Gesucht – Henry Kissinger

Ein Künstler erinnert gemeinsam mit Menschenrechtlern daran, dass die Verantwortlichen des Militärputsches in Chile noch immer straffrei geblieben sind

Am 14.September wurden in verschiedenen Tageszeitungen Anzeigen mit dem Titel „Verhaftet Kissinger“ geschaltet. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen Politik und Kunst. Der in Chile geborene Künstler Alfredo Jaar arbeitet für dieses Kissinger-Projekt mit dem Europäischen Menschenrechtszentrum zusammen. Für Jaar ist das Projekt das Finale dreier Ausstellungen in Berlin, die im besten Sinne engagierte Kunst zeigten. Dabei hinterfragt Jaar auch die Position des Künstlers immer wieder. Das beeindruckendste Beispiel in Berlin war eine Installation über den südafrikanischen Fotografen Kevin Carter, der für das Foto eines hungernden Kindes im Sudan den Pulitzer-Preis bekam und wenig später Selbstmord beging, nachdem Kritik laut geworden war, dass er mit dem Foto eines hungerndes Kindes berühmt werden wollte.

In den Berliner Ausstellungen werden auch verschiedene Arbeiten von Jaar gezeigt, in denen er sich mit dem Militärputsch gegen den linkssozialistischen Präsidenten chilenischen Salvador Allende am 11. September 1973 befasst. Das Vorgehen der Generäle, die gleich in den ersten Tagen nach dem Putsch Tausende Anhänger der gewählten Regierung verhaften, foltern und nicht selten ermorden und auf öffentlichen Plätzen linke Literatur verbrennen ließen, weckte weltweit Assoziationen an den Faschismus. Jaar zitiert Originaldokumente, die nachweisen, dass die damalige US-Regierung und besonders ihr Außenminister Henry Kissinger seit der Wahl von Allende den Sturz der Regierung betrieben haben und dass die Tatsache, dass die Linksregierung demokratisch legitimiert war, dabei kein Hindernis war.

Die Anzeigenkampagne zur Verhaftung Kissingers stellt Jaar bewusst in den Kontext des 39 Jahrestages des Militärputsches. Dieses Datum war in dem letzten Jahrzehnt durch die islamistischen Anschläge vom 11.September 2001 in den Hintergrund des Interesses geraten. Die Forderung, Henry Kissinger vor Gericht zu stellen, ist alt und wird nicht nur wegen seiner Rolle beim Putsch in Chile erhoben. Jaar und die Menschenrechtsorganisation werden deshalb die Anzeigen nicht nur in mehreren deutschsprachigen Zeitungen wie der taz, dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung, sondern auch in Medien von Laos, Kambodscha und Vietnam schalten, wo Menschen auch durch die von Kissinger repräsentierte Politik zu Schaden kamen.

Gefahr der Personifizierung?

Die Aktion erinnert an eine andere Kunstaktion: „Waffenhändler in den Knast“, mit der Künstler (http://www.politicalbeauty.de/center/News.html) gegen die Kraus-Maffei-Eigentümer intervenierten. Wie bei dieser Aktion stellt sich natürlich auch beim Kissinger-Projekt die Frage, ob damit nicht einer Personifizierung von Politik Vorschub geleistet und der Eindruck erweckt wird, Politik sei eine Kette von Verschwörungen. Allerdings ist gerade der Militärputsch tatsächlich eines der wenigen Beispiele für eine reale Verschwörung gegen unliebsame Regierungen.

Zudem sind Politiker wie Kissinger nicht nur Rädchen im Getriebe, sondern agieren in einen gewissen Rahmen durchaus eigenständig und können daher auch zur Verantwortung gezogen werden. Jaars Forderungen hat eine neue Aktualität bekommen, nachdem auch in Chile nach Jahrzehnten der Straflosigkeit, die sich die Militärs selber verordnet hatten, mittlerweile Klagen gegen einige für Morde und Kindesentführungen Verantwortliche begonnen haben.

FAZ-Artikel will US-Politiker wegen Irakkrieg vor Gericht sehen

Wenn aber ein Feuilletonredakteur der FAZ in einem Artikel, der am vergangenen Wochenende erschien, auch führende US-Politiker wegen des Irakkrieges vor Gericht sehen will, fragt man sich schon, ob das konservative Blatt jetzt zur Speerspitze der Anti-Irak-Kriegs-Bewegung geworden ist. Hat die Zeitung im Politikteil diesen Krieg damals nicht nach Kräften publizistisch unterstützt? Wäre da nicht eine redaktionsinterne Tagung über die Rolle des eingebetteten Journalisten im Krieg angebracht?

Ein solch greifbare Forderung fehlt in dem FAZ-Artikel ebenso wie der Name des deutschen Oberst Klein. Der kürzlich beförderte Militär ist für den Tod von fast 100 Toten von Kunduz verantwortlich. Wer ihn in einer deutschen Zeitung vergisst, wenn es um Politiker geht, die wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden sollen, muss sich schon den Vorwurf gefallen lassen, dass die Bereitschaft zur Aufklärung von Verbrechen dann nachlässt, wenn auch deutsche Militärs betroffen sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152766
Peter Nowak