Radikaler Spaziergang

Betroffene der Berufsverbote in der BRD fordern Entschuldigung und Entschädigung

»Marianne Grossmann-Mönch, Berufsverbot 1975 – 1991 Pforzheim« steht auf dem Schild, das die Frau umgehängt hat. Neben ihr gehen 19 weitere Männer und Frauen. Auf ihrem Spaziergang vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor trugen auch sie Schilder um den Hals, auf denen sie darüber informierten, wie viele Jahre sie ihren Beruf nicht ausüben konnten. Die meisten waren Lehrer, aber auch Sozialarbeiter, Eisenbahner und Briefträger gerieten in die Mühle des Radikalenerlasses.

Der war vor 45 Jahren unter Vorsitz des damaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt von der Konferenz der Ministerpräsidenten in der BRD beschlossen worden, um Linke vom Staatsdienst fernzuhalten. Die konkreten Gründe waren unterschiedlich. Manche waren Mitglieder der DKP oder linker Studierendenorganisationen. Manche gerieten auch ins Visier der Ermittler, weil sie in einer linken Wohngemeinschaft lebten oder sich an Demonstrationen beteiligten.

»Was folgte war eine gigantische Gesinnungsschnüffelei«, sagte Klaus Lipps, einer der vom Berufsverbot betroffenen Lehrer, gegenüber »nd«. Über 3,5 Millionen Menschen sind vom Verfassungsschutz akribisch durchleuchtet worden. Etwa 11 000 Berufsverbotsverfahren wurden eingeleitet. Am Donnerstag forderte die Delegation von 20 Betroffenen von der in Berlin tagenden Ministerpräsidentenkonferenz nach vier Jahrzehnten ihre Rehabilitierung, eine persönliche Entschuldigung für das erlittene Unrecht und eine finanzielle Entschädigung. »Wir hatten alle durch die Berufsverbote Verdienstausfälle und wir bekommen dementsprechend auch eine geringere Rente«, erklärt Marianne Grossmann-Mönch. Sie konnte sich nach vielen Jahren gerichtlich in ihren Lehrerinnenberuf einklagen. Andere wechselten das Bundesland, um in ihrem Beruf arbeiten zu können.

Doch es gibt auch zahlreiche Betroffene, deren Berufsverbot bis heute andauert. »Manche wurden durch die Belastungen krank und einige Betroffene starben jung«, erinnert sich Grossmann-Mönch. Auch sie habe nur durch die große Solidarität in ihrer Stadt den politischen Kampf gegen das Berufsverbot führen können. Zur Delegation gehörte auch Silvia Gingold. Die Tochter jüdischer Kommunisten wird seit über 50 Jahren und bis heute vom Verfassungsschutz beobachtet. Deshalb forderte die Delegation auf ihrem Protest-Spaziergang durch das Regierungsviertel auf einem großen Transparent die Auflösung sämtlicher Geheimdienste.

Der kleine Umzug endete vor dem Brandenburger Tor. Die meisten der vor allem jungen Menschen dort, hatten noch nie von den Berufsverboten in Westdeutschland gehört und bekamen so Informationen aus erster Hand. Denn anders als über die Menschenrechtsverletzungen in der DDR wird über Grundrechtseinschränkungen in der BRD wenig berichtet. Die Pressekonferenz der Initiativgruppe »45 Jahre Radikalenerlass« war denn auch schlecht besucht.
aus:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1052893.radikaler-spaziergang.html

Peter Nowak


Leserbriefen in der jungen Welt vom 10.6.2017


Presseboykott bei Berufsverboten

Wir sind Jana Frielinghaus und jW sehr dankbar, dass sie über die Aktion der Initiativgruppe »40 Jahre Radikalenerlass« am 1.6. in Berlin wieder ausführlich berichtet haben. Denn außer jW und dem Journalisten Peter Nowak (für Neues Deutschland und Onlinemagazin Telepolis) hat niemand die Pressekonferenz, Kundgebung und Übergabe unserer Forderungen an die Ministerpräsidentenkonferenz auch nur mit einem Satz erwähnt. Ein fast perfekter Presseboykott anlässlich 45 Jahren Berufsverboten! Zwei Anmerkungen: Wir verstehen uns nicht als »Opfer«, sondern als Betroffene, die für Rehabilitierung und Entschädigung kämpfen. Und durch die Überschrift, für sich betrachtet, könnte ein falscher Zungenschlag entstehen. Im Artikel wird dann klargestellt, was die Betroffenen erlebt hätten, würde dem ähneln, was jungen Leuten heute über die DDR vermittelt wird.

Martin Hornung, Eppelheim (bei Heidelberg)

Berlin und die Phrase von der werteorientierten Außenpolitik

Viele Politiker, die Trumps Geschäftsreise nach Saudi-Arabien kritisieren, sind neidisch, dass Deutschland nicht zum Zug kam. Im Fall Indiens und Chinas soll ihnen das nicht passieren – Ein Kommentar

Die neu auferstandene Großmacht Deutschland ist schon längst über die Zeit hinaus, als sie nur auf Augenhöhe mit den USA stehen wollte. Mittlerweile hat sie die USA längs verbal zum Gegner erklärt.

Neu ist das nicht. Der SPD-Kanzler Schröder hat schließlich vor dem Irakkrieg gezeigt, wie man mit US-Schelte Zustimmung in Deutschland bekommt. Allerdings gelang es ihm nicht, sozialpolitische Probleme einfach durch einen Gegner im Ausland vergessen zu machen. Mit der Agenda 2010 leitete er seinen Sturz ein. Immer hat die SPD der Union und vor allem Merkel vorgeworfen, sie hätten US-Präsident Bush und den Irakkrieg unterstützt und deutsche Interessen vernachlässigt.

Jetzt gibt Merkel im Vorwahlkampf den Schröder und distanziert sich am Münchner Stammtisch von den USA. SPD und LINKE müssen also zuschauen, dass ihr Merkel auch noch das US-Bashing wegnimmt. Also muss Trump die Kanzlerin noch dabei übertreffen, Deutschland mit den USA in Stellung zu bringen. Wenn Schulz Trump zum „Zerstörer aller westlichen Werte“[1] anprangert, ist das natürlich erst einmal Wahlkampfrhetorik.

USA und Deutschland sind politische und wirtschaftliche Gegner

Wenn sein Parteikollege Oppermann von einer neuen Lage spricht, weil Trump in einem Tweet Deutschland zum Gegner erklärt, ist das schlicht und einfach falsch. Das EU-Deutschland und die USA waren wirtschaftliche und politische Konkurrenten lange vor Trump und sogar vor Bush. Seit 1989 hat sich Deutschland allerdings einen eigenen politischen Hinterhof geschaffen, um diese Konkurrenz auch offen auszutragen.

Man könnte eine Geschichte der Beziehungen zwischen den USA und Deutschland seit 1989 schreiben und würde feststellen, wie die selbstbewusste Nation immer stärker deutlich gemacht hat, dass die Phrase von der deutsch-amerikanischen Freundschaft der Vergangenheit angehört. Im Kalten Krieg brauchte Westdeutschland die USA zum Wiederaufstieg. Doch bereits F.J. Strauß sprach der Mehrheit der „entnazten Nazis“ (B.Brecht)[2] aus dem Herzen, wenn er deutlich machte, dass Deutschland wieder stark genug werden sollte, damit es sich von niemand, schon gar nicht den Kriegsgegnern des 2. Weltkriegs, etwas sagen lassen will.

Man darf nicht vergessen, dass Strauß bereits 1969 eine Rede[3] hielt, die in der Diktion die historischen Ergüsse von AfD-Rechtsaußen Höcke in Dresden noch übertraf. Von Ausschlussanträgen von Seiten der Union war damals nichts zu hören. Nur hatte Strauß in seiner Wirkungszeit zum Glück noch nicht die Möglichkeiten, seine Wünsche umzusetzen. Das änderte sich nach 1989.

Die Entfremdung ist aber beidseitig. Daher verwundert auch nicht, dass Trump und sein Umfeld von Merkels Bierzelt-Rede begeistert[4] sein sollen. Wenn sie erklärt, die Europäer müssten ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände nehmen, konterte Trump, genau das habe er immer gefordert. Und nicht nur er, die Forderung, dass die EU und die USA wirtschaftlich und politisch getrennte Wege gehen sollen, wird in den USA seit Jahren von Politikern unterschiedlicher Couleur erhoben. Der Geschäftsmann Trump ist nüchtern genug, die Tatsache anzuerkennen, dass Staaten untereinander keine Freundschaften pflegen, sondern Interessen mal mit- und mal gegeneinander verteidigen. Und er formuliert das erfreulicherweise auch öffentlich.

Diese klaren Worte sind auf jeden Fall den Phrasen von der Wertegemeinschaft und einer wertebasierten Außenpolitik vorzuziehen, die vornehmlich aus dem Lager der Opposition in Deutschland zu hören sind. Nun war die künstliche Aufregung vor allem von SPD-Politikern in den letzten Tagen so deutlich als wahlkampfgesteuert erkennbar, dass selbst die Taz, die ja auch gerne viel von Werten redet, eine ihrer schlaueren Kommentatoren den Platz überlasst, „Merkels heimlichen Nationalismus“[5] offen anzusprechen. „Merkel kritisiert Trumps Abschottung, tatsächlich aber verbirgt sie ihr „Deutschland zuerst“ nur besser. Das zeigt sich an der Haltung zu Griechenland“, bringt Ulrike Herrmann treffend auf den Punkt, wie Deutschland in ihrem europäischen Hinterhof ihre Interessen durchsetzt.

Roter Teppich für den Hindunationalisten Modi

Der Umgang mit Griechenland ist nur eines von unzähligen Beispielen für Deutschlands Interessen in der Außenpolitik. Erst am Montag wurde dem indischen Ministerpräsidenten Modi in Berlin der rote Teppich ausgebreitet. Es wurden Elogen auf die deutsch-indische Kooperation gesungen, ohne zu erwähnen, dass bereits das NS-Regime dafür die Grundlage gelegt hat.

Die indischen Nationalisten[6] und die Nazis hatten einen gemeinsamen Feind[7]: Großbritannien. Aber gerade in hindunationalistischen Kreisen sah man sich auch historisch und mythologisch dem NS nahe. Nun regiert mit Modi ein Hindunationalist, dem nicht nur vorgeworfen wird, Nichtregierungsorganisationen zu verfolgen. Modi und sein Umfeld paktieren ganz offen mit Gruppen, die eine Art Hindufaschismus[8] verfolgen.

Vor Modis letzten Wahlsieg war davon auch in Deutschland noch öfter die Rede[9]. Doch seit er als Regierungschef das Land im wirtschaftsliberalen Sinne umbaut, ist die deutsche Politik voll des Lobes für den rechten Politiker. Schließlich will man den indischen Markt nicht den Konkurrenten aus den USA überlassen. Wenn nun viele deutsche Politiker sich über Trumps Geschäftsreise nach Saudi Arabien aufregen, spricht da bei vielen der Neid heraus, dass sie nicht das Geschäft gemacht haben.

Wenn nach Modi der chinesische Premierminister gestern seine Aufwartung in Berlin machte, wird in der Öffentlichkeit auch mal nach den Menschenrechten gefragt. Doch die Mehrheit der NGOs, die sich dafür stark machen[10], weint tibetanischen Feudalherren der Gelbmützen[11] und der obskuren Falung-Gong-Bewegung hinterher. Die wenigen Initiativen[12], die sich etwa mit Arbeiterrechten[13] in China auseinandersetzen, sind nicht so naiv zu meinen, dass die Bundesregierung dafür zuständig wäre. Für den Wirtschaftstandort Deutschland ist China auch deswegen ein so interessanter Markt, weil dort die Rechte der Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte minimal sind.
https://www.heise.de/tp/features/Berlin-und-die-Phrase-von-der-werteorientierten-Aussenpolitik-3730649.html

Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3730649

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.deutschlandfunk.de/spd-chef-schulz-trump-ist-ein-zerstoerer-aller-westlichen.1939.de.html?drn:news_id=751068
[2] http://www.alfa1.de/az-ged.html
[3] http://www.zeit.de/1988/41/worte-von-franz-josef-strauss/seite-3
[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/bierzelt-rede-von-angela-merkel-begeistert-donald-trump-15040105.html
[5] http://www.taz.de/!5409974/
[6] http://www.bpb.de/internationales/asien/indien/44396/bose-der-vergessene-freiheitsheld?p=all
[7] http://www.urmila.de/UDG/Biblio/legion.html
[8] http://www.taz.de/!5042611/
[9] http://www.bpb.de/internationales/asien/indien/44485/hindunationalisten
[10] http://www.deutschlandfunk.de/vor-lis-deutschland-besuch-menschenrechtler-kritisieren.1939.de.html?drn:news_id=751241
[11] https://thinktankboy.wordpress.com/f-rubriken/tibet-und-der-dalai-lama/
[12] http://www.gongchao.org/tag/ralf-ruckus/
[13] http://archiv.labournet.de/internationales/cn/schaumberg1.html

Feiern statt feuern

45 Jahre »Graswurzelrevolution«

Die »Graswurzelrevolution« feiert ihren 45. Geburtstag. Sie ist das einzige anarchistische Printmedium des Landes.

Vielleicht hat sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Winfried Nachtwei, um die linke Publizistik verdient gemacht – auch wenn es gar nicht seine Intention war. 2001, als die Grünen zumindest im westfälischen Münster noch eine gewisse Distanz zur Bundeswehr ausdrücken wollten, geriet er mit einem Lehrbeauftragten der Universität aneinander. Bernd Drücke, tätig am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität, beschuldigte Nachtwei, bei einem großen Zapfenstreich der Bundeswehr auf der Bühne gestanden zu haben. Nachtwei bestritt das vehement, bezichtigte Drücke der Verleumdung – und musste schließlich doch zugeben, dass der Soziologe die Wahrheit gesagt hatte. Was nichts daran änderte, dass man am Lehrstuhl gründlich angefressen war. Einige, die in der akademischen Hierarchie über Drücke standen, betrachteten es als Majestätsbeleidigung, einen Politiker der Grünen öffentlich vorzuführen. Drücke flog raus, er verlor seine Stelle am Lehrstuhl für Soziologie und konzentrierte sich fortan ganz auf seine journalistische Tätigkeit bei einer Zeitschrift, für die der Anarchist und Pazifist regelmäßig Artikel geschrieben hatte: die Graswurzelrevolution – kurz auch GWR genannt.
Bis heute ist Drücke verantwortlicher Redakteur der GWR. Sicherlich ist es zum großen Teil sein Verdienst, dass das Monatsblatt bald seinen 45. Geburtstag feiern kann. Die Nullnummer der GWR erschien im Juni 1972.


Mit ihrer strikten Ablehnung jeglicher Gewalt hat sich die »GWR« auch bei Teilen der radikalen Linken Kritik eingehandelt.

Drücke hat dafür gesorgt, dass die Zeitschrift, deren Titel nach einer Mischung aus Guerilla Gardening und Landkommune klingt, auch von Kulturlinken und marxistischen Ideologiekritikern gelesen wird. Überhaupt ist das Blatt berüchtigt für diesen Spagat. In der aktuellen Ausgabe, der 419., berichten zwei Kommunen aus ihrem Alltag. Wenige Seiten weiter beschäftigt sich ein hochkomplexer Text mit der Kritik an Gewalt und im hinteren Teil der Ausgabe sind philosophisch unterfütterte Diskussionsbeiträge zu der Frage abgedruckt, ob es eine Natur des Menschen gebe. Das glaubten bekannte Anarchisten wie Pjotr Kropotkin, die der Ansicht waren, der Mensch sehne sich von Natur aus nach Freiheit und selbstbestimmten Kollektiven. Andere widersprachen vehement und warnten, dass Anarchisten mit unbewiesenen anthropologischen Grundannahmen ihrer Sache eher schadeten als nützten.

Doch nicht nur Themen, die die anarchistische Szene im engeren Sinne betreffen, werden in der GWR diskutiert. So hat Jens Kastner in der Ausgabe vom Dezember 2016 die postkolonialistische Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak wegen ihres Antizionismus heftig kritisiert. Für Drücke ist diese Mischung aus Kommunebericht und Theorie Programm.
»Es gibt in der undogmatischen linken Szene einen Bedarf sowohl nach libertärsozialistischen Theorien und Utopien als auch nach Gegenöffentlichkeit und kontroverser Diskussion«, sagt er der Jungle World. »Wir versuchen, das als Sprachrohr gewaltfreier, anarchistischer, antimilitaristischer, profeministischer und anderer sozialer Bewegungen abzudecken.« Ein schwarzroter Faden, der sich durch sämtliche Ausgabe zieht, ist der Antimilitarismus: »Kritik an Kriegseinsätzen und Aufrüstung suchen wir in den meisten Medien vergeblich. Wir wollen der militaristischen Propaganda etwas entgegensetzen«, schreibt Drücke im Editorial der Mai-Ausgabe. Es folgt unter anderem ein Beitrag über die Pläne, die Wehrpflicht in Frankreich wieder einzuführen. Ein Vorhaben, das nicht nur von Marine Le Pen und Emmanuel Macron, sondern auch vom linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon unterstützt wird. Die GWR widmet sich diesem Thema in einer Ausführlichkeit, die im deutschsprachigen Raum einzigartig sein dürfte.

Das liegt auch an der Geschichte dieses Mediums. Die 1972 gegründete GWR hatte ein politisches Anliegen, das einige Autoren auf den Libertären Tagen, einem bundesweiten Anarchistentreffen 1993 in Frankfurt am Main, so beschrieben: »Die Zeitung GWR war mit dem Ziel angetreten‚ den Zusammenhang zwischen den beiden konsequentesten Handlungsansätzen gegen Herrschaft und Gewalt, zwischen Gewaltfreiheit und libertärem Sozialismus, aufzuzeigen und dazu beizutragen, dass die pazifistische Bewegung sozialistisch und die linkssozialistische Bewegung in ihren Kampfformen gewaltfrei werde.«

Über mehrere Jahre war die GWR eng mit der Föderation gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) verbunden. 1980 als bundesweites Netzwerk anarchopazifistischer Gruppen mit antimilitaristischem Schwerpunkt gegründet, wurde die FöGA vom Verfassungsschutz als »größte anarchistische Organisation der Nachkriegszeit« bezeichnet. Von 1981 bis 1988 gab sie die GWR heraus, beteiligte sich an der Antiraketenbewegung in den achtziger Jahren und nutzte gewaltfreie Aktionen wie Sitzblockaden. Von der Krise der gesamten Friedensbewegung blieb sie nicht verschont. 1997 löste sich die FöGA ausgerechnet in einer Zeit auf, in der Deutschland wieder begonnen hatte, offen Kriege zu fühen. Die GWR, die seitdem von einem unabhängigen Kreis von etwa 45 Personen herausgegeben wird und alle Entscheidungen basisdemokratisch fällt, setzt die Kritik am Militarismus in Staat, Gesellschaft und auch in der Linken konsequent fort.

Dabei landet Drücke gerne mal zwischen allen Stühlen, wie er am Beispiel des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland aufzeigt: »Wir lassen Anarchisten und Antimilitaristen aus Russland und der Ukraine zu Wort kommen, unterstützen die Deserteure und Verweigerer aller Kriegsparteien und agitieren sowohl gegen das homophob-autoritäre Putin-Regime als auch gegen Nato, EU, ukrainische und ostukrainische Nationalisten.« So vermittelt die GWR auch jüngeren Lesern eine Vorstellung von einer antimilitaristischen Bewegung, die sich vom Mainstream der deutschen Friedensbewegung, deren Hauptfeind noch immer die USA sind, unterscheidet.

Mit ihrer strikten Ablehnung jeglicher Gewalt hat sich die GWR auch bei einigen radikalen Linken Kritik eingehandelt. Heute sind es aber nicht mehr primär die Militanzdebatten, die harsche Leserreaktionen hervorrufen. »Auf unsere Beiträge zum Thema Critical Whiteness gab es sowohl positive als auch negative Rückmeldungen«, berichtet Drücke. Solche Auseinandersetzungen bewertet er positiv. »Die anarchistisch-gewaltfreie, profeministische Lupe ist manchmal auch ein gutes Hilfsmittel gegen Sektierertum, damit das Denken die Richtung wechseln kann«, so Drücke. Er ist optimistisch, dass die GWR in Zukunft eine noch größere Rolle als Stimme gegen die herrschenden Verhältnisse spielen wird. Schließlich haben die beiden anderen größeren anarchistischen Printmedien ihr Erscheinen mittlerweile eingestellt. Die Publikation Schwarzer Faden gibt es bereits seit 2004 nicht mehr. Im vergangenen Jahr hat auch die Direkte Aktion, die Zeitung der FAU, ihre Printausgabe eingestellt. Die Entscheidung wird von Drücke noch heute heftig kritisiert.

In der kommenden Ausgabe der GWR, die am 8. Juni erscheint, wird es einen Schwerpunkt zum 45. Geburtstag der Zeitschrift geben. Die Jungle World gratuliert recht herzlich.

https://jungle.world/artikel/2017/22/feiern-statt-feuern
Peter Nowak
Hinweis auf den Artikel im Editorial der gwr:

http://www.graswurzel.net/420/

45 Years After
Presserummel im GWR-Büro

Liebe Leserinnen und Leser,

im Juni 1972 erschien die Nullnummer der Graswurzelrevolution. Heute, 45 Jahre später, haben wir für Euch aus diesem Anlass eine dicke Jubiläumsausgabe mit 28 statt 24 Seiten im Berliner Tageszeitungsformat produziert.

In den 45 Erscheinungsjahren stand die GWR selten so im Fokus anderer Medien wie heute.

In den letzten Wochen tummelten sich mehrere Zeitungs-, Fernseh- und RadiomacherInnen in unserem kleinen Redaktionsbüro in Münster. Der WDR, NRWision-TV (1), Antenne Münster, die Westfälischen Nachrichten, Radio Q, diverse Bürgerfunk- und Video-Gruppen (2) berichteten unter anderem über den von uns initiierten ersten FreeDeniz-Fahrradkorso für die Pressefreiheit (vgl. GWR 418) oder über Veranstaltungen mit GWR-Beteiligung. (3)

Eine mexikanische Filmemacherin und ein US-amerikanischer Kameramann führten im Mai auf Englisch ein langes Interview u.a. zur GWR-Geschichte mit mir. Der Film ist eine Uni-Arbeit und soll bald auch auf youtube zu sehen sein.

Der WDR besuchte zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen für mehrere Stunden das GWR-Büro und machte für die Aktuelle Stunde (Lokalzeit Münsterland) einen Fernsehbeitrag zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai (4).

Die taz erwähnte am 31. Mai 2017 in ihren Schwerpunkt zum Thema Gegenöffentlichkeit unter dem Titel „Eine ganz andere Sicht. Geschichte linker Medien im Überblick“ u.a. auch die GWR:

„Von den Achtundsechzigern über Spontis bis zur Frauenbewegung entstanden teilweise mythenhafte, sagenumwobene Publikationen. Manche Blätter starben jung, andere hielten sich bis heute und neue kamen dazu. (…) Die Graswurzelrevolution lebt seit 1972, erscheint monatlich und wird mit Text von Menschen aus aller Welt befüllt, die dem losen Autor*innennetzwerk angehören. Diese arbeiten an einer ‚tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung‘ und ‚für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft‘. In großen Buchstaben schreibt die Zeitung Antimilitarismus und Ökologie auf ihre Fahnen.“ (5)

Die linke Wochenzeitung Jungle World widmete in ihrer Ausgabe vom 1. Juni 2017 der GWR zwei Seiten, die insbesondere den grünen Ex-MdB Winfried Nachtwei aus Münster und seine Fans nicht erfreuen werden. Die Graswurzelrevolution, „deren Titel nach einer Mischung aus Guerilla Gardening und Landkommune“ klinge, werde „auch von Kulturlinken und marxistischen Ideologiekritikern gelesen“, so die Jungle World. Überhaupt sei die GWR „berüchtigt für diesen Spagat. In der aktuellen Ausgabe, der 419., berichten zwei Kommunen aus ihrem Alltag. Wenige Seiten weiter beschäftigt sich ein hochkomplexer Text mit der Kritik an Gewalt und im hinteren Teil der Ausgabe sind philosophisch unterfütterte Diskussionsbeiträge zu der Frage abgedruckt, ob es eine Natur des Menschen gebe. (…) Doch nicht nur Themen, die die anarchistische Szene im engeren Sinne betreffen, werden in der GWR diskutiert. (…) So vermittelt die GWR auch jüngeren Lesern eine Vorstellung von einer antimilitaristischen Bewegung, die sich vom Mainstream der deutschen Friedensbewegung, deren Hauptfeind noch immer die USA sind, unterscheidet. Mit ihrer strikten Ablehnung jeglicher Gewalt hat sich die GWR auch bei einigen radikalen Linken Kritik eingehandelt.“ (6)

Herzlichen Dank für diese solidarische Kritik. Und herzlichen Glückwunsch zum zwanzigsten Jungle World-Geburtstag, auch wenn ich mich in den Jahren seit Nine-Eleven oft über antideutsche Kriegspropaganda in der Wochenzeitung geärgert habe.

„Finde den Fehler“ – Der Fehler heißt BILD!

Am 28. April 2017 rief ein BILD-Zeitungsredakteur im GWR-Redaktionsbüro an. Er erzählte, dass BILD etwas zum Hype veröffentlichen möchte, den ein Tweet von mir (siehe Abbildung unten) auf Twitter unter anderem bei den Grünen ausgelöst hat. Ich habe dem „Journalisten“ geantwortet, dass ich seine Zeitung extrem unseriös finde und auf keinen Fall möchte, dass irgendetwas von mir von BILD veröffentlicht wird. Daraufhin war er pikiert und meinte: „Wir sind immerhin so seriös, Sie anzurufen!“

Mein Kommentar: „Trotzdem, BILD ist wirklich das Allerletzte. Ich möchte auf keinen Fall, dass Sie irgendetwas von mir veröffentlichen.“

Der BILD-Redakteur war hörbar verärgert. Sein rassistisch-sexistisches Hetzblatt setzte sich erwartungsgemäß über meine Forderung hinweg und veröffentlichte gegen meinen Willen unter dem Titel „Finde den Fehler. Witzbold legt Hand an Grünen-Plakat“ einen Artikel (7), in dem sowohl mein Tweet als auch ein zusätzlicher Hinweis auf den „Münsteraner Bernd Drücke“ erschien.