Radikaler Spaziergang

Betroffene der Berufsverbote in der BRD fordern Entschuldigung und Entschädigung

»Marianne Grossmann-Mönch, Berufsverbot 1975 – 1991 Pforzheim« steht auf dem Schild, das die Frau umgehängt hat. Neben ihr gehen 19 weitere Männer und Frauen. Auf ihrem Spaziergang vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor trugen auch sie Schilder um den Hals, auf denen sie darüber informierten, wie viele Jahre sie ihren Beruf nicht ausüben konnten. Die meisten waren Lehrer, aber auch Sozialarbeiter, Eisenbahner und Briefträger gerieten in die Mühle des Radikalenerlasses.

Der war vor 45 Jahren unter Vorsitz des damaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt von der Konferenz der Ministerpräsidenten in der BRD beschlossen worden, um Linke vom Staatsdienst fernzuhalten. Die konkreten Gründe waren unterschiedlich. Manche waren Mitglieder der DKP oder linker Studierendenorganisationen. Manche gerieten auch ins Visier der Ermittler, weil sie in einer linken Wohngemeinschaft lebten oder sich an Demonstrationen beteiligten.

»Was folgte war eine gigantische Gesinnungsschnüffelei«, sagte Klaus Lipps, einer der vom Berufsverbot betroffenen Lehrer, gegenüber »nd«. Über 3,5 Millionen Menschen sind vom Verfassungsschutz akribisch durchleuchtet worden. Etwa 11 000 Berufsverbotsverfahren wurden eingeleitet. Am Donnerstag forderte die Delegation von 20 Betroffenen von der in Berlin tagenden Ministerpräsidentenkonferenz nach vier Jahrzehnten ihre Rehabilitierung, eine persönliche Entschuldigung für das erlittene Unrecht und eine finanzielle Entschädigung. »Wir hatten alle durch die Berufsverbote Verdienstausfälle und wir bekommen dementsprechend auch eine geringere Rente«, erklärt Marianne Grossmann-Mönch. Sie konnte sich nach vielen Jahren gerichtlich in ihren Lehrerinnenberuf einklagen. Andere wechselten das Bundesland, um in ihrem Beruf arbeiten zu können.

Doch es gibt auch zahlreiche Betroffene, deren Berufsverbot bis heute andauert. »Manche wurden durch die Belastungen krank und einige Betroffene starben jung«, erinnert sich Grossmann-Mönch. Auch sie habe nur durch die große Solidarität in ihrer Stadt den politischen Kampf gegen das Berufsverbot führen können. Zur Delegation gehörte auch Silvia Gingold. Die Tochter jüdischer Kommunisten wird seit über 50 Jahren und bis heute vom Verfassungsschutz beobachtet. Deshalb forderte die Delegation auf ihrem Protest-Spaziergang durch das Regierungsviertel auf einem großen Transparent die Auflösung sämtlicher Geheimdienste.

Der kleine Umzug endete vor dem Brandenburger Tor. Die meisten der vor allem jungen Menschen dort, hatten noch nie von den Berufsverboten in Westdeutschland gehört und bekamen so Informationen aus erster Hand. Denn anders als über die Menschenrechtsverletzungen in der DDR wird über Grundrechtseinschränkungen in der BRD wenig berichtet. Die Pressekonferenz der Initiativgruppe »45 Jahre Radikalenerlass« war denn auch schlecht besucht.
aus:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1052893.radikaler-spaziergang.html

Peter Nowak


Leserbriefen in der jungen Welt vom 10.6.2017


Presseboykott bei Berufsverboten

Wir sind Jana Frielinghaus und jW sehr dankbar, dass sie über die Aktion der Initiativgruppe »40 Jahre Radikalenerlass« am 1.6. in Berlin wieder ausführlich berichtet haben. Denn außer jW und dem Journalisten Peter Nowak (für Neues Deutschland und Onlinemagazin Telepolis) hat niemand die Pressekonferenz, Kundgebung und Übergabe unserer Forderungen an die Ministerpräsidentenkonferenz auch nur mit einem Satz erwähnt. Ein fast perfekter Presseboykott anlässlich 45 Jahren Berufsverboten! Zwei Anmerkungen: Wir verstehen uns nicht als »Opfer«, sondern als Betroffene, die für Rehabilitierung und Entschädigung kämpfen. Und durch die Überschrift, für sich betrachtet, könnte ein falscher Zungenschlag entstehen. Im Artikel wird dann klargestellt, was die Betroffenen erlebt hätten, würde dem ähneln, was jungen Leuten heute über die DDR vermittelt wird.

Martin Hornung, Eppelheim (bei Heidelberg)