Und die Miete steigt

Die geplante sogenannte Mietpreisbremse mag die SPD in der Regierung beruhigen, die betroffenen Mieter hingegen nicht.

Es mag länderspezifischem Patriotismus geschuldet sein, dass der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst, den Sozialdemokraten Heiko Maas zum »Superminister« kürte. Dabei ist der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz bisher vor allem mit Äußerungen hervorgetreten, die das Selbstbewusstsein der SPD in der Großen Koalition stärken sollen. Dazu gehört auch die Ankündigung, schnell eine sogenannte Mietpreisbremse einzuführen, schließlich gehörte eine Begrenzung der Mietsteigerungen zu den Versprechen, die die Partei im Wahlkampf gemacht hatte.

Vorgesehen ist nach dem Gesetzentwurf, den der Justizminister nun vorgelegt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts geschickt hat, dass Neumieten »in angespannten Wohnungsmärkten« nur noch um zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen dürfen. Neuerungen sind auch bei der Provision für den Makler geplant, diese soll künftig derjenige zahlen, der ihn beauftragt.

Allerdings soll die Regelung nicht in ganz Deutschland gelten, sondern nur »in angespannten Wohnungsmärkten« eingeführt werden. Welche Regionen dazu gehören, definieren die Bundesländer für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Nach Berechnungen des Justizministeriums liegen dem Bericht zufolge gut 4,2 Millionen der 21,1 Millionen deutschen Mietwohnungen in solchen »angespannten« Gebieten. Aber auch für diese sind Ausnahmen von der Mietenbremse vorgesehen. Nicht gelten soll sie bei der Erstvermietung neu gebauter Wohnungen sowie bei Wohnungen, die vor der Vermietung umfassend saniert wurden. Begründet wird dies damit, dass der Wohnungsbau und die Modernisierung bestehender Wohnungen attraktiv bleiben sollen. Auch Wohnungen, deren Preise bereits über dem Vergleichswert des Mietspiegels liegen, sollen weiterhin teuer vermietet werden können. In seinem Kommentar in der Taz kritisiert Gereon Asmuth deshalb, dass die »Mietexplosion« mit der geplanten Preisbremse nicht verhindert werden kann. »Der Turbo-Motor der Preisspirale bleibt unangetastet: Es ist die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete, die gemeinhin über Mietspiegel ermittelt wird.«

Wie immer, wenn die Verwertungsinteressen durch kleine Reformen auch nur minimal tangiert werden könnten, protestieren die Interessenvertreter der Eigentümer heftig gegen die geplanten Änderungen. So bescheinigte Manfred Binsfeld, Immobilienmarktexperte der Rating-Agentur Feri, den Koalitionären hektische Betriebsamkeit und Populismus. Der Hamburger Rechtsanwalt Thies Boelsen bezeichnete die Mietpreisbremse gar als »verfassungswidrig«.

Diese Polemik ist natürlich Taktik. Schließlich wollen die Interessenvertreter der Eigentümer die Gesetzesreform noch stärker in ihrem Sinn beeinflussen. Prompt erklärte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, der Entwurf sei unausgewogen. Die Immobilienwirtschaft werde ihrer Ansicht nach zu wenig berücksichtigt. Maas und seine Mitstreiter von der SPD dürften sich über die kalkulierbare Aufregung der Immobilienwirtschaft freuen. Schließlich kann angesichts der Kritik der Immobilienlobby der Eindruck erweckt werden, der Gesetzentwurf sei mieterfreundlich. Mancher Interessenvertreter sorgte hingegen ungewollt für Aufmerksamkeit, indem er seiner Klientel gutgemeinte Ratschläge gab, die die Vermieter nicht benötigen, weil sie bereits längst von ihnen befolgt werden. So riet Kai Warnecke, Geschäftsführer des Vermietervereins »Haus & Grund«, bei einem Treffen der Immobilienbesitzer in Stuttgart seinen Zuhörern: »Versuchen sie, die Miete schleichend in kleinen Schritten zu erhöhen.«

Mitglieder der Mieterbewegung in Berlin haben derzeit hingegen anderes zu tun, als über das geplante »Reförmchen« aus dem Hause Maas zu debattieren. »In den Ohren eines mit energetischer Modernisierung geschlagenen Mieters hört sich die neue Gesetzesvorlage wie blanker Hohn an«, sagt der Videojournalist Matthias Coers im Gespräch mit der Jungle World. »Nicht nur bei den Modernisierungsmaßnahmen am Weichselplatz kann man sehen, dass unter dem Deckmantel der Ökologie Hauseigentümer eingeladen werden, die Mieter zur Ader zu lassen. Die bestehenden Gesetze bürden den Mietern die gesamten Kosten der Modernisierung auf. Diese verlieren ihre Wohnung oder, wenn das Einkommen reicht, um die Wohnung zu behalten, steigt der Wohnkostenanteil oft massiv«, sagt Coers, der in einem Haus in Neukölln wohnt, das energetisch saniert werden soll.Gemeinsam mit Gertrud Schulte Westenberg hat er den Film »Mietrebellen« produziert, der im April in den Kinos zu sehen sein wird. Der Dokumentarfilm liefert einen guten Überblick über die Mieterproteste in Berlin der vergangenen zwei Jahre.

Die Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpft, wird dort ebenso porträtiert wie die Seniorengruppen »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«, die erfolgreich gegen Verdrängung kämpften. Am Schluss des Filmes bezeichnet ein Aktivist die Diskussion um die Mietpreisbremse als »Placebo« für die Mieterproteste. Coers sieht das ähnlich: »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.« Ob das gelingt, ist fraglich.

Am kommenden Wochenende soll beim Kongress »Berliner Ratschlag – Wem gehört die Stadt?« an der Technischen Universität in Berlin eine Bilanz nach zwei Jahren stadtpolitischer Kämpfe der Mieterbewegung gezogen werden. Darüber hinaus wollen die Teilnehmer auch darüber debattieren, wie sich aus dem Protest gegen steigende Mieten Widerstand gegen Mieterhöhungen und Räumungen formieren kann.In Berlin nehmen Räumungen von Mietern zu, die sich dagegen wehren, aus ihren Wohnungen geworfen zu werden und damit an die Öffentlichkeit gehen.

Am Donnerstag voriger Woche wurde in der Reichenbergerstraße in Kreuzberg eine Wohnung mit großem Polizeiaufgebot geräumt. Als knapp 100 Aktivisten und solidarische Nachbarn nach einer erfolglosen Blockade eine spontane Demonstration gegen »steigende Mieten, Zwangsumzüge und Verdrängung« begannen, nahm die Polizei acht Personen fest. Bei der monatlich stattfindenen »Lärmdemo« des Mieterbündnisses »Kotti & Co« kam es am Samstag zu einem hef­tigen Polizeieinsatz (siehe auch Seite 17). Für Anfang April stehen weitere Räumungen in Berlin an, die das Protestbündnis »Zwangsräumung verhindern« behindern möchte.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft »Wohnungslosenhilfe« geht bundesweit von 25 000 Räumungen im Jahr 2012 aus. Der Anteil der Mieter, die sich dagegen wehren, ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Mittlerweile existieren nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, Han­nover und Köln Bündnisse gegen Räumungen. In Köln wurde im Februar die Räumung eines Mieters, der nach 32 Jahren seine Wohnung verlieren sollte, verhindert. Für den 16. April wurde ein neuer Räumungstermin angekündigt, aber auch eine Blockade durch die Mieterbewegung. Die Mietpreisbremse von Heiko Maas wirkt dort keineswegs beruhigend.

http://jungle-world.com/artikel/2014/14/49607.html

Peter Nowak

Die KvU muss Pause machen

Kirche von Unten verabschiedet sich aus Mitte

»Ich unterbreche die Sitzung und rufe die Ältestenversammlung ein«, rief ein aufgeregter Abgeordneter der BVV-Mitte am Donnerstagabend. Zuvor hatten zehn Personen den Versammlungsraum des Rathauses

Rathauses Mitte betreten und  eine kurze Rede begonnen. Doch was der Sprecher zusagen hatte, ging im Lärm der unterbrochenen BVV-Sitzung unter. Einige Abgeordnete  riefen nach der Polizei und drohten mit Hausverbot. Dabei wollten sich die unerwarteten  Besucher nur verabschieden:  Es  waren Nutzer und Mitarbeiter des Jugendclubs Kirche von unten (KvU), der sich nach 27 Jahren unfreiwillig  aus dem Stadtteil verabschieden muss.

In der Storkower Straße 119 hat die KvU neue Räume gefunden.     In der Kremmener Straße, wo die KvU ihr Domizil hatte, plant die  Immowert Arkonahöfe Berlin GmbH den Bau von Loft und Eigentumswohnungen. Zudem soll das 1910 errichtete Gebäude um 2 Stockwerke erhöht werden. Für die  nichtkommerziellen KvU war dort kein Platz mehr. Ihr waren bereits zum 31. Dezember 2012 die Räume gekündigt worden. Dass sie noch mehr  als ein Jahr in Mitte bleiben konnte, lag vor allem an der Widerstandsbereitschaft der Betreiber und Nutzer. Die KvU arbeitete in der Initiative „Wir bleiben alle“ mit und organisierte Solidaritätskonzerte und Demonstrationen. Nebenher kümmerten sich die Aktivisten um Ersatzräume und wurden findig.

Natürlich seien sie froh, dass sie Ersatzräume gefunden haben. Allerdings sei der Jugendclub damit nicht langfristig gesichert, erklärten die KvU-Mitarbeiter gegenüber nd. „Zur Zeit können wir unser Programm nicht durchführen, weil wir in den nächsten Monaten die neuen Räume renovieren müssen“. Da  alle diese Arbeit in ihrer Freizeit unentgeltlich verrichten,  rechnet er mit einer Umbauphase von mehreren Monaten. Auch die finanzielle Situation sei wie gewohnt schlecht, betont er. Zudem hat der neue Mietvertrag lediglich eine Laufzeit von fünf Jahren. Danach könnte die Suche nach Räumen von vorn losgehen, befürchten die KvU-Leute. Eine bittere Pille sei  für sie der Abschied von Mitte gewesen, betonen sie. Schließlich ist der 1987 als Einrichtung der offenen Jugendarbeit im Zusammenhang mit dem evangelischen Kirchentag in Mitte entstanden und gehörte bald zu einer der zentralen Einrichtungen der DDR-Opposition. Im Frühjahr 1989 wurden den Räumen der KvU die Ergebnisse der alternativen Stimmauszählung während der Kommunalwahl zusammengetragen. Damals wurde die KvU auch von Menschen besuchten, die nach 1990 bald in den verschiedenen Parteien Karriere machten. Die KvU blieb  dagegen auch nach der Wende oppositionell und ließ sich nicht von politischen Parteien vereinnahmen.       Diesen Kurs haben auch jüngere KvU-Mitarbeiter. „Da behaupten Politiker der BV V-Mitte, sie hätten die KvU gerettet. Dabei haben wir uns selber um Räume gekümmert“.  Deswegen trug der kurze BVV-Besuch den Titel “Danke für nichts“.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/927788.die-kvu-muss-pause-machen.html

Peter Nowak

Wenn Bürger sich zu wehren beginnen …

Andrej Holm und Autoren berichten über soziale Kämpfe in einer neoliberalen Stadt – das Beispiel Berlin

Seit knapp zwei Jahren gibt es in der deutschen Hauptstadt eine Mieterbewegung, die über Berliner Blätter hinaus für Schlagzeilen sorgt. Die Analysen des Stadtsoziologen Andrej Holm haben vielleicht mit dazu beigetragen, dass sich Mieterprotest artikulierte. In seinem neuen Buch gibt der engagierte Wissenschaftler einen Überblick und zieht Bilanz.

Im ersten Teil werden die Bedingungen untersucht, die Mieter zu Protesten treibt. Dass das Schlagwort der Gentrifizierung den Sachverhalt oft nicht trifft, machen die Stadtplanerin Kerima Bouali und der Stadtsoziologe Sigmar Gude am Beispiel der Entwicklung des Stadtteils Neukölln deutlich. Es sei nicht wahr, dass dort Besserverdienende einkommensschwache Bewohner verdrängen. Vielmehr sei ein Kampf um Wohnungen unter Geringverdienern entbrannt. Die Autoren betonen, dass dieser politisch gewollt und vorangetrieben wurde und wird.

Mehrere Beiträge nehmen die Politik der vormaligen rot-roten Landesregierung kritisch unter die Lupe. Von einem »Masterplan der Neoliberalisierung« spricht Holm und verweist auf die massive Privatisierung landeseigener Wohnungen und die Liberalisierung des Baurechts. Bei seiner Analyse des Berliner Bankenskandals spart auch der Publizist Benedict Ugarte Charon nicht mit Kritik an der PDS bzw. der LINKEN.

Mit der Situation von Sexarbeiterinnen in Berlin-Schöneberg befasst sich die Stadtforscherin Jenny Künkel. Sie analysiert sehr gründlich die Debatte, die vor allem von Gewerbetreibenden gegen den »Straßenstrich an der Kurfürstenstraße« initiiert wurde. Am Ende ihres informativen Beitrags geht sie auf die Probleme der außerparlamentarischen Linken ein, sich mit den stigmatisierten Frauen zu solidarisieren Es ist erfreulich, dass auch solche Aspekte hier beleuchtet werden, die in der Debatte über Mieterproteste und das Recht der Bürger auf ihre Stadt kaum vorkommen.

Jutta Blume zeigt auf, wie sich Künstler mit prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen über Wasser halten – was Imagekampagnen für Berlin als »Hauptstadt der Kreativen« natürlich nicht thematisieren. Berichtet wird auch darüber, wie sich die instrumentalisierten Künstler zu wehren beginnen. Eine ernüchternde Bilanz der Kampagne »Mediaspree versenken«, die sich gegen die Baupläne am Berliner Spree-Ufer wandte, zieht Jan Dohnke. Der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke wiederum weiß, wie mit Bürgerbeteiligungskonzepten im Stadtteil Akzeptanz für ungeliebte Projekte gewonnen werden soll. Die von ihm offerierte Alternative einer transformatorischen Stadtteilorganisierung führt er leider nicht weiter aus.

Über Initiativen wie Konti & Co, die in Kreuzberg mit einer Protesthütte und Lärmdemonstrationen gegen Mieterhöhungen aktiv sind, wird im letzten Kapitel informiert. Das Buch dürfte nicht nur für Hauptstädter interessant sein.

Andrej Holm (Hg.): Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. Assoziation A. 368 S., geb., 18 €.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926424.wenn-buerger-sich-zu-wehren-beginnen.html

Peter Nowak

Umzug per Menschenkette

Das Kneipenkollektiv »BAIZ« nutzte seinen Ortswechsel zum Protest gegen die zunehmende Verdrängung

Das BAIZ hatte Glück und muss nur um-, nicht wegziehen.
Stühle und Plakate von Hand zu Hand: Um gegen die Verdrängung von Alteingesessenen zu protestieren, lud das BAIZ zum Umzug.

In diesen Tagen schließt in Mitte eine linke Kneipe mit Tradition. Das BAIZ wird es in der Christenstraße/Ecke Torstraße nicht mehr geben. Am Sonntag ließ sich das linke Kneipenkollektiv eine besondere Umzugsaktion einfallen. Mit einer Menschenkette vom bisherigen Domizil zum neuen Standort in der Wörther Straße ging nicht nur das Mobiliar von Hand zu Hand. Die Teilnehmer protestierten gleichzeitig dagegen, dass Mieter und Projekte mit wenig Geld aus der Gegend verschwinden müssen. Sie zeigten Plakate, auf denen die Namen von Projekten standen, die in den letzten Jahren verschwunden oder aktuell bedroht sind.

Fast wäre das BAIZ ebenfalls davon betroffen gewesen. Mehr als zehn Jahre gab es dort Getränke zu Preisen, die man in Mitte längst nicht mehr vermutete. Linke Gruppen organisierten politische Veranstaltungen und die Kinoabende waren bekannt für anspruchsvolle, sozialkritische Filme. Dass das Programm demnächst an dem neuen Standort fortgesetzt werden kann, war einem Zufall zu verdanken. Vor knapp einen Monat habe man von einer Bekannten erfahren, dass die Räume frei werden. »Das war Glück in letzter Minute«, berichtet BAIZ-Kneipenwirt Matthias. Mit dem Umzug ist die Kneipe langfristig gesichert. Das Kneipenkollektiv hat den neuen Laden gekauft.

Zunächst war Matthias noch skeptisch ob sich für die Menschenkette genügend Unterstützer finden würden. Doch in den letzten Wochen war der Zuspruch nicht nur von den Stammgästen gewachsen. Auch Bewohner aus der Nachbarschaft, die nicht zu den Kneipengästen gehörten, hatten sich an der Kette beteiligt, darunter Eltern mit Kinderwagen und Rentner. Schließlich ist gerade in Mitte die Angst groß, die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Davon sind die Besitzer kleiner Läden, Kneipen und Ateliers genauso betroffen wie Wohnungsmieter.

»Auch wenn wir jetzt noch mal Glück hatten, wollten wir unsere ›Popularität‹ für ein politisches Signal nutzten«, begründete Matthias die Aktion. Bei den meisten Mietern laufe die Verdrängung im Stillen ab. Das BAIZ hingegen ist sofort an die Öffentlichkeit gegangen, als im Herbst 2012 das Haus seinen Besitzer wechselte. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Bei Recherchen stießen die Mieter auf personelle Überschneidungen mit der im Zusammenhang mit Schrottimmobilien ins Gerede gekommenen Grüezi Real Estate AG. Zelos wirbt auf ihrer Homepage mit einer »ausgeprägten Kulturszene« in der Umgehung der Christinenstraße, um lukrative Käufer der Eigentumswohnungen anzulocken. Für das Haus selber wird allerdings eine kulturelle und gastronomische Weiternutzung kategorisch ausgeschlossen. Dabei gab es in den Räumlichkeiten schon in der DDR subkulturelle Kneipen mit den Namen Bummelant, Chapiteau oder Dom kultury Berlin.

Die neuen Eigentümer planen in den Räumen ein weiteres Büroprojekt. Damit ist eine Zielgruppe angesprochen, die in angesagte Szenebezirke zieht, aber auf keinen Fall einen Club oder ein Restaurant in der Nachbarschaft haben will. Aber nicht nur die Kneipe, auch die bisherigen Mieter sind in den Plänen der Zelos GmbH nicht vorgesehen. Auf ihrer Homepage wird das Haus als »Altbau aus der Jahrhundertwende« in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen »das hohe Niveau der Nachbarschaft« garantieren, mit dem Zelos vermögende potenzielle Käufer gewinnen will.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/925043.umzug-per-menschenkette.html

Peter Nowak

Umzug wird zur Demonstration

PROTEST Die linke Kneipe Baiz wechselt in einen anderen Bezirk. Per Menschenkette lässt sie ihre Stühle von Mitte nach Prenzlauer Berg wandern – und setzt damit ein Zeichen gegen Verdrängung

Gegen 16 Uhr hatten sie es geschafft: Die rund einen Kilometer lange Menschenkette von der Christinenstraße in Mitte bis zur Wörther Straße in Prenzlauer Berg war geschlossen. Mehrere hundert Personen ließen das Mobiliar des Baiz von Hand zu Hand gehen. Die linke Kneipe muss zum Monatsende ihr bisheriges Domizil räumen. Lange Zeit sah es aus, als müsste sie ganz schließen. Erst in letzter Minute hat das Baiz in der Wörther Straße neue Räume gefunden.

Mit der Menschenkette wurde der Umzug gleichzeitig ein Protest gegen Verdrängung. „Auch wenn wir noch mal Glück hatten, wollten wir unsere Bekanntheit für die Aktion nutzen“, erklärte Baiz-Wirt Matthias Bogisch gegenüber der taz.

Freiräume verschwunden

Zunächst war Bogisch noch skeptisch, ob sich genügend UnterstützerInnen für die Kette finden würden. Die Befürchtungen waren grundlos. In die Kette reihten sich junge Leute mit Musikinstrumenten ebenso ein wie Eltern mit Kinderwagen und RentnerInnen. Der Name von Lokalitäten und Freiräumen, die in den letzten Jahren schließen mussten, trugen die TeilnehmerInnen auf Plakaten am Rücken. „Bastard verschwunden“, „Volkssolidarität geschlossen“, aber auch „Metzer Straße erhalten“ war dort zu lesen.

„Bei den meisten MieterInnen läuft die Verdrängung im Stillen ab. Das wollten wir verändern“, betont Bogisch. Das Baiz war sofort an die Öffentlichkeit gegangen, als im Herbst 2012 das Haus seinen Besitzer wechselte. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Die neuen Eigentümer planen in den Räumen der Kneipe ein Büroprojekt. Auf ihrer Homepage wird das Haus als „Altbau aus der Jahrhundertwende“ in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen „das hohe Niveau der Nachbarschaft“ garantieren.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F24%2Fa0130&cHash=6863579fb98509ae0e1bd16e47001286

Peter Nowak

„Es geht um Elitenherrschaft“

MITBESTIMMEN Modelle der Bürgerbeteiligung können durchaus kritisch gesehen werden, sagt der Kultursoziologe Thomas Wagner, der gerade ein Buch dazu veröffentlichte

taz: Herr Wagner, Sie haben sich in mehreren Büchern kritisch mit den verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligungen auseinandergesetzt. Warum?

Thomas Wagner: Unter dem Stichwort Bürgerbeteiligung werden auch Gesellschaftsmodelle propagiert, die in Bezug auf die Partizipation großer Teile der Bevölkerung noch hinter die parlamentarische Demokratie zurückfallen.

Inwiefern?

Die Forderung nach der Direktwahl von PolitikerInnen erfreut sich etwa bei Wirtschaftslobbyisten wie Olaf Henkel großer Beliebtheit. Ihnen geht es dabei vor allem um eine plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft. Trotzdem wird diese Forderung auch von linken Parteien oft kritiklos unterstützt. Modelle der Bürgerbeteiligung werden so zum Herrschaftsinstrument. Einst kam der Ruf nach BürgerInnenbeteiligung aus dem alternativen Milieu. Mittlerweile versprechen sich maßgebliche Kreise aus Wirtschaft und Politik davon eine Imageförderung oder wollen damit der schwindenden Zustimmung von neoliberalen Reformprojekten entgegenwirken.

Können Sie Beispiele nennen?

Ein in Berlin viel diskutiertes Projekt war 2012 das BMW Guggenheim Lab. Hier wurde unter dem Stichwort „BürgerInnenbeteiligung“ Imagepflege für einen international agierenden Autokonzern getrieben. Es gibt auch viele weniger bekannte Beispiele. Bei Mediationsverfahren etwa stellen engagierte BürgerInnen Unternehmen ihre Expertisen zur Verfügung. Im Rahmen von BürgerInnenhaushalten sollen sie selbst entscheiden, an welcher Stelle gekürzt werden soll. Die Frage, ob und wie politischer Druck zur Verhinderung von Kürzungsprogrammen aufgebaut werden kann, wird dann gar nicht mehr gestellt.

Warum befürchten Sie, dass die Interessen einkommensschwacher Teile der Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungsmodelle noch mehr unter den Tisch fallen?

Verschiedene Studien weisen nach, dass sich an BürgerInnenbeteiligungsmodellen stärker als in den traditionellen Parteien Angehörige der Mittelschichten engagieren. Die Interessen der Marginalisierten sind dort noch weniger vertreten als bei traditionellen Partizipationsmodellen wie Parteien und Gewerkschaften.

Ist Bürgerbeteiligung also eine Klassenfrage?

Es ist auf jeden Fall ein Fakt, dass sich marginalisierte Menschen selbst dann weniger an Volksentscheiden beteiligen, wenn sie von den Forderungen direkt betroffen sind. So ist 2010 in Hamburg eine vom Senat geplante Schulreform, die mehr Chancengleichheit für SchülerInnen aus der einkommensschwachen Bevölkerung bringen sollte, daran gescheitert, dass sich genau diese Teile der Bevölkerung nicht an der Abstimmung beteiligt haben. Den Ausschlag gaben die Hamburger Mittelschichten, die sich massiv gegen die Reform engagierten.

Auch die Wahlbeteiligung ist bei Marginalisierten niedriger als bei Angehörigen der Mittelschichten. Insofern kann man daraus doch kein Argument gegen Volksentscheide machen.

Wenn InitiatorInnen von Volksbegehren mit der direkten Demokratie argumentieren, müssen sie sich schon Gedanken darüber machen, wie marginalisierte Teile der Bevölkerung einbezogen werden können. Sonst ist es zumindest keine Demokratie für alle.

Was hieße das für das Tempelhof-Volksbegehren?

Auch hier wäre wichtig, dass MieterInneninitiativen sowie Erwerbslosen- und Migrantengruppen in die Diskussion einbezogen werden.

Thomas Wagner Jahrgang 1967, ist Kultursoziologe und hat sich in mehreren Büchern kritisch mit Modellen von direkter Demokratie und BürgerInnenbeteiligung auseinandergesetzt, u. a. „Demokratie als Mogelpackung“ sowie „Die Mitmachfalle“, erschienen bei Papyrossa

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F11%2Fa0128&cHash=133ea2e8d6c1867f8a7a01627

INTERVIEW PETER NOWAK

Wenn der Hausfriedens bedroht ist

Seit 7 Jahren wohnt die fünfköpfige Familie A. in der Reichenberberstraße 73. Jetzt droht ihnen der Rauswurf.

Das Berliner Landgericht hat in erster Instanz eine Kündigung wegen Störung des Hausfriedens bestätigt.  Die Mieter sind in Berufung gegangen. Auslöser des Streites ist ein Konflikt zwischen der Familie A, die in der ersten Etage wohnt und den verschiedenen Kneipen im Erdgeschoss.   Bereits 2010 kürzten die A. die Miete, weil der Musikkneipe den Wohnwert erheblich minderte. Doch  vor Gericht wurde die Familie zur Nachzahlung der einbehaltenen Miete verurteilt. Auch die Protestkosten musste die Familie, die auf Hartz IV-Leistungen angewiesen zahlen. Nachdem Wechsel des Kneipenbesitzers hofften die A. auf ein Ende des Lärms. Als auch in der nun dort eingerichteten Pizzeria der Lärmpegel stieg, redete Herr A. mit der Betreiberin der Lokalität. Die fühlte sich durch den Mieter erpresst und erstattete Anzeige. Herr A. habe gefordert, dass ab 22 Uhr Ruhe sein soll, oder sie soll einen Teil der Miete zahlen. Der Mieter bestreitet die Drohung. Doch das Gericht glaubte der Kneipenbesitzerin, sah den Hausfrieden gestört und gab der Kündigung statt.
Für viele Nachbarn ist das Urteil nicht nachvollziehbar. Schließlich könne damit jeder Konflikt zwischen Mietparteien zur Störung des Hausfriedens und zum Kündigungsgrund werden. Zumal die Besitzerin der Pizzeria eine  Bekannte des Hauseigentümers Ernst Brenning  ist.  Mit ihm hatten in den letzten Jahren auch  andere Mieter  in den Haus Konflikte. Die Familie Brenning besitzt zahlreiche Grundstücke in Berlin und Potsdam. So berichteten die  Potsdamer Neuesten  2005, dass die Brennings zwei lukrative Grundstücke  in der Potsdamer Innenstadt ersteigerten.    Der Rechtsanwalt  Ernst Brenning ist CDU-Politiker und  stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender der Schulstiftung Evangelischer Schulen Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.  In der Kollwitzstraße 43 musste Ernst Benning eine juristische   Niederlage hinnehmen. Dort hob das Oberverwaltungsgericht die Genehmigung für einen  Anbau nachträglich  auf, weil er  zu dicht an den Nachbargrundstücken gestanden hat.  Der Neubau musste nach einem jahrelangen Rechtsstreit abgerissen werden.
Auch in der Reichenbergerstraße 73 soll Brenning eine Niederlage erleiden, erklärte das Bündnis gegen  Zwangsräumungen, das am vergangenen Samstag eine Kundgebung vor dem Haus organisierte,  an der mehr als 100 Menschen teilnahmen. Viele Nachbarn waren gekommen und informierten über  Entmietungsstrategien in ihren Häusern.  Dort berichteten  auch Mieter der Reichenbergerstraße 72a,  dass dort immer mehr Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewidmet werden. Viele Mieter seien ausgezogen. Eine 65jährige Mieterin aber gestern einen juristischen Erfolg gegen ihre Kündigung erzielt.
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/reichenberger-73-brenning.html

aus: MieterEcho online

Peter Nowak

Kein Durchkommen

Nach erstem Urteil demonstrieren über 100 Nachbarn gegen Zwangsräumung

Noch läuft die Berufung, aber schon jetzt protestieren Nachbarn in der Reichenberger Straße gegen die Zwangsräumung einer fünfköpfigen Familie.

Kämpferische Stimmung herrschte am Samstagnachmittag auf einer Protestkundgebung in Kreuzberg. Mehr als 120 Menschen hatten sich an der Reichenbergerstraße 73 versammelt, darunter viele Nachbarn. Sie reagierten mit Empörung auf die Kündigung, mit der eine fünfköpfige Familie ihre Wohnung in dem Haus verlieren soll. Grund war ein zivilrechtlicher Streit zwischen den Mietern und den Betreibern der Pizzeria im Erdgeschoss. Weil dadurch der Hausfrieden gestört worden sei, wurde die Kündigung ausgesprochen. In der ersten Instanz hat das Landgericht der Kündigung stattgegeben. Die Mieter haben Berufung eingelegt.

Doch das Bündnis »Zwangsräumungen gemeinsam verhindern« will sich nicht auf den Rechtsweg verlassen. »Vor einen Jahr konnte die Polizei ganz in der Nähe nur unter großen Widerstand die Zwangsräumung gegen Familie Gülbol durchsetzen«, erklärte ein Aktivist. Ihre Kündigung war vom Gericht durch alle Instanzen bestätigt. »Menschen mit geringem Einkommen sollen aus dem Stadtteil verdrängt werden«, meinte ein älterer Mann. Die Reichenbergerstraße 73 ist für ihn genau so ein Beispiel: »In dem Haus haben sich die Mieter in der letzten Zeit gegen falsche Betriebskostenabrechnungen, Mieterhöhungen und Kündigungen wehren müssen«. Die Probleme hätten angefangen, als die Familie Brenning das Haus erwarb. Sie besitzt mehrere Immobilien, nicht nur in Berlin. Der Rechtsanwalt Ernst Brenning ist CDU-Politiker und stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender der Schulstiftung Evangelischer Schulen Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Auch eine Immobilie in der Kollwitzstraße 43 gehört ihm. Dort musste Brenning jedoch eine Niederlage hinnehmen: Das Oberverwaltungsgericht hob die Genehmigung für einen Anbau nachträglich auf, weil er zu dicht an den Nachbargrundstücken gestanden hat. Der Neubau musste nach einem jahrelangen Rechtsstreit abgerissen werden.

Auch in Kreuzberg wollen die Mieterinitiativen die Pläne Brennings stoppen. Auf der Kundgebung wurde deutlich, wie viele Menschen in der Gegend Angst vor Verdrängung haben. In zahlreichen Häusern in der Nachbarschaft gibt es Konflikte mit den Eigentümern. So berichteten Bewohner der Reichenbergerstraße 72a, dass in ihrem Gebäude die Zahl der Eigentumswohnungen zunimmt. Viele Mieter seien schon ausgezogen. Eine 65-Jährige aber, die dort seit Jahren wohnt, weigerte sich und hat gerade vor Gericht Recht bekommen. Sie habe vor allem Glück gehabt, erzählt sie, weil die Kündigung so offensichtlich fehlerhaft war.

Die Organisatoren freuten sich über die rege Beteiligung an der Kundgebung. »Wenn wir schon nach dem ersten Räumungsurteil so viele Menschen mobilisieren konnten, ist das ein gutes Zeichen.« Sollte ein Räumungstermin festgesetzt werden, sei für den Gerichtsvollzieher hier kein Durchkommen, rief eine Mieterin unter großen Applaus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/923509.kein-durchkommen.html

Peter Nowak

Trommeln gegen Räumung

MIETEN Nach der Kündigung einer fünfköpfigen Familie in Kreuzberg versammeln sich Anwohner und Aktivisten zu einer Kundgebung

Ein Hauch von Vorfrühling wehte am Samstagnachmittag durch die Reichenberger Straße in Kreuzberg. Es wurde getrommelt und jongliert, bei milden Temperaturen saßen viele TeilnehmerInnen auf Bänken und hörten RednerInnen zu: AnwohnerInnen und AktivistInnen des Bündnisses „Zwangsräumung gemeinsam verhindern“ hatten sich zu einer Kundgebung versammelt. Sie hatten mobilisiert, nachdem das Landgericht der Kündigung einer fünfköpfigen Familie in der Reichenberger Straße 73 stattgab (die taz berichtete). Der Grund ist ein zivilrechtlicher Streit mit der Betreiberin einer Pizzeria im Erdgeschoss. Dadurch werde der Hausfrieden gestört, so das Gericht. Die MieterInnen gingen in Berufung.

Doch die Kündigung hat die AnwohnerInnen alarmiert, wie sich auf der Kundgebung zeigte. Ein Redebeitrag ging auf den Eigentümer des Hauses ein, mit dem die gekündigte Familie seit Jahren Konflikte hatte. Der Anwalt und CDU-Politiker besitze mehrere Immobilien in Berlin und Potsdam, so der Redner. Auch BewohnerInnen umliegender Häuser meldeten sich mit Kurzbeiträgen zu Wort. So berichteten NachbarInnen, dass in ihrem Haus die Umwandlung in Eigentumswohnungen voll im Gange sei, viele MieterInnen seien bereits ausgezogen. Eine 65-jährige Bewohnerin habe sich geweigert und kürzlich vor Gericht recht bekommen: Die Kündigung sei fehlerhaft gewesen.

Eine Aktivistin des Bündnisses „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“ zeigte sich erfreut über die rege Beteiligung an der Kundgebung. „Wenn wir schon nach dem ersten Räumungsurteil so viele Menschen mobilisieren können, ist das ein gutes Zeichen. Sollte ein Räumungstermin festgesetzt werden, ist für den Gerichtsvollzieher hier kein Durchkommen“.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F10%2Fa0112&cHash=961ad98de2800c268609142845d31ea8

Peter Nowak

Mietwohnungen oder Grünfläche am Tempelhofer Flughafen?

Es gibt einen Volksentscheid, meist beteiligt sich daran nur der Mittelstand

„Jetzt auf zum Volksentscheid“, lautet die Parole des Bündnisses 100% Tempelhof, das sich dagegen ausspricht, dass das Areal des ehemaligen Flughafen-Areals mitten in der Berliner Innenstadt nicht bebaut wird. Jetzt ist es amtlich: In Berlin werden in den nächsten Monaten genau darüber die Wahlberechtigten entscheiden können.

Ob es der Tag der Europawahl sein wird, wie die Volksbegehren-Befürworter vorschlagen, ist noch nicht sicher. Es wäre auf jeden Fall eine demokratische und kostengünstige Entscheidung. Schließlich sind an diesem Tag die Wahllokale schon geöffnet und das Interesse an dem Volksentscheid ist dann auch größer. Beim letzten Volksentscheid des Berliner Energietisches verhinderte vor allem die CDU, dass der Termin auf den Tag der Bundestagswahl gelegt wurde. Das Anliegen einer Rekommunalisierung der Berliner Energienetze verfehlte das vorgeschriebene Quorum. So kann man Demokratie auch behindern, monierten die Initiatoren des Volksbegehrens. Der Diplompolitologe Birger Scholz hat in einer Auswertung des Volksbegehrens allerdings auch einige Schwachpunkte angesprochen, die nicht dem Senat angelastet werden können.

Die Marginalisierten ignorieren Volksbegehren oft

So konnte Scholz gut aufzeigen, dass sich an dem Volksbegehren hauptsächlich Angehörige des Mittelstands beteiligten, während es von den einkommensschwachen Teilen der Berliner Bevölkerung weitgehend ignoriert wurde. „Im westlichen Spandau und im östlichen Marzahn-Hellersdorf, beides Bezirke mit Hochhaussiedlungen und sozialen Brennpunkten, erhielt das Volksbegehren die geringsten Zustimmungswerte. Das erfolgreiche Wasservolksbegehren hingegen warb mit sinkenden Wassergebühren und konnte in beiden Bezirken das nötige Quorum erreichen“, schreibt Scholz.

Er sieht die Gründe für die Ignoranz in die Programmatik: „Zwar wurde versprochen, dass das neue Stadtwerk die ‚Energiewende sozial gestalten‘ werde, doch bei Lichte betrachtet war das Versprechen vage. Stromsperren sollten vermieden und die Anschaffung energieeffizienter Haushaltsgeräte gefördert werden. Keine Rolle spielte die Frage, ob der ökologische Strom der neuen Stadtwerke günstiger sein würde als der Kohle- und Atomstrom von Vattenfall (was in einem liberalisierten Strommarkt kaum realisierbar ist).“

Allerdings berücksichtigt Scholz zu wenig, dass mehrere Gruppen unter dem Stichwort Energiearmut sehr wohl die soziale Komponente in das Blickfeld genommen haben. Ob das allerdings auch bei den Betroffenen angekomt, ist natürlich die Frage. Wobei auch Volksbegehren, die eindeutig Menschen mit niedrigen Einkommen tangieren, von diesen oft ignoriert wurden, zeigte sich 2010 in Hamburg. Damals ist eine vom Senat geplante Schulreform, die mehr Chancen für einkommensschwache Bevölkerungsteile bringen sollte, daran gescheitert, dass sich genau diese Teile der Bevölkerung an der Abstimmung nicht beteiligt haben. Den Ausschlag gab die Hamburger Mittelschicht, die sich massiv gegen die Reform engagierte.

Der Kultursoziologe Thomas Wagner hat sich in mehreren Büchern kritisch mit Bürgerbeteiligungsmodellen befasst und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass sie vor allem von Angehörigen des Mittelstandes genutzt werden und die Interessen einkommensschwacher und marginalisierter Bevölkerungsteile dort oft noch weniger zur Geltung kommen als bei traditionellen Partizipationsmodellen in Parteien und Gewerkschaften.

Wie ernst ist es dem Senat mit den Sozialwohnungen?

Diese Frage wird bei dem Volksbegehren zum Tempelhofer Feld eine besondere Rolle spielen. Der Berliner Senat wirbt nun für seine Bebauungspläne damit, dass dort angeblich Sozialwohnungen errichtet werden solle.

Dann könnte sich die Alternative zwischen einer innenstadtnahen Erholungsfläche für die gestressten Kreativbeschäftigten oder einem bezahlbaren Wohnraum abzeichnen. Nur gab es in der Vergangenheit genügend Beispiele, in dem bezahlbare Wohnungen herangezogen wurden, um Projekte von sozialen Initiativen auszubremsen. Zudem muss natürlich die Frage gestellt werden, wie viele einkommensschwache Mieter ihre Wohnungen in der Nähe des Tempelhofer Flughafens bereits verlassen mussten, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnten. Schließlich war mit dem Ende des Flughafens in den Stadtteilen Neukölln und Tempelhof eine Aufwertung verbunden.

„Jahrelang konnte ich kein Fenster öffnen, weil der Lärm des Flughafens zu laut war. Jetzt konnte ich endlich auf meinen Balkon sitzen, doch jetzt muss ich die Wohnung verlassen, weil ich mir nach dem Ende des Flughafens die Miete nicht mehr leisten können“, berichtete eine Mieterin, die direkt am Flughafengelände im Neuköllner Schillerkiez wohnte. Wenn die Initiatoren des Volksbegehrens allerdings ihren Anspruch ernst nehmen, eine Demokratie für Alle zu wollen, müssten sie mit den gerade in Neukölln aktiven Erwerbslosen-, Mieter- und Migrantenorganisationen von Anfang an zusammenarbeiten.

Vor einigen Monaten war bei einer Diskussionsveranstaltung der Berliner Mietergemeinschaft über die Zukunft des Tempelhofer Feldes trotz Einladung und Zusage kein Vertreter der Initiative erschienen, um sich den kritischen Fragen zu stellen. Am kommenden Freitag gibt es in Berlin eine neue Möglichkeit zur gemeinsamen Diskussion. Dann wird Thomas Wagner gemeinsam mit Aktivisten der Neuköllner Stadtinitiativen über das Thema „Von der Mitmachfalle zur Verdrängung „ diskutieren.

Keine Tempelhofer Freiheit

Die Diskussionen der nächsten Wochen sind schließlich mehr noch als die Abstimmung ein Zeichen, dass man den Anspruch Ernst nimmt, über die Gestaltung der innenstadtnahen Flächen mit allen Bewohnern Berlins zu beratschlagen. Weil an solchen Diskussionsveranstaltungen auch Menschen ohne deutschen Pass partizipieren können, die am Volksentscheid nicht teilnehmen können, macht Deutlich, wie wichtig die Diskussion ist. Ob sich dann eine Mehrheit für eine Grünfläche oder für eine Bebauung entscheidet, ist dann eher sekundär, wenn es eine lebhafte Debatte gegeben hat.

Dass bisher alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien dem Anliegen der Volksbegehreninitiatoren nicht zustimmen, muss keine Vorentscheidung über den Ausgang sein. Schon das Wasservolksbegehren wurde gegen alle diese Parteien im damaligen Abgeordnetenhaus gewonnen. Die Diskussion der nächsten Wochen wird auch zeigen, wie geschichtsbewusst die Menschen in Berlin sind. Dann müssten sie auf die lange offiziell benutzte Phrase von der Tempelhofer Freiheit verzichten. Sie ist eine Verhöhnung der vielen Menschen, die just auf dem Areal während des NS leiden mussten. Schon 1933 wurde dort mit dem Columbiahaus ein wildes KZ errichtet, in dem Nazigegner misshandelt wurden. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden auf dem Gelände Zwangsarbeiterlager errichtet, in denen Menschen aus ganz Europa eingepfercht waren, die für die deutsche Luftrüstung schuften mussten.

Im Berliner Bewusstsein hatte sich aber mit dem Flughafen Tempelhof eher das Bild vom Rosinenbomber verbunden, der während der Berlinblockade am Beginn des Kalten Krieges die Westberliner Bevölkerung aus der Luft versorgte. Es waren nur kleine Initiativen, die die NS-Geschichte des Tempelhofer Geländes wachhielten.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155759

Peter Nowak

Links

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Obdachlos mitten in deutschen Städten

Links

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http://www.berlin-eisfabrik.de/

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http://www.taz.de/!124442/

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http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20131223.1345.392959.html

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http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

[5]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/polizeieinsatz-im-rathaus-mitte-eisfabrik–protest-gegen-raeumung,10809148,25674782.html

[6]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/kommentar-zur-eisfabrik-in-der-koepenicker-strasse-elendsquartiere-in-berlin,

[7]

http://asylstrikeberlin.wordpress.com/

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/armutszuwanderung-ferber-csu-beim-asylrecht-gibt-es-keinen.694.de.html?dram:article_id=273067

[9]

http://www.lsg.nrw.de/behoerde/presse/Aktuelle_Pressemitteilungen_des_LSG/Hartz-IV_Anspruch_auch_fuer_EU-Buerger_aus_Rumaenien/index.php

[10]

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/vor-achtzig-jahren-wurden-die-juden-des-scheunenviertels-opfer-eines-pogroms-es-begann-am-arbeitsamt,10810590,10127312.html

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http://europeandayofactionforhousingrights.wordpress.com/

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http://wirbleibenalle.org/?p=930

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https://www.verdi.de/

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http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf

Archiv des Mieterwiderstandes

Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« geht zu Ende

Die Berliner Mietergemeinschaft dokumentiert den Widerstand gegen Mietwucher und Zwangsräumung in Europa. Am heutigen Donnerstag geht es um Istanbul.

Die Mieterbewegung machte in den letzten Monaten mit Demonstrationen und Protesten gegen Zwangsräumungen Schlagzeilen. Neben diesen öffentlichkeitswirksamen Aktionen bot die Berliner Mietergemeinschaft in ihrer Neuköllner Beratungsstelle unter dem Titel »Wohnen in der Krise« jeden Monat ein Informations- und Bildungsprogramm an.

»Wir wollen mit diesen Veranstaltungen ein umfangreiches Wissen über die Auswirkungen des Neoliberalismus auf das Wohnen in unseren Nachbarländern zusammentragen, am Aufbau einer europäischen Wohnungspolitik von unten mitwirken sowie Verbindungen für weitere Kooperationen aufbauen«, erklärt Matthias Coers, der an der Vorbereitung von »Wohnen in der Krise« beteiligt war. Dazu wurden in den letzten Monaten Mieteraktivisten aus Großbritannien, Polen, Frankreich, Spanien, Russland, Griechenland, Holland und den USA eingeladen. Für jeden Vortrag wählte die Gruppe Videos aus, die die Situation der Mieter sowie ihren Widerstand in dem jeweiligen Land dokumentierten.

Alle Vorträge wurden aufgenommen und ins Netz gestellt. Auch teilweise seltene Videos über den Mieterwiderstand in den einzelnen Ländern kann man dort runterladen. Auf dem Youtube-Kanal www.youtube.com/user/WohneninderKrise ist so mittlerweile ein kleines Archiv des internationalen Mieterwiderstands entstanden, auf das vor allem rund um den 19. Oktober 2013 viele Aktivisten zurückgegriffen haben. An diesem Tag fanden in mehreren europäischen Ländern Proteste unter dem Motto »Wohnungen für Menschen, nicht für Profite« statt. In Berlin wurde von wohnungslosen Menschen aus Osteuropa für einige Stunden ein Haus besetzt.

Auch für die Zukunft haben die Aktivisten große Pläne. Eine europäische Webseite des Mieterwiderstands soll online gehen, die von den Initiativen der jeweiligen Länder betreut und aktualisiert wird. In der Gruppe wird auch überlegt, wie die Veranstaltungsreihe im nächsten Jahr fortgesetzt werden kann. Schließlich war sie gut besucht, bei einigen Vorträgen war der Raum sogar überfüllt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/917845.archiv-des-mieterwiderstandes.html

Peter Nowak

Mieterprotest mit Sambarhythmen

Wohninitiative übergibt »Wunschzettel« an neue Geschäftsführerin des Liegenschaftsfonds

Am Nikolaustag stattete das Bündnis »Recht auf Wohnen« Birgit Möhring, der neuen Geschäftsführerin, des Liegenschaftsfonds einen besonderen Besuch ab.

Eine Bescherung der besonderen Art bereiteten am Nikolaustag Aktivisten des Berliner Bündnisses »Recht auf Wohnen« der neuen Geschäftsführerin des Berliner Liegenschaftsfonds Birgit Möhring. Knapp 35 Personen und eine Sambaband beteiligten sich am Freitagvormittag an einer Aktion in der Zentrale der Behörde, die für die Grundstücke verantwortlich ist, die sich im Besitz des Landes Berlin befinden.

Auf einem Wunschzettel, der an Birgit Möhring gerichtet war, wird eine Änderung der Politik des Liegenschaftsfonds angemahnt. Eigentlich sollte der Liegenschaftsfonds nach einem Senatsbeschluss bereits seit 2010 neu ausgerichtet werden und soziale und ökologische Ziele verfolgen Der Wunschzettel am Nikolaustag war ein Forderungskatalog derjenigen, die von der aktuellen Linie der Liegenschaftspolitik betroffen sind. Dazu gehören die Wagenplätze Rummelplatz und Schwarzer Kanal, der Jugendtreff »Kirche von Unten« und die Initiative »Studis gegen hohe Mieten«. Auch einige wohnungslose Familien aus Rumänien, die vor einigen Wochen ein Haus besetzt hatten, beteiligten sich.

»Ich schaue mir den Wunschzettel an, dann können wir gemeinsam darüber reden, was möglich ist. Hinterlassen sie Ihre Nummer, dann können wir einen Termin ausmachen«, erklärte Birgit Möhring. Die Aktivisten wollen dieses Angebot in den nächsten Tagen wahrnehmen.

Jan Stein von der Initiative »Recht auf Stadt« lobte gegenüber »nd« die »freundliche Gesprächsatmosphäre«. »Wir freuen uns auf ein gemeinsames Gespräch zwischen Initiativen und Liegenschaftsfonds und hoffen auf eine produktive Arbeitsatmosphäre, in der gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird«, betonte er.

Allerdings werde man auch in den nächsten Tagen an verschiedenen Stellen in Berlin auf hohe Mieten, drohende Vertreibung nichtkommerzieller Projekte aus der Innenstadt und Wohnungsnot aufmerksam machen. Dazu wollen die Aktivisten die Vorweihnachtszeit nutzen. Das »Recht-auf-Stadt-Bündnis« hat einen Aktionskalender erstellt und im Internet und auf Plakaten angekündigt, »jeden Tag ein Türchen zu öffnen«.

Die Aktion im Büro des Liegenschaftsfonds war der Auftakt der Adventskampagne. Am Dienstag soll ein neues Türchen geöffnet werden. Der Ort wird wie bei allen Aktionen dieser Kampagne nicht vorher bekannt gegeben. Mit dem Mittel des zivilen Ungehorsams und des Angebots, sich an Lösungsvorschlägen konstruktiv zu beteiligen, sucht das Protestbündnis einen Ausweg aus dem Wohndilemma in der Stadt.

Oft gab es in der Vergangenheit Demonstrationen vor Büros von Behörden und Eigentümern nach Feierabend, wenn bloß noch der Wachschutz im Haus war. Daher kommen die Aktivisten jetzt unangemeldet zu den Bürozeiten. Gleich die erste Aktion wird als Erfolg gewertet und motiviert zum Nachlegen, so Jan Stein.

Über die weiteren Aktionen des Adventskalenders der Recht-auf-Stadt-Bewegung gibt es Informationen unter: wirbleibenalle.org

http://www.neues-deutschland.de/artikel/917394.mieterprotest-mit-sambarhythmen.html

Peter Nowak


Wohngemeinschaft ist keine Pension

Mit der Zurückweisung der Kündigung ist die Auseinandersetzung um Wohngemeinschaft in Weissensee nicht beendet

„B 59 bleibt“. Diese Parole kann man in Weissensee in den letzten Monaten häufiger lesen. Dabei handelt es sich um eine aus fünf Personen bestehende  Wohngemeinschaft in der Berliner Allee 59. Sie besteht seit November 2009, und die Mieter wollen auch weiter dort wohnen. Doch die Eigentümer des Hauses, Manfred und René Ulrich, haben mit dem Haus andere Pläne und sind seit Langem im Konflikt mit den Mietern.  Ihnen wurde mit der Begründung gekündigt, es gäbe eine unerlaubte Untervermietung. Mit Unterstützung der Berliner Mietergemeinschaft legten die Mieter Widerspruch gegen die Kündigung ein. Am 20. November fand vor dem Amtsgericht Weissensee die mündliche Verhandlung statt.
Dort führte der Anwalt der Eigentümer Hartwig Tholl aus, dass es sich nicht um eine Wohngemeinschaft sondern um eine Pension handele. Zur Begründung führte er in der Anklageschrift an,  dass in sich in der Wohnung häufiger fremde Personen mit großen Taschen und Rücksäcken aufhielten. Dabei handelt es sich  um Freunde und Bekannte der Wohngemeinschaft, die dort zu Besuch sind.  Das Amtsgericht Weissensee folgte der Lesart der Eigentümer und ihres Anwalts  nicht und wies die Kündigung zurück. Diese Entscheidung, die am 2. Dezember bekannt wurde,  hatte sich bereits in der mündlichen Verhandlung abgezeichnet.  Eine Wohngemeinschaft sei eine Wohngemeinschaft und keine Pension,  erklärte die Richterin sinngemäß und wies gegenüber Hartwig Troll auf verschiedene Urteile höherer Instanzen hin, die die Rechte der Mieter von Wohngemeinschaften stärken. Im Gespräch mit MieterEcho Online zeigte sich ein Mieter der Wohngemeinschaft erfreut über das Urteil. Allerdings dürfte damit die Auseinandersetzung mit den Vermietern nicht beendet sein.  So ist noch nicht klar, ob die Eigentümer Widerspruch gegen das Urteil einlegen werden.      Unwahrscheinlich wäre es nicht. Schließlich hatte der Vermieter bereits während der Verhandlung  die nächste Kündigung an. Dieses Mal soll eine von Solidaritätsaktion mit der Wohngemeinschaft als Grund dienen. Unbekannte hatten Ausstellungspuppen eines Bekleidungsladens T-Shirts mit der Parole „B59 bleibt“ übergezogen. Einen Zusammenhang mit den Mietern der Wohngemeinschaft gibt es nicht.  Schließlich hatte sich zu ihrer Unterstützung ein Solidaritätsbündnis gebildet, das die Kündigung der Wohngemeinschaft in einen politischen Kontext stellte und mit der Parole „B59 bleibt“ dagegen mobilisierte.   „In diesem Fall wird wieder einmal deutlich, dass der Vermieter offensiv Gründe sucht,  um die Bestandmieter zu räumen und bei Neuvermietung den Profit zu steigern“, erklärte Aktivist des Solidaritätsbündnisses, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will,  gegenüber dem MieterEcho.

MieterEcho online 03.12.2013

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/wohngemeinschaften.html

Peter Nowak

Die neue Mieterfreundlichkeit

Bei den Koalitionsverhandlungen haben sich Union und SPD darauf geeinigt, dass Mietsteigerungen in Ballungsräumen begrenzt werden sollen.

»Gute Aussichten für Mieter«, so kommentierte Uwe Rada in der Taz die Verabredungen, die SPD und Union bei den Koalitionsverhandlungen für die Wohnungspolitik getroffen haben. Die von ihnen anvisierte Mietpreisbremse bei Neuvermietungen erhielt in den Medien Lob. Besonders begeistert äußerte sich der Berliner Senator für Stadtentwicklung, Michael Müller (SPD), über die Koalitionspläne. »Sobald die Mietpreisbremse kommt, werden wir sie in Berlin umsetzen«, verkündete er. Die Presse verbreitete diese Äußerung, als sei sie keine Selbstverständlichkeit. In vielen Medien wurde kolportiert, Müller selbst habe seinen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel dazu ­gedrängt, dass die SPD bei den Koalitionsverhandlungen auf der Mietpreisbremse beharre.

Das Kalkül geht auf, die Große Koalition wird, bereits bevor sie im Amt ist, als mieterfreundlich wahrgenommen. Kaum jemand erinnert daran, dass weiterhin die Mietgesetze in Kraft bleiben, die noch von der schwarz-gelben Koalition verabschiedet wurden. Mit ihnen wurden die Rechte der Mieter eingeschränkt (Jungle World 19/2013). Im Falle einer energetischen Modernisierung ist nun zum Beispiel keine Mietminderung mehr möglich. Wie sich solche Verschärfungen auf die Mieter auswirken, zeigen einige Urteile, die in den vergangenen Monaten in Berlin gefällt wurden. So wurde die Kündigung von Mietverhältnissen in Fällen juristisch abgesegnet, in denen die Bewohner ihre Mietzahlungen wegen nicht behobener Mängel gemindert hatten. Eine Praxis, die lange Zeit juristisch gebilligt wurde, kann mittlerweile Mietern die Wohnung kosten.

Die Rechtsprechung ist überaus umstritten. Kritisiert wird etwa, dass die Richterin der für Mietsachen zuständigen Kammer des Berliner Landgerichts, Regine Paschke, Kolumnen in Das Grund­eigentum der Zeitung der Immobilienwirtschaft schreibt und Seminare anbietet, bei denen sie Vermieterorganisationen über rechtliche Entwicklungen informiert, die sie als Richterin mitbestimmt.

Die Kritik an Paschke und den Urteilen der 63. Kammer des Berliner Landgerichts wurde so heftig, dass der Präsident des Landgerichts Mitte Oktober die Presse zu einem Hintergrundgespräch einlud. Es ging darum, auf die Unabhängigkeit der Gerichte hinzuweisen und um Vertrauen in die Justiz zu werben. Derweil fällt die Kammer weiter vermieterfreundliche Urteile. Am 25. Oktober wurde in Berlin erneut eine Wohnung zwangsgeräumt und damit ein »Paschke-Urteil polizeilich durchgesetzt«, wie es in einem Bericht auf Mieterecho Online heißt.

Ähnlich wie die Justiz bemüht sich derzeit auch die Politik, in Sachen Mietenpolitik Vertrauen zurückzugewinnen. Ob die Mietpreisbremse diese Aufgabe erfüllen kann, ist fraglich. Selbst Rada, der sie als gute Nachricht für Mieter wertete, wies auf Probleme hin: »Wer als Eigentümer mit dem einen Geschäftsmodell weniger Rendite macht, sucht sich ein neues. Gut möglich, dass auf den wegfallenden Neuvermietungszuschlag eine neue Umwandlungswelle folgt.« Auf Mieter­echo-Online wird auch die vom Berliner Senat geplante Wohnraumförderung kritisch betrachtet. Ausgerechnet einkommensschwache Menschen, die einer Unterstützung besonders bedürften, seien ausgeschlossen. »Diese Wohnungssuchenden dürfen in den Genuss einer geförderten Neubauwohnung von maximal 40 Quadsratmetern mit einer Nettokaltmiete von sechs Euro pro Quadratmeter Wohnfläche kommen. Mit dieser Miethöhe ist klar­gestellt, dass Empfänger von Arbeitslosengeld II solchen neu geförderten Wohnraum nicht beziehen können, weil dieser Bevölkerungsschicht als Einpersonenhaushalt nur eine Nettokaltmiete von 4,91 Euro pro Quadratmeter zugestanden wird.«

Obwohl sich durch eine Mietrechtsänderung seitens einer Großen Koalition wenig für die Mieter ändern dürfte, soll signalisiert werden, dass der Staat etwas für sie tue. Der harte Kern der Mieterbewegung wird damit wohl nicht erreicht. Doch dieser ist ohnehin überschaubar. Auch dem im Oktober in mehr als 20 Städten gegründeten Bündnis »Studis gegen hohe Mieten« sei es nicht gelungen, einen relevanten Teil der Kommilitonen für den Mietenkampf zu gewinnen, stellte die Sprecherin des Berliner Bündnisses, Hannah Eberle, enttäuscht fest. Dabei wurde bei Aktionstagen, die Anfang November stattfanden, das Problem überzeugend herausgearbeitet. Studierende erhalten einerseits eine Funktion als Pioniere der Aufwertung, andererseits können sich einkommensschwache Kommilitonen in bestimmten Stadtteilen oder in Universitätsstädten wie Heidelberg die Mieten nicht mehr leisten. Dennoch versuchen viele Betroffene, eher in günstige Nachbarorte auszuweichen, oder suchen sich Nebenjobs, als sich in Mieterinitiativen zu engagieren.

Viele Initiativen in Berlin, die sich wegen konkreter Entmietungsfälle gegründet haben, sind mit juristischen Auseinandersetzungen und dem Kleinkrieg mit Eigentümern, Verwaltern und Baufirmen so ausgelastet, dass für die Ausweitung von Bündnissen und Strategiedebatten kaum Zeit bleibt. In Berlin haben sich in den vergangenen Monaten langjährige Träger des außerparlamentarischen Mieterprotestes aufgelöst, darunter die Treptower Initiative Carla Pappel, die wesentlich an der Vorbereitung der Mieterdemonstration im September 2011 beteiligt war.

»Die Mieterbewegung muss über ihren Tellerrand blicken«, sagt Matthias Coers. Er arbeitet im Donnerstagskreis der Berliner Mietergemeinschaft, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« bereits Mieteraktivisten aus den USA, Polen, Holland, Spanien, Griechenland, Frankreich und der Türkei nach Berlin eingeladen hat. Hohe Mieten sind ein internationales Problem.

http://jungle-world.com/artikel/2013/47/48852.html

Peter Nowak