Als Partybürgermeister ist Wowereit schon lange überflüssig geworden, jetzt zieht er die Konsequenzen
Auf der Homepage [1] des Regierenden Bürgermeisters von Berlin standen heute Nachmittag die mögliche Olympiabewerbung von Berlin und der „herausragende Unternehmer und gute Botschafter“ im Mittelpunkt. Dabei gab es bereits am Vormittag bei einigen Berliner Radiosendungen Programmunterbrechungen, als die ersten Meldungen bekannt wurden, dass Klaus Wowereit die erste Gelegenheit nach dem Ende der Sommerpause nutzen will, um den Termin für seinen Rücktritt im Dezember dieses Jahres festzulegen.
In seiner kurzen Erklärung betonte er, dass er freiwillig zurückgetreten sei, kritisierte allerdings auch, dass selbst in seiner Partei die Gerüchte über seine mögliche Amtsmüdigkeit nicht verstummen wollten. Dabei war schon länger klar, dass er bei Neuwahlen nicht mehr kandidieren werde. Schließlich waren seine Umfragewerte in den letzten zwei Jahren kontinuierlich schlechter geworden. Er hält sich mittlerweile in der Liste der unbeliebten Politiker [2]kontinuierlich auf den vorderen Plätzen und beschert auch seiner SPD schlechte Umfragewerte.
Vom großen Kommunikator zum Quotenschrecken
Dabei war Wowereit einst gerade als großer Kommunikator bekannt und auch beliebt. Wenn man sich fragt, für welche Inhalte Wowereit eigentlich stand, kommt man schnell ins Raten. Viel berühmter sind einige seiner Aussprüche, die viel auf das kulturelle und diskursive Klima ausstrahlten.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wurde er mit dem Bekenntnis: „Ich bin schwul und das ist gut so“ bekannt und konnte damit den Beweis antreten, dass zumindest in der Metropole Berlin ein schwuler Politiker keine Karrierebremse mehr bedeuten muss. 2001 war einsolches Bekenntnis bundesweit durchaus noch ein Wagnis.
Wowereit gerierte sich hier auch als Anti-Koch. Der hessische Ministerpräsident hatte kurz zuvor gerade mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Wahl gewonnen und machte immer wieder deutlich, dass zu seiner Klientel die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gehören. Fast zwei Jahrzehnte später ist das auch bei den Unionsparteien längst nicht mehr so klar. Die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gerieren sich als außerparlamentarische Opposition oder suchen in neuen Parteiformationen wie der AfD ein neues Betätigungsfeld. Wowereit mag hier als Tabubrecher gewirkt haben, wenige Jahre später war Guido Westerwelle als schwuler Politiker noch bekannter.
Daher kann man sagen, er hat sich selber überlebt. Wowereit galt in einer Zeit als linker SPD-Politiker, als das Kulturelle und Diskursive eine zentrale Rolle spielte. Vor 15 Jahren hat sich auch außerparlamentarische linke Politik vor allem auf die Durchsetzung der Rechte von Menschen konzentriert, die bisher ausgegrenzt und diskriminiert wurden, weil sie der gesellschaftlich durchgesetzte Norm nicht entsprachen. In diesem Sinne konnte Wowereit als linker SPD-Politiker durchgehen.
Die Zeit des Partybürgermeisters war schon lange vorbei
Dass aber die Stadt Berlin massive soziale Probleme hat und nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise die Zahl der Geringverdiener und Minijobber wächst, die sich nur durch die Aufstockung mit Hartz IV ihre Reproduktionskosten bestreiten können, wurde in den Kreisen gerne verdrängt, in denen Wowereit als Partybürgermeister beliebt war. Wenn nun die Süddeutsche Zeitung Wowereits angekündigten Rücktritt knapp mit „Die Party ist aus“ [3] kommentierte, dann ist sie eigentlich der Zeit um Jahre hinterher.
Die Zeit des Partybürgermeisters war zu dem Zeitpunkt zu Ende, als die Dotcom-Blase platzte und auch im Mittelstand mehr von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen als von der neuen Party die Rede war. Dass jetzt viele sein Versagen fast nur mit der Pleite um den neuen Berliner Flughafen in Verbindung bringen, ist auch ein Ausdruck des Zynismus einer Politik, die die Verarmung großer Teile der Bevölkerung achselzuckend hinnimmt, solange nur am Oberdeck der Gesellschaft die Party weitergeht. Wowereit war für diese Klientel der ideale Stichwortgeber, der mit einem weiteren berühmten Spruch die Lage dieser Berlin-Titanic so klassifizierte: „Arm aber sexy“.
In Kreisen der prekären Kulturarbeiter und Wissenschaftler, die lange zu Wowereits Klientel zählten, kam dieser Spruch gut an, einige ließen ihn sich sogar auf das T-Shirt drucken. Sie hatten ja die Hoffnung, doch noch irgendwie aufzusteigen. Für Menschen aus den Berliner Unterklassen zeigte der Spruch vor allem die Verkommenheit derer auf dem Oberdeck. Sie wandten sich von der Politik ab und versuchten über die Runden zu kommen, indem sie Flaschen sammeln oder vor den Essenstafeln Schlange stehen. Wowereit konnte derweil den Partymeister am Oberdeck noch weiter spielen, weil die Subalternen nicht die Mitteln und Möglichkeiten haben, es zu stürmen. Selbst eine kleine Unterbrechung der Party, wie sie Ken Loach in dem Film „Brot und Rosen“ inszeniert, wo Putzkräfte in den USA mit Staubsaugern und Wischmob ein Filmfest unterbrachen, um für bessere Löhne zu demonstrieren, war in Berlin nicht in Sicht.
Dafür hatte auch Wowereit gesorgt. Außerparlamentarische Proteste wurden mittels Bannmeile vom Oberdeck ferngehalten und die Berliner PDS, die in den 90er Jahren noch ein gewisses Oppositionspotential hatte, wurde von Wowereit domestiziert, in dem er sie 2001 zum Koalitionspartner nahm und über ein Jahrzehnt als zahmen Regierungspartner hielt. Heute ist die Berliner Linksparteieine etwas geliftete SPD mit libertärem Flügel. Grundsätzliche Gesellschaftskritik ist von dort nicht zu erwarten.
Mit der PDS konnte Wowereit eine neoliberale Wirtschaftspolitik auf allen Gebieten durchsetzen. Der soziale Wohnungsbau wurde in dieser Ägide praktisch abgeschafft, die Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert und so der Grundstein für die Berliner Wohnungsmisere für Menschen mit geringen Einkommen gelegt. Mittlerweile versuchen Mieterinitiativen mit dem Projekt „Neuer Kommunaler Wohnungsbau“ gegenzusteuern. In der Ära Wowereit wuchs die Zahl der Minijobs und die Verarmung stieg. Dass sich der Partymeister trotzdem zeitweise als gefühlter Bundeskanzler gerierte und dabei von vermeintlich SPD-Linken wie Andrea Nahles bestärkt wurde, die Wowereit als Kanzlerkandidaten ins Gespräch brachte, zeigt nur den Zustand diese sozialdemokratischen Linken.
Wie weiter in Berlin?
Die Berliner SPD, in der Wowereit mögliche Konkurrenten jahrelang kleinhielt, wird nun nach seinem Rücktritt mit Ansage darüber beraten, wie sie die Nachfolge regelt. Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß [4] hält sich ebenso für geeignet wie der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh [5]. Er hat schon angekündigt, sich um Wowereits Nachfolge zu bewerben. Besonders bekannt und beliebt sind beide nicht.
Jetzt wird überlegt, ob die Nachfolge mit einer Mitgliederbefragung geregelt werden soll, was Stöss zugute käme, der in der Partei besser vernetzt ist. Wenn es keine Einigung gibt, könnte auch ein SPD-Politiker eingeflogen werden, um das Amt zu übernehmen. Noch muss die SPD keine Neuwahlen fürchten, weil die CDU erklärt hat, dass sie die Regierungskoalition mit der SPD bis 2016 fortsetzen will, solange der Koalitionsvertrag gilt. Dieses Bekenntnis hat natürlich nur eine begrenzte Halbwertzeit, weil die CDU von der Schwächephase der SPD profitieren würde, was auch für die Grünen zutrifft, die bereits Neuwahlen nach Wowereits Rücktritt fordern.
Sollte die Linke auch die Gunst der Stunde nutzen, um von der Schwäche der SPD zu profitieren und die CDU den Zeitpunkt für den Absprung günstig erscheint, könnte es tatsächlich bald Neuwahlen und unter Umständen ein schwarz-grünes Bündnis auch in Berlin geben. Schließlich hat auch Wowereit 2001 sein Politdebüt damit gegeben, dass er das Bündnis mit der CDU unter Diepgen aufgekündigt hat und sich dann neue Partner suchte.
Für die Menschen, die in Berlin ganz unten sind, dürfte sich so oder so wenig ändern. So hat sich just am Tag des Wowereit-Rücktritts die Situation der Flüchtlinge, die dort für ihr Bleiberecht kämpfen, wieder verschärft. Die versprochenen Neuverhandlungen der Asylverträge erschöpften sich in einer Überprüfung nach Aktenlage. Jetzt droht [6] mehreren der betroffenen Menschen erneut Obdachlosigkeit und Abschiebung. Heute Nachmittag begannen einige Flüchtlinge in einer Unterkunft in der Berliner Gürtelstraße dagegen erneut mit Protesten und einer Dachbesetzung. Die Meldung ging in den Rummel um die Ankündigung des Wowereit-Rücktritts unter. Das ist eines der Probleme auf der Baustelle Berlin, die Wowereit hinterlassen hatte.
http://www.heise.de/tp/news/Ruecktritt-am-Oberdeck-der-Berlin-Titanic-2302772.html
Peter Nowak
Links:
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