Umzug per Menschenkette

Das Kneipenkollektiv »BAIZ« nutzte seinen Ortswechsel zum Protest gegen die zunehmende Verdrängung

Das BAIZ hatte Glück und muss nur um-, nicht wegziehen.
Stühle und Plakate von Hand zu Hand: Um gegen die Verdrängung von Alteingesessenen zu protestieren, lud das BAIZ zum Umzug.

In diesen Tagen schließt in Mitte eine linke Kneipe mit Tradition. Das BAIZ wird es in der Christenstraße/Ecke Torstraße nicht mehr geben. Am Sonntag ließ sich das linke Kneipenkollektiv eine besondere Umzugsaktion einfallen. Mit einer Menschenkette vom bisherigen Domizil zum neuen Standort in der Wörther Straße ging nicht nur das Mobiliar von Hand zu Hand. Die Teilnehmer protestierten gleichzeitig dagegen, dass Mieter und Projekte mit wenig Geld aus der Gegend verschwinden müssen. Sie zeigten Plakate, auf denen die Namen von Projekten standen, die in den letzten Jahren verschwunden oder aktuell bedroht sind.

Fast wäre das BAIZ ebenfalls davon betroffen gewesen. Mehr als zehn Jahre gab es dort Getränke zu Preisen, die man in Mitte längst nicht mehr vermutete. Linke Gruppen organisierten politische Veranstaltungen und die Kinoabende waren bekannt für anspruchsvolle, sozialkritische Filme. Dass das Programm demnächst an dem neuen Standort fortgesetzt werden kann, war einem Zufall zu verdanken. Vor knapp einen Monat habe man von einer Bekannten erfahren, dass die Räume frei werden. »Das war Glück in letzter Minute«, berichtet BAIZ-Kneipenwirt Matthias. Mit dem Umzug ist die Kneipe langfristig gesichert. Das Kneipenkollektiv hat den neuen Laden gekauft.

Zunächst war Matthias noch skeptisch ob sich für die Menschenkette genügend Unterstützer finden würden. Doch in den letzten Wochen war der Zuspruch nicht nur von den Stammgästen gewachsen. Auch Bewohner aus der Nachbarschaft, die nicht zu den Kneipengästen gehörten, hatten sich an der Kette beteiligt, darunter Eltern mit Kinderwagen und Rentner. Schließlich ist gerade in Mitte die Angst groß, die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Davon sind die Besitzer kleiner Läden, Kneipen und Ateliers genauso betroffen wie Wohnungsmieter.

»Auch wenn wir jetzt noch mal Glück hatten, wollten wir unsere ›Popularität‹ für ein politisches Signal nutzten«, begründete Matthias die Aktion. Bei den meisten Mietern laufe die Verdrängung im Stillen ab. Das BAIZ hingegen ist sofort an die Öffentlichkeit gegangen, als im Herbst 2012 das Haus seinen Besitzer wechselte. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Bei Recherchen stießen die Mieter auf personelle Überschneidungen mit der im Zusammenhang mit Schrottimmobilien ins Gerede gekommenen Grüezi Real Estate AG. Zelos wirbt auf ihrer Homepage mit einer »ausgeprägten Kulturszene« in der Umgehung der Christinenstraße, um lukrative Käufer der Eigentumswohnungen anzulocken. Für das Haus selber wird allerdings eine kulturelle und gastronomische Weiternutzung kategorisch ausgeschlossen. Dabei gab es in den Räumlichkeiten schon in der DDR subkulturelle Kneipen mit den Namen Bummelant, Chapiteau oder Dom kultury Berlin.

Die neuen Eigentümer planen in den Räumen ein weiteres Büroprojekt. Damit ist eine Zielgruppe angesprochen, die in angesagte Szenebezirke zieht, aber auf keinen Fall einen Club oder ein Restaurant in der Nachbarschaft haben will. Aber nicht nur die Kneipe, auch die bisherigen Mieter sind in den Plänen der Zelos GmbH nicht vorgesehen. Auf ihrer Homepage wird das Haus als »Altbau aus der Jahrhundertwende« in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen »das hohe Niveau der Nachbarschaft« garantieren, mit dem Zelos vermögende potenzielle Käufer gewinnen will.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/925043.umzug-per-menschenkette.html

Peter Nowak

Umzug wird zur Demonstration

PROTEST Die linke Kneipe Baiz wechselt in einen anderen Bezirk. Per Menschenkette lässt sie ihre Stühle von Mitte nach Prenzlauer Berg wandern – und setzt damit ein Zeichen gegen Verdrängung

Gegen 16 Uhr hatten sie es geschafft: Die rund einen Kilometer lange Menschenkette von der Christinenstraße in Mitte bis zur Wörther Straße in Prenzlauer Berg war geschlossen. Mehrere hundert Personen ließen das Mobiliar des Baiz von Hand zu Hand gehen. Die linke Kneipe muss zum Monatsende ihr bisheriges Domizil räumen. Lange Zeit sah es aus, als müsste sie ganz schließen. Erst in letzter Minute hat das Baiz in der Wörther Straße neue Räume gefunden.

Mit der Menschenkette wurde der Umzug gleichzeitig ein Protest gegen Verdrängung. „Auch wenn wir noch mal Glück hatten, wollten wir unsere Bekanntheit für die Aktion nutzen“, erklärte Baiz-Wirt Matthias Bogisch gegenüber der taz.

Freiräume verschwunden

Zunächst war Bogisch noch skeptisch, ob sich genügend UnterstützerInnen für die Kette finden würden. Die Befürchtungen waren grundlos. In die Kette reihten sich junge Leute mit Musikinstrumenten ebenso ein wie Eltern mit Kinderwagen und RentnerInnen. Der Name von Lokalitäten und Freiräumen, die in den letzten Jahren schließen mussten, trugen die TeilnehmerInnen auf Plakaten am Rücken. „Bastard verschwunden“, „Volkssolidarität geschlossen“, aber auch „Metzer Straße erhalten“ war dort zu lesen.

„Bei den meisten MieterInnen läuft die Verdrängung im Stillen ab. Das wollten wir verändern“, betont Bogisch. Das Baiz war sofort an die Öffentlichkeit gegangen, als im Herbst 2012 das Haus seinen Besitzer wechselte. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Die neuen Eigentümer planen in den Räumen der Kneipe ein Büroprojekt. Auf ihrer Homepage wird das Haus als „Altbau aus der Jahrhundertwende“ in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen „das hohe Niveau der Nachbarschaft“ garantieren.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F24%2Fa0130&cHash=6863579fb98509ae0e1bd16e47001286

Peter Nowak