden Tag aufs Neue durch Krieg anderswo – durch Ressourcenklau und internationale Machtdemonstrationen. Jeden Tag wird aus Deutschland Kriegsmaterial in die Welt exportiert. Jeder Tag ist Kriegstag.

In dem Schreiben, das im Gegensatz zu vielen anderen dieser Selbstbekenntnisse nicht parolenhaft formuliert ist und erkennbar den Teil der Bevölkerung ansprechen soll, der zu den Gegnern des Afghanistankrieges gehört, aber keine politische Handlungsoption sieht, wird auch auf die angebliche politische Alternativlosigkeit eingegangen. Diese Metapher sei zur „prägenden Kategorie des Alltags geworden“. Die unbekannten Autoren begründen damit ihre militanten Aktionen, die allerdings ausdrücklich so angelegt gewesen seien, dass sie keine Menschenleben in Gefahr bringen sollten. In dem eher philosophischen Teil der Erklärung heißt es:

Die Funktionsfähigkeit dieser Gesellschaft aufrecht zu erhalten, bedeutet die Katastrophe, auf die diese Gesellschaft hinausläuft, alternativlos zu machen. In diesem Sinne ist die Krise keine Krise und die Katastrophe gar keine Katastrophe. Krise und Katastrophe sind der Normalzustand in einer Gesellschaft, in der Krisen und Katastrophen als alternativlos gelten.

Ein Hauch von Frankfurter Schule

„Wo es keine Alternative gibt, gibt es nichts mehr zu diskutieren oder einzufordern. Wenn der Krieg ein Dauerzustand ist, ein permanentes Mittel, um die Sicherheit aufrecht zu erhalten, macht es keinen Sinn mehr, den Abzug aus einem Land xy zu fordern“, begründen die Verfasser, warum ihrer Meinung nach ein friedlicher Protest bei den politischen Verhältnissen nicht mehr angemessen sei.

So wird auch die Wahl der militanten Mittel begründet, die selbst wenn die Verletzung von Personen ausgeschlossen worden ist, zu massiven Einschränkungen bei Bahnkunden, also Menschen, die mit dem Krieg nichts zu tun haben, führten. Damit wird auf Aktionsformen zurückgegriffen, wie sie Ende der 1960er Jahre in den USA und Deutschland diskutiert und praktiziert worden sind. So hat der radikalere Teil der US-Bewegung gegen den Vietnamkrieg die Parole „Bring die Truppen heim“ umgewandelt „Bring den Krieg heim“.

Auch damals wurde argumentiert, dass angesichts der Realität des Kriegsgeschehens bloße Forderungen nach Frieden nicht mehr adäquat seien. Hinzu kamen philosophische Anleihen aus der Theorie der Frankfurter Schule, die von einer total verwalteten Gesellschaft ausging, wo Opposition nur noch an den Rändern oder ganz außerhalb der Gesellschaft möglich sei. Auch in der Frühphase der RAF spielten diese Theoreme der Frankfurter Schule eine nicht unwichtige Rolle.

Auch nichtmilitante Kriegsgegner überlegen, unbequemer zu werden

Die Anschläge am Ostkreuz wurden von einem Teil der Afghanistan-Kriegsgegner mit dem Argument scharf verurteilt, damit bringe man die Menschen eher gegen sich auf. Allerdings gibt es bei seit Jahren politisch aktiven Menschen auch Verständnis für Aktionen, die nicht auf ungeteilte Sympathie stoßen, aber zu Diskussionen anregen.

Das zeigte sich bei einer Diskussionsveranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner im Rahmen ihres Leipziger Bundeskongresses. Obwohl dort auch ein starker Widerspruch gegen militante Aktionen vorgetragen wurde, formulierten viele Teilnehmer ein Gefühl der Rat- und Hilflosigkeit, wenn jeder Protest ignoriert wird und verpufft. Dem ständigen Verweis auf die große Mehrheit der Gegner des Afghanistan-Krieges in Deutschland wurde entgegen gehalten, dass sich diese Mehrheit aber politisch nicht artikuliert. Deswegen müsse auch gefragt werden, ob es sich wirklich um Gegner des Krieges handele oder ob die nur Kritik üben, wenn mal wieder ein deutscher Soldat in Afghanistan stirbt.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35661/1.html

Peter Nowak