Mit zwei internationalen Aktionstagen soll am 18. und 19. Dezember auf die politische Verfolgung von Anarchisten in Weißrussland aufmerksam gemacht werden. Seit September wurden dort 15 Menschen festgenommen. Fünf sind noch in Haft. Anlass für die Strafverfolgung waren Solidaritätsaktionen mit russischen Umweltschützern, die Oppositionellen sehen aber einen Zusammenhang mit den für Dezember geplanten Wahlen in ihrem Land. »Seit der Verhaftungswelle Anfang September wurden immer wieder Aktivisten vorgeladen, verschleppt, geschlagen und eingesperrt«, heißt es in einer Erklärung auf der Internetplattform Indymedia Belarus. Infoabende, Solidaritätskonzerte und Kundgebungen vor weißrussischen Botschaften sind vor allem in Polen, Ungarn und Rumänien angekündigt.
Carl-von-Ossietsky-Medaille wäre an israelischen Whistleblower an Mordechai Vanunu gegangen
Jedes Jahr verleiht die Liga für Menschenrechte in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Doch der diesjährige Preisträger, Mordechai Vanunu, darf Israel nicht verlassen.
Die Carl-von-Ossietsky-Medaille wird an Personen verliehen, die im Kampf für die Verteidigung der Menschenrechte Repressalien auf sich nehmen. Diesjähriger Preisträger ist der israelische Techniker Mordechai Vanunu. Er verbrachte 18 Jahre in einem israelischen Gefängnis, weil er das israelische Atomprogramm öffentlich gemacht hatte. Auch nach dem Ende seiner Haftstrafe, ist sein Leben durch juristische Auflagen eingeschränkt. So darf er sich weder mit Journalisten treffen noch Internet oder Handys benutzen oder Israel verlassen. Deshalb konnte die Carl-vonOssietzky-Medaille erstmals nicht verliehen werden. Vanunu hatte darum gebeten, mit der Verleihung zu warten, bis er sie persönlich entgegen nehmen kann. Deshalb wurde die geplante Preisverleihung im Berliner Gripstheater am Sonntag zum Start einer internationalen Kampagne für die Bewegungsfreiheit von Vanunu.
Die Präsidentin der Liga Fanny Michaela Reisin macht auf in ihrer Eröffnungsrede auf einen zweiten Aspekt hin, der den Namensgeber des Preises mit dem israelischen Menschenrechtler verbindet. Auch Carl von Ossietzky wurde noch in der Weimarer Republik zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt, weil er in der Weltbühne über das geheime und gemäß des Versailler Vertrages illegale Rüstungsprogramm der deutschen Reichswehr berichtete Ossietzky habe die Feinde Deutschlands ermutigt, begründeten die Richter ihr Urteil. Hätte diese Einschätzung nur mehr Realitätsgehalt gehabt, der Nationalsozialismus wäre verhindert worden, wenn die Nachbarstaaten rechtzeitig eingegriffen haben, meinte Reisin. Auch Gideon Spiro, einer der israelischen Organisatoren der Solidaritätsarbeit mit Vanunu, begann seinen Vortrag mit einer Utopie. „Wenn die Nazis nicht an die Macht gekommen wären, wäre ich in Deutschland Journalist oder Politiker geworden“, meinte der 1935 in Berlin geborene Mann. Doch in der Realität gelang ihm mit seinen Eltern 1939 in letzter Minute die Flucht nach Palästina. Aus diesen Erfahrungen leitete Spiro sein Engagement für eine jüdisch-palästinensische Kooperation im Nahen Osten ab.
Universalität der Menschenrechte
Das atomare Programm Israel sei für alle Bewohner der Region eine Gefahr, betonte Spiro mit Hinweis auf die häufigen Erdbeben in der Region und die ungeklärte Lagerung der atomaren Abfälle in Israel. Auch der israelische Historiker Gadi Algazi betonte, dass der Kampf für einen atomwaffenfreien Nahen Osten natürlich die Ablehnung eines iranischen Atomprogramms einschließt. Dass es die ILM mit der Universalität der Menschenrechte auch in der Praxis Ernst meinen, machte Reisin in der Verlesung einer Pressemitteilung deutlich. Eine von der ILM mitorganisierte Kundgebung gegen die Menschenrechtsverletzung des Irans vor der Botschaft des Landes wurde am 12. Dezember von der Berliner Polizei angegriffen. 8 Demonstranten, darunter eine 57jähige Frau mussten im Krankenhaus ihre Verletzungen behandeln lassen. Der Grund für den Polizeiangriff war ein Transparent mit der Parole „Nieder mit der islamischen Republik Iran, dessen Entfernung ein Botschaftsangestellter gefordert hatte.
Mordechai Vanunu, der der Welt vom israelischen Atomprogramm erzählte, bekommt in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille, darf aber nicht anreisen
„Es ist an der Zeit jedes militärische Geheimnis offenzulegen, selbst wenn dazu Verrat geübt werden musst“. Dieser Satz des Schriftstellers Günter Grass war für zwei Männer mehr als nur eine Phrase: Der Publizist und Pazifist Carl von Ossietzky wurde von der Justiz der Weimarer Republik zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt, weil er in der Weltbühne die geheime Rüstung der deutschen Reichswehr enttarnte. Der israelische Techniker Mordechai Vanunu saß 18 Jahre in israelischer Haft, weil er den internationalen Medien Beweise für das Atomprogramm der israelischen Regierung lieferte. Auch nach seiner Haftentlassung ist Vanunus Leben starken Reglementierungen unterworfen. Er darf weder Handys noch das Internet benutzen, sich nicht mit Journalisten treffen, und Israel nicht verlassen.
Die Irin Mairead Maguire, die 1976 den Friedensnobelpreis für ihre Verdienste in der irischen Friedensbewegung bekam, wird im Oktober 2010 von Mordechai Vanunu begrüßt – sie war in Israel am Flughafen festgenommen worden, weil sie an der „Ein Schiff für Gaza“-Aktion teilgenommen hatte
Deswegen konnte Vanunu auch nicht die Carl-von-Ossietzky-Medaille entgegen nehmen, die ihm die Liga für Menschenrechte am Sonntag, dem 12. Dezember in Berlin überreichen wollte. Aus der geplanten Preisverleihung wurde eine Protestveranstaltung gegen die Einschränkung von Vanunus Rechten und der Startschuss für eine internationale Kampagne für seine Freiheit.
Die Präsidentin der Liga, Fanny Michaela Reisin, nannte Vanunu einen Whistleblower, der mit seiner Enttarnung des Atomprogramms nur der Wahrheit sowie dem Ziel verpflichtet gewesen sei, für einen atomwaffenfreien Nahen Osten zu kämpfen. „Wir wenden uns in erster Linie gegen das Atomprogramm von Israel, weil wir dort leben. Aber unser Kampf gilt auch den atomaren Plänen der Nachbarländer, wie dem Iran“, erklärte Gideon Spiro. Der gebürtige Berliner organisiert seit Jahren die Solidaritätskampagne für Vanunu. Dabei gehe es ihm um die Utopie eines friedlichen Zusammenlebens von Palästinensern und Juden, betonte Spiro. Diese Ziele verfolgten auch Menschenrechtsorganisationen wie Tayush, die durch das Beispiel von Vananu inspiriert worden seien, sagte der Aktivist. Er ging auch auf den nicht nur in Israel erhobenen Vorwurf ein, solche Organisationen würden der israelischen Sicherheit schaden. Spiro verwies darauf, dass das Atomprogramm schon in Friedenszeiten eine Gefahr für alle Bewohner sei. Schließlich sei die Lagerung des atomaren Abfalls völlig ungeklärt, und die Region sei stark erdbebengefährdet. Scharf kritisierte Spiro, dass ausgerechnet der grüne Außenminister Josef Fischer in seiner Amtszeit die Lieferung von U-Booten, die auch Atombomben transportieren können, nach Israel genehmigte. Dabei habe Fischer noch Ende der 80er Jahre mit anderen Grünen einen Aufruf für einen atomwaffenfreien Nahen Osten unterzeichnet und in der taz veröffentlicht. Fragwürdige Zungenschläge
Spiro begründet sein Engagement mit seinem eigenen Verfolgungsschicksal. Er konnte mit seinen Eltern 1939 noch aus Deutschland nach Palästina fliehen. Die Pogrome vom 9. November hat er als Vierjähriger noch miterlebt. „Für mich ergibt sich daraus die Verpflichtung, für die Einhaltung der Menschenrechte überall einzutreten“, formulierte Spiro sein Credo. Er betonte aber auch, dass Verfolgung keine Schule der Menschenrechte und der Demokratie sei. Damit reagierte er auf ein kurzes Statement des Schiffskapitäns Stefan Schmidt, der Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet hatte und dem deshalb im vergangenen Jahr die Carl-von-Ossietzky-Medaille verliehen wurde. Zunächst bekundete Schmidt, dass ihn das Vorgehen der israelischen Behörden gegen Vanunu sprachlos mache, um dann hinzuzufügen, dass er ein solches Verhalten gerade von Israel wegen der Verfolgungsgeschichte vieler seiner Bewohner nicht verstehen könne.
Es gab auch manch andere fragwürdige Zungenschläge in den Reden der Protestveranstaltung. So verglich die irische Friedensnobelpreisträgerin Mairad Origano-Maguire die israelische Politik mit der Apartheid in Südafrika. Der Text von Spiro war in der übersetzten Fassung mit der Überschrift „Eine Gefahr namens Israel“ überschrieben. Mit solchen Formulierungen provozieren die Organisatoren der Veranstaltung fast zwangsläufig die Kritik, hier werde Israel einseitig an den Pranger gestellt. Dass ist umso bedauerlicher, weil die Liga für Menschenrechte Militarismus und Verletzung der Menschenrechte in allen Teilen der Welt verurteilt.
Nicht nur Kritik an Israel
Das machte Fanny Reisin gleich zu Beginn der Veranstaltung deutlich, als sie eine Pressemitteilung verlas, in der gegen das brutale Vorgehen der Berliner Polizei gegen iranische Menschenrechtler protestiert wurde. Diese hatten am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, vor der iranischen Botschaft gegen die Unterdrückung von Oppositionellen protestiert. Ein Botschaftsangestellter fühlte sich von der Parole „Nieder mit der islamischen Republik Iran“ beleidigt und erstattete Anzeige. Dies nahm die Polizei zum Anlass für ihr Einschreiten. Acht Demonstranten, darunter eine 57-jährige Frau, mussten im Krankenhaus ihre Verletzungen behandeln lassen. Die Liga für Menschenrechte gehörte zu den Aufrufern dieser Kundgebung.
PROZESS Erstmals werden jetzt linke Buchhändler angeklagt wegen des Inhalts von Schriften, die sie verkaufen. Solche Prozesse gefährden die offene Diskussion, kritisiert der grüne Abgeordnete Dirk Behrendt
Die juristischen Ermittlungen gegen linke Berliner Buchläden haben jetzt auch das Abgeordnetenhaus beschäftigt. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Dirk Behrendt wollte vom Senat Einzelheiten zu den Ermittlungsverfahren wissen. In der Antwort auf die Kleine Anfrage bestätigte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), dass seit dem 1. Januar vier Verfahren gegen BuchhändlerInnen erhoben worden sind – wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen Paragraf 130 a des Strafgesetzbuches, der die „Anleitung zu Straftaten“ sanktioniert.
Gegenstand der Verfahren seien Druckerzeugnisse wie die autonomen Publikationen Interim und Prisma, die bei polizeilichen Durchsuchungen in den Buchläden beschlagnahmt worden seien. Dabei gehe es unter anderem um den Aufruf zu Straftaten gegen öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr, so die Senatorin.
Der erste Prozess beginnt diese Woche: Eine Mitarbeiterin des Buchladens Oh 21 bestätigte der taz, dass ihre Verhandlung am 8. Dezember um 11.30 Uhr am Berliner Amtsgericht eröffnet wird.
Für den rechtspolitischen Sprecher der Grünen ist dieses juristische Vorgehen gegen die Verkäufer umstrittener Schriften grundsätzlich kritikwürdig. Zwar sei gegen die Beschlagnahme von Schriften mit strafbarem Inhalt nichts zu sagen. „Etwas anderes ist allerdings die Strafverfolgung der Buchhändler. Werden diese in Zukunft verfolgt, müssten sie ihr gesamtes Sortiment kennen und strafrechtlich einschätzen, was kaum möglich ist“, so Behrendt. Er befürchtet, dass viele die Hände von kritischen Texten lassen, denn die Einschätzung, ob etwas strafbar ist, könne ja durchaus differieren. „Durch dieses Verhalten wird womöglich auf den Vertrieb von bedenklichen Texten verzichtet, was eine offene Auseinandersetzung behindert“, befürchtet er.
Aufruf im Internet
In einem Solidaritätsaufruf ruft die Kampagne „Unzensiert lesen“ zu sofortiger Einstellung aller Verfahren gegen die BuchhändlerInnen mit einer ähnlichen Begründung auf. „Es geht um die Legitimität von Opposition. Darüber wird nicht in juristischen, sondern in politischen Auseinandersetzungen entschieden“, heißt es in einem Aufruf, der online unter www.unzensiert-lesen.de unterzeichnet werden kann.
Den Betreibern der linken Berliner Buchläden Schwarze Risse und 021 wurden vor wenigen Tagen Anklageschriften wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz und Befürwortung von Straftaten zu gestellt. Der Grund sind Broschüren, Plakate und Flyer zu verschiedenen politischen Themen, die in den Buchläden ausgelegt werden. Zu den inkriminierten Schriften gehört die Autonomenzeitschrift Interim ebenso, wie antimilitaristische Flugblätter und Plakate. Deswegen gab es bei den Buchläden allein in diesem Jahr sechs polizeiliche Durchsuchungen (ND berichtete).
Die Buchläden wehren sich dagegen und haben die Kampagne „Unzensiert lesen“ gestartet. Die ging vor einigen Tagen mit einer gutbesuchten Veranstaltung in Berlin an die Öffentlichkeit.
Der Hamburger Publizist und Rechtsanwalt Oliver Tolmein hält von der These, dass die Repression immer schlimmer wird. Er verwies auf den sogenannten Deutschen Herbst in den späten 70er Jahren. Damals wurden Teilnehmer von angemeldeten Anti-AKW-Demonstrationen bei der Anfahrt von einem großen Polizeiaufgebot auf Autobahnen gestoppt. Vermeintliche Drucker und Herausgeber der linken Zeitschrift Radikal wurden teilweise über einen längeren Zeitraum inhaftiert. Die gerichtlichen Verfahren zogen sich über längere Zeit hin. Dennoch gibt die Zeitschrift Radikal mit größeren Pausen bis heute. Die staatliche Repression hat in dem Fall ihr Ziel nicht erreicht, so Tolmein. Ein Mauseklick mit strafrechtlichen Folgen
Dass sich mit der Entwicklung der technischen Möglichkeiten auch die Repression verfeinert, zeigte die Bloggerin Anne Roth an neueren Entwicklungen bei der strafrechtlichen Verfolgung von inkriminierten Äußerungen im Internet. So kann es schon strafrelevant sein, wenn ein User auf Facebook den „Gefällt mir“ Button anklickt, um damit politische Inhalte, wie etwa das Schottern des Castorgleises oder die Blockade eines Naziaufmarsches, zu bewerteten. Neue Extremismusklausel
Auf eine andere Form staatlicher Restriktion ging der Politologie Fritz Burschel ein. Vor allem in unionsregierten Bundesländern sollen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die in den letzten Jahren im Kampf gegen Neonazis auch von staatlichen Stellen finanziert werden, eine Klausel unterzeichnen, in der sich nicht nur selber zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ bekennen sollen. Sie sollen auch sicherstellen, dass ihre Bündnispartner auf dem Boden der fdgo stehen. Diese Praktiken erinnern an die 70er Jahre, als in Westdeutschland Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue geprüft wurden. Schon eine Unterschrift für eine linke Initiative oder die Mitgliedschaft in der DKP reichte aus, um als Verfassungsfeind zu gelten und deswegen nicht Lehrer, Briefträger oder Lokführer werden zu können. Die BRD geriet wegen dieser Praxis im In- und Ausland stark in die Kritik und selbst frühere Verfechter des Radikalenerlasses bezeichneten ihn später als Fehler.
Dazu trug im Wesentlichen eine Bewegung bei, die bis von der radikalen Linken bis in gewerkschaftliche und liberale Kreise reichte. Die Solidaritätskampagne für die linken Buchläden steht dagegen noch am Anfang aber ist am Wachsen. So haben am vergangenen Wochenende auf der Linken Buchmesse in Nürnberg knapp 20 Verlage, darunter auch der Neues Deutschland Druckerei- und Verlag GmbH, eine Unterstützungserklärung mit den Läden verfasst. Sollten die juristischen Verfahren in Gang kommen, dürfte die Liste noch länger werden.
Berliner Polizei verbietet Demonstration gegen Sparpaket, weil zwei antifaschistische Gruppen dazu mit aufrufen
Die Debatte um den neuen Haushalt hat heute im Bundestag begonnen. In diesem Rahmen soll am kommenden Freitag auch das Sparpaket beschlossen werden, das Einschnitte unter anderem bei Erwerbslosen und Rentnern vorsieht. Dagegen ruft seit Monaten ein breites Bündnis unter dem Motto Sparpakete stoppen am 26. November zur Belagerung des Bundestags auf. Heute hat die Berliner Polizei die geplante Demonstration verboten. Lediglich eine Kundgebung am Brandenburger Tor wurde genehmigt.
Im Vorfeld waren verschärfte Auflagen für die Proteste angekündigt werden, weil am 26. November der russische Präsident Putin zu Besuch in Berlin ist. Dieser Staatsbesuch spielt nun in der Verbotsverfügung keine Rolle mehr. Auch die erhöhte Sicherheit anlässlich der Terrorwarnungen, von denen auch der Reichstag betroffen ist, wird in dem Bescheid nicht erwähnt. Die Sicherheitsbehörden sehen offenbar doch in der Berliner linken Szene die größere Gefahr.
In der Begründung zum Verbot wird darauf verwiesen, dass zu den Protesten neben Untergliederungen der Linken, gewerkschaftlichen und sozialen Gruppen auch die Antifaschistische Linke Berlin und die Antifaschistische Revolutionäre Aktion aufrufen. Bei beiden Gruppen bestünde die Gefahr, dass sie in die Bannmeile um den Reichstag vordringen könnten und so die Sicherheit gefährden würden, begründete das Berliner Landeskriminalamt das Verbot.
Der Pressesprecher des Protestbündnisses Michael Prütz kündigte juristische Schritte gegen das Verbot an. Damit will er nicht nur die Proteste gegen das Sparpaket in der geplanten Form durchsetzen, sondern auch gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechtes vorgehen. „Schließlich gab es in der Vergangenheit zahlreiche Demonstrationen, zu denen auch die beiden Organisationen mit aufgerufen haben, die jetzt als Begründung für das Verbot genannt werden.“ Sollte das Beispiel Schule machen, könnten in Zukunft viele Demonstrationen verboten werden, befürchtet nicht nur Prütz. Auf einer von dem Bündnis geplanten Pressekonferenz wird auch die Bezirksvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin sprechen. http://www.heise.de/tp/blogs/8/148798
Das Büchlein „Der kommenden Aufstand“ beschert dem Buchhandel neue Aufmerksamkeit – der Polizei. Jetzt starten linke Buchläden eine Kampagne gegen Razzien
In den Feuilletons von Freitag, FAZ und anderen wurde in jüngerer Zeit ein aus dem französischen übersetztes Büchlein mit dem programmatischen Titel Der kommende Aufstand (La Insurrection qui vient) rezensiert und diskutiert. Die französischen Ermittlungsbehörden klassifizierten diese fulminante Kampfansage gegen die westliche Zivilisation als Aufruf zum Terrorismus, Bewohner einer Landkommune verbrachten als vermeintliche Mitautoren Ende 2008 längere Zeit in Untersuchungshaft. Dass das Buch auch in Deutschland zu neuen Razzien in linken Buchläden führt, ist gut möglich – jedenfalls vermuten Vertreter der linken Buchhandelsszene, dass die messbare Zunahme an polizeilichen Durchsuchungen nicht bloß mit den jeweils konkret beanstandeten Schriften zusammenhing, sondern auch der Aufmerksamkeitswelle für Der kommende Aufstand geschuldet ist. Schließlich haben allein in diesem Jahr die Buchläden Schwarze Risse, 021 und M99 sechsmal Besuch von der Polizei bekommen. Dreimal war das Münchner Buchcafe Marat Ziel der Polizeimaßnahme. Mal war ein Flugblatt des Berliner Büros für Antimilitaristische Maßnahmen (Bamm), mal die Autonomenpublikation Interim Grund für die Polizeibesuche.
Mittlerweile haben die betroffenen Buchläden in einer Erklärung zur Verteidigung unabhängiger und unkontrollierter Medien aufgerufen, eine Kampagnenhomepage eingerichtet und am 17. November im Berliner Festsaal Kreuzberg eine gutbesuchte Veranstaltung organisiert. Dort sprach sich der Hamburger Rechtsanwalt und Oliver Tolmein für Solidarität mit den angegriffenen Buchläden aus, betonte aber auch, dass eine staatliche Verfolgung noch kein Qualitätssiegel für die Inhalte der inkriminierten Broschüren und Büchern ist.
An der Internetzensur wird noch gefeilt
Die auch in der Freitag-Community bekannte Bloggerin Anne Roth ging in ihrem Referat auf die Parallelen zwischen den Zensurversuchen in der realen und der virtuellen Welt ein. Allerdings werden die Mechanismen in dem Internetbereich noch verfeinert. So kann es mittlerweile schon strafrelevant sein, wenn ein User auf Facebook den „Gefällt mir“-Button anklickt, wenn er damit politische Inhalte meint, die den Verfolgungsorganen gar nicht gefallen. Bisher musste ein User in wenigen Worten zumindest ganz klammheimliches Verständnis mit bestimmten Aktionen äußern, damit sich die Betreiber von Internetseiten wie „Scharf links“, Erwerbslosenforum et cetera einen Strafbefehl einhandelten. Nun soll dazu ein Mausklick reichen.
Extremismusklausel für Zivilgesellschaft?
Fritz Burschel ging in seinen Beitrag auf eine relativ neue Form von staatlicher Restriktion ein, die vor allem jene zivilgesellschaftlichen Gruppen betrifft, die in den vergangenen Jahren im Kampf gegen Rechts auch von staatlichen Stellen gefördert worden sind. Künftig sollen diese Gruppen in manchen Bundesländern eine Klausel unterzeichnen, in denen sie sich nicht nur selber zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ bekennen solle. Sie sollen auch sicherstellen, dass ihre Bündnispartner auf dem Boden der FDGO steht. Die Zivilcourage der Initiative Pirnaer Initiative AKuBIZ, die dazu nicht bereit war und deshalb auf einen sächsischen Demokratiepreis in Höhe von 10000 Euro verzichtete, fand beim Publikum großen Applaus. Wesentlich zurückhaltender blieb das Publikum bei der Diskussion.
Dabei haben die Referenten gute Vorlagen für kontroverse Debatten gegeben. So wies Anne Roth auf das Dilemma hin, wenn die Sicherheitsbehörden Buchläden oder Initiativen vor die Wahl stellen, bestimmte Daten herauszugeben, um die Beschlagnahme des gesamten Computers zu verhindern. Bei der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner (DFG-VK) führte ein solches Ansinnen vor einigen Monaten zu heftigen Streit zwischen dem Vorstand und der Berliner Regionalgruppe. Auch zur Bündnisstrategie fehlten Anregungen. Dabei war deutlich, dass eine Ausweitung in den sozialen Bereich, sprich eine Verbindung bürgerrechtlicher und ehersozialpolitischer Themen, möglich wäre. Schließlich hat die erfolgreiche Abwehr der Verdachtskündigung der Kaisers-Kassiererin Emmely gezeigt, dass hier Widerstand möglich ist. Dass in diesen Fall statt staatlicher Stellen private Firmen die Arbeiter und Angestellte auf verschiedene Weise disziplinieren, muss für eine Kooperation mit den linken Buchläden und den kritischen Internetnutzern kein Hinderungsgrund sein.
Die Kritiker des Projekts Stuttgart 21 bekommen nun auch juristischen Beistand. Im Arbeitskreis »Juristen zu Stuttgart 21« haben sich ca. 30 Juristen unterschiedlicher beruflicher Stellungen zusammengeschlossen. Sie wollen nicht nur die Verantwortlichen für den harten Polizeieinsatz vom 30. September gegen Kritiker des Bahnprojekts ermitteln, sondern auch Meldungen nachgehen, nach denen Polizisten, die sich kritisch mit den Einsatz auseinandersetzen, innerhalb ihrer Behörde starkem Druck ausgesetzt sind.
In ihrer ersten Stellungnahme begrüßt die Organisation den Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz in Stuttgart. Die Juristen sind der Überzeugung, dass eine Klage zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes (Fortsetzungsfeststellungsklage) zulässig und begründet wäre.
Linke Buchläden sehen sich regelmäßig mit polizeilichen Durchsuchungen und der Beschlagnahmung ihrer Computer konfrontiert. Grund dafür sind die ausliegenden Flugblätter und Broschüren. Die Buchladenbetreiber wollen sich jedoch nicht als Zensurbehörden vorschalten lassen und verteidigen »unabhängige und unkontrollierte Medien«.
Schon sechs Mal haben die Berliner Buchläden Schwarze Risse, 021 und M99 in diesem Jahr Polizeibesuch bekommen. Dabei galt das behördliche Interesse nicht den Büchern in den Verkaufsregalen, sondern Flugblättern und Broschüren, die von politischen Gruppen in den Buchläden ausgelegt wurden. Mal war ein Flugblatt des Berliner Büros für Antimilitaristische Maßnahmen, mal die Autonomenpublikation Interim Grund für die Polizeibesuche.
Am Vormittag des 26. Oktober fanden neben der Interim auch Plakate des Anti-Castor-Widerstands, die zum Castor-Schottern aufrufen, das Interesse der Polizei. Doch den Antrag, auch wegen dieser Plakate einen Durchsuchungsbeschluss auszustellen, lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Neben den inkriminierten Schriftstücken werden auch regelmäßig die Computer der linken Buchläden beschlagnahmt und erst einige Tage später zurückgegeben. Das sorgt bei den Buchhändlern für großen Unmut. »Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass die Hersteller und Verteiler inkriminierter Texte sich bei uns per E-Mail ankündigen. Dagegen könnte bei Kunden, die elektronisch ein Buch bestellen wollen, Verunsicherung eintreten, ob nicht womöglich ihre Daten gespeichert werden«, meint ein Mitarbeiter der Schwarzen Risse.
Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann, der den Buchladen juristisch vertritt, will genau beobachten, was weiter passiert: »Bei den bisherigen Durchsuchungen wurden die Computer nach Angaben des Landeskriminalamts nicht gespiegelt, sondern lediglich mit Hilfe von Schlagwörtern durchsucht. Wenn sich in den laufenden Verfahren herausstellen sollte, dass doch kopiert wurde, müssten die Daten nach Einstellung des Verfahrens gelöscht werden«, erklärte Lindemann. Die Beschlagnahmung der Computer stellt für ihn einen wesentlichen Kritikpunkt dar: »Es werden bei solchen Durchsuchungen nicht nur die inkriminierten Zeitungen beschlagnahmt, sondern es wird in nicht unerheblicher Weise in den Gewerbebetrieb eingegriffen. Den Buchhändlern wird ihre berufliche Tätigkeit erschwert und ihnen wird ohne Begründung unterstellt, dass sie Kenntnis vom Inhalt der jeweilig beanstandeten Zeitschriften hätten.«
Nach der gängigen Rechtsprechung sind Buchläden nicht verpflichtet, alle ausgelegten Publikationen und Flugschriften nach möglichen strafbaren Inhalten zu durchforsten. Lindemann vermutet, dass die Berliner Staatsanwaltschaft diese gängige Rechtsprechung revidieren will.
Auch der Geschäftsführer von Schwarze Risse, Frieder Rörtgen, sieht in den Razzien eine politisch motivierte Kampagne der Staatsanwaltschaft. »Die Buchläden sollen unter Druck gesetzt werden, damit sie als vorgeschaltete Zensurbehörde des Staates agieren.« In einer gemeinsamen Erklärung appellieren die betroffenen Buchläden: »Verteidigen wir unabhängige und unkontrollierte Medien!« Der Ruf wird gehört. In den letzten Tagen gab es in Berlin Protestdemonstrationen gegen die Razzien. Mittlerweile werden Unterschriften für eine Solidaritätserklärung mit den Läden gesammelt. Für den 17. November ist im Berliner Festsaal Kreuzberg eine Veranstaltung für die Buchläden geplant, an der unter anderem die Bloggerin Anne Roth und der Jurist und Publizist Oliver Tolmein teilnehmen werden.
Schon fünf Mal haben die Berliner Buchläden Schwarze Risse, 021 und M99 in diesem Jahr Polizeibesuch bekommen. Dabei galt das behördliche Interesse nicht den Büchern in den Verkaufsregalen, sondern Flugblättern und Broschüren zum Mitnehmen, die von politischen Gruppen in den Buchläden ausgelegt wurden. Mal war ein Flugblatt des Berliner Büros für Antimilitaristische Maßnahmen (Bamm), mal die Autonomenpublikation Interim Grund für die Polizeibesuche. Doch neben den
inkriminierten Schriftstücken wurden auch regelmäßig die Computer der linken Buchläden beschlagnahmt und erst einige Tage später zurückgegeben.
Das sorgt bei den Buchhändlern für großen Unmut. »Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass die Hersteller und Verteiler inkriminierter Texte per E-Mail ihr Kommen ankündigen. Dafür könnte bei Kunden, die elektronisch ein Buch bestellen wollen, Verunsicherung eintreten, ob nicht womöglich ihre Daten gespeichert werden«, meint ein Mitarbeiter der Schwarzen Risse.
Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann, der den Laden juristisch vertritt, will genau beobachten, was weiter passiert: »Bei den bisherigen Durchsuchungen wurden die Computer nach Angaben des Landeskriminalamts nicht gespiegelt, sondern lediglich mit Hilfe von Schlagwörtern durchsucht. Wenn sich in den laufenden Verfahren herausstellen sollte, dass doch kopiert wurde, müssten die Daten nach Einstellung des Verfahrens gelöscht werden«, erklärte Lindemann gegenüber dem Sprachrohr. Die Beschlagnahme der Computer stellt für ihn den Hauptkritikpunkt dar: »Es werden bei solchen Durchsuchungen nicht nur die
inkriminierten Zeitungen beschlagnahmt, sondern es wird in nicht unerheblicher Weise in den Gewerbebetrieb eingegriffen. Den Buchhändlern wird ihre berufliche Tätigkeit erschwert, und ihnen wird ohne
Begründung unterstellt, dass sie Kenntnis vom Inhalt der jeweilig beanstandeten Zeitschriften hätten.«
Dabei sind Buchhändler nach der gängigen Rechtssprechung nicht verpflichtet, alle ausgelegten Publikationen und Flugschriften nach möglichen strafbaren Inhalten zu durchforsten. Lindemann vermutet, dass die Berliner Staatsanwaltschaft die gängige Rechtssprechung zu revidieren sucht.
Gesellschaftliche Debatte führen
Die betroffenen Buchläden setzen nicht nur auf den Rechtsweg. Sie wollen zugleich eine gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung linker Buchläden anstoßen. Diese Diskussion soll ausdrücklich über die linke Szene hinausreichen. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Börsenverein des deutschen Buchhandels sollen angesprochen werden.
Die Betroffenen sind zuversichtlich, dass das Diskussionsangebot erwidert wird: »Schließlich hat es vor 20 Jahren nach Durchsuchungsaktionen in linken Buchläden auch eine breite, übergreifende Solidarisierung
gegeben.«
aus Sprachrohr:
Flüchtlingsvertreter und linke Gruppen haben zur Unterstützung eines Aktivisten aufgerufen, der seit dem 26. August in München unter anderem wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht steht. Der Prozess, bei dem fünf Vorwürfe mit politischem Hintergrund zusammengefasst wurden, wird am 13. September fortgesetzt (12 Uhr, Amtsgericht München, Nymphenburger Str. 16, Saal B 277). Hans-Georg E. ist wegen seines langjährigen antimilitaristischen und antirassistischen Engagements bekannt. Er wird beschuldigt, den Organisator der NATO-Sicherheitskonferenz in München, Wolfgang Ischinger, bei einer von Attac organisierten und von Protesten begleiteten Diskussionsveranstaltung gegen die Brust geschlagen zu haben. Dabei hatte Ischinger unmittelbar nach der Veranstaltung erklärt, es sei nichts passiert und er wolle gegen die Protestierenden keine Anzeige erstatten. Ein weiterer Anklagepunkt bezieht sich auf E.s Kritik an der Festnahme eines Flüchtlings, der ohne Erlaubnis den ihm zugewiesenen Landkreis verlassen hatte und damit gegen die sogenannte Residenzpflicht verstieß. Er hatte den Beamten Rassismus vorgeworfen.
Neben der Flüchtlingsorganisation The Voice, dem Aktionsbündnis gegen die Münchner Sicherheitskonferenz und der Interventionistischen Linken solidarisierten sich auch 50 türkische Linke mit dem Angeklagten. Für den Prozess sind bis Ende September noch fünf Termine anberaumt.
SOLIDARITÄT Interkultureller Stadtrundgang für den verhafteten Schriftsteller Dogan Akhanli
Was hat der Völkermord an den Armeniern 1915/16 mit der Hardenbergstraße zu tun? Wie erlebte die türkisch-jüdische Familie Behar den Holocaust in Berlin? Wieso ging der spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter während der NS-Diktatur in die Türkei ins Exil?
Es sind Fragen wie diese, Fragen, die enge Verbindungen zwischen der deutschen und türkischen Geschichte aufzeigen, die die historisch-interkulturellen Stadtrundgänge von Dogan Akhanli zu etwas ganz Besonderem machen. Der Schriftsteller ist im Zuge seiner Arbeiten zu den beiden großen Völkermorden des 20. Jahrhunderts zu einem Fachmann für interkulturellen Dialog geworden. Doch nicht überall wird sein Engagement geschätzt: Am 10. August wurde Akhanli in Istanbul verhaftet. Aus Solidarität mit ihm bieten seine Freunde und Kollegen am heutigen Dienstag einen Stadtrundgang auf den Spuren deutsch-türkischer Geschichte.
In den 80er Jahren wurde Akhanli als Linksaktivist in der Türkei verfolgt und floh in die BRD, wo er Asyl bekam und später die deutsche Staatsbürgerschaft annahm. Als er vor vier Wochen erstmals seit 19 Jahren wieder in die Türkei reiste, um seinen schwerkranken Vater zu besuchen, wurde er am Flughafen von Istanbul verhaftet (taz berichtete). Die türkische Justiz beschuldigt Akhanli, 1989 eine Wechselstube überfallen zu haben. Beweise dafür fehlen, wie Akhanlis Anwälte erklären. Und die beiden Zeugen, die die Ankläger anführen, hätten ihre Aussage längst widerrufen. Trotzdem weigert sich die türkische Justiz, den Haftbefehl aufzuheben.
Den Grund für die Verfolgung Akhanlis sehen daher viele – etwa Grünen-Chefin Claudia Roth oder der Schriftsteller Edgar Hilsenrath – in seiner Arbeit. Etwa zum Armenien-Völkermord, der in der Türkei nach wie vor ein Tabu ist, und über den Akhanli den ersten Roman eines Türken überhaupt geschrieben hat. „Akhanli hat sich in Romanen, Artikeln, aber auch bei der Entwicklung von geschichtspolitischen Konzepten mit Gewalterfahrungen durch Völkermorde auseinandergesetzt“, erklärt der Journalist Albert Kieser, der zum Freundeskreis des Verhafteten gehört, gegenüber der taz.
Auch das Konzept des Stadtrundgangs durch Charlottenburg hat Akhanli 1994 mitentwickelt. Bei dem Rundgang soll unter anderem das Haus in der Hardenbergstraße besucht werden, in dem der ehemalige türkische Innenministers Talat Pascha im Berliner Exil lebte. Der maßgeblich für den Völkermord an den Armeniern verantwortliche Politiker war am 15. März 1921 in der Nähe seiner Wohnung von einem armenischen Kommando erschossen worden. An das Schicksal der von den Nazis ermordeten türkisch-jüdischen Familie Behar erinnert eine weitere Station. Besucht werden soll auch der Ort, wo sich der türkische Flüchtling Kemal Altun aus Angst vor der drohenden Abschiebung am 30. August 1983 in den Tod stürzte. PETER NOWAK
Treffpunkt Stadtspaziergang: 17 Uhr, Hardenbergstraße 22-24
Mehr Infos zum Fall Akhanli: www.das-kulturforum.de
Das Konzept des Stadtrundgangs durch Charlottenburg hat Akhanli mitentwickelt
Derzeit bekommen die russischen Behörden aus vielen europäischen Ländern Protestbriefe. Darin wird die Freilassung von Alexej Gaskarow und Maxim Solopow gefordert. Die beiden Männer sind am 29. Juli 2010 unter dem Vorwurf des Landfriedensbruchs in Untersuchungshaft genommen worden. Sollten sie verurteilt werden, drohen ihnen Haftstrafen bis zu sieben Jahren.
Gaskarow und Solopow sollen mit hunderten weiteren Umweltschützern am 28. Juli im Moskauer Vorort Chimki an einer Spontandemonstration gegen die Rodung eines Waldstücks teilgenommen haben. Dabei wurden auch Gebäude der Stadtverwaltung mit Steinen und Feuerwerkskörpern attackiert. Obwohl der Sachschaden gering war, sorgte die Attacke in den russischen Medien für großes Aufsehen und setzte die Behörden unter Verfolgungsdruck. Nach Ansicht eines russischen Solidaritätskomitees wurden Gaskarow und Solopowa verhaftet, weil sie seit Jahren auch öffentlich als Aktivisten der sozialen Bewegung aufgetreten sind. So haben sie sich gegen die Zunahme faschistischer Aktivitäten und die rassistische Diskriminierung von Ausländern in Russland engagiert.
Neue Graswurzelbewegung
Russische Umweltschützer sehen in den Verhaftungen der Männer auch einen Versuch, die wachsende russische Graswurzelbewegung zu disziplinieren. Die andauernden Proteste gegen die Abholzung des Chimki-Waldstücks werden als Beispiel für das neue Selbstbewusstsein von zivilgesellschaftlichen Organisationen interpretiert. Die Bäume sollen einer mautpflichtigen Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg weichen. Die Waldschützer bekommen zunehmend Unterstützung von Bürgern der russischen Hauptstadt, die für den Erhalt von Moskaus grüner Lunge eintreten.
Die Staatsmacht reagiert mit zunehmender Repression und sorgte damit russlandweit für Schlagzeilen So wurden bei Protesten gegen die Waldabholzung am 23. Juli auch zwei Journalisten festgenommen. Der russische Journalistenverband protestierte gegen die Einschränkung der Pressefreiheit und forderte die Bestrafung der verantwortlichen Milizionäre. Auch ein Protestcamp, mit dem Umweltschützer aus ganz Russland die Rodung verhindert wollten, war Ende Juli 2010 von ca. 100 Maskierten überfallen worden. Im Anschluss nahm die Miliz einige der Umweltschützer fest. Durch die Verhaftung von Gaskarow und Solopowa ist die Auseinandersetzung um das Waldstück auch über Russlands Grenzen hinaus bekannt geworden.
Prozess gegen Mitglied der ominösen Leipziger Militanten Gruppe
Seit Anfang August wird vor dem Landgericht Leipzig gegen den 24-jährigen Tommy T. wegen einer Autobrandstiftung, der Androhung von Straftaten und versuchten Einbruchs in einen Computerladen verhandelt. Die Ermittlungsbehörden beschuldigten T., der seit dem 4. Februar in Untersuchungshaft sitzt, zur Militanten Gruppe Leipzig (MGL) zu gehören, die vor einigen Monaten kurz für Schlagzeilen sorgte. T. war nicht aus der U-Haft entlassen worden, weil er vorbestraft ist und das Gericht wegen der möglichen Höhe der Strafe eine Fluchtgefahr annimmt. Ein weiterer Grund dürfte gewesen sein, dass T. vor allem in den ersten Wochen nach seiner Verhaftung keine Unterstützer hatte, die sich um die Kaution für seine Freilassung kümmerten. Denn in der Leipziger Linken kursierten zunächst Spekulationen, dass Rechte als Linke getarnt unter dem Label MGL auftreten. Anhaltspunkte für den Verdacht sahen sie in den verbalradikalen Parolen der Texte und in ihrer nicht-szenetypischen Diktion. Im Januar hatte sich eine Militante Gruppe Leipzig in einem Schreiben an die »Leipziger Volkszeitung« (LVZ) zu zwei Autobrandstiftungen bekannt. Am 29. Januar wurde ein von der MGL unterschriebener Brief an die Abgeordnete der LINKEN im sächsischen Landtag, Juliane Nagel, verschickt, die zuvor einen linkspolitischen Hintergrund der Anschläge bezweifelt hatte. »Ihr Irrglaube, die linke Szene wähle vermutlich andere Mittel als Brandanschläge, macht deutlich, dass das notwendige Umdenken noch nicht bei jedem angekommen ist. Es ist an der Zeit, die Revolution einzuleiten«, hieß es in der mit MGL unterschriebenen Antwort an Nagel. Dieser Satz steht auch auf einem »vorläufig offiziellen Blog«, den die Gruppe im Internet eingerichtet hat. Dort wird der erste Anschlag der MGL auf Ende Oktober 2009 datiert. Unterstützung von außerhalb Die Internetpräsenz der Militanten hat ihre Sympathiewerte auch bei Leipzigs außerparlamentarischen Linken nicht erhöht. In einem Newsflyer des Leipziger Kulturzentrums Conne Island, das als autonomer Treffpunkt zählt, hieß es im März drastisch: »Militante Gruppe Leipzig – du mieses Stück Scheiße. Geh nach Hause, dich kann niemand leiden«. Obwohl von einem rechten Hintergrund der MGL heute in der linken Szene Leipzigs niemand mehr ausgeht, wurden die Verhaftung von T. wie auch der laufende Prozess weitgehend ignoriert. Solidaritätsaktionen kommen hingegen von auswärtigen Antirepressionsstrukturen. Sowohl von der Roten Hilfe Magdeburg als auch von der Redaktion des »Gefangeninfo« wird T. als linker politischer Gefangener gesehen und unterstützt. Dabei gehe es um sein Verhalten vor Gericht und nicht um die politische Einschätzung der Militanten Gruppe und ihrer Texte, betont ein Mitarbeiter des »Gefangeneninfos«. Er verweist darauf, dass bisher nur die Anklagebehörde einen Zusammenhang zwischen der MGL und T. herstellt. Der Beschuldigte selbst hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Am 31. August soll das Urteil verkündet werden. Nach Angaben der Lokalpresse könnte ihm bei einer Verurteilung statt einer Gefängnisstrafe die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie drohen. Ein Gutachter, der T. als hochintelligent klassifiziert hat, beobachtet den Angeklagten während des Prozesses im Hinblick auf eine etwaige Persönlichkeitsstörung.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat auch Folgen für die deutsche Rechtsprechung
Vor einigen Tagen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein bisher in Deutschland wenig beachtetes Urteil gefällt, das aber Einfluss auf zur Zeit in Deutschland laufende Verfahren hat.
Das macht der Europäische Gerichtshof gleich in der Überschrift der Pressemitteilung zu dem Urteil deutlich. Dort heißt es:
——————————————————————————–
Die Beschlüsse des Rates, mit denen die DHKP-C vor Juni 2007 unter Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien in Listen aufgenommen wurde, die im Rahmen von Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus erstellt wurden, können nicht dazu beitragen, die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern der genannten Organisation zu stützen, die nicht in diese Listen aufgenommen wurden.
Bei dem erwähnten Verfahren handelt es sich bei um ein mehrmonatiges Verfahren vor dem Düsseldorfer Staatsschutzsenat. Dort wird gegen zwei türkische Migranten verhandelt, die beschuldigt werden, für die in Deutschland und der Türkei verbotene marxistische Organisation DHKP-C Spenden gesammelt zu haben. Weil diese Organisation auf der EU-Terrorliste aufgeführt ist, hätten die Angeklagten durch das Weiterleitung von Spenden gegen das deutsche Außenwirtschaftsgesetz verstoßen, so die Anklagebehörde.
Nach § 34 Abs. 4 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) macht sich strafbar, wer „einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Einfuhr-, Durchfuhr-, Verbringungs-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient“.
Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar
Diesem Bestreben hat Menschenrechtsgerichtshof jetzt Grenzen gesetzt. Den Angeklagten sei es nicht möglich gewesen, gegen die Aufnahme der DHKP-C in die Terrorlisten gerichtlich vorzugehen. Zudem habe bis 2007 eine Begründung für die Aufnahme der Organisation in die Terrorliste gefehlt, so dass eine gerichtliche Kontrolle nicht erfolgen konnte. Weil dadurch gegen elementare Verfahrensgarantien verstoßen worden sei, kann das Außenwirtschaftsgesetz bis Juni 2007 nicht auf die Terrorlisten angewendet werden, urteilt der Menschenrechtsgerichtshof.
Es war nicht die erste juristische Korrektur der Terrorlisten, wie die europäische Menschenrechtsorganisation ECCHR betont:
——————————————————————————–
Bislang führte jedoch jede Klage vor europäischen Gerichten gegen die in diesem Fall betroffene EU-Terrorismusliste zur Streichung des jeweiligen Betroffenen von der Liste. Grund dafür waren systematische Verstöße gegen das Recht auf Verteidigung, insbesondere auf ein faires Verfahren, das Recht auf rechtliches Gehör des Betroffenen sowie den Eigentumsschutz.
ECCHR
Die Organisation benennt auch das Problem ganz deutlich:
——————————————————————————–
Bevor überhaupt strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, werden aufgrund von unbestimmten Vermutungen und unter gravierender Verletzung von elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen einschneidende und stigmatisierende Maßnahmen gegen Einzelne verhängt.
ECCHR
Allerdings haben die juristischen Niederlagen nicht zur grundlegenden Hinterfragung der sogenannten Politik der Terrorlisten geführt, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind. Das hat der ECCHR in seiner Stellungnahme an den Europäischen Gerichtshof noch einmal klargestellt. Die Beschlüsse, mit denen Personen und Gruppen in die Liste aufgenommen wurden, seien rechtswidrig und daher für ungültig zu erklären. Das ECCHR betont zudem, dass die EU sich um ein rechtsstaatliches und faires Verfahren zur Konteneinfrierung von Terrorismusverdächtigen bemühen muss, das alle Verteidigungs- und Verfahrensrechte der Betroffenen respektiert. Insbesondere seien aufgrund der immensen wirtschaftlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Folgen einer Aufnahme in eine Terrorismusliste, die einer strafrechtlichen Sanktion gleichkommen, auch strafrechtliche Verfahrensgarantien im Listungsverfahren zu beachten.
Das Gutachten des ECCHR führt weiter aus, dass rechtsfehlerhafte Beschlüsse nicht die Grundlage einer Strafverfolgung sein können. Die Beschlüsse werden halbjährlich in teilweise veränderter Form und mit verändertem Inhalt vom Europäischen Rat verabschiedet. Diese dynamische Änderung der Beschlüsse und damit aufgrund des deutschen Außenwirtschaftsgesetz auch eine sich ständig ändernde Strafnorm habe zur Folge, dass der Bürger die Rechtsfolgen seines Verhaltens nicht voraussehen kann und sich somit unter Umständen strafbar macht. Eine solche Strafbarkeit verstößt gegen den grundgesetzlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Danach muss ein Straftatbestand hinreichend genau formuliert und seine Rechtsfolgen müssen bestimmt sein, führt das ECCHR an.
Folgen des Urteils
Der Bundestagsabgeordnete der Linken Andrej Hunko, der für seine Partei im Ausschuss für europäische Angelegenheiten sitzt und das Düsseldorfer Verfahren besucht hat, nennt das Urteil eine „schallende Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft“:
——————————————————————————–
Während das Oberlandesgericht Düsseldorf trotz gravierender offener Fragen nicht bereit war, die Verhandlung bis zur Vorabentscheidung auszusetzen, hat der EuGH mit einem beschleunigten Verfahren seine Verantwortung rechtzeitig wahrgenommen. Sein Urteil zeigt erschreckend deutlich, dass die Bundesanwaltschaft nicht einmal grundlegende Rechtsprinzipien wie das Verbot der Rückwirkung von Vorschriften respektiert.
Andrej Hunko
Allerdings wird das Verfahren vor dem Düsseldorfer Staatsschutzsenat weitergehen, weil gegen die beiden Angeklagten auch nach § 129b (Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung) verhandelt wird. Dieser Paragraph steht in der Kritik von Menschenrechtsorganisationen und linker Solidaritätsgruppen, war aber nicht Gegenstand einer juristischen Überprüfung vor dem Europäischen Gerichtshof.