Charite übergibt Schädel an Namibier

Gebeine von Herero und Nama werden zurückgeführt

Die Charité wird am Freitag 20 menschliche Schädel an die namibische Regierung übergeben. Sie stammen von Angehörigen der Stämme Herero und Nama, die vor über 100 Jahren von deutschen Kolonialsoldaten ermordet wurden. Die Schädel wurden anschließend zu „rassekundlichen“ Untersuchungen die Charité gebracht, wo sie sich bis heute befinden. „Zur Rückführung der sterblichen Überreste wird eine offizielle Delegation aus Namibia erwartet“, erklärte Judith Strom von der Nichtregierungsorganisation AfricAvenir.
Mit der Übergabe der Gebeine wolle man zur Versöhnung beitragen, sagte eine Charité-Sprecherin. Für Yonas Endrias vom Global Afrikan Congress ist es „ein längst überfälliger erster Schritt zur Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus“. Die Übergabe sei nur durch zivilgesellschaftlichen Druck möglich geworden. „Alle in Deutschland befindlichen geraubten Gebeine aus der Kolonialzeit müssen zurückgeführt werden. Anders als im gegenwärtigen Fall müssten die Kosten vom deutschen Staat übernommen werden.“
Zudem, so Endrias, müsse sich die Bundesregierung endlich für die Verbrechen des deutschen Kolonialismus entschuldigen und über Reparationszahlungen verhandeln. Das bekräftigten am Dienstag auf einer Pressekonferenz VertreterInnen von drei namibischen Komitees zur Aufarbeitung des Völkermords an den Herero und Nama, die zwischen 1904 und 1907 in die Wüste getrieben und der Vernichtung preisgegeben wurden.
Auf einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt werden die Namibier am Mittwoch um 19 Uhr berichten, welche Spuren der deutsche Kolonialismus in ihren Ländern hinterlassen hat. Die Veranstaltung soll den Druck auf die Bundesregierung verstärken.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F09%2F28%2Fa0140&cHash=8049657a9e

Peter Nowak

Frau Hoffmann und die Rassenkunde

Die Spuren des deutschen Kolonialismus sind noch sichtbar / Eine Entschuldigung bleibt aus
Zeugen des deutschen Völkermords im heutigen Namibia fordern Entschuldigung und Entschädigung.

Ida Hoffmann trägt einen urdeutschen Namen. Das erinnert an den deutschen Kolonialismus, der in Namibia, wo die Frau lebt, seine Spuren hinterlassen hat. Zurzeit befindet sich Hoffmann als Vertreterin des »Komitees zur Aufklärung des Völkermords an den Nama« mit weiteren Angehörigen von Nichtregierungsorganisationen auf Besuch in Deutschland. Am Dienstag haben sie gemeinsam auf einer Pressekonferenz in Berlin ihre Forderungen bekräftigt.

Bis heute hat kein deutscher Regierungsvertreter sich für den Völkermord entschuldigt, den deutsche Truppen vor mehr als 100 Jahren an den Herero, Nama und Damara verübten. In einem Kolonialkrieg wurden die Menschen in die Wüste getrieben und dem Tod preisgegeben. Verantwortliche Militärs sprachen damals offen davon, dass die Menschen, die sich gegen die deutsche Kolonialherrschaft wehrten, »vernichtet« werden müssten. Einige der beteiligten Militärs gehörten zu den Unterstützern der Nationalsozialisten. Auch die Methoden, die von ihnen angewandt wurden, nahmen die Methoden der Nazis vorweg. Daran erinnerten alle namibischen Menschenrechtler auf der Pressekonferenz. »Doch bis heute hat sich kein deutscher Regierungsvertreter für die Verbrechen des deutschen Kolonialismus entschuldigt«, kritisiert Armin Massing vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag auf der Pressekonferenz. Damit wolle die deutsche Regierung Entschädigungsforderungen abwehren. »Doch ohne eine materielle Entschädigung für den Völkermord bleibt die immer wieder von der Bundesregierung beschworene ›besondere Verantwortung‹ gegenüber Namibia ein zynisches Lippenbekenntnis«, ergänzt Christian Kopp von Berlin Postkolonial. »Die Bundesregierung soll endlich mit den Opferverbänden in Verhandlungen über Reparationen treten«, forderte auch Festus Tjikuua vom »Komitee für die Aufarbeitung des Völkermordes von 1904«. Binationale Verhandlungen zwischen der deutschen und der namibischen Regierung lehnte er ab: »Die Organisationen können sich selber vertreten.« Auf einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt werden die Zeugen des deutschen Völkermordes am Mittwoch um 19 Uhr ihre Forderungen vorstellen.

Wie nötig gesellschaftlicher Druck ist, zeigt sich am Beispiel der Berliner Charité. Dort sind bis heute 20 Schädel von Angehörigen der Herero und Nama aufbewahrt, die vor mehr als 100 Jahren von deutschen Soldaten verfolgt und ermordet wurden. Die Gebeine wurden zu »rassenkundlichen« Untersuchungen nach Berlin gebracht. Am kommenden Freitag werden sie an die Nachfahren der Opfer übergeben. Damit wolle man zur Versöhnung beitragen, sagte eine Sprecherin der Charité. Für Yonas Endrias vom Global Afrikan Congress handelt es sich um einen längst überfälligen ersten Schritt zur Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus. »Sämtliche in Deutschland befindlichen geraubten Gebeine aus der Kolonialzeit müssen zurückgebracht werden. Anders als im gegenwärtigen Fall müssten die kompletten Kosten dafür vom deutschen Staat übernommen werden«, betont Endrias.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/207791.frau-hoffmann-und-die-rassenkunde.html

Peter Nowak

Neidkampagne gegen Cicciolina?


Der früheren Abgeordneten des italienischen Parlaments Ilona Staller wird eine rechtmäßige Pension geneidet, die Kollegen mit Mafia-Beziehungen ohne jeden Einspruch gestattet wird

Geldsorgen wird Ilona Staller in Zukunft nicht mehr haben. Die unter ihren Künstlerinnennamen Cicciolina bekannte auf Pornos spezialisierte italienisch-ungarische Schauspielerin hat mit Erreichen ihres 60. Lebensjahres Anspruch auf eine jährliche Pension von 39.000 Euro. Denn sie war von 1987 bis 1992 in der Fraktion der Radikalen Partei, die mit ihren Verzicht auf jegliche Ideologie und ihrer Konzentration auf Volksentscheide und Bürgerbeteiligungen als eine Art Vorläuferin der Piratenpartei im Vorinternetzeitalter gelten kann, Mitglied des italienischen Abgeordnetenhauses.

Die Radikalen sowie ihre diversen Nachfolgeprojekte gehörten denn auch teilweise zum Parteienbündnis um Berlusconi, teilweise waren sie Bestandteil der Mitte-Links-Bündnisse, die in Opposition zu Berlusconi standen. Zu dieser Zeit hatte Staller, die keine Berlusconi-Freundin ist, ihre parlamentarische Episode, nicht aber ihre politischen Aktivitäten beendet. Sie trat für eine nuklearfreie Welt und die vollständige sexuelle Freiheit ein. Für die Rechte von Gefängnisinsassen setzte sie sich ebenso ein, wie für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe, ein Ende von Tierversuchen und jegliche Formen der Zensur.

Im Jahr 2002 versuchte sie, mit solchen Forderungen vergeblich für das ungarische Parlament zu kandidieren. Um ihre linke Politeinstellung zu verdeutlichen, entblößte sie häufiger bei Wahlkampfauftritten die linke Brust. Ob ihr diese Symbolik in Ungarn geschadet hat oder eher ihre angeblichen Kontakte zum ungarischen Geheimdienst vor 1989, ist unklar. Auch ohne Parlamentssitz machte Cicciolina immer wieder auf sich aufmerksam.

So bot sie in den 1990er Jahren den irakischen Diktatur Saddam Hussein ihren Körper an, wenn er ein Ende der Diktatur in seinem Land zusicherte. Auch Osama Bin Laden unterbreitete sie ein solches Angebot, wenn er im Gegenzug von seinen terroristischen Plänen abließ. Beide sehr speziellen Versuche einer Konfliktlösung hatten bekanntlich keinen Erfolg. Wieweit Cicciolina diese Aktionen ernsthaft betrieb, ob es sich um Kunstprojekte oder um eine Selbstdarstellerin in eigener Sache handelte, bleibt umstritten. Zumindest ihre Ehe mit dem US-amerikanischen Objektkünstler Jeff Koons würde dafür sprechen, dass in Cicciolinas Handeln künstlerische Einflüsse keine unbedeutende Rolle spielen.

Kampagne gegen unliebsame Frau?

Warum aktuell die Meldungen über ihre Rentenansprüche in den italienischen Medien lanciert werden und teilweise für Empörung sorgen, ist unverständlich. Denn dabei handelt es sich keineswegs um ein besonderes Privileg, das nur ihr gewährt wird. Das machte sie auch in einem Statement gegenüber dem Guardian deutlich, der ihre Rentenansprüche an prominenter Stelle publizierte.

„Alle ehemaligen Mitglieder des Parlaments bekommen eine Pension und da ist es nur fair, dass ich sie auch bekomme,“ erklärte sie der Zeitung und damit hat sie vollständig recht. Cicciolina profitiert von einem Gesetz, das sämtlichen italienischen Abgeordneten nach Erreichen des 60ten Lebensjahres den jährlichen Rentenanspruch garantiert. In diesen Genuss sind in der Vergangenheit auch Parlamentarier gekommen, die wegen Bestechung oder Verbindung zur Mafia rechtskräftig verurteilt worden sind. Solche Vorwürfe kann man Cicciolina keinesfalls machen.

Ihre mit ihren speziellen Mitteln popularisierten Forderungen nach Libertinage in allen Lebensbereichen mögen skurill und naiv sein, sie stören wohl einige im gegenwärtigen italienischen Polit-Establishement. Daher dürfte die mediale Empörung gerade über ihre Rentenansprüche auch eine Ablenkungsfunktion haben. In Zeiten der Wirtschaftskrise, wo alle sparen müssen, soll mit einer Neidkampagne gegen unliebsame Personen die Kritik von der Regierung abgelenkt werden.

Sollten ihre parlamentarischen Gelüste schon gestillt sein? Vielleicht sucht ja die Piratenpartei noch bekannte Gesichter für das EU-Parlament? Dann sollten sie mal bei Ilona Staller nachfragen. Schließlich sind viele ihrer Themen, mit der sie in der parlamentarischen Arena punktete, mit dieser Formation kompatibel. Und durch ihre Rentenansprüche hat sie ihre politische Unabhängigkeit gestärkt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150503

Peter Nowak

Neo-osmanischer Politiker auf Deutschland-Tour

Der türkische Präsident bezeichnet Deutschland und die Türkei als Krisengewinner

Eine Bombendrohung verhinderte gestern eine Rede des türkischen Präsidenten Abdullah Gül im Audimax der Berliner Humboldt-Universität. Der vollbesetzte Saal musste geräumt werden. Sprengstoff wurde nicht gefunden. Im kleineren Kreis holte Gül schließlich die Rede nach. Für ihn war das Ereignis sogleich die Gelegenheit, vor der terroristischen Gefahr zu warnen. Obwohl bisher nicht klar ist, wer hinter der Bombenwarnung stecken könnte, nannte er sogleich eine kurdische Exilorganisationen und Sender wie Roj TV, die zu friedlichen Kundgebungen gegen Gül in der Nähe der Universität aufgerufen hatten. Sie protestieren damit gegen die neue Eskalation des Konflikts zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Minderheit im östlichen Teil des Landes. Ob damit auch die schwere Explosion im Zusammenhang steht, die am Dienstagvormittag das Zentrum von Ankara erschütterte, ist noch nicht klar. Die türkische Regierung geht von einem Bombenanschlag aus. Der Sprengstoff, den der Gül-Besuch in Deutschland enthielt, war mehr politischer Natur. Schon kurz vor dem Besuch monierte der islamische Politiker die deutsche Einwanderungspolitik. Diese Kritik wird nicht dadurch falsch, dass die türkische Praxis nicht besser ist, worauf viele Zeitungen hinwiesen. Gül will sich mit seiner Kritik an der deutschen Asylpolitik als guter Interessenvertreter der in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft in Szene setzen. Die forderte er auf, die deutsche Sprache zu lernen. Damit blieb er ganz auf der Linie, die andere türkische Politiker in der Vergangenheit bei Deutschland-Besuchen vorgegeben haben (Integration oder Assimilation?). Auch Ministerpräsident Erdogan forderte wiederholt die türkische Community auf, einerseits die Sprache Deutschlands zu lernen und sich zu bilden, andererseits aber ihre türkische Herkunft nicht zu vergessen.

Privilegierte deutsch-türkische Partnerschaft?

Wie bei Besuchen anderer türkischer Politiker blieb die EU-Frage ein Streitpunkt. Während Kanzlerin Merkel weiterhin eine privilegierte EU-Partnerschaft anbot, lehnte Gül diesen Vorschlag ab. Schließlich bestehe eine solche Beziehung bereits. Er forderte eine Vollmitgliedschaft. Allerdings kommt Gül nicht als Bittsteller, der unbedingt in die EU will. Denn in den letzten Jahren haben sich die Kräfteverhältnisse innen- und außenpolitisch geändert. Bestimmte anfangs der Streit zwischen kemalistischen Militärs und islamischer Regierung die innenpolitische Agenda, so hat letztere mittlerweile auf ganzer Linie gesiegt. Daher ist sie nicht mehr auf die EU angewiesen, um die Macht der Militärs zu beschneiden, die die sich nach dem letzten Putsch selber in die Verfassung geschrieben haben. Auch außenpolitisch zeigt die Türkei Muskeln und kehrt zu einem Neo-Osmanismus zurück, der durchaus auch neben und sogar gegen die EU agieren kann. Die dezidiert antiisraelische Volte der türkischen Regierung ist ebenso ein Anzeichen dafür, wie die Hinwendung zu den arabischen Ländern. Vor allem im nachrevolutionären Ägypten und Libyen versucht die türkische Regierung Sympathien zu gewinnen. Auch ökonomisch sieht sich die türkische Regierung auf der sicheren Seite. Schließlich gehört das Land zu den expandierenden Ökonomien. Dass der Preis ein großer Niedriglohnsektor ist, wird in der Türkei genau so gerne übersehen wie in Deutschland. Wenn daher Gül Deutschland und die Türkei als die beiden Gewinner der Wirtschaftkrise klassifiziert, dürfte diese Beurteilung auch im politischen Berlin auf offene Ohren stoßen. Schließlich gibt es eine lange Tradition der besonderen deutsch-türkischen Beziehungen. Der Dissens in der Beurteilung der EU-Mitgliedschaft und der Nahostpolitik dürfte bei dem Wiederaufleben einer privilegierten Partnerschaft zwischen beiden Ländern kein Hindernis sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150492

Peter Nowak

Aktionstage gegen Überwachung

Demonstration und Workshops in Brüssel

Der Kampf gegen Vorratsdatenspeicherung, Überwachung und Zensur wird zum europäischen Thema. Am Wochenende findet in Brüssel ein europaweites Treffen von Bürgerrechtlern, Datenschützern und zivilgesellschaftlichen Initiativen unter dem Motto »Freiheit statt Angst« statt.
Das Bündnis fordert neben der Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung die Abkehr von den Plänen zur Einführung der sogenannten Fluggastdatenspeicherung. Außerdem sollen die EU-Politiker für ein freies und unzensiertes Internet mit gleichen Rechten für alle eintreten. Die drei Aktionstage haben jeweils unterschiedliche Schwerpunkte, die unter den Stichworten Protest, Vernetzung und Lobbying zusammengefasst werden können. Vom Samstag bis zum Montag sind Demonstrationen, Workshops, Vorträge und Diskussionen geplant.

Mit einer Demonstration, die am Samstag um 14 Uhr vor dem EU-Parlament beginnt und vom europäischen Viertel in die Brüsseler Innenstadt führt, beginnen die Aktionstage. Der Sonntag steht im Zeichen der Vernetzung. In Workshops, Vorträgen, Diskussionen und Kleingruppen wollen Initiativen aus ganz Europa über ihre Projekte im Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung und Überwachung austauschen. Am kommenden Montag wollen sich die Datenschützer mit Politikern treffen. »Der Austausch findet nicht allein zwischen Datenschützern und Nichtregierungsorganisationen statt, sondern auch mit hochrangigen Verantwortlichen aus Europaparlament und der EU-Kommission«, betont Michael Ebeling vom »AK Vorrat« gegenüber ND. Die Organisation engagiert sich in Deutschland seit Jahren gegen die Vorratsdatenspeicherung und hat auch die Aktionstage in Brüssel mitorganisiert.

Für den »AK Vorrat« ist der Gang nach Brüssel folgerichtig. »Schließlich kommen von dort immer wieder Vorschläge, die darauf abzielen, das Internet europaweit zu zensieren oder Nutzern das Internet als Strafe für Urheberrechtsverletzungen abzuschalten«, moniert die Mitorganisatorin der Aktionstage Kirsten Fiedler. Dabei wird die Position der Datenschützer auch von europäischen Regierungen geteilt. So lehnen Tschechien, Rumänien und Zypern jede Datenspeicherung ab. Diese Position soll auch auf den Brüsseler Aktionstagen im Mittelpunkt stehen. »Die Botschaft lautet, die Vorratsdatenspeicherung ist per se nicht mit unseren Grundrechten vereinbar und muss in jeder Form verhindert werden«, betont Ebeling.

Peter Nowak

Schweizer Ausgrenzungen

Kritik am Umgang mit Behinderten

»Berufsbildung für alle – auch für Jugendliche mit Behinderungen«, so lautet das Motto einer Petition, für die bis zum 1. September in der Schweiz Unterstützungsunterschriften gesammelt wurden.

Die Initiative wird von führenden Behindertenorganisationen getragen. Unterstützung erhält sie von Schweizer Politikern aus fast allen politischen Lagern, außer der rechtskonservativen SVP. Die Petition ist eine Antwort  auf einen Vorstoß des Schweizer Bundesrats, der weitere  Einsparungen  zur Sanierung der Invalidenversicherung plant. Dafür sollen Jugendliche mit Behinderung schlechter gestellt werden, Ihnen soll eine Berufsausbildung nur noch dann finanziert werden, wenn eine gewisse Perspektive besteht, dass sie später  einen Lohn erwirtschaften, von dem sie leben können. Zwei Drittel der heutigen Auszubildenden, die über die Invalidenversicherung eine Lehrstelle finanziert bekommen, würden   leer ausgehen, wenn diese Regelung umgesetzt wird, befürchten Sozialexperten. Sie verweisen auf die Folgen für die Betroffenen. „Es ist inakzeptabel, dass Jugendliche mit  Behinderung aus reinen Rentabilitätsüberlegungen die Berufsausbildung verwehrt wird“, kommentiert der linke Schweizer Vorwärts die Kürzungspläne. „Erst der Profit – dann der Mensch“, fasst die Zeitung die Logik der Sparbeschlüsse zusammen
Die Kritik an den Plänen reicht bis weit ins bürgerliche Spektrum. Behindertenorganisationen verweisen in Pressemitteilungen darauf, dass Menschen mit Behinderung durch die Pläne Lebenschancen genommen werden. „Bereits im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren soll darüber entschieden werden, ob Jugendlichen mit Behinderung eine Ausbildung zu- oder abgesprochen wird. Und dies aufgrund von Erwägungen, ob die erbrachte Arbeitsleistung eines Tages ausreichend wirtschaftlich verwertbar sein wird oder nicht“, monieren die Kritiker der Sparmaßnahme. Sie weisen auch daraufhin, dass bei der Invalidenrente seit Jahren Kürzungen und  Verschlechterungen  beschlossen worden sind. Immer seien sie mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet worden und immer sei bei den Menschen mit wenig Einkommen gespart worden. „Mit einer unappetitlichen Missbrauchsdebatte bei den Sozialleistungen und Steuergeschenken an die Reichen lässt sich die Invalidenversicherung jedenfalls nicht sanieren“, monieren linke Kritiker  dieser Politik
Von der Verschlechterung der sozialen Standards sind auch in der Schweiz vermehrt   Menschen betroffen, die noch Arbeit haben. Erst vor wenigen Wochen forderte der Schweizer Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt  längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/205783.schweizer-ausgrenzung.html?sstr=Peter|NowakPeter Nowak

Soliaktionen für Kurdistan

Bei türkischen Angriffen auf kurdische Gebiete sind in den letzten Tagen zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen. Darauf weist die Kampagne »Tatort Kurdistan« in einer aktuellen Pressemeldung hin. Das bundesweite Bündnis, in dem Flüchtlings- und Friedensinitiativen, Landesverbände der LINKEN, die Linksjugend [solid] und kurdische Vereinigungen mitarbeiten, mobilisiert zum 1. September in elf Städten zu einem Aktionstag.

In Erfurt ist ein Infostand am Anger und in Jena eine »farbenfrohe Aktion am Unicampus« geplant. In Berlin, Düsseldorf und Hamburg sind Kundgebungen angekündigt. Neben den Angriffen von türkischen und iranischen Militärs auf kurdische Gebiete wird auch die Rolle deutscher Unternehmen und der Bundesregierung an der militärischen Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung zur Sprache kommen. Dazu zählen Rüstungsexporte in die Türkei ebenso wie Verurteilungen von kurdischen Aktivisten in Deutschland nach dem Paragrafen 129 b wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

tatortkurdistan.blogsport.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/205628.soliaktionen-fuer-kurdistan.html

Peter Nowak

Höhere Mauern auf dem Balkan

Flüchtlingsrechte in Bulgarien in Gefahr
Auch in diesen Sommer werden Antirassisten aus ganz Europa an einer europäischen Außengrenze gegen den Umgang mit Flüchtlingen protestieren. Vom 25. bis 29. August bauen sie ihre Zelte im bulgarisch-griechisch-türkischen Dreiländereck in der Nähe des bulgarischen Swilengrad auf.
Besuche verschiedener Flüchtlingseinrichtungen sowie Proteste gegen die Abschottungspolitik stehen auf den gut gefüllten viertägigen Aktionsplan, der im Internet unter unter http://no-racism.net/thema/128/ zu finden ist. . Dabei wird die Forderung nach offenen Grenzen auf dem Balkan und der Stop der Kriminalisierung von Flüchtlingen einen zentralen Stellenwert haben.
Die Antirassisten haben Bulgarien bewusst als Standort ihrer Aktivitäten ausgesucht. Schließlich soll das Land im nächsten Jahr dem Schengener Abkommen beitreten. „Mit dem damit verbundenen Wegfall der Grenzkontrollen zwischen Bulgarien und den übrigen EU-Ländern ist eine Abschottung der bulgarischen Außengrenze verbunden“, äußert eine Aktivistin des europäischen No-Border-Netzwerkes ihre Befürchtungen zur künftigen bulgarischen Flüchtlingspolitik. Im Zuge der Anpassung der bulgarischen Gesetze und Richtlinien an die EU-Vorschriften werden zurzeit bereits Programme umgesetzt, die den Ausbau der Grenzüberwachung und die Errichtung von Lagern vorsehen, in denen die Flüchtlinge untergebracht werden sollen.
Das europäische Noborder-Netzwerk hat den vergangenen Jahren bereits Camps an den neuen EU-Außengrenzen organisiert, die für die Flüchtlinge zu Barrieren geworden sind.
Doch Bulgariens Eintritt in den Schengenraum ist auch mit einer Verschärfung der Situation der Flüchtlinge im Inneren verbunden. Bisher können sie einen Asylantrag unbegrenzt stellen. Nach dem fünften Mal erhalten sie in der Regel einen Abschiebeschutz. Eine Arbeitserlaubnis wurde automatisch erteilt, wenn der Asylantrag länger als ein Jahr läuft. Allerdings waren die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in Bulgarien auch bisher keineswegs ideal. So monierten Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen die Zustände in den speziellen Aufenthaltszentren, in denen Asylbewerber nach einem Grenzübertritt oft mehrere Jahre wohnen. „Die Gebäude sind überfüllt und überaltert, die hygienischen Bedingungen furchtbar“, beschreibt die Mitarbeiterin einer Flüchtlingsorganisation die Situation. Allerdings können die Bewohner jederzeit Besuch empfangen und die Einrichtungen verlassen. Wenn sie sich allerdings längere Zeit außerhalb dieses Zentrums aufhalten, verlieren sie ihren Anspruch auf Sozialhilfe, die bisher 65 Leva (ca. 32 Euro) beträgt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/204245.hoehere-mauern-auf-dem-balkan.html?sstr=Peter|Nowak

Peter Nowak

Das Schweigen der Diplomatie

In Argentinien wurden zwei ehemalige Offiziere der Militärdiktatur wegen Mordes verurteilt. Zu ihren Opfern gehörte auch eine deutsche Studentin. Deren Angehörige fordern nun eine Aufarbeitung der Politik der damaligen deutschen Regierung.

 

DruckenMehr als drei Jahrzehnte hat es gedauert, bis in Argentinien die Verantwortlichen für den Tod von Elisabeth Käsemann verurteilt wurden. Das Bundesgericht in Buenos Aires verurteilte Mitte Juli Héctor Humberto Gamen und Ricardo Néstor Martínez wegen Mordes und Freiheitsberaubung zu hohen Freiheitsstrafen. Die deutsche Staatsbürgerin Käsemann studierte in Argentinien Volkswirtschaft und engagierte sich in linken Gruppen gegen die Militärdiktatur. Am 9. März 1977 wurde sie verhaftet, am 24. Mai wurde ihre Leiche gefunden. Die von Käsemanns Familie gemeinsam mit der Lateinamerika-Solidaritätsbewegung initiierte Öffentlichkeitsarbeit, die sofort nach der Verhaftung der Studentin begann, blieb erfolglos. Freunde und Angehörige der Ermordeten sehen die Schuld bei der damaligen Bundesregierung, die nicht die nötigen politischen Schritte eingeleitet habe.

»Mit der persönlichen Freude über die argentinischen Prozesse und diesen Akt global ausgeübter Rechtsstaatlichkeit verbindet sich meine Hoffnung, dass das Auswärtige Amt in einer Reaktion auf die argentinische Aufarbeitung nun mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner Diplomatie in den siebziger und achtziger Jahren beginnt«, kommentiert die Historikerin Dorothee Weitbrecht, eine Nichte der Ermordeten, das Urteil aus Buenos Aires.

Unter den knapp 100 Menschen mit deutschem Hintergrund, die in die Fänge des argentinischen Militärs gerieten, waren viele Nachkommen jüdischer Emigranten, die sich vor den Nazis nach Argentinien geflüchtet hatten. »Kein Einziger wurde gerettet«, resümiert der Argentinien-Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen. »Zwar wurde niemand deswegen festgenommen, weil er Jude war, aber jüdische Gefangene wurden wegen ihres Jüdischseins besonders grausam gefoltert«, beschreibt er den antisemitischen Aspekt der Verfolgungen. Die Pressesprecherin des Laika-Verlages, Carola Ebeling, erinnert daran, dass Deutschland im Verfahren gegen die für den Tod von Elisabeth Käsemann Verantwortlichen in Buenos Aires als Nebenkläger auftrat, aber über die eigene Verantwortung weiterhin schweigt. Der Hamburger Verlag hat in Band 8 der Reihe »Bibliothek des Widerstands« am Beispiel von Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank zahlreiche Belege dafür zusammengetragen.

Im Zentrum der Kritik stehen der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und dessen Staatssekretär Karl Moersch. Dieser ließ sich wenige Wochen nach dem Militärputsch in einer großen argentinischen Tageszeitung mit den Worten zitieren, die Militärs setzten »wohlüberlegte Regierungsmaßnahmen« im Bereich der Wirtschaftspolitik und bei der »Terrorismusbekämpfung« um. Deshalb wollte er die argentinische Junta bei der Bekämpfung der linken politischen Opposition auch nicht stören. Wie weit die deutsch-argentinische Kooperation ging, zeigt sich am Beispiel von Klaus Zieschank. Der Münchner Maschinenbaustudent war 1975 nach Argen­tinien gereist, um seine dort lebende Mutter zu besuchen und ein vierwöchiges Praktikum zu absolvieren. Der junge Mann, der in der Münchener Lateinamerika-Solidarität aktiv war, wurde zwei Tage nach dem Militärputsch verhaftet.

Obwohl die deutsche Botschaft sofort darüber informiert wurde, erhielten die Angehörigen keine Unterstützung. Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes streuten Behauptungen des argentinischen Geheimdienstes, Zieschank sei Mitglied einer kommunistischen Untergrundbewegung. Als seine Mutter mit Unterstützung von Solidaritätsgruppen auf einer Rundreise durch die Bundesrepublik über die Verhaftung informierte, wurde ihr von den deutschen Behörden beschieden, sie könne ihrem Sohn am besten helfen, wenn sie nach Argentinien zurückkehre und sich ruhig verhalte. Zu dieser Zeit wussten die deutschen Behörden längst, dass Klaus Zieschank in akuter Lebensgefahr war. Eine französische Gefangene konnte in einen Folterzentrum mit dem Münchner Studenten sprechen und informierte nach ihrer Freilassung die Öffentlichkeit. Da seine Augen nicht verbunden waren, war sie überzeugt, dass er damals schon zum Tode verurteilt war. Seine Leiche wurde im Mai 1976 im Delta des Rio de la Plata gefunden.

http://jungle-world.com/artikel/2011/31/43713.html

Peter Nowak

Gipfelproteste in Genua: Erste soziale Bewegung der Postmoderne

Während in diesen Tagen an die staatliche Gewalt in Italien erinnert wird, redet kaum jemand über die Inhalte der Proteste vor 10 Jahren und ihre heutige Bedeutung

In diesen Tagen wird an den italienischen Globalisierungskritiker Carlo Giuliani erinnert, der vor 10 Jahren bei Protesten gegen das G8-Treffen in Genua von der Polizei erschossen worden war. Parolen wie Remember Carlo Giuliani finden sich im Internet und auf Plakaten. Auf Demonstrationein mehreren Städten in Deutschland und Europa wurde sein Konterfei getragen. Vor einigen Wochen ist schon ein Gartenstück in Berlin-Kreuzberg in den Carlo Giuliani-Park umbenannt.

Auf einem Flyer nimmt das Bild des jungen Mannes an Che Guevara erinnernde Züge an. In einem Porträt der Tageszeitung wird der getötete Globalisierungsgegner vertraulich als Junge bezeichnet. So viel Nähe muss verwundern. Denn während zum ersten Jahrestag seines Todes noch viele Hintergrundberichte in den Medien zu finden waren (Wer erschoss Carlo Giuliani?), die auch auf die Ungereimtheiten in den offiziellen Versionen eingingen, war es in den letzten Jahren um die Ereignisse von Genua still geworden. Die Erinnerung an Giuliani schien zu verblassen wie die Parolen, mit denen Menschen ihrer Trauer und Wut über seinen Tod Ausdruck geben wollten.

Bewegung als kollektives Gedächtnis?

10 Jahre später wird wieder erinnert. Ende Juli soll auf einem Veranstaltungswochenende in Berlin unter dem Motto "10 Jahre nach Genua – Bewegung ist ein kollektives Gedächtnis" in Erinnerung gerufen werden, dass Genua ein erster Höhepunkt des Medienaktivismus war. Damals informierten sich auch etablierte Medienvertreter erstmals auf der Bewegungsplattform Indymedia, um sich ein Bild über den Stand der Proteste oder die staatliche Repression zu machen (Genua alternativ). Der Schock über einen Toten und viele schwerverletzte Demonstranten, über verhaftete und misshandelte Aktivisten, war auch deshalb so groß, weil es erstmals Fotos von der Repression gab, die nicht durch die Medien oder durch staatliche Stellen gefiltert waren (Folter in Genua?).

Die Blutlachen in den Schlafsälen der Diaz-Schule von Genua, in der die Polizei schlafende Demonstranten überfiel und misshandelte, erzeugten bei vielen einen Schock (Angriff auf unbequeme Journalisten in Genua, Schockierende Einzelheiten über das brutale Vorgehen der italienischen Polizei). Denn nun konnte man die Beweise für Folter in einem als westeuropäische Demokratie gepriesenem Land im Internet ansehen. Die modernen Kommunikationsmittel konnten den Terror nicht verhindern, sie konnten aber dazu beitragen, dass er in allen Einzelheiten öffentlich wurde. Das hat aber zur Folge, dass an die Ereignisse von Genua vor 10 Jahren fast ausschließlich aus dem Blickwinkel der Repression erinnert wird. Auch fast alle Veranstaltungen, die in diesen Tagen an die Ereignisse von damals erinnern, drehen sich um die Gewalt des Staates. Das war in den ersten Jahren noch verständlich. Viele von Verhaftungen und Misshandlungen Betroffene hatten damals mit den juristischen und gesundheitlichen Folgen der Ereignisse unmittelbar zu kämpfen.

Von Indymedia veröffentlichtes Foto, das einen Blutflecken in dem von der Polizei gestürmten Gebäude zeigt

Erste soziale Bewegung der Postmoderne

10 Jahre später könnte man erwarten, dass stärker vermittelt wird, warum aus ganz Europa und auch aus anderen Kontinenten Menschen nach Genua kamen, um gegen einen Gipfel zu protestieren, der vor allem der Machtinszenierung diente. Man müsste heute erklären, wie sich ausgehend von Protesten gegen das WTO-Treffen von Seattle (Proteste in Seattle, London und im Internet) eine globalisierungskritische Bewegung entwickelte, die nicht nur von außen als neues politisches Phänomen wahrgenommen wurde. Auch in der Binnensicht der Aktivisten entwickelte hier eine neue Widerstandsform, die sich von dem Engagement in Parteien und Gewerkschaften unterschied.

Diese Bewegung kreierte ihre eigene Kultur. Manu Chao trat in Genua vor einem enthusiastischen Publikum auf. Mit Toni Negri hatte sie einen eigenen Philosophen, der hier die Multitude am Werk sah, die die Arbeiterbewegung bei der Umgestaltung der Welt ablösen sollte (Die Globalisierer blockieren die Globalisierung). Mit Subcommandante Marcos aus Chiapas hatte die Bewegung auch internationale Bezugspunkte (Ein poetischer Revolutionär aus Mexico). Sie nutzte die neuen Formen der Kommunikation, die ihr eine weitgehende Unabhängigkeit von den traditionellen Medien verschaffte. Die aber trugen ebenfalls dazu bei, der Bewegung eine große Bedeutung zu geben. So wollte der Spiegel in den Globalisierungskritikern "die erste soziale Bewegung der Postmoderne" erkannt haben. 10 Jahre später wäre zu fragen, ob diese Charakterisierung nicht sehr treffend war und ihre Kurzlebigkeit erklärt. Vom Bedeutungsverlust sind sämtliche Strömungen der globalisierungskritischen Bewegung vom libertären People Globale Action-Netzwerk bis zur wesentlich breiter angelegten Sozialforumsbewegung betroffen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Repression von Genua und den Anschläge vom 11.9. 2001 in den USA und dem schnellen Abebben der Bewegung? Ein von globalisierungskritischen Gruppen mehrerer Länder erstellter Film mit dem Titel Der vierte Weltkrieg favorisiert diese Lesart. Allerdings dürfte die Kurzlebigkeit auch unabhängig davon in der Struktur dieser Altermondialisten, wie sich die Aktivisten selber nannten, angelegt gewesen sein. Sie nutzten von den neuen Medien bis zum Billigflug die neuesten technischen Innovationen und verbanden so einen postmodernen Lebensstil mit politischem Protest.

Doch im Zeitalter der prekären Arbeitsverhältnisse war es den meisten Aktivisten auf die Dauer nicht möglich, von Gipfel zu Gipfel zu jetten. Ein kleiner Teil machte den Aktivismus zum Job und arbeitet in den verschiedenen Nichtregierungsorganisationen wie Attac oder Greenpeace. Für die große Masse waren die globalisierungskritischen Aktivitäten eine erfahrungsreiche Etappe in ihrer Biographie. Diese Aufsplitterung kann auch erklären, warum 10 Jahre nach Genua so wenig über die Inhalte gesprochen wird, die damals Tausende mobilisierte. Es gibt einige Ausnahmen, wie die Redaktion der Zeitschrift iz3w, die ihre aktuelle Ausgabe unter das Motto "zehn Jahre nach Genua" stellte.

Ohne politische Lernprozesse

Dann wird auch verständlich, warum kaum jemand die damalige Bewegung in den aktuellen Kontext stellt. Vor 10 Jahren hätten die Aufstände in der arabischen Welt eine große Resonanz auf den Straßen von Genua gefunden. Heute können sie ebenso wenig wie die Eurokrise zu einer europäischen sozialen Bewegung beitragen, die gegen Spardiktate und Umschuldungszwänge mobilisiert und die sozialen Bewegung im arabischen Raum unterstützt.

Heute ist klar, die globalisierungskritische Bewegung blieb temporär. Wenn nun in den letzten Wochen von Madrid bis Athen Menschen für eine reale Demokratie die Straßen und Plätze füllen, findet sie hier allerdings ihre spezielle Fortsetzung. Denn auch diese Demokratiebewegung dürfte ein weiterer temporärer Protestevent sein, dem andere folgen werden, ohne dass sie sich aufeinander beziehen und gar aus den vorher gemachten Erfahrungen Schlüsse ziehen, also politische Lernprozesse durchmachen. In diesem Sinne waren die Altermondialisten tatsächlich die erste postmoderne Bewegung.
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35156/1.html

Peter Nowak

Putin kein Vorbild für Deutschland?

Beim Streit um den Quadriga-Preis geht es weniger um Menschenrechte, sondern um den Streit zwischen Atlantikern und Anhängern eines Bündnisses mit Russland
  
Auf der Webseite des Vereins Berliner Netzwerk Quadriga finden sich noch die Preisträger des letzten Jahres mit ihren Lobreden. Darunter Wolfgang Schäuble, dessen Laudator der Bankier Josef Ackermann war und die Bundeswehr, die vom damaligen Obersten Dienstherrn von und zu Guttenberg vertreten wurde. Diese Preisträger dürften noch längere Zeit auf der Webseite zu sehen sewin. Denn jetzt hat die Stiftung mitgeteilt, dass es dieses Jahr keinen Quadriga-Preis geben wird.

Der Grund liegt nun nicht daran, dass es in diesem Jahr keine Kandidaten gibt. Vielmehr gab es Streit um einen der Nominierten, den russischen Premierminister Wladimir Putin. Seit diese Personalie in der letzten Woche bekannt geworden ist, gab es Kritik daran. Der Grüne Politiker Cem Özdemir kritisierte die Entscheidung für Putin, wurde dafür aus Kreisen der Preisstifter der Indiskretion gescholten und trat aus dem Quadriga-Kuratorium aus.

Andere Mitglieder betonten, während der Entscheidung für Putin nicht anwesend und auch nicht vor der Bekanntgabe informiert worden zu sein. Der dänische Künstler Olafur Eliasson gab seinen Quadriga-Preis zurück. Aber erst die Drohung des Preisträgers und ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten Vaclav Havel, seinen Preis ebenfalls zurückzugeben, wenn Putin ihn bekommt, hat das Kuratorium zum Umdenken animiert. In einer eilig einberufenen Krisensitzung am 16. Juli wurde dann beschlossen, in diesem Jahr „vollständig auf die Preisvergabe zu verzichten“.

Punktsieg der Atlantiker

Die Auseinandersetzung um den seit 2003 jährlich am 3.Oktober verliehenen Preis ist von einer gehörigen Portion Naivität und Heuchelei geprägt. So begründet Özdemir seine Ablehnung damit, dass Putin dafür nicht demokratisch genug sei. Da aber zu den in den letzten Jahren ausgezeichneten unter anderem der afghanische Präsident Hamid Karzai und der ukrainische Wiktor Jutschenko gehören, deren Demokratievorstellungen sich sicher nicht besonders von denen Putins unterscheidet, dürfte die Begründung eher vorgeschoben sein.

Tatsächlich wird in der Auseinandersetzung um den Preisträger Putin eine Auseinandersetzung fortgesetzt, die seit Jahren die Eliten in Deutschland und Europa beschäftigt. Soll das atlantische Bündnis mit den USA fortgesetzt werden oder sich ein von Deutschland dominierter EU-Block eher mit Russland verständigen. Für letztere Option stand der ehemalige Bundeskanzler und Quadriga-Preisträger Gerhard Schröder, der immer wieder Putin verteidigte und von Atlantikern dafür gescholten wurde.

Havel gehörte zu Letzteren und favorisierte, ebenso wie konservative Politiker anderer osteuropäischer Staaten, eine engere Bindung an die USA. Für sie steht Putin, der für ein Widererstarken der in den 1990er Jahren unter Jelzin schwachen russischen Staatlichkeit eintritt, als Vertreter eines russischen Nationalismus, gegen den sie als tschechische, polnische oder ukrainische Nationalisten natürlich zu Felde ziehen. Mit den Eintreten für Menschenrechte hat das alles allerdings wenig zu tun. Zudem ist das auch ausdrücklich nicht das Ziel des Quadrigapreises. Auf der Webseite heißt es:

„Die Quadriga ehrt vier Persönlichkeiten und Projekte, deren Denken und Handeln auf Werte baut. Werte, die Vision, Mut und Verantwortung dienen. Die Quadriga würdigt Vorbilder. Vorbilder für Deutschland und Vorbilder aus Deutschland.“

Für die einen gehört eher Putin in diese Reihe, für andere nicht. Das hat mit der Demokratiefrage wenig, mit geopolitischen Interessen aber viel zu tun. Die Atlantiker haben sich bei der Preisfrage mit osteuropäischer Unterstützung vorerst durchgesetzt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150156

Peter Nowak

Mit dem Flugzeug gegen Israel

 Pro-palästinensischen Aktivisten wurden aufgrund von schwarzen Listen schon am Abflug gehindert, andere erreichten den Flugplatz Ben Gurion und wurden dort festgenommen

 Zu Wasser und in der Luft versuchen die Kritiker der israelischen Politik ihren Protest vorzubringen. Nachdem sich die lang angekündigte Gazaflotte zum politischen und organisatorischen Desaster entwickelt hat und viele potentielle Teilnehmer entnervt des tagelangen Wartens in Athen, die Heimreise antreten, versucht die Initiative Willkommen in Palästina jetzt via Flugzeug ihr Anliegen zu vertreten.

„Hunderte internationale Freiwillige werden auf ihrem Weg, die Palästinenser in Gaza zu besuchen, daran gehindert, die Häfen von Griechenland zu verlassen. Dennoch hoffen wir, dass am 8. Juli 2011 Hunderte anderer von uns aus vielen Länder erfolgreich Palästina erreichen werden, wenn sie über den Flughafen Ben Gurion, Tel Aviv, einreisen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Initiative von Anfang Juli.

Doch das dürften die Veranstalter selber nicht geglaubt haben. Schließlich sind Flughäfen generell Zentren der Kontrolle und Überwachung. Diese Erfahrung müssen immer wieder Aktivisten machen, die gegen die Abschiebung von Flüchtlingen auf Flughäfen in Deutschland protestieren und dabei große Schwierigkeiten haben. Zudem ist bekannt, dass Israel ein großes Sicherheitsproblem hat und besonders gründliche Kontrollen und Überprüfungen gerade von Fluggästen vornimmt, die in die palästinensischen Gebiete einreisen wollen. Wenn sich die Aktivisten, die von Teilen der israelischen Friedensbewegung und jüdischen Linken unterstützt werden, gerade den Flughafen als Ziel ihres Protestes aussuchen, müssen sie mit Repressalien rechnen. Das Kalkül ist, die israelischen Maßnahmen vor den Augen der Weltöffentlichkeit als Unrecht erscheinen zu lassen.

Aktivisten, die nicht auf der Liste mit 349 Namen standen, konnten aber auf dem Flughafen landen, wurden aber gleich von der Polizei abgeführt (Video). Bislang wurden 30 Aktivisten am Flughafen festgenommen. Passagiere, die schon in Europa nicht mitfliegen durften, organisierten am Pariser Flughafen Orly eine Protestaktionen.

Flugdaten weitergegeben

Da die Aktivisten ihre Absichten vorher öffentlich bekannt gegeben haben, hatten die israelischen Behörden auch Zeit für Gegenmaßnahmen. So wurden Namen der Aktivisten an die Fluggesellschaften weitergegeben, bei denen die Solidaritätsreisenden ihre Flüge gebucht hatten. Diese verweigerten daraufhin den Transport.

Was aber von den Aktivisten als Maßnahmen der proisraelischen Lobby denunziert wurde, zeigt sich eher als eine Maßnahme, wie sie auch im Vorfeld von Protesten bei politischen Großevents wie G8- oder Natotreffen praktiziert und mit Recht kritisiert wurde. Nur fällt im Fall der Palästinaflüge die explizit antiisraelische Note ihrer Stellungnahmen auf, während bei Zurückweisungen bei Gipfelprotesten gegen die staatliche Maßnahmen nicht speziell gegen ein bestimmtes Land protestiert wurde.
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/150114

Peter Nowak

Weniger Protestcamps, mehr Lohnkämpfe

Den Griechen würde es eher helfen, wenn die Menschen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gingen
 Eine Veranstaltung diskutierte die Rolle Deutschlands in der Euro-Krise und linke EU-Kritik.

In Griechenland und Spanien protestierten in den letzten Wochen Tausende gegen die Krisenpolitik der EU. In Deutschland hatten Versuche, ebenfalls Protestcamps zu organisieren, wenig Erfolg. Warum die Bewegung nicht überschwappt und Appelle, sich mit den Aktivisten in Madrid und Athen zu solidarisieren, oft gut gemeint, aber hilflos sind, erläuterte der Publizist Jörg Kronauer am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin. Der Kölner Publizist zitierte aus Studien einflussreicher Denkfabriken und ließ Politiker aus der zweiten Reihe zu Wort kommen. In diesen Kreisen wird Angela Merkel als europäische Kanzlerin bezeichnet und die EU als »Weltmacht im Werden« gegen die USA in Stellung gebracht. Kronauer erinnerte daran, dass die Frontstellung gegen den Dollar bei der Euro-Einführung eine wichtige Rolle spielte.

Profitiert von dem gemeinsamen Wirtschaftsraum und der gemeinsamen Währung hat die deutsche Wirtschaft, wie Kronauer an verschiedenen Daten zeigte. Während das deutsche Außenhandelsvolumen wächst, weil der EU-Raum der Hauptabnehmer für deutsche Produkte ist, ist Frankreich ins Defizit gerutscht. Kronauer betonte allerdings auch, dass es innerhalb deutscher Kapitalkreise auch EU-kritische Stimmen gibt. Als aktuelles Beispiel nannte er den Aufruf von Mittelständlern, die sich mit Verweis auf die hohen Kosten gegen die EU-Rettungspakte für Griechenland wandten. Solche Stimmen werden lauter, je stärker die deutsche Industrie ins außereuropäische Ausland exportiert, prognostiziert der EU-Analytiker. »Die Industriezweige, deren Absatzmärke in Asien liegen, haben weniger Interesse an der EU als die Branchen, die für den europäischen Markt produzieren.«

Dass allerdings auch den Plänen der deutschen Eliten Grenzen gesetzt sind, machte der Referent am Beispiel von Zukunftsszenarien führender Banken deutlich. Danach wird die politische und ökonomische Bedeutung Deutschlands, aber auch der EU insgesamt im Jahr 2050 im internationalen Maßstab zurückgehen. Ländern wie China, Indien und Brasilien wird hingegen ein Machtzuwachs prognostiziert. Kronauer wies darauf hin, dass solche Szenarien auch Ursachen verstärkter innerimperialistischer Kämpfe sein können, die durchaus nicht immer friedlich ausgetragen werden müssen.

In der lebhaften Diskussion nach dem Vortrag wurde die Notwendigkeit der Reformulierung einer linken EU-Kritik betont, die weder ein Zurück zum alten Nationalstaat postuliert, noch sich zum linken Feigenblatt des EU-Blocks macht. Die europaweite Forderung nach einer Schuldenstreichung für Länder wie Griechenland könnte eine Klammer für Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern sein. Eine Gewerkschafterin brachte einen anderen Aspekt in die Debatte: »Die deutsche Niedriglohnpolitik konkurriert Länder an der europäischen Peripherie nieder. Wenn die Lohnabhängigen in Deutschland für höhere Löhne auf die Straße gehen, stellen sie dieses Modell in Frage und unterstützen auch die Protestierenden in Griechenland und Spanien.«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/201629.weniger-protestcamps-mehr-lohnkaempfe.html

Peter Nowak

Die späte Gerechtigkeit

In Rom wurden drei der letzten Wehrmachtssoldaten verurteilt, über neun weitere soll im Juni entschieden werden. Doch eine Auslieferung haben sie nicht zu fürchten

Jung sind die Verurteilten nicht gerade: Zwischen 88 und 94 Jahre sind die drei deutschen Staatsbürger alt, die letzte Woche von einem Militärgericht in Rom zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurden. Das Gericht befand sie für schuldig, im August 1944 in der Ortschaft Padule di Fucecchio nahe Florenz an der Ermordung von 184 Zivilisten – zum Großteil Frauen, Kinder und alte Menschen – beteiligt gewesen zu sein. Zeitgleich forderten die Staatsanwälte beim Militärgericht in Verona eine lebenslängliche Haftstrafe gegen neun ehemalige Wehrmachtsangehörige. Den ehemaligen Angehörigen der Fallschirm-Panzerdivision „Hermann Göring“ wird vorgeworfen, im Frühjahr 1944 bei als „Partisanenbekämpfung“ getarnten Massakern in Norditalien über 400 Zivilisten ermordet zu haben. Am 22. Juni soll in diesen Fall das Urteil gefällt werden.

Eine Verhaftung haben die Angeklagten ebenso wenig zu fürchten, wie diejenigen, die jetzt in Rom schuldig gesprochen wurden. Als deutsche Staatsbürger können sie nicht nach Italien ausgeliefert werden. Die deutsche Justiz hat aber auch erklärt, dass ihr die Beweise nicht ausreichen, um eigene Verfahren einzuleiten. Eine öffentliche Auseinandersetzung darüber gibt es in Deutschland kaum.

Opfer: Kinder, Alte, Kranke

Den Angeklagten wird die Beteiligung an den blutigen Massakern vorgeworfen, die Angehörige der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“ der Wehrmacht zwischen März und Mai 1944 an italienischen Zivilisten verübten. Dabei wurden oft ganze Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Die dort lebenden Männer zwischen 16 und 60 hielten sich versteckt – meist aus Angst, von den Deutschen als Zwangsarbeiter verschleppt zu werden. Deshalb wurden vor allem Kinder, Alte, Kranke und Frauen zum Opfer deutscher Soldaten, die ihre Wut über den wachsenden antifaschistischen Widerstand an den Zivilisten ausließen.

In einem Dorf wurden die Opfer in eine Kapelle gesperrt, in die ein Wehrmachtssoldat eine Handgranate warf. Während die Opfer grausam umkamen, feierte die Einheit vor der Kapelle ein feuchtfröhliches Fest. Dabei handelte es sich keineswegs um Vergeltungsaktionen für Partisanenaktionen, wie von konservativen Kreisen zur Entschuldigung oder Relativierung der Verbrechen gerne angeführt wird. Abgelegene Dörfer waren von den Mordaktionen besonders oft betroffen, weil sich die deutschen Täter dort ungestört austoben konnten.

 Schon kurz nach der Niederlage des Nationalsozialismus begannen britische und amerikanische Juristen zu ermitteln – gestützt auf die Berichte der wenigen Überlebenden. Doch die Ermittlungen gerieten bald ins Stocken. In Zeiten des kalten Krieges wurden die ehemaligen Wehrmachtssoldaten wieder für den Kampf gegen den Kommunismus gebraucht, und man wollte Westdeutschland als neu umworbenen Bündnispartner nicht mit der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen verärgern. Die Proteste der wenigen Überlebenden wurden in Italien ignoriert.

Schrank der Schande

Die belastenden Akten wanderten in den „Schrank der Schande“ – so bezeichnet die italienische Öffentlichkeit den braunen Holzschrank, der von 1960 bis 1994 in der Allgemeinen Militäranwaltschaft in Rom stand. In diesem Schrank wurden im Jahr 1960 auf Beschluss des damaligen allgemeinen Militärstaatsanwaltes, Enrico Santacroce, Aktenbündel über 2274 Fälle von NS-Kriegsverbrechen in Italien während des zweiten Weltkriegs „provisorisch archiviert“. 1966 wurden etwa 1300 Fälle an die zuständigen italienischen Staatsanwaltschaften abgegeben und 20 weitere an deutsche Ermittlungsbehörden. Für 695 Fälle – angeblich die wichtigsten – dauerte die „Archivierung“ jedoch 34 Jahre. Diese Akten wurden erst im Jahr 1994 wiederentdeckt und bilden die juristische Grundlage für die Verfahren, die bis heute gegen ehemalige deutsche Wehrmachtssoldaten laufen.

„Der Prozess ist die längst fällige Auseinandersetzung mit einer Geschichte, die von der Allgemeinheit verdrängt und vergessen wurde“, meint Marianne Wienemann, die die Verfahren als Prozessbeobachterin verfolgt und kürzlich auf Einladung der antifaschistischen AG-Reggio-Emilia auf einer Veranstaltung in Berlin darüber berichtete. Sie blieb die Ausnahme. In Deutschland sind die Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrechen kein großes Thema in Öffentlichkeit und Medien.

http://www.freitag.de/politik/1122-die-spaete-gerechtigkeit

Peter Nowak

Berlusconi am Ende?

Ob die Schlappe für Italiens Rechte bei den Kommunalwahlen zum schnellen Sturz Berlusconis führt, ist aber weiterhin offen

Zum Test für die italienische Rechtsregierung hatte der italienische Ministerpräsident Berlusconi die Kommunalwahl erklärt, deren zweite Runde am 30. Mai zu Ende gegangen ist. Die Rechtsregierung hat den Test ganz eindeutig nicht bestanden, wie schon kurz nach der Schließung der Wahllokale deutlich wurde. Der schon bei der ersten Runde der Kommunalwahlen am 15. und 16. Mai deutlich gewordene Trend hat sich fortgesetzt.

Die Parteien der Rechtsregierung wurden abgestraft. Das wurde besonders an den Wahlergebnissen in Mailand und Neapel deutlich. Diese beiden Städte waren schon vor den Wahlen zu Symbolen für die Stimmung in der politischen Bevölkerung erklärt worden. In beiden Städten haben die Kandidaten der Rechtskoalition deutlich verloren. In Neapel bleibt der Kandidat der Mitte an der Macht.

Besonders schmerzlich dürfte für Berlusconi die Niederlage in seiner Heimatstadt und langjährigen Hochburg Mailand sein. Dort war der Ministerpräsident selber als Listenführer seiner Partei aufgetreten. Nachdem sich bei der ersten Runde der Kommunalwahlen die Niederlage für die Rechte abgezeichnet hat, versuchten Berlusconi und sein Umfeld die Niederlage mit einer Zuflucht zu extrem rechter Rhetorik noch abzuwenden. Bei einem Sieg der Linken würde Mailand rote Fahnen schwenkenden Zigeunern und Muslimen überlassen, verfiel Berlusconi in einen Duktus, die man eigentlich nur noch bei der äußersten Rechten erwartet hatte. Das Ergebnis, ein Erfolg des Linkskandidaten zeigte, dass ein solcher rassistischer Brachialwahlkampf nicht zum Erfolg führt.

Keine Aufbruchsstimmung bei den Berlusconi-Gegnern

 Die geringe Wahlbeteiligung machte aber auch deutlich, dass bei aller Ablehnung von Berlusconi von einer Aufbruchsstimmung seiner Gegner nicht die Rede sein kann. Das liegt auch daran, dass mehrere Mitte-Linksregierungen, die im vergangenen Jahrzehnt die Berlusconi-Ära unterbrochen hatten, keinen grundlegenden Politikwechsel einleiten konnten. Zudem konnte sich die Opposition bisher weder auf gemeinsame Ziele noch Kandidaturen einigen.

Daher bleibt abzuwarten, ob bei aller Berlusconi-Dämmerung die Zeit des Rechtsaußenpolitikers schon endgültig abgelaufen ist. Sicher ist allerdings, dass Berlusconi nicht mehr auf die schweigende Mehrheit in Italien zählen kann. Wie schnell seine Ära zu Ende geht, wird auch von der Positionierung der rassistischen Lega Nord abhängen, die in den letzten Monaten nach seinem Zerwürfnis mit Fini zu dessen engsten Bündnispartner gehörte. Sie konnte von dieser Liaison aber nicht mehr profitieren und schon gibt es dort Stimmen, von Berlusconi abzurücken.

Bereits die erste Berlusconi-Regierung wurde durch die Lega-Nord gestürzt. Gerade die momentane Schwäche der Lega Nord könnte dem Ministerpräsidenten jetzt aber einen Zeitgewinn bescheren. Wer bei Neuwahlen um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten muss, ist nicht so schnell bereit, das alte Parlament aufzulösen. Da auch die Mitte-Links-Opposition auf schnelle Neuwahlen noch gar nicht vorbereitet ist, obwohl sie diese immer wieder fordert, könnte die Berlusconi-Dämmerung noch einige Zeit andauern.
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149921

Peter Nowak