Vor neuen Machtkämpfen in der Ukraine?

Die geplanten Neuwahlen sind ein Zeichen der Instabilität des Machtgefüges auch in der Westukraine

Jubel herrschte am Donnerstag im ukrainischen Parlament. Kaum hatte Parlamentspräsident Turtschinow verkündet, dass die Kommunisten [1] ihren Fraktionsstatus verlieren, brachen die Abgeordneten der übrigen Fraktionen von der ultrarechten Swoboda bis zu den verschiedenen EU-kompatiblen Rechtsformationen in Jubel aus. Die Kommunistische Partei war schon in den vergangenen Wochen zum Feindbild Nr. 1 geworden und das drohende Verbot war denn auch keine Überraschung mehr.

Schon in den letzten Tagen waren gewählte Abgeordnete der Kommunistischen Partei mehrfach sogar im Parlament geschlagen worden. Auch der KP-Vorsitzende Symonenko war Ziel solcher Attacken. Die Regierung und die rechten Fraktionen beschuldigen sie, die Partei Russlands zu sein und die Separatisten zu unterstützen. Tatsächlich trat die in der Praxis sozialdemokratische Partei für ein Bündnis mit Russland ein, unterstützte daher auch zumindest in den Grundzügen die gestürzte Janukowitsch-Regierung. Nachdem die Pro-EU-Kräfte sich dort mit wenig demokratischen Mitteln durchgesetzt hatten, stand die KP faktisch vor der Illegalisierung. Um noch vor einem gerichtlichen Verbot die Fraktionsauflösung zu erreichen, wurde extra ein neues Gesetz geschaffen, das das Quorum der Abgeordneten, das für eine Parlamentsfraktion nötig ist, erhöht.

Merkwürdigerweise sorgte diese eigenwillige Interpretation demokratischer Rechte in der EU-Zentrale Brüssel für keine wahrnehmbare Kritik. Auch die hiesigen Medien fanden an der faktischen Illegalisierung der KP wenig Kritikwürdiges. Anders als die aktuell laufenden Prozesse gegen russische Nichtregierungsorganisationen, die in hiesigen Medien heftig kritisiert [2] werden, scheint die Repression gegen die KP dem Demokratieverständnis vieler Pro-EU-Kräfte in der Ukraine und auch dem der EU-Politiker nicht zuwiderzulaufen.

Damit soll sicherlich auch eine Kraft ausgeschalten werden, die Zulauf bekommen könnte, wenn in größeren Teilen der Bevölkerung die Folgen der mit dem IWF abgesprochenen Wirtschaftspolitik der neuen Macht in Kiew spürbar werden. Lohnsenkungen und steigende Preise durch den Subventionsabbau führen bisher nur deshalb bisher noch zu wenig Protest, weil nationalistische Parolen in großen Teilen der Gesellschaft der Westukrainenoch auf offene Ohren stoßen.

Neuwahlen im Oktober?

Die neue politische Elite will diese Stimmung nutzen, um möglichst schnell zu Neuwahlen zu kommen. Als möglicher Wahltermin wird der 26. Oktober genannt. Mit dem Austritt der von der CDU/CSU geförderten Partie Udar und der rechtsnationalistischen Swoboda-Partei aus der ukrainischen Regierung wurden gestern die nötigen Voraussetzungen für diese Neuwahlen geschaffen. Im Anschluss trat der ukrainische Ministerpräsident zurück.

Sie alle haben Interesse daran, die Wahlen über die Bühne zu bringen, solange der nationalistische Taumel anhält und die Verantwortung für die Wirtschaftsmisere Russland und den Separatisten zugewiesen werden kann. Die KP wird wohl an den Wahlen nicht mehr teilnehmen. Eine mögliche Konkurrenz für die Elite, die von den Swoboda-Nationalisten bis zu den Pro-EU-Parteien reicht, wird auch eher im Umfeld des Rechten Sektors erwartet. Dort formieren sich ultrarechte Kräfte, die sich auf die Bewegung des Maidan berufen und schon angedroht haben, dass sie auch die gegenwärtigen Machthaber notfalls davon jagen wollen. Zurzeit sind diese ultrarechten Kräfte in den Kampf gegen die Aufständischen in der Ostukraine eingebunden. So bauen Neonazis mit dem Bataillon Azow [3] ihre Position innerhalb der ukrainischen Armee aus.

Die Regierung hat wohl auch ein Interesse, den Kampf im Osten in die Länge zu ziehen, damit die Ultrarechten beschäftigt sind und nicht in Kiew die Machtfrage stellen. Mittlerweile erhält
die ukrainische Ultrarechte sogar Unterstützung von russischen Neonazis. Der Gründer der russischen Antifa-Antifa und Aktivist der Neonazigruppe Wotanjugend Roman Schelesnow [4]erhielt etwa in der Ukraine Exil [5]. Er gab an, in Russland wegen seiner proukrainischen Haltung verfolgt worden zu sein. So existiert die paradoxe Situation, dass viele Rechte in Deutschland [6]und Westeuropa aus geopolitischen Gründen auf Putin-Russland als Alternative zur EU setzen, während sich manche russischen Neonaziseher an Kiew orientieren.

Auch die sogenannten gemäßigten konservativen Parteien zeigen, dass sie in gesellschaftspolitischen Fragen Russland gar nicht so fern stehen. So musste in dem von Bürgermeister Klitschko verwalteten Kiew kürzlich der Demonstrationszug von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender abgesagt [7] werden, offiziell aus Sicherheitsgründen, weil Oberbürgermeister und Polizei den Schutz verweigerten. Im vergangenen Jahr in der Ära der Janukowitsch-Regierung wurde die Parade noch von der Polizei geschützt [8].

Umgruppierungen unter den Oligarchen

Auch die sich abzeichnenden Machtumgruppierungen unter den ukrainischen Oligarchen könnten dazu beitragen, dass mit schnellen Neuwahlen der Status Quo zunächst erhalten bleibt. Nach dem Machtverlust der mit dem Janukowitsch-Block verbündeten Oligarchen des Donezk-Beckens wollen jetzt die Eliten der Region Dnepropetrowsk deren Rolle übernehmen. Der dortige Gouverneur Ihor Kolomojskyl hat sich in letzter Zeit trotz der Unterstützung des Kampfs gegen die Separatisten öfter vom Kiewer Machtblock abgesetzt und auch für eine Verständigung mit Russland ausgesprochen.

So könnten, wenn sich die soziale Lage großer Teile der Bevölkerung verschlechtern sollte, auch neue Kräfte bereit stehen, die wieder eine Wende Richtung Russland vollziehen. In der Ukraine wurde schon die Orangene Revolution nur wenige Jahre später wieder abgewählt. Um eine Wiederholung zu verhindern, sichert sich der aktuelle Machtblock ab. Die Einleitung der Neuwahlen gehört ebenso dazu wie die Illegalisierung der KP.

http://www.heise.de/tp/news/Vor-neuen-Machtkaempfen-in-der-Ukraine-2268075.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.kpu.net.ua/

[2]

http://www.deutschlandfunk.de/russland-erneute-repressionen-gegen-ngos.1773.de.html?dram%3Aarticle_id=292585

[3]

http://vk.com/club72444174

[4]

https://krzysztofwrath.files.wordpress.com/2014/07/roman-zukhel-zheleznyov.jpg

[5]

http://www.sova-center.ru/en/xenophobia/news-releases/2014/07/d29925/

[6]

http://www.heise.de/tp/news/Rechte-demonstrieren-fuer-Putin-2160035.html

[7]

http://www.csd-munich.de/web/kievpride-abgesagt.html