BESETZT Das New Yorck – Kreuzbergs letzte erfolgreiche Besetzung – feiert 10-Jähriges. Eine Ausstellung im Bethanien erinnert an die wechselvolle Geschichte des Hausprojekts und dokumentiert zugleich dessen aktuelle Kämpfe für eine gerechtere Stadt
„Kinderpoliklinik ins Bethanien“ lautete eine Kampagne der maoistischen Westberliner KPD in den frühen 1970er Jahren. Die längst vergessenen Aufrufe und Zeitungsausschnitte sind in einer Ausstellung dokumentiert, die zum zehnten Jubiläum der Besetzung des „New Yorck“ im Ostflügel des Bethanien zu sehen ist. Schwerpunkt der Ausstellung ist natürlich die 10-jährige Geschichte des „New Yorck“: Am 11. Juni 2005 besetzten linke Aktivisten zwei leer stehende Etagen im linken Seitenflügel des Bethanien-Krankenhauses – während eine Menschenmenge am Mariannenplatz ein Straßenfest feierte. Eine Räumung innerhalb von 24 Stunden, wie es die Berliner Linie bei Hausbesetzungen vorsieht, war für die Polizei aus Kapazitätsgründen nicht möglich.
Mitbesetzerin Gerlinde Wagner nennt aber noch einen anderen Grund. Viele der BesetzerInnen hatten vorher im linken Hausprojekt Yorckstraße 59 gewohnt, das am 5. Juni 2005 mit einem massiven Polizeiaufgebot und unter großen Protesten geräumt worden war. „Mit dem Namen ,New Yorck‘ machten wir deutlich, dass wir uns selber ein Ersatzobjekt besorgt haben, das wir vorher vergeblich gefordert hatten“, so Wagner.
Die Besetzung des „New Yorck“ fand viel Sympathie – vor allem in Kreuzberg. UnterstützerInnen gründeten die Initiative Zukunft Bethanien (IZB), die ein Bürgerbegehren zur Legalisierung des „New Yorck“ einleitete und die erforderlichen Unterschriften in kurzer Zeit sammelte. Bevor das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg schließlich den Großteil der Forderungen erfüllte, gab es immer wieder Räumungsdrohungen, wie die Ausstellung zeigt.
Doch auch nach der Legalisierung spielte das „New Yorck“ eine wichtige Rolle bei der Entstehung der neuen MieterInnen- und „Recht-auf-Stadt“-Bewegungen in Berlin. Zahlreiche Plakate und Flyer der Kampagne „Mediaspree versenken“, der Initiative „100 Prozent Tempelhof“ und verschiedener MieterInnenaktionen sind dort dokumentiert. „Die erfolgreiche Besetzung des ,New Yorck‘ hat vielen Menschen Mut gemacht“, resümiert Gerlinde Wagner.
In den nächsten Tagen wird es im Rahmen des Jubiläums zahlreiche Veranstaltungen, Filme und Partys geben. Los geht es heute um 21 Uhr mit einem kleinen Streifzug durch die Berliner Hausbesetzungen zwischen 1970 und 2015 mit Berichten von Beteiligten, Kurzclips und Videos.
Linkes Hausprojekt feiert Jubiläum: 2005 wurde der Ostflügel des Bethanien besetzt
Das einstige Bethanienkrankenhaus am Kreuzberger Mariannenplatz wurde zweimal besetzt. Heute ist es ein wichtiger Treffpunkt der linken Szene.
Kommst Du nachher noch ins New Yorck? Diese Frage hört man im linken Kreuzberger Milieu häufig. Schließlich handelt es sich beim New Yorck um den Ostflügel des Bethanien, der vor zehn Jahren besetzt wurde und zu einem wichtigen Treffpunkt der außerparlamentarischen Linken Berlins wurde.
Zur Feier des Jubiläums gibt es in den nächsten Tagen im New Yorck zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Partys und Konzerte. Am 8. Juni wird es ab 21 Uhr einen Streifzug durch die Berliner Hausbesetzungen zwischen 1970 und 2015 geben, mit Berichten von Beteiligten, Kurzclips und Videos. Dabei spielt das ehemalige Bethanienkrankenhaus am Mariannenplatz eine zentrale Rolle. 1970 wurde es stillgelegt und sollte abgerissen werden, was von neu gegründeten Bürgerinitiativen verhindert wurde. 1971 wurde das Gebäude besetzt, die Band »Ton Steine Scherben« machte die Aktion und den Polizeieinsatz mit ihren Songs berühmt. 1973 beschloss der Senat, im Hauptgebäude ein Künstlerhaus zu errichten.
Am 11. Juni 2005 wurde der Ostflügel des Gebäudes besetzt, aus dem einige Monate vorher das Sozialamt von Friedrichshain-Kreuzberg ausgezogen war. Ein Großteil der Besetzer war fünf Tage zuvor durch ein massives Polizeiaufgebot aus dem linken Hausprojekt Yorckstraße 59 geräumt worden. Der Eigentümer wollte die Räume teuer verkaufen. Im Bethanien gründeten die Vertriebenen ihr New Yorck.
Die Räumung war von einer Blockade und Protesten in der ganzen Stadt begleitet. Der Einzug ins Bethanien war der Höhepunkt. Die neuen Bewohner betrachteten das Gebäude als Ersatzobjekt für die geräumte Yorckstraße. Eigentlich hätte es die Besetzung gar nicht geben dürfen. Schließlich wird nach der Berliner Linie jede Besetzung innerhalb von 24 Stunden geräumt. Doch die angeheizte Stimmung nach der Räumung und die große Menschenmenge, die sich wegen eines Straßenfestes vor dem Bethanien aufhielt, ließen die Polizei von einer Räumung absehen.
Die Besetzer hatten vor allem in Kreuzberg viele Unterstützer. Dazu gehörten auch Abgeordnete der Grünen und der heutigen Linkspartei in Kreuzberg. Es gründet sich eine Initiative Zukunft Bethanien (IZB), die ein Bürgerbegehren für die Legalisierung des New Yorck einleitete und viel Zustimmung erfuhr. Im September 2006 erfüllte das Bezirksamt die wichtigsten Forderungen des Bürgerbegehrens. Seitdem ist das New Yorck ein wichtiger Teil der Infrastruktur der außerparlamentarischen Linken.
Eine Ausstellung, die zum zehnjährigen Jubiläum in den Fluren der Veranstaltungsetage zu sehen ist, macht deutlich, welch wichtige Rolle das New Yorck bei verschiedenen Kampagnen der Mieter- und Recht-auf-Stadt-Bewegung Berlins in den letzten Jahren spielte. Die Kampagne »MediaSpree versenken« hat sich in den Räumen zur Vorbereitung ihres erfolgreichen Bürgerbegehrens ebenso getroffen wie die Initiative »100 Prozent Tempelhof«. Später wurden Aktionen der Mieterbewegung in den Räumen vorbereitet. »Die erfolgreiche Besetzung und die große Unterstützung der IZB haben Mut gemacht«, so eine Besetzerin der ersten Stunde.
Die Termine zum New-Yorck-Jubiläum unter newyorck.net/
Der Kampagnenrat für einen gesetzlichen Mindestlohn von 10. Euro [1] hat sofort reagiert. Wenige Minuten nachdem der Parteitag „Der Linken“ in Bielefeld [2] den entsprechenden Beschluss gefasst hatte, verschickte er eine Pressemitteilung: „Gratulation: DIE LINKE fordert die Steuerfreiheit jedes gesetzlichen Mindestlohns.“ Das Mitglied des Kampagnenrats, Edgar Schu, begründete das Lob:
Das Gemeinwesen, die öffentlichen Aufgaben und auch die Kosten der Erwerbsarbeitslosigkeit müssen von denen bezahlt werden, die sie durch ihre Unternehmenspolitik verursacht und von Entlassungen profitiert haben. Diese Kosten dürfen nicht mehr auf diejenigen abgewälzt werden, die durch Steuerzahlung unter ihr eigenes Existenzminimum gedrückt werden und dann selber Hartz IV beantragen müssen. Das Existenzminimum muss steuerfrei sein. Endlich hat eine erste Partei in Deutschland die erste Weichenstellung hierfür vorgenommen. Das ist ein großer Tag für die Steuergerechtigkeit.
Diese Frage ist für viele Menschen im Niedriglohnsektor existentiell. Doch darüber wird in den meisten Medien nicht berichtet, wenn über den Parteitag der Linken in Bielefeld geschrieben wird. Dabei sollte es dort mal um Inhalte gehen, weil Wahlen und Personalentscheidungen nicht anstanden.
Alleinunterhalter Gregor Gysi dominierte Parteitag
Doch sofort konterkarierte der Mann dieses Konzept, der seit vielen Jahren mit seiner Egomanie die Partei bestimmt. Gregor Gysi hält sich für so unersetzlich, dass er jahrelang einen Parteibeschluss, der eine Quotierung auch an der Fraktionsspitze vorsieht, einfach ignorierte. Dass die Partei mehrheitlich solche Allüren von einem Politiker duldete, der immer betont, aus dem Scheitern des Nominalsozialimus gelernt zu haben, dass autoritäre Führungs- und Herrschaftsmethoden in der Linken bekämpft werden müssen, ist schon ein Armutszeugnis.
Dass aber auch ein Großteil der Medien, die sonst den Linksparteipolitikern nicht die kleinsten Peinlichkeiten auf ihren Facebook-Auftritten durchgehen lässt, das Hohelied auf Gregor Gysi singen, ist natürlich Berechnung. Er ist immerhin ein erklärter Befürworter einer Koalition mit der SPD und den Grünen auch auf Bundesebene und versucht schon mal seine Parteibasis darauf einzustimmen, dass man das eigene Programm dann eben sehr konstruktiv auslegen muss.
Gysis Fahrplan für das Mitregieren
In einem Taz-Interview [3] gab Gysi die Leitlinien vor: „Wir haben nächstes Jahr fünf Landtagswahlen. In Berlin könnten wir wieder in eine Koalition kommen. In Mecklenburg-Vorpommern vielleicht auch, und wenn wir in Sachsen-Anhalt stärker werden als die SPD, haben wir 2016 vielleicht schon zwei Ministerpräsidenten. Dann drängt auch die Gesamtpartei, diesen Weg auf der Bundesebene ebenfalls zu gehen.“ Das ganze läuft unter dem Stichwort „Verantwortung übernehmen“.
Auf die Frage der Taz-Journalisten nach seinen Fahrplan antwortete Gysi:
Eine Partei merkt es, wenn der Stillstand beginnt. Dann werden die Mitglieder unruhig, und es entsteht ein Druck von unten. Deshalb wird der letzte Parteitag vor der Bundestagswahl beschließen, dass wir für eine Regierung zur Verfügung stehen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zusätzlich wird er aber überflüssige rote Linien für Koalitionsverhandlungen ziehen wollen, obwohl das Wahlprogramm reicht. Überflüssig deshalb, weil man seiner eigenen Verhandlungsdelegation trauen sollte.
Nun ist es schon für einen Streiter gegen autoritäre Parteimanieren merkwürdig, dass er sich so sicher ist, was ein künftiger Parteitag beschließen wird. Dass er dann aber selbst die roten Linien, die dort vielleicht noch zur Besänftigung des linken Parteiflügels einbezogen werden, und die im Ernstfall sowieso sehr kreativ ausgelegt werden, für überflüssig erklärte, hätte eigentlich auf dem Parteitag mit einer herben Rüge beantwortet werden müssen.
Doch Gregor Gysi weiß, dass er sich solche Allüren leisten kann. Dass er einen Parteitag, bei dem es um Inhalte und nicht um Personalien gehen soll, seine eigene Personaldebatte aufdrückt, ist nur ein weiterer Affront mehr, der hingenommen wird. Dabei hätte Gysi noch genügend Zeit gefunden zu erklären, dass er im Herbst nicht mehr für den Fraktionssitz kandidieren wird. Dass er gleichzeitig beteuert, die Fraktion nicht indirekt leiten zu wollen, ist unerheblich.
Für einen Großteil der Medienöffentlichkeit wird er weiterhin als wichtige Stimme des vernünftigen, weil koalitionsbereiten Teils der Linkspartei gelten. Er wird interviewt werden und wer wird sich dem kaum verweigern.
Schließlich haben vor ca. 30 Jahren auch bei den Grünen Politiker wie Joseph Fischer, die damals längst nicht so bekannt waren, die Parteilinke um Thomas Ebermann oder Jutta Ditfurth erfolgreich zu Hoffnungsträgern hochgeschrieben. Am Ende waren die Linken draußen und Fischer Außenminister.
Ein solcher Prozess funktioniert natürlich nur, wenn es in der Partei relevante Strömungen und Flügel gibt, die Verantwortung für eine Regierung übernehmen wollen. Die gab es bei den Grünen und die gibt es auch in der Linkspartei. Ob Gysi selber noch ein Ministeramt übernimmt, ist offen. Schließlich hat er es als Berliner Wirtschaftssenator nicht lange ausgehalten und ein Außenministerposten dürfte für ihn kaum erreichbar sein.
Wie schnell eine Partei, wenn sie irgendwo mitverwaltet, mit ihren hehren Grundsätzen in Widerspruch gerät, zeigte sich in diesen Tagen in der Kommunalpolitik. Während die Linke den Kitastreik mit warmen Worten unterstützte, beschwerten [4] sich Erzieherinnen und Gewerkschafter über einige Bürgermeister der Linkspartei, die nicht einmal mit den Streikenden reden wollten. Solche Probleme potenzieren sich, wenn die Linke noch mehr Posten in Bundesländern und am Ende gar in der Bundesregierung besetzen sollte.
Dass diese Problematik den Delegierten der Linkspartei bewusst ist, zeigte sich in Beiträgen des Vorstandsduos Katja Kipping und Bernd Riexinger. Die Linke ist nach den Worten Riexingers nicht bereit, für ein Bündnis mit SPD und Grünen ihre „Haltelinien“ aufzugeben.
„Kein Sozialabbau, keine Tarifflucht und keine Kampfeinsätze sind selbstverständliche Teile linker Politik“, rief Riexinger unter dem Beifall der Delegierten. Ko-Parteichefin Katja Kipping hatte bereits am Samstag vor den Delegierten gesagt, es werde kein Ja zu Kriegseinsätzen oder Sozialkürzungen geben. Allerdings erklärte sie auch kryptisch: „Wir wollen die Machtfrage stellen, aber wir wollen sie wirklich stellen.“
Dass sie der Illusion erliegt, ein Mitregieren bedeute auch an der Macht sein, ist nicht unwahrscheinlich.
Ausführlich wurde auf dem Parteitag über das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, das parteiintern stark umstritten ist. Der Gewerkschaftsflügel fürchtet, dass damit der Sozialstaat noch mehr abgebaut werden soll.
Dass es aber unterschiedliche Grundeinkommensmodelle gibt und dass man sich auf die Formel einigen könnte, mit Lohnarbeit soll man leben können – ohne aber auch – , zeigt, dass es möglich ist, sich mit kontroversen Fragen zu beschäftigten und auch zu Ergebnissen zu kommen, wenn man sich nicht das Damoklesschwert des Mitregierenwollens selber über seinen Köpfen aufhängt.
Ersetzt das Duo Wagenknecht-Bartsch Gysi?
Nun muss sich zeigen, wer an Gysis Stelle den Fraktionsvorsitz übernimmt. Der Realo Dietmar Bartsch hat schon seine Kandidatur angekündigt. Er wäre aber parteiintern nur durchzusetzen, wenn eine Frau vom anderen Parteiflügel mit ihm kandidiert.
Lange Zeit schien alles auf das Duo Wagenknecht-Bartsch hinauszulaufen. Zwischenzeitlich hatte Wagenknecht schon mal erklärt, dass sie dafür nicht zur Verfügung steht. Diese Aussage scheint aber durchaus nicht in Stein gemeißelt [5].
Bliebe Wagenknecht bei ihren Nein würden der Partei wohl auch wieder Flügelkämpfe drohen. Wie fragil der innerparteiliche Frieden ist, zeigte sich bei einem Antrag, mit dem einige in der Linkspartei Weltpolitik machen und gleichzeitig parteiinterne Signale setzen wollten.
Überschrieben ist der Antrag mit „Frieden statt Nato- Für eine Weltfriedenskonferenz“ [6]. Damit soll der letzte sowjetische Präsident Gorbatschow für eine Konferenz zur Ukraine gewonnen werden. Es ist schon erstaunlich, dass sich alle auf Gorbatschow einigen konnten, dem manche Traditionalisten das Ende der Sowjetunion persönlich übel nehmen.
Doch für Streit sorgte eine Passage in dem Antrag, in der eine Mitgliedschaft in der Atlantikbrücke [7] für unvereinbar mit einem Mandat der Linkspartei erklärt wurde. Das zielte [8] auf den Realpolitiker Stefan Liebich, der bisher das einzige Linksparteimitglied in dieser Organisation [9] ist. Gysi erklärte, er persönlich habe ihn dazu geraten.
Schließlich wurde der Antrag gegen den Widerstand [10] der Kommunistischen Plattform als Tagungsmaterial behandelt, über den nicht abgestimmt wurde. So wurde ein Angriff auf den Fahrplan zur Mitverwaltung abgewendet.
„Das Experiment mit den reformunwilligen Griechen im Euro-Raum ist gescheitert“. CDU-Politiker Christan von Stetten und andere forden ein Ende des Entgegenkommens
Nachdem auch das ultimativ vorgetragene letzte Angebot an Tsipras aus dem Berliner Kanzleramt nicht die gewünschte Wirkung zeigte und die griechische Regierung deutlich gemacht hat, dass sie sich nicht erpressen lässt, legen Politiker der Unionsparteien jetzt nach. Der konservative Mittelstandspolitiker Christan von Stetten fordert [1] ein Ende der sogenannten Griechenlandhilfe. Seine Wortwahl ist verräterisch.
„Die europäischen Regierungen müssen sich ehrlich machen: Das Experiment mit den reformunwilligen Griechen im Euro-Raum ist gescheitert und muss beendet werden“, sagte der CDU-Politiker dem „Handelsblatt“. Wenn er von Experiment spricht, sagt von Stetten wohl indirekt die Wahrheit. An Griechenland sollte mit dem Austeritätsprogramm experimentiert werden, wie weit sich eine Bevölkerung im EU-Raum verelenden lässt.
Hätte es dort funktioniert, wäre es weiter exportiert wurden. Nur die Mehrheit der griechischen Bevölkerung hat sich mit ihren Protesten und ihrer Wahlentscheidung im Januar 2015 gegen solche Experimente ausgesprochen und ist in der Diktion von Stettens reformunwillig.
Neue Parlamentsdebatte über „Griechenlandhilfe“
Er ist nicht allein beim Druckmachen. So mehren sich in der Union die Stimmen, die eine neue Abstimmung im Bundestag über die „Griechenlandhilfe“, die ja ein Support für die Banken ist, fordern. So echauffiert sich der christsoziale Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer, gegenüber der „Bild“-Zeitung:
Deutschland kann sich keine faulen Kompromisse mehr leisten. Deshalb muss der Bundestag auch über die neuen Änderungen am zweiten Hilfspaket abstimmen.
Auch der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Eckhardt Rehberg, verlangt eine Bundestagsabstimmung über weitere Auszahlungen. Es gehe in den Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Geldgebern gerade über „wesentliche Änderungen“ am laufenden Hilfsprogramm, zitierte ihn die „Bild“. Es sei „ein glasklarer Fall“ und „geltende Rechtslage“, dass der gesamte Deutsche Bundestag über solch gravierende Korrekturen abzustimmen habe. „Die Zeit dafür müssen wir uns nehmen.“ Es reiche nicht aus, „die Sache nur im Haushaltsausschuss zu behandeln“.
Der CDU-Finanzpolitiker Frank Steffel sekundiert und macht gleichzeitig deutlich, was er mit dieser Initiative bezweckt. „Ein weiteres Entgegenkommen der Bundesregierung an Griechenland darf es nicht geben“, sagte er. Wenn man weiß, dass es schon während der letzten Parlamentsdebatte zur „Griechenlandhilfe“ eine populistische ressentimentgeladene Kampagne gegen das südeuropäische Land und seine Regierung gab, die von der Bildzeitung noch befeuert wurde [2], kann man sich vorstellen, dass die Union sich mit der Forderung nach einer neuen Abstimmung auch auf Wählerfang begeben will.
Sie will wieder die Hoheit über die Stammtische erlangen, die sie durch die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland zu verlieren drohte. Die dortige interne Richtungsdebatte scheint ihr eine gute Gelegenheit, sich wieder als Stimme der deutschen Steuerzahler, die angeblich für die Pleitegriechen zahlen sollen aufzuschwingen. Dass diese Hilfe nicht der Mehrheit der griechischen Bevölkerung, sondern den Eliten und Banken zugute kommt, will man dort nicht so genau wissen.
Das mit dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz ein prominenter Sozialdemokrat der Unionskampagne nicht etwa entgegentrat und die europäische Solidarität anmahnte, sondern sie noch indirekt unterstützte, kann nur jene erstaunen, die sich noch Illusionen über die Sozialdemokraten machen. Schulz hat die griechische Regierung aufgefordert, ihre Wahlversprechen endlich aufzugeben und das letzte Angebot aus dem Kanzleramt anzunehmen.
„Die ideologische Verbohrtheit eines Teils der griechischen Regierung ist ärgerlich“, umschreibt Schulz die Rüge an eine Regierung, die nicht gleich alle Wahlversprechen über Bord wirft. Schon als Diskussionsteilnehmer einer Talkshow [3] übte sich Schulz vor wenigen Tagen als Konkurrent zu Unionspolitikern für den Posten des besten Populisten.
Ihm gehe „Griechenland auf die Nerven“ und er habe „die Faxen langsam dicke“ schimpfte der Parlamentspräsident, der eigentlich nach den bürgerlichen Rollenvorstellen sein Amt so ausüben müsste, dass er sich als Interessenvertreter aller EU-Bürger geriert.
Kommt mehr Trotz aus Athen?
Es ist fraglich, ob Unionspolitiker, die den deutschen Bundestag wieder gegen Griechenland in Stellung bringen wollen, nicht eher jenen Kräften in Südeuropa Auftrieb geben, die sowieso schon der Meinung sind, nur Deutschland diktiere in Europa die Austeritätspolitik. Wenn dann noch ein EU-Parlamentspräsident so offen deutlich macht, dass ihm eine griechische Regierung, wie sie nun mal mehrheitlich gewählt wurde, auf die Nerven geht, könnte auch die Zahl derer in Griechenland zunehmen, die sich trotz vieler Bedenken von einer EU verabschieden wollen, die nicht reformfähig ist.
Die hohen Zustimmungsraten, welche die Regierung wegen ihrer harten Haltung bei den Verhandlungen mit den Institutionen bis heute bekommt, könnten darauf hindeuten. Dann könnte der Druck aus Berlin und Brüssel eher zur Unterstützung der gegenwärtigen Regierung beitragen und sie ermutigen, tatsächlich Wege eines Austritts aus der EU zu begehen.
Wirtschaft & Soziales: Gegen das geplante Tarifeinheitsgesetz regt sich Widerstand
Die Erklärung »Linke Hauptamtliche in ver.di« erinnert an eine drastische Einschätzung des ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) Heinz Kluncker. Dieser sagte in den 1970er Jahren: »Wo ein Streik reglementiert oder gar verboten ist, handelt es sich um reine Diktaturen.« Der Verweis in der ver.di-Erklärung kommt nicht von ungefähr, denn aktuell versucht die Bundesregierung das Streikrecht reglementieren. Besonders bitter: Der DGB-Vorstand und ein großer Teil seiner Einzelgewerkschaften stimmen dem von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in den Bundestag eingebrachten Tarifeinheitsgesetz sogar zu. Danach soll ein Tarifvertrag nur dann Anwendung im Betrieb finden, wenn die vertragsschließende Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder hat. Spartengewerkschaften, die nur in ein bestimmtes Segment der Beschäftigten vertreten, wären nicht mehr tariffähig und hätten keine Verhandlungsmacht mehr. Sollte das Gesetz wie geplant im Sommer in Kraft treten, wären Gewerkschaften wie die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) die Hände gebunden. Die GDL hat bereits eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Der Arbeitskampf bei der GDL, der sich Anfang Mai mit einem fast einwöchigen Streik noch mal verschärft ist, steht bereits im Schatten der Tarifeinheit, bevor das Gesetz überhaupt in Kraft tritt. Die GDL will natürlich davor zu einer für sie vorteilhaften Einigung kommen. Der Bahn-Vorstand setzt hingegen auf eine Zermürbungstaktik und will den Konflikt in die Länge ziehen, bis das Gesetz der GDL Grenzen setzt. Politik und Medien wiederum nutzen den Ausstand bei der Bahn, um Stimmung für eine weitere Einschränkung des Streikrechts zu machen.
Unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht« rief ein Bündnis linker Gewerkschafter_innen am 18. April zu einer bundesweiten Demonstration nach Frankfurt am Main auf. Die anarchosyndikalistische Basis-Gewerkschaft FAU brachte mit ihren schwarzroten Bannern Farbe in die Demonstration. Die Fahnen der Lockführergewerkschaft GDL waren indes weder so bunt noch so zahlreich vertreten. Dennoch wurden die Lokführer_innen in Frankfurt besonders freundlich begrüßt, schließlich hat die Gewerkschaft in den vergangenen Wochen gezeigt, dass es durchaus möglich ist einen Streik zu organisieren, der auch gesellschaftlich wahrgenommen wird. Viele Redner_innen bezogen sich auf die GDL und machten klar, dass das Bahnmanagement wohl auch deshalb im aktuellen Arbeitskampf auf Zeit zu spielen versucht, weil es nach der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes mit der kämpferischen Gewerkschaft nicht mehr verhandeln müsste.
Trotz der kämpferischen Stimmung war die Demonstration zahlenmäßig enttäuschend. Dass lediglich 700 Kolleg_innen für die Verteidigung des Streikrechts demonstrierten, lag auch an den im DGB organisierten Einzelgewerkschaften. Keine der Gewerkschaften, die sich gegen das Tarifeinheitsgesetz positioniert haben, unterstützte die Demonstration. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt gemeinsam Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) eine von ver.di initiierte Unterschriftensammlung gegen das Gesetz. Obwohl sich die Dienstleistungsgewerkschaft seit Jahren klar gegen die Tarifeinheit ausspricht, ist diese Frage organisationsintern umstritten, wie Erdogan Kaya von der linken Basisgruppe ver.di-aktiv auf einer Berliner Mobilisierungsveranstaltung für die Demonstration erklärte. So werde etwa die Tarifeinheitsinitiative von ver.di-Gewerkschafter_innen bei der Lufthansa unterstützt.
Dennoch stellen die Gegner_innen der Gesetzesinitiative bei ver.di die Mehrheit. Anders sieht dies in der IG Metall aus. Daher erhielt in Frankfurt das IG-Metall-Mitglied Christiaan Boissevain aus München besonders viel Applaus, als er die Tarifeinheitsinitiative als »großen Angriff auf das Streikrecht im europäischen Rahmen« bezeichnete.
Tatsächlich wird das Streikrecht nicht nur durch das Tarifeinheitsgesetz angegriffen. Weitgehend unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit versuchen die internationalen Kapitalverbände, in den Gremien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) das Streikrecht als Bestandteil der Koalitionsfreiheit im IAO-Übereinkommen 87 grundsätzlich in Frage zu stellen. Die deutschen Unternehmerverbände sind darin aktiv beteiligt. »Hatte die Unternehmerlobby sich in den Vorjahren noch damit begnügt, gegen ein umfassendes und unbegrenztes Streikrecht zu agieren, stellt sie jetzt die Existenz eines internationalen Rechts auf Streik überhaupt in Frage«, kommentiert Jochen Gester in der März-Ausgabe der Sozialistischen Zeitung (SoZ) diesen Vorstoß. Die IAO-Richtlinien wirken sich auf die Rechtssprechung der Gericht auch in Deutschland auf. Der DGB befürchtet Verschlechterungen und hat eine Kampagne „Streikrecht im Übereinkommen 87 verteidigen“ gestartet (http://www.dgb.de/themen/++co++5051305e-b764-11e4-bdd7-52540023ef1a).
Mittlerweile sind in vielen europäischen Ländern Einschränkungen des Streikrechts bereits in Kraft oder in Vorbereitung. So schreibt das italienische Streikrecht vor, dass Bahngewerkschaften Ausstände mindestens fünf Tage vorher ankündigen müssen. Zudem muss die Gewerkschaft eine »Grundversorgung« garantieren, während des Berufsverkehrs müssen Züge fahren. Solche Vorstellungen finden sich auch im Positionspapier »Für ein modernes Streikrecht – Koalitionsfreiheit sichern – Daseinsvorsorge sicherstellen« der CSU. Sollten diese Pläne realisiert werden, wäre das Streikrecht »nur noch formal vorhanden, aber in der Praxis ausgehebelt und unwirksam«, heißt es in einer Erklärung von ver.di Bayern. In Griechenland sorgt die Austeritätspolitik der Troika nicht nur für eine massive Verarmung der Bevölkerung, sondern auch für eine Aushebelung von Tarif- und Gewerkschaftsrechten. In Spanien sind zahlreiche Gewerkschafter_innen von langen Gefängnisstrafen bedroht, weil sie sich an Streikposten beteiligt hatten. Ausgangspunkt der dortigen Repression gegen Gewerkschafter_innen war der landesweite Streik im März 2012. Er wurde europaweit von linken Gruppen unterstützt. In Deutschland entstand in der Folge das M31-Netzwerk, das einen Aufruf zur Unterstützung eines europaweiten Generalstreiks verfasste. Es wäre an der Zeit, die Diskussion über die europaweite Verteidigung von Streik- und Gewerkschaftsrechten neu wieder weiter oben auf die Tagesordnung zu setzen.
Auseinandersetzung einer Pflegehelferin mit ihrem Arbeitgeber geht in die nächste Runde
Angelika Konietzko kritisierte die Arbeitsbedingungen bei einem Pflegedienst in Mitte – und verlor ihren Job. Jetzt streitet sie vor Gericht um ein Gutachten, das sie als »destruktive Person« beschreiben soll.
Darf Angelika Konietzko erfahren, ob ein Betriebsarzt ein Gutachten selber verfasst hat, in dem ihr Realitätsverlust, Schwarz-Weiß-Denken und destruktives Verhalten vorgeworfen wird? Diese Frage hatte das Amtsgericht Neukölln am Donnerstagmorgen zu klären. Eine Entscheidung wurde nicht gefällt. Zunächst will die Richterin klären lassen, ob nicht vielleicht das Landgericht zuständig ist.
Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Dort hatten Aktivisten von Erwerbslosengruppen und sozialen Initiativen Platz genommen. Der Fall sorgt dort seit Jahren für Aufmerksamkeit. Konietzko hatte als Pflegekraft in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke gearbeitet. Als sie sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter und unzumutbare Zustände für die Pflegebedürftigen wehrte, kam es zum Zerwürfnis mit dem Pflegedienst Mitte. Seitdem sehen sich beide Seiten nur noch vor Gericht (»nd« berichtete).
Der Arbeitgeber behauptet, Konietzko habe die Betriebsabläufe gestört. Die Betroffene sieht sich als Opfer von Mobbing, weil sie sich für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt hat. Dabei spielt die Stellungnahme des Betriebsarztes eine wichtige Rolle. »Dadurch wurde ich als destruktive Person stigmatisiert, obwohl mich der Arzt seit Jahren nicht gesehen hat«, beklagt Konietzko gegenüber »nd«.
Der Verdacht, dass die Stellungnahme nicht von ihm verfasst wurde, gründet sich auf mehrere Indizien. So ist die Unterschrift unleserlich und weicht beträchtlich von anderen Unterschriften des Arztes ab. Zudem soll das Schreiben in der gleichen Diktion verfasst worden sein, wie andere Schriftsätze des Pflegedienstes Mitte. Besonders misstrauisch wurde Konietzko aber, als der Arzt ihr die Antwort auf die Frage, ob er den Text geschrieben hat, mit Verweis auf seine Schweigepflicht gegenüber der Betriebskrankenkasse verweigerte. Auch ein Antrag, bei dem Landesbeauftragen für Datenschutz bracht für die Frau keinen Erfolg. Der Arzt richtete auch an diese Behörde ein Schreiben, dass Frau Konietzko ausdrücklich nicht lesen durfte. Die Datenschutzbehörde hat mittlerweile gegenüber der Betroffenen erklärt, sie werde das Schreiben nach dem Willen des Arztes geheim halten. Sie könne die Behörde verklagen.
Mittlerweile hat Konietzkos Anwalt die Klage um diesen Punkt erweitert. Er sieht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, wenn Fragen über Autoren medizinischer Stellungnahmen über die eigene Person geheim gehalten werden.
Auch bei vielen Prozessbesuchern stieß diese Praxis auf Unverständnis. »Es ist schließlich ein Unterschied, ob ein Arzt oder eine Privatperson erklärt, jemand sei eine destruktive Persönlichkeit. Als Stellungnahme eines Mediziners kann eine solche Aussage gravierende Auswirkungen auf die beurteilte Person haben«, meine Anne Allex, die seit Jahren in der Erwerbslosenberatung tätig ist.
Fast hätte der ägyptische Präsident mit seinen Besuch ein für Westberlin historisches Datum gestreift. Am 2. Juni 1967 sorgte der Besuch des persischen Schahs für Proteste und wurde zum Katalysator einer neuenLinken, die es allerdings auch ohne diesen besonderen Anlass gegeben hätte.
48 Jahre später dürfte der Besuch von Abdel Fattah al Sisi sicher keine neue linke Protestbewegung in Deutschland auslösen. Trotzdem gibt es inhaltich viele Parallelen zwischen den beiden Potentaten. Sie haben demokratisch gewählte, aber dem sogenannten Westen unliebsame Präsidenten gestürzt und dann einterroristisches System errichtet. Beim Schah war es der bürgerliche Präsident Mossadegh, der die Ölrente für die eigene Bourgeoisie nutzen wollte und sich zur Durchsetzung seiner Interessen auch der damals nicht einflusslosen Kommunistischen Partei des Irans bediente. Das aber war in Zeiten des Kalten Krieges für ihn zumindest politisch tödlich. Der Schah bot sich für den Westen als Statthalter ihrer Interessen an.
In Ägypten war der islamische Präsident Mursi mit großer Mehrheit gewählt worden. Er ging auch gleich dran, die Relikte der Mubarak-Ära zu beseitigen. Doch seine islamistische Agenda schreckte auch viele der Oppositionellen gegen Mubarak ab. Als er im Januar 2013 Berlin besuchte, stand vor allem seine regressive Israelkritik [1], aber auch die angebliche Christenverfolgung in Ägypten im Fokus der Kritik.
Sämtliche Fraktionen der Opposition vereint im Gefängnis
Mittlerweile sind sowohl die islamistisch-konservativen Moslembrüder als auch die säkulare Opposition gegen Islamisten und Mubarak vereint in den Gefängnissen. Todesurteile werden in Serie verhängt, oppositionelle Zeitungen, Gewerkschaften und überhaupt zivilgesellschaftliche Institutionen sind heute mehr geknebelt als zuZeiten des Mubarak-Regimes.
Für diesen Zustand sind auch die katastrophalen taktischen Fehler der säkularen Opposition verantwortlich, die in der Ära Mubarak teilweise eine Machtübernahme durch das Militär als das kleinere Übel sahen und sogar offen für einen Putsch mobilisierten. Dabei hätten sie doch die Herrschaft des politisch schwachen islamistischen Präsidenten nutzen könnten, um linke und zivilgesellschaftliche Kräfte zu stärken und so eine Alternative zu Militärdiktatur und Islam zu entwickeln.
In dieser politischen Orientierung eines Teil des liberalen Spektrums, eine Militärdiktatur als das kleinere Übel gegenüber einen schwachenislamistischen Präsidenten anzusehen, kommt auch ein Klassendünkel zum Vorschein. Mursi hatte seine Anhänger vor allem unter der armen Bevölkerung der ländlichen Region und der Kairoer Vorstädte. Doch von dort witterten viele Liberale eine große Gefahr.
In den auch in der Taz veröffentlichten Kolumnen der ägyptischen Religionswissenschaftlerin Sarah Eltantawi [2] kann die Position der zumindest temporären liberalen Diktaturbefürworter [3] gut verfolgt werden. Mag Al Sisi auch ein Diktator sein, so ist er doch für die wohlhabenden ägyptischen Kreise ein Bollwerk gegen die Wut der Armen.
Diktator des Westens
So wird der Diktatur auch vom sogenannten Westen gesehen. Er mag ein Diktator sein, aber er ist auf der Seite des Westens. Diese Haltung war im Kalten Krieg weit verbreitet, ist aber in der letzten Zeit stärker in die Kritik geraten. Das zeigt sich bei der Diskussion um den Al Sisi-Besuch.
Parlamentspräsident Lammert hat ihn nicht getroffen, was ihn auch nicht gestört haben dürfte. Die entscheidenden Verträge werden schließlich mit der Kanzlerin und dem Außenminister abgeschlossen. Zudem läuft die Kooperation zwischen Deutschland und Ägypten bei der Polizeiausbildung [4] auch ohne Staatsbesuche seit langem reibungslos. Dass sich daran nichts ändert wird, ist klar. Ägypten sei als Staat viel zu wichtig, als dass man Todesurteile am Fließband zur Grundlage der Kooperation machen könnte. Dieses Statement aus der Regierung in Berlin ist wenigstens ehrlich.
„The Final Coutdown – jetzt aber wirklich“ ist seit Tagen eine Kolumne [1] im Wirtschaftsteil der Taz überschrieben. Heute sind sie beim „3. Tag bis zur Griechenlandpleite angelangt“, heißt es am 2. Juni. Mit den Texten soll durchaus ironisch darauf hingewiesen werden, dass seit Monaten die endgültige Griechenland-Pleite, der Grexit oder ähnliches, herbei geschrieben wird. Am Ende sind diese Prognosen bislang nie eingetreten.
Nun ist es wieder einmal so weit. Spätestens als am 1. Juni ein Treffen für die G7-Vorbereitung zu einem Griechenlandgipfel im Berliner Kanzleramt stattfand [2], wird verstärkt vom allerletzten Angebot an Tsipras [3] berichtet.
Natürlich wird hier wieder einmal eine Drohkulisse aufgebaut, die die griechische Regierung nun endgültig dazu bringen soll, sich von ihren Wahlversprechen zu verabschieden und sich den Vorgaben der Institutionen zu unterwerfen. Das zeigt sich schon daran, dass das Angebot direkt an Tsipras adressiert ist und nicht an die griechische Regierung. Ihm soll zugemutet werden, notfalls den linken Parteiflügel fallen zu lassen, um sich dem Druck zu beugen
Schließlich hat sich erst vor einigen Tagen auf einer Sitzung des Syriza-Zentralkomitees gezeigt, dass eine starke Minderheit bereit ist, notfalls mit den Institutionen zu brechen, die Banken zu verstaatlichen und einen neuen Weg jenseits des Euro zu gehen. Politische Beobachter stellen nun fest, dass diese Position parteiintern an Zustimmung gewonnen hat, je mehr Menschen registrieren, dass die Institutionen die Ergebnisse der demokratischen Wahlen ignorieren.
Viele Syriza-Politiker waren der Überzeugung, dass sie sich mit der EU und dem IWF zumindest auf ein Schuldenmoratorium verständigen können, weil eine solche Politik schließlich auch von vielen Ökonomen als rational bezeichnet wird. Letztendlich müsse allen klar sein, dass Griechenland die Schulden gar nicht zurückzahlen kann.
Die harte Politik ist denn auch nicht ökonomischen Erwägungen geschuldet, sondern an Griechenland soll ein Exempel statuiert werden, damit andere Regierungen gar nicht erst auf die Idee kommen, die von Deutschland gezimmerte Architektur in Frage zu stellen. Potentielle Wähler sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, Parteien zu wählen, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung, statt die Befriedigung von Banken, Märkten und Institutionen in den Mittelpunkt stellen.
Griechische Regierungsmitglieder gegen Erpressung und Ultimatum
Die Drohkulisse, die im Berliner Kanzleramt aufgebaut wurde, weist keine Elemente auf, mit denen sich die Kritiker der Institutionen besänftigen ließen. Bestätigt wird dies auch dadurch, dass der Gipfel ausgerechnet im Berliner Kanzleramt abgehalten wurde.
Seit Jahren gibt es in Athen die Kritik an dem deutschen Diktat, Merkel wird in verschiedenen unvorteilhaften Rollen dargestellt. Selbst Kritiker der Austeritätspolitik warnten vor einer Überschätzung der Rolle Deutschlands. Wenn aber nun ein Griechenlandgipfel im Berliner Kanzleramt ohne einen Vertreter der griechischen Regierung abgehandelt wird, um dem griechischen Ministerpräsidenten ein letztes Angebot zu unterbreiten, dann kann das nur als maximale Bestätigung der Kritiker verstanden werden.
Wenn dann noch IWF-Chefin Christine Lagarde, EZB-Präsident Mario Draghi, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie Frankreichs Staatschef François Hollande bei dem Gipfel dabei sind, wird sich nur das Bild der Dominanz Deutschlands verfestigen. Sie alle beratschlagten als Gäste der deutschen Regierung über die Politik eines Landes, das nicht anwesend war.
So wusste die griechische Regierung selbst am Tag nach dem Gipfel noch nicht einmal, welche Inhalte das letzte Angebot aus Berlin überhaupt hat. Führende Syriza-Politiker betonten auch, dass sie weiterhin kein Diktat und keine Erpressung akzeptieren würden.Premierminister Tsipras legte ein neues Reformprogramm vor, das wiederum von den Institutionen unterschiedlich kommentiert wurde.
Was in den meisten Medien als Chaos im griechischen Regierungslager interpretiert wird, kann durchaus als durchdachte Strategie verstanden werden. Die griechische Regierung will das Heft in der Hand behalten, wehrt sich gegen die Drohungen aus Berlin und zeigt mit ihrem Reformprogramm, dass sie eben nicht einfach übergangen werden kann. Zumal sie auch drauf setzen mag, dass die Einigkeit zwischen Troika-Institutionen und einigen EU-Regierungen, die im Berliner Kanzleramt zur Schau gestellt werden sollte, durchaus an manchen Punkten aufgebrochen werden kann. Es zeigte sich auch schon in der Vergangenheit, dass besonders die deutsche Regierung konkrete Vorschläge aus Athen seit der Regierungsübernahme von Syriza besonders ablehnend gegenübersteht.
Ist die griechische Regierung notfalls zu einem Bruch bereit?
Die griechische Regierung steht trotz des Drucks aus Berlin durchaus nicht so mit dem Rücken an der Wand, wie es manche Politiker und Medien hierzulande erhoffen. So musste selbst der Syriza kritische Deutschlandfunk einräumen, dass viele Menschen in Griechenland, selbst die die Angst vor einen Euro-Austritt haben, weiterhin die Partei unterstützen, weil sie sich gegen das Diktat der Institutionen wehrt, während die konservative Oppositionspartei auf die die Institutionen gesetzt haben, in die Bedeutungslosigkeit zu rutschen droht.
Wenn nun ausgerechnet ein griechischer Bankpräsident in London erklärt, die griechische Bevölkerung sei zu weiteren Opfern bereit, um im Euro zu bleiben, so werden die Institutionen eine solche Kunde gerne hören. Sie muss allerdings nicht besonders glaubwürdig sein. Schließlich hat ein großer Teil der griechischen Bevölkerung erfahren, dass er immer stärker verarmt und die Ökonomie des Landes gleichzeitig immer schwächer wird. Die Frage, ob trotz einer großen Angst vor einem Euroaustritt auch ein Großteil der Bevölkerung bereit wäre, einen Bruch mit diesem System einzugehen, wenn damit weitere Erpressungen und Diktate verhindert werden, müsste gestellt werden. Doch gibt es bei Syriza überhaupt einen solchen Plan B?
Die Partei hat in den Wahlen für ein Verbleiben im Euroraum unter sozialeren Bedingungen plädiert. Wenn sie nun erfahren muss, dass es diese sozialeren Bedingungen im EU-Raum nicht gibt, weil Deutschland die Austeritätspolitik mit allen Mitteln verteidigt, müsste eine verantwortungsbewusste linke Regierung nach Wegen aus dem Euro suchen und die Bevölkerung davon überzeugen. Zurzeit kursieren im Internet verschiedene Szenarien, wie sich ein Euroaustritt aufhalten ließe, ohne dass die griechische Regierung kapituliert. Solche Möglichkeiten sollten besser auf ihre Realitätstauglichkeit geprüft werden, statt ständig neue Griechenlandpleiten vorauszusagen.
Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. (Hrsg. Hans Coppi, Kamil Majchrzak). Berlin: Metropol, 2015. 240 S., 19 Euro
«Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes», heißt es im Klappentext. In knapp 30 Aufsätzen informiert das Buch über die Geschichte des KZ und Zuchthaus Sonnenburg, Historiker aus Polen, Frankreich, Luxemburg, Belgien und Deutschland, sowie Angehörige der Opfer des KZ und Zuchthaus Sonnenburg kommen dabei zu Wort.
Lange Zeit war dieser Terrorort, der heute im westpolnischen Slonsk liegt, vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als «Folterhölle Sonnenburg» weltbekannt – daran erinnert der polnische Historiker Andrzej Toczewski in seinem Überblicksartikel. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt. Es waren überwiegend Berliner Kommunisten. Aber auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Alle drei überlebten das NS-System nicht.
Dass das Zuchthaus bereits in den 20er Jahren bekannt wurde, dafür sorgte der rebellische Linkskommunist Max Hölz, der dort inhaftiert war. Eine internationale Solidaritätsbewegung forderte seine Freilassung. Körbeweise trafen in diesen Jahren Solidaritätsbriefe im Zuchthaus ein. Auch in der Sowjetunion war Sonnenburg durch Hölz damals ein Begriff. Wegen schlechter hygienischer Bedingungen wurde das Zuchthaus 1931 von der preußischen Landesregierung geschlossen, was in der Bevölkerung auf Widerstand stieß. Schließlich war der Knast ein wichtiger Arbeitgeber. Die NSDAP konnte mit dem Versprechen, es wieder zu öffnen, in der Region Stimmen gewinnen.
Das Versprechen wurde schnell eingelöst. Sonnenburg wurde in der frühen NS-Zeit zu einem wichtigen Konzentrationslager für Berliner Linke. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: «Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht … Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.» Der Politologe Christoph Gollasch verweist auf weitere Berichte über Folterungen in Sonnenburg und nennt den Ort «ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung».
Nach der Auflösung des KZ wurde Sonnenburg als Zuchthaus genutzt. Dorthin wurden während des Zweiten Weltkriegs aus ganz Europa Nazigegner, die von der Straße weg verhaftet wurden, verschleppt. Diese sogenannten Nacht- und Nebelgefangenen wurden hier unter besonders unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31.Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz bevor die Rote Armee das Lager befreien konnte. Viele der Opfer konnten trotz Bemühungen der Angehörigen aus verschiedenen europäischer Ländern nie identifiziert werden.
Der Jurist Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden der für das Massaker verantwortliche SS-Sturmbannführer Heinz Richter und SS-Hauptsturmbannführer Wilhelm Nickel am 2.August 1971 vor dem Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte eine Gruppe von Antifaschisten in Westberlin mit der Erforschung der Geschichte des KZ Sonnenburg begonnen. Mit dem Umbruch von 1989 kam diese Arbeit zunächst zum Erliegen. Ab 2010 beschäftigten sich Mitglieder der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mit der Geschichte von Sonnenburg. Sie gründeten dafür einen gesonderten Arbeitskreis. So konnten auch noch die Arbeitsergebnisse aus den 80er Jahren mit einfließen. Es möge dem Buch gelingen, Sonnenburg zu einem europäischen Gedenkort zu machen, damit die Opfer des KZ nicht vergessen werden.