Vom Aktivismus zur NGO? Anmerkungen zu “Life in Limbo” in ak 546

Die bibelfesten GlobalisierungskritikerInnen von Turbulence sind ungeduldig und suchen einen Schleichweg ins Paradies. So könnte man ihren in ak 546 unter der Überschrift “Life in Limbo” veröffentlichten Beitrag zusammenfassen. Tatsächlich beschreiben sie präzise die Ernüchterungen des aktionsorientierten Teils der GlobalisierungskritikerInnen, zu denen Turbulence gehörte. Die Hoffnungen, die in manchen Kreisen nach Seattle und Genua in die “Bewegung der Bewegungen” gesetzt wurden, sind zerstoben. In Deutschland konnte durch die Mobilisierung nach Heiligendamm 2007, an der Turbulence-AktivistInnen beteiligt waren, die Krise der Bewegung in all ihren Fraktionen länger ignoriert werden. In Italien, das zu Beginn des Millenniums das große Vorbild der GlobalisierungskritikerInnen war, hatte sich der Zerfall schon lange bemerkbar gebracht. Von den bewegungsorientierten Disobbedienti ist heute genau so wenig zu hören und zu sehen wie von der ehemaligen Parlamentspartei Rifondazione Comunista. Dabei wäre es zu einfach, dem Berlusconi-Regime die Verantwortung für den Niedergang zu geben. Umgekehrt haben Berlusconis Wiederwahl und der Niedergang der globalisierungskritischen Bewegung die gleichen Ursachen: den Zerfall politischer Milieus und die damit verbundene weitgehende Individualisierung der Gesellschaft. Dieser Prozess vollzieht sich in den verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Intensität und ist in der Regel mit dem Machtverlust der Gewerkschaften und der organisierten Lohnabhängigen verbunden. Die globalisierungskritische Bewegung wollte mit ihren Gipfelprotesten diesen Verlust der Arbeiterautonomie kompensieren. Einige Jahre schien das auch zu klappen. Doch tatsächlich war es eine Scheinlösung. Die Gipfelproteste wurden von einer kleinen Schicht, meist junger, sehr flexibler Menschen getragen, die sich für einige Jahre als VollzeitaktivistInnen betätigten und von Event zu Event reisten. Diese Art des Aktivismus war nur für eine kurze Zeit durchzuhalten. So mussten die Gipfelproteste a la Seattle und Genua bald an Grenzen stoßen. Die staatliche Repression beschleunigte diesen Prozess. Das wurde von großen Teilen der Bewegung auch erkannt. Schließlich begleitete die globalisierungskritische Bewegung ständig eine kritische Debatte um das Event-Hopping. Das ist der Hintergrund auch des Turbulence-Beitrags, dessen nüchterne Auseinandersetzung mit manchen Bewegungsmythen ebenso zu begrüßen ist wie die kritische Auseinandersetzung mit dem Antiinstitutionalismus der Bewegung der Bewegungen. Reformistische Positionen gibt es sowohl in den Bewegungen wie auf institutioneller Ebene. Doch diese falsche Gegenüberstellung lösen die VerfasserInnen dadurch auf, dass sie dafür eintreten, künftig das zu machen, was ein Großteil der NGOs schon seit langem als ihre Aufgabe ansieht: eine kritische Begleitung der Politik. Diese Antwort auf die Krise der Bewegung haben in den letzten Jahren individuell schon viele AktivistInnen gegeben, indem sie eben ihre früheren Aktivitäten zum Beruf machen. In der entscheidenden Frage der Organisierung an der Basis gehen die AutorInnen nicht kritisch genug mit den Mythen der GlobalisierungskritikerInnen ins Gericht. Widerstand am Arbeitsplatz, sei es in der Fabrik oder im prekären Bereich, kommt bei ihnen ebenso wenig vor wie Erwerbslosenproteste oder andere Organisierungsprozesse, die auf die Gesellschaft Auswirkungen haben und die institutionelle Politik durch Druck beeinflussen. Wenn die AutorInnen auf die gesellschaftlichen Prozesse in Bolivien und Ecuador verweisen und dabei das Augenmerk auf die Entstehung einer neuen Verfassung richten, erwähnen sie nicht, dass solche Entwicklungen nur möglich waren, weil es in diesen Ländern in den vergangenen Jahren erfolgreiche Organisierungsprozesse von ArbeiterInnen, Frauen und Indigenen gab. In den europäischen Ländern stellt sich heute in erster Linie die Frage, wie solche Organisierungsprozesse zustande kommen können. Wenn diese Frage ignoriert wird, bleibt tatsächlich nur die alternative Politikberatung, und aus den frechen AktivistInnen werden brave NGOs.

Veroeffentlicht im ak – zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 548 / 19.3.2010]

http://turbulence.org.uk/discuss-turbulence/vom-aktivismus-zur-ngo/

Peter Nowak

Weg ins Paradies versperrt

Globalisierungskritik im Transformationsprozess
Ein globalisierungskritisches Kollektiv plädiert für eine Abkehr von der radikalen Verweigerung.
Der Limbus ist in der katholischen Theologie der Ort, in dem die Seelen Platz finden sollen, deren Träger für die Hölle zu gut waren, aber trotzdem nicht ins Paradies dürfen. Bisher haben sich nur Kirchenexperten Gedanken gemacht, wie die Seelen aus dieser unkomfortablen Lage herauskommen. Doch seit einige bibelfeste Globalisierungskritiker vom Kollektiv turbulence die ganze Welt im Limbo stecken sehen, dürfte der Ort auch für Linke interessant werden.

In ihrem neuesten Debattenbeitrag, der den Titel »Life in Limbo« trägt und in der linken Monatszeitung »analyse und kritik« (ak) in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, werden pessimistische Töne angeschlagen. Obwohl durch die Wirtschaftskrise die neoliberalen Dogmen zusammengebrochen seien und aus unterschiedlichen Anlässen weltweit viele Menschen protestiert hätten, sei eine Änderung der Verhältnisse nicht in Sicht. Einen Grund dafür sehen die Autoren im Verschwinden einer ideologischen Mitte, die nun von den Globalisierungskritikern neu zu besetzen sei.

Bruch mit früherer antiinstitutioneller Politik
Diese Aussage ist ein Bruch mit einer Politik, mit der sich turbulence bisher identifizierte. Das achtköpfige Kollektiv umfasst Aktivisten aus Großbritannien, Spanien und Deutschland. Es hat sich in den letzten Jahren in unregelmäßigen Abständen mit theoretischen Beiträgen zu Wort gemeldet. Turbulence steht in der Tradition der »Bewegung der Bewegungen«, die – angeregt durch den Aufstand der Zapatisten in Südmexiko und massiven Gipfelprotesten zwischen 1999 und 2001 – einen neuen Protestzyklus am Horizont sahen. Damals betonten die Aktivsten ihre Distanz zu Parteien und staatlichen Apparaten. In dem neuen Papier plädiert turbulence für eine Korrektur dieser antiinstitutionellen Politik. Sie verweisen auf die Erarbeitung einer neuen Verfassung unter Einschluss von sozialen Bewegungen in Ecuador und Bolivien. Diese Entwicklung könne »ein Bote für eine potenzielle Zukunft« auch für andere Länder sein, meinen die Autoren, ohne konkreter zu werden.

Die Diskussion über das Papier hielt sich in Deutschland bisher in Grenzen, wie ak-Redakteur Jan Ole Arps gegenüber ND bestätigte. Es kamen noch keine Reaktionen und auch in der Redaktion sei das Papier nicht gemeinsam diskutiert worden. Arps sieht in dem Beitrag »altbekannte Fragen des Verhältnisses der Linken zu staatlichen Institutionen, die heute neu beantwortet werden müssen«. Als Beispiel nennt er die umstrittene Beteiligung des langjährigen Aktivisten Thomas Seibert an der linken Denkfabrik Solidarische Moderne.

Die geringe Resonanz liegt vor allem daran, dass sich die globalisierungskritische Bewegung vor konkreten Events immer neu bildet. Die letzte große Mobilisierung gab es im Dezember 2009 zum Klimagipfel nach Kopenhagen. Tadzio Müller, der zum turbulence-Kollektiv gehört, war einer der Organisationen des linken Flügels der Klimabewegung. Im Vorfeld wurde dort diskutiert, ob die Forderung nach konkreten Schritten zur Klimarettung mit einer Politik der Delegitimierung der Gipfel zusammenpasst. So kann das jüngste Papier auch Diskussionsvorlage für den Transformationsprozess von der globalisierungskritischen zur klimakritischen Bewegung verstanden werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/167253.weg-ins-paradies-versperrt.html

 Peter Nowak