Gedenkaktion für NS-Opfer zieht aufs Tempelhofer Feld

ERINNERUNG AN DIE VERDRÄNGTE GESCHICHTE DES AREALS

Immer am zweiten Sonntag im September gedenken alte und junge AntifaschistInnen der Verfolgten des NS-Regimes und diskutieren über den Kampf gegen alte und neuer Nazis – eine Tradition seit 22 Jahren. Am kommenden Sonntag findet die Aktion erstmals auf dem Tempelhofer Feld statt. Unmittelbarer Grund für den Umzug aus Mitte sind laut Hans Coppi vom Veranstalter VVN-BdA die Bauarbeiten rund um den Schlossplatz. Es ist aber auch eine Rückkehr zu den Wurzeln: In Tempelhof fand 1946 der erste Tag der Mahnung statt.

Damals war den Überlebenden noch das berüchtigte Columbiahaus bekannt, eines der ersten Berliner Konzentrationslager, das auf dem Areal errichtet worden war. Nach Auflösung des KZ mussten ZwangsarbeiterInnen auf dem Gelände für den Bau des neuen Flughafens und die Luftrüstung schuften. Später wurde die NS-Geschichte des Ortes verdrängt – nur so sei zu erklären, dass das Areal heute „Tempelhofer Freiheit“ genannt werde, kritisiert die Historikerin Beate Winzer, die seit Jahren für einen Erinnerungsort auf dem Areal kämpft. Am Sonntag bietet sie um 14 Uhr eine Exkursion zu den Stätten der NS-Verfolgung am Tempelhofer Feld an.

Diskussionen über historische Themen und aktuellen Rassismus stehen auch auf dem Programm. Um 15 Uhr gibt es ein Gespräch mit Janina Duda. Die jüdisch-polnische Partisanin gehörte als Fallschirmspringerin und Kommandeurin des Emilia-Plater-Bataillons zu den polnischen BefreierInnen vom Nationalsozialismus.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F09%2F08%2Fa0219&cHash=63f962c6693f3ef76c13aa6e093b3f13

Peter Nowak

Aufbruch der Flüchtlinge

Asylbewerber aus ganz Deutschland wollen am Wochenende in Würzburg zwei Protestzüge nach Berlin starten
Die Einzelaktionen von Asylbewerbern in den vergangenen Monaten haben der bundesweiten Protestbewegung neue Kraft verliehen. Der nun beginnende Flüchtlingsmarsch ist der Höhepunkt. Kurz vor dem Start wurde in Würzburg ein Aktivist festgenommen. Begründung: Verstoß gegen die Residenzpflicht.

»Würzburg, Bamberg, Augsburg, Düsseldorf, Berlin. Alle Flüchtlingsheime schließen«, heißt es auf einem Transparent, das an einem weißen Zelt am Berliner Heinrichplatz hängt. Dort harren seit mehreren Wochen Flüchtlinge aus Berlin und Brandenburg Tag und Nacht aus, um für die Durchsetzung ihrer Rechte zu demonstrieren. »Wir sind Teil einer Protestbewegung, die sich aus den Lagerunterkünften über ganz Deutschland ausgebreitet hat«, erklärte ein Aktivist gegenüber »nd«. Tatsächlich sorgten einige spektakuläre Aktionen in den letzten Monaten bundesweit für Schlagzeilen, wurden aber nicht als Ausdruck einer neuen bundesweiten Flüchtlingsorganisation wahrgenommen.

Der Streik der Asylbewerber hatte am 18. März in Würzburg begonnen. Seither campieren sie dort in der Innenstadt, mehrmals waren sie seither auch in den Hungerstreik getreten, teilweise mit zugenähten Lippen. Nun wollen Asylbewerber aus ganz Deutschland von Würzburg aus nach Berlin aufbrechen. Am Sonnabend will sich eine Flüchtlingsgruppe zu Fuß auf den Weg in die Bundeshauptstadt begeben. Die zweite Gruppe toure mit einem Bus eine längere Route quer durch Deutschland, teilen die Organisatoren mit. Beide Protestzüge sollen Mitte Oktober an ihrem Ziel ankommen.

Der Fußmarsch führt die Flüchtlinge von Würzburg aus über mehrere Stationen durch Bayern und Thüringen, über Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg nach Berlin. Dabei sollen sich Bewohner von am Weg liegenden Asylbewerberheimen dem Protestmarsch anschließen. Die Busroute führt über Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nach Berlin. Auf beiden Touren sind über 20 Stationen geplant, an denen auch demonstriert werden soll.

Die Forderungen der Flüchtlinge richten sich gegen all die Maßnahmen, die ein Protestteilnehmer als »Erniedrigungsmaschinerie« bezeichnet: Essenspakete, Arbeitsverbot, Gutscheine, Lagerunterkünfte, Abschiebungen und Residenzpflicht. Diese Auflage verbietet es Flüchtlingen, den ihnen von den Ausländerbehörden zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Die Betroffenen sehen darin nicht nur ihr Recht auf Bewegungsfreiheit, sondern auch die Möglichkeiten eingeschränkt, sich politisch zu engagieren. So waren die öffentlichkeitswirksamen Proteste der letzten Monate nur möglich, weil sich Flüchtlinge über die Residenzpflicht hinwegsetzten und Verhaftungen und Geldstrafen in Kauf nahmen.

In Würzburg nahm die Polizei am Donnerstag mit dieser Begründung den Sprecher der Bewegung Ashkan Khorasani fest. Der Iraner protestierte dort bereits seit dem 19. März und verstieß damit gegen die Residenzpflicht. Die Flüchtlinge werten die Verhaftung kurz vor dem Beginn des Protestmarsches deshalb als »klare Schikane« und Versuch, den Protest zu unterdrücken. Der Marsch soll ein Höhepunkt, aber kein Ende des Flüchtlingsaufbruchs sein. »In den letzten Monaten haben sich in vielen Flüchtlingsheimen Komitees gebildet, in denen sich die Betroffenen selber organisieren«, kündigt ein Aktivist weitere Proteste für ein menschenwürdiges Leben an.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/237965.aufbruch-der-fluechtlinge.html

Peter Nowak

Digital unsozial

Nicht nur in der Diskussion um den Lebensunterhalt ihres Geschäftsführers zeigt die Piratenpartei, dass sie prekär Beschäftigte, Arbeitslose und Benachteiligte nicht zu ihrer Klientel zählt.

»Ich gehe«, erklärte der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader, in der vergangenen Woche. Die Ankündigung seines Rückzugs bezog sich nicht auf sein Parteiamt, sondern auf das Jobcenter. Der Theaterpädagoge hatte bisher Arbeitslosengeld II bezogen. Um seinen Lebensunterhalt ohne Leistungen nach dem Hartz-IV-Gesetz bestreiten zu können, stellte Ponader mit Unterstützung der Piratenpartei einen Spendenaufruf ins Netz.

Nachdem der Parteifunktionär während einer Fernsehdebatte im Mai als ALG-II-Bezieher geoutet worden war, entspann sich in Internetforen eine heftige Debatte darüber, wieso der politische Geschäftsführer einer Partei von Hartz-IV-Leistungen lebt. Dabei wurde mit sozialchauvinistischen Tönen nicht gespart, wie sie die Autoren Christian Baron und Britta Steinwachs materialreich am Beispiel der virtuellen Angriffe gegen »Deutschlands frechsten Arbeitslosen Arno Dübel« auf den Internetseiten der Bild-Zeitung nachgewiesen haben (Jungle World 28/12).

Besonders die Aussagen einer Anonymous-Gruppe könnten sehr wohl auch von Bild-Lesern stammen. Auf Facebook kündigte sie der Piratenpartei die Freundschaft und schrieb aus diesem Anlass: »Mit diesem Spendenaufruf habt ihr euch endgültig selbst ins politische Abseits geschossen. Wie kann man jemanden, der erfolgreich das Studium der Pädagogik und der Theaterwissenschaften abgeschlossen hat, aber aus purer Bequemlichkeit nicht gewillt ist, arbeiten zu gehen, als politischen Geschäftsführer (…) mit einer derart lächerlichen Aktion auch noch im Amt halten? (…) Es macht uns traurig, mit ansehen zu müssen, wie Ponader durch sein Verhalten die jahrelange Arbeit vieler engagierter Piraten in nur wenigen Wochen zunichte macht. So leid es uns tut, aber solange Ponader noch im Amt ist und weiterhin Narrenfreiheit genießt, werden wir unseren Support für die Piratenpartei in Deutschland einstellen.«

Das Bild vom studierten Faulenzer, der zu bequem zum Arbeiten ist, gehört schon lange zum Ressentiment, das erwerbslosen Akademikern entgegenschlägt, die ihre Arbeitskraft nicht zu jedem Preis verkaufen wollen. Dass Ponader als politischer Geschäftsführer einer Tätigkeit in Vollzeit nachgeht, die als Ehrenamt nicht bezahlt wird, war den Anonymous-Schreibern offenbar keine Zeile wert. Anscheinend wäre es für sie statthaft, wenn Ponader neben seiner zeitaufwendigen Parteitätigkeit seinen Lebensunterhalt mit einem Nebenjob bestreiten würde. Wer braucht schon Schlaf?

Auch innerhalb der Partei melden sich diejenigen zu Wort, die es offensichtlich als ein besonderes Privileg Ponaders sehen, unentgeltlich für die Partei arbeiten zu dürfen. So verurteilten Florian Zumkeller-Quast und Paul Meyer-Dunker, der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende der Jungen Piraten, in einem offenen Brief nicht etwa die Tatsache, dass der Geschäftsführer ohne Bezahlung bei der Partei tätig ist, sondern die Spendensammlung für Ponader. Sein Verhalten sei untragbar, hieß es in dem Schreiben. Er habe seine Position genutzt, um »persönliche Vorteile« zu erlangen. Wenn er der Meinung sei, dass für die Arbeit eine Aufwandsentschädigung angemessen sei, solle er sich um entsprechende Beschlüsse bei seiner Partei bemühen, riet der Parteinachwuchs dem Geschäftsführer.

Angesichts solcher Stimmen aus der Partei und ihrem Umfeld wirkt das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Peter Arlt, wie die Stimme der Vernunft. Nachdem der ALG-II-Bezug Ponaders bekannt geworden war, wollte Arlt vom Bundesvorsitzenden der Piratenpartei, Bernd Schlömer, wissen, warum die Partei ihren Geschäftsführer nicht einfach bezahlen könne. Der Pressesprecher des deutschen Erwerbslosenforums, Martin Behrsing, ist sich ausnahmsweise in dieser Frage sogar einmal mit Arlt einig. Es sei nicht verständlich, warum eine Partei mit einem derartigen Mitgliederzulauf nicht in der Lage sei, ihren Geschäftsführer vernünftig zu bezahlen, sagt Behrsing der Jungle World. »Ein Ehrenamt übt man in der Freizeit aus. Es ist keineswegs ein unbezahlter Fulltime-Job und Hartz IV kein bedingungsloses Grundeinkommen«, betont der Erwerbslosensprecher. Ponader und seine innerparteilichen Kritiker inszenierten ein »absurdes neoliberales Theater«, so Behrsing. »Sowohl Ponader, der mittlerweile von Spenden lebt, als auch seine parteiinternen Kritiker, die von ihm unbezahlte Arbeit erwarten, unterbieten die durch Hartz IV verursachten Dumpinglöhne bei weitem.« Für Behrsing gilt dagegen immer noch der Grundsatz: »Keine Arbeit ohne Lohn!«

Dass darüber anscheinend bei vielen Piraten und in ihrem Umfeld keine Einigkeit besteht, und dass zudem niemand Ponader geraten hat, sich gewerkschaftlich zu organisieren und bei der Partei einen Lohn einzufordern, von dem er ohne weitere Hartz-IV-Leistungen oder Spendensammlungen leben kann, überrascht jedoch nur, wenn man die Selbsteinschätzung führender Piratenpolitiker und deren politische Praxis ignoriert. So haben Piraten in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eindeutig die berüchtigte »Schuldenbremse« befürwortet. In verschiedenen Kommunalparlamenten haben die Vertreter der Partei für die Einsparungen bei kulturellen und sozialen Einrichtungen gestimmt, so etwa im Berliner Bezirk Pankow für die Schließung einer Seniorenbegegnungsstätte. Erst als dort die betroffenen Rentner mit einer Besetzung der Einrichtung gegen den Beschluss protestieren und so bundesweit bekannt wurden, distanzierten sich die Piratenvertreter von der Entscheidung.

Zudem hat der Parteivorsitzende Schlömer mehrmals klargestellt, dass er einer liberalen und nicht etwa einer libertären Partei vorsteht, wie manche wohlwollende Linke noch immer annehmen. Schlömer sieht seine Klientel denn auch keinesfalls in Protest-, sondern in Wechselwählern, wie er im August während einer Podiumsdiskussion mit Katja Kipping (Linkspartei) in Berlin sagte. Dabei spekuliert nicht nur er auch auf ehemalige Anhänger von Union und FDP.

Bisher gibt es wenige kritische Auseinandersetzungen mit dem unsozialen Programm der Piratenpartei. Das von Claus Leggewie und Christoph Bieber im Transcript-Verlag herausgegebene Buch »Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena« bietet zwar eine gute Analyse von deren Milieu. Doch die Sozialpolitik des Forschungsobjekts wird von den meisten Autoren, darunter Publizisten der Zeit und Süddeutschen Zeitung, einfach nachvollzogen.

Lediglich die Autorin Katja Kullmann macht in ihrem vor einigen Monaten in dem Buch »Die Piratenpartei – Alles klar zum Entern?« veröffentlichten Aufsatz darauf aufmerksam, dass soziale Begriffe im Programm der Partei absolute Ausnahmen sind. Im Grundsatzprogramm komme 44 Mal der Begriff »Freiheit« beziehungsweise »Freiheitlichkeit« vor. Immerhin acht Mal sei von den Segnungen der »Individualität« die Rede. Ein einziges Mal tauche das Wort »Solidarität« auf, führt Kullmann an. Sie sieht die Gründe dafür in der sozialen Stellung vieler Parteimitglieder. Sie klassifiziert die Partei als »Speerspitze der kreativen Klasse«, die »ihr Kapital gewinnbringend einsetzen will«. In diesem Anspruch konkurriere sie mit anderen Kapitalfraktionen, teile aber mit den Konkurrenten die Abwehr sozialer Ansprüche der Beschäftigten. So könnte der Null-Euro-Job von Ponader also tatsächlich eine Vorbildfunktion für die Unterminierung der Rechte von Beschäftigten haben.

http://jungle-world.com/artikel/2012/36/46187.html

Peter Nowak

Wo bleiben die Stimmen der Moslems in der Beschneidungsdebatte?


Die Aufruferliste zu einer für kommenden Sonntag geplanten Demonstration gegen ein Beschneidungsverbot zeigt, dass moslemische Stimmen wenig beachtet und auch schnell mal ausgeschlossen werde
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Ein auf den ersten Blick wahrhaft ökumenisches Netzwerk will am kommenden Sonntag in Berlin gegen ein Beschneidungsverbot demonstrieren. Der Diözesenrat der Katholiken gehört ebenso zu den Unterstützern wie die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Ansonsten dominieren jüdische Organisationen die Unterstützerliste. Von säkularer Seite unterstützt die Organisation Honestly concerned die Demonstration. Sie hat sich bisher als israelsolidarische Organisation scharf gegen islamistische Bestrebungen gewandt aller Art gewandt.

Daher war es umso erstaunlicher, als ein Blogger reißerisch vermeldete, dass die Hamas auf der Beschneidungsdemonstration mitlaufe. Tatsächlich geht es um das Islamische Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e.V., dem im Verfassungsschutzbericht nachgesagt wird, ein Treffpunkt von Hamas-Anhängern zu sein. Abgesehen von der Problematik, den Verfassungsschutzbericht zum Maßstab der Beurteilung einer Organisation zu machen, klingt deren Beurteilung schon wesentlich unaufgeregter als die Überschrift auf dem Blog der rechtsliberalen Ruhrbarone, die mit der Präsentation von Fotos schwerbewaffneter, vermummter Islamisten neben den Beitrag die Grenze zum Ressentiment deutlich überschritten haben.

Unabhängig davon ist es fraglich, ob es so klug von den Demoorganisatoren war, den umstrittenen islamischen Kulturverein sofort von der Aufruferliste zu streichen. Es wäre doch besser gewesen, zuvor einige Fragen zumindest einmal zu stellen. Wie kann es eine der Hamas nahestehende Organisation mit ihrer Ideologie vereinbaren, nicht nur mit jüdischen sondern auch mit explizit proisraelischen Organisationen zu der Demonstration gegen Beschneidung aufzurufen? Daraus könnten sich zwei Schlussfolgerungen ergeben. Entweder die . Nähe zur Hamas ist längst nicht so eng, wie die Blogger suggerieren, oder das islamistische Spektrum befleißigt sich einer recht flexiblen Bündnispolitik auch im Kernbereich ihrer Politik. Schließlich muss der Verein eine solche Kooperation auch vor dem eigenen Umfeld rechtfertigen. Wenn er die Unterstützung ernstgemeint hat, hätte wohl in Deutschland am Sonntag erstmals eine islamistische Organisation auf einer Demonstration gemeinsam mit proisraelischen Initiativen teilgenommen und der Streit um Israel wäre ausgespart geblieben, was natürlich im Vorfeld hätte abgeklärt werden müssen.

Gerade solch eine Kooperation unter Absehung des Nahostthemas hätte vielleicht dem in der letzten Zeit vielbeklagten Antisemitismus in islamistischen Milieus deutscher Großstädte entgegentreten können. Natürlich gibt es dafür keine Garantie, aber eine solche mögliche Entwicklung wurde schon im Vorfeld durch reißerische Berichte, den Link auf einen Absatz aus dem Verfassungsschutzbericht und die nachfolgende Streichung der Gruppe von der Aufruferliste verhindert. Natürlich ist von einem säkularen Standpunkt ein solches Bündnis auf religiöser Grundlage keineswegs unproblematisch, wie die zumindest informelle Zusammenarbeit jüdischer und islamischer Gruppen gegen Schwulen- und Lesbenparaden in Israel zeigt.

Warum werden islamische Stimmen zur Beschneidung kaum beachtet?

Bei den Beschneidungsdebatte der letzten Wochen fällt wiederum ein Ungleichgewicht auf, das sich in der Aufruferliste zur Demo gut widerspiegelt. Während die Reaktionen aus den jüdischen Gemeinden in der Öffentlichkeit breit rezipiert werden und teilweise mit Verständnis, teilweise auch mit von Antisemitismus durchsetzen Ressentiments begegnet werden, finden Stimmen und Stellungnahmen aus den islamischen Gemeinden medial weit weniger Beachtung. Selbst in der Wochenzeitung Jungle World, auf deren Diskoseiten in den letzten Wochen die wohl gründlichste Debatte über die Beschneidung und die verschiedenen Facetten zu lesen war, wurde oft nur mit wenigen Sätzen darauf hingewiesen, dass Menschen moslemischen Glaubens gleichfalls von einer Einschränkung oder einem Verbot der Beschneidung betroffen wären.

Dass diese Tatsache öffentlich kaum wahrgenommen wird, könnte das Dementi eines höchst umstrittenen Satzes des Kurzzeitpräsidenten Christian Wulff sein, demzufolge der Islam zu Deutschland gehört. Sein Nachfolger Gauck hat mittlerweile formuliert, dass die hier lebenden Moslems zu Deutschland gehören. Wenn man die Debatte um die Beschneidung verfolgt, kommen auch sie kaum vor.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/152736
Peter Nowak

Esel hinter Stacheldraht

Durch die Documenta wurde ein lange vergessenes nordhessisches NS-Konzentrationslager und ein dort verübtes Massaker weltweit bekannt

Zu Documenta-Zeiten durchweht das nordhessische Kassel ein kosmopolitischer Flair. Menschen aus allen Ländern und Kontinenten sind auf der Suche nach den in der gesamten Stadt verteilten Kunstwerke. Auch die kleine Gruppe, die sich am Mittwochmittag am Kasseler Opernplatz trifft könnte als eine der vielen Kunstexkursionen durchgehen. Doch die hier beginnende Tour ins knapp 15 Kilometer entfernte Cuxhagen ist eine Zeitreise in die deutsche Vergangenheit, in eine Geschichte des Beschweigens und Verdrängens. Die Nazis errichteten in Cuxhagen auf dem Gelände des idyllisch an der Fulda gelegenen Klosters Breitenau. das seit 1874 als Arbeitshaus benutzt wurde, am 15 Juni 1933 eines jener frühen Konzentrationslager, in die Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere Nazigegner verschleppt wurden. In Hessen gehörte neben Breitenau noch das durch den Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers weltbekannt gewordene Osthofen zu diesen KZ der ersten Stunde. Durch die diesjährige Documenta machten sich in den letzten Wochen viele Künstler und Ausstellungsbesucher aus aller Welt auf die Zeitreise in die deutsche Geschichte Nordhessens, meint Gunnar Richter. Er beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit diesen Ort, zunächst als Student, dann als engagierter Wissenschafter und seit einigen Jahren als Leiter der Gedenkstelle Breitenau. Als er Ende der 70er Jahre an der Kasseler Gesamthochschule sein Studium begann, gingen die meisten ehemaligen Nationalsozialisten in Westdeutschland in Rente und eine durch die Apo politisierte junge Generation interessierte sich für die Alltagsgeschichte des NS. Unter dem damaligen SPD-Oberbürgermeister Hans Eichel habe Kassel eine Vorreiterrolle bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte gespielt, berichtet Richter stolz.
Mittlerweile sei die Zusammenarbeitung mit der Bevölkerung vor Ort gut. Als die jungen Studierenden Ende der 70er Jahre auf dem Klostergelände nach Spuren der NS-Verbrechen forschten, stießen sie auf eine Mauer des Schweigens. Davon wollten die Bewohner nie etwas gehört und gesehen haben. Im Sommer 1940 wurde Breitenau zum Arbeitserziehungslager erklärt. Ein Großteil der Insassen waren ausländische Zwangsarbeiter, darunter auch Kinder Am 30. März 1945, als die US-Befreier schon wenige Kilometer an das Lager herangerückt waren, ließ die SS achtundzwanzig Gefangene erschießen. Sechzehn Opfer des in der Geschichtsforschung als „Massenmord am Fuldaberg“ bezeichneten Verbrechens kamen aus der Sowjetunion, 10 aus Frankreich und zwei aus Holland. „In den 70er Jahre gab es vor Ort keinerlei Hinweise auf das Verbrechen“, erinnert sich Richter. Dabei hatte der Kasseler Journalist Willi Beltz, der wie sein Vater als Kommunist im KZ-Breitenau inhaftiert war, in seinem 1960 erschienenen Widerstandsrom „Die Standhaften“ die Massenerschießung beschrieben, sich t allerdings bei der Opferzahl geirrt Der langjährige Vorsitzende der Kasseler VVN/Bund der Antifaschisten. Beltz hat auch über das Holzkreuz berichtet, das nach der Befreiung durch die Alliierten im Kloster Breitenau aufstellten. Erst nach einer mühevollen Suche, wurden die Geschichtsforscher in den 70er Jahren fündig. Denn das Kreuz, aber auch die Leichen der Erschossenen waren schon lange auf einen Kriegsopferfriedhof in der Nähe umgebetet worden. Mit den Opfern und dem Kreuz schien im Kloster Breitenau jede Spur des NS-Verbrechens beseitigt. In einer Festschrift zum 600ten Jubiläum von Cuxhagen wird 1952 die gesamte NS-Zeit ganz ausgeblendet Man merkt Richter den Stolz auf die Veränderungen im nordhessischen Geschichtsbild, das er mit angestoßen hat. Aber man hört seinen engagierten Anführungen auch an, dass für ihn die Geschichte nicht vergangen ist. Immer wieder erinnert er daran, dass die Verbrechen der Nazis nicht im Verborgenen sondern vor aller Augen stattfanden. In den Vitrinen der Breitenauer Ausstellung finden sich Kopien der nordhessischen Lokalpresse der NS-Zeit, die ausführlich über das Konzentrationslager Breitenau berichtet. Ein Zeitungsfoto aus jener Zeit, das in der Ausstellung zu sehen ist, beeindruckt viele Besucher und inspirierte einige Künstler, die in den letzten Wochen die Ausstellung besucht haben. Es zeigt einen Esel hinter Stacheldraht Das Foto wurde am 1. April 1933 am Kasseler Opernplatz aufgenommen An diesem Tag hatten die Nazis zum ersten landesweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Der von der SA bewachte Esel hinter Stacheldraht sollte zeigen, was denen blüht, die den Boykott ignorieren.
In der Unterzeile aus der zeitgenossischen Zeitung heißt es über diese SA-Präsentation: „Die Kasseler haben sich von morgens bis abends darüber gefreut“.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/237679.esel-hinter-stacheldraht.html

Peter Nowak

Von den Schwierigkeiten, einen Flughafen zu eröffnen

Nun wird auch klar, warum Wowereit die Große Koalition vorgezogen hatte

Eigentlich sollte erst am kommenden Freitag bekannt gegeben werden, dass die Eröffnung des Hauptstadtflughafens bei Berlin abermals verschoben wird. Jetzt wird ein Zeitraum zwischen dem 20. und 27. Oktober 2013 genannt, wenn die Winterflugpläne in Kraft treten. Diese erneute Verschiebung ist nicht mehr so überraschend wie es das Canceln der mit vielen Plakaten schon wochenlang zuvor angekündigten Einweihung des Willy-Brand-Flughafens am 3. Juli dieses Jahres war. Allerdings wird das Projekt durch die terminliche Streckung noch um einige Millionen teurer. Vor allem viele Unternehmer, die langfristige Verträge auf dem neuen Areal geschlossen haben, sind sauer. Auch manche Tegeler Bewohner, die froh waren, endlich auch mal ein Open-Air-Konzert organisieren zu können, waren düpiert. Aber die Berliner, die schließlich im Nahverkehr tagtäglich Geduld zeigen müssen, reagieren eher mit Schulterzucken auf die erneute Vertagung. Manche bieten auch schon Wetten auf den Zeitpunkt an, an dem die erneute Verschiebung bekannt gegeben wird.

Wowereit hat mit großer Koalition vorgesorgt

Anders reagiert die politische Klasse in Berlin. Die erneute Verschiebung der Eröffnung wird die seit Wochen stetig sinkenden Sympathiewerte für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sicher nicht erhöhen. Doch der hat vorgesorgt. Manche haben sich gewundert, warum er nach den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus nicht das von seiner Parteibasis und vielen seiner Wählern favorisierte Regierungsbündnis mit den Grünen eingegangen ist, sondern die große Koalition mit der Union vorgezogenen hat.

Seit einigen Wochen ist klar, warum Wowereit gegen heftige Widerstände diese Kooperation suchte. Denn als Bürgermeister einer rotgrünen Koalition, die nur eine Stimme Mehrheit vorweisen konnte, hätte er sich nach dem Debakel um den Hauptstadtflughafen, über das er als Aufsichtsvorsitzender sicher weniger überrascht als die meisten Zeitungsleser war, Sorgen um den Bestand seiner Regierung machen müssen. Bei der großen Koalition können in beiden Parteien einige Parlamentäre querschießen und die Mehrheit für Wowereit steht noch immer. Zudem muss die Union jetzt offiziell Wowereit den Rücken freihalten und Kritik und Rücktrittsforderungen ihren Brandenburger Parteifreunden, die dort in der Opposition sind, überlassen.

Dafür konnten die Berliner Grünen ihre Oppositionsrolle umso lautstarker wahrnehmen und zumindest den Rücktritt Wowereits vom Posten des Aufsichtsrates des Flughafens fordern. Zudem können sie sich etwas in Interessenvertretung der Bürger üben, indem sie die Bewohner der Region um den Flughafen unterstützen, die nach einer Flugroutenänderung vergeblich ein neues Planfeststellungsverfahren forderten und nun die Verzögerung der Flughafeneröffnung nutzen, um auf eine Nachrüstung beim Lärmschutz zu drängen.

Wäre ihre Wunschkoalition in Erfüllung gegangen, hätte man die grünen Parlamentäre genauso verdruckst den Bürgermeister unterstützen hören wie jetzt die Union. Soweit bleibt alles im parlamentarischen Bereich und das Gezerre der Flughafeneröffnung gibt unfreiwillig einen guten Einblick in die Konstruktion der Rollen von Regierung und Opposition in der bürgerlichen Demokratie.

Zahlen die Beschäftigten die Zeche?

Wer in den Verzögerungen einen Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht, vergisst, dass es im Ausland sicher wichtigere Probleme als das Eröffnungsprozedere eines Airports gibt, der international anders als Köln und Rhein/Main nicht besonders von Interesse ist.

Die größten Opfer für die Verzögerungen konnten wieder einmal die Beschäftigten auf den Flughafen zahlen. Von Anfang an war klar, dass ein Großteil zu prekären Bedingungen arbeiten wird. Jetzt nehmen die Unternehmen die durch die Eröffnungsverzögerungen entstandenen Kosten zum Anlass, um die Arbeitsbedingungen noch weiter zu drücken.

„Dieser Flughafen entwickelt sich zu einem Versuchslabor für immer prekärere Arbeitsverhältnisse in der Region“, sagte Ver.di-Sekretär Max Bitzer auf einer Konferenz vor einer Woche. Da stand die erneute Verzögerung der Eröffnung noch gar nicht fest.
Peter NowakNun wird auch klar, warum Wowereit die Große Koalition vorgezogen hatte

Eigentlich sollte erst am kommenden Freitag bekannt gegeben werden, dass die Eröffnung des Hauptstadtflughafens bei Berlin abermals verschoben wird. Jetzt wird ein Zeitraum zwischen dem 20. und 27. Oktober 2013 genannt, wenn die Winterflugpläne in Kraft treten. Diese erneute Verschiebung ist nicht mehr so überraschend wie es das Canceln der mit vielen Plakaten schon wochenlang zuvor angekündigten Einweihung des Willy-Brand-Flughafens am 3. Juli dieses Jahres war. Allerdings wird das Projekt durch die terminliche Streckung noch um einige Millionen teurer. Vor allem viele Unternehmer, die langfristige Verträge auf dem neuen Areal geschlossen haben, sind sauer. Auch manche Tegeler Bewohner, die froh waren, endlich auch mal ein Open-Air-Konzert organisieren zu können, waren düpiert. Aber die Berliner, die schließlich im Nahverkehr tagtäglich Geduld zeigen müssen, reagieren eher mit Schulterzucken auf die erneute Vertagung. Manche bieten auch schon Wetten auf den Zeitpunkt an, an dem die erneute Verschiebung bekannt gegeben wird.

Wowereit hat mit großer Koalition vorgesorgt

Anders reagiert die politische Klasse in Berlin. Die erneute Verschiebung der Eröffnung wird die seit Wochen stetig sinkenden Sympathiewerte für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sicher nicht erhöhen. Doch der hat vorgesorgt. Manche haben sich gewundert, warum er nach den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus nicht das von seiner Parteibasis und vielen seiner Wählern favorisierte Regierungsbündnis mit den Grünen eingegangen ist, sondern die große Koalition mit der Union vorgezogenen hat.

Seit einigen Wochen ist klar, warum Wowereit gegen heftige Widerstände diese Kooperation suchte. Denn als Bürgermeister einer rotgrünen Koalition, die nur eine Stimme Mehrheit vorweisen konnte, hätte er sich nach dem Debakel um den Hauptstadtflughafen, über das er als Aufsichtsvorsitzender sicher weniger überrascht als die meisten Zeitungsleser war, Sorgen um den Bestand seiner Regierung machen müssen. Bei der großen Koalition können in beiden Parteien einige Parlamentäre querschießen und die Mehrheit für Wowereit steht noch immer. Zudem muss die Union jetzt offiziell Wowereit den Rücken freihalten und Kritik und Rücktrittsforderungen ihren Brandenburger Parteifreunden, die dort in der Opposition sind, überlassen.

Dafür konnten die Berliner Grünen ihre Oppositionsrolle umso lautstarker wahrnehmen und zumindest den Rücktritt Wowereits vom Posten des Aufsichtsrates des Flughafens fordern. Zudem können sie sich etwas in Interessenvertretung der Bürger üben, indem sie die Bewohner der Region um den Flughafen unterstützen, die nach einer Flugroutenänderung vergeblich ein neues Planfeststellungsverfahren forderten und nun die Verzögerung der Flughafeneröffnung nutzen, um auf eine Nachrüstung beim Lärmschutz zu drängen.

Wäre ihre Wunschkoalition in Erfüllung gegangen, hätte man die grünen Parlamentäre genauso verdruckst den Bürgermeister unterstützen hören wie jetzt die Union. Soweit bleibt alles im parlamentarischen Bereich und das Gezerre der Flughafeneröffnung gibt unfreiwillig einen guten Einblick in die Konstruktion der Rollen von Regierung und Opposition in der bürgerlichen Demokratie.

Zahlen die Beschäftigten die Zeche?

Wer in den Verzögerungen einen Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht, vergisst, dass es im Ausland sicher wichtigere Probleme als das Eröffnungsprozedere eines Airports gibt, der international anders als Köln und Rhein/Main nicht besonders von Interesse ist.

Die größten Opfer für die Verzögerungen konnten wieder einmal die Beschäftigten auf den Flughafen zahlen. Von Anfang an war klar, dass ein Großteil zu prekären Bedingungen arbeiten wird. Jetzt nehmen die Unternehmen die durch die Eröffnungsverzögerungen entstandenen Kosten zum Anlass, um die Arbeitsbedingungen noch weiter zu drücken.

„Dieser Flughafen entwickelt sich zu einem Versuchslabor für immer prekärere Arbeitsverhältnisse in der Region“, sagte Ver.di-Sekretär Max Bitzer auf einer Konferenz vor einer Woche. Da stand die erneute Verzögerung der Eröffnung noch gar nicht fest.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152720
Peter Nowak

Die Piraten und der Systemerhalt

Eine Analyse aus dem transcript-Verlag:
In Wählerumfragen rangiert die Piratenpartei erstmals seit Monaten hinter der LINKEN. Doch von einem Ende der Piraten zu sprechen, wäre verfrüht. Der Gegenwind ist ein Zeichen, dass die Partei auch für die Öffentlichkeit in den Niederungen der Politik angekommen ist.

Während die Grünen in ihrem ersten Jahrzehnt mit dieser Rolle haderten und ein einflussreicher linker Flügel vergeblich dagegen ankämpfte, haben die Piraten schon kurz nach ihrer Gründung die Rolle als Systemstabilisierer anerkannt und werben offensiv damit. Dieser Befund…

„Die Piraten und der Systemerhalt“ weiterlesen

Massenarmut im Alter

Die jetzt medial produzierte Aufregung um drohende Niedrigrenten sind bekannte Ergebnisse der Politik, Gegenkonzepte sind bisher rar

Bild am Sonntag schlägt Alarm. Millionen Rentnern in Deutschland droht im Alter die Armut und den Gang zum Sozialamt. Grundlage des Berichts ist ein Schreiben des Bundesarbeitsministeriums an die Junge Gruppe in der Unionsfraktion, in dem vorgerechnet wird, dass Menschen, die heute 2.500 Euro oder weniger monatlich verdienen, mit dem Tag des Renteneintritts 2030 den Gang zum Sozialamt antreten müssten, weil sie dann nach 35 Arbeitsjahren auf eine monatliche Rente von 688 Euro kämen. Nur ist diese Erkenntnis wahrlich nicht neu. Die Literatur zum Thema Altersarmut füllt mittlerweile Bibliotheken

Doch dass die Kommunikation zwischen einer aufstrebenden Unionspolitikerin und dem Parteinachrückern gleich zu Alarmmeldungen in den Medien führte, war sicher kein Zufall. Schließlich kann sich von der Leyen wieder einmal als Frau mit sozialer Ader in der Öffentlichkeit profilieren. War sie doch mit ihrem Projekt einer Zuschussrente bisher in der eigenen Partei und noch mehr beim Koalitionspartner FDP auf Widerstand gestoßen. Die nun öffentliche Kommunikation mit dem gar nicht mehr so jungen parlamentarischen Unionsnachwuchs soll dazu dienen, zumindest in der eigenen Partei eine Unterstützung für die Pläne von der Leyens zu organisieren.

Dass eine Zustimmung bei der FDP gelingt, ist wenig wahrscheinlich. Bei einer Partei, die auf ein Klientel zielt, das, zugespitzt gesagt, ein Gehalt von 2500 Euro im Monat für das Hauspersonal aus der Portokasse bezahlt und für das Solidarität ein Negativbegriff ist, kann diese Ablehnung nicht verwunderlich. Die Union aber, die zumindest eine Wurzel in der katholischen Arbeiterbewegung hatte, ist durchaus auf die Stimmen der Niedrigrentner von heute und morgen angewiesen. Da kann etwas sozialer Touch nicht schaden. Zumal das Thema in den nächsten Wahlkämpfen eine große Rolle spielen wird.

Zusammenhang von Altersarmut und Niedriglohn

Das Konzept der Zuschussrente aus dem Arbeitsministerium würde allerdings auch keineswegs Armutsrenten für alle verhindern. Schließlich sind die Zuschüsse daran gekoppelt, dass die Antragssteller jahrzehntelang in Rentenkassen eingezahlt und eine private Zusatzversicherung abgeschlossen haben. In ihrem Schreiben an die Unionsjunioren macht von der Leyen diese Grundsätze noch einmal deutlich und warnt davor, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und nie staatliche Unterstützung in Anspruch genommen haben, dann von Armutsrenten betroffen sind.

Hier wird eine neue Spaltungslinie aufgebaut. Denn allein an diesen Kriterien wird verdeutlicht, dass der einfache Grundsatz, niemand soll sich Sorgen machen müssen, im Alter in Armut zu leben, offensichtlich auch bei der Ministerin keine Bedeutung hat. Nur so ist zu erklären, dass daran Bedingungen geknüpft sind, die viele der Betroffenen gar nicht erfüllen können. Wer sich mit Niedriglöhnen über Wasser hält, hat schlicht und einfach kein Geld für eine private Versicherung. Zudem wird ausgeblendet, dass die Altersarmut eine logische Folge der Politik ist, die die großen Parteien in den letzten Jahren praktiziert haben.

Wer jahrelang im Niedriglohnsektor beschäftigt war, kann als Rentner nur in der Armutsfalle landen. Ein zentraler Grund für das steigende Altersarmutsrisiko ist die Absenkung des Rentenniveaus bis 2030 von derzeit 51 Prozent auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns durch die Politik. Dem Bild-Artikel dürften viele Presseberichte über die Armutsfalle im Alter folgen. Die Folgen sind schon absehbar. Noch mehr Menschen, die es sich eigentlich nicht leisten können, werden sich um eine private Altersversorgung kümmern. Andere werden sich schon beizeiten nach einen Job im Rentenalter umschauen. Schließlich gibt es schon heute viele Menschen, die noch im siebten Lebensjahrzehnt Zeitungen austragen, Regale in Supermärkten füllen oder andere meist schlecht bezahlte Arbeiten verrichten. Wenn in den nächsten Jahren aus demographischen Gründen dringend Arbeitskräfte gesucht werden, dürfte der Druck noch viel stärker steigen, auch im Alter erwerbstätig zu sein. Schon heute werden Szenarien vom Arbeiten bis 80 an die Wand gemalt. Dabei geht es nicht darum, Menschen, die das wollen, eine Lohnarbeit auch im Alter zu ermöglichen, Realität wird vielmehr sein, dass Menschen gezwungen sein werden, im Alter zu arbeiten, um sich zur Armutsrente etwas dazu zu verdienen. Die Löhne für die erwerbstätigen Rentner dürften dabei in der Regel im Niedrigbereich liegen, was wiederum das Lohnniveau insgesamt senkt. Denn dann werden von den Unternehmen Rentner auch als Lohndrücker eingesetzt, sollte eine Belegschaft tatsächlich eine bessere Bezahlung fordern.

Solidarische Rentenversicherung statt Altersarmut

Die Alternative zu einem solchen Szenario wäre die Entwicklung eines Rentenkonzepts, das von dem Grundsatz ausgeht, dass ein Auskommen im Alter ohne Angst vor Verarmung ein Grundrecht ist, das unabhängig davon gilt, ob jemand sich privat versichert hat und ob und wie lange er in die Rentenkasse eingezahlt hat. Es wäre die Aufgabe sozialer Initiativen, Gewerkschaften und linker Parteien, solche durchaus im Internet veröffentlichten Konzepte bekannt zu machen und zur Diskussion zu stellen. Ansonsten werden die Weichen für eine weitere Entsolidarisierung der Gesellschaft gestellt, mit einer wachsenden Konkurrenz zwischen jung und alt, weiteren Niedriglöhnen nicht nur im Alter und einer sozial gespaltenen anwachsenden Rentnerpopulation.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152703
Peter Nowak

Solidarität: Neue Technik-alte Ausbeutung

Gegen miese Arbeitsbedingungen bei IT-Konzernen demonstriert die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU vor der IFA

„Arbeiter sind keine Maschinen“ und „Wiedereinstellung bei Chung Hong“, hieß es auf Flyern, die 20 AktivistInnen der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) am vergangenen Samstag am Eingang der IFA-Elektronikmesse verteilten. Sie informierten die BesucherInnen über gewerkschaftsfeindliche Praktiken des chinesischen Konzerns Chung Hong in der polnischen Sonderwirtschaftszone Tarnobrzeg.

Dort wurden vor einigen Wochen 25 ArbeiterInnen entlassen, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr gesetzt und eine Gewerkschaftsgruppe gegründet hatten. Die Messe sei Ort der Aktion, weil Chung Hong ein wichtiger Zuliefererbetrieb für den weltweit bekannten Konzern LT-Electronis sei, „der zentral auf der IFA vertreten ist“, so FAU-Sekretär Andreas Förster.
Die kleine Gewerkschaft hat einen Solidaritätsaufruf zur Unterstützung der Entlassenen initiiert, nachdem sie kürzlich gemeinsam mit dem „AK Geschichte sozialer Bewegungen“ einige der Gekündigten ins Berliner Haus der Demokratie eingeladen hatte. Dort gaben sie einen Einblick in die Arbeitsbedingungen der mittlerweile 14 polnischen Sonderwirtschaftszonen. So zahlte Chung Hong 350 Euro Monatslohn in einem Land, in dem sich die Lebenshaltungskosten westeuropäischem Standard annähern. Auch berichteten die Beschäftigten über Anfahrtswege von oft mehr als einer Stunde. Als die Überstundenzuschläge abgeschafft wurden, organisierte ein Teil der Beschäftigten sich in der libertären Gewerkschaft „Arbeiterinitiative“ (Inicjatywa Pracownicza). Nach der Entlassung eines Aktivisten organisierten sie einen Solidaritätsstreik, Chung Hong reagierte mit der Massenkündigung.

Mit der IFA-Aktion habe man „den BesucherInnen an einem aktuellen Beispiel die Arbeitsbedingungen vor Augen geführt, unter denen die so begehrten Smartphones und andere elektronische Geräte produziert werden“, so Förster. Zudem geht es um die konkrete Unterstützung der polnischen KollegInnen, die nach ihrer Kündigung auch Probleme mit dem Arbeitsamt bekommen haben. Das kürzte ihnen mit der Begründung, sie hätten ihre Erwerbslosigkeit selber verschuldet, das Arbeitslosengeld. Trotz ihrer prekären Situation halten sie an der Forderung nach einer gemeinsamen Wiedereinstellung fest. Angebote von Chung Hong, einzelne KollegInnen wieder einzustellen, lehnten sie ab.
Kontodaten: Kontoinhaber: Allgemeines Syndikat Berlin
Kontonummer: 3703001711, Bankleitzahl: 16050000 (Mittelbrandenburgische Sparkasse)

http://www.taz.de/Solidaritaet/!100853/

Peter Nowak

Mit Steckbriefen gegen Islamismus?

Eine Plakatserie gegen jugendlichen Islamismus sorgt für Diskussionen

„Vermisst“ steht fettgedruckt über dem Foto des jungen Mannes. Darunter in kleinerer Schrift: „Das ist unser Sohn Tom. Wir erkennen ihn nicht mehr. Er zieht sich immer mehr zurück und wird immer radikaler.“ Auf einem anderen Foto ist eine freundliche junge Frau mit Kopftuch zu sehen.

Solche Plakate werden in den nächsten Wochen in verschiedenen Großstädten in Deutschland in deutscher und türkischer Sprache zu sehen sein. Sie sind Teil einer Kampagne des Bundesinnenministeriums gegen die Radikalisierung junger Moslems.

Die „Beratungsstelle Radikalisierung“ wurde im Rahmen der gemeinsam mit muslimischen Verbänden vom Innenministerium gestarteten Initiative Sicherheitspartnerschaft im Januar gegründet. Dort können sich Eltern, Angehörige, Freunde oder Lehrer telefonisch oder per E-Mail melden, wenn sie bei jungen Menschen Veränderungen bemerken, die auf eine islamistische Radikalisierung hindeuten. Die Anzeigen sollen demnächst auch in deutschen und türkischen Zeitungen geschaltet werden.

Misslungene Plakatserie?

Wie bei einen solch hochemotionalen Thema zu erwarten, geriet die Plakatserie sofort in den Meinungsstreit. Islamische Blogger sehen sie inhaltlich als misslungen an. Sie würden zudem die Zielgruppe gar nicht ansprechen. Einige Migrantenverbände sprechen gar von einer Stigmatisierung von Moslem.

„Die Bilder von nett aussehenden Muslimen im Zusammenhang mit dieser Kampagne suggerieren, dass jeder ein Fanatiker oder sogar Terrorist sein kann“, sagte die Integrationsbeauftragte und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Aydan Özoguz. Allerdings müsste man sich dann fragen, ob es nicht noch kritikwürdiger wäre, wenn Bilder von grimmig dreinblickenden bärtigen Männern gezeigt werden. Könnte man dann nicht eher von Klischees sprechen?

Der Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, wirft dem Bundesinnenministerium vor, mit der Kampagne von den eigentlichen Problemen in Deutschland abzulenken. Für ihn ist der Rassismus in der Gesellschaft in Deutschland das Hauptproblem. Er moniert zudem, dass die an der Sicherheitspartnerschaft beteiligten islamischen Verbände vom Innenministerium nicht über die Plakatkampagane informiert worden ist. Auch hier bleiben Fragen offen. Warum kann man den Gedanken nicht zulassen, dass sowohl Rassismus in der deutschen Gesellschaft als auch islamistische Tendenzen ein Problem sein können?

Zudem hat sich längst gezeigt, dass nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund in islamistische Kreise geraten können. Es gibt genügend Beispiele von deutschen Jugendlichen, die zum Islam konvertierten und sich dann dschihaddistischen Gruppen anschlossen. Aufgabe eines nichtrassistischen und nicht diskriminierenden Umgangs mit dem Islamismus wäre es, auf die Tatsachen immer wieder hinzuweisen. Organisationen wie Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage haben durch ihre jahrelange Praxis deutlich gemacht, dass es sehr wohl möglich ist, gegen den deutschen Alltagsrassismus aktiv zu werden und gleichzeitig islamistischen Tendenzen entgegenzutreten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152679
Peter Nowak

Bloß niemand weh tun

Der Aktionstag des Bündnisses Umfairteilen fordert das Richtige, kommt aber so zahm daher, dass sich Gruppen der außerparlamentarischen Linken nicht recht angesprochen fühlen.

Ein Wohnungsloser, der im Schatten hoher Bürotürme auf einer Bank nächtigen muss. Mit diesem sehr vereinfachenden Motiv mobilisiert die Kampagne Umfairteilen für einen bundesweiten Aktionstag am 29. September. Dann soll in zahlreichen deutschen Städten mit unterschiedlichen Aktionen dafür geworben werden, dass die Vermögenden in Deutschland stärker besteuert werden. Neben der Einführung einer Vermögenssteuer und einer einmaligen Vermögensabgabe gehört der Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen zum knappen Forderungskatalog.

Zum Bündnis gehören neben Attac und dem Kampagnennetzwerk Campact verschiedene Einzelgewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, die Volkssolidarität und die Katholische Arbeitnehmerbewegung. Die Forderung nach einer stärkeren Besteuerung der Reichen wird in Zeiten leerer Kassen sicher von einem Großteil der Bevölkerung geteilt. Selbst unter den Millionären gibt es eine Initiative, die für eine stärkere Besteuerung eintritt. Ob der Aktionstag allerdings eine große Resonanz erhält, muss sich noch zeigen. Denn bisher fehlen unter den Unterstützern Sozialdemokraten und Grüne ebenso wie die IG Metall. Das ist bei der inhaltlichen Ausrichtung der Kampagne schwer verständlich. So wird in dem Forderungskatalog kein Wort über die von SPD und Grünen mit eingeführte Schuldenbremse verloren, die immer wieder für Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich herhalten muss. In verschiedenen Bundesländern hatten in den letzten Monaten soziale Initiativen und Gewerkschaften vergeblich gegen die Einführung mobilisiert. Auch bei der Höhe der Besteuerung hält sich das Bündnis bedeckt. »In der Diskussion über Vermögensbesteuerung kursieren unterschiedliche Modelle«, heißt es auf der Homepage, wo auf eine Tabelle mit Beispielrechnungen verwiesen wird.

Auch hier gilt also die Devise, bloß niemand verschrecken. Schließlich wurden unter der rot-grünen Regierung die Steuern für Vermögende massiv gesenkt, so dass linke Ökonomen forderten, zum Steuersatz der Zeit von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) zurückzukehren. Doch selbst zu einer wahrlich nicht besonders radikalen Aussage kann man bei Umfairteilen nichts finden. Im Bemühen, bloß niemand zu verschrecken, haben die Initiatoren nicht berücksichtigt, dass man auch mit zu allgemeinen Aussagen Menschen und Organisationen von der Teilnahme an Kampagnen abhalten kann. So ist auffällig, dass aus dem Spektrum der außerparlamentarischen Linken, die in den letzten Jahren die Krisenprotestaktionen mitorganisiert hat, nur die Naturfreude, Attac und die Nichtregierungsorganisation Medico International im Bündnis vertreten sind, Gruppen aus dem Spektrum der Interventionistischen Linken aber fehlen komplett.

In der letzten Woche forderten bereits Initiativen – darunter Campact und Attac – in einem offenen Brief an die Ministerpräsidenten der Bundesländer, das »Steuer-Amnestie-Abkommen« genannte Vertragswerk mit der Schweiz im Bundesrat zu Fall zu bringen. »Angesichts der aktuellen Diskussion um den Kauf von Steuer-CDs fordert das Bündnis ›Kein Freibrief für Steuerbetrüger‹ Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble auf, das Steuerabkommen mit der Schweiz endlich als gescheitert zu erklären«, heißt es dort. Der Schulterschluss mit Rot-Grün und der Verzicht auf jeden kritischen Hinweis auf die populistischen Töne in der Diskussion um die Steueroase Schweiz dürfte die außerparlamentarische Linke eher abschrecken.

Infos: www.umfairteilen.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/236888.bloss-niemand-weh-tun.html
Peter Nowak

Brot und Bagatelle

Bei der Steakhauskette Maredo wurde Mitgliedern des Betriebsrats gekündigt. Als Grund nannte die Geschäftleitung Eigentumsdelikte. Die Beschäftigten wurden mit Videokameras überwacht.

Beschäftigte sollten sich überlegen, ob sie während der Arbeitszeit in eine Brotscheibe beißen, besonders wenn sie Gewerkschafter sind. Anfang August entschied das Arbeitsgericht in Frankfurt, dass die Kündigung von zwei Beschäftigten eines Restaurants der Steakhauskette Maredo rechtens ist. Nur in einem Fall wurde die Kündigung zurückgewiesen. »Maredo besiegt Betriebsräte« titelte die Frankfurter Rundschau nach dem Prozess. Doch die Auseinandersetzung ist damit noch nicht beendet. Begonnen hat sie im November vorigen Jahres, als die Geschäftsleitung von Maredo nach Angaben der Beschäftigten mit Sicherheitspersonal und zwei Rechtsanwälten unangekündigt in der Frankfurter Filiale in der Freßgass auftauchte. Man habe sie vor die Wahl gestellt, ihre Kündigung zu unterschreiben oder wegen Diebstahls und Betrugs angezeigt zu werden. Die Eingänge seien versperrt und die Handybenutzung sei ihnen verboten worden. 14 Beschäftigte haben gegen die Geschäftsleitung Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung erstattet.

Als Gründe für die Kündigung nennt die Geschäftsleitung von Maredo Eigentumsdelikte und gibt zu, dass sie auf geheime Überwachungsmethoden wie Videoaufzeichnungen und das Einschleusen von verdeckten Ermittlern zurückgegriffen hat. Vor einigen Wochen fand in der Frankfurter Maredo-Filiale eine polizeiliche Hausdurchsuchung zur Sicherstellung der illegal entstandenen Videodokumente statt.

Die Beschäftigten leugnen nicht, dass sie gelegentlich zum Wegwerfen bestimmte Brote gegessen und Leitungswasser getrunken haben. Das Verzehren solcher ausgemusterten Lebensmittel sei bei Maredo jahrelang toleriert worden. Erst als die Geschäftsleitung eine gewerkschaftlich organisierte Belegschaft loswerden wollte, sei es zum Eigentumsdelikt erhoben worden. Auch in der Osnabrücker Maredo-Filiale wurde der Betriebsratsvorsitzenden Jaqueline Fiedler gekündigt. Ihr wurde vorgeworfen, ihren Zweitjob weiterhin ausgeübt zu haben, während sie mit ärztlichem Attest bei Maredo krangeschrieben gewesen sei. Auch in ihrem Fall bestätigte das Arbeitsgericht die Kündigung in der ersten Instanz. Dass aufmüpfigen oder gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten Eigentumsdelikte zur Last gelegt werden, um sie loszuwerden, ist nicht selten. Ein Solidaritätskomitee machte 2008 den »Fall Emmely« bundesweit bekannt. Der gewerkschaftlich organisierten Kassiererin einer Berliner Filiale der Supermarktkette Kaiser’s war fristlos gekündigt worden, wegen des Vorwurfs, ­Flaschenpfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen zu haben. Die Kassiererin konnte 2010 in letzter Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht doch noch einen juristischen Erfolg verbuchen und arbeitet wieder in einer Kaiser’s-Filiale. Dazu haben auch die vom Solidaritätskomitee initiierten außerparlamentarischen Proteste beigetragen. Auch die Beschäftigten von Maredo gehen seit Monaten auf die Straße. Im Rahmen von Aktionstagen fand am 18. Mai aus Solidarität mit den Beschäftigten ein Flashmob vor der Frankfurter Maredo-Zentrale statt.

In mehreren deutschen und europäischen Städten wurde vor Filialen der Steakhauskette protestiert. Am Protest beteiligten sich neben Gewerkschaften auch Gruppen der außerparlamentarischen Linken. In einem Interview mit der Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Express, sagte Michael Weißenfeldt, ein Mitglied des Betriebsrats der Maredo-Filiale: »Das wichtigste für uns ist die Solidarität und die Unterstützung durch die Gewerkschaft.« Daneben verweist er auch auf die Unterstützung durch linke Gruppen. Die Arbeit der Unterstützer zeigt bei der Gegenseite Wirkung. Der Rechtsanwalt von Maredo, Jan Tibor Lelley, spricht von einer »seit Monaten laufenden Kampagne der Beschäftigtenseite«, die »die Bahnen der normalen Rechtswahrnehmung bei weitem überschritten« habe. Eine gütliche Einigung schließt er daher aus.
http://jungle-world.com/artikel/2012/34/46098.html
Peter Nowak

Eine deutsche Eiche vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus

Am Wochenende gab es zweierlei Gedenken in Rostock

„Störer wie euch dürfen niemals durchkommen.“ Diese unsouveräne Antwort gab Bundespräsident Joachim Gauck einer Gruppe von Antirassisten, die ihn am Sonntag vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus mit „Heuchler“-Rufen und einem Transparent mit der Aufschrift „Rassismus tötet“ empfingen.

Das renovierte Haus war in den letzten Wochen in vielen Zeitungen und auf vielen Plakaten zu sehen. Vor 20 Jahren wurde es durch von einem Bürgermob angefeuerte Neonazis in Brand gesteckt. Zu dem diesem Zeitpunkt waren Polizei und Feuerwehr abgezogen worden. In letzter Minute konnten sich die noch im Gebäude anwesenden Flüchtlinge samt Unterstützer durch eine Dachluke vor den Flammen retten. Von Gauck, der heute gerne auf seine Rostocker Herkunft verweist, war damals übrigens nichts zu hören. Das Foto eines Betrunkenen mit erhobenen rechten Arm ging um die Welt und prägt für viele bis heute das Bild jener pogromartigen Ereignisse vor 20 Jahren. In dem Buch Kaltland hat ein Autorenkollektiv noch einmal das Klima jener Zeit nicht nur im Osten Deutschlands festgehalten.

„Sie können jetzt einpacken“

Vielleicht hätte ein anderes Bild, das leider nie so bekannt geworden ist, noch treffender die damaligen deutschen Zustände vermittelt. Es zeigt eine rumänische Romafrau, die mit den anderen Rostocker Flüchtlingen nach den rassistischen Ausschreitungen auf die Busse wartet, die sie aus Rostock abtransportieren. Das Foto des Fotografen Jürgen Siegmann dürfte in der nächsten Zeit bekannter werden. Schließlich ist es in dem Film Revision zu sehen, der demnächst in die Kinos kommt und die Geschichte von zwei rumänischen Flüchtlingen aufarbeitet, die Ende Juli 2002 an der deutschpolnischen Grenze von Jägern erschossen worden, die sie angeblich mit Wildschweinen verwechselten.

Das Foto spielt deshalb in dem Film eine Rolle, weil die abgebildete Frau die Witwe eines der Erschossenen ist. Ihre wenigen Habseligkeiten sind in einer Plastiktüte mit der Aufschrift „Sie können jetzt einpacken“ verstaut. Der lustig gemeinte Werbespruch eines Discounters wurde dem Mob aus Bürgern und Nazis in Rostock umgedeutet. Als die Flüchtlinge abtransportiert wurden, applaudierten sie über ihren „Sieg“.

Als wenig später die Asylgesetze in Deutschland so sehr eingeschränkt wurden, dass kaum noch ein Flüchtling in Deutschland davon profitieren kann, konnten sie noch einen vermeintlichen Sieg feiern. Welches Signal sendet nun das Pflanzen einer Eiche vor dem renovierten Rostocker Sonnenblumenhaus aus? Die Initiatoren argumentieren einerseits pragmatisch damit, dass die Eiche besonders langlebig sei und sprechen von der Friedenseiche als einem alten deutschen Symbol. Linke Kritiker sehen in der Eiche eher ein deutschnationales Symbol.

Gedenktafel oder Eiche?

Bei der unterschiedlichen Ausgangslage ist es nicht verwunderlich, dass es am Wochenende zwei unterschiedliche Arten des Gedenkens in Rostock gab. Die offizielle Gedenkfeier verurteilt die rassistische Übergabe und spricht scheinbar selbstkritisch vom Versagen des Staates. Gauck forderte eine „wehrhafte Demokratie“. Die könnte sich dann ebenso gegen die Antirassisten richten, die Gauck als Störer adressierte, wie gegen angeblich illegale Flüchtlinge. Schließlich wird im offiziellen Gedenken peinlich darauf geachtet, dass die massive Einschränkung des Asylrechts nicht mit dem Pogrom von Rostock in Verbindung gebracht wird, obwohl vor 20 Jahren zahlreiche Politiker selber den Zusammenhang herstellten. So reiht sich das offizielle Gedenken in ähnliche Veranstaltungen zu den NS-Verbrechen ein. Schlimme Zeit damals, aber Deutschland hat daraus gelernt und ist gestärkt darauf hervorgegangen, heißt kurz zusammengefasst das Fazit. So gesehen ist die Eiche vielleicht ein passendes Symbol.

Die linken Kritiker hingegen betonten im Aufruf zu der von mehreren tausend Menschen besuchten Demonstration in Rostock besonders den Zusammenhang zwischen der Verschärfung des Asylrechts und dem Pogrom. Sie sprachen sowohl vom institutionellen Rassismus als auch von dem in der Mitte der Gesellschaft. Sie brachten eine Gedenktafel erneut am Rostocker Rathaus an, mit der die Organisation Töchter und Söhne der aus Frankreich deportierten Juden bereits vor 20 Jahren gegen den Rassismus Stellung nahmen. Die Tafel wurde von der Stadt entfernt, die Aktivisten, darunter auch Beate Klarsfeld, festgenommen.

Gedenktafel versus Eiche, allein in diesen Symbolen wird die Unterschiedlichkeit des Gedenkens deutlich. Dazwischen agierte ein zivilgesellschaftliches Bündnis, das die Ablehnung von rechter Gewalt mit einer Imagewerbung für Rostock verbindet. Allerdings kooperieren manche der Aktivisten jenseits von zentralen Gedenkveranstaltungen mit Aktivisten des linken Bündnisses im Alltag in antirechten Bündnissen. Daher ist auch die Konfrontation nicht mehr so schroff wie vor 20 Jahren, als schon einmal ein Bundespräsident, damals war es von Weizsäcker im Berliner Lustgarten, bei einer offiziellen Gedenkveranstaltung zu den Opfern rechter Gewalt ausgepfiffen und mit Heuchlerrufen bedacht wurde.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152667
Peter Nowak

Piraten verlieren Freunde und Anonymous goes Bild

Während die Piratenpartei erstmals seit Monaten in Wählerumfragen hinter der Linken liegt, geht der Streit um den Geschäftsführer auf Spendenbasis weiter

Lange Zeit konnte sich die Piratenpartei fast ungeteilter Sympathie der Medien, aber auch steigender Sympathie bei Wählerumfragen sicher sein. Doch plötzlich tauchen im Zusammenhang mit den Piraten Begriffe wie Flaute oder Sinkflut auf. Das ist übertrieben und zeigt nur, dass die Partei bisher immer auf medialen Erfolgskurs lag. Nun fällt sie in Umfragen des Stern um zwei Punkte auf 7 % und liegt seit Monaten um einen Punkt hinter der Linken, die sich um einen Punkt verbesserte. Der jüngste Streit um den Piratengeschäftsführer auf Spendenbasis ist bei den Umfragen noch nicht berücksichtigt.

Spießer mit Ressentiment und Maske

Doch der Streit geht bei den Piraten und ihrem Umfeld weiter. Nicht nur manche Wähler kehren den Piraten den Rücken. Auch eine Anonymous-Gruppe kündigte ihr via Facebook die Freundschaft auf. Als Grund nennen sie den Spendenaufruf, mit dem die Partei für die Einkünfte ihres Geschäftsführers Johannes Ponader Geld sammeln will, nachdem er eher unfreiwillig auf seine Hartz IV- Leistungen verzichtete.

Nun haben die Piraten wegen ihres Geschäftsführers auf Spendenbasis Kritik auch von Gewerkschaftern und Erwerbslosengruppen einstecken müssen. Sie befürchten, dass das Modell des Crowdfunding eine neue Facette im deutschen Niedriglohnbereich etablieren könnte. Doch solche Kritik äußert die Anonymous-Gruppe nicht. Ihr Statement hört sich eher an wie die ressentimentgeladenen Auslassungen an, die Christian Baron und Britta Steinwachs in ihrer Analyse der virtuellen Angriffe gegen „Deutschlands frechsten Arbeitslosen“ Arno Dübel materialreich am Beispiel von bild.de aufgedeckt haben.

So schrieb die Anonymous-Gruppe zum Crowdfunding:

„Mit diesem Spendenaufruf habt ihr euch endgültig selbst ins politische Abseits geschossen. Wie kann man jemanden, der erfolgreich das Studium der Pädagogik und der Theaterwissenschaften abgeschlossen hat, aber aus purer Bequemlichkeit nicht gewillt ist, arbeiten zu gehen, als politischen Geschäftsführer (…) mit einer derart lächerlichen Aktion auch noch im Amt halten? (…) Es macht uns traurig mit ansehen zu müssen, wie Ponader durch sein Verhalten die jahrelange Arbeit vieler engagierter Piraten in nur wenigen Wochen zunichte macht. So leid es uns tut, aber solange Ponader noch im Amt ist und weiterhin Narrenfreiheit genießt, werden wir unseren Support für die Piratenpartei in Deutschland einstellen.“ Der Topos vom studierten Faulenzer, der zu bequem zum Arbeiten ist, gehört schon lange zum Repertoire all jener, die den Erwerbslosen, die ihre Arbeitskraft nicht zu jedem Preis verkaufen wollen, entgegenschallt. Damit hat sich zumindest dieser Teil von Anonymous-Gruppe politisch kenntlich gemacht. Sie passen gut zwischen Bild, BZ und Glotze.

Einige Piraten wiesen in ihrer Antwort nicht etwa den Aufstand der anonymen Spießer gegen ihren Geschäftsführer zurück, sondern mahnten Fairness für ihre Partei an und beschworen das gemeinsame Boot, in dem man sitze und auch untergehen könne. In dem anbiedernden Schreiben heißt es.

„Liebes Anonymous-Kollektiv: Über die Aktion von Johannes Ponader kann man sich trefflich streiten, aber wie wäre es mit Beteiligung statt Bashing? Failed die Piratenpartei mit ihren Grundsätzen, fallen höchstwahrscheinlich auch eure Masken!“

Dass die Gemeinsamkeiten mancher Piraten mit den maskierten Bloggern weiter gehen, zeigt sich in dem offenen Brief des Vorsitzenden und des Stellvertretenden Vorsitzenden der Jungen Piraten, in dem sie Ponader vorwerfen, sein Verhalten sei untragbar. Er habe seine Position genutzt, um „persönliche Vorteile“ zu erlangen. Wenn er der Meinung sei, dass er für Arbeit eine Aufwandsentschädigung braucht, solle er sich um entsprechende Beschlüsse bei den Piraten bemühen.

Die Briefschreiber scheinen noch nicht davon gehört zu haben, dass Lohnarbeit bezahlt werden muss. Mit diesen Auslassungen dürften sich Anonymous und manche Piraten Freunde bei aktiven Erwerbslosen verloren haben. Manche Bild-Blogger aber dürften Gefallen an den für sie bisher als subversiv geltenden Mitbloggern mit und ohne Maske finden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152648
Peter Nowak

Piratengeschäftsführer auf Spendenbasis?

Martin Behrsing, der Sprecher des Erwerbslosenforums, spricht von einem „absurden neoliberalen Theater“

„Ich gehe“, erklärte der politische Geschäftsführer der Piraten Johannes Ponader. Allerdings meint er damit nicht einen Rückzug von seinen Ämtern in der Piratenpartei. Ponader will nichts mehr mit dem Jobcenter zu tun haben, von dem der Theaterpädagoge bisher Hartz IV-Leistungen bezogen hat. Jetzt wollen die Piraten Geld für ihren Geschäftsführer Spenden sammeln. Sein politisches Amt sei nicht mit dem Bezug von Arbeitslosenhilfe vereinbar, begründet Ponader seinen Rückzug von Hartz IV. Der war aber nicht so ganz freiwillig.

Nachdem Ponaders Hartz IV-Bezug während einer Fernsehdebatte bekannt geworden war, entspann sich in Internetforen eine heftige Debatte darüber, wie es sein kann, dass der politische Geschäftsführer einer Partei von Hartz IV-Leistungen leben muss. Zudem schaltete sich das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt mit einem Anruf beim Piratenvorsitzenden Bernd Schlömer in die Debatte ein und fragte an, warum die Partei ihren Geschäftsführer nicht bezahlen könne.

Nun ist eine solche Diskussion nicht frei von Sozialneid und Sozialchauvinismus. Schließlich müsste man sich fragen, wie es sein kann, dass immer mehr Menschen von ihrer Lohnarbeit nicht mehr leben können und ihren Niedriglohn mit Hartz IV aufstocken müssen. Grundsätzlicher könnte man auch fragen, wie es sein kann, dass immer mehr Menschen, ob mit oder ohne Erwerbsarbeit, auf Hartz IV-Niveau und noch tiefer gedrückt werden. Da ist es eher ein Ablenkungsmanöver, wenn Ponader den Begriff Hartz IV ablehnt, weil er nichts davon hält, „die Empfänger der Bezüge zusammen mit dem verurteilten Peter Hartz in einen Topf zu werfen“. Ponader begibt sich selber auf populistisches Terrain, wenn er eine gerichtliche Verurteilung in den Mittelpunkt stellt und nicht die Agenda-2010-Politik, für die Peter Hartz natürlich nicht vor Gericht stand. Zudem haben auch die größten Befürworter der Agenda 2010 nach der Verurteilung des Namensgebers viel dafür getan, dass diese Politik nicht mehr so sehr mit Hartz in Verbindung gebracht wird.

Hartz ist kein bedingungsloses Grundeinkommen

Scharfe Kritik an der Debatte kommt jetzt vom Erwerbslosenforum Deutschland. Dessen Sprecher Martin Behrsing spricht von einem „absurden neoliberalen Theater“. „Hartz IV ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, das zur politischen Selbstverwirklichung dient, und ein politisches Amt als Bundesgeschäftsführer ist keine ehrenamtliche Betätigung, sondern knochenharte Arbeit, die ordentlich bezahlt gehört“, sagte Martin Behrsing. Er machte darauf aufmerksam, dass sich hier die Piraten eine negative Pilotfunktion erfüllen könnten. Schließlich würden viele Vereine und Organisationen ihre Mitarbeiter gerne auf Spendenbasis, die die Beschäftigen womöglich noch selber eintreiben müssen, einstellen wollen.

Behrsing macht darauf aufmerksam, dass die Piraten Mitgliederbeiträge erheben und daher Einnahmen haben müssten, von denen sie auch den Posten bezahlen können. Eigentlich wären auch die Gewerkschaften gefragt, bei den Piraten für Löhne zu sorgen, von denen die Mitarbeiter leben könnten, also ohne Abhängigkeit von Spenden oder Hartz IV. Der Umgang der Piraten mit ihren Mitarbeitern ist aber konsequent, wenn man bedenkt, dass Schlömer von einer liberalen Partei spricht und die Publizistin Katja Kullmann die Piraten als Partei einer aufstrebenden IT-Elite bezeichnet. Da liegt es vielleicht nahe, dass man mal eine Spendensammlung gesetzlich verankerten und erkämpften Sozialstandards vorzieht.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152639
Peter Nowak