Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

Ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. (Hrsg. Hans Coppi, Kamil Majchrzak). Berlin: Metropol, 2015. 240 S., 19 Euro

«Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes», heißt es im Klappentext. In knapp 30 Aufsätzen informiert das Buch über die Geschichte des KZ und Zuchthaus Sonnenburg, Historiker aus Polen, Frankreich, Luxemburg, Belgien und Deutschland, sowie Angehörige der Opfer des KZ und Zuchthaus Sonnenburg kommen dabei zu Wort.
Lange Zeit war dieser Terrorort, der heute im westpolnischen Slonsk liegt, vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als «Folterhölle Sonnenburg» weltbekannt – daran erinnert der polnische Historiker Andrzej Toczewski in seinem Überblicksartikel. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt. Es waren überwiegend Berliner Kommunisten. Aber auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Alle drei überlebten das NS-System nicht.
Dass das Zuchthaus bereits in den 20er Jahren bekannt wurde, dafür sorgte der rebellische Linkskommunist Max Hölz, der dort inhaftiert war. Eine internationale Solidaritätsbewegung forderte seine Freilassung. Körbeweise trafen in diesen Jahren Solidaritätsbriefe im Zuchthaus ein. Auch in der Sowjetunion war Sonnenburg durch Hölz damals ein Begriff. Wegen schlechter hygienischer Bedingungen wurde das Zuchthaus 1931 von der preußischen Landesregierung geschlossen, was in der Bevölkerung auf Widerstand stieß. Schließlich war der Knast ein wichtiger Arbeitgeber. Die NSDAP konnte mit dem Versprechen, es wieder zu öffnen, in der Region Stimmen gewinnen.
Das Versprechen wurde schnell eingelöst. Sonnenburg wurde in der frühen NS-Zeit zu einem wichtigen Konzentrationslager für Berliner Linke. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: «Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht … Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.» Der Politologe Christoph Gollasch verweist auf weitere Berichte über Folterungen in Sonnenburg und nennt den Ort «ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung».
Nach der Auflösung des KZ wurde Sonnenburg als Zuchthaus genutzt. Dorthin wurden während des Zweiten Weltkriegs aus ganz Europa Nazigegner, die von der Straße weg verhaftet wurden, verschleppt. Diese sogenannten Nacht- und Nebelgefangenen wurden hier unter besonders unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31.Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz bevor die Rote Armee das Lager befreien konnte. Viele der Opfer konnten trotz Bemühungen der Angehörigen aus verschiedenen europäischer Ländern nie identifiziert werden.
Der Jurist Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden der für das Massaker verantwortliche SS-Sturmbannführer Heinz Richter und SS-Hauptsturmbannführer Wilhelm Nickel am 2.August 1971 vor dem Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte eine Gruppe von Antifaschisten in Westberlin mit der Erforschung der Geschichte des KZ Sonnenburg begonnen. Mit dem Umbruch von 1989 kam diese Arbeit zunächst zum Erliegen. Ab 2010 beschäftigten sich Mitglieder der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mit der Geschichte von Sonnenburg. Sie gründeten dafür einen gesonderten Arbeitskreis. So konnten auch noch die Arbeitsergebnisse aus den 80er Jahren mit einfließen. Es möge dem Buch gelingen, Sonnenburg zu einem europäischen Gedenkort zu machen, damit die Opfer des KZ nicht vergessen werden.

aus: SoZ 6/2015

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

von Peter Nowak

Im Schatten

Im polnischen Słońsk ist eine Ausstellung eröffnet worden, die an das dortige ehemalige Konzentrationslager erinnert.

»Wer ins polnische Słońsk kommt, sollte unbedingt Zeit mitbringen«, heißt es auf der Homepage der »Initiative Kulturbrücke über die Oder«, die für eine deutsch-polnische Kulturbegegnung wirbt. Dort wird auf den Nationalpark Warthemündung mit seinen seltenen Vögeln und Pflanzen hingewiesen. Seit dem 31. Januar gibt es einen weiteren Grund, länger in dem polnischen Städtchen knapp 100 Kilometer östlich von Berlin zu verweilen. An diesem Tag wurde eine in deutsch-polnischer Kooperation und maßgeblich vom »Internationalen Arbeitskreis zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg« der Berliner VVN-BdA konzipierte Ausstellung zur Geschichte des KZ Sonnenburg eröffnet. Sie erinnert an eine Zeit, die auf der Homepage der Kulturbrücke unter dem Stichwort »besonders dunkler Teil der Sonnenburger Geschichte« in einem kurzen Absatz abgehandelt wird.

»Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes«, heißt es in der Ausstellung. Die in deutscher und polnischer Sprache erstellten Tafeln belegen diese Aussage detailliert. Bereits im Frühjahr 1933 wurden Kommunisten, Sozialisten und linke Intellektuelle aus Berlin und Brandenburg nach Sonnenburg verschleppt. Klaas Meyer, ein kommunistischer Seemann, beschrieb seine Begegnung mit der SA: »Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, den meisten lief das Blut schon durchs Gesicht. (…) Die ganze Bevölkerung war vertreten, man hatte ihnen gesagt, wir seien Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.«

In der Ausstellung wird auch gezeigt, dass Sonnenburg nicht zufällig als Ort für das KZ ausgesucht wurde. Als 1931 das dortige Zuchthaus wegen katastrophaler hygienischer Zustände geschlossen wurde, regte sich im Ort, in dem das Zuchthaus ein zentraler Arbeitgeber war, Widerstand. Die NSDAP, die gegen die Zuchthausschließung agitierte, erzielte gute Wahlergebnisse.

Mehrere Tafeln dokumentieren die Gesichter der »Nacht-und-Nebel-Gefangenen«, die nach 1941 aus zahlreichen von Deutschland besetzten Ländern in das Zuchthaus verschleppt wurden. Kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee erschoss die SS in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 in Sonnenburg noch 819 Gefangene.

70 Jahre später reisten zur Eröffnung der Ausstellung auch viele Angehörige der Opfer aus Deutschland und diversen europäischen Ländern an. Doch nicht alle fühlten sich in Słońsk willkommen. Viele Angehörige mussten in der winterlichen Witterung vor der Halle warten, in der ein Vertreter des Fürstenhauses von Luxemburg bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des 30. Januar 1945 sprach. Der größte Teil der Erschossenen kam aus Luxemburg.

»Auch unsere Angehörigen waren Opfer«, sagt Jan Hertogen. Der belgische Forscher, der beim Internationalen Arbeitskreis der Berliner VVN mitarbeitete, war besonders empört, dass die Rede der belgischen Botschafterin bei der Gedenkveranstaltung aus Zeitgründen kurzfristig gestrichen worden war. »In Sonnenburg wurde mein Vater gequält und heute fühle ich mich an dem Ort wieder gedemütigt«, sagt Meina Voigt Schnabel zur Jungle World. Auch die Tochter des kommunistischen Seemanns Klaas Meyer, der bereits 1933 die Zustände in der »Folterhölle Sonnenburg« der Öffentlichkeit bekannt machte, bekam keinen Zutritt zur Gedenkveranstaltung.

Am Nachmittag organisierte der Arbeitskreis ein Treffen im Rathaus von Słońsk mit dem polnischen Staatsanwalt Janusz Jagiełłowicz, der die Kommission für die Verfolgung von Verbrechen im Zuchthaus Sonnenburg leitet. Die 1972 eingestellten Ermittlungen gegen die Verantwortlichen wurden im Februar 2014 wieder aufgenommen. Rechtzeitig zum 70. Jahrestag des Massakers haben Hans Coppi und Kamil Majchrzak im Metropol-Verlag das Buch »Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg« herausgegeben, das einen guten Überblick über die Geschichte dieses weitgehend vergessenen Ortes des NS-Terrors gibt.

http://jungle-world.com/artikel/2015/06/51382.html
Peter Nowak

Inbegriff des NS‑Terrors

Geschichte Im westpolnischen Słońsk soll ein Gedenkort an das KZ Sonnenburg erinnern
»Donnerstag, den 6. April: Abtransport über Schlesischen  Bahnhof nachSonnenburg, Nacht mit Ossietzky und Litten. Sonnabend, den 8. April: Umzug in Einzelhaft (Keller); Erdarbeit (mit Ossietzky). Sonntag, den 9. April: Verletzung des  Gebisses, des Ohres usw. Mittwoch, den 19. April:  Schwere Herzattacken durch Überanstrengungen, frühmorgens. Donnerstag, den 13. April: Anstrengungen wie gestern, Ohrenausspritzung. Sonnabend, den 22. April: Beim Arzt (Zurechtweisung wegen unnötiger Konsultation).   Montag, den 24. April: Überfall in der Zelle, Schläge. 16./17. Mai: Überfallin der Zelle.« In seinem Taschenkalender hatte Erich Mühsam sein Martyrium als Gefangener der Nazis im  Konzentrationslager Sonnenburg festgehalten. Litten, Ossietzky und Mühsam, die den Nazis
»Folterhölle Sonnenburg«
1934 wurde das KZ Sonnenburg geschlossen,  die meisten Häftlinge wurden in andere KZs verlegt. Ab 1942
wurden Gefangene aus sämtlichen von der Wehrmacht besetzten Ländern von der Straße weg nach Sonnenburg verschleppt. Über 800 dieser »Nacht- und Nebel-Gefangenen« wurden am 30. Januar 1945 von der Gestapo erschossen, kurz bevor sie von der Roten Armee befreit werden konnten. HistorikerInnen sprechen von einem der größten Massaker an Gefangenen in der Endphase des NS-Regimes. Es ist bis heute in Deutschland ebenso unbekannt wie die Geschichte des KZ Sonnenburg. Eine Arbeitsgruppe der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVNBdA) will das ändern. Die AG gehörte zu den Mitveranstaltern einer Tagung im Gemeindehaus des westpolnischen Städtchens Słońsk, wie das ehemalige Sonnenburg seit 1945 heißt. Angehörige von Verfolgten des Naziregimes, KommunalpolitikerInnen, JuristInnen und HistorikerInnen haben dort am 13. September 2013 vereinbart, dass in dem Ort ein europäischer Erinnerungsort für die deutsche Verbrechensgeschichte entstehen soll. Bei einem Rundgang durch den kleinen Ort stößt man überall auf die Spuren.  In einem grauverputzten Bau im Industriegelände am Rande des Städtchens befindet sich das das Muzeum Martyrologie, das an die Geschichte des KZ Sonnenburg erinnert. Am anderen Ende des Ortes wird auf einem Friedhof den Opfern des Massakers vom 31. Januar 1945 gedacht. Sie kamen aus sämtlichen europäischen Ländern, besonders viele jedoch aus Luxemburg, Frankreich und Belgien. An den Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag nehmen regelmäßig Delegationen aus diesen Ländern teil. Seit zwei Jahren beteiligt sich auch die Berliner VVN-BdA daran. Offizielle deutsche VertreterInnen waren bisher nie anzutreffen. Während in den letzten Jahren für die Renovierung der ehemaligen Johanniterkirche in Słońsk Spendengelder aus Deutschland flossen, gab es für die beiden Gedenkorte bisher keinen einzigen Cent. Dabei müssen viele der Exponate im Gedenkmuseum restauriert werden.  Sie wurden bei einem Wasserrohrbruch beschädigt, die nachfolgende Schimmelbildung sorgt für weitere Probleme.  Seit Jahren bemüht sich der Słońsker Bürgermeister Janusz Krzyśków um eine finanzielle Förderung der Erinnerungsarbeit.  Mit den kürzlich genehmigten EUMitteln können zumindest die Außenfassade und der Vorplatz des Museums erneuert werden. Für die Modernisierung der Innenausstattung des Museums fehlt weiterhin das Geld. Kamil Majchrzak von der VVN-AG sieht auch Institutionen in Deutschland in der Verantwortung.  Doch im ambitionierten Programm zum Erinnerungsjahr »Zerstörte Vielfalt« in Berlin wurde das KZ Sonnenburg ausgeblendet. Dabei fällt der 80. Jahrestag der Gründung in das Erinnerungsjahr, und die Gefangenen kamen fast ausnahmslos aus Berlin.  Mit Forschungslücken ist diese Ignoranz nicht zu erklären. Dazu müssten allerdings die zahlreichen Arbeiten aus Polen zur Kenntnis genommen werden.
Die Täter wurden bisher nicht belangt
Auf der Tagung würdigten mehrere RednerInnen das Engagement des 1996 verstorbenen polnischen Staatsanwalts Przemysław Mnichowski. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass 1974 das Gedenkmuseum in Słońsk errichtet wurde.  Er hat als Leiter der lokalen Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen auch den Grundstock für die wissenschaftliche Aufarbeitungder NS-Verbrechen gelegt. In mehreren Artikeln in juristischen Fachzeitschriftensetzte er sich mit den Verbrechen in Sonnenburg auseinander. Bereits 1970 legte er Karteikarten mitden Namen und kurzen biographischenAngaben von über 600 Gefangenen von Sonnenburg an. An diese Vorarbeit kann Peter Böhnevon der Berliner VVN-BdA anknüpfen, der auf der Tagung eine Datenbank mit Informationen über die Gefangenendes KZ Sonnenburg vorstellte. Vielleicht kann sie demnächst durch die Forschungsarbeiten einer kleinen Initiative ergänzt werden, die in den späten 1980er Jahren im Umfeld der Westberliner Friedensbewegung entstanden war und gemeinsam mit polnischen WissenschaftlerInnenzur Geschichte von Sonnenburg forschte. Nach 1989 wurde die gemeinsame Arbeit eingestellt, und die Unterlagen wanderten in die Schublade. In Słońsk überreichte Initiativenmitbegründer Peter Gerlinghoff die Materialen Hans Coppi von der der VVN. Bisher hatte sich niemand für die Opfer von Sonnenburg interessiert. Die Täter hingegen setzten ihre Arbeit einfach fort. Bekannte Folterer aus dem KZ Sonnenburgwie Emil Krause oder Wladislaus Tomschek gehörten in der BRD bis zu ihrer Verrentung zum Wachpersonal in Haftanstalten. Die für das Massaker verantwortlichen Gestapo-Männer Heinz Richter und Wilhelm Nickel wurden 1970 in einem Prozess vom Kieler Landgericht freigesprochen. Sollte einer der Täter noch leben, könnte er doch noch juristisch belangtwerden. Denn am Ende der Tagung kündigteder polnische Staatsanwalt Janusz Jagiełłowicz die Wiederaufnahme der seit über 30 Jahre ruhenden Ermittlungen gegen die NS-Täter an. Unter den Bedingungen einer vereinfachten staatsanwaltlichen Zusammenarbeit in der EU sieht er eine letzte Chance, die Opfer und Täter des ZuchthausesSonnenburg zu verifizieren. Ein besonderes Augenmerk legt Jagiełłowicz auf die Zurechnung der einzelnen Morde,die Übergriffe der Wachmannschaften auf die Sonnenburger Häftlinge sowie die im Zuchthaus Sonnenburg durchgeführte medizinischen  Experimente, die noch kaum erforscht sind. So könnten auch in Deutschland Justiz und Gesellschaft gezwungen werden, sich mit der Verbrechensgeschichte in Sonnenburg auseinanderzusetzen.
https://www.akweb.de/
aus: ak | Nr. 588 | 19. November 2013
Peter Nowak