„Ich hätte nicht hier sein sollen“

Der Film „A War“ ist ohne einen explizit politischen Anspruch eine einzige Anklage gegen die modernen Zivilisationskriege, weil er deren Lügen aufdeckt

Die gestresste Mutter im komfortablen Reihenhaus kümmert sich rund um die Uhr um ihre drei Kinder. Doch dann passiert es doch. Während sie den Älteren beim Einschlafen hilft, schluckt das Jüngere einige Tabletten. Sofort wird es mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht. Nachdem der Magen ausgepumpt wurde, wird festgestellt, dass die Prozedur medizinisch nicht nötig war. Aber im Zweifel für die Sicherheit, lautet die Devise im dänischen Kleinbürgeridyll.

Wenn am Abend, kurz bevor die Kinder einschlafen, das Telefon klingelt, wissen alle Familienmitglieder, dass es der Ehemann und Vater ist. Dann hat er einige ruhige Minuten, um zumindest telefonisch mit seiner Familie in Kontakt zu sein. Doch Carl Michal Pedersen ist kein schwer beschäftigter Manager, der seine Zeit bis tief in die Nacht im Büro verbringt und daher seine Familie nicht sehen kann. Die Hauptfigur des preisgekrönten Films „A War“[1] ist Kommandeur des dänischen Militärkontingents in Afghanistan. Die ist in einen Gebiet stationiert, in dem die Taliban ihr Unwesen treiben.

Der Film lebt vom Widerspruch zwischen diesen beiden Welten: der dänischen Kleinbürgeridylle, wo die größte Sorge darin besteht, dass sich der Sohn in der Schule prügelt, und der Alltagssituation des Ehemannes, der an einem Militärengagement teilnimmt, das keine Probleme löst, sondern neue schafft, zumindest für die afghanischen Bewohner.

Wenn die Bevölkerung zu Tode geschützt wird

Das wird in vielen Szenen deutlich. Zunächst werden die Soldaten, die an ihrem Einsatz zu zweifeln beginnen, weil sie merken, dass sie dabei auch umkommen können, auch von Pedersen mit den üblichen Propagandafloskeln motiviert. „Wir sind hier, um die Menschenrechte und die Zivilisation der afghanischen Bevölkerung zu verteidigen.“ Nur hat man jeder Begegnung zwischen dieser Bevölkerung und den Soldaten den Eindruck, hier begegnen sich Kolonialherren und Kolonisierte.

Eine besonders eindringliche Szene ist die Durchsuchung eines Fahrzeugs, in dem drei Passanten sitzen, darunter ein älterer Mann. Sie werden rüde aus dem Wagen gezerrt, geduzt, beleidigt, gedemütigt. Sie müssen sich auf den Boden legen, dem Mann wird das Handy entrissen. Als sich herausstellt, dass es sich um ungefährliche Zivilisten handelt, werden sie ohne Erklärung und Entschuldigung aufgefordert, schnell zu verschwinden.

Besonders verhängnisvoll ist die Kolonialherrenperspektive für eine afghanische Familie, die mit den Soldaten kooperiert. Damit gilt sie den Taliban als Todfeinde und die meinen es ernst. Als die Familie nach den Drohungen in das Militärlager flieht und um Asyl bittet, wird sie von Pedersen rüde zurückgeschickt. Auch der schüchterne Einwand einer Soldatin, dass doch für die Familie genug Platz wäre, wird zurückgewiesen. Der Kommandant pocht auf die Vorschriften, und die sehen nun mal nicht vor, dass afghanische Bauern auch nur für eine Nacht dort verbringen können, wo die europäischen Zivilisationsbringer leben.

Als die Soldaten am nächsten Tag zum Bauernhof kommen, haben die Taliban die Familie grausam ermordet. Zudem wurden sie in eine Falle gelockt und die Islamfaschisten beginnen einen Angriff, bei dem abermals ein dänischer Soldat schwer verwundet wird. Daraufhin befiehlt Pedersen die Unterstützung durch die Luftwaffe, die, wie sich später herausstellt, ein Gebäude bombardiert, wobei zahlreiche Zivilisten ums Leben kommen.

Ihr Tod ist im Film nicht zu sehen. Die Zuschauer erfahren erst davon, als die Militärpolizei Ermittlungen aufnimmt, weil Pedersen einige Regeln zum Einsatz der Luftwaffe verletzt hatte. Er hatte versäumt, sich bestätigen zu lassen, dass es sich um ein militärisches Ziel handelt. Kurz sehen wir den Kommandanten zweifeln, aber bevor er vielleicht sogar die Konsequenzen zieht und seinen Fehler bekennt, wird er von seinen Kameraden und seiner Frau bearbeitet. Er solle einfach lügen und vor Gericht aussagen, er habe die die Bestätigung gehabt, könne sich nur nicht mehr erinnern, von wem.

Großer Schlachter rettet Pedersen

Dann kommt der Gerichtsprozess mit einer Staatsanwältin, die ihren Job ernst nimmt und die Aussage des Kommandanten als die Lüge erkennt, die sie auch war. Sie holt sämtliche in Frage kommenden Soldaten in den Zeugenstand und fragt sie, ob sie die Urheber der Bestätigung sind.

Zunächst verneinen alle, doch am Ende findet sich ein Soldat, um Pedersen mit einer Lüge vor einer Haftstrafe zu bewahren. Er trägt bezeichnenderweise den Spitznamen Schlachter. „Großer Schlachter, kleiner Schlachter“, sagt er lächelnd vor Gericht. Weiter will er sich nicht äußern. Mit seiner Aussage hat die Staatsanwaltschaft ihren Trumpf verloren. Sie zweifelt weiterhin den Wahrheitsgehalt an, hat aber bei so viel Korpsgeist keine Chance. Der Freispruch in allen Punkten wird von der versammelten Einheit gebührend gefeiert. Auch Pedersen stimmt in das Lachen und den Jubel ein.

Die afghanischen Opfer sieht man nicht

Dabei bekamen die afghanischen Opfer erst vor Gericht ein Gesicht. Es wurden Fotos gezeigt, die dokumentieren, wie es in dem bombardierten Gebäude aussah. Man sah entstellte Gesichter, aufgeplatzte Gedärme, Arme und Beine ohne Körper. Pedersen und seine Kompanie guckten gequält. Doch als der Kommandant die Möglichkeit hatte, ein letztes Wort vor der Urteilsverkündung zu sprechen, verzichtete er. Er hatte wohl kein Bedürfnis, sich zumindest persönlich, unabhängig vom juristischen Ausgang, bei den Angehörigen der Opfer zu entschuldigen.

Aber der Freispruch entlockte ihm doch Gefühle, wie sich in der letzten Szene zeigte. So zeigt der Film mit seiner fiktiven Handlung sehr viel über den Charakter des Militärs und der Menschenrechtseinsätze in Afghanistan und anderswo. Jede Szene zeigt das Gefälle zwischen erster und dritter Welt. Wenn seine Kameraden vor Gericht Pedersen bescheinigen, er sei ein guter Soldat gewesen, weil er sich von der Devise leiten ließ, dass er keinen Kameraden zurück lässt, so ist das sehr entlarvend. Das Leben eines dänischen Soldaten zählt eben mehr als das von afghanischen Zivilisten.

Der ständige Wechsel zwischen dem dänischen Kleinfamilienidyll und dem afghanischen Alltag zeigt viel darüber, wie unvernünftig die Welt heute eingerichtet ist. Für die rundum versorgten dänischen Kinder ist jede kleine Prellung ein Ereignis. Die Opfer der Bomben der Zivilisationsbringer sieht man nur für einige Sekunden. Sei bleiben namenlos wie die Opfer von Oberst Klein in Kunduz und die Toten vieler anderer Kollateralschäden.

Wenn dann wieder ins dänische Reihenhaus gewechselt wird, fallen einem die Bilder der US-Künstlerin Martha Rosler[2] ein. In der Serie Bringing The War home[3] entwirft sie ähnlich komfortable Reihenhäuser und Idyllen und projiziert[4] Bilder von Kriegen, von Bränden und Versehrten darauf.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48172/1.html

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48172/1.html

Anhang

Links

[0]

http://www.dfi.dk/faktaomfilm/film/da/90953.aspx%3Fid%3D90953

[1]

http://www.imdb.com/title/tt3830162/

[2]

http://www.martharosler.net/

[3]

http://www.martharosler.net/reviews/cottingham.html

[4]

http://www.martharosler.net/photo/war2/war1.html