Monate auf Visa warten?

Sevim Dagdelen moniert lange Wartezeiten für die Visa nach Deutschland

nd: Sie monieren lange Wartezeiten für die Visa nach Deutschland. In welchen Ländern dauert es besonders lange – und wie lang muss man sich dort gedulden?
Dagdelen: Besonders betroffen sind beispielsweise Russland und China, aber auch die Ukraine oder Ägypten. Die Wartezeit etwa in Shanghai und Kairo beträgt neun, in Moskau, Nowosibirsk oder Peking inzwischen fünf und sechs Wochen. In Kiew sind es sogar 11 Wochen bei normalen Besuchsreisen. Dazu muss man wissen, dass allein Moskau, Nowosibirsk, Shanghai und Peking mit weit über 500 000 Anträgen mehr als ein Viertel aller Visaanträge ausmachen. In Russland ist die Zahl der zu bearbeitenden Visaanträge pro Mitarbeiter/in zuletzt um 15 Prozent gestiegen.

Was ist der Grund? Abschreckung – oder Ineffektivität nach der teilweisen Privatisierung der Visaerteilung?
Lange Wartezeiten schrecken ab, zumal wenn ein großer finanzieller und zeitlicher Aufwand mit fraglichem Ausgang betrieben werden muss. Die Erteilungspraxis ist überaus streng. Bei den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden und afrikanischen Staaten gibt es Ablehnungsquoten von einem Drittel bis über 50 Prozent. Familienbesuche und der wichtige zivilgesellschaftliche Austausch werden durch diese restriktive Visapraxis behindert. Aber auch die wirtschaftlichen Beziehungen werden erschwert. Die Teil-Privatisierung des Visumverfahrens ist für die Betroffenen mit erheblichen Mehrkosten verbunden. »Externe Dienstleister« sollen nach EU-Vorgaben eigentlich nur als »letztes Mittel« zum Zuge kommen. Hiervon kann aber keine Rede sein, wenn die Bundesregierung nicht einmal genügend Personal in den Botschaften einsetzt wie etwa in Russland.

Sie sehen durch die Verzögerungen bei der Visavergabe das EU-Recht verletzt.
Es geht um Artikel 9 Absatz 2 des Visakodex. Dabei handelt es sich um eine verbindliche Verordnung der EU aus dem Jahre 2009. Danach müssen Auslandsvertretungen Antragstellenden innerhalb von zwei Wochen einen Termin zur Beantragung eines Schengen-Visums geben. Diese Frist kann nur in Ausnahmefällen überschritten werden. Bei der deutschen Visapraxis kann von einer Ausnahme aber keine Rede sein, wie die deutlichen Fristüberschreitungen, zum Teil über Monate hinweg, zeigen. Die Bundesregierung versucht, sich mit Verweisen auf saisonale Schwankungen und Reisestoßzeiten zu rechtfertigen. Ein Handbuch zum Visakodex sieht allerdings vor, dass die Personalkapazitäten so anzupassen sind, dass die Frist auch in Stoßzeiten eingehalten werden kann. Da die Bundesregierung das nicht tut, habe ich Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt und Zahlenmaterial über die untragbaren Zustände in wichtigen deutschen Botschaften übermittelt.

Könnten die Visa nicht einfach abgeschafft werden?
Tatsächlich ist für die LINKE die Beseitigung der Visumspflicht noch immer die beste Erleichterung. Damit stehen wir parlamentarisch allerdings allein. Deshalb fordern wir die Bundesregierung zumindest zu einer grundlegenden Korrektur und Liberalisierung der Visapolitik auf. Die Visaregeln und Anforderungen im Verfahren müssen so weit wie möglich gelockert, das Personal aufgestockt und das Verfahren insgesamt erleichtert werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/239705.monate-auf-visa-warten.html
Interview: Peter Nowak