Holt sie rein

Linke Gewerkschafter wollen erreichen, dass sich der DGB stärker für Flüchtlinge einsetzt

In Berlin ließ der DGB Flüchtlinge von der Polizei räumen, in Hamburg bot ver.di Flüchtlingen die Mitgliedschaft an. Eine Initiative setzt sich dafür ein, dass das Beispiel Hamburg Schule macht.

»Wir kämpfen um unsere Würde. Unterstützen Sie uns dabei«, mahnt Bogan Droma eindringlich. Der Mann aus Rumänien arbeitete mit zehn Kollegen auf der Baustelle des jüngst eröffneten Nobel-Einkaufszentrums Mall of Berlin und wurde um den Lohn geprellt. Jeden Tag stehen sie vor der Mall und fordern ihr Geld ein. Dromas Rede bildete den Auftakt einer Veranstaltung im Berliner IG-Metall-Haus am Mittwochabend unter dem Motto: »Auch Geflüchtete sind Kolleginnen und Kollegen: Holt sie in die Gewerkschaft rein«. Bogdan Droma unterstützt diese Forderung. »Viele Menschen aus Rumänien und anderen Ländern werden um ihre Löhne betrogen und brauchen Solidarität.«

Bereits Mitglied in einer deutschen Gewerkschaft ist Asuquo Udo. In Nigeria geboren verdiente er jahrelang in Libyen den Lebensunterhalt für seine Familie. »Der NATO-Krieg hat mich zur Flucht gezwungen«, erklärt Udo bei der Veranstaltung. Über Italien kam er nach Hamburg, wo er in der Flüchtlingsorganisation »Lampedusa Hamburg« aktiv war. »Wir haben deutlich gemacht, dass wir Teil der Gesellschaft sind.« Daher waren er und seine Mitstreiter erfreut, dass der ver.di-Gewerkschaftssekretär Peter Bremme den Lampedusa-Flüchtlingen eine Mitgliedschaft anbot. Auf einer Webseite ist neben einem Foto ihr früherer Beruf vermerkt. Handwerker, Arbeiter und Intellektuelle sind darunter. Für Udo war dieses Bild sehr wichtig. »Es zeigte uns nicht als hilfsbedürftige Flüchtlinge, sondern als Kollegen«, sagt er. Er verschweigt aber auch nicht, dass es in der ver.di-Zentrale Widerstand gegen die Aufnahme der 300 Flüchtlinge gab. Sie verstoße gegen die Satzung, hieß die Begründung.

Für Anna Basten ist diese Erklärung unverständlich. Sie arbeitet ehrenamtlich beim Arbeitskreis »Undokumentiertes Arbeiten«, der beim DGB angedockt ist. Dieser unterstützt Menschen ohne Papiere beim Kampf um ihre Arbeitsrechte. »Der ver.di-Vorsitzende Bsirske hat uns dazu ermutigt, den Menschen, die wir beraten, auch die Gewerkschaftsmitgliedschaft anzubieten«, berichtet Basten in Berlin. Mehr als 50 Neumitglieder hätten sie dadurch gewonnen. Wenn sich Teile der Gewerkschaft gegen die Aufnahme der Geflüchteten aussprechen, sei das ein Rückschritt.

Auch der Sprecher des Landesmigrationsausschusses von ver.di Berlin, Erdogan Kaya, beklagt, dass sich die Gewerkschaften vor einigen Jahrzehnten noch vernehmlicher für die Rechte von Migranten eingesetzt haben. »Als die Geflüchteten in Berlin und anderen Städten in den letzten Monaten für ihre Rechte eintraten, gab es im DGB ein großes Schweigen«, beklagt Kaya.

Um diesen Zustand zu ändern, hat sich ein neues Bündnis »Gewerkschaftsrechte auch für Flüchtlinge« in Berlin gegründet. Die Initiative ging von der Basisgruppe »ver.di aktiv« aus. »Anfangs war unser Kreis überschaubar«, sagt Gewerkschafter Rolf Linder gegenüber »nd«. Doch am 2. Oktober ließ der Berliner DGB-Vorstand ihre von Flüchtlingen besetzte Zentrale durch die Polizei räumen. »Statt solidarischer Unterstützung gab es Anzeigen und Ausgrenzung. Das hat viele Gewerkschaftsmitglieder empört«, berichtet Linder. Kurz nach der Räumung habe sich die Zahl der Teilnehmer bei dem Treffen des gewerkschaftlichen Bündnisses erhöht. Schnell sei man sich darüber einig gewesen, dass es nicht reicht, die Räumung durch den DGB-Vorstand zu verurteilen. »Wir wollten zeigen, wie es auch anders geht«, so Linder. Die Veranstaltung im IG-Metall-Haus mit rund 80 Teilnehmern sieht er als Auftakt für eine innergewerkschaftliche Diskussion über Gewerkschaftsrechte für Geflüchtete. Enttäuscht hat ihn jedoch, dass kein einziger Vorstandsvertreter einer Gewerkschaft vorbeigeschaut hat.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/954609.holt-sie-rein.html

Peter Nowak

»Mit der Räumung nicht einverstanden«

Eine Woche lang hielten Flüchtlinge die Zentrale des DGB Berlin-Brandenburg in Berlin-Schöneberg besetzt. Nach dem Ablauf eines Ultimatums erstattete die Gewerkschaft in der vergangenen Woche Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen die etwa 20 Besetzer und ließ das Gebäude von der Polizei räumen. Dabei wurden zwei Flüchtlinge verletzt. Anna Basten arbeitet im Arbeitskreis »Undokumentiertes Arbeiten« bei Verdi, der Lohnabhängige unabhängig vom Aufenthaltsstatus berät. Sie hat mit der Jungle World gesprochen und gibt im Interview nur ihre persönliche Meinung wieder.

Small Talk von Peter Nowak

Verlieren undokumentiert arbeitende Menschen angesichts der Räumung nicht das Vertrauen in die Gewerkschaften und in Ihren Arbeitskreis?

Das fragen wir uns auch. Zurzeit haben wir hier noch keine Antwort, wie sich die Räumung auf unsere Arbeit auswirkt.

Sehen Sie in dem Geschehen generell einen Rückschlag für die flüchtlingspolitische Arbeit der Gewerkschaften?

Auf jeden Fall. Wir sind mit der Räumung überhaupt nicht einverstanden und waren auch nicht in die Entscheidung eingeweiht. Einige Mitglieder unseres Arbeitskreises haben die Flüchtlinge besucht und standen mit einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DGB in Kontakt. Es gab aber keine offizielle Kontaktaufnahme des DGB-Vorstands mit uns.

Es gibt gewerkschaftsinterne Kritik am DGB-Vorstand. Können solche Diskussionen noch etwas bewirken, wenn derart drastisch vorgegangen wurde?

Die Diskussionen müssen für eine Positionierung der Gewerkschaften in der Flüchtlingsfrage genutzt werden. Dabei müsste die Gewerkschaftsmitgliedschaft von Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in den Mittelpunkt gerückt werden. Schließlich wurden im vergangenen Jahr bereits 300 Flüchtlinge bei Verdi aufgenommen.

In der Vergangenheit wurde die Mitgliedschaft von Flüchtlingen unabhängig vom Aufenthaltsstatus meist mit Verweis auf die Satzung abgeblockt. Scheitern solche Forderungen weiterhin an gewerkschaftlichen Satzungsfragen?

http://jungle-world.com/artikel/2014/41/50701.html

Interview: Peter Nowak

Gewerkschafter kritisieren DGB

FLÜCHTLINGE Die Räumung der Zentrale sei ein „völlig falsches Signal“ gewesen, so der Tenor eines Aufrufs

Die Räumung einer Gruppe von Flüchtlingen aus der Berliner DGB-Zentrale durch die Polizei in der vergangenen Woche sorgt für Unmut unter Gewerkschaftern. „Die tagelange Belagerung des DGB-Hauses durch mehr als 20 Flüchtlinge und ihre Sympathisanten hat viele Beschäftigte im Hause an die Grenze der Belastbarkeit gebracht“, hatte der Sprecher des DGB Berlin-Brandenburg, Dieter Pienkny, die Einschaltung der Polizei begründet. Die Studentin Ines Schwerdtner und der Lehrer Micah Brashear von der Jungen GEW Berlin haben für diese Argumentation indes kein Verständnis: „Die Flüchtlingsgruppe hat sich nur in einem Stockwerk des Gewerkschaftsgebäudes aufgehalten und in der Lounge und in dem Foyer des DGB-Hauses geschlafen“, kritisieren sie das Vorgehen in einer Stellungnahme.

Nach Angaben der JunggewerkschafterInnen wollen sich KritikerInnen des Polizeieinsatzes, die im DGB-Haus arbeiten, nur anonym äußern, weil sie unter Druck ständen. Hingegen drücken viele haupt- und ehrenamtliche Mitglieder verschiedener Einzelgewerkschaften, die im DGB zusammengeschlossen sind, offen ihren Protest gegen die Räumung aus. „Nicht in unserem Namen – Refugees welcome!“, lautet die Überschrift des Aufrufs, der bereits von einigen hundert GewerkschafterInnen unterschrieben wurde. Die Räumung wird darin als „völlig falsches Signal“ bezeichnet.

Solidaritätskonferenz

Die GewerkschafterInnen wol- len die aktuelle Diskussion nutzen, damit sich der DGB und die in ihm zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften auf Seite der Flüchtlinge positionieren. So soll rasch eine Konferenz zur gewerkschaftlichen Solidarität mit den Geflüchteten organisiert werden. Außerdem soll jenen die Gewerkschaftsmitgliedschaft ermöglicht werden. Anna Basten vom „AK Undokumentiertes Arbeiten“, die im Ver.di-Büro Lohnabhängige unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus berät, verweist auf den Hamburger Ver.di-Sekretär Peter Bremme. Er hatte 2013 rund 300 Geflüchteten die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ermöglicht. Eine Abmahnung des Ver.di-Bundesvorstandes gegen ihn wurde nach Protesten zurückgenommen. Für die linke Gruppe Ver.di-Aktiv ist eine solche Initiative auch in Berlin überfällig. „Damit würden die Gewerkschaften deutlich machen, dass sie die Ausgrenzungspolitik nicht mittragen“, sagte ein Mitglied der Ver.di-Basisgruppe bei der BVG.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F10%2F07%2Fa0141&cHash=6972b0dbc68e19fd48640a53102d04fa

Peter Nowak