Leiden an der Hochschule

Das Studium an deutschen Hochschulen ist für viele Kommilitonen nur mit Pillen und Tabletten zu ertragen. Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man die Auswertung einer Studie der Techniker Krankenkasse (TK) liest, die kürzlich veröffentlicht wurde. Danach ist der Pharmakagebrauch von Studierenden zwischen 2006 und 2010 um 55 Prozent gestiegen. Kamen vor sechs Jahren statistisch auf jeden Kommilitonen 8,7 Tagesdosen Psychopharmaka, waren es vor zwei Jahren bereits 13,5 Tagesdosen. Der Gebrauch dieser Medikamente ist bei gleichaltrigen Nichtstudenten wesentlich niedriger. Bei studierenden Frauen wird mehr als doppelt so häufig wie bei Männern ein psychisches Leiden diagnostiziert. Die Ergebnisse der TK-Studie decken sich mit Befragungen, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. So klagen bei einer vor wenigen Monaten veröffentlichten Forsa-Umfrage 75 Prozent der Studenten in NRW über Nervosität und Unruhe, 23 Prozent gaben an, Phasen tiefster Verzweiflung zu spüren und 13 Prozent leiden unter wiederholten Panikattacken. Quer durch die Republik machen Studenten Prüfungsstress und Zeitdruck durch die verschärften Studienbedingungen für ihre Leiden verantwortlich.

Das ist das einzige positive Element bei den Umfragen. Die Betroffenen sehen die Ursachen ihrer Leiden in einer von der Politik gewollten Ökonomisierung der Hochschulen und nicht bei sich selber. Hier gäbe es auch Ansatzpunkte für eine kollektive Gegenwehr, die auch zu einem Rückgang der individuellen Leiden führen könnte. »Nicht wir sind krank, die Gesellschaft ist es«, war Ende der 60er Jahre häufig zu hören. Diese Diagnose kann trifft auf die aktuelle Hochschulpolitik auf jeden Fall zu.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/805867.leiden-an-der-hochschule.html

Peter Nowak

Recht auf die Stadt

Zu Semesteranfang berichten viele Medien wieder über Studierende, die in Zeltstädten, Turnhallen oder in Hörsälen übernachten müssen, weil sie keine Wohnung finden. Politisch bleiben solche Berichte folgenlos. Dagegen versuchen Studierendenverbände deutlich zu machen, dass die studentische Wohnungsnot eine politische und soziale Dimension hat. Ein Grund sind die sinkenden Zuschüsse für Wohnraumplätze, wie der

Die studentische Wohnraumnot ist allerdings auch eine Konsequenz der bundesweiten Mietsteigerungen, die es Menschen mit geringen Einkommen vor allem in vielen Großstädten immer schwerer machen, günstigen Wohnraum zu finden. Dagegen haben sich in vielen Städten soziale Protestbündnisse gegründet, die ein Recht auf Stadt einfordern. Diese Bündnisse können studentische Unterstützung gebrauchen. So würde auch verhindert, dass die Betroffenengruppen sich auf dem Wohnungsmarkt gegeneinander ausspielen lassen. Dem in manchen Presseberichten zu lesenden Lamento, der akademische Nachwuchs habe eine Übernachtung in Notunterkünften nicht verdient, muss gekontert werden, dass alle Menschen ein Recht auf eine Unterkunft haben.

Mit einer Petition gegen die Anwendung des Mietspiegels hat der AStA der Goethe-Universität in Frankfurt am Main die studentische Wohnungsnot jetzt in einen größeren Kontext gestellt. Doch Petitionen und Erklärungen reichen nicht. Warum werden nicht Listen von leerstehenden Häusern veröffentlicht, die Wohnungslose mit oder ohne Studentenausweis nutzen könnten? Dann würde die Wohnungsnot in den politischen Zusammenhang gestellt, in den sie gehört.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/801064.recht-auf-die-stadt.html
Peter Nowak