Mehr Chancengleichheit?

Sabrina Klaus-Schelletter zur Forderung nach einem freien Masterzugang / Klaus-Schelletter ist Referentin in der Abteilung Jugend und Jugendpolitik beim DGB

 ND: Die DGB-Jugend hat sich dieser Tage gemeinsam mit verschiedenen Studentenverbänden gegen die Beschränkung des Zugangs zum Masterstudium für Bachelorabsolventen ausgesprochen. Was verbindet eine Arbeitnehmerorganisation mit Studentenverbänden?
Klaus-Schelletter: Wir setzen uns für u. a. für die Verbesserung der Ausbildungssituation und die Arbeitsbedingungen junger Menschen ein – sowohl auf der betrieblichen wie auf der universitären Ebene. Zudem treten wir als junge Gewerkschafter für die Chancengleichheit im gesamten Bildungssystem ein, damit eine qualifizierte und nachhaltige Bildung unabhängig von Herkunft und Einkommen ermöglicht wird.

 Augenblicklich regelt in vielen Fächern der Notenschnitt beim Bachelorabschluss die Aufnahme zu einem Masterstudium. Sie kritisieren aber nicht nur diesen Numerus clausus (NC).
Richtig. Momentan ist es so, dass Kinder aus Selbstständigen- und Beamtenfamilien, von denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss hat, eine fünfmal höhere Chance als Kinder aus klassischen Arbeiterfamilien haben, ein Studium zu beginnen. Der Anteil von Arbeiterkindern an den Hochschulen liegt nach Ergebnissen von Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerkes seit Jahren stabil bei etwa 20 Prozent. Von Chancengleichheit kann also keine Rede sein. Wir fordern eine gebührenfreie Bildung auf allen Ausbildungsstufen.

 Was sind die Ursachen für die mangelnde Chancengleichheit im Hochschulsystem?
Im Jahr 2008 nannten in einer Erhebung 76 Prozent der Studienberechtigten als Grund für einen Verzicht auf eine Einschreibung an eine Hochschule finanzielle Gründe. Verständlich – immerhin ist die primäre Finanzierungsquelle für Studierende noch immer das Elternhaus, an zweiter Stelle steht der eigene Verdienst. Kinder aus Arbeiterfamilien müssen sich ihr Einkommen während des Studiums häufiger selber mitverdienen als Kinder von Akademikern. Auch die Gründe für Studienabbrüche sind sehr oft finanzieller Natur.

 In der Kritik steht immer wieder die Bologna-Reform. Die war eigentlich dazu gedacht, den Studienzugang zu erleichtern und die Berufschancen von jungen Akademikern zu verbessern. Ist die Reform gescheitert?
Die Probleme stammen überwiegend aus der Zeit vor den Bologna-Reformen, haben sich aber durch Nichtberücksichtigung während des Umbaus des Hochschulsystems verschärft. Die Verkürzung der Studienzeiten hatte eine Verdichtung der Studieninhalte zur Folge. Dadurch werden Kinder aus Arbeiterfamilien strukturell weiter benachteiligt. Studierende, die gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt selber zu bestreiten oder während des Studiums dazuverdienen müssen, haben größere Probleme, die verschärften Anforderungen in ihren jeweiligen Studiengängen erfüllen zu können. Verdichtete Studiengänge mit hoher Arbeitsbelastung und studentische Erwerbsarbeit passen nicht gut zusammen.

 Wie soll ein freier Zugang zum Masterstudium ohne Numerus Clausus Abhilfe schaffen?
Das Bildungssystem in Deutschland funktioniert wie ein Trichter. An jeder Stufe werden Kinder aus nichtakademischen Familien ausgefiltert. Auch der Master ist eine solche Schwelle. Deshalb braucht es dringend den Abbau von Hürden und dafür ist an dieser Stelle der freie Zugang zum Master notwendig. Ein freier Zugang würde eine Schwelle abbauen und wäre ein Beitrag zur Erhöhung der Chancengleichheit im Bildungsbereich.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/195528.mehr-chancengleichheit.html?

Erst Mubarak, dann Ben Ali, jetzt Seyed Ali

Auch im Iran gehen die Menschen wieder auf die Straße, doch das Regime reagiert mit massiver Repression – ein Gespräch mit der Exiliranerin Mila Mossafer
Während die Niederschlagung des Aufstands in Libyen im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit steht, ist es sehr ruhig um den Iran geworden, wo die starke Oppositionsbewegung im letzten Jahr Schlagzeilen machte. Auch im Iran hat sich die Protestbewegung wieder auf die Straßen zurück gemeldet. Die Regierung will mit Massenfestnahmen verhindern, dass sich die die Proteste ausbreiten und versucht auch zu verhindern, dass sie international bekannt werden. In den letzten Tagen sind nach Angaben von Oppositionellen mehr als 200 Menschen festgenommen worden, um weitere Proteste zu unterbinden. Wohl mit Erfolg.
   

Schon seit Monaten sind besonders Intellektuelle und Kulturschaffende im Visier des Regimes. Eine Kommission mit dem bezeichnenden Namen „Denkfabrik für eine sanfte Sicherheit“ hat sie zum Hauptfeind erklärt, wie der exiliranische Publizist Bahman Nirumand schreibt. In einer von dieser Denkfabrik vorgelegten Broschüre geraten auch Künstler ins Visier, die sich nicht explizit als Oppositionelle verstehen.

Über die aktuelle Situation im Iran sprach Peter Nowak mit Mila Mossafer. Die langjährige politische Gefangene im Iran lebt in Berlin und ist im Komitee zur Unterstützung der politischen Gefangenen im Iran-Berlin aktiv. Es wurde 1997 während eines Hungerstreiks von politischen Gefangenen im Iran mit dem Ziel gegründet, die politischen Gefangenen zu unterstützen und für den Sturz des islamischen Regimes einzutreten.

 Am 1. März gab es im Iran wieder Protestaktionen. Was war der Grund?

Mila Mossafer: Der Anlass der Demonstrationen war die Nachricht von der Verhaftung der beiden Politiker Mussawi und Karrubi und deren Verschleppung an einen unbekannten Ort. Bei den Protesten, die in Teheran, Maschhad, Schiras und Isfahan stattfanden, gingen nicht nur die Anhänger von Mussawi und Karrubi auf die Straße. Die Demonstranten forderten nicht nur die Freilassung dieser in den westlichen Medien gezielt zu Oppositionsführern erklärten Politikern, sondern die Freilassung aller politischen Gefangenen und den Sturz des islamischen Systems.

 Geht die Opposition über die von Mussawi und Karrubi eingeschlagenen Kurs hinaus?

Mila Mossafer: Anders als in vielen westlichen Medien dargestellt, gehörte ein Großteil der iranischen Protestbewegung nie zu den Anhängern von Mussawi und Karrubi. Beide sind jahrelange Funktionäre des islamischen Regimes und haben sich an der Unterdrückung Oppositioneller beteiligt. Sie haben immer betont, dass sie hinter der islamischen Verfassung und der islamischen Republik stehen.

Ein Großteil der Protestierenden forderte aber schon bei den Demonstrationen im letzten Jahr den Sturz der islamischen Republik. Bei den jüngsten Protesten wurde noch deutlicher, dass die Bewegung sich nicht auf eine Verteidigung von Mussawi und Karrubi reduzieren lässt. Die Demonstranten schweigen nicht mehr, und ihre Parolen stellen das System insgesamt infrage.

„Bisher fehlt noch eine politische Organisation“

 Fürchtet das Regime, dass die Revolte aus den Nachbarländern auf den Iran übergreift?

Mila Mossafer: Auf jeden Fall. Zu Beginn der Aufstände versuchte das Regime die Bewegungen noch als Fortsetzung der islamischen Revolution zu vereinnahmen. Doch bald kamen im Fernsehen und im Internet keine Meldungen über die Aufstände mehr. Die Opposition hat die Proteste genutzt, um wieder auf die Straße zu gehen. Die massive Repression, die bis zur Hinrichtung von Oppositionellen reichte, hatte dazu geführt, dass im letzten Jahr Straßenproteste nicht mehr möglich waren. Eine Parole bei den letzten Protesten lautete: „Mubarak, Ben Ali, jetzt Seyed Ali“. Damit ist geistige Führer des Iran Khamenei gemeint.

 Wie steht um die Organisierung des Protests?

Mila Mossafer: Bisher fehlt noch eine politische Organisation, die den Protesten, die sich nicht auf de Linie von Mussawi und Karrubi befinden, eine gemeinsame Plattform gibt. Es gibt allerdings Menschenrechtsorganisationen, wie die Mütter vom Tulpenpark. Der Name kommt von dem Park in Teheran, wo sich die Angehörigen von ermordeten politischen Gefangenen der 80er Jahre mit Angehörigen von Opfern der aktuellen Repression einmal in der Woche treffen. Am Anfang hatte sich die Gruppe u.a. vor dem Eingang des berüchtigten Teheraner Ewin-Gefängnis getroffen.

 Beteiligen sich auch Lohnabhängige an den Protesten?

Mila Mossafer: Es gibt regelmäßig Proteste und Streiks von Arbeitern um ihre unmittelbaren Interessen, wie den Kampf um nicht ausgezahlte Löhne und gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Diese Proteste haben kaum Verbindung zu der Demokratiebewegung. Das liegt auch an einer fehlenden politischen Organisation, aber auch an der Verfolgung aktiver Gewerkschafter und Arbeiteraktivisten.

 Warum scheint das Regime in Teheran fester als in Ägypten oder in Tunesien die Macht zu behaupten?

Mila Mossafer: Die Bedingungen sind unterschiedlich. Im Iran sind die Armee und die Milizen Teil des Machtapparates und im Besitz von Banken und Industrieanlagen. Durch einen Sturz des Regimes hätten sie also viel zu verlieren. Dadurch werden sie anders als in Ägypten oder Tunesien kaum die Seiten wechseln. Zudem kann sich das Regime noch auf Teile der Landbevölkerung stützen, die durch den Bau einer Brücke oder eines sozialen Einrichtung zur Loyalität mit dem Regime veranlasst wird. Allerdings wächst auch im Iran der Teil der Bevölkerung, die in den Städten leben.

 Wie kann die Oppositionsbewegung von Deutschland aus unterstützt werden?

Mila Mossafer: Wichtig ist zu erkennen, dass die Debatten über militärische Angriffe auf den Iran nicht der Opposition, sondern dem Regime nützen, weil sie dann die nationalistische Karte spielen kann. Neben der Solidarität mit den politischen Gefangenen sollte die linke Bewegung vor allem dafür sorgen, dass der Export von Technologien aus Deutschland gestoppt wird, mit denen die Oppositionsbewegung bekämpft werden. So wurden die Handys von Oppositionellen mit Programmen abgehört, die von Siemens-Nokia produziert werden. Zudem sind auf Fotos Militärfahrzeuge von Daimler-Chrysler zu sehen, die gegen die Demonstranten eingesetzt werden.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34301/1.html

Peter Nowak

»Schlag ins Gesicht«

Aktivistin Brigitte Vallenthin über eine Hartz-IV-Reform, die keine ist / Brigitte Vallenthin ist Gründerin der »Hartz4-Plattform«. Kürzlich ist ihr Buch »Ich bin dann mal Hartz IV« erschienen

ND: Wie wird das Ergebnis der Hartz-IV-Verhandlungen bei den Betroffenen aufgenommen?
Vallenthin: Es wird als Schlag ins Gesicht wahrgenommen. Die Erhöhung um fünf Euro gleicht nicht einmal die Teuerungsrate aus. Die Missachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist offenkundig. Das Gericht hatte eine transparente Berechnung angemahnt. Nun soll es in diesem Jahr ein Häppchen beim Existenzminimum geben und im nächsten Jahr noch einmal ein Häppchen verteilt werden. Das ist absurd, denn wenn die fünf Euro nicht dem Existenzminimum entsprechen, muss die Erhöhung sofort erfolgen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der SPD bei den Verhandlungen?
Wir haben die Rückkehr der Agenda-2010-SPD erlebt. Es ist sicher kein Zufall, dass das Ergebnis der Verhandlungen erst nach der Hamburg-Wahl bekannt gegeben wurde, wo mit Olaf Scholz ein erklärter Hartz-IV-Befürworter gewonnen hat. Die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss werden von einem großen Teil der Betroffenen als Täuschungsmanöver wahrgenommen. Es ging nicht um ihre Interessen, sondern um parteipolitisches Kalkül.

Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass Hartz IV zu sehr auf den finanziellen Aspekt reduziert wird. War die Debatte dann nicht ohnehin ganz falsch angelegt?
Der Regelsatz ist wichtig. Durch die Fokussierung auf die finanzielle Seite wird allerdings oft nicht genug erwähnt, welche weiteren Verschlechterungen auf die Betroffenen zukommen.

Können Sie einige Beispiele nennen?
Bisher musste das Amt den Betroffenen vor Sanktionen eine rechtsmittelfähige schriftliche Ankündigung machen. In Zukunft soll es ausreichen, wenn der Sachbearbeiter behauptet, der Erwerbslose habe von den Sanktionen Kenntnis.

Eine weitere Verschlechterung ist die Pauschalierung der Kosten für die Unterkunft durch die Kommunen. Sie können künftig einen bestimmten Betrag für die Miet- und Heizkosten festlegen. Den Rest muss der Erwerbslose von seinem Regelsatz zahlen. Es ist zu befürchten, dass die klammen Kommunen die Summe nach Kassenlage bestimmen werden. Verbände warnen schon jetzt vor steigender Obdachlosigkeit von Erwerbslosen.

War es nicht ohnehin illusorisch, von einem Richterspruch Verbesserungen für Erwerbslose zu erwarten?
Es ist immer trügerisch, zu viele Hoffnungen in den Staat und in die Gerichte zu setzen. Doch der Gang nach Karlsruhe hat den Erwerbslosen mehr Öffentlichkeit gebracht. Es gab eine kurze Zeit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wo nicht nur Propaganda durch den Blätterwald rauschte. Es wurde auch über die tatsächliche Situation der Betroffenen geredet. Deswegen werden wir von der Hartz4-Plattform nach Inkrafttreten des Gesetzes erneut den Rechtsweg beschreiten, ohne uns Illusionen über die Gerichte zu machen.

Zeigt die Orientierung vieler Erwerbsloser an den Gerichten nicht auch eine Schwäche der Erwerbslosenbewegung?
Dass die Betroffenen schwer zu mobilisieren sind, liegt unter anderem daran, dass ihnen das Geld fehlt, um zu Demonstrationen zu fahren. Außerdem hat das Hartz-IV-Regime nicht nur eine finanzielle Seite. Das muss man immer wieder betonen. Die damit verbundenen Schikanen und Demütigungen setzen viele Betroffene psychisch so unter Druck, dass sie nicht mehr die Kraft zu Protesten haben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/191781.schlag-ins-gesicht.html

Fragen: Peter Nowak

Gegen Krieg und Kürzungen?

Inge Höger zu Protesten gegen die Verlängerung des Afghanistanmandats / Höger, LINKE-Abgeordnete im Bundestag und abrüstungspolitische Sprecherin, ist aktiv im Bündnis gegen Mandatsverlängerung

ND: Am Freitag wurde im Bundestag in erster Lesung die Verlängerung des Afghanistanmandats behandelt. Bis zur endgültigen Abstimmung soll gegen diese Kriegsverlängerung demonstriert werden.
Höger: Ende Januar wird über die Verlängerung des Bundestagsmandats in Afghanistan abgestimmt. Dort wird eine Mehrheit dafür stimmen, obwohl sich in allen Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Afghanistaneinsatz ausspricht. Am heutigen Sonnabend wird das Bündnis gegen die Mandatsverlängerung mit einem bundesweiten dezentralen Aktionstag seinen Protest auf die Straße tragen. Im Berliner Stadtteil Neukölln wird es eine Demonstration unter dem Motto »Bundeswehr und NATO raus aus Afghanistan – Gemeinsam gegen Krieg, Besatzung und Rassismus« geben. Dort bin ich eine der Rednerinnen. Auch in Hamburg, Stuttgart, Köln, Essen, Bonn und Duisburg wird es Aktionen gegen die Mandatsverlängerung geben.

Ersetzt das Bündnis gegen Mandatsverlängerung die Arbeit der Friedensbewegung, die in letzter Zeit wenig Zulauf hatte?
Die Bündnisse sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Aber es gibt gute Kontakte zu Gruppen der Friedensbewegung. Daneben beteiligen sich seit der Mobilisierung gegen die NATO-Konferenz 2009 in Straßburg auch Antifagruppen und autonome Antimilitarismusgruppen an den Protesten. Auch der Kontakt zu migrantischen Gruppen hat sich in der letzten Zeit verbessert. Die LINKE ruft dazu auf, sich an den Aktionen zu beteiligen.

Spielt der Zusammenhang zwischen Krieg und Sozialkürzungen in dem Bündnis eine Rolle?
Für mich auf jeden Fall und im Bündnis wird auch darüber diskutiert. Das Geld, das für Rüstung und Kriegseinsätze ausgegeben wird, fehlt bei der Bildung oder bei dem Geld für Erwerbslose. Leider ist es bisher nicht gelungen, die DGB-Gewerkschaften in den Protest gegen den Afghanistaneinsatz einzubeziehen.

Lässt nicht die Beliebtheit, die ausgerechnet der Bundesverteidigungsminister laut Umfragen genießt, daran zweifeln, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Afghanistankrieg ablehnt?
Der Minister wird von einem Großteil der Medien gepusht und kommt auf große Zustimmungswerte. Ich glaube, dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Zusammenhang zu seiner aktiven Rolle im Afghanistaneinsatz herstellt. Und dass er das Massaker der Bundeswehr in Kundus zunächst vertuscht hat, wird ebenfalls häufig ausgeblendet. Es ist auch Aufgabe der antimilitaristischen Bewegung, darauf hinzuweisen.

Sind über dieses Wochenende hinaus weitere Aktionen gegen den Afghanistaneinsatz geplant?
Es gab im letzten Jahr Aktionen wie den Fuldaer Appell, wo auf lokaler Ebene unter Einbeziehung des DGB Unterschriften für ein Ende des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr gesammelt wurden. Zurzeit werden Unterschriften unter einem Appell von Friedensorganisationen zu einem Ende des Afghanistankriegs gesammelt. Am 28. und 29. Januar lädt die LINKE im Bundestag unter dem Motto »Das andere Afghanistan« zu einer Konferenz ins Berliner Paul-Löbe-Haus ein, an der die afghanische Frauenrechtlerin Malalai Joya teilnehmen wird. Am 19. und 20. Februar organisiert die Friedensbewegung gemeinsam mit dem entwicklungspolitischen Zusammenhang Venro einen Afghanistankongress in Hannover, wo über Perspektiven für konkrete Schritte zu Frieden und Entwicklung in Afghanistan diskutiert werden soll.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/189119.gegen-krieg-und-kuerzungen.html

Fragen: Peter Nowak

Termine unter: 3a.blogsport.de/mandatsverlaengerung/

Suche nach Protestidee für alle

Linke.SDS wächst weiter / Bundeskongress in Regensburg
Sascha Collet (S.C.) hat das Magisterstudium in Soziologie und Philosophie abgeschlossen und wurde am Wochenende zum Bundesgeschäftsführer des Studierendenverbandes Die Linke.SDS gewählt. Über die Ergebnisse des Bundeskongresses in Regensburg sprach Peter Nowak mit ihm.
ND: Was war der Schwerpunkt des Kongresses in Regensburg?

Collet: Wir haben die Perspektiven von Die Linke.SDS für 2011 festgelegt. Viele Anträge auf dem Kongress haben sich mit inhaltlichen Themen beschäftigt.
 Ökologie wurde dabei ebenso angesprochen wie der antimuslemische Rassismus. Einen Schwerpunkt bildete  die   selbstkritische Beschäftigung mit der Entwicklung  des Verbands.    
ND: Wurde auch kritisiert, dass der Verband an den Hochschulen stagniert und zu viele außeruniversitäre Aktionen unternimmt?                                                                            

 S.C.:   Wir machen nicht nur Hochschulpolitik sondern Politik an der Hochschule und  mobilisieren daher auch in diesem Jahr gegen den Neonaziaufmarsch in Dresden. Allerdings  haben wir auf den Kongress ein hochschulpolitisches Qualifizierungssemester beschlossen.    Damit  wollen wir uns mit konkreten Problemen an den Hochschulen , wie beispielsweise die doppelten Jahrgänge im nächsten Semester in manchen Bundesländern, auseinandersetzen.  

ND: Wurde auch  über die Ursachen und mögliche Gegenstrategien zur momentanen Flaute der Proteste an den Hochschulen diskutiert?                                                                          

S.C.:   Für das Abflauen der Proteste gibt es  eine ganze Reihe von Ursachen.   Die Ermüdungserscheinungen mancher Aktivisten, die oft ein ganzes Semester für die Proteste geopfert haben, gehören dazu. Aber auch die Belastung der Bachelorstudierenden, die derart mit dem Studium beschäftigt sind, dass sie keine Zeit mehr für politische Aktivitäten haben.      Wir wollen das Semester nutzen, um die Debatte weiterzuführen und auch um Vorschläge zu entwickeln, wie wir die Proteste an den Hochschulen  fortsetzen können. 

ND:Das klingt ziemlich vage.                                                                                             

 S.C.:   Wir hatten schon im letzten Jahr den Vorschlag  eines Besetzungsstreiks in die Debatte geworfen, sind aber auch für andere Aktionsvorschläge offen. Es muss darum gehen, möglichst viele Studierende in die Proteste einzubinden. 

ND: Hat das Interesse am Verband mit dem Abflauen der Studierendenproteste nachgelassen?               

 S.C.:  Nein, diesen Zusammenhang gibt es nicht.  Sicherlich sind am Ende der Studierendenproteste, als sich abzeichnete, dass die Bewegung abflaut, viele Aktivisten in den    Verband eingetreten, weil sie sich weiterhin politisch engagieren wollten.       Aber auch jetzt wächst Die Linke.SDS weiter und  neue Gruppen entstehen.   

ND: Spielte es auf dem Kongress die Entwicklung der Linken eine Rolle?                               

S.C.: Wir hatten so viele andere Themen auf der Tagesordnung. Deshalb hat die Entwicklung in der Linken dieses Mal keine große Rolle gespielt.

ND: Im Streit um die Kommunismusäußerungen von Gesine Lötzsch mit der Parteivorsitzenden geäußert. Ist dieses Bekenntnis im Verband umstritten.                                                                                                                 

 S.C.:  Unser Ziel ist eine herrschaftsfreie und klassenlose Gesellschaft, die unter den Begriff Kommunismus zusammengefasst werden kann. Dabei  leugnen wir keineswegs die Verbrechen in den realsozialistischen Ländern. Die Konsequenz für uns lautet, dass Kommunismus ohne individuelle Freiheit undenkbar ist, was schon Karl Marx betonte.  Mit der Solidaritätserklärung  unterstützten wir Gesine Lötzsch  gegen eine Kampagne.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/188664.suche-nach-protestidee-fuer-alle.html

Peter Nowak

Dunkelziffer dürfte viel höher sein

Wolf-Dietrich Molzow unterstützt die Klage gegen Bayer-Schering
  
ND: Was fordern Sie von Bayer-Schering?
Molzow: Die Firma soll die Verantwortung übernehmen und für die Schäden aufkommen, die durch die Anwendung von Duogynon entstanden sind. Als erstes muss die Firma die Akten öffentlich machen, die vorhanden sein müssen.

Gibt es Schätzungen über die Zahl der Betroffenen?
Es haben sich in der letzten Zeit bei André Sommer etwa 200 Menschen gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte aber viel höher sein. Viele Betroffene scheuen die Öffentlichkeit. Zudem dürfte in vielen Fällen der Zusammenhang zwischen körperlichen Schädigungen und der Einnahme von Duogynon noch gar nicht bekannt sein.

Wann haben Sie selber Ihre Missbildungen – ca. 30 cm lange knielose Beine mit nur einem gebogenen Knochen, mangelhaft ausgebildete Hüftgelenke und verkürzte Oberarme – mit dem Medikament in Verbindung gebracht?
Nachdem der Gynäkologe meiner Mutter seine Praxis aus Altersgründen geschlossen hatte, sprach dessen Sprechstundenhilfe meine Mutter auf der Straße an und sagte, das seien die Folgen der Duogynon-Injektion. Meine Mutter hat allerdings nichts unternommen.

Sind Sie in der Angelegenheit aktiv geworden?
Ein Rechtsanwalt, der auf Fälle von Schädigungen durch Medikamente spezialisiert ist, gab mir die Auskunft, ich müsse mir einen Gutachter suchen, der den Zusammenhang zwischen meiner Schädigung und der Einnahme von Duogynon durch meine Mutter bestätigt. Dies dürfte aber sehr schwierig sein. Mittlerweile ist das öffentliche Interesse an den Folgen von Ärzte- und Medikamentenfehlern jedoch gewachsen.

Der Contergan-Skandal ist immer noch der bekannteste Fall.
Er ist auch ein trauriges Beispiel. Das Verfahren wurde gegen die Zahlung einer Geldsumme eingestellt, die bei 1000 Betroffenen über 50 Jahre verteilt für monatlich knapp 200 DM ausgereicht hätte. Man hatte nicht gedacht, dass es so viele Opfer dieses Medikaments gibt und dass sie so lange leben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185344.dunkelziffer-duerfte-viel-hoeher-sein.html

Interview: Peter Nowak

Jung, muslimisch, gewalttätig?

Sanem Kleff über die angebliche »Deutschenfeindlichkeit« an Schulen / Die Pädagogin leitet das Projekt »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«

ND: Waren Sie überrascht über die aktuelle Debatte zur Deutschenfeindlichkeit an manchen Schulen? Kleff: Die Debatte hat mich überrascht, weil es sich hier um ein altbekanntes Phänomen handelt. Überall, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt, können solche Diskriminierungserfahrungen beobachtet werden. Dabei ist die Zusammensetzung dieser Gruppen beliebig. Wenn beispielsweise in einer Schule sehr viele Dänen und die Deutschen in der Minderheit sind, kann es  ebenso zu Mobbings kommen.

2.)   Hat man zulange Migranten nur als Opfer von Diskriminierung wahrgenommen?

         S.K.: Nein, denn man darf bei das gesellschaftliche Umfeld nicht vergessen. Es gibt  wenige Schulen, in denen Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in der Mehrheit sind. In den meisten Schulen sind sie in der Minderheit und oft selber Diskriminierungen ausgesetzt ist.      

3.)   Was stört Sie an der aktuellen Debatte?                                                                                

 S.K.: Was mir nicht gefällt ist, dass sich ausgerechnet jetzt, wo das ganze Land scheinbar auf dem Sarrazin-Trip ist, Lehrer in dieser Weise zu Wort melden. Sie schreiben über altbekanntes mit dem Gestus, das wird man doch sagen dürfen. Sie verwenden den Begriff der Deutschenfeindlichkeit, der lange Zeit von der neuen Rechten gebraucht wird. Und sie verknüpfen das von ihnen kritisierte Verhalten mit dem angeblichen moslemischen Hintergrund der Schüler. Damit finden sie sich im Einklang mit einer veröffentlichten Meinung, wie sie von Sarrazin bis zu Alice Schwarzer und Hendrik M. Broder  vertreten wird.

4.)   Warum sollte die Religion aus der Debatte keine Rolle spielen?                                

S.K.: Weil es keine empirischen Belege für eine  besondere Gewalttätigkeit der Jugendlichen mit moslemischem Hintergrund gibt.      Es wird oft fälschlich der Eindruck erweckt, als wenn sich Jugendliche mit migrantischen Hintergrund in den Klauen von antiwestlichen, islamistische Gruppen befinden würden. Ich frage mich, welche Konsequenzen wir eigentlich daraus ableiten sollen, wenn eine Religion für ein bestimmtes FehlVerhalten verantwortlich gemacht wird.   

5.)   Wird die Schule wirklich immer mehr zur Kampfzone, wie manche Boulevardmedien suggerieren?            

S.K.: Es trifft nicht  zu, dass die Gewalt in den Schulen immer mehr um sich greift. Die Gewalt ist in den Schulen im letzten Jahrzehnt  zurück gegangen, wie durch Polizeiberichte belegt werden kann.       Zugenommen haben dagegen Mobbings und andere Diskriminierungen. So sind an manchen Schulen  „Jude“ oder  „du Opfer“ zu häufige Schimpfworten geworden. Eine Debatte über die angebliche Deutschenfeindlichkeit trifft das Problem dagegen nicht.

6.)     Wie können Pädagogen an den Schulen gegen solche Diskriminierungen von Minderheiten vorgehen?                                              

                                               S.K.:    Indem wir alle Formen von Diskriminierung ernst nehmen und die Elemente in den Schulen stärken, die sich dagegen zur Wehr setzen, Das Projekt Schule gegen Rassismus hat es deshalb immer abgelehnt, einzelne Diskriminierungsphänomene wie Antisemitismus, Homophobie,  Rassismus isoliert wahrzunehmen. Es gibt sehr viele pädagogische Instrumente um hier einzugreifen. Ich nenne hier nur stichwortartig den Einsatz von Streitschlichtern und Konfliktlotsen, aber auch den Aufbau  von Räumen und Zeiten, in denen die Auseinandersetzung mit den Schülern und ihren Problemen möglich ist.

Peter Nowak                                                      

„Krach statt Kohldampf“

Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg über Hartz IV, ausreichende Ernährung und den Protest der Betroffenen
Der Freitag: Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV machten vor einigen Jahren über Wochen Schlagzeilen. Seither gibt es kaum noch Proteste – wird sich das in diesem herbst ändern?

Guido Grüner: Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System ist. Das war so seit Einführung 2005. Und das ist es heute umso mehr, weil der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder, Familien mit Kindern. Die Leistungen für Kinder wurden gegenüber der alten Sozialhilfe mit Hartz IV direkt gekürzt. Hiergegen regte sich schon lange Widerstand – durchaus mit ersten Erfolgen. 2008 wurde eine Schulbeihilfe von 100 Euro im Jahr eingeführt, in diesem Jahr die Erhöhung des Kinderzuschlags um rund 35 Euro.

Ein Erfolg von Protesten?

Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben. Andere klagten vor dem Bundesverfassungsgericht – das den Gesetzgeber verpflichtete, die Leistungen realitätsgerecht und nachvollziehbar neu festzusetzen. Die politische Diskussion darüber wollen wir jetzt nutzen, um unsere Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir haben uns entschieden, einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens herauszugreifen, um an diesem deutlich zu machen, dass Hartz IV nicht geht, dass die Leistungen deutlich angehoben werden müssen.

Was sind Ihre Forderungen?

Ganz konkret fordern wir 80 Euro mehr für Ernährung. Denn mit den bisher knapp 120 Euro, die im Regelsatz eines Erwachsenen für Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend, geschweige denn gesund ernähren. Für 200 Euro im Monat lässt sich wenigstens der Kalorienbedarf eines Erwachsenen sichern, der sich auch mal bewegt und sein Essen nicht nur von Billigstanbietern bezieht.

Das klingt dennoch eher bescheiden.

Die Kritik hören wir immer wieder: Warum fordert ihr „nur 80 Euro”? Wer aber unsere Forderung wirklich verstanden hat und sich über das politische Umfeld im Klaren ist, wird das anders sehen.

Warum?

Die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, die Bundesrepublik soll verfestigt werden als Exportstandort mit einer immer mehr unter der Hungerknute und Verarmungsängsten stehenden Arbeitnehmern. Und so lange die Leistungen für Erwerbslose – so wie es heute geschehen soll – von dem immer weiter sinkenden Verbrauch der untersten Einkommensgruppen abgeleitet wird, bleibt es bei dieser Abwärtsspirale. Denn sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen wiederum die Arbeitnehmer unter Druck – ein Elend ohne Ende. Diese Entwicklung wollen wir durchbrechen. Unsere konkret durchsetzbare Forderung stellt mehr in Frage, sie beschränkt sich nicht nur auf den Sozialhilfebereich, sondern legt den Finger in die Wunde untragbarer Zustände. Es geht uns eben auch um die schikanösen und armseligen Arbeitsverhältnisse bei Discountern und Lebensmittelproduzenten – nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit.

Was haben Sie konkret geplant?

Wenn Anfang Oktober der Gesetzgebungsprozess zur Neuregelung von Hartz IV anläuft, gehen wir in Oldenburg auf die Straße. Wir wollen laut genug für alle unsere Forderungen verbreiten, wollen die Abgeordneten und die Bundesregierung in eine Lage bringen, in der sie ihre Entscheidungen zu rechtfertigen haben. „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ wird die zentrale Demonstration, bei der die Auseinandersetzung um das Existenzminimum von Millionen Menschen, nicht nur in der Bundesrepublik, ganz direkt zum Thema gemacht und mit einer konkreten Forderung versehen wird.

Wie ist bisher die Resonanz?

Gut. Im Internet haben viele unseren Aufruf sehr positiv aufgenommen und weiter verbreitet. Und in Oldenburg haben wir eine sehr breite Unterstützung – von unseren Milchbauern über zahlreiche Gewerkschaften, Sozialverbände und auch autonome Gruppen bis hin zu einigen Gliederungen von Parteien.

Für den Herbst sind inzwischen eine ganze Reihe von Protesten gegen das schwarz-gelbe Sparpaket, die Sozialpolitik und die Gesundheitsreform angekündigt. Die Gewerkschaften bereiten Aktionswochen vor, es soll zentrale Demonstrationen geben – und dezentrale Proteste. Gibt es da eine politische Gesamtdramaturgie oder eher Konkurrenz zwischen den verschiedenen Bündnissen?

Je eher sich Menschen im Alltag wehren, dabei Erfahrungen sammeln und Erfolge erzielen, desto eher trauen sich auch andere, für ihre Interessen offensiv aufzutreten. Und je eher wir bei zentralen, von den Medien stark wahrgenommenen Aktionen selbstbewusst und unverkennbar unsere Vorstellungen von einer gerechten Welt vorbringen können, umso besser können sich Menschen auch regional und vor Ort der zahlreichen Ungerechtigkeiten und Demütigungen des Alltages erwehren. Zentrale und dezentrale Erfolge könnten sich gegenseitig verstärken. Wir sollten das nicht destruktiv gegeneinander stellen. Auch sollten wir lernen, uns über unsere Strategien und Handlungsziele auszutauschen und zu verständigen. Dazu geben gute Aktionen die nötige Kraft und Ausdauer.

 

Hintergrund
Guido Grüner ist Mitarbeiter der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg und Mitorganisator der bundesweiten Erwerbslosendemonstration „Krachschlagen statt Kohldampf schieben“, die am 10. Oktober in Oldenburg stattfindet

http://www.freitag.de/wochenthema/1038-201ekrach-statt-kohldampf201c?searchterm=Guido+Gr%C3%BCner+ALSO

Interview: Peter Nowak

80 Euro mehr für Ernährung


Diskussion um neue Regelsätze für Hartz IV motiviert Erwerbslosengruppen
Die Debatte um die Höhe Hartz IV-Regelsätze hat begonnen. Das Bundesarbeitsministerium will in den nächsten Tagen Zahlen vorlegen. Doch schon jetzt ist klar, dass nach dem Willen der Regierung die Reform nicht teuer werden soll. Die Regelsätze sollen an die Lohn- und Preisentwicklung gekoppelt werden. Der paritätische Wohlfahrtsverband und die Oppositionsparteien kritisieren die Regierungspolitik. Am Ende könnte wieder die Justiz entscheiden.
   

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon im Februar 2010 entschieden, dass die Hartz IV-Sätze neufestgelegt werden müssen, ohne sich auf konkrete Zahlen festzulegen. Die Diskussion um die Neufestsetzung der Hartz IV-Sätze hat auch die Erwerbslosenbewegung wieder zu neuen Aktivitäten motiviert.

In den letzten Jahren konzentrierten sich die Aktivisten vor allem auf lokale aber durchaus nicht erfolglose Proteste, die auch jetzt wieder in verschiedenen Städten vorbereitet werden. So soll am 1.Oktober vor dem Neuköllner Jobcenter in Berlin ein temporäres soziales Zentrum errichtet werden.

Demo in Oldenburg

Schon unmittelbar nach der Karlsruher Entscheidung trafen sich Initiativen aus unterschiedlichen Spektren der Erwerbslosenbewegung. Dort verständigte man sich auf die Organisierung einer bundesweiten Demonstration in Oldenburg am 10. Oktober. Sie wird unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ stehen. Die Organisatoren rufen dazu auf, Kochtöpfe und Kochlöffel mit zu bringen, um das Motto auch in die Tat umzusetzen.

Dass Oldenburg als Demonstrationsort ausgewählt wurde, liegt an der jahrelangen Aktivität der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), die in der Lage ist, die nötige Logistik für eine solche Aktion zu stellen. Telepolis sprach mit Guido Grüner von der ALSO über das Konzept der Demonstration und die weiteren Planungen.

„Wir wollen die Armutsspirale durchbrechen“

 Nach den Anti-Hartz-Protesten gab es kaum noch bundesweite Proteste von Erwerbslosen. Beginnt sich das mit der Demo zu ändern?

Guido Grüner: Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System. Das war so seit Einführung zum 1.1.2005. Und das gilt heute umso mehr, als der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder und Familien mit Kindern. Die Leistungen für Kinder wurden gegenüber der alten Sozialhilfe mit Hartz IV direkt gekürzt. Hiergegen regte sich schon lange Widerstand. Dieser brachte Erwerbslosen 2008 und 2009 erste Erfolge: Die Schulbeihilfe von 100 EUR jährlich zum 1.8. und ein monatlicher Zuschlag für Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren um rund 35 EUR seit dem 1.7.09. Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben.

Andere Erwerbslose klagten gegen Hartz IV und gingen bis zum Bundesverfassungsgericht. Dort wurde dem Gesetzgeber die Verletzung der Menschenwürde durch Hartz IV und dessen unzureichende Leistungen vorgehalten. Die Leistungen müssen daher zum 1.1.2011 neu festgesetzt werden: realitätsgerecht und nachvollziehbar, wie die Richter formulierten.

Damit wurde den Regierungsparteien ein Gesetzgebungsverfahren aufgezwungen, das Erwerbslosennetzwerke nutzen wollen. Wir gehen Anfang Oktober auf die Straße, weil dann der Gesetzgebungsprozess anlaufen wird. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die Regelsatzfestsetzung sollen bis Ende September 2010 ausgewertet vorliegen. Anfang Oktober beginnen die parlamentarischen Prozeduren. Wir wollen laut genug für alle unsere Forderungen verbreiten, wollen die Parlamentarier in eine Lage bringen, wo sie ihre Entscheidungen zu rechtfertigen haben.

 Was sind Ihre Forderungen?

Guido Grüner: Wir haben uns entschieden, einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens herauszugreifen, um daran deutlich zu machen, dass die Leistungen deutlich angehoben werden müssen. Ganz konkret fordern wir 80 Euro mehr für Ernährung. Denn mit dem knapp 120 Euro, die im Regelsatz eines Erwachsenen fürs Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend, geschweige denn gesund ernähren. Wir fordern 80 Euro mehr, also rund 200 Euro für Ernährung im Monat, damit zumindest der Kalorienbedarf eines Erwachsenen gesichert werden kann, der sich auch mal bewegt und sein Essen nicht nur von Billiganbietern bezieht.

 Was sagen Sie zu der Kritik einiger Erwerbslosengruppen, dass diese Forderungen zu bescheiden sind?

Guido Grüner: Viele kritisieren uns, da wir „nur 80 Euro“ fordern. Aber ich glaube, dass sie unsere Forderung noch nicht verstanden haben, sich vielleicht gar über das politische Umfeld unserer Forderung im Unklaren sind.

Denn die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen. Die BRD soll verfestigt werden als Exportstandort mit immer mehr unter der Hungerknute oder Verarmungsängsten stehenden Arbeitnehmer. Und so lange die Leistungen für Erwerbslose, so wie es heute geschehen soll, von dem immer weiter sinkenden Verbrauch der untersten Einkommensgruppen abgeleitet werden sollen, bleibt es bei dieser Abwärtsspirale. Denn sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen wiederum die Arbeitnehmer unter Druck – ein Elend ohne Ende.

Diese Entwicklung wollen wir durchbrechen, wie schon mit der Forderung nach mehr Leistungen für Kinder in den letzten Jahren. Deshalb fordern wir ein höheres Einkommen, die wir jedem anhand der heutigen Unterversorgung im Bereich der Ernährung konkret erklären können. Wenn wir diese Forderung durchsetzen, stellen wir mehr in Frage. Wir gehen damit über eine bloße ‚mehr Sozialhilfe-Forderung‘ hinaus. Wir legen den Finger in die Wunde der gesellschaftlich untragbaren Zustände der schikanösen und armseligen Arbeitsverhältnisse bei Discountern oder bei den Lebensmittelproduzenten, seien sie hier oder in anderen Teilen der ganzen Welt.

Nicht nur Belange der Erwerbslosen

 Es geht also nicht nur um Belange der Erwerbslosen?

Guido Grüner: Nein, wir ordnen unsere Forderung ein in einen Kampf für ein menschenwürdiges Leben, für existenzsichernde Leistungen, für Mindestlöhne oberhalb der Armutsgrenze. Die Forderung nach 80 Euro mehr für Ernährung steht zudem nicht gegen Forderungen nach einer insgesamt noch deutlich höheren Regelleistung oder einer repressionsfreien Grundsicherung.

Denn wir sagen mit der Forderung für den Ernährungsanteil des Regelsatzes noch gar nichts darüber, welche Zuschläge bei den anderen Bedarfsbereichen für ein menschenwürdiges Leben nötig wären. Wir setzen lediglich einen thematischen Schwerpunkt, wollen hier für unsere Forderung gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen und uns Bündnismöglichkeiten eröffnen.

 Wie hat sich die Zusammenarbeit innerhalb den doch sehr heterogenen Erwerbslosenbewegung entwickelt?

Guido Grüner: Die Forderung und die Ausrichtung unserer Kampagne sind Ergebnis regelmäßiger Treffen von fünf Erwerbslosennetzwerken und zwei Erwerbsloseninitiativen mit überregionaler Bedeutung in der ersten Jahreshälfte 2010. Dort wurde zum einen an die Zusammenarbeit bei der Kampagne „Gemeinsam gegen Kinderarmut“ oder zur Ämterbegleitung „Keiner muss allein zum Amt“ angeknüpft, die spektrenübergreifend Erfolge brachten. Dazu hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen erheblich beigetragen.

Zum anderen wurde eine Brücke geschlagen zur sog. „Triade“, der Forderung nach 500 Euro Regelleistung, 10 Euro Mindeststundenlohn und 30 Stunden höchste Wochenarbeitszeit. Denn die Forderung 80 Euro mehr für Ernährung greift ein zentrales Moment der Triadenargumentation auf.

Es spielte dabei, das sei hier aus Sicht der ALSO ausdrücklich betont, keine Rolle, ob die Erwerbslosenzusammenhänge den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen oder eher der neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind

 Sind nach der Demo weitere Erwerbslosenaktionen geplant?

Guido Grüner: Wir wollen in Oldenburg unseren Anliegen Gehör verschaffen. Das wird umso wichtiger, als Politiker sich heute scheinbar jeder Rechtfertigung und Debatte entziehen wollen. Und die diesjährige Auseinandersetzung um die Höhe der Regelleistung fängt erst an.

Armut und Elend werden üblicherweise in der BRD unsichtbar gemacht. Wenn wir auffällig werden, wollen sie uns in die kriminalistische oder psychiatrische Schublade stecken. Da machen wir nicht weiter mit. Wir stehen laut auf, wollen daran arbeiten, dass dies Menschen immer und überall tun, wo unsere gemeinsamen Anliegen unter den Teppich gekehrt werden sollen. Überall wo Vertreter der vorherrschenden Politik in diesem Herbst auftreten, können wir ihnen mit unseren Forderungen laut entgegen treten.

 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33357/1.html

Peter Nowak

Sicherheit im städtischen Raum

Sicherheitsbranche zwischen Niedriglohn und Law-and-Order-Praktiken
Die Sicherheitsbranche gehört seit Jahren zu den boomenden Branchen im Niedriglohnsektor. Gewerkschaften versuchen seit Jahren das Personal in dieser Branche zu organisieren, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Gleichzeitig ist der boomende Sicherheitsbereich für viele bürgerrechtliche Organisationen auch eine Quelle von Überwachung, Ausgrenzung und Law-and-Order-Praktiken. Mit diesen Ambivalenzen wird sich am Wochenende die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte internationale Konferenz Städtische Sicherheitspolitiken im internationalen Vergleich – Urban Security Work Spaces beschäftigen. Telepolis sprach mit zwei Konferenzorganisatoren, den Politikwissenschaftlern Kendra Briken und Volker Eick, die beide seit Jahren zu den internationalen Sicherheitspolitiken forschen.
   
 Welche Ziele verfolgen Sie mit der Konferenz?

Volker Eick: Es sind drei Ziele: Erstens, wir brauchen eine gesellschaftspolitische Diskussion über die Zukunft, Qualifikation und Legitimation des privaten Sicherheitsgewerbes im öffentlichen Raum. Mit Blick auf die Vorkommnisse während der jüngsten Loveparade sprechen wir vom „Duisburg-Komplex“. Wir müssen zweitens zur Kenntnis nehmen, dass staatliche Polizei bei Großveranstaltungen, wie etwa bei politischen Demonstrationen, regelmäßig Demonstranten tötet. Wir brauchen auch über diese Tatsache, den „Genua-Komplex“, eine Diskussion. Drittens, Polizeibeamte und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste sind als Beschäftigte auf einem sich globalisierenden Arbeitsmarkt tätig. Wir haben es mit einem Markt zu tun, auf dem Angebot und Nachfrage von interessierter Seite auch geschaffen werden. Wie dieser Arbeitsmarkt strukturiert ist, wie er reguliert wird oder eben nicht, wer hier mit wem zusammenarbeitet, welchen Einfluss die gegenwärtige Krise auf das Verhalten von beiden Berufsgruppen hat, wer wen wofür ins offene Messer laufen lässt, darüber wollen wir reden.

 Kendra Briken: Unsere Annahme bei allen drei Punkten ist, dass „Sicherheit“ zu einer Rechtfertigung für staatliche wie privatwirtschaftliche Interventionen bzw. Angebote geworden ist. Auf dem Spiel steht dann, da machen die libertären Ansätze, etwa solche der Piratenpartei oder diejenigen Ansätze aus dem Spektrum der Linkspartei einen richtigen Punkt, die individuelle Freiheit. Zugleich folgen sie damit aber einem Diskurs, der sie ins politische Aus stellt. Sicherheit und Unsicherheit werden konstruiert, sie sind Ausdruck von Macht, Interessen und sozialer Ungleichheit. Sicherheit ist ein soziales Verhältnis, auch das wird zu diskutieren sein.

 Welche Themen stehen im Vordergrund?

Volker Eick: Wir haben uns drei Aufgaben gestellt, die alle international vergleichend angegangen werden: Wir wollen besser verstehen, wie von Seiten der Polizei und von privaten Sicherheitsdiensten mit so genannten Randgruppen, etwa Obdachlosen, im öffentlichen Raum umgegangen wird. Wir wollen aber auch klären, welche Strategien Polizei einsetzt, um politischem Protest zu begegnen. Wenn in einer Krise wie der gegenwärtigen der Protest zunimmt, was bedeutet das aus polizeilicher Sicht? In Arizona beispielsweise hat man von Regierungsseite aus begonnen, so genannte illegale Ausländer zu jagen, um von der wirtschaftlichen Not abzulenken. In Frankreich beobachten wir ein ähnliches Phänomen; dort werden derzeit EU-Bürger abgeschoben. Drittens, wie verändert sich unter Krisenbedingungen das Anforderungsprofil an die Polizei, an private Sicherheitsdienste?

 Welche Auswirkungen hat die Wirtschaftskrise auf die städtische Sicherheitspolitik?

Volker Eick: Zunächst einmal wächst das private Wach- und Sicherheitsgewerbe im Zeichen der Krise.

Kendra Briken: Das schlägt sich aber nicht positiv auf den Lohnzetteln der Beschäftigten nieder, sondern bei den Profiten der Unternehmen. Man kann sagen, dass die gegenwärtige Krise einen Markt geschaffen hat, auf dem sich Geld verdienen lässt. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, die die private Sicherheitsbranche rechtlich nicht reguliert haben. Verfolgt man die Debatten, will man das wohl auch nicht.

Volker Eick: Der Polizeiapparat reagiert langsamer, aber auch hier ist absehbar: Mit Depression kommt Repression, während gleichzeitig über neue Präventionsstrategien nachgedacht wird.

 Gibt es gewerkschaftliche Strategien, um dem Lohndumping in der Sicherheitsbranche zu begegnen?

Volker Eick: Die Gewerkschaft ver.di und die Lobbyorganisation des Wach- und Sicherheitsgewerbes, der Bundesverband des Wach- und Sicherheitsgewerbes, haben sich auf einen bundesweit geltenden Mindestlohntarifvertrag geeinigt. Der liegt zwar hinter der Forderung zurück, dass ab sofort mindestens 7,50 Euro pro Stunde gezahlt werden sollen, aber er zieht eine Linie gegen die unglaublich schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen im Gewerbe ein.

 Kann man einerseits für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen im Sicherheitsbereich kämpfen und andererseits die Gefahren der Law-and-Order-Praktiken thematisieren, die mit dem boomenden Sicherheitsbereich ebenfalls verbunden sind?

Volker Eick: Ja. Genau deshalb haben wir nicht nur wissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen eingeladen, sondern auch Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter. Es gibt beispielsweise in der Branche Firmen, die von Neonazis betrieben werden. Da liegt es in der Verantwortung von beiden Seiten, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, klar Stellung zu beziehen. Wenn mit Unsicherheitsgefühlen Politik gemacht wird, gilt das auch: Nur weil sich damit Geld verdienen lässt – ob als höherer Profit oder besserer Lohn –, kann das nicht heißen, dass man sich an solcher Propaganda unkritisch beteiligt.

Kendra Briken: Wobei die Branche insgesamt in der Gefahr steht, sexistische, rassistische und soziale Ungleichheiten zu reproduzieren. Schließlich gilt es, den Wünschen der Kunden entsprechend Räume zu „sichern“, also von so genannten Störern zu säubern. Das Schweizer Unternehmen Securitas, das jüngst einen Auftrag ablehnte, weil die Beschäftigten als Türsteher nach rassistischen Kriterien selektieren sollten, bleibt die Ausnahme.

 Welche Auswirkungen haben die technischen Fortschritte in der Biometrie und Überwachungstechnik für die Sicherheitsbranche?

Volker Eick: Sehr große. Es ist ja so, dass der polizeiliche Alltag und der Alltag von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste immer mehr von neuen Technologien mitbestimmt werden. Sie sind die ersten, die damit zu tun haben. In Kanada beispielsweise ist die Überwachung von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste durch die Geschäftsführung via Satellit weit verbreitet.

Kendra Briken: Wir wissen, dass beispielsweise Bildschirmarbeit – die Überwachung von Videokameras bedeutet ja nichts anderes – extrem gesundheitsschädlich ist. Das ist sozusagen die Anwenderperspektive. Für diejenigen, die überwacht und kontrolliert werden, stellen sich dagegen ganz andere Fragen, etwa die nach Bürger- und Menschenrechten. Diese beiden Diskussionsstränge wollen wir zusammenbringen.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33209/1.html

Peter Nowak

Mit Sicherheit in die Krise?

Volker Eick über die Pluralisierung von Überwachung in urbanen Räumen / Der Berliner Politikwissenschaftler ist Mitorganisator einer Konferenz über städtische Sicherheitspolitik

Volker Eick über die Pluralisierung von Überwachung in urbanen Räumen / Der Berliner Politikwissenschaftler ist Mitorganisator einer Konferenz über städtische Sicherheitspolitik

ND: Welche Ziele verfolgen Sie mit der Konferenz »Städtische Sicherheitspolitiken im internationalen Vergleich«, die von der Berliner Freien Universität und der Frankfurter Goethe-Universität an diesem Wochenende in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin veranstaltet wird?
Eick: Wir brauchen eine gesellschaftspolitische Diskussion über die Zukunft, Qualifikation und Legitimation des privaten Sicherheitsgewerbes im öffentlichen Raum. Mit Blick auf die Vorkommnisse während der jüngsten Loveparade sprechen wir vom »Duisburg-Komplex«.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass staatliche Polizei bei Großveranstaltungen, etwa bei politischen Demonstrationen, regelmäßig Demonstranten tötet. Wir brauchen auch über diese Tatsache, den »Genua-Komplex«, eine Diskussion. Und nicht zuletzt: Polizeibeamte und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste sind als Beschäftigte auf einem sich globalisierenden Arbeitsmarkt tätig. Wie dieser strukturiert ist, wie er reguliert wird oder eben nicht, wer hier mit wem zusammenarbeitet, welchen Einfluss die gegenwärtige Krise auf das Verhalten von beiden Berufsgruppen hat, wer wen wofür ins offene Messer laufen lässt, darüber wollen wir reden.

Was steht auf dem Programm?
Wir haben uns drei Aufgaben gestellt, die alle international vergleichend angegangen werden: Wir wollen besser verstehen, wie von Seiten der Polizei und von privaten Sicherheitsdiensten mit so genannten Randgruppen – etwa Obdachlosen – im öffentlichen Raum umgegangen wird. Wir wollen aber auch klären, welche Strategien Polizei einsetzt, um politischem Protest zu begegnen.

In Arizona etwa begann man von Regierungsseite aus, so genannte illegale Ausländer zu jagen, um von der wirtschaftlichen Not abzulenken. In Frankreich beobachten wir ein ähnliches Phänomen; dort werden derzeit EU-Bürger abgeschoben. Und drittens: Wie verändert sich unter Krisenbedingungen das Anforderungsprofil an die Polizei, an private Sicherheitsdienste?

Welche Auswirkungen hat die Wirtschaftskrise auf die städtische Sicherheitspolitik?
Das private Wach- und Sicherheitsgewerbe wächst im Zeichen der Krise. Der Polizeiapparat reagiert langsamer, aber auch hier ist absehbar: Mit Depression kommt Repression, während gleichzeitig über neue Präventionsstrategien nachgedacht wird.

Gibt es gewerkschaftliche Strategien, um Lohndumping in der Sicherheitsbranche zu begegnen?
Die Gewerkschaft ver.di und die Lobbyorganisation des Wach- und Sicherheitsgewerbes, der Bundesverband des Wach- und Sicherheitsgewerbes, haben sich auf einen Mindestlohn-Tarifvertrag geeinigt. Der liegt zwar hinter der Forderung von mindestens 7,50 Euro zurück, aber er zieht eine Linie gegen die unglaublich schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen im Gewerbe ein.

Wird auch Sicherheitspolitik als Ursache von Ausgrenzung und Law&Order-Praktiken diskutiert?
Ja, und genau deshalb haben wir nicht nur wissenschaftliche KollegInnen eingeladen, sondern auch Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter. Es gibt in der Branche etwa Firmen, die von Neonazis betrieben werden. Da liegt es in der Verantwortung von beiden – Arbeitgebern und Arbeitnehmern –, klar Stellung zu beziehen. Das gilt auch, wenn mit Unsicherheitsgefühlen Politik gemacht wird. Nur weil sich damit Geld verdienen lässt – ob als höherer Profit oder besserer Lohn –, kann das nicht heißen, dass man sich an solcher Propaganda unkritisch beteiligt.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/178438.mit-sicherheit-in-die-krise.html

Peter Nowak

»Mit der anderen Hand wird zugeschlagen«

Osaren Igbinoba (D.I.)  ist Mitglied des Koordinationsbüros der Flüchtlingsorganisation The Voice Refugee Forum in Jena. The Voice wurde 1994 gegründet und kämpft seitdem u. a. für die Abschaffung der Residenzpflicht.

ND: Einige Bundesländer wie Brandenburg und Berlin haben kürzlich Lockerungen der Residenzpflicht beschlossen. Begrüßen Sie das?

Igbinoba: Es ist schön, dass nach 16 Jahren Kampf von Flüchtlingsorganisationen wie The Voice gegen die Residenzplicht  eine Generation von jungen Politikern herangewachsen ist, die nun eine schüchterne parlamentarische Initiative angestoßen haben und sie endlich diesem Thema im Landtag Platz schaffen. Es bleibt die Fragen, wieso gerade jetzt und wieso nicht schon früher und warum  geht man den Weg nicht jetzt schon zu Ende und schafft die Residenzpflicht völlig ab.
  
  Warum   kritisieren Sie in einer Presseerklärung einige linke Aktivisten wegen deren positiven Stellungnahme zur Lockerung der Residenzpflicht?

 D.I.:   Dieses Gesetz ist kein Grund zu feiern, weil es die generelle  die Residenzpflicht nicht aufhebt. Es dient auch  dazu,  den Flüchtlingen erneut zu bestätigen, dass sie immer nach wie vor unterdrückt werden. Mit einer Hand wird etwas gegeben, und die andere Hand wird dazu benutzt, zuzuschlagen. Das ist der Gegenstand unserer Kritik an die Politik.

 Wie wollen Sie  in Zukunft gegen die Residenzpflicht kämpfen?
D.I.: Wir hatten im Juni 2010 in Jena ein internationales Festival organisiert, das darauf fokussiert war, die Isolation der Flüchtlinge in den Heimen zum Thema zu machen.  Wir bereiten jetzt ein „Karawane International Tribunal für die Rechte der Migrantinnen und Flüchtlinge vor, das  die Residenzpflicht untersuchen wird. Und wir werden unseren täglichen Kampf gegen die Unterdrückung der Flüchtlinge dokumentieren, künstlerisch durch Ausstellungen und Medienprojekte stärker präsent sein und das Problem weiter in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen. Denn die prekäre rechtliche Lage der Flüchtlinge, kann nur deswegen
aufrechterhalten werden, weil von Seiten der Politik der Mantel des Schweigens darüber ausgebreitet wird und das Problem vor der eigenen Bevölkerung versteckt wird.

  Wird es von Ihrer Seite auch weiterhin eine Zusammenarbeit mit den von Ihnen kritisierten deutschen Linken geben? 

     D.I.: Wir sind weiterhin offen für Zusammenarbeit und Austausch mit denjenigen, die sich vorgenommen haben, die Stellen auszubessern, wo unser System immer noch versagt. Wir erwarten von unseren Mitstreitern, dass sie eine klarere Position einnehmen bezüglich der Unterdrückung der Flüchtlinge in dem Land,das diese eigentlich von Unterdrückung befreien sollte.

 Halten Sie in dieser Frage eine Politik der kleinen Schritte auch in Zukunft nicht für denkbar?
D.I.: Menschenrechte sind nicht nur nicht verhandelbar, sie können auch nicht verkauft werden. Aber heute erleben wir, wie sie auf zynische und menschenverachtende Weise zum Kauf angeboten werden, wenn deren Ausübung durch Menschen ohne finanzielles Einkommen, durch die Verwaltung mit Gebühren belegt wird. Es geht um  Gebühren für die Stellung eines Antrags auf Verlassen des Landkreises.   Das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie das Geld, das von staatlicher Seite für die Betreuung der Flüchtlinge bereitgestellt wird, am Ende dafür benutzt wird, um eine Kollektivbestrafung an ihnen vorzunehmen. Und zur Änderung dieses
Missstandes wird eine Politik der kleinen Schritte vorgeschlagen. Sie fragen mich ernsthaft, ob ich das für den richtigen Weg halte?

https://www.neues-deutschland.de/artikel/177774.mit-der-anderen-hand-wird-zugeschlagen.html
Interview: .Peter Nowak

Auf Eigeninitiative der Beschäftigten gesetzt

Ex-Opelaner Wolfgang Schaumberg über die Niederlage linker Gewerkschafter bei der Betriebsratswahl
Wolfgang Schaumberg arbeitete 30 Jahre im Opel-Werk Bochum und war 25 Jahre lang im Betriebsrat. Auch als Vorruheständler ist er weiterhin in der linksgewerkschaftlichen Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG) aktiv. Über die Betriebsratswahl 2010 sprach mit ihm Peter Nowak.
ND: Die Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG) hat bei der letzten Betriebsratswahl bei Opel-Bochum erstmals seit 30 Jahren keinen Sitz bekommen. War die Niederlage überraschend?
Schaumberg: Nicht wirklich. Wir haben unsere Stimmenzahl von der letzten Betriebsratswahl gehalten. Damals haben wir im Bündnis mit der »Liste Offensiv« kandidiert, einer weiteren linken Gewerkschaftsgruppe. Jede Gruppe hatte einen Sitz. Bei der diesjährigen Betriebsratswahl haben wir getrennt kandidiert. Die »Liste Offensiv« hat ihren Sitz gehalten, weil sie mehr Stimmen hatte. Wir gingen leer aus.

 War es also ein Fehler, getrennt zu kandidieren?
Wir sehen die Eigenkandidatur auch im Nachhinein nicht als Fehler. Die politischen Vorstellungen waren in vielen Fragen zu unterschiedlich. Im Gegensatz zur »Liste Offensiv« war die GoG nicht in der Lage, im Wahlkampf mit einem historischen Optimismus aufzutreten.

Was war der Schwerpunkt Ihres Betriebsratswahlkampfes?
Wir haben auf die Eigeninitiative der Beschäftigten gesetzt. Das Motto unserer Liste lautete: »Gegenwehr – das müssen wir schon selber tun«. Das ist auch ein Bruch mit einer Art linker Gewerkschaftsarbeit, die Hoffnungen auf den Betriebsrat setzt, wenn da nur die richtigen Leute drin sind.

Warum haben Sie nicht mehr Zustimmung bekommen?
Viele Kollegen sagen uns, Ihr habt mit Euren Forderungen recht, aber wo ist die Bewegung, die sie durchsetzen kann? Die Fabrik kann nicht als gallisches Dorf alleine Widerstand leisten.

Es gibt außerbetriebliche linke Gruppen, die Flugblätter vor dem Fabriktor verteilen …
Die gibt es, doch sie tragen oft eher zur Resignation der Bewegung bei. Deren Forderungen führen bei den Kollegen oft zu Kopfschütteln, weil sie die konkrete Situation im Betrieb überhaupt nicht erfassen.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?
Wenn die Vergesellschaftung von Opel-Bochum gefordert wird, fragen die Kollegen mit Recht, wie soll das gehen in einem Betrieb, der hochgradig in die globale Produktion integriert ist? Selbst die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden halten viele Kollegen für unrealistisch.

Hatten Sie Kontakt zu Kollegen in anderen Opel-Werken?
Wir haben viele Versuche gestartet, um uns mit den Kollegen zu vernetzen und gemeinsam gegen das General-Motors-Management agieren zu können. Dabei haben wir aber zu viel Wert auf den Kontakt zu Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten gelegt und die betriebsübergreifende Debatte mit den Kollegen in den anderen Werken vernachlässigt. Deswegen ist aus unseren internationalen Kontakten keine lebendige Zusammenarbeit entstanden.

Wie will die GoG ohne Betriebsratsmandat weitermachen?
Wir wollen über die klassische Gewerkschaftsarbeit hinausgehen, die sich in wöchentlichen Treffen und dem Verteilen von Flugblättern erschöpft. Beispielsweise haben wir bei der letzten Personalversammlung, als Bettlertruppe verkleidet, Arbeitshetze und Lohnverzicht kritisiert.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/176720.auf-eigeninitiative-der-beschaeftigten-gesetzt.html?sstr=Schaumberg|Opel

Peter Nowak

Versicherte mit kleinen Einkommen werden Bittsteller

Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte: Zusatzbeiträge könnten in Zukunft sehr schnell wachsen

 1.)            Monatelang wurde gegen die Kopfpauschale mobilisiert. Sind die jetzt von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte dagegen das kleinere Übel?

 N.R.: Auf keinen Fall. Es war schon länger klar, dass die große Kopfpauschale, wie sie die FDP und zuletzt der Arbeitgeberverband geplant hatte, nicht durchgesetzt werden kann. Die jetzt vorgelegten Eckpunkte laufen durch die geplanten pauschalen Zusatzbeiträge, die die Arbeitnehmer zahlen sollen, auf eine kleine Kopfpauschale hinaus. Die könnten aber in Zukunft schnell wachsen.

 2.)            Wovon hängt das ab?

 N.R.: Davon, wie viel an den Ausgaben über den Beitragssatz gedeckt wird. Der Arbeitgeberanteil soll jetzt auf 7,3 % erhöht und dann eingefroren werden. Das bedeutet, für alle weiteren Kosten sollen die Versicherten durch die Zusatzbeiträge aufkommen. Dadurch könnten schnell weitere Belastungen auf große Teile der Bevölkerung zukommen.

 3.)            Kann ein geplanter steuerfinanzierter Ausgleich soziale Härten mindern?

 N.R.: Das könnte er natürlich, aber dadurch werden Versicherte mit niedrigen Einkommen wahrscheinlich zu Bittstellern. Zudem ist noch völlig unklar, wie der Sozialausgleich finanziert werden soll. Weitere Steuererhöhungen würden weitere Belastungen für große Teile der Bevölkerung bedeuten, die schon durch die von der Koalition geplanten Sparpläne von Verschlechterungen betroffen sein werden.

 4.)            Die paritätische Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens wurde von der Politik lange Zeit als Vorzeigemodell der sozialen Marktwirtschaft verkauft. Kann davon heute noch gesprochen werden?

 N.R.: Schon lange nicht mehr. Durch die Einführung von Praxisgebühr, Zuzahlungen zu Medikamenten und anderem und die einseitige Erhöhung des Arbeitnehmeranteils um 0,9 Prozentpunkte wurde schon unter Rot-Grün das Prinzip der paritätischen Finanzierung im Gesundheitswesen aufgegeben. Zudem sollte man nicht vergessen, dass der Arbeitgeberanteil aus der Lohnsumme herrührt, also auch von den Arbeitnehmern erwirtschaftet wird.

 5.)            Eine daraus folgende offensive Forderung, dass die Arbeitgeber den ganzen Beitrag zahlen sollen, scheinen zurzeit utopisch. Wie sollten aktuell soziale Bewegungen und Gewerkschaften auf die Pläne der Bundesregierung reagieren?

 N.R.: Es sollten möglichst schnell Proteste dagegen organisiert werden. Dabei könnten die in den letzten Monaten entstandenen Bündnisse gegen die Kopfpauschale eine tragende Rolle spielen.

 6.)            Die Finanzierungslücke ist ja keine Erfindung der Bundesregierung. Wo soll das Geld für das Gesundheitssystem herkommen?

 N.R.: Es gibt ausgearbeitete und durchgerechnete Alternativvorschläge. Dazu gehört die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze (und entsprechend der Versicherungspflichtgrenze) und die Einführung einer Bürgerversicherung, in die alle nach ihrer Einkommenshöhe und mit allen Einkommensarten in die Krankenversicherung einzahlen. Die hessische SPD hat durchgerechnet, dass damit ein Beitragssatz von ca. 9,5 % erzielt werden könnte. Dass könnte zur Entschärfung der aktuellen Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen beitragen, ohne Menschen mit geringen Einkommen zu belasten.

 

 

 https://www.neues-deutschland.de/artikel/174808.versicherte-mit-kleinen-einkommen-werden-bittsteller.html?sstr=Nadja|Rakowitz

Interview: Peter Nowak  

Juristisch gegen die Volkszählung?

Der Datenschutzexperte Werner Hülsmann bereitet Widerstand vor / Der Diplom-Informatiker ist Mitglied im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

ND: Deutschland wird sich an der EU-weiten Zensusrunde 2011 mit einem registergestützten Verfahren beteiligen. Was kritisieren Sie daran?
Hülsmann: Bei der Volkszählung im nächsten Jahr geht es um eine umfängliche Erfassung von Menschen. Es sind vor allem zwei Punkte, die wir hier besonders monieren und die Gegenstand unserer Verfassungsklage sind. Die Daten sind nicht anonymisiert. So werden Namen, Anschrift und die Identifikationsnummer mehrere Jahre gespeichert. Über diese Identifikationsnummer ist die Zuordnung zu den Daten möglich. Dieses Vorgehen verletzt wichtige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das in seinem Urteil 1983 eine solche gemeinsame Ortungsnummer ausdrücklich verboten hat.

Was ist der andere Kritikpunkt?
Anders als bei der Volkszählung in der BRD 1987 werden diesmal nicht alle Einwohner befragt, sondern sollen die Datensammlungen von Behörden wie den Meldeämtern, der Bundesagentur für Arbeit und anderen öffentlichen Stellen zusammengeführt werden. Das halten wir für eine Zweckentfremdung, weil sensible, für einen begrenzten Zweck gesammelte Daten ohne Einwilligung der Betroffenen zusammengeführt werden.

Wie wehren Sie sich dagegen?
Mit einer Verfassungsbeschwerde will der Arbeitskreis Zensus des AK Vorratsdatenspeicherung diese Bestimmungen juristisch prüfen lassen. Auf unserer Homepage www.zensus11.de kann diese Beschwerde noch bis zum 12. Juli digital unterschrieben werden. Bisher haben sich dort ca. 8000 Menschen eingetragen. Wir denken, dass die Unterstützung in den nächsten Tagen noch wachsen wird.

Wehren Sie sich nur gegen diese Punkte oder lehnen Sie die Volkszählung generell ab?
Generell bezweifle ich den Sinn von Volkszählungen, weil sie nicht auf freiwilliger Basis erfolgen. Wenn es darum geht, eine Datenbasis für Planungen zu bekommen, kann diese über freiwillige, tiefergehende Untersuchungen von seriösen Meinungsforschungsinstituten gewonnen werden.

Gibt es Unterstützung für Ihre Initiative aus der Politik und den Gewerkschaften?
Die Diskussion über die Volkszählung im nächsten Jahr steht noch ganz am Anfang. Daher gibt es von den Parteien bisher kaum Reaktionen, auch nicht von den Grünen, die in den 80er Jahren den Widerstand gegen die Volkszählung mitgetragen haben. Nur die Piratenpartei hat sich bisher gegen die Volkszählung positioniert, was aber nicht verwundern dürfte. Auch bei den Gewerkschaften gibt es bisher keine Positionierung. Das könnte sich aber in Zukunft noch ändern, weil sie durch die Auseinandersetzung mit dem elektronischen Datenregister Elena für den Datenschutz stärker sensibilisiert sein dürften.

Planen Sie über den Rechtsweg hinaus weitere Aktionen?
Bis Mitte Juli konzentrieren wir uns auf die Verfassungsklage. Wir sind uns aber im Klaren, dass die Entscheidung auch negativ für uns ausfallen kann. Dann wird zu überlegen sein, wie mit kreativem Widerstand Daten verweigert werden können. Dazu werden wir sicher auch auf die Erfahrungen der Volkszählungsboykottbewegung der 80er Jahre zurückschauen.

Wichtig ist auch eine Auseinandersetzung mit möglichen rechtlichen Folgen einer Datenverweigerung, wie Zwangs- und Bußgelder. Denn wie in den 80er Jahren gibt es auch 2011 keine Wahlfreiheit. Genau das ist das entscheidende Problem bei der Volkszählung.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/174473.juristisch-gegen-die-volkszaehlung.html

Interview: Peter Nowak