Widerstand im Sattel?

»Wir sind tatsächlich Kampfradler_innen. Wir verstoßen gegen die Regeln. Wer das Fahrrad als Verkehrsmittel ernst nimmt und es als Ersatz für das Auto benutzen will, hat kaum eine andere Wahl«. So beginnt ein Aufruf, in dem sich Radfahrer zur Missachtung der Verkehrsregeln bekennen. Sie sehen darin einen Akt des zivilen Ungehorsams gegen ihre Benachteiligung gegenüber dem Autoverkehr. In dem unter kampfradler.blogsport.de dokumentierten Aufruf werden plausible Beispiele für Ungleichbehandlung angeführt, darunter fehlende Fahrradwege oder für Radfahrer ungünstige Ampelschaltungen. Die zen-trale Forderung des Manifests ist eine Verkehrspolitik, die Fahrradfahren als gleichrangig mit dem motorisierten Verkehr einstuft. Solange dies nicht der Fall ist und Radfahrer nur als »Randerscheinung« wahrgenommen werden, wollen diejenigen, die sich dem Aufruf anschließen, zivilen Widerstand leisten und sich nicht den »stinkenden Autos und Lkw unterordnen«.
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Die »Kampfradler« sehen sich in der Tradition der vor ca. 15 Jahren in den USA entstandenen »Critical-Mass«-Proteste (s. Lexikon). Bei diesen in viele andere Länder ausstrahlenden FahrradDemonstrationen wird deutlich gemacht, dass die Straße nicht nur den Autos gehört. Hier besteht auch ein Unterschied zum Gestus der »Kampfradler«, die vor allem durch individuelle Aktionen ihren Unmut über die Autos ausdrücken wollen. Zudem ist in dem Manifest der »Kampfradler« nur an wenigen Stellen von der zweiten, größeren Gruppe, die in der Verkehrspolitik benachteiligt wird, die Rede: den Fußgängern. Dabei müssten diese eigentlich Verbündete sein, wenn es darum geht, den motorisierten Verkehr in die Schranken zu weisen. Die Leerstelle ist vielleicht kein Zufall. Denn im Alltag werden von nicht wenigen Radfahrern auch Fußgänger als lästige Konkurrenten behandelt, und das nicht nur, wenn sie nicht schnell genug den Fahrradweg freimachen. Gerade ältere oder in ihrer Beweglichkeit eingeschränkte Menschen drohen dann im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder zu kommen.

Den Namen Critical Mass (Kritische Masse) wählten einige Fahrradfahrer 1992 in San Francisco sicher nicht zufällig für ihre Fahrrad-Demonstration. Denn in der Kernphysik ist die Kritische Masse Voraussetzung einer Kettenreaktion. Und so kam es: Längst gibt es Aktionen mit mehreren Tausend Teilnehmern auch in anderen Städten der USA und in europäischen Großstädten. Die bisher größte dieser Fahrrad-Demos mit 80 000 Teilnehmern gab es 2008 in Budapest.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/801910.html

Peter Nowak