Rücktritt am Oberdeck der Berlin-Titanic

Als Partybürgermeister ist Wowereit schon lange überflüssig geworden, jetzt zieht er die Konsequenzen

Auf der Homepage [1] des Regierenden Bürgermeisters von Berlin standen heute Nachmittag die mögliche Olympiabewerbung von Berlin und der „herausragende Unternehmer und gute Botschafter“ im Mittelpunkt. Dabei gab es bereits am Vormittag bei einigen Berliner Radiosendungen Programmunterbrechungen, als die ersten Meldungen bekannt wurden, dass Klaus Wowereit die erste Gelegenheit nach dem Ende der Sommerpause nutzen will, um den Termin für seinen Rücktritt im Dezember dieses Jahres festzulegen.

In seiner kurzen Erklärung betonte er, dass er freiwillig zurückgetreten sei, kritisierte allerdings auch, dass selbst in seiner Partei die Gerüchte über seine mögliche Amtsmüdigkeit nicht verstummen wollten. Dabei war schon länger klar, dass er bei Neuwahlen nicht mehr kandidieren werde. Schließlich waren seine Umfragewerte in den letzten zwei Jahren kontinuierlich schlechter geworden. Er hält sich mittlerweile in der Liste der unbeliebten Politiker [2]kontinuierlich auf den vorderen Plätzen und beschert auch seiner SPD schlechte Umfragewerte.

Vom großen Kommunikator zum Quotenschrecken

Dabei war Wowereit einst gerade als großer Kommunikator bekannt und auch beliebt. Wenn man sich fragt, für welche Inhalte Wowereit eigentlich stand, kommt man schnell ins Raten. Viel berühmter sind einige seiner Aussprüche, die viel auf das kulturelle und diskursive Klima ausstrahlten.

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wurde er mit dem Bekenntnis: „Ich bin schwul und das ist gut so“ bekannt und konnte damit den Beweis antreten, dass zumindest in der Metropole Berlin ein schwuler Politiker keine Karrierebremse mehr bedeuten muss. 2001 war einsolches Bekenntnis bundesweit durchaus noch ein Wagnis.

Wowereit gerierte sich hier auch als Anti-Koch. Der hessische Ministerpräsident hatte kurz zuvor gerade mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Wahl gewonnen und machte immer wieder deutlich, dass zu seiner Klientel die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gehören. Fast zwei Jahrzehnte später ist das auch bei den Unionsparteien längst nicht mehr so klar. Die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gerieren sich als außerparlamentarische Opposition oder suchen in neuen Parteiformationen wie der AfD ein neues Betätigungsfeld. Wowereit mag hier als Tabubrecher gewirkt haben, wenige Jahre später war Guido Westerwelle als schwuler Politiker noch bekannter.

Daher kann man sagen, er hat sich selber überlebt. Wowereit galt in einer Zeit als linker SPD-Politiker, als das Kulturelle und Diskursive eine zentrale Rolle spielte. Vor 15 Jahren hat sich auch außerparlamentarische linke Politik vor allem auf die Durchsetzung der Rechte von Menschen konzentriert, die bisher ausgegrenzt und diskriminiert wurden, weil sie der gesellschaftlich durchgesetzte Norm nicht entsprachen. In diesem Sinne konnte Wowereit als linker SPD-Politiker durchgehen.

Die Zeit des Partybürgermeisters war schon lange vorbei

Dass aber die Stadt Berlin massive soziale Probleme hat und nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise die Zahl der Geringverdiener und Minijobber wächst, die sich nur durch die Aufstockung mit Hartz IV ihre Reproduktionskosten bestreiten können, wurde in den Kreisen gerne verdrängt, in denen Wowereit als Partybürgermeister beliebt war. Wenn nun die Süddeutsche Zeitung Wowereits angekündigten Rücktritt knapp mit „Die Party ist aus“ [3] kommentierte, dann ist sie eigentlich der Zeit um Jahre hinterher.

Die Zeit des Partybürgermeisters war zu dem Zeitpunkt zu Ende, als die Dotcom-Blase platzte und auch im Mittelstand mehr von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen als von der neuen Party die Rede war. Dass jetzt viele sein Versagen fast nur mit der Pleite um den neuen Berliner Flughafen in Verbindung bringen, ist auch ein Ausdruck des Zynismus einer Politik, die die Verarmung großer Teile der Bevölkerung achselzuckend hinnimmt, solange nur am Oberdeck der Gesellschaft die Party weitergeht. Wowereit war für diese Klientel der ideale Stichwortgeber, der mit einem weiteren berühmten Spruch die Lage dieser Berlin-Titanic so klassifizierte: „Arm aber sexy“.

In Kreisen der prekären Kulturarbeiter und Wissenschaftler, die lange zu Wowereits Klientel zählten, kam dieser Spruch gut an, einige ließen ihn sich sogar auf das T-Shirt drucken. Sie hatten ja die Hoffnung, doch noch irgendwie aufzusteigen. Für Menschen aus den Berliner Unterklassen zeigte der Spruch vor allem die Verkommenheit derer auf dem Oberdeck. Sie wandten sich von der Politik ab und versuchten über die Runden zu kommen, indem sie Flaschen sammeln oder vor den Essenstafeln Schlange stehen. Wowereit konnte derweil den Partymeister am Oberdeck noch weiter spielen, weil die Subalternen nicht die Mitteln und Möglichkeiten haben, es zu stürmen. Selbst eine kleine Unterbrechung der Party, wie sie Ken Loach in dem Film „Brot und Rosen“ inszeniert, wo Putzkräfte in den USA mit Staubsaugern und Wischmob ein Filmfest unterbrachen, um für bessere Löhne zu demonstrieren, war in Berlin nicht in Sicht.

Dafür hatte auch Wowereit gesorgt. Außerparlamentarische Proteste wurden mittels Bannmeile vom Oberdeck ferngehalten und die Berliner PDS, die in den 90er Jahren noch ein gewisses Oppositionspotential hatte, wurde von Wowereit domestiziert, in dem er sie 2001 zum Koalitionspartner nahm und über ein Jahrzehnt als zahmen Regierungspartner hielt. Heute ist die Berliner Linksparteieine etwas geliftete SPD mit libertärem Flügel. Grundsätzliche Gesellschaftskritik ist von dort nicht zu erwarten.
Mit der PDS konnte Wowereit eine neoliberale Wirtschaftspolitik auf allen Gebieten durchsetzen. Der soziale Wohnungsbau wurde in dieser Ägide praktisch abgeschafft, die Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert und so der Grundstein für die Berliner Wohnungsmisere für Menschen mit geringen Einkommen gelegt. Mittlerweile versuchen Mieterinitiativen mit dem Projekt „Neuer Kommunaler Wohnungsbau“ gegenzusteuern. In der Ära Wowereit wuchs die Zahl der Minijobs und die Verarmung stieg. Dass sich der Partymeister trotzdem zeitweise als gefühlter Bundeskanzler gerierte und dabei von vermeintlich SPD-Linken wie Andrea Nahles bestärkt wurde, die Wowereit als Kanzlerkandidaten ins Gespräch brachte, zeigt nur den Zustand diese sozialdemokratischen Linken.

Wie weiter in Berlin?

Die Berliner SPD, in der Wowereit mögliche Konkurrenten jahrelang kleinhielt, wird nun nach seinem Rücktritt mit Ansage darüber beraten, wie sie die Nachfolge regelt. Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß [4] hält sich ebenso für geeignet wie der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh [5]. Er hat schon angekündigt, sich um Wowereits Nachfolge zu bewerben. Besonders bekannt und beliebt sind beide nicht.

Jetzt wird überlegt, ob die Nachfolge mit einer Mitgliederbefragung geregelt werden soll, was Stöss zugute käme, der in der Partei besser vernetzt ist. Wenn es keine Einigung gibt, könnte auch ein SPD-Politiker eingeflogen werden, um das Amt zu übernehmen. Noch muss die SPD keine Neuwahlen fürchten, weil die CDU erklärt hat, dass sie die Regierungskoalition mit der SPD bis 2016 fortsetzen will, solange der Koalitionsvertrag gilt. Dieses Bekenntnis hat natürlich nur eine begrenzte Halbwertzeit, weil die CDU von der Schwächephase der SPD profitieren würde, was auch für die Grünen zutrifft, die bereits Neuwahlen nach Wowereits Rücktritt fordern.

Sollte die Linke auch die Gunst der Stunde nutzen, um von der Schwäche der SPD zu profitieren und die CDU den Zeitpunkt für den Absprung günstig erscheint, könnte es tatsächlich bald Neuwahlen und unter Umständen ein schwarz-grünes Bündnis auch in Berlin geben. Schließlich hat auch Wowereit 2001 sein Politdebüt damit gegeben, dass er das Bündnis mit der CDU unter Diepgen aufgekündigt hat und sich dann neue Partner suchte.

Für die Menschen, die in Berlin ganz unten sind, dürfte sich so oder so wenig ändern. So hat sich just am Tag des Wowereit-Rücktritts die Situation der Flüchtlinge, die dort für ihr Bleiberecht kämpfen, wieder verschärft. Die versprochenen Neuverhandlungen der Asylverträge erschöpften sich in einer Überprüfung nach Aktenlage. Jetzt droht [6] mehreren der betroffenen Menschen erneut Obdachlosigkeit und Abschiebung. Heute Nachmittag begannen einige Flüchtlinge in einer Unterkunft in der Berliner Gürtelstraße dagegen erneut mit Protesten und einer Dachbesetzung. Die Meldung ging in den Rummel um die Ankündigung des Wowereit-Rücktritts unter. Das ist eines der Probleme auf der Baustelle Berlin, die Wowereit hinterlassen hatte.

http://www.heise.de/tp/news/Ruecktritt-am-Oberdeck-der-Berlin-Titanic-2302772.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.klauswowereit.de/

[2]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/umfragewerte-fuer-berliner-spd-wowereit-wird-immer-unbeliebter,10809148,26479652.html

[3]

http://www.sueddeutsche.de/politik/ruecktritt-von-klaus-wowereit-die-party-ist-aus-1.2104207

[4]

http://www.jan-stoess.de/

[5]

http://www.raed-saleh.de/

[6]

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=687

Zu viele Zufälle im Berliner Verfassungsschutz

Die Leiterin der Berliner Verfassungsschutzbehörde musste wegen Aktenvernichtungen zurückgetreten – nur ein Bauernopfer?

Die Aktenvernichtung im Berliner Verfassungsschutz hat personelle Konsequenzen. Die Leiterin der Berliner Behörde Claudia Schmid hat ihren Rücktritt erklärt. Damit übernimmt sie die Verantwortung für die immer wieder bekannt gewordenen Aktenvernichtungen des Berliner VS im Zusammenhang mit der rechten Szene, die wachsende Kritik ausgelöst hat. Erst kürzlich war bekannt geworden, dass zwei Mitarbeiterinnen im Juli 2010 Akten zum Komplex des mittlerweile verbotenen neonazistischen Netzwerkes Blood & Honour vernichtet hatten, die eigentlich zur Aufbewahrung im Landesarchiv bestimmt waren. Schon vorher hatte für Schlagzeilen gesorgt, dass im Sommer dieses Jahres Akten vernichtet wurden, die nach Aussage von Henkel einen Bezug zur rechten Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gehabt haben könnten.

Dabei war in den letzten Tagen immer mehr der Innensenator Franz Henkel selber in die Kritik geraten. Nachdem der Christdemokrat in Umfragen zwischenzeitlich den wegen der Verzögerungen beim Berliner Flughafen angeschlagenen Regierenden Bürgermeister Wowerei in der Beliebtheitsskala überrundet hatte, überwiegt nun in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass der Politiker sein Amt nicht im Griff hat. Um diesen Eindruck zu widerlegen, hat Henkel schon gestern Konsequenzen angekündigt. Der Rücktritt von Schmid dürfte dazu gehören. Henkel konnte darauf verweisen, dass zumindest die zuletzt bekannt gewordene Aktenvernichtung nicht in seiner Amtszeit erfolgte. 2010 war der Sozialdemokrat Ehrhart Körting Innensenator.

„Unsägliche Salamitaktik des Innensenats“

Doch auch mit Schmids Rücktritt dürften weder Henkel noch der Verfassungsschutz aus der Kritik sein. Es wird vor allem darauf ankommen, ob noch mehr Aktenvernichtungsaktionen bekannt werden. Schon vor einigen Tagen zog der innenpolitischer Sprecher und Vorsitzender der Berliner Piratenfraktion Christoph Lauer eine vernichtende Kritik an Henkel und der Behörde. Er monierte die „unsägliche Salamitaktik des Innensenats“. Doch er stellt auch eine Frage, die sich in den letzten Wochen im Zusammenhang mit der NSU viele Menschen ebenfalls gestellt haben: „Es ist kaum mehr möglich, bei den haarsträubenden Vorgängen im Berliner Verfassungsschutz noch an Zufälle zu glauben“, betont Lauer.

Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass Mitarbeiter von Verfassungsschutzämtern, die gemeinhin im Fall von Linken durch Klagen dazu gezwungen werden müssen, gesammelte Daten zu vernichten, hier scheinbar sehr daran interessiert waren, Akten loszuwerden. Pikant ist auch, dass zumindest die Aktenvernichtung im Sommer dieses Jahres zu einem Zeitpunkt erfolge, als die Verfassungsschutzämter verschiedener Länder bereits stark in der Kritik standen, weil Aktenvernichtungen bekannt geworden waren. Wollte da jemand schnell noch Spuren beseitigen? Diese Frage wird sich zumindest so lange stellen, wie die Behörden mauern und nur die Informationen zugeben, die sie nicht mehr verschweigen können.

Am Ende eine Stärkung der Behörde?

Dass es in den Behörden ein Leck gibt zeigt sich nun daran, dass bestimmte Medien immer wieder mit Berichten über Aktenvernichtungsaktionen gefüttert werden. Über die Aktenzerstörung im Sommer 2010 hatte die Bildzeitung exklusiv berichtet. Solche Veröffentlichungen könnten am Ende auch die Sicherheitsbehörden stärken.

Schon wird von offizieller Seite als Konsequenz der ständigen „Pannen“ eine effektivere und zentralistisch gelenkte Behörde gefordert. Zivilgesellschaftliche und linke Kritiker warnen denn auch, in das Lamento über die Pannen einzustimmen. Am 4. November demonstrierten in vielen Städten Deutschlands anlässlich des Jahrestages der Selbstenttarnung der NSU Tausende für die Auflösung der Verfassungsschutzämter. Diese Forderung wird zurzeit selbst von FDP-Politikern unterstützt. Daher könnte Schmids Rücktritt auch ein Bauernopfer für die Behörden sein.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153193
Peter Nowak

Erinnerungen an den West-Berliner Sumpf

Der Fall Michael Braun – der Karrieresprung vom Mitternachtsnotar zum Justizsenator war in Zeiten der Bankenkrise nicht von Dauer

„Ich fordere Sie auf, überlassen Sie nicht alles den anderen. Lassen Sie uns Maßstäbe setzen!“ – Dieser Aufforderung des kulturpolitischen Sprechers der damals noch oppositionellen Berliner CDU, Michael Braun, kam der Politiker heute selber nach. Nach knapp zwei Wochen im Amt des Berliner Justizsenators trat Braun von seinem Amt zurück. Eigentlich sollte der Politiker heute Mittag ein Pressegespräch über den Verbraucherschutz führen, als die Ticker seinen Rücktritt vermeldeten.

Er war in den letzten Tagen nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch von der SPD und schließlich von seiner eigenen Partei immer stärker unter Druck geraten, weil er als Notar Schrottimmobilien beglaubigt haben soll. Schon vor seiner Wahl protestierten Finanznachrichtendienste gegen den Aufstieg vom „Mitternachtsnotar zum Senator für Verbraucherschutz“.

Anfangs versuchte Braun sich trotz der Vorwürfe im Amt zu halten. „Soweit in den Medien Einzelfälle gravierender Baumängel dargestellt werden, weise ich darauf hin, dass es nicht zur Aufgabe eines Notars gehört, den baulichen Zustand einer Immobilie zu überprüfen“, versuchte der Politiker seine Arbeit zu verteidigen. Allein an diesem Satz wurde deutlich, dass der Senator nicht mehr lange zu halten war. Als er schließlich ankündigte, bis zur Überprüfungen seiner Notarsarbeit die Dienstgeschäfte in Sachen Verbraucherschutz an seine Staatssekretärin abzugeben, war sein Rücktritt nur noch eine Frage von Stunden.

SPD hatte Angst mit in die Affäre gezogen zu werden

Dass sein Abgang sehr schnell kam, lag auch an dem Druck der Berliner SPD. Schließlich befürchtete der größere Koalitionspartner, mit in eine Affäre hineingezogen zu werden, die Erinnerung an den West-Berliner Sumpf der 1980er und 1990er Jahre weckt. Daran war 2001 schließlich die große Koalition zerbrochen, als der damals noch neue Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zunächst eine Koalition mit den Grünen antrat, um nach den für die CDU verlustreichen Neuwahlen ein Bündnis mit der PDS einzugehen.

Im noch vom Frontstadtklima geprägten West-Berlin war diese Entscheidung durchaus nicht risikolos. Doch Wowereit gelang es, die PDS und ihre Nachfolgepartei zu einem pflegeleichten Koalitionspartner zu domestizieren, der im Laufe der Regierungszeit mehr als die Hälfte ihrer Wähler verlor. Vor den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus gingen fast alle Analysten von einem von der SPD und den Grünen gestellten Senat aus. Umfragen ergaben auch, dass diese Konstellation von der Mehrheit der Wähler und Mitglieder beider Parteien gewünscht wurde.

Doch der Machtmensch Wowereit sah in der Union den weniger konfliktträchtigen Koalitionspartner und holte sich damit prompt den Berliner Sumpf der vergangenen Jahre zurück. Daher drohte die Affäre Braun auch zur Affäre Wowereit zu werden. In seiner knappen Erklärung nannte er Brauns Rücktritt „eine notwendige Entscheidung“. Auch die Berliner CDU dürfte über den schnellen Abgang Brauns erleichtert sein. Schließlich versuchte sie fast ein Jahrzehnt Distanz zum Berliner Sumpf zu gewinnen, mit dem sie durch die Affäre Braun nun wieder verbunden wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151019
Peter Nowak

Totalausstieg mit Comeback-Fenster

Koch verabschiedet sich aus der Politik – vorerst
Für seine Gegner war der hessische Ministerpräsident Roland Koch eine Art moderner Franz-Josef Strauß. Wie einst der bayerische CSU-Politiker verstand sich auch Koch auf das Polarisieren.
   

1999 brachte er der rot-grünen Bundesregierung eine innenpolitische Niederlage bei, als er die damalige hessische Landtagswahl zum Plebiszit über die von der Bundesregierung geplante doppelte Staatsbürgerschaft machte und dabei auch vor einer Unterschriftenkampagne mit rassistischen Untertönen nicht zurückschreckte. Nachdem die Hessen-CDU damit die Wahl gewonnen hatte, strich die Regierungskoalition die ursprünglichen Pläne eines modernisierten Ausländerrechts stark zusammen. Auch in der Umweltpolitik blieb der erklärte Befürworter des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken auf Rechtskurs. Anders als sein NRW-Kollege Rüttgers stand er deshalb auch nie in dem Ruf, mit den Grünen koalieren zu wollen.

Sein Rücktritt wurde seit Jahren immer wieder gefordert. Doch er schien ähnlich wie seinerseits Strauß als Steh-auf-Männchen der Politik die Kritik an seinen konservativen Wahlkampfstil ebenso zu überstehen wie Untersuchungen über geheime Parteikassen und ähnliche Affären. Als Koch und seine hessische CDU 2008 mehr als 10 Prozent der Wählerstimmen verloren hatten und seine sozialdemokratische Konkurrentin Ypsilantis große Zugewinne verzeichnete, schien die Ära Koch in Hessen schon vorbei. Doch da sich die SPD über der Frage einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei zerstritt und der rechte Parteiflügel ihr die Gefolgschaft verweigerte, kam bei den Neuwahlen Kochs Comeback. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schienen sich auch seine vielen Gegner und Kritiker mit dem ewigen Koch abgefunden zu haben.

Umso überrascht waren sie, dass der Politiker heute auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz nicht nur seinen Rücktritt vom Amt des hessischen Ministerpräsidenten am 31. August ankündigte. Er verzichtet auch auf eine erneute Kandidatur zum hessischen CDU-Vorsitzenden, legt sein Amt als Landtagsabgeordneter nieder und er will auch nicht mehr für das Amt des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden kandieren.

Dieser Totalausstieg aus der Politik überrascht viele politische Beobachter. Dass Koch, allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz, nach 12 Jahren Hessen den Rücken kehren wollte, hatten viele erwartet. Allerdings waren ihm immer bundespolitische Ambitionen nachgesagt worden. Schließlich hatte er sich in den letzten Jahren nicht nur in Interviews und Erklärungen in bundespolitische Angelegenheiten eingemischt. Gemeinsam mit dem SPD-Politiker Steinbrück erstellte er schon 2003 eine Liste zum Subventionsabbau, die in Zeiten der Wirtschaftskrise wieder verstärkt in die Diskussion gebracht wird. Mit seinem letzten bundespolitischen Vorstoß von massiven Finanzkürzungen auch im Bildungsbereich (Roland Koch bläst zum Angriff auf die Bildung) stieß er allerdings nicht nur bei politischen Gegnern sondern auch in seiner eigenen Partei auf starke Kritik.

Souveräne Entscheidung

Koch bestritt auf der Pressekonferenz alle Spekulationen, dass sein Rücktritt eine Folge dieser Kritik sein könnte. Sein Entschluss habe vielmehr schon fast ein Jahr festgestanden und sei einem kleinen Kreis von Spitzenpolitikern, unter anderem der Bundeskanzlerin, bekannt gewesen.
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 Lassen Sie mich zum Abschluss eines noch hinzufügen: Ich bin der erste hessische Ministerpräsident, der aus souveräner eigener Entscheidung das Amt aufgibt.

Er werde nicht sofort in ein Amt wechseln, aber auch nicht lange auf der Pensionärsliste stehen, erklärte Koch zu seinen Zukunftsplänen. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass er einen Posten in der Wirtschaft schon in Aussicht hat.

Vor ihm haben diesen Weg aus der Politik in die besser bezahlte Wirtschaft zahlreiche Vertreter von SPD, Union, FDP und auch der Grünen angetreten. Manche nach Wahlniederlagen wie der SPD-Rechte Wolfgang Clement, andere wie Kochs Parteifreund Friedrich Merz haben ihren Abschied aus der Politik mit offener Kritik an dem Zustand ihrer eigenen Partei und der Bundesregierung verbunden. Bei Koch finden sich auch bei seinem Rücktritt solche Töne nicht. Dabei galt er lange Zeit als konservativer Konkurrent von Merkel innerhalb der Union.

Nachdem allerdings der innerparteiliche Machtkampf zu ihren Gunsten entschieden war, betonte er nach Außen immer seine Loyalität zur Bundeskanzlerin. Deshalb wurde auch die von ihm losgetretene Spardebatte im Bildungsbereich von Beobachtern als erste Distanzierung von einer nach den NRW-Wahlen auch innerparteilich in die Kritik geratenen Bundeskanzlerin interpretiert. Mit seinem Totalrücktritt hat sie zumindest von dieser Seite keine Konkurrenz zu befürchten, vorerst.

Sollte es weitere Wahlniederlagen der Union geben und Merkels Führungsanspruch ernsthaft gefährdet sein, könnte auch für Koch wieder die Stunde kommen. Ausgeschlossen hat er das nicht. Zur Zeit kann Merkel allerdings mit der Entwicklung in NRW zufrieden sein, nachdem SPD und Grüne mit der Absage an eine Koalition mit der Linkspartei den Weg von einer von einen CDU-Politiker geführten großen Koalition geebnet haben. Diese liegt durchaus im Interesse einer Kanzlerin, die sich damit wegen dem Verlust der schwarz-gelben Bundesratsmehrheit innenpolitisch deutlicher von der ungeliebten FDP distanzieren kann.

Wie weiter in Hessen?

Für die Hessen-CDU ist Kochs Totalrücktritt eine große Zäsur. Denn alle möglichen Nachfolger sind umstritten. So wird dem Favoriten in der Nachfolgedebatte, dem bisherigen hessischen Innenminister Volker Bouffier vorgeworfen, bei der Benennung eines Gießener Parteifreundes zum Chef der hessischen Bereitschaftspolizei das gesetzliche Prozedere sehr eigenwillig ausgelegt zu haben. Die Opposition spricht sogar von Rechtsbruch und forderte seinen Rücktritt.

Mit Silke Lautenschläger hat im Windschatten von Koch eine der wenigen Frauen der Hessen-CDU ihren Ausstieg aus der Politik angekündigt. Wie dünn das Personaltableau der hessischen CDU ist, zeigte sich auch daran, dass sie nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung nicht mehr im Kabinett vertreten sind. Wer auch immer Koch nachfolgt, an seiner Politik dürfte sich wenig ändern. So werden wohl der Asta der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität und die hessische LandesAstenkonferenz mit ihrer Einschätzung Recht behalten, dass eine Politikänderung nach Kochs Rückzug nicht zu erwarten ist.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32685/1.html

Peter Nowak