Solingen war kein Zufall

Antirassistisches Bündnis organisiert Aktionstage gegen Alltagsrassismus
Bis zum 25. Mai will ein Aktionsbündnis antirassistischer Initiativen mit bundesweiten Aktionen an den tödlichen Brandanschlag vor 20 Jahren in Solingen erinnern und zugleich auf den Alltagsrassismus in Deutschland aufmerksam machen. Den Auftakt gab es in Sachsen-Anhalt.

Mit einer Veranstaltung zur Geschichte des deutschen Kolonialismus begannen am Freitagabend in Magdeburg die Aktionstage des antirassistischen Netzwerkes Sachsen-Anhalt. Dieses ist Teil des bundesweiten Bündnisses »Rassismus tötet«, das bereits im vergangenen Jahr an verschiedene rassistische Anschläge und Krawalle erinnert hat, die vor zwei Jahrzehnten in Ost- und Westdeutschland wie Rostock, Hoyerswerda und Mölln zahlreiche Tote und Verletzte forderten.

In diesem Jahr erinnert das Bündnis »Rassismus tötetet« an zwei Jahrestage, die vielen Politikern besonders unangenehme sein müssten. So jährt sich am 23. Mai zum 20. Mal der Tag, an dem eine große Koalition aus SPD, Union und FDP im Bundestag das Grundrecht auf Asyl derart einschränkte, dass es nur noch von ganz wenigen Flüchtlingen in Anspruch genommen werden kann. Kritiker sprechen auch von der faktischen Abschaffung des Asylrechts. Nur wenige Tage später, am 29. Mai, verübten Neonazis einen Brandschlag auf ein von Menschen ohne deutschen Pass bewohntes Haus in Solingen, bei dem fünf Menschen starben.

»Wir wollen diese beiden Jahrestage zum Anlass nehmen, um an ein rassistisches Klima in Deutschland zu erinnern, das auch für die NSU-Morde und die Stigmatisierung von deren Opfern zu Tätern verantwortlich ist«, meinte Martin Sommer (Name geändert) vom antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt gegenüber »nd«. Dort haben sich Flüchtlingsinitiativen, Antirassismus- und Antifagruppen zusammengeschlossen, die in den nächsten Tagen mit Veranstaltungen und Ausstellungen über den deutschen Alltagsrassismus und seine historischen Wurzeln informieren wollen. In den Veranstaltungen der kommenden Tage, die auf der Webseite antiranetlsa.blogsport.de zu finden sind, werden aktuelle Ausdrucksformen des Rassismus thematisiert, beispielsweise verdachtsunabhängige Polizeikontrollen, von denen meist Menschen mit dunkler Hautfarbe betroffen sind, oder die Residenzpflicht für Flüchtlinge, die ihre Bewegungsfreiheit einschränkt.

Wie in Sachsen-Anhalt sind auch in den anderen Bundesländern dezentrale Aktionen geplant. An zwei Terminen spielen antirassistischer Protest und Widerstand eine wichtige Rolle. So sind am 16. März bundesweit in zahlreichen Städten Aktionen vor Ausländerbehörden geplant. In Sachsen-Anhalt wird es an diesem Tag Kundgebungen auf dem Marktplatz von Halle und dem Magdeburger Ulrichsplatz geben. Zum Abschluss der Aktionstage sind am 25. Mai zwei bundesweite antirassistische Großdemonstrationen unter dem Motto »Das Problem heißt Rassismus!« geplant. In Solingen soll damit an die Opfer des Brandanschlages vor 20 Jahren erinnert werden. In Berlin wird an die Verantwortung der politisch Verantwortlichen erinnert, die vor 20 Jahren auf Alltagsrassismus mit der Einschränkung des Asylrechts reagierten.

Zurzeit agieren rechte CDU-Politiker in verschiedenen Berliner Bezirken, beispielsweise in Reinickendorf, gegen die Ausweisung öffentlicher Gebäude als Flüchtlingsunterkünfte. Dabei fühlen sich antirassistische Gruppen an die Debatten vor zwei Jahrzehnten erinnert. Martin Sommer erinnert allerdings auch an den Aufbruch der Flüchtlinge im letzten Jahr, die mit vielen Aktionen und einem Zeltlager in Berlin gegen ihre Diskriminierung protestieren.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/821289.solingen-war-kein-zufall.html

Peter Nowak

Bedroht in Hoyerswerda

Antifa-Gruppen fordern Gedenkort und Entschädigung für Naziopfer von 1991
Am Wochenende wollen Antifa-Gruppen in Hoyerswerda an die rassistischen Ausschreitungen von 1991 erinnern. Diese bildeten den Auftakt einer Serie von Angriffen auf Ausländer in Deutschland nach der Vereinigung.

Der Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Rostock hat vor einigen Wochen für große Aktivitäten gesorgt, nicht nur seitens der antifaschistischen Bewegung, sondern auch der offiziellen Politik. Wenn für Sonnabend zwei linke Bündnisse zu einer Demonstration nach Hoyerswerda mobilisieren, wird die Teilnehmerzahl hingegen wohl im dreistelligen Bereich bleiben. Dabei war die sächsische Stadt der erste Ort in Deutschland, wo nach der Vereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Unter dem Beifall Hunderter Schaulustiger griffen Neonazis im September 1991 ein Wohnheim von Vertragsarbeitern aus Vietnam und Mosambique an. Die Opfer wurden schließlich unter Polizeibegleitung in Bussen aus der Stadt gebracht.

Allerdings nicht in Sicherheit. »Viele mussten die Nacht in den Bussen verbringen und sind sofort abgeschoben worden«, erinnert sich Mathias Buchner an die unwürdige Behandlung der Opfer rechter Gewalt. Er ist Sprecher des Bündnisses »Pogrom 91«, in dem sich linke Aktivisten aus der Region zusammengeschlossen haben. Den Begriff rassistisches Pogrom haben sie bewusst gewählt, weil bei den Angriffen Tote bewusst in Kauf genommen worden seien, begründet Buchner die Wortwahl, die in Hoyerswerda nicht nur beim CDU-Bürgermeister, sondern auch bei Stadträten der LINKEN auf Ablehnung stieß. Die Demonstration am Sonnabend wird allerdings von LINKE-Politikern unterstützt, darunter die antifaschistische Sprecherin der Landtagsfraktion, Kerstin Köditz und die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Auch die Linksjugend Solid mobilisiert zur Demo und versuchte Unterstützung in Hoyerswerda zu finden. Dabei wurden Solid-Aktivisten an ihrem Infostand auf dem Marktplatz von Neonazis bedroht. Anschließend versammelten sich die Rechten vor dem Büro der Partei, wo die Jugendorganisation eine Veranstaltung geplant hatte. Auf Anraten der Polizei musste sie vorzeitig abgebrochen werden, was nach Augenzeugenberichten von der mit Reichskriegsflagge aufmarschierten Neonazigruppe mit Applaus und den Rufen »Hoyerswerda bleibt braun« quittiert wurde. Bereits im vergangenen Jahr waren Opfer der Ausschreitungen von 1991, die zum 20. Jahrestag nach Hoyerswerda gekommen waren, von Neonazis erneut angegriffen worden. Dies sei auch ein Grund gewesen, in diesem Jahr wieder bundesweit nach Hoyerswerda zu mobilisieren, erklärt Martin Peters vom Bündnis »Rassismus tötet« gegenüber »nd«.

Die Initiativen fordern einen angemessenen Gedenkort und eine Entschädigung der Opfer. Die Stele, die im vergangenen Jahr aufgestellt wurde, erfüllt diesen Anspruch nicht. Sie spricht ganz allgemein von »extremistischen Ausschreitungen«. »Von Rassismus ist dort ebenso wenig die Rede, wie von der Unterstützung durch große Teile der Bevölkerung«, kritisieren die Antifagruppen. Eine Woche nach der Demonstration wird es im Rahmen der Interkulturellen Woche in der Kulturfabrik Hoyerswerda eine Veranstaltung mit den Herausgebern der Anthologie »Kaltland« geben, die das rassistische Pogrom thematisiert.

Demo, 22. September, 14 Uhr, Bahnhof Hoyerswerda

http://www.neues-deutschland.de/artikel/239012.bedroht-in-hoyerswerda.html
Peter Nowak