Aufstand der Mitfahrer oder falsches Vertrauen in die Start-up-Ökonomie

Erneut führt eine Mitfahrerbörse Gebühren ein und stützt damit die These, dass es im Kapitalismus keine Räume jenseits des Wertgesetzes gibt

„Pendlerportal 100% kostenlos“, lautet der Hinweis, der wie ein Stempel auf der Onlinepräsenz[1] eines der Internetportale prangt, die in diesen Tagen so häufig besucht werden, dass sie Schwierigkeiten haben, ihre Angebote zeitnah aufzurufen. Diese Probleme hat die Onlinemitfahrbörse Fahrgemeinschaft.de[2] nicht. Allerdings sind die Suchergebnisse noch recht bescheiden.

Gerade mal 10 Angebote können dort für kommenden Freitag an der hochfrequentierten Strecke von Berlin nach Leipzig aufgerufen werden. Bei der Nummer eins der Mitfahrbörsen Blablacar[3] sind es am gleichen Tag auf der gleichen Strecke noch vier Mal so viel. Einstweilen hat das in Paris gegründete Start up, das längst zu einem finanzstarken Konzern geworden ist, noch die Nase vorn im Vermittlungsgeschäft.

Doch seit einigen Wochen steht es wegen der Einführung von Vermittlungsgebühren, die der Fahrer zu entrichten hat, verstärkt in der Kritik. Von einem „Aufstand der Mitfahrer“[4] spricht das Handelsblatt. Auf der Facebookseite von Blablacar werden heftige Vorwürfe gegen Blablacar erhoben.

Diskriminierung von Menschen ohne Konto

Dabei wurde die Einführung der Gebühren seit Monaten vorbereitet. Schon seit Wochen konnten die Nutzer der Mitfahrbörse ihre Fahrt nicht mehr bar bezahlen[5]. Fahrten können nur noch im Voraus per Kreditkarte, Paypal oder Sofort-Überweisung bezahlt werden. Das bedeutet, dass potentielle Mitfahrer eine Menge Daten abgeben müssen und machte das ganze Prozedere bürokratischer. Zudem diskriminiert das Verfahren Menschen, die aus welchen Gründen auch immer kein eigenes Konto haben.

Dieser Aspekt spielte in der bisherigen Kritik an Blablacar aber bisher kaum eine Rolle. Dafür monieren Nutzer auf Facebook, dass sie das Vertrauen in das Unternehmen verloren hätten[6], weil Blablacar schließlich noch vor nicht ganz so langer Zeit damit geworben habe, dass keine Gebühren erhoben würden.

2013 war das damals größte Mitfahrportal in Deutschland mitfahrgelegenheit.de mit dem Versuch gescheitert, Gebühren einzuführen. Die Nutzer wechselten zu Blablacar und mitfahrgelegenheit.de wurde bald von dem Konzern aufgekauft. Damals hieß es auf der Webseite des Unternehmens: „Kostenlos sind wir schon.“

Das haben einige Nutzer als Versprechen missverstanden, auch in Zukunft kostenlos zu bleiben. In einer Facebook-Kommunikation[7] mit einem unzufriedenen Nutzer der Internetbörse stellte man vor einigen Wochen klar:

Wir würden gerne wissen, wo wir das denn versprochen haben? Wir haben lediglich kommuniziert, dass wir kostenlos sind – was wir bis heute auch sind. Dass wir das immer bleiben werden, haben wir nicht kommuniziert, zur Qualitätssteigerung erheben wir aber bald Gebühren. Dies wird vor allem Dir als Nutzer zugute kommen.

Trotzdem wird in sozialen Netzwerken immer wieder auf das angebliche Vertrauen rekurriert, das Blablacar durch die Einführung der Gebühren verspielt habe. Dabei handelt das Unternehmen nur wie fast alle Startup-Unternehmen, die zunächst eine Dienstleistung kostenlos anbieten, damit werben, expandieren und Kontrahenten aufkaufen, bevor sie dann, wenn sie sich  am Mark stark genug fühlen, die Leistung kostenpflichtig machen.

ADAC statt Blablacar?

Mittlerweile sind auch einige Blablacar-Kritiker nachdenklich geworden[8]. So schreibt einer über den Konkurrenten: „Was mich an Fahrgemeinschaft.de so stört, ist, dass da mit dem ADAC wieder ein Unternehmen im Hintergrund steht. Sollten die es wirklich schaffen und Blablacar ablösen – wer weiß, was dann wieder passiert.“  Tatsächlich wirbt Fahrgemeinschaft.de[9] mit der ADAC- Kooperation und nennt sich eine der „größten kostenfreien Mitfahrzentralen in Deutschland“. Wie lange das gilt, bleibt offen.

Das sollten alle bedenken, die wieder einmal ein gebrochenes Versprechen beklagen, wenn vielleicht in einigen Jahren auch Fahrgemeinschaft.de Gebühren einführen will. Dazu muss sich der Onlinedienst allerdings erst einmal gegen Blablacar durchsetzen. Das Management gibt sich trotz des virtuellen Aufstands der Mitfahrer gelassen und verweist auf Länder wie Frankreich und Italien, wo es trotz Gebühren weiterhin zu den Marktführern gehört.

Allerdings wurden in diesen Ländern die Mitfahrgelegenheiten nie so stark genutzt wie in Deutschland. Das lag auch an den im europäischen Maßstab hohen Preisen der Deutschen Bahn. Doch seit die Ära der Fernbusse begann, können Reisende mittlerweile Fahrten zu Tarifen buchen, die selbst die Preise von Mitfahrbörsen noch unterbieten. Manche sprechen daher schon vom Ende der Mitfahrbörsen.

Allerdings sind die Dumpingpreise auf dem Fernbusmarkt, die durch Niedriglöhne erkauft sind, Teil eines Konkurrenzkampfes  der Busunternehmen. Die Preise werden also spätestens dann wieder steigen, wenn dieser entschieden ist. So bleibt immer Raum für Mitfahrbörsen.

Die Frage wäre eher, warum dahinter immer ein finanzkräftiges Unternehmen stehen muss. Hier könnten doch die Anhänger der These, dass es schon im Kapitalismus möglich ist, zumindest kleine Nischen aufzubauen, in denen das Wertgesetz zumindest nur beschränkt wirkt, diese Vorstellung mal in die Praxis umsetzen.

Die bisherige Geschichte der unterschiedlichen Mitfahrbörsen und ihrer kapitalkräftigen Sponsoren scheint eher denen Recht zu geben, die solche nichtkapitalistischen Nischen im Kapitalismus als Mythos bezeichnen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49145/1.html

Anhang

Links

[1]

http://www.pendlerportal.de

[2]

https://www.fahrgemeinschaft.de/

[3]

https://www.blablacar.de

[4]

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/dienstleister/blablacar-veraergert-kunden-nutzer-wittern-zensur-und-klickbetrug/13999936-2.html

[5]

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mitfahrzentrale-blablacar-kunden-koennen-bald-nicht-mehr-bar-bezahlen-1.3022177

[6]

https://de-de.facebook.com/MitfahrgelegenheitdeBoykott/

[7]

https://de-de.facebook.com/notes/blablacar/blablacar-netiquette/742219402545822/

[8]

https://www.facebook.com/MitfahrgelegenheitdeBoykott

[9]

https://www.fahrgemeinschaft.de/

Das gierige Start-up

Mitfahrdienst Blablacar führt Gebühren in Deutschland ein – und erntet Kritik

Wer derzeit über das Onlineportal Blablacar eine Mitfahrgelegenheit buchen will, muss mehr Geduld aufbringen. In letzter Zeit ist die Anzahl der dort angebotenen Fahrten zurückgegangen. Grund ist das neue Bezahlsystem, das der Internetdienst kürzlich eingeführt hat. Fahrten können nur noch im Voraus per Kreditkarte, Paypal oder Sofort-Überweisung bezahlt werden. Kürzlich hat das 2006 in Paris gegründete Unternehmen, das seit 2013 auch in Deutschland aktiv ist, eine Vermittlungsgebühr eingeführt, die von der Länge der angebotenen Strecke abhängig ist. Für die Fahrt von Berlin nach Hamburg etwa fallen für Autobesitzer Zusatzkosten von drei Euro an. Reservierungsgebühren sind offenbar ebenfalls im Gespräch.

Das wollen viele Mitfahrer nicht akzeptieren. In einer Pressemitteilung erinnert die Internetplattform Fahrgemeinschaften.de daran, dass bereits 2013 der Onlinedienst mitfahrgelegenheit.de mit der Einführung von Gebühren gescheitert ist. Immer mehr Nutzer suchten nach Alternativen und kurze Zeit später wurde der Betreiber von Blablacar aufgekauft. »Kostenlos sind wir schon«, positionierte sich der französische Konzern damals gegen seinen Kontrahenten. Diese Aussage halten empörte Nutzer Blablacar jetzt Nutzern in sozialen Netzwerken vor. »Die haben schon vor der Einführung des Bezahlsystems Texte gestrichen oder verändert. Ich glaube denen kein Wort«, schreibt ein Kommentator.

Mit der Plattform fahrgemeinschaft.de steht eine vorerst gebührenfreie Alternative bereit. Das Unternehmen erklärt, die täglichen Nutzerzahlen hätten sich verdreifacht, seit Blablacar die Gebührenregelung einführte. Auf der Plattform von fahrgemeinschaft.de wird Blablacar zudem vorgeworfen mit Fake-Profilen, einen größeren Nutzererfolg vorzutäuschen. Der Kontrahent spricht indes von unwahren Behauptungen und prüft rechtliche Schritte.

Das französische Unternehmen, dessen Firmenwert von Investoren zuletzt auf rund 1,4 Milliarden Euro taxiert wurde, sieht sich auch nach der Einführung des Gebührenmodells in Deutschland weiter auf Wachstumskurs. Ein Sprecher verweist auf Frankreich, Italien und Spanien, wo Blablacar trotz Gebühren Marktführer bei den Mitfahrzentralen blieb. Allerdings werden in diesen Ländern Mitfahrgelegenheiten generell weniger genutzt als in Deutschland.

Auch am Konkurrenten fahrgemeinschaft.de gibt es Kritik – wegen seiner Kooperation mit dem Automobilclub ADAC. So schreibt ein Nutzer auf einer Facebook-Seite, auf der über einen Blablacar-Boykott diskutiert wird: »Sollten die es wirklich schaffen und Blablacar ablösen – wer weiß, was dann wieder passiert.« So könnte der »Aufstand der Mitfahrer«, von dem das »Handelsblatt« spricht, nur dazu führen, dass statt Blablacar ein anderes Unternehmen das Geschäft mit der Vermittlung macht. Schließlich gehört es zum Geschäftsmodell von Start-up-Unternehmen, zunächst mit Gratisdiensten zu expandieren und die Konkurrenz zu schlucken, um danach die Nutzer zur Kasse zu bitten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1022206.das-gierige-start-up.html

Peter Nowak