Lautstark spazieren

AUFWERTUNG Friedrichshainer Nachbarschaft protestiert gegen Luxusbauten in ihrem Kiez
„Baustopp für neue Luxusbauten“ lautet eine Parole auf vielen Häuserwänden rund um die Rigaer Straße in Friedrichshain. Sie richtet sich gegen das Carré Sama Riga, das die CG-Gruppe auf dem Areal einer ehemaligen Möbelfabrik in der Rigaer Straße 70–73 errichten will (taz
berichtete). Etwa 120 Wohnungen und 4 Gewerbeeinheiten sollen dort entstehen. Das Projekt sorgt zunehmend für Protest in der Nachbarschaft. Das wurde am Samstag deutlich, als die GGGruppe die AnwohnerInnen zu einem Informationstag lud. Der Gesprächsführer des Unternehmens Christoph Gröner bezeichnete den geplanten Neubau als soziales Projekt. Doch war die große Mehrheit der circa 80 Gäste davon nicht zu überzeugen. Lautstark forderten sie einen Stopp der Planungen.Viele der Anwesenden trafen
sich dann auch am Sonntagnachmittag in der Rigaer Straße 71–73 zu einem von der Berliner Mietergemeinschaft, Bezirksgruppe Friedrichshain, vorbereiteten Kiezspaziergang gegen Verdrängung durch den Friedrichshainer Nordkiez. „In dem Stadtteil hat die Verdrängung von einkommensschwachen Menschen nicht erst mit dem Carré Sama Riga begonnen“, erklärt einer der Mitorganisatoren
des Spaziergangs. „Doch das Bauvorhaben hat bewirkt, dass MieterInnen sich dagegen zu wehren beginnen.“ Auf einer am kommenden
Sonntag um 15 Uhr beginnenden Kiezversammlung am Forckenbeckplatz soll die erneute Mobilisierung gegen das Carré Sama Riga Thema sein.
taz: 14.6.2016
Peter Nowak

Aus Kreuzkölln wird Prenzlkölln

Während es in Neukölln für ALG-II-Beziehende kaum noch bezahlbare Wohnungen gibt, boomt der Sektor für 1-Euro-Jobs

Der Kiezspaziergang führte an Ladenlokalen vorbei, die von Künstler/innen im Schillerkiez zwischengenutzt werden. Aufgrund der steigendenen Mieten dürfte Nord-Neukölln für diese jedoch nur eine weitere Station auf der Suche nach bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum bleiben.

Trotz nasskaltem Wetter trafen sich am 24. Oktober fast hundert Personen zum Kiezspaziergang vor dem Neuköllner Stadtteilladen Lunte. Der Spaziergang war von Stadtteilinitiativen vorbereitet worden und sollte über Umstrukturierung und steigende Mieten im Schillerkiez informieren. Schon nach wenigen Metern verwies ein Aktivist der Vorbereitungsgruppe auf mehrere leer stehende Läden. „Hier war ein Eiscafé, dort ein Laden mit afrikanischen Spezialitäten, sie mussten wegen der steigenden Mieten schließen“, erklärte er. Dafür hätten in der letzten Zeit in der Gegend Beschäftigungsgesellschaften für 1-Euro-Jobs geöffnet. Die BBJ Servis gGmbH betreibt im Kiez eine Werkstatt für Möbel und Fahrräder. Die Beschäftigungsgesellschaft Tandem BQG berät Jugendliche, die sich auf Stellensuche befinden. Gleich mehrere Projekte im Schillerkiez unterhält die Bequit-Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaft, beispielsweise 1-Euro-Jobber/innen, die als Aufsichtskräfte für mehr Sicherheit und Sauberkeit eine tägliche Tour durch den Kiez machen.

Hartz IV geht raus aus Neukölln“
Während tariflich bezahlte Arbeitsplätze verschwinden, boomen die 1-Euro-Jobs in Neukölln. Gleichzeitig können sich Menschen unter solchen Arbeitsbedingungen oft keine Wohnung mehr in dem Stadtteil leisten. „Hartz IV geht raus aus Neukölln“, bringt es der Immobilienmakler Cemal Düz, der im südlichen Schillerkiez ein Büro betreibt, diese Entwicklung auf den Punkt. Mieter- und Schuldnerberatungen rund um den Schillerkiez bekräftigen: Hartz-IV-Beziehende hätten kaum noch Chancen, Wohnungen
zu finden. Deswegen hat der Stadtteil schon wieder einen neuen Spitznamen bekommen. Kreuzkölln war gestern, heute wird schon von Prenzlkölln gesprochen. Die Entwicklung der Mieten lässt solche Vergleiche durchaus plausibel erscheinen: 9 Euro/qm und mehr sind bei Neuvermietungen in der Weisestraße keine Seltenheit. Bei Wohnungsbesichtigungen ist der Andrang groß, da sich viele Mieter/innen die noch höheren Mieten in Prenzlauer Berg oder in Friedrichshain nicht mehr leisten können.
Deshalb spricht der Stadtsoziologe Sigmar Gude davon, dass in Neukölln die weniger Armen mit den ganz Armen um Wohnraum streiten. Künstler/innen oder Akademiker/innen in prekären Arbeitsverhältnissen haben den Stadtteil entdeckt. Auf dem Spaziergang wurde auf Ladenlokale hingewiesen, die von Künstler/innen auf der Basis von Zwischennutzungsvereinbarungen als Arbeitsraum genutzt werden. Viele dieser Künstler/innen sind in den letzten Jahren in verschiedenen Stadtteilen von einer Zwischennutzung in die nächste gezogen. Auch in Neukölln dürfte ihr Bleiben nur von kurzer Dauer sein. Die ersten Ateliers sind schon wieder geschlossen.

Mietverträge nicht anerkannt

Wie sehr auch Künstler/innen von der Umstrukturierung in Neukölln betroffen sind, zeigte sich am Beispiel der Lichtenrader Straße 32. Dort führte der Kiezspaziergang direkt auf die Großbaustelle im Hinterhof. Dort wandelt die Immobilienfirma Tarsap, die das Haus neben vielen anderen im Schillerkiez erworben hat, die Fabriketagen in Eigentumswohnungen um. Mehrere Wohnungen sind schon verkauft, unter anderem an einen Filmproduzenten aus Prenzlauer Berg. In den Verträgen verpflichtet sich die
Tarsap gegenüber den Käufern, die Wohnungen mieterfrei zu machen, aber bislang wohnen in dem Haus noch einige junge Künstler mit gültigen Verträgen. Sie sind seit Monaten zahlreichen Schikanen wie abgestellten Heizungen oder ausgetauschten Schlössern ausgesetzt. Anfang 2011 werden die Gerichte über die Räumungsklagen entscheiden.

„Zum Zweck der Sanierung umfänglich entmietet“

Dieses Problem hat der Immobilienhändler Henning Conle, dem zahlreiche Häuser in Berlin und in anderen Städten gehören, beim Vorderhaus der Weisestraße 47 nicht mehr. Seit im August 2010 der letzte Mieter ausgezogen ist, steht das vierstöckige Haus komplett leer. Im Hinterhaus wohnen noch drei Mieter. Das Haus werde „zum Zweck der Sanierung umfänglich entmietet“, heißt  es in einem Prospekt, der sich an potenzielle Käufer von Eigentumswohnungen richtet. Einem alternativen Wohnprojekt, das das Haus kaufen wollte, wurde nach mehrmonatigen Verhandlungen von Henning Conle mitgeteilt, dass er das Gebäude selbst  sanieren wolle. Die Bauarbeiten haben noch nicht begonnen, dafür wurden am Haus zeitweise Transparente angebracht, deren Verfasser sich „gegen den spekulativen Leerstand“ und „für die Wiedervermietung der Wohnungen“ aussprechen.

Erwerbslose und Mieter zusammen
All das verdeutlicht, wie Mieter/innen in der Gegend die Aufwertungstendenzen rund um den Schillerkiez registrieren, dokumentieren und auch dagegen zu intervenieren versuchen. Im Stadtteilladen Lunte in der Weisestraße 53 finden monatlich Mietertreffen statt. „Dieser Treffpunkt gibt die Möglichkeit, dass sich Aktivisten verschiedener sozialer Bewegungen koordinieren“, betont Anne Seeck. Sie ist seit Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktiv, die regelmäßig vor dem Jobcenter Neukölln Materialien verteilt, ALGII-Beziehende berät und auf Wunsch auch ins Jobcenter begleitet. Die Verbindung von Erwerbslosen- und Mieteraktivist/innen ist besonders wichtig in einem Stadtteil, in dem Hartz-IV-Beziehende kaum noch Wohnungen finden und gleichzeitig die 1-Euro-Jobs boomen.
Weitere Infos und Kontakt:
Stadtteilinitiative Schillerkiez
c/o Stadtteilladen Lunte
Weisestraße 53
E-Mail:
smashtaskforce@freenet.de
Internet: www.nk44.blogsport.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mepdf/me344heft.pdf

Peter Nowak

Bezirksamt klagt gegen Randnotiz

Mietvertrag für Haus in der Reichenberger Straße soll juristisch legitimiert werden

Im Rathaus Kreuzberg tagt heute ab 17 Uhr die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Schon um 16.30 Uhr wollen sich soziale Initiativen und Mieterorganisationen vor dem Rathaus treffen, um gegen Mietsteigerungen in dem Stadtteil protestieren. Der konkrete Anlass  sind drohende Mieterhöhungen in der Reichenbergerstraße 63a um bis zu 25 %. Dabei haben die Bewohner bis 2020 gültige Verträge, die ihnen einen niedrigen Mietzins garantieren.  Die Vereinbarung wurde 1990 während des ersten SPD-AL-Senats zwischen dem Bezirksamt und dem Verein der Bewohner geschlossen. Doch das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain klagt gegen den  Vertrag und beschuldigt einen mittlerweile pensionierten Mitarbeiter, die Befristung auf 2020 eigenmächtig handschriftlich eingefügt zu haben. Es fordert eine Neuverhandlung  mit höheren Mieten und kürzeren Fristen. 
Der Kreuzberger  Bezirksbürgermeister Franz Schulz führt finanzielle und  juristische Gründe für die Klage  des Bezirks und die Forderung nach Neuverhandlungen an.  
Während mit den Hausbewohnern ein niedriger   Mietzins  vereinbart sei,  bekommen die Hauseigentümer, die   Immobilienfirma Heymann und Kreuels (H&K),  die  ortsübliche Miete. Die Differenz zahle das Bezirksamt. Schulz sieht darin eine Subventionierung, die auch  vom  Landesrechnungshof beanstandet werden könnte.
„ Sollte das Gericht entscheiden, dass der Vertag bis 2020 gilt, werden wir das selbstverständlich akzeptieren. Aber dann haben wir  Rechtssicherheit“, betont Schulz.
Die Bewohnerin der Reichenbergestraße Julia Plöger äußert  gegenüber ND  ihr Erstaunen, dass das Bezirksamt gegen einen vom ihm selber abgeschlossenen Vertrag vor Gericht geht und dabei noch ehemalige Mitarbeiter im Regen stehen lässt.  „Der günstige Vertrag war auch ein Ergebnis der Instandbesetzerbewegungen in den 80er Jahren. Die drohenden Mietererhöhungen hingegen sind ein Beispiel für die rapide steigenden Mieten im Stadtteil Kreuzberg. “ Ein anderer Hausbewohner betont, dass viele der jetzt in der Reichenbergestraße 63 wohnenden Bewohner sich die neuen Mieten nicht leisten können. Deswegen setzen sie auf Gegenwehr im Stadtteil und vernetzten sich mit anderen Initiativen. Am kommenden Sonntag soll mit einem  Kreuzberger Kiezspaziergang gegen Mietsteigerungen protestiert werden. Treffpunkt ist um 14 Uhr an der Ohlauer Brücke. Eine der Stationen wird die Reichenbergerstraße 63 sein.  
    
https://www.neues-deutschland.de/artikel/182822.bezirksamt-klagt-gegen-randnotiz.html?sstr=Reichenbergerstraße

Peter Nowak