Im Namen der Nützlichkeit

Das einigende Band des Sozialchauvinismus
Die Sarrazin-Debatte ist ein Jahr alt. Zeit für eine kritische Reflexion oberhalb der Mediendebatte. Ein Sammelband bietet die Gelegenheit.

Vor mehr als einem Jahr sorgte ein  ehemalige Berliner  Senator und spätere  Vorstandsmitglied  der Deutschen Bank Thilo Sarrazin für großes Medienecho mit gesellschaftlichen Folgen.   „Dass mediale Ereignis der „Sarrazindebatte“ führte zu einer breiten gesellschaftlichen Verschiebung nach rechts, enttabuisierte rassistisches Denken und verband in besonderer Weise Rassismus mit Elite- und Nützlichkeitsdenken“. Zu diesem Fazit kommen  der Publizist Sebastian Friedrich, der in den  Münsteraner Verlag edition assamblage einen Sammelband herausgegeben hat. 15  Autoren aus Politik, Kunst und Wissenschaft analysierten unterschiedliche Aspekte dieser Debatte. Obwohl die Beiträge von unterschiedlicher Qualität sind,  leistet das Buch die  bisher fundierste Auseinandersetzung mit der Sarrazindebatte. Während sie in großen Teilen der Medien nur  auf Ressentiments gegen den Islam reduziert  wurde, wird  hier aufgezeigt, dass  es im  Kern  um einen Nützlichkeitsrassismus  aus der Mitte der Gesellschaft geht.  Zu seinen Feindbild  zählen alle, die dem Standort Deutschland  nicht nützen. Dass können Hartz IV-Empfänger genau so sein, wie migrantische Jugendliche. Das hat Sarrazin bereits in seiner Zeit als Berliner Senator immer wieder deutlich gemacht. Aber  er ist nur der Lautsprecher eines Sozialchauvinismus, der Teile der Elite mit den Bild-Leser zusammenschweißt. Der selbsternannte Neoaristokrat und Sarrazin-Verteidiger Peter Sloterdijk hat diesen Nützlichkeitsrassismus in einem Interview auf den Punkt gebracht: „Während im ökonomischen Altertum“ die Reichen auf Kosten der Armen gelebt hätten, würden in der „ökonomischen Moderne“ die „Unproduktiven  mittelbar auf Kosten der Produktiven“ leben.
Die „Leistungsträger“ gegen die Unproduktiven lauten die  zentralen Kategorien in diesem sozialchauvinistischen Diskurs. Letzte werden auch gerne als Transferleistungsbezieher  diffamiert. Damit können Erwerbslose genau so gemeint sein, wie  ganze Staaten,  wie die   Kampagne gegen die  „Pleitegriechen“ in der letzten Zeit  zeigt. Viele Autoren weisen in dem Buch darauf hin, dass dieser  Nützlichkeitsrassismus  in Sarrazin seinen Lautsprecher gefunden hatte, aber  in der Mitte der Gesellschaft fest verankert ist.  Dazu ist auch der Multikulturalismus keineswegs ein Widerspruch, wie die Kulturanthropologin   Sabine Hess  nachweist.  „Die guten, sprich bunten, kreativen Kulturen in die Karnevalsaufstellung, die schlechten nicht-vermarktbaren Kulturen in die Arbeitszwangsmaßnahme und das Quartiersmanagement“, lautet die Devise. Die Soziologin Juliane Karakayali zeigt auf, wie auch eine bestimmte Spielart des Feminismus mit sozialrassistischen Denken kompatibel ist.
Während  die Kapitel zu Migration und Rassismus, Bevölkerungs- und Biopolitik, Kapital und Nation viele interessante Anregungen bieten, bleiben die beiden Aufsätze  unter dem Oberbegriff Interventionen und Perspektiven schwach. Eine sinnvolle Intervention kann das Buch dennoch sein, über die Diskusion über die darin vertretenen Thesen.

Friedrich Sebastian, Rassismus in der Leistungsgesellschaft, Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen  der Sarrazindebatte“,  editon Assamblage,  Münster 2011,  262 Seiten 19, 80 Euro, ISBN 978-3-842885 01-0

https://www.neues-deutschland.de/artikel/210086.im-namen-der-nuetzlichkeit.html

Peter Nowak

»Zwischen Bittbrief und Barrikade«

Diskussionsveranstaltung und ein neues Buch zur Zukunft der Erwerbslosenbewegung

ErwerbslosenaktivistInnen diskutierten auf einem Seminar in Berlin über die Zukunft der Erwerbslosenbewegung. Parallel erschien ein neuer Band mit Diskussionsbeiträgen zum Thema

Vor knapp einen Jahr machten aktive Erwerbslose unter dem Motto »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« auf sich aufmerksam. Doch nach einer erfolgreichen Demonstration am 10. Oktober 2010 im niedersächsischen Oldenburg wurde es wieder still um die Initiative. Harald Rhein hat schon mehrere solcher Aufbrüche erlebt. Der seit mehr als 30 Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktive Frankfurter zog am vergangenen Wochenende auf einem Seminar in Berlin ein Resümee dieser Arbeit. Schon das Motto »Zwischen Bittbrief und Barrikade« sollte zur Kontroverse anregen Tatsächlich wurde die Debatte sehr rege und manchmal auch sehr emotional geführt. Denn schon in den vergangenen Monaten liefen im Internet heftige Diskussionen darüber, ob Erwerbslose weiterhin mit Bundestagsabgeordneten und Sozialexperten über die Höhe der Regelsätze streiten sollen. Ein Teil der auf dem Seminar Anwesenden bejahte diese Frage mit Verweis auf die vielen Menschen, die um jeden Euro im Jobcenter kämpfen müssen.

Andere Erwerbslose wiederum stimmten Rhein zu, der in der praktischen Arbeit die Erfahrung gesammelt hat, dass die Regelsatzdiskussion auch einen Großteil der Betroffenen nicht mehr interessiert. Dass dürfte allerdings nicht nur als Resignation interpretiert werden. Schließlich würden auch viele politisch aktive Erwerbslose für sie erträgliche Maßnahmen akzeptieren, um Zeit und Raum für ihre politische Arbeit zu haben. Die Zustimmung bei Teilen des Publikums signalisierte, dass Rhein damit nicht nur seine Erfahrungen artikulierte.

Auch die Kritik an Parteien und Großorganisationen stieß auf Zustimmung. Bündnispartner sollten angesichts der wachsenden Zahl von Niedriglöhnern, die auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, einkaufsschwache Personen mit und ohne Lohnarbeit sein, sagte ein Diskussionsteilnehmer. Rheins Vorschlag, statt über die Regelsätze über das gute Leben zu diskutieren, wurde sehr kontrovers debattiert. Ist dieser Begriff nicht viel zu vage und unbestimmt, fragten einige. Andere sahen gerade darin eine Chance, in eine grundsätzlichere Debatte zu kommen.

Ein zentraler Punkt für die Berliner Erwerbslosenaktivistin Petra Leischen ist die Forderung nach einem Existenzgeld, die sowohl in der LINKEN als auch in den sozialen Bewegungen umstritten ist. »Es wird nicht die Herrschaft aller Männer über die Frauen aufheben, allerdings die ökonomische Lage der Frauen entscheidend verbessern«, schreibt Leischen in einem Beitrag in dem kürzlich im Verlag AG Spak erschienenen Buch mit dem poetischen Titel »Den Maschinen die Arbeit … uns das Vergnügen«. Es könnte als ein Wegweiser für eine Debatte um das gute Leben dienen, die Rhein in dem Buch genauer begründet. Nicht nur der Wiener Philosoph Karl Reitter versucht sich in dem Buch an einer marxistischen Fundierung der Existenzgeldforderung. Auch die Ökonomin Anne Allex beendet ihre Kritik an Grünen Bürgergeld-Konzepten mit der Erkenntnis von Karl Marx: »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.« Ronald Blaschke, Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping (LINKE), zeichnet den Diskussionsverlauf um das Existenzgeld bei PDS und LINKE in den letzten Jahren nach. Dabei belegte er mit Zitaten, dass Oskar Lafontaine als SPD-Politiker dem Existenzgeldansatz näher stand als heute. Während Blaschke gegen die Gewerkschaftsfunktionäre polemisierte, die in der Linkspartei die Existenzgeldforderung ablehnen, stellte die Feministin Frigga Haug kritische Fragen an die Existenzgeldbefürworter. »Ich kann Gesellschaft nicht ohne Arbeit denken«, ist ihr zentraler Einwand gegen alle, die in der Arbeit nur Zwang sehen. »Aber die Arbeitspflicht existiert bei Pflege-, Reproduktions- oder Sorgearbeit ohnehin immer«, schreibt Haug: »Der Protest gegen die Zumutung, arbeiten zu wollen als Teilhabe an der Gesellschaft, steht quer zur notwendigen Arbeit im Reproduktionsbereich.« Mit ihrer auch in der Linkspartei diskutierten »Vier-in-einem-Perspektive« macht Haug Vorschläge für eine Neuaufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sowie gesellschaftliches Engagement. Nicht nur sie wirft in dem Buch Fragen auf, die in einer Debatte um das gute Leben diskutiert werden sollten.

Anne Allex, Harald Rhein (Hg.): »Den Maschinen die Arbeit … uns das Vergnügen!« Beiträge zum Existenzgeld. AG Spak Bücher, 16 Euro.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210141.zwischen-bittbrief-und-barrikade.html

Karl Kraus

Der Wiener Schriftsteller Karl Kraus leistete mit seiner Sprachkritik einen wichtigen Beitrag zur Analyse der politischen Verhältnisse in Österreich zwischen 1900 und 1936.

In der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift Die Fackel gelang es ihm, den autoritären Charakter kenntlich zu machen, den die kapitalistische Gesellschaft in allen Kreisen der Gesellschaft hervorgebracht hatte. Das Straf- und Rachebedürfnis gegenüber Opponenten und Minderheiten und der immer stärker hervorbrechende Antisemitismus werden in seinen Texten bloßgestellt. Die Germanistin Irina Djassemy analysiert seine Texte mit dem theoretischen Rüstzeug der Frankfurter Schule. „Karl Kraus‘ Stärke gegenüber den bloßen Moralisten besteht nicht zuletzt darin, dass er bei den vom ihm kritisierten Vertretern bestimmter Berufe, z.B. bei Polizisten und Journalisten, auch das berücksichtigt, was er das System nennt: die Arbeitsbedingungen und den organisatorischen Aufbau der Institutionen“, schreibt Djassemy. In vielen seiner frühen Glossen ist der Meldezettel für Kraus das Symbol für eine autoritäre Gesellschaft, die dem Staat und den Nachbarn die Möglichkeit gibt, im Privatleben ihrer Mitmenschen zu schnüffeln. Dabei ist Kraus keineswegs blind für die Klassenverhältnisse der monarchistischen Habsburgerdiktatur. Anhand der Werke „In dieser großen Zeit“ und „Die letzten Tage der Menschheit“ zeigt die Autorin, wie Kraus die Verlogenheit der Gesellschaft im Ersten Weltkrieg durch seine Sprachkritik entlarvt. Der Buchausgabe von „Die letzten Tage der Menschheit“ vorangestellt ist ein Foto des von der österreichischen Militärjustiz zum Tod durch Erhängen verurteilten italienischen Publizisten und sozialdemokratischen Politikers Cesare Battisti. Für Kraus ist es ein Beispiel für „das österreichische Antlitz“, das in den Kriegsjahren häufig sich stolz ihrer Taten rühmende Henker in Aktion zeigte. Der Autorin gelingt es mit ihrer Analyse des Werkes von Karl Kraus, die geistige Verfassung einer Gesellschaft auf dem Weg in die nazistische Barbarei deutlich zu machen.

Irina Djassemy: Die verfolgende Unschuld. Zur Geschichte des autoritären Charakters in der Darstellung von Karl Kraus. Böhlau Verlag, Wien 2011. 266 Seiten, 35 EUR

http://www.akweb.de/ak_s/ak565/01.htm

Peter Nowak

Schlupfloch für die Zwangsbehandlung

Urteil des Bundesverfassungsgerichtes stärkt die Rechte psychisch kranker Straftäter
Das Bundesverfassungsgericht erklärte kürzlich das baden-württembergische Gesetz über die zwangsweise medizinische Behandlung psychisch kranker Straftäter teilweise für nichtig. Es gab damit einem Kläger aus Baden-Württemberg recht, dem – seit 2005 im Maßregelvollzug – gegen seinen Willen ein Neuroleptikum gespritzt werden sollte.

ND: Handelt es sich um das erste Urteil des höchsten Gerichts zur Zwangsbehandlung?
Seibt: Bereits im März 2011 hatte das Bundesverfassungsgericht den entsprechenden Passus des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln für nichtig erklärt. Auch in diesem Fall ging es um die Zwangsbehandlung.

Stützt sich das Gericht dabei auch auf internationale Verträge, wie die Menschenrechtskonvention?
Nein, es stützt sich in dem Urteil ausschließlich auf das Grundgesetz. Die Zwangsbehandlung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Artikel 2, Absatz 2, Satz 1 des Grundgesetzes geschützte körperliche Unversehrtheit, argumentieren die Richter. Dabei hat sie wohl unser Gutachten überzeugt, in dem wir nachgewiesen haben, wie schädlich die Zwangsbehandlung ist und wie viele Todesfälle daraus resultieren.

Gibt es auch in anderen Bundesländern Gesetze, die eine Zwangsbehandlung erlauben?
Die gibt es in allen Bundesländern und sie gelten so lange, bis ein Betroffener aus dem jeweiligen Bundesland dagegen klagt. Ein Jurist aus Niedersachsen hat schon erklärt, dass das Maßregelgesetz dort fällt, wenn ein Betroffener es schafft, mit seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zugelassen zu werden.

Aber ein generelles Verbot kam aus Karlsruhe nicht?
Nein, das Gericht hat entschieden, dass die laxe Praktizierung von Zwangsbehandlungen nicht mehr möglich ist. So kann sie nicht mehr wegen einer angeblichen Gefährdung der Öffentlichkeit angewendet werden. Lediglich wenn jemand keinen freien Willen mehr besitzt und dadurch auf unabsehbare Zeit in der Psychiatrie bliebe, ist eine Zwangsbehandlung möglich. Wir kritisieren, dass das BVG doch noch ein Schlupfloch für die Anwendung der Zwangsbehandlung offen gelassen hat. Aber angesichts der Tatsache, dass sich über Jahrzehnte nichts in der Psychiatrie verändert hatte, war ein generelles Verbot der Zwangsbehandlung auch nicht gleich zu erwarten gewesen.

Betrifft das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nur verurteilte Straftäter?
Keineswegs, mit dem Urteil wird die Zwangsbehandlung generell stark eingeschränkt. Also nicht nur der psychisch kranke Straftäter, sondern auch der harmlose Spinner, der aus irgendwelchen Gründen in der Psychiatrie landet, kann in Rheinland Pfalz und Baden-Württemberg und hoffentlich bald auch anderen Bundesländern nicht mehr gegen seinen Willen behandelt werden.

Gibt es für Ihre Organisation in dieser Frage noch Handlungsbedarf?
Mehr denn je. Wir müssen darauf achten, dass nicht durch die Hintertür um den angeblich nicht vorhandenen freien Willen herum wieder Regelungen getroffen werden, die die alte Praxis der Zwangsbehandlung fortsetzen. Daher müssen wir auf Kongressen für die Abschaffung kämpfen und Politiker der Landesparlamente von unseren Argumenten zu überzeugen versuchen.

Gibt es in dieser Richtung Unterstützung von Parteien?
Momentan haben wir auf der parlamentarischen Ebene für unsere Forderung nach einem Verbot der Zwangsbehandlung keine Verbündeten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/209815.schlupfloch-fuer-die-zwangsbehandlung.html

Interview: Peter Nowak

 

Der fehlende Histamintest

Gerade war wieder von einer „neuen RAF“ die Rede. Dabei wirft die Geschichte des Orignals immer noch Fragen auf. Zum Beispiel danach, was vor genau 34 Jahren in Stammheim geschah

Nach den versuchten Brandanschlägen auf Bahnanlagen in Berlin und Brandenburg geisterte vor einer Woche umgehend das Gespenst einer „neuen RAF“ durch die Medien. Politiker und Experten wiesen die historische Parallele allerdings ebenso rasch zurück. Die Unterschiede zwischen den militanten Freunden isländischer Vulkane und der Roten Armee Fraktion, hieß es immer wieder, seien beträchtlich. Die Analogie diene allenfalls dem Zweck der Aufheizung einer sicherheitspolitischen Diskussion.

Wie weit benzingefüllte Plastikflaschen und Deutscher Herbst auseinander liegen, mag auch mit Blick auf den düsteren Höhepunkt des Jahres 1977 erkennbar werden. Heute vor 34 Jahren waren drei der prominentesten Mitglieder der RAF tot in ihren Zellen im siebten Stock des Stammheimer Isolationsgefängnisses aufgefunden worden. Darüber, wie Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe starben, scheiden sich bis heute die Geister.

Irmgard Möller, die den 18. Oktober schwer verletzt überlebte, widerspricht bis heute der offiziellen Version, nach der die RAF-Anführer gemeinsam Selbstmord begangen haben sollen. Und ebenso sah das ein beträchtlicher Teil der bundesrepublikanischen Linken. Die Antwort auf die Frage „Mord oder Selbstmord?“ spaltete noch bis in die achtziger Jahre hinein die Szene. „Stammheim“ war für eine ganze Generation politisch Aktiver eine zentrale Metapher. Inzwischen ist der Glaubenskrieg um die Deutung der Ereignisse allerdings verebbt.

Wenn Jugendliche heutzutage T-Shirts mit der Aufschrift „Stammheim“ tragen, ist damit allenfalls eine angesagte Diskothek in Nordhessen gemeint. Die Frage indes, was 1977 in den totalüberwachten Zellen passierte, wird immer noch gestellt. Unlängst hat der Betriebsrat und IT-Spezialist Helge Lehmann ein weiteres Buch darüber veröffentlicht – Untertitel: „Eine Untersuchung – Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren“. Auf knapp 230 Seiten und einer DVD präsentiert er das Ergebnis seiner jahrelangen Recherchearbeit.

Akribisch beschriebener Selbstversuch

„Nachdem ich den Film von Stefan Aust über die RAF und die Todesnacht gelesen habe, wurde ich neugierig“, beschreibt Lehmann sein Motiv, sich nochmals einem Thema zu nähern, das in der öffentlichen Meinung als längst geklärt gibt. „Vor einigen Jahren zweifelten viele an der offiziellen Selbstmordversion. Heute macht das niemand mehr“, erklärte Helmut Schmidt vor einigen Jahren. Der Sozialdemokrat war 1977 Bundeskanzler. Doch wenn Lehmann am Ende seiner Recherche eine neue Untersuchung fordert, dann ist das sehr begründet.

Denn eines, so Lehmann, ist noch immer ungeklärt: Wie konnten die Waffen, mit denen sich die Gefangenen getötet haben sollen, in deren Hände gelangen? „Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme muss die Frage, wie die Gefangenen in den Besitz von Waffen und Sprengstoff gelangt sind, letztendlich offen bleiben“, zitiert Lehmann aus dem Abschlussbericht der offiziellen Untersuchungskommission. Der Autor hat im akribisch beschriebenen Selbstversuch nachgewiesen, dass man die Waffen weder in Gerichtsakten noch in Plattenspielern unbemerkt ins Gefängnis schmuggeln und zwischen den Zellen hin- und her transportieren konnte, wie offiziell immer kolportiert wurde. Auch das Kommunikationssystem mit dem sich die Gefangen auf den Suizid verständigt haben sollen, habe gar nicht funktioniert, so Lehmann.

Dass der Autor auch jene Argumente gründlich unter die Lupe nimmt, die seit mehr als 30 Jahren gegen die offizielle, also die Selbstmord-Version ins Feld geführt werden, macht die Herangehensweise glaubwürdig. Auch enthält sich Lehmann weitgehend eigener Erklärungsversuche, die immer ins Reich der Spekulation führen. Das Buch ist an den Fakten orientiert, es stellt Fragen, die noch immer zum Nachdenken anregen. „Warum wurde wie beim Tod von Ulrike Meinhof auch bei Gudrun Ensslin kein Histamintest durchgeführt?“, schreibt Lehman beispielsweise. „Dies war und ist eine international gängige forensische Untersuchungsmethode bei zweifelhaften Todesfällen durch Erhängen. Die Ergebnisse hätten alle Vermutungen und Spekulationen verstummen lassen?“

Warum nach mehr als drei Jahrzehnten noch einmal an den alten Sachen rühren, werden manche einwenden. So außergewöhnlich ist das nicht. Seit Monaten wird zum Beispiel im Prozess gegen Verena Becker versucht, den Umständen des Todes von Siegfried Buback auf die Spur zu kommen, der 1977 von der RAF getötet wurde. Warum sollte also nicht auch ein Interesse bestehen, offene Fragen der Stammheimer Todesnacht zu klären. Bisher haben sich nicht die staatlichen Stellen bedeckt. Auch von den ehemaligen RAF-Gefangenen kam bisher auf das Buch keine Reaktion.
Hintergrund

Helge Lehmann: Die Todesnacht in Stammheim. Eine Untersuchung Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren, mit Dokumenten-CD. 237 S., zahlr. Abb., Pahl-Rugenstein, 19,90 Euro

http://www.freitag.de/politik/1141-der-fehlende-histamintest

Peter Nowak

Das Phänomen der Naxaliten

Lutz Getzschmann legt eine detaillierte Studie über maoistische Gruppen in Indien vor

Seit rund 40 Jahren kämpfen maoistische Gruppen in Indien für eine »Volksdemokratische Revolution« – die sogenannten Naxaliten. Der Frankfurter Politologe Lutz Getzschmann hat eine umfangreiche Untersuchung über die Geschichte und die politische Praxis der Naxaliten vorgelegt.

Der indischen Regierung ist sie seit langem ein Dorn im Auge: Die Naxaliten-Bewegung, deren Name auf das Dorf Naxalbari im Bundesstaat West-Bengalen zurückgeht. Die Regierung versucht seit geraumer Zeit ihr mit einer Doppelstrategie aus militärischer Offensive und Entwicklungsprojekten beizukommen.

In der letzten Zeit hat sich die innenpolitische Situation in vielen indischen Bundesstaaten enorm verschärft. Die Zahl der ermordeten Bäuerinnen und Bauern wächst. Die indischen Behörden erklären offiziell, bei den Toten handele es sich um Naxaliten, eine bewaffnete kommunistische Bewegung mit maoistischen Wurzeln. Viel war bisher über diese Bewegung hierzulande nicht bekannt. Jetzt hat der Frankfurter Politologe Lutz Getzschmann eine umfangreiche Untersuchung über die Geschichte und die politische Praxis der Naxaliten vorgelegt. Der Name stammt von der indischen Provinz Naxalbari, wo 1967 ein Bauernaufstand ausbrach, der zu einem Weckruf für die indische Linke jenseits der damals schon sozialdemokratisierten kommunistischen Parteien wurde. Auch viele junge Linke von den Universitäten der indischen Metropolen begannen sich für die Kämpfe auf dem Land zu interessieren. Die intellektuellen studentischen Linken und die bäuerlichen Aktivisten sind noch heute die beiden Säulen der Naxalitenbewegung, deren Geschichte Getzschmann in dem Buch sehr gründlich aufarbeitet. Der Autor zeigt dabei, dass sie trotz vieler Niederlagen noch immer ein Faktor der indischen Politik. Er verschweigt auch nicht teilweise gravierende politischen Fehler der Naxaliten in den letzten Jahrzehnten. So hätten sich einige der von den Naxaliten initiierten Auseinandersetzungen, die als ländliche Klassenkämpfe angelegt waren, ethnisiert und zu blutigen Kastenkriegen entwickelt. Getzschmann zeichnet auch die Spaltungen innerhalb der naxalitischen Bewegung nach.
Er skizziert den politischen Kontext, in dem sich die Bewegung entwickeln konnte und zeigt auch ihre Grenzen auf. So gelang es ihnen bisher nicht, sich auch in den Metropolen festzusetzen. Vielmehr leisten die universitären Kader Unterstützung für die ländlichen Kämpfe. Als Beispiel für einen Fehler auf theoretischem Gebiet führt er die Etappentheorie an, die die Naxaliten als maoistisches Erbe och mit sich rumschleppen. Sie besagt, dass nicht der Sozialismus sondern eine „neue Demokratie“ in Indien auf der Revolutionsagenda stehe.
Auch die Betrachtung Indiens als semifeudalistischer und halbkolonialistischer Staat gehe an der Realität der heutigen aufstrebenden Weltmacht Indien vorbei.
Gerade diese Entwicklung könnte dafür sorgen, dass die Naxaliten zunehmend unter staatlichen Druck geraten. Mehrere der Provinzen, diese Bewegung stark ist, werden zunehmend für das indische aber auch das ausländische Kapital interessant. Dort finden sich wichtige Bodenschätze, die sich profitabel verwerten lassen. Bei diesen Plänen stören Bewohner und soziale Bewegungen, die sich gegen die kapitalistische Durchdringung dieser Provinzen wehren, weil die ihnen ihre Existenzgrundlagen raubt. Unter dem Deckmantel der Naxalitenverfolgung könnte die indische Aufstandsbekämpfung gegen die gesamte soziale Bewegung weiter zu nehmen. Getzschmann hat daher mit seinen Buch zur richtigen Zeit die Naxalitenbewegung in den Fokus der deutschsprachigen Linken gerückt.

Getzschmann Lutz, Naxaliten – Agrarrevolution und kapitalistische Modernisierung, Neuer ISP-Verlag, Köln, 2011, 415Seiten, 32 Seiten, IBN 978-3-89900-025-2

https://www.neues-deutschland.de/artikel/206059.das-phaenomen-

der-naxaliten.html?sstr=Naxaliten

Peter Nowak

Wenig beachtet

Aktuelle Debatten der sozialpsychologischen NS-Forschung

Warum hat ein Großteil der deutschen Bevölkerung selbst als das Ende des Hitlerregimes abzusehen war, keinen Widerstand geleistet?  Diese Frage beschäftigt die historische Forschung seit Jahrzehnten. Im Gegensatz zu Erklärungsansätzen, die Hitlers angebliches Charisma oder die Repression dafür verantwortlich machen werden sozialpsychologische Erklärungsansätze noch immer zu wenig beachtet. Das im Psychosozial-Verlag erschienene Buch „Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus“ gibt einen auch für Laien guten Überblick über die aktuelle Debatte der sozialpsychologischen NS-Forschung. In acht Aufsätzen diskutieren Wissenschaftler der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie an der Leibnitz Universität Hannover historische Fragen. So setzt sich der Sozialwissenschaftler Sascha Howard kritisch mit Götz Alys vieldiskutierter These vom NS-Sozialstaat für deutsche Volksgenossen auseinander. Demgegenüber betont Howard, dass es bei NS-Volksgemeinschaft gerade nicht um eine materielle Egalität ging: „Anstelle von Gleichheit wurde Homogenität erzeugt, die soziale Realität war von Ausgrenzung gekennzeichnet, vom Fortbestand sozialer Ungleichheit etwa in Bezug auf die Reallöhne als auch von neuen Ungleichheiten, die sich aus der rassistischen Politik ergaben“.

Die Literaturwissenschaftlerin Isabelle Hannemann zeichnet die feministische Debatte über die Rolle der Frau im NS nach. Im Zentrum ihres Beitrags steht „der Zickzackkurs der historischen Frauenforschung und die Frage, warum man deutsche Frauen zunächst als Unschuldige, gar als Opfer patriarchaler Umstände oder lediglich als Mittäterinnen betrachtete, obwohl einige bereits im Bergen-Belsen-Prozess 1945 als Täterinnen hingerichtet wurden.“ Es ist wohl auch ein Ausdruck für Herabsetzung weiblicher Wissenschaftstätigkeit, dass die Historikerinnendebatte über die Rolle der Frau im NS anders als die von Ernst Noltes Thesen angestoßene Historikerdebatte öffentlich kaum wahrgenommen wurde. Mehrere Aufsätze im Buch setzen sich mit der These, die NS-Täter seien ganz normale Staatsbürger gewesen, auseinander. Als Beispiel für „die Banalisierung des nationalsozialistischen Verbrechens im Zeichen des Normalitätsdogmas“ setzt sich der Soziologieprofessor Rolf Pohl kritisch mit den Thesen des Sozialwissenschaftlers Harald Welzer auseinander, der es ablehnt, die NS-Politik nach einer „Nachkriegsmoral“ zu be- und verurteilen. Pohl erinnert diese Argumentation an die Verteidigungslinie des ehemaligen baden württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger, der erklärte, was damals recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Über antisemitische Feindbilder, die ebenso wie die Volksgemeinschaftsideologie den Nationalsozialismus überdauert haben, informiert der Psychologe Sebastian Winter mit Rückschriften auf Schriften von Margarete Mitscherlich und Klaus Theweleit.

Brunner Markus, Lohl Jan, Pohl Rolf, Winter Sebastian (Hg.), Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus, Beiträge zur psychoanalytischen Sozialpsychologie des Nationalsozialismus und seiner Nachwirkungen;

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205629.wenig-beachtet.html

Peter Nowak


Wächst jetzt die Angst?

Bilge Gecer über Zwangsexmatrikulationen an der Universität Köln / Bilge Gecer ist Referentin für die Hochschulpolitik und Bildung beim AStA der Universität Köln

ND: Vor einigen Tagen sorgte die Exmatrikulation von 32 Studierenden an der Kölner Universität für Aufsehen. Warum wurden die Kommilitonen exmatrikuliert?

Gecer: Die Studienordnung der 32 Diplom- und Magisteranwärter war ausgelaufen. Sie hatten die Frist für die Magisterzwischenprüfung zum Ende Wintersemester 2010 / 2011 nicht eingehalten. Die Universitätsverwaltung war nicht bereit, diese Frist zu verlängern. Die Universitätsleitung hatte schon im Frühjahr die Exmatrikulationen angekündigt und in den vergangenen Tage die Bescheide rausgeschickt.

Im Frühjahr war noch von bis 1600 Kommilitonen die Rede, die von der Exmatrikulierung betroffen sind. Ist es da nicht ein Erfolg, dass sie jetzt nur bei 32 Studierenden umgesetzt wurde?

Darin kann ich keinen Erfolg sehen. Studierende sind keine Nummern. Es kommt uns auf jeden einzelnen Fall an. Zudem werden über die unmittelbar Betroffenen hinaus alle Kommilitonen unter Druck gesetzt. Die Angst vor einem Versäumen der Fristen wächst. Unter diesen Umständen erhöht sich die Gefahr, bei wichtigen Prüfungen und Klausuren zu versagen, noch zusätzlich.

Warum konnten die Studierenden die Fristen nicht einhalten?

Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Einige haben sich hochschulpolitisch engagiert, das heißt, sie haben sich für andere Kommilitonen eingesetzt; das kostet Zeit. Andere mussten nebenbei arbeiten, um sich überhaupt ein Studium leisten zu können. Auch Studierende mit Behinderungen oder mit Kind gehören zu den Exmatrikulierten.

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Sie sind erst einmal aus der Hochschule raus. Einige von ihnen haben es vielleicht geschafft, sich an anderen Hochschulen zu bewerben, wo sie ihr Studium fortsetzen können. Aber dann müssen sie aus der Stadt wegziehen, und ob das als die beste Lösung bezeichnet werden kann, ist sehr fragwürdig. Schließlich haben sich die Studierenden zum Studienbeginn für die Universität Köln entschieden, mit der Absicht ihr Studium hier erfolgreich abzuschließen. Es wird wohl bitter: Einigen Betroffene droht wahrscheinlich die Arbeitslosigkeit als Perspektive.

Wie können sich die Gemaßregelten wehren?

Wenn die Exmatrikulation erst einmal ausgesprochen ist, ist das schwierig. Aber: Juristisch mag die Maßnahme einwandfrei sein, trotzdem ist der Umgang mit den Studierenden nicht hinnehmbar. Es handelt sich hier schließlich nicht um Daten, die einfach so aus der Kartei genommen werden können, sondern um Menschen. Wir sind weiterhin bemüht, einen politischen Druck gegen die Exmatrikulationen aufzubauen.

Gibt es schon konkrete Projekte?

Mittlerweile wurde unter exmatrikulation.blogsport.de eine Internetseite eingerichtet, auf der Informationen zum Thema zusammengetragen werden, um eine Solidaritätserklärung zu verfassen, die online unterschrieben werden kann. Es haben sich neben verschiedenen studentischen Initiativen auch gewerkschaftliche Gremien gegen die Exmatrikulationen ausgesprochen.

Drohen an anderen Universitäten ähnliche Maßnahmen?

Köln ist keine Ausnahme. Es gibt Befürchtungen von Studierenden, dass auch an anderen Hochschulen solche Restriktionen geplant sind. Auch aus diesem Grund setzen wir uns für die Rücknahme der Exmatrikulationen in Köln ein. Wir wollen verhindern, dass daraus eine Pilotprojekt wird.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/205676.waechst-jetzt-die-angst.html

Interview: Peter Nowak

Naxalitenbewegung

In mehreren indischen Bundesstaaten hat sich in der letzten Zeit die Situation enorm verschärft. Die Zahl der ermordeten Bäuerinnen und Bauern wächst. Die indischen Behörden erklären offiziell, dass es sich um Naxaliten handele, eine bewaffnete kommunistische Bewegung mit maoistischen Wurzeln. Jetzt hat der Frankfurter Politologe Lutz Getzschmann eine umfangreiche Untersuchung über Geschichte und Praxis der Naxaliten vorgelegt. Ihr Name stammt von der indischen Provinz Naxalbari, wo 1967 ein Bauernaufstand ausbrach, der zu einem Weckruf für die indische Linke jenseits der damals schon sozialdemokratisierten kommunistischen Parteien wurde. Auch viele junge Linke aus den indischen Metropolen begannen sich für die Kämpfe auf dem Land zu interessieren. Die studentischen Linken und die bäuerlichen KämpferInnen sind noch heute die beiden Säulen, die die Naxalitenbewegung tragen. Dabei musste die Bewegung auch wegen gravierender politischer Fehler schmerzhafte Niederlagen verkraften. Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es die Naxaliten weder verdammt noch heroisiert. Getzschmann skizziert den politischen Kontext, in dem sich die Bewegung entwickelte, und zeigt ihre Grenzen auf. So gelang es ihr nicht, sich auch in den Metropolen festzusetzen. In mehreren Provinzen, wo die Naxaliten stark sind, finden sich wichtige Bodenschätze, die sich profitabel verwerten lassen. Bei diesen Plänen stören BewohnerInnen und soziale Bewegungen, die sich gegen die kapitalistische Durchdringung dieser Provinzen wehren, weil die ihnen ihre Existenzgrundlagen raubt. Unter dem Deckmantel der Naxalitenverfolgung könnte die indische Aufstandsbekämpfung gegen die gesamte soziale Bewegung weiter zunehmen. Getzschmann hat damit zur richtigen Zeit die Naxalitenbewegung in den Fokus der deutschsprachigen Linken gerückt.

http://www.akweb.de//ak_s/ak563/17.htm

Peter Nowak

Lutz Getzschmann: Naxaliten – Agrarrevolution und kapitalistische Modernisierung. Neuer ISP-Verlag, Köln 2011. 415 Seiten, 32 EUR

Polizisten unter Druck

Von 2013 an müssen Polizisten in Brandenburg einem Beschluss des Landtags zufolge Namensschilder tragen oder durch eine andere Kennzeichnung identifizierbar sein. Neben der FDP-Fraktion stimmte auch Jürgen Maresch, ein Landtagsabgeordneter der Linkspartei, gegen die Einführung von Namensschildern für Polizisten in dem Bundesland. Zuvor hatte der Politiker, der selbst im Polizeidienst tätig war, sich in einer persönlichen Erklärung dagegen ausgesprochen.
Fast jede Kassiererin an der Supermarktkasse trägt ein Namensschild. Warum soll das bei Polizisten anders sein?

Die Berufsbilder sind nicht vergleichbar. Ich war 20 Jahre Polizist, bevor ich in die Politik gegangen bin, und ich habe zeitweise freiwillig ein Namensschild im Dienst getragen.

Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Ich war bei Kontrollen im Grenzgebiet eingesetzt und habe Straf­taten zur Anzeige gebracht. Weil mein Namensschild zu sehen war, wurde ich mit SMS konfrontiert und war psychologischem Druck ausgesetzt. Ich will nicht weiter ins Detail gehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kriminelle die Namensschilder nutzen, um Polizisten unter Druck zu setzen, auch durch die Drohung mit Gegenanzeigen.

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen sehen in den Namensschildern eine Möglichkeit für betroffene Bürger, sich leichter gegen Übergriffe der Polizei zu wehren, beispielsweise durch eine Anzeige.

Ich bestreite nicht, dass so etwas vorkommt. Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Aber ich wehre mich dagegen, dass alle Polizeibeamten unter Generalverdacht gestellt werden und ihre ­informationelle Selbstbestimmung aufgehoben wird.

Würden die Namensschilder nicht die Aufklärung von polizeilichen Übergriffen erleichtern?

Unsere Justiz und unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft sind stark genug, um solche Fälle aufzuklären. Das ist bisher auch immer geschehen. Ich habe es während meiner 20jährigen Tätigkeit bei der Brandenburger Polizei noch nie erlebt, dass ein gesuchter Polizist nicht identifiziert werden konnte. Zudem wende ich mich nur gegen eine namentliche Kennzeichnung der Polizei, nicht aber gegen eine Nummerierung. Auch damit wäre eine Identifizierung möglich.

Wie wird Ihre Position in Ihrer Partei aufgenommen?

Dort wird meine Meinung nicht geteilt, aber respektiert. Eine generelle Kritik an meiner Position ist bisher nicht an mich herangetragen worden. Aber das kann sich noch ändern.

http://jungle-world.com/artikel/2011/33/43814.html

Small Talk von Peter Nowak

Aufstände, Umbrüche, Kontroversen

Wie legitim ist die kapitalistische Gesellschaft überhaupt noch?« Diese Frage stellt die Redaktion des »Telegraph« in ihrer aktuellen Ausgabe. Die ostdeutsche Zeitschrift wurde nach dem Umbruch in der DDR zum Sprachrohr der linken DDR-Opposition, die die Herrschaft der Partei nicht durch die Herrschaft des Kapitals ersetzen wollte. Wer die Doppelnummer liest, wird dieses Anliegen in vielen Artikeln wiederfinden. Die Aufstände in der arabischen Welt spielen eine zentrale Rolle. Der Berliner Journalist Helmut Höge bezeichnet sie in seinem Beitrag sehr optimistisch als »Anfang einer globalen Revolution« und setzt sich kritisch-solidarisch mit dem Text des unsichtbaren Komitees auseinander, das mit seinem »Kommenden Aufstand« die Diskussion um eine Revolution voranbringen wollte. Im Interview spricht der Verleger der deutschsprachigen Ausgabe des Textes, Lutz Schulenburg vom Nautilus-Verlag, von einem »einmaligen Verkaufserfolg«, will ihn aber nicht als Ausdruck einer »aufrührerischen, gesellschaftlichen Stimmung« verstanden wissen.

Mit einem Kapitel und dem Nachdruck der Rede des Filmemachers Michael Moore geht das Heft darüber hinaus auf die Massendemonstrationen gegen gewerkschaftsfeindlichen Gesetze im Frühsommer im US-Bundesstaat Wisconsin ein. Zudem widmet sich der ehemalige Aktivist der linken DDR-Oppositionsgruppe Vereinigte Linke, Thomas Klein, der Kommunismusdebatte, die nach einer Rede der Linksparteivorsitzenden Gesine Lötzsch kurzzeitig für Aufregung sorgte. Er interpretiert die kritische Resonanz mit dem Versuch des »Establishments«, emanzipatorische Strömungen rechtzeitig zu stoppen, »bevor man den Polizeistaat gegen sie einsetzen muss«. Über die heutige Bedeutung des Linkssozialismus streiten Stefan Janson (»überschätzter Mythos«) und Christoph Jünke (»wichtige politische Impulse«).

telegraph 122/123: 120 Seiten, 6 Euro, www.telegraph.ostbuero.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/204110.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

Das Ende eines lange gepflegten Vorurteils

GESCHICHTE  Linke Gewerkschaftsopposition in der Weimarer Zeit war nicht von Moskau gesteuert, stellt Historiker Stefan Heinz in seinem Buch fest

Deutsche Gewerkschaften sind gegenüber den Bossen zu kooperativ und üben sich in Ritualen, statt in Klassenkämpfen: Solche Klagen sind älter als der DGB. Schon in der Weimarer Zeit befand sich eine linke Minderheit im Konflikt mit den Vorständen des SPD-nahen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsverbands (ADGB). In der Endphase der Weimarer Republik organisierten sich große Teile dieser Gewerkschaftslinken in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Ihr organisatorisches Zentrum war die Berliner Metallbranche.

„Teuflische Pläne, dem Hirn Moskauer Diktatoren entsprungen“: Diese Charakterisierung der Ortsverwaltung des SPD-nahen Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV) für die linke Konkurrenz ist bis heute weit verbreitet. Dieses Bild hat der am Otto-Suhr-Institut der FU arbeitende Gewerkschaftsforscher Stefan Heinz infrage gestellt. In seinem 500-seitigen Buch rekonstruiert er die kurze Geschichte des Einheitsverbands der Metallarbeiter Berlins (EVMB), der größten RGO-Gewerkschaft. Dafür wertete er eine Vielzahl von Akten aus den Archiven beider Gewerkschaftsverbände,Überwachungsprotokolle von Polizei und Gestapo, interne Berichte der KPD und SPD sowie Artikel der parteiunabhängigen linken Presse aus.

Heinz weist nach, dass die Initiative zur Gründung nicht von der KPD-Führung oder der Kommunistischen Internationale, sondern von aus dem ADGB ausgeschlossenen GewerkschafterInnen ausging. Für den Forscher liegen die Wurzeln der RGO daher nicht in Moskau, sondern im Kampf gegen die Burgfriedenspolitik von SPD und Gewerkschaften während des Ersten Weltkriegs. Damals hatte sich vor allem unter den Berliner Metallarbeitern ein Kreis linker ArbeiteraktivistInnen herausgebildet.

Als sich im Herbst 1930 die staatlichen Schlichtungsstellen auf die Seite des Unternehmerlagers stellten und Lohnkürzungen festlegten, die vom ADGB akzeptiert wurden, gab der KPD-Vorstand grünes Licht für die Gründung des EVMB. Da dem linken Verband aber keine massenhafte Abwerbung von Mitgliedern aus der alten Gewerkschaft gelang und selbstorganisierte Streiks meist erfolglos blieben, wurde in den KPD-Gremien bald heftig über die RGO diskutiert. Die Auseinandersetzungen nahmen nach dem Machtantritt der Nazis zu.

Viele EVMB-Mitglieder kritisierten alle Versuche der KPD, angesichts der NS-Gefahr mit dem ADGB zusammenzuarbeiten. Der rote Verband hatte sich nach der Zerschlagung des ADGB am 2. Mai 1933 in der Illegalität zunächst konsolidiert und wurde erst durch mehrere Verhaftungswellen in den Jahren 1933 und 1934 empfindlich geschwächt. Im Jahr 1935 wurde der Verband im Zuge der von der KPD verfolgten Volksfrontpolitik, die eine Kooperation mit den SozialdemokratInnen und bürgerlichen Kräften propagierte, gegen den heftigen Widerstand der Basis aufgelöst.

Da die RGO-Politik in der offiziellen KPD-Geschichtsschreibung bald als Linksabweichung galt, wurde auch in der DDR kaum darüber geforscht. Nach erfolglosen Wiederbelebungsversuchen einiger maoistischer Parteien in den 70ern in Westberlin geriet das Thema weitgehend in Vergessenheit. Daher hat Heinz mit seiner Forschungsarbeit eine wichtige Lücke in der Geschichte des Berliner ArbeiterInnnenwiderstandes geschlossen.
 Stefan Heinz: „Moskaus Söldner? Der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft“, VSA-Verlag, Hamburg 2010

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F07%2F29%2Fa0157&cHash=4dbd89600f

Peter Nowak

Mehr Transparenz bei Hartz IV?

Harald Thomé über den schwierigen Zugang zu amtlichen Informationen
 
Harald Thomé ist Vorsitzender des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles aus Wuppertal und Referent für Arbeitslosenrecht.

ND: Was hat das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) mit den Jobcentern zu tun?
Thomé : Dieses Gesetz wurde am 1. Januar 2006 eingeführt. Es gewährt jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Weil im Hartz-IV-Bereich bekanntlich eine Menge Verwaltungsanweisungen anfallen, sind natürlich auch die Jobcenter davon betroffen.

Können Sie Beispiele nennen?
Der gesamte Bereich der Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern ist über solche Verwaltungsvorschriften geregelt, aber auch das Bildungspaket sowie die Regelung bei Erstausstattungen für Wohnraum. Seit dem 1. Januar dieses Jahres fallen außerdem kommunale Behördenanweisungen unter das Bundes-IFG. Die Jobcenter müssen nun auch die kommunalen Dienstanweisungen jedem Interessierten zugänglich machen.

Wie sieht es damit in der Praxis aus ?
Ich habe im Juni bei 135 Jobcentern in Bayern und Baden-Württemberg Anträge gestellt und beantragt, dass diese Verwaltungsanweisungen und Richtlinien zu den Unterkunftskosten, zum Bildungs- und Teilhabepaket, aber auch zur Erstausstattung von Wohnraum und Bedarfen bei Schwangerschaft und Geburt herausgeben. Nach einem Monat, dem spätesten Termin nach dem solche Informationen von Amts wegen herauszugeben sind, wurden in Bayern die Unterlagen lediglich in elf, in Baden-Württemberg in 17 Fällen vollständig herausgegeben. Mehr als zwei Drittel der Jobcenter haben in den beiden Bundesländern jedoch überhaupt nicht geantwortet. Die übrigen schickten unvollständige Unterlagen. Der Leiter eines Jobcenters hat mir sogar mit einer Anzeige bei der örtlichen Anwaltskammer wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz gedroht.

Wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?
Ich habe die Angelegenheit zunächst öffentlich gemacht. Nach dem 1. August werde ich mich dann an den Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit wenden. Sollten die Behörden auch nach drei Monaten die Unterlagen nicht veröffentlichen, werde ich entsprechende Untätigkeitsklagen einleiten.

Hatten Sie schon erfolgreich geklagt?
Der Erwerbslosenverein Tacheles hatte im Jahr 2006 in Sachen IFG gegen die Bundesagentur für Arbeit geklagt und sie dazu gezwungen, ihre internen Weisungen zum Arbeitslosengeld im Internet zu veröffentlichen. Auch die Informationen, die ich jetzt von den bayerischen und baden-württembergischen Jobcentern angefordert habe, sollen veröffentlicht werden. Es ist schlimm genug, dass dies aus der Erwerbslosenbewegung heraus gefordert werden muss, die Behörden wären doch nach dem Informationsfreiheitsgesetz von sich aus zur Veröffentlichung verpflichtet.

Welche Vorteile haben die Betroffenen davon?
Die Betroffenen können so prüfen, ob die jeweilige behördliche Entscheidung rechtsmäßig ist, und ob das Amt Ermessen ausgeübt hat. Zudem können sie bei der Formulierung von Anträgen auf die wesentlichen, für die Entscheidung erheblichen Umstände hinweisen. Sie können aber auch prüfen, ob das Amt organisiert durch Weisung gegen geltendes Recht verstößt. Letzteres ist ein Phänomen, welches bei Hartz IV nicht selten vorkommt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/203094.mehr-transparenz-bei-hartz-iv.html

Interview: Peter Nowak

Banker im Schatten – François Genoud

Der Schweizer Banker François Genoud, der 1996 mit 81 Jahren Selbstmord verübte, hatte vom Nachlass der NS-Größen Martin Bormann und Joseph Goebbels profitiert und die Verteidigung der Judenmörder Adolf Eichmann und Klaus Barbie.   Seit seiner Jugend reiste Genoud in den arabischen Raum, dort wo 1945 viele ehemalige Nazis untertauchten. In der Frontstellung der arabischen Nationalisten gegen Israel sahen sie die Fortsetzung des nazistischen Kampfes gegen die Juden.   Einige Jahre engagierte sich Genoud  nach der Unabhängigkeit von Frankreich in Algerien, wo er aber wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten bald verhaftet und ausgewiesen wurde. Seit dem 70er Jahren hatte der umtriebige Schweizer auch Kontakte zu militanten Palästinensern,.  Enge Verbindungen hatte Genoud  zu dem als Carlos bekannten Ramirez Sanchez, der für seine Beteiligung an zahlreichen Attentaten eine lebenslängliche Haftstrafe in Frankreich verbüßt. Genoud besuchte ihn mehrmals im Gefängnis und organisierte auch seine Verteidigung.

 Die BRD – ein Eldorado für Altnazis

Während diese  Aktivitäten in den Buchbesprechungen zur jüngst erschienenen Genoud-Biograie von Willi Winkler im Mittelpunkt stand, blieb jener Teil seiner Vita, der die Bundesrepublik betrifft, weitgehend ausgespart. Dateillreich beschreibt der Autor, die Rückkehr der alten NS-Eliten ins politische Leben des westdeutschen Nachfolgestaates unter dem Beifall der politischen Klasse. So begrüßte der erste Bundespräsident der BRD Theo Heuss die Freilassung des Nazi-Außenministers Konstantin von Neurath: „Mit freudiger Genugtuung habe ich … heute die Mitteilung gelesen, … dass das Martyrium dieser Jahre für sie ein Ende gefunden hat.“

Dem hochdekorierten Wehrmachtsgeneral Herrmann-Bernhard Ramcke, in jenen Jahren Idol der NS-Nostalgiker, verhalft Genoud zur Flucht aus einem französischen Gefängnis. Bald formulierte Ramcke in der BRD die Bedingungen für die Fortsetzung des Kampfes gegen  den Bolschewismus. „Ich weiß mich eines Sinnes mit allen meinen Waffenbrüden der gesamten ehemaligen Wehrmacht, dass die Vorbedingung jeder von uns begehrten Wehrbereitschaft die völlige Gleichberechtigung Deutschlands im Rate der anderen Völker sein muss und die Wiedeherstellung der Ehre der deutschen Soldaten und die Freilassung der deutschen Gefangenen aus ihren Kerkern und aus den Händen einer nichtdeutschen Justiz“.             Winkler schildet auch wie die FDP Nordrhein Westfalen von Altnazis und führenden Industriellen in eine NS-Zelle verwandelt werden sollte, was durch die Intervention der britischen Behörden unterbunden werden konnte.  

 Eine enge Freundschaft verband Genoud mit Paul Dickopf, der in der Schweiz für die NS-Abwehr tätig war und in der BRD Präsident des Bundeskriminalamts und später gar Chef von Interpol wurde.  

Man muss  nicht alle Wertungen Winklers teilen, so über die   algerische Unabhängigkeitsbewegung. Verdienst des Autors ist es, aufzuzeigen, was für ein Eldorado die BRD für Altnazis war. Winkler fragt, wieso der Schweizer unbehelligt von der Justiz blieb. Arbeitete Genoud mit den Geheimdiensten zusammen, hatte er Carlos die ganze Zeit getäuscht und schließlich seinen Aufenthaltsort verraten?“    

     Willi Winkler, Der Schattenmann, Rowohlt Berlin, 352 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-87134-626-2

https://www.neues-deutschland.de/artikel/202464.banker-im-schatten.html?sstr=Der|Schattenmann

Peter Nowak

 

»Verhöhnung der Opfer«

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat beschlossen, auf dem Areal des ehemaligen Flughafens Tempelhof einen »Gedenk- und Informationsort« zu errichten. Dort soll an die Opfer des KZ Columbiadamm und die Zwangsarbeiter erinnert werden, die am Flughafen eingesetzt wurden. Beate Winzer, Vorsitzende des »Fördervereins für ein Gedenken an die ­Naziverbrechen in und um das Tempelhofer Feld«, spricht über die Entscheidung.

Small Talk von Peter Nowak

Wie bewerten Sie den Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses, einen Gedenkort für die Opfer des NS-Terrors am Tempelhofer Feld einzurichten?

Lange Jahre wurde über das erste Berliner Konzentrationslager auf dem Areal ebenso geschwiegen wie über die Zwangsarbeiter, die dort seit 1938 für die deutsche Rüstung schuften mussten. Daher ist der Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses ein wichtiger erster Schritt. Jetzt müssen praktische Konsequenzen folgen.

Worin sollten sie bestehen?

Die historisch sensiblen Flächen müssen Grünflächen ohne Sportnutzung werden, damit die Vernichtung historischer Spuren verhindert wird.

Was stört Sie an der Auszeichnung des Tempelhofer Flughafens als »historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst« durch die Bundesingenieurkammer?

Der Flughafen Tempelhof ist ein nationalsozialistisches Monument, in dem die Inszenierung von Technik, zivile Nutzung und Massenvernichtung miteinander verbunden sind. Ingenieure und Physiker haben wie kaum eine andere Berufsgruppe durch Erfindungen wie Bomberflugzeuge, Langstreckenraketen und andere Rüstungsgüter den Vernichtungskrieg des NS-Regimes maßgeblich unterstützt.

Das Areal wird zudem von offizieller Seite immer noch als »Tempelhofer Freiheit« bezeichnet.

Das KZ Columbiadamm auf dem Gelände war ein berüchtigtes Folterzentrum. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde das Tempelhofer Feld mit Barackenlagern für Zwangsarbeiter überzogen. Von der »Tempelhofer Freiheit« zu sprechen, ist eine Verhöhnung der Opfer.

Gibt es Informationen über den Einsatz von jüdischen Zwangsarbeitern auf dem Gelände?

Der Historiker Lutz Budraß konnte 69 Personen identifizieren. Sie haben zwischen 1938 und 1941 als »Zwangsarbeiter im geschlossenen Arbeitseinsatz« für die Lufthansa gearbeitet. In ganz Berlin wurden jüdische Berliner eingesetzt. Sie wurden ab 1941 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

http://jungle-world.com/artikel/2011/28/43589.html

Interview Peter Nowak

Peter Nowak