Spazieren gegen Rendite

Stadtteilinitiative in Friedrichshain will Widerstand gegen Mietervertreibung organisieren

Die Baustellen sind in der Rigaer Straße in Friedrichshain nicht zu übersehen und zu überhören. »Doch für wen werden diese Wohnungen gebaut«, fragt Heinz Steinle (Name geändert). Der Aktivist der Stadtteilinitiative »Keine Rendite mit der Miete« verweist auf die Schilder, auf denen Käufer für die neu errichteten Eigentumswohnungen gesucht werden.

Menschen mit geringen Einkommen können sich eine Wohnung im »Green Village« (Grünes Dorf) bestimmt nicht leisten, das auf dem Areal der Rigaer Straße 18/19 errichtet wird. Als die Sanus-AG das Projekt mit den 142 Eigentumswohnungen auf der Expo-Real vorstellte, wurde der vermögenden Klientel ein Wohnungskauf mit dem Hinweis auf die Tiefgaragen schmackhaft gemacht.

Käufer für Eigentumswohnungen werden auch für die Anfang der 50er Jahre von der DDR errichteten Bauten in der Frankfurter Allee 5 – 17 gesucht. »Wohnen im Baudenkmal« lauten die Werbeplakate. Viele Wohnungen stehen dort derzeit leer. Die noch verbliebenen Mieter, die teilweise seit Jahrzehnten dort wohnen, befürchten die Verdrängung. Vor einigen Monaten haben sie in den Häusern einen Mieterrat gegründet und auch schon mehrere öffentliche Veranstaltungen organisiert. »In vielen Häusern in Friedrichshain regt sich Widerstand gegen die drohende Verdrängung. Aber oft kämpft noch jedes Haus für sich allein«, berichtet Steinle.

Die Stadtteilinitiative »Keine Rendite mit der Miete« will diesen Zustand ändern. Als ersten Schritt organisierte sie am Mittwochabend einen Stadtteilspaziergang zu Orten des Mieterwiderstands in Friedrichshain. In den letzten Monaten hatten solche Spaziergänge in den Stadtteilen Neukölln und Kreuzberg zur stärkeren Kooperation der dortigen Mieter und Abstimmung ihrer Proteste geführt.

Wenn auch die Eigentümer unterschiedlich sind, so sehen die Aktivisten das Grundproblem in dem Versuch, möglichst viel Rendite aus den Wohnungen zu ziehen. Die Mieter bleiben dort oft auf der Strecke. So sind in der Boxhagener Straße 33 die letzten Mieter ausgezogen. Monatelang hatten sie mit Transparenten gegen die Luxusmodernisierung des Hauses protestiert. Als die ersten Bäume im Hof im Frühjahr letzten Jahres gefällt werden sollten, organisierten sie sogar gemeinsam mit Unterstützern eine kurze Blockade.

Weiteres Renditeobjekt ist die Boxhagener Straße 26, wo sich die Mieter ebenfalls gegen die Umwandlung in Eigentumswohnungen wehren. Auch vor diesem Haus wollten die Spaziergänger gestern Abend auf ihrer Tour Halt machen. Danach sollte es zu weiteren Häusern rund um den Boxhagener Platz gehen, in denen sich die Rendite für die Eigentümer massiv erhöht hat. Ein Beispiel nennt eine Mitarbeiterin des Mieterladens in der Kreutziger Straße, eine Anlaufstelle für Bewohner, die sich über ihre Rechte informieren und juristisch beraten lassen wollen. Danach wird eine 97 Quadratmeter große Wohnung in der Boxhagener Straße, die bisher 675 Euro kostete, seit 1. April für eine Miete von 1600 Euro angeboten, nachdem der langjährige Mieter ausgezogen war. Bei solchen Steigerungen finden Vermieter immer Gründe, Mieter loszuwerden. Der Stadteilspaziergang will ihre Selbstorganisierung stärken.

Infos und weitere Termine auf mietenstoppfriedrichshain.blogsport.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/819832.spazieren-gegen-rendite.html

Peter Nowak

Mieter/innen und Kneipe ziehen an einem Strang

Manchen Mieter/innen ist ein Restaurant im Haus als Quelle vielfältiger Geräusche ein Ärgernis. Die Mieter/innen der Christinenstraße 1 aber sind froh, dass sie mit dem BAIZ einen Schankraum im Haus haben, der viele Freunde hat. Seit sie wissen, dass ihr Haus zum Spekulationsobjekt geworden ist, mobilisieren die Gäste des BAIZ im Netz und auf der Straße dagegen und die Mieter freuen sich.

Sie waren genauso wie die Lokalbetreiber überrascht, als sie erfuhren, dass das Haus im Herbst 2012 den Besitzer gewechselt hat. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Durch Eigenrecherche stießen die Mieter auf personelle Überschneidungen mit der im Zusammenhang mit Schrottimmobilien ins Gerede gekommenen Grüezi Real Estate AG. Das Unternehmen war vom Berliner Landgericht im Dezember 2012 zur Rückabwicklung eines Eigentumswohnungsverkauf und der Zahlung von Schadenersatz verurteilt worden. Die Grüezi hat nach Ansicht des Gerichts eine Eigentumswohnung „sittenwidrig überteuert“ veräußert. Die Firma hatte den Vorwurf unter Hinweis auf eines von ihr beauftragten „Gutachtens“ bestritten. Das Landgericht bezeichnet das „Gutachten“ als offensichtlich wertlosen „Bericht“.

Zelos wirbt auf ihrer Homepage mit einer „ausgeprägten Kulturszene“ in der Umgehung der Christinenstraße und lukrative Käufer der Eigentumswohnungen anzulocken. Für das Haus selber wird allerdings eine kulturelle und gastronomische Weiternutzung kategorisch ausgeschlossen. Stattdessen ist nach ihren Vorstellungen ein weiteres Büroprojekt geplant. Damit ist eine Zielgruppe angesprochen, die in angesagte Szenebezirke zieht, aber auf keinen Fall einen Club oder ein Restaurant in der Nachbarschaft haben will. Aber nicht nur die Kneipe, auch die bisherigen Mieter/innen, sind in den Plänen der Zelos GmbH nicht vorgesehen. Auf ihrer Homepage wird das Haus als „Altbau aus der Jahrhundertwende“ in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen „das hohe Niveau der Nachbarschaft“ garantieren, mit dem Zelos vermögende potentielle Käufer gewinnen will.
Doch noch geben die Mieter/innen und die BAIZ-Betreiber nicht auf und sie suchen die Öffentlichkeit. So haben sie haben unter
baiz.krassnix.de/wp-content/uploads/2013/03/mieterh%C3%B6hungsbeispiele.pdf Beispiele für die Entwicklung der Miete nach der Modernisierungsankündigung ins Netz gesellt. Danach würde sich eine Grundmiete von 200 Euro auf 558, 98 Euro gleich um 278,99 % erhöhen. Die aktuellen Bewohner hoffen auf die solidarische Nachbarschaft, die zu den Kunden des BAIZ gehört, das mit seinen niedrigen Getränkepreisen heute in der Gegend eine Ausnahme ist. “Wenn wir es gemeinsam mit dem BAIZ nicht schaffen, hier im Haus zu bleiben“, schaffen wir es alleine erst recht nicht“, bringt ein Mieter die Stimmung in dem Haus zum Ausdruck. Mindestens einmal in der Woche fungiert ein Raum der Kneipe mittlerweile als Aktionszentrum. Ideen gibt es viele. In der nächsten Zeit werde man einiges von den Mieter/innen der Christinenstraße hören, kündigen sie an. Neuigkeiten finden sich auf der Homepage unter:

baiz.krassnix.de/category/von-uns/
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/baiz.html
Peter Nowak

Lernen aus den Krisen der anderen


MIETEN Eine Veranstaltungsreihe beleuchtet das Thema „Wohnen in der Krise“ international

Von Spanien lernen heißt vielleicht siegen lernen: Wenn heute in den Räumen der Beratungsstelle der Berliner MieterInnengemeinschaft Eduard Baches aus Spanien über die dortigen MieterInnenproteste berichtet, dürfte das Interesse groß sein. Baches ist Aktivist der Plattform der Hypothekenbetroffenen, die eine Aktionsform bekannt gemacht hat, die sich in der letzten Zeit auch in Berlin verbreitet: der Widerstand gegen Zwangsräumungen von MieterInnen.

Solche gegenseitigen Lernprozesse sind ganz im Sinne der Berliner MieterInnengemeinschaft. Die hat mit AktivistInnen anderer Initiativen den Donnerstagskreis gegründet, der die Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ vorbereitet. In unregelmäßigen Abständen werden MieteraktivistInnen aus dem Ausland eingeladen, um die Situation in ihrem Ländern vorzustellen. So berichteten vor einigen Wochen AktivistInnen aus dem polnischen Poznan über das Anwachsen der Containersiedlungen am Stadtrand für zwangsgeräumte Menschen. Warschauer AktivistInnen erzählten von ihrer Kampagne zur Aufklärung der Todesumstände von Jola Brzeska, die sich den Entmietungsplänen ihres Hauseigentümers entgegengestellt hat und am 7. März 2011 verbrannt in einem Wald bei Warschau aufgefunden wurde.

Im Juni soll der MieterInnenwiderstand in Griechenland Thema sein. „Wenn wir über den Tellerrand blicken stellen wir schnell fest, dass der Neoliberalismus die Ursache für die Probleme der MieterInnen in den unterschiedlichen Ländern ist“, erklärt ein Mitveranstalter. Die Veranstaltungsreihe sieht er als ein Angebot zur politischen Bildung. Dazu nutzen die AktivistInnen auch das Internet. Unter www.youtube.com/user/WohneninderKrise stellt die Gruppe bisher unbekannte Filme des internationalen MieterInnenwiderstands mit deutschen Untertiteln ins Netz.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F04%2F18%2Fa0141&cHash=82f125dc6b0e55206b29bbfde00a9451

PETER NOWAK
19 Uhr, Beratungsstelle der Berliner MieterInnengemeinschaft, Sonnenallee 101

Tod nach Zwangsräumung

Nach dem Tod einer Berliner Rentnerin, die vor zwei Tagen aus ihrer Wohnung geräumt wurde, ist die Betroffenheit groß. Doch wird sich an der Praxis der Zwangsräumungen etwas ändern?

Am 11.April ist die Berliner Rentnerin R. F. im Alter von 67 Jahren gestorben. Sie musste die letzten Tage in einer Notübernachtung verbringen. Sie war nämlich am 29. März aus ihrer Wohnung in Reinickendorf zwangsweise vertrieben worden. Die Frau bekam eine Rente vom Amt für Grundsicherung und bewohnte eine Eigentumswohnung zur Miete, die regelmäßig direkt vom Amt für Grundsicherung an die wechselnden Eigentümer überwiesen wurde. Durch Krankenhausaufenthalte von Frau F. und Eigentümerwechsel ist die Miete nicht rechtzeitig gezahlt worden. Der Rentnerin wurde gekündigt und die Eigentümer bekamen vor Gericht Recht und besaßen so alle Räumungstitel. So etwas passiert sehr oft in Deutschland und wird in der Regel nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

In den letzten Wochen ihres Lebens etwas Solidarität erfahren

Doch in Berlin hat sich mittlerweile ein Bündnis gegen Zwangsumzüge gegründet, das sich mit Blockaden und Protesten engagierte, wenn Mieter gegen ihren Willen auf die Straße geworfen wurden. Auch Frau F. hatte davon erfahren und sich vor einigen Wochen an das Bündnis gewandt. Die Aktivisten haben immerhin einen Räumungsaufschub erreicht. Ein Räumungstermin Ende Februar wurde verschoben.

Doch letztlich ließen sich die Eigentümer nicht von der Räumung abhalten. Ein großes Polizeiaufgebot verhinderte bei der Räumung von Frau F. alle Blockadeversuche. Dabei hat das Bündnis gegen Zwangsumzüge gemeinsam mit der Frau vom Sozialstadtrat von Reinickendorf die Zusage bekommen, dass die Mietschulden vom Amt übernommen werden und das Amt auch für die zukünftige Mietzahlungen garantiert. Die Eigentümer der Wohnung waren weder zu Gesprächen noch zu Kompromissen bereit.

Schließlich wächst ihre Rendite, wenn sie die Rentnerin aus der Wohnung werfen lassen und einen neuen Vertrag mit einer wesentlich höheren Miete durchsetzen. Dann wird dort keine Rentnerin mit Grundsicherung mehr dort wohnen können. Die Räumung wurde auch nicht ausgesetzt, obwohl den Behörden die gesundheitlichen Probleme der Frau bekannt waren. Ein ärztliches Attest hatte erklärt, dass die Aufregung im Zusammenhang mit einer Räumung ihrer Gesundheit abträglich ist. Dass sich diese Prognose so schnell bewahrheiten sollte, sorgte bei den Aktivisten von dem Bündnis gegen Zwangsumzüge für Trauer: „Wir hier trösten uns ein wenig damit, dass R. zu ihrem Lebensende noch ein wenig Solidarität erfahren hat, womit sie in den letzten Jahren sicherlich nicht sehr reich beschenkt war“, schrieben die Mitglieder einer Wohngemeinschaft, in der die Rentnerin nach ihrer Räumung aufgenommen wurde.

Frau F. hatte sich vor ihrer Räumung an Protesten beteiligt, als eine Familie in Neukölln geräumt wurde. Auch einige Politiker haben sich nach dem Tod der Rentnerin betroffen geäußert. So heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen Neukölln:

„Der Vollzug von Zwangsräumungen ist in Berlin an der Tagesordnung. Wöchentlich werden Menschen aus ihren Wohnungen gedrängt, wenn mit ihnen keine Rendite zu machen ist. Das Menschenrecht auf eine Wohnung findet dabei keinerlei Beachtung.“

Leider vermisst man in der Erklärung eine Initiative für ein Moratorium für sämtliche Zwangsräumungen. Natürlich werden sofort die Interessenvertreter der Wohnungs- und Hauseigentümer ihre Stimme erheben und sich über den geplanten Eingriff in ihr Eigentumsrecht beschweren und in der Politik wird es Vertreter fast aller Parteien geben, die ihnen beipflichten. Aber eine solche Debatte würde zumindest deutlich machen, dass das Recht auf Rendite für Eigentümer höher steht als das Recht auf eine Wohnung.

In Spanien, wo es seit der Krise eine Fülle von Zwangsräumungen gibt, war die konservative Regierung erst nach zahlreichen Selbstmorden von Betroffenen bereit, ein begrenztes Räumungsmoratorium für besonders Bedürftige zu erlassen. Doch in der Praxis gehen die Räumungen unvermindert weiter.

In Deutschland gibt es bisher noch nicht einmal solche minimalen Bestrebungen, einkommensschwache Menschen vor Obdachlosigkeit zu schützen. Für den 29. April steht eine erneute Zwangsräumung an. Dann soll eine Frau mit ihrer Tochter aus der Wohnung geworfen werden. Die Gegenmobilisierung hat bereits begonnen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154090
Peter Nowak

Projekte wehren sich gegen Verdrängung

Demonstration in Mitte am kommenden Sonnabend, Schankwirtschaft kämpft ums Überleben

»Wir zahlen nicht für Eure Spekulationen.« So lautet das Motto einer Demonstration am kommenden Sonnabend, die um 17 Uhr am Rosenthaler Platz in Mitte beginnt. Ganz in der Nähe befindet sich das alternative Hausprojekt Linienstraße 206. Es gehört noch zu einen der wenigen unsanierten Gebäuden in der Gegend. Das Haus war 1990 besetzt und bald danach legalisiert worden. Doch seit Bernd-Ullrich Lippert das Haus gekauft hat, befürchten die Mieter die Vertreibung. Mittlerweile gibt es erste Räumungsklagen. Auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte hat sich gegenüber dem Eigentümer für den Erhalt des Hausprojekts eingesetzt. Die Bewohner haben sich mit weiteren Mietern und Initiativen zusammengeschlossen, die in der Gegend zwischen den Stadtteilen Mitte und Prenzlauer Berg verdrängt werden sollen. Dazu gehört mit der Kirche von Unten ( KvU) ein Projekt, das seine Wurzeln noch in der DDR-Opposition hat. Auch in der Christinenstraße 1 traf sich schon Ende der 80er Jahre die DDR-Subkultur. Die Kneipen hatten damals Namen wie Bummelant oder Dom Kultury Berlin. Seit 8 Jahren gibt es dort die Schankwirtschaft Baiz“, die mehr als nur eine Kneipe ist. Regelmäßig werden dort Filme gezeigt und auch für politische Veranstaltungen ist dort immer Platz. Zum 1. Oktober hat der neue Eigentümer. die Zelos Properties GmbH, den Betreibern gekündigt. Sofort gründete sich ein Unterstützerkreis, der für den Verbleib des BAIZ Nicht nur auf Facebook wächst der Freundeskreis. Darunter sind viele langjährige Stammgäste. Lokal. „Hier ist einer der wenigen Orte in der Mitte Berlins, der nicht darauf angelegt ist, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen“ begründet der Historiker Uwe Sonnenberg sein Engagement. Auch viele Nachbarn äußern die Befürchtung, dass sie auch nicht mehr lange in der Gegend bleiben können, wenn das BAIZ gehen muss. Tatsächlich ist die Schankwirtschaft nicht nur für die günstigen Getränkepreise bekannt. Dort sitzt die Rentnerin, die schon Jahrzehnte in der Nachbarschaft lebt, neben den jungen Erwerbslosen, Was den Eigentümern hingegen vorschwebt, verrät ein Blick auf die Homepage der Zelos Group. Dort wird das Haus als „Altbau aus der Jahrhundertwende“ beworben. Eine behutsame Sanierung und ein Ausbau des Dachgeschosses sind ngekündigt. Von den aktuellen Mietern ist dort keine Rede. Dafür wird auf hochrangige Unternehmen wie Adidas und Soho House verwiesen, die „das hohe Niveau der Nachbarschaft“ garantieren sollen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/818530.projekte-wehren-sich-gegen-verdraengung.html

Peter Nowak

Immobilien und andere Immobilitäten

Die Kritik an der Gentrifizierung sollte mit der Kritik der Verkehrspolitik verbunden werden, nicht nur aus Gründen des Umweltschutzes.

Hat die Gentrifizierungskritik in Berlin jetzt auch die CDU und die Boulevardmedien erreicht? Diesen Eindruck konnte man angesichts der ganz großen Volksfront der Berliner Mauerretter bekommen, die Anfang März auf den Plan getreten war. Für ein Bauprojekt am Spreeufer sollten einige bemalte Mauerstücke versetzt werden, die in den Reiseführern als East Side Gallery firmieren. Die Boulevardzeitungen sahen eine neue »Mauerschande« heraufziehen und der Generalsekretär der Berliner CDU, Kai Wegner, legte die Platte aus alten Frontstadtzeiten wieder auf. Während er tönte: »Nur ein zusammenhängendes Mauerstück verdeutlicht authentisch, wie brutal der Todesstreifen Berlin einst zerschnitten hat«, lieferte »Mediaspree Versenken« die passende Kampa­gnenlosung: »Keine Luxuswohnungen auf dem ehemaligen Todesstreifen!« Ein Sprecher dieser als links geltenden Stadtteilinitiative wollte sich sogar schämen, ein Berliner zu sein, wenn die Mauerstücke einige Meter verrückt würden. Vor zwei Jahrzehnten nahmen Linke und Alternative noch mit Stolz das Label »Anti-Berliner« an, das ihnen die Lokalmedien und die Regierungsparteien aller Couleur angeheftet hatten.

Damals errichteten die frühen Gentrifizierungskritiker, die sich noch gar nicht als solche verstanden, unter der Parole »Oberbaumbrücke bleibt Stadtringlücke« mitten auf der Brücke ein Hüttendorf. Sie wollten verhindern, dass die bis dahin von der Mauer zerteilte Brücke zu einer vierspurigen Autostraße ausgebaut wird und sich folglich rund um die Uhr eine Blechlawine durch Kreuzberg wälzt. Die damalige Entwicklung von grünbepflanzten Mauernischen zu innerstädtischen Verkehrsinseln hat den schnellen Widerstand sicher sehr befördert. Bereits im Sommer 1990 gründeten Bewohner der benachbarten Schlesischen Straße die »BI Blechlawine« und organisierten Protestfrühstücke auf der Fahrbahn. Als dann die Ausbaupläne immer konkreter wurden, entwickelte sich ein Widerstand, an dem sich viele Umweltverbände wie BUND, Robin Wood Liga, ADFC, Grüne Radler, Stadtteilgremien von Alternativer Liste und PDS und zuletzt Basisgruppen wie WBA Prenzlauer Berg und die RADikalen, wie sich autonome Fahrradfahrer nannten, beteiligten. So unterschiedlich wie die am Bündnis beteiligten Gruppen waren auch die Aktionsformen. Während sich die einen mehr auf symbolische Proteste konzentrierten, wurde auch schon mal ein Bagger beschädigt und ein Bauschiff in der Spree versenkt. Zur Spaltung kam es deshalb aber nicht. Erst 1994, als die Oberbaumbrücke eröffnet wurde, versandete der Widerstand. Sollten Veranstaltungen zum 20. Jubiläum geplant sein, wäre es wünschenswert, dass nicht nur nostalgische Erinnerungsveranstaltungen angeboten würden – nach dem Motto: »die autonomen Großeltern erzählen«.

Denn Anfang der neunziger Jahre wurde von den Kritikern der Stadtentwicklung noch ein Zusammenhang zur Verkehrspolitik hergestellt, den man in der gegenwärtigen Gentrifizierungskritik vergeblich sucht. Diese Leerstelle ist schon deshalb verwunderlich, weil die in den vergangenen Jahren intensivierte Umweltdebatte eigentlich eine radikale Kritik der Autogesellschaft herausfordern würde. Dabei geht es nicht nur um das Ozonloch und den Klimawandel. Der Autoverkehr ist wesentlich für eine akute Luftverschmutzung verantwortlich, die extrem gesundheitsschädlich ist. Am 20. Februar stellte die EU-Kommission fest, dass die Luftbelastung in vielen deutschen Städten erheblich ist, so dass die lokalen Behörden aufgefordert wurden, unverzüglich Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Stickoxid-Werte zu reduzieren.

Es ist schon auffallend, dass in einem Land, in dem selbst die Lagerung von leicht kontaminierter Molke in den neunziger Jahren einen Sturm der Empörung auslöste, kein wahrnehmbarer Widerstand gegen eine Verkehrspolitik entsteht, die nachweislich für schwere gesundheitliche Schäden bei vielen Menschen sorgt. Selbst die Steilvorlagen, die die EU-Behörden hierfür liefern, wurden weitgehend ignoriert. Nur in wenigen Zeitungen wurde überhaupt darüber berichtet. Dabei war es nicht das erste Mal, dass die EU-Kommission die deutsche Regierung wegen der Verletzung der Feinstaubverordnung kritisierte und Untersuchungen anordnete.

An mangelnden Informationen kann das Desinteresse an diesem Thema nicht liegen. Mittlerweile belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien, dass in besonders von Feinstaub belasteten Gegenden das Krebsrisiko ebenso wie die Gefahr von Herzkreislaufkrankheiten steigt. Die Giftpartikel machen praktisch 82 Millionen Menschen zu »Passivrauchern«, warnen Umweltexperten. Doch während eine starke Nichtraucherlobby am liebsten noch aus jedem historischen Film die Glimmstängel nachträglich wegretuschieren würde und die Hellenische Gemeinde in Berlin-Steglitz um ihre finanzielle Unterstützung fürchten muss, weil das Rauchverbot in ihren Räumen nicht strikt eingehalten worden sein soll, scheint sich kaum jemand darüber zu empören, dass Autos die Luft verpesten. Dabei würde sich doch ein fast unbegrenztes Reservoir an Maßnahmen des zivilen Ungehorsams anbieten, um den Besitzern der vierrädrigen Dreckschleudern die Nutzung zumindest in den Innenstädten zu verleiden.

Die Raucher bekommen heute auf jeder Zigarettenpackung zu lesen, wie lebensgefährlich ihr Tun sei. In der Öffentlichkeit werden sie mit strafenden Blicken und Gesten bedacht, selbst wenn sie sich ganz gesetzeskonform in die ihnen zugewiesenen Reservate drängen. Die Autofahrer hingegen, die nicht nur für dicke Luft in den Städten sorgen, sondern auch den öffentlichen Straßenraum in Beschlag nehmen, bekommen von Politik und Öffentlichkeit grünes Licht. Das belegen die Ampelschaltungen an zahlreichen Verkehrsknotenpunkten deutscher Städte. Während Fußgänger und Radfahrer manchmal minutenlang in der Feinstaub- und Benzinwolke ausharren müssen, bis ihnen auch mal gnädig der Weg freigeschaltet wird, rauschen die Autos ungebremst vorbei.

In einem Land, in dem der ADAC 16 mal mehr Mitglieder hat als CDU, SPD, Linkspartei, Grüne und FDP zusammen, wird sich keine Partei, die in der Mitte der Gesellschaft Stimmen sammeln möchte, mit den Autofahrern anlegen. Für den Teil der Gentrifizierungskritiker, der nicht auf Parlaments- oder Beraterposten schielt, bestände hingegen in der Einbeziehung der Verkehrspolitik eine große Chance, verschiedene Teilbereiche miteinander zu verbinden. Dabei geht es neben den schon beschriebenen Umweltaspekten auch um die Frage, wie die Stadt der Zukunft aussehen soll. Sie zerfällt immer mehr in zwei getrennte Sektoren. Da gibt es die kinderfreundlichen, verkehrsberuhigten Stadtteile der Mittelschicht mit hohem Fahrradaufkommen. Die Anwohner haben meist dennoch irgendwo einen PKW geparkt, schließlich will man so flexibel wie möglich und nicht auf den unattraktiven ÖPNV angewiesen sein. Keine Wahl haben die einkommensschwachen Menschen, die an die Stadtränder verdrängt werden, wo es in der Regel keine Arbeitsplätze gibt. Überteuerte und überfüllte Bahnen und Busse sowie die alltägliche Blechlawine an den Ausfallstraßen sind die logischen Konsequenzen.

Für die wachsende Schar der ganz Armen bedeutet die Vertreibung aus den Citys oft auch ein Leben in den Schlafstädten, wo es statt Eckkneipen nur noch Stehimbisse gibt. Als Hartz-IV-Empfänger ist man zur Immobilität verdammt, obwohl doch gerade Mobilität und Flexibilität von Jobcentern immer mehr erwartet wird. Ein Blick in die Gefängnisse zeigt zudem, wohin es immer häufiger führt, wenn Menschen ihr Recht auf Mobilität wahrnehmen, ohne zu bezahlen. Ihr Anteil unter den Häftlingen wächst. In der JVA Berlin-Plötzensee sitzt fast jeder Dritte wegen Schwarzfahrens ein. Trotzdem erhalten Initiativen zur Entkriminalisierung der unentgeltlichen ÖPNV-Benutzung, wie sie im vorigen Jahr von der Berliner Piratenpartei gestartet wurden, wenig Unterstützung. Auch die aus dem Umfeld des ehemaligen Berliner Sozialforums initiierte Kampagne »Berlin fährt frei«, die für einen berlinweiten kostenlosen ÖPNV eintrat, versandete.
20 Jahre nach der Niederlage an der Oberbaumbrücke scheint die Verkehrspolitik in der außerparlamentarischen Linken kaum jemanden zu interessieren. Dabei läge in Berlin mit dem bevorstehenden Ausbau der Stadtautobahn A 100 ein kampagnenfähiges Thema im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Anfang März verhinderten 30 Umweltaktivisten das Fällen einiger Pappeln für dieses Straßenprojekt. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob die Initiative größere Kreise ziehen kann. Garantiert wird man dafür kein Lob aus der Union und der Boulevardpresse bekommen. Dafür dürfte der alte Vorwurf an die »Anti-Berliner« dann wieder erhoben werden. Aber gerade das müsste für radikale Gentrifizierungsgegner eher ein zusätzlicher Ansporn sein.
http://jungle-world.com/artikel/2013/14/47441.html
Peter Nowak

Wohlfühlort, Täterort

Acht Jahre lang gab es das besetzte Haus in Erfurt auf dem ehemaligen Gelände der Firma Topf und Söhne, die im Nationalsozialismus Krematoriumsöfen herstellte. Nun widmen sich ehemalige Bewohner einer kritischen Rückschau.

Gleich zwei Jubiläen stehen für die linke Szene in Erfurt an. Am 12. April jährt sich zum 12. Mal die Besetzung des ehemaligen Geländes der Firma Topf und Söhne. Am 15. April 2009 wurde es mit einem großen Polizeieinsatz geräumt. Auch beinahe vier Jahre nach der Räumung sind das Gelände und das ehemals besetzte Haus, das sich dort befindet, noch nicht in Vergessenheit geraten. Das zeigt der ansprechend gestaltete Bildband »Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort«, der von den ehemaligen Hausbewohnern Karl Meyerbeer und Pascal Späth kürzlich im Verlag Graswurzelrevolution herausgegeben wurde.

Anders als in vielen anderen Schriften über Haus­projekte handelt es sich keineswegs um eine Publikation, in der sich ehemalige Besetzer wehmütig an die gute, alte Zeit erinnern und die Repression beklagen. Vielmehr ist der Band ein Geschichtsbuch über die radikale Linke der vergangenen 15 Jahre. Denn »das besetzte Haus«, wie es auf Flugblättern immer genannt wurde, war nie nur ein Wohlfühlort für Unangepasste.

Schon im Titel des Buches wird deutlich, dass die Geschichte des Ortes für die Außen- und die Selbstwahrnehmung der Besetzer eine zentrale Rolle spielte. Denn die Erfurter Firma Topf und Söhne stellte auf dem Gelände in der Zeit des Nationalsozialismus Krematoriumsöfen für Konzentrations- und Vernichtungslager her. Die Mehrheit der jungen Menschen, die im Frühjahr 2001 die Besetzung vorbereiteten, sah in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes von Anfang an eine politische Notwendigkeit. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit in der Geschichte der Besetzerbewegung. So thematisierten die Bewohner des als Köpi international bekannten Hausprojekts in Berlin nie öffentlich, dass sich während des Zweiten Weltkriegs auf dem Gelände eine der vielen Unterkünfte für Zwangsarbeiter befunden hat.

In Erfurt wurde hingegen bereits 2002 das Autonome Bildungswerk (ABW) gegründet, das mit Veranstaltungen und historischen Rundgängen über das ehemalige Gelände von Topf und Söhne aufklärte. Marcel Müller, der bis 2003 im ABW mitarbeitete, kommt im Buch zu einem sicher diskussionswürdigen Resümee über das Bildungswerk: »Als ein echtes Stück bürgerschaftlichen Engagements kann es als Teil einer unerzählten Geschichte der Erfurter Zivilgesellschaft gelten. Als revolutionäres Projekt der kollektiven Bildung für eine andere Gesellschaftsordnung ist es Teil linker Geschichte des Scheiterns. Für die Beteiligten kann es als Erfahrungsraum für spätere Lebensabschnitte in seiner Bedeutung möglicherweise nicht hoch genug eingeschätzt werden, war mit ihm doch die Einübung bestimmter Skills wie Selbständigkeit, Geschichtsbewusstsein, Organisationstalent verbunden, die z. B. einer akademischen Karriere nicht eben abträglich sind.« Ein solches Fazit könnten Angehörige der radikalen Linken auch in anderen Bereichen ziehen.

In einem eigenen Kapitel zur geschichtspolitischen Auseinandersetzung mit dem »Täterort« zeigt sich, wie diese selbst dazu beitrug, dass es mittlerweile auch offiziell einen »Erinnerungsort Topf und Söhne« gibt. Diesen bewirbt die Stadt Erfurt auf ihren Tourismusseiten im Internet, umgeben wird der Verweis auf »die Ofenbauer von Auschwitz« von Slogans wie »erleben und verweilen« und »Rendezvous in der Mitte Deutschlands«. Das passt sehr gut zu jener Erinnerungspolitik, die im besetzten Haus einer radikalen Kritik unterzogen wurde.

Auch in innerlinken Auseinandersetzungen ergriffen die politisch aktiven Bewohner Partei und scheuten dabei nicht die Auseinandersetzung. So sorgte die Demonstration unter dem Motto »Es gibt 1 000 Gründe, Deutschland zu hassen«, die mehrere Jahre in Folge am 3. Oktober in Erfurt mit Unterstützung des besetzten Hauses veranstaltet wurde, vor allem in reformistischen Kreisen für Aufregung. Die Ablehnung von Antiamerikanismus und antiisraelischer Politik, die ein Großteil der Hausbewohner nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vertrat, sorgte auch in der radikalen Linken für Konflikte.

Es ist erfreulich, dass auch diese strittigen Themen im Buch nicht ausgespart werden. So findet sich ein Interview mit einem ehemaligen Mitglied der Gruppe Pro Israel und einem Antizionisten, der bei einer Veranstaltung dieser Gruppe im April 2002 Hausverbot erhielt. Elf Jahre später sind beide in der linken Bildungsarbeit in Thüringen tätig und sehen den damaligen Streit mit großer Distanz. Der ehemalige Pro-Israel-Aktivist stellt nun selbstkritisch fest: »Dass die Auseinandersetzung über linken Antisemitismus geführt wurde, fand ich richtig. Von heute aus gesehen würde ich sagen, dass die Fokussierung auf einen Punkt ein Problem war. Die soziale Frage hat überhaupt keine Rolle gespielt, was – muss man auch mal sagen – daran lag, das die uns kaum betroffen hat.« Der Streit um eine US-Fahne, die ein Hausbewohner an seinem Zimmerfenster angebracht hatte und die andere ­erzürnte, wird von den Beteiligten mittlerweile eher als Punkrock denn als Politik bezeichnet.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des über acht Jahre lang besetzten Hauses in Erfurt führt so auch zu den damaligen Diskussionen, die die radikale Linke bundesweit beschäftigten. Dass trotz der sicher nicht immer besonders erfreulichen Diskussionen ehemalige Hausbewohner drei Jahre nach der Räumung noch in unterschiedlichen linken Gruppen tätig sind, macht deutlich, dass das Haus bei der Politisierung ­einer Generation junger Menschen in Erfurt und Umgebung eine wichtige Rolle spielte.

http://jungle-world.com/artikel/2013/13/47408.html
Peter Nowak

Boom der Containersiedlungen

In Polen regt sich Widerstand gegen Vermieterwillkür
Wohnungsmangel, steigende Mieten und Verdrängung sind nicht nur in Deutschland bekannt. In vielen Ländern der Welt sind die Probleme ähnlich, regt sich aber auch Widerstand. Eine Veranstaltungsreihe in Berlin wirft einen Blick auf die Situation außerhalb Deutschlands.

In den letzten Monaten ist in Berlin eine Mieterbewegung entstanden, die einige Zwangsräumungen verhindert hat und mit der »Kotti-Hütte« mitten in Kreuzberg ein sichtbares Zeichen setzt. In mehreren Veranstaltungen unter dem Titel „Krise – Neoliberalismus – Kämpfe – Perspektiven“ wollen sich die Aktivisten über Mieterkämpfe in anderen Ländern informieren. Vor einigen Tagen berichteten die Poznaer Mieteraktivisten Katarzyna Czarnota und Magdalena Łuczak über das Anwachsen der Containersiedlungen am Rande von Polens Städten. Dort müssen Menschen leben, die aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Oft werde von den Hauseigentümern nicht der juristische Weg beschritten, weil er ihnen zu lang erscheint. „Da kommen drei kräftige Männer und fordern die Mieter im Auftrag des Vermieters zum schnellen Verlassen der Wohnungen auf und bieten eine kleine Entschädigung an“, berichtet Czarnota über eine Praxis der Entmietung. Bei vielen Menschen habe dieser Druck erfolgt. Dazu habe auch die allgemeine Entpolitisierung beigetragen. Nach 1989 sei die Marktwirtschaft zum Inbegriff der neuen Freiheit erklärt worden. Solidarität und Widerstand dagegen seien verpönt gewesen. Erst in den letzten Jahren haben die Proteste gegen die Vermieterwillkür zugenommen. Dabei hätten anarchistische Gruppen Unterstützung geleistet und die Mieter ermutigt, sich nicht in die Containerstädte vertreiben zu lassen. Berichte über die dortigen Wohnverhältnisse haben zur Gegenwehr beigetragen. Die Klagen über mangelnde Wärmeisolierung, verschimmelte Teppiche und Räume, die trotz voll aufgedrehter Heizung nicht wärmer als 15 Grad werden, machten die Runde. „Von der Zimmerdecke tropft Wasser. Ich kann hier kein normales Leben gewährleisten“, berichtet eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern über das Leben in der Containersiedlung.
Angesichts solcher Zustände wächst die Zahl der Mieter, die sich trotz Drohungen und Druck von Seiten der Vermieter nicht aus ihren Wohnungen vertreiben lassen. Magdalena Łuczak aus der Stolarska Straße gehört zu ihnen. Die Stolarska, das Haus, in dem sie wohnt, ist mittlerweile über Poznan hinaus zum Symbol des Mieterwiderstands geworden. „Wir lassen uns von den Vermietern und ihren Räumungsspezialisten nicht mehr einschüchtern“, diese Botschaft wird auch in anderen polnischen Städten gerne aufgegriffen. Dass ein solcher Widerstand lebensgefährlich sein kann, zeigt der bis heute unaufgeklärte Tod der Warschauer Mieteraktivistin Jola Brzeska. Sie stellte sich den Entmietungsplänen ihres Hauseigentümers entgegen und wurde am 7. März 2011 verbrannt in einem Wald bei Warschau aufgefunden. Weil die polnische Justiz die Ermittlungen beenden will, haben Warschauer Aktivisten eine Kampagne gestartet. Sie fordern die Aufklärung über die Hintergründe ihrer Ermordung. Jetzt könnte es auch aus Deutschland Unterstützung für diese Forderungen geben. Unter http://www.youtube.com/user/WohneninderKrise sind Filme über den polnischen Mieterwiderstand zu finden. Am 18. April wird es in de Veranstaltungsreihe um Spanien gehen, das mit der Bewegung gegen Zwangsräumungen auch den Aktivisten in Deutschland Impulse gegeben hat.
http://www.bmgev.de/

https://www.neues-deutschland.de/artikel/815628.boom-der-containersiedlungen.html
Peter Nowak

In Bewegung gekommen

Nach Hausbesetzern, Mieterbewegungen und Protesten gegen Gentrifizierung bildet sich in Berlin über den Widerstand gegen Zwangsumzüge und Wohnungsräumungen eine neue soziale Bewegung für das Recht auf Wohnen. Sie feiert erste Erfolge.

Der Jubel unter den knapp 200 Demonstrantinnen und Demonstranten war groß, als bekannt wurde, dass sie in letzter Minute ihr Ziel erreicht hatten. Sie waren am Vormittag des 27. Februar im Berliner Stadtteil Reinickendorf zusammengekommen, um die Zwangsräumung der 67jährigen Rentnerin Rosemarie P. zu verhindern, die im Herbst 2012 vom Amtsgericht Wedding wegen Mietrückständen zur Räumung ihrer Wohnung verurteilt worden war. Aufgerufen hatte das Bündnis »Zwangsräumungen verhindern«, das am 9. Februar vergeblich gegen die Räumung der Familie Gülbol in Kreuzberg protestiert hatte. Die Polizei hatte damals die Gerichtsvollzieherin mit einer Polizeiweste getarnt über ein Nachbargrundstück in die Wohnung geschleust, wo sie die Räumung vollstrecken konnte, während auf der Straße Hunderte Menschen die Zugänge zum Gebäude blockierten.

Zunächst sah es so aus, als wiederhole sich in Reinickendorf das Szenario. Schließlich war dieselbe Gerichtsvollzieherin schon Stunden vor dem Termin vor Ort, beschützt von der Polizei, die mit einem Großaufgebot die Straße abgesperrt hatte. Doch als sie das Schloss in der Wohnungstür gerade austauscht hatte, klingelte ihr Telefon und sie musste ihr Tagwerk schon wieder beenden. Sie erfuhr, dass das Berliner Landgericht zwei Vollstreckungsschutzklagen angenommen und die Räumung vorerst ausgesetzt hatte. Damit sollte die Mieterin »vor einer unbilligen Härte durch die drohende Zwangsvollstreckung« geschützt werden, hieß es in einer Erklärung des Gerichts zu dem Aufschub. Zuvor hatte bereits ein Arzt attestiert, dass der Stress einer Zwangsräumung der gesundheitlich angeschlagenen Rentnerin nicht zuzumuten sei.

Einen solchen Erfolg auf der juristischen Ebene hatten die Demonstranten, die vor dem Haus protestierten, nicht erwartet. Die Mobilisierungszeit für die Kundgebung war sehr kurz gewesen. Zudem stand in Reinickendorf anders als in Kreuzberg kein Stadtteilladen im Haus für die Infrastruktur des Widerstands zur Verfügung. Statt solidarischer Nachbarn kamen in den Berliner ­Lokalmedien Hausbewohner zu Wort, die die Räumung der Rentnerin begrüßten. Anders als in Kreuzberg wurde von dem Bündnis daher auch nicht zu einer Blockade, sondern zu einer Kundgebung gegen die Zwangsräumung aufgerufen. Umso erfreuter waren die Initiatoren des Protests, dass um acht Uhr dennoch rund 200 Menschen zusammengekommen waren, die nach der Aussetzung der Räumung in Feierlaune waren. Dem tat auch das aggressive Auftreten der Polizei keinen Abbruch, die den Rückweg der Aktivisten zur U-Bahn-Station als unangemeldete Demonstration wertete und mit Faustschlägen in die Menge und einigen vorübergehenden Festnahmen reagierte.

Tatsächlich hat sich die noch junge Bewegung gegen Wohnungsräumungen am 27. Februar als handlungsfähig auch über den Stadtteil Kreuzberg/Friedrichshain hinaus erwiesen. Zudem wird die Kampagne auch von Menschen ernst genommen, die weder in linken Organisationen aktiv sind noch in Stadtteilen wohnen, in denen poli­tische und soziale Initiativen allgegenwärtig sind. Rosemarie P. hatte durch eine Bekannte von dem Bündnis »Zwangsräumungen verhindern« erfahren. Anfang Februar nahm sie Kontakt auf. In den folgenden Wochen versuchte das Bündnis zusammen mit Behördenvertretern, unter anderem dem Reinickendorfer Sozialstadtrat Andreas Höhne (SPD), die Räumung zu verhindern. Höhnes Behörde hatte sich gegenüber dem Vermieter schriftlich bereit erklärt, die Mietrückstände von Rosemarie P., die Empfängerin von Grundsicherung ist, zu übernehmen und künftig für die Mietzahlungen aufzukommen. Die Eigentümer wollten sich allerdings auf dieses Angebot nicht einlassen und bestanden auf der Räumung. Auch die Klagen, die schließlich zur Aussetzung der Räumung führten, waren von dem Bündnis initiiert worden.

Der Erfolg macht aber auch deutlich, dass die Ausschöpfung sämtlicher offizieller behördlicher und juristischer Möglichkeiten notwendig war. Eine Blockade hätte bei der Polizeitaktik eben­so wenig zum Erfolg geführt wie in Kreuzberg. Auch in der Vergangenheit wurden bereits durch öffentlichen Protest Wohnungsräumungen verhindert. So hatte die Wohnungsbaugesellschaft Mitte die Kündigung eines Rentnerehepaar zurückgenommen, nachdem sich Mitte Januar im Foyer des kommunalen Immobilienunternehmens 30 Wohnrechtsaktivisten zum Sit-in niedergelassen hatten. Ebenfalls Mitte Januar hatte die Berliner Wohnungsbaugesellschaft GSW die Kündigung einer fünfköpfigen Familie nach Protesten zurückgenommen.

Solche Aktionen mögen nicht so spektakulär wie eine Blockade sein, tragen aber dazu bei, dass der Protest gegen Wohnungsräumungen zumindest in Berlin eine wahrnehmbare soziale Bewegung wird, die es auch schafft, den Zusammenhang zwischen hohen Mieten, niedrigen Einkommen und den Zumutungen des Hartz-IV-Regimes aufzuzeigen. So wurde in einem Redebeitrag auf der Kundgebung in Reinickendorf darauf hingewiesen, dass Mietschulden oft entstehen, weil sich Jobcenter weigern, die volle Miete zu übernehmen. Hier ergeben sich für die Bewegung gegen Räumungen Kooperationsmöglichkeiten mit anderen sozialen Bewegungen. In den vergangenen Jahren wehrten sich in verschiedenen Städten Erwerbslose mit »Zahltagaktionen« und der Kampagne »Keine/r muss allein zum Amt« gegen Sanktionen oder Kürzungen durch Jobcenter.

In Zukunft könnten solche Aktionen von Erwerbslosen- und Mieterinitiativen gemeinsam organisiert werden. So könnte nicht nur verhindert werden, dass sich der Widerstand gegen Zwangsumzüge und Wohnungsräumungen in arbeits- und zeitaufwendiger Sozialarbeit erschöpft. Den Zusammenhang zwischen hohen Mieten einer- und niedrigen Einkommen andererseits darzustellen, könnte auch Vereinnahmungsversuche von Politik und Medien erschweren. Der Berliner Kurier hat bereits eine Plakatserie mit dem Motto »Berliner wehren sich« in der ganzen Stadt kleben lassen. Und ausgerechnet die SPD, die am 14. März in Berlin zusammen mit dem »Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung« eine Feier zum zehnjährigen »Geburtstag« der Agenda 2010 veranstaltet, will sich im Wahlkampf als Mieterpartei profilieren. Daran, dass sie selbst an der prekären Lage Schuld trägt, will sie sich lieber nicht erinnern.
http://jungle-world.com/artikel/2013/10/47269.htm
Peter Nowak

Die Mauer muss bleiben


Die große Koalition der Mauerretter in Berlin formiert sich

Wann sind sich in Berlin schon mal autonome Stadtteilkämpfer und die konservative Boulevardpresse einig? Bei der Forderung: „Die Mauer muss bleiben.“ Was wie ein vorgezogener Aprilscherz klingt, ist die Fortschreibung der gegenwärtigen Berliner Protestgeschichte. Ort der Auseinandersetzung ist die East Side Galery eines Freilichtmuseum an einem Mauerstück, die nun wie so vieles in Berlin Investoreninteressen weichen sollen. Allerdings sollen die Mauerstücke nicht, wie viele Mieter in angesagten Stadteilen gleich an die Peripherie verfrachtet, sondern nur einige Meter umgesetzt werden.

„Das Brandenburger Tor wird ja auch nicht abgerissen“

Doch die Betreiber der East-Side-Galery sehen das nicht ein und liefern dafür in ihrer Erklärung eine originelle Begründung:

„Andere Denkmäler, wie beispielsweise das Brandenburger Tor oder die Gedächtniskirche, werden ja auch nicht abgetragen, teilabgerissen oder beschmiert. Bei der East Side Gallery scheint es anders zu sein.“

In der Erklärung der Künstler wird am Rande auch „die Schaffung von Luxuswohnungen“ kritisiert, aber im Grunde geht es ihnen darum, einen zugkräftigen Tourismusmagneten zu erhalten. Was bei der Kulturruine Tacheles am Ende nicht geklappt hat, scheint der East Side Galery zu gelingen. Die Mauerretter haben es zumindest am 1. März geschafft, die Abbrucharbeiten durch Proteste zu stoppen. Am kommenden Montag sollen allerdings die Abbrucharbeiten fortgesetzt werden.

Nun hat eine große Mobilisierung eingesetzt, die von rechten Boulevardmedien über Künstlerinitiativen bis zur stadteilpolitischen Initiative Mediaspree versenken reicht. Die Berliner Grünen, die im Stadtteil Kreuzberg/Friedrichshain den Bürgermeister stellen, aber im Abgeordnetenhaus in der Opposition sind, fordern den Berliner Senat zum Retten der East Side Galery auf.

Die große Empörung vom Boulevard bis zu Stadtteilinitiativen muss misstrauisch machen. Wenn nun der Berliner Kurier von einer neuen Mauer-Schande spricht, weil ein Stück der Berliner Mauer verlegt werden soll, und selbst ein Sprecher der Stadtteilinitiative Mediaspree nicht wie die Aktivisten noch vor zwei Jahrzehnten ein bekennender Anti-Berliner sein will, sondern sich wegen der Mauerverlegung schämt, ein Berliner zu sein, muss man sich fragen, ob es hier überhaupt noch um stadtpolitische Themen geht.

Neues Mauermuseum?

Denn die sind es nicht, die die Wogen in Berlin so hoch schlagen lassen. Vielmehr soll die East Side Galery neben der offiziellen Gedenkstätte zu einem zweiten Mauermuseum in Berlin werden. „Nur ein zusammenhängendes Mauerstück verdeutlicht authentisch, wie brutal der Todesstreifen Berlin einst zerschnitten hat“, erklärt der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner. „Mediaspree versenken“ liegt da in der Argumentation nicht weit daneben, wenn die Forderung aufgestellt wird: „Keine Luxuswohnungen auf dem ehemaligen Todesstreifen.“

Auch der Taz-Kommentator Klaus Hillenbrand nennt die Verschiebung der Mauerstücke einen barbarischen Umgang mit der Geschichte und giftet mit antiamerikanischem Einschlag über „Geschichte à la Disneyland“. Bei soviel sinnfreier Empörung muss man sich fragen, ob da die alte Parole „Die Mauer muss weg“ nicht auch in diesem Fall emanzipatorischer wäre.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153846
Peter Nowak

Keine offenen Türen für Mietervertreter

WOHNEN Mieterbeiräte wollen am Mietspiegel mitwirken – und stoßen auf wenig Gegenliebe

In knapp drei Monaten wird der neue Mietspiegel veröffentlicht, der für jede Berliner Adresse die „ortsübliche Vergleichsmiete“ angibt. ExpertInnen rechnen mit einem Mietanstieg im zweistelligen Prozentbereich gegenüber dem letzten, 2011 erschienenen Mietspiegel. Schon dieser hatte mit einer durchschnittlichen Steigerung um 8 Prozent die Mietpreis-Diskussion vorangetrieben. Nun fordern Lichtenberger Mieterbeiräte mehr Mitspracherechte bei der Erstellung des Mietspiegels.

In der dafür zuständigen „Arbeitsgruppe Mietspiegel“ sind derzeit neben Verbänden der WohnungseigentümerInnen der Mieterverein, die MieterGemeinschaft und der Mieterschutzbund vertreten. Doch die Mieterbeiräte wollen sich nicht repräsentieren lassen. „Wir kennen uns im Wohngebiet am besten aus und wollen gehört werden“, begründet Horst Baer den Vorstoß. Der Vorsitzende des Mieterbeirats im Wohngebiet Frankfurter Allee Süd verweist darauf, dass es in Berlin eine solche Beteiligung gab, die Mitte der 90er Jahre abgeschafft wurde. In München und anderen Städten werde dies bis heute praktiziert.

Auf ein Schreiben, in dem die Mieterbeiräte ihre Vorschläge darlegten, antwortete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, eine Beteiligung einzelner Mieterbeiräte oder -vertreter sei in Berlin nicht vorgesehen. „Bei den als Interessenvertreter der Vermieter bzw. Mieter anerkannten Berliner Verbänden, die in der Arbeitsgruppe Mietspiegel mitarbeiten, wird davon ausgegangen, dass diese nicht nur ihre Klientel bestmöglich vertreten, sondern auch über langjährigen Sachverstand verfügen, der die erforderliche Gesamt-Berliner Sichtweise einschließt“, heißt es in dem Schreiben.

Zwei Preise in einem Haus

Die Beiräte überzeugt das nicht. Baers Kollege Frank Mißbach begründet die Initiative mit konkreten Erfahrungen aus dem Wohngebiet: „Wir wurden stutzig, als der Mietspiegel von 2009 die ersten drei Aufgänge in einem langen Neubaublock als einfache Wohnlage einstufte, die nächsten als bessere Wohnlage und die letzten wieder als einfache. Das hatte unterschiedliche Mietpreise im selben Haus zur Folge.“

Die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Petra Rohland, sagte der taz, Berlin gehe zur Erarbeitung des Mietspiegels einen anderen Weg als München: „Der Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern hat sich seit 20 Jahren bewährt.“ Im Grundsatz ausschließen will sie die Vorschläge der Mieterbeiräte allerdings nicht. Prinzipiell sei eine Mitarbeit möglich, rechtliche Hürden gebe es dafür nicht, so Rohland.

Bei den in der Arbeitsgruppe Mietspiegel vertretenen MieterInnenverbänden ist das Echo auf den Vorschlag der Beiräte geteilt. „Eine Ausweitung des Gremiums halten wir nicht für sinnvoll“, betonte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wildt, gegenüber der taz. Die Interessen der MieterInnen seien durch die drei vertretenen Verbände „ausreichend abgedeckt“. Wildt befürchtet, dass bei einer Ausweitung des Gremiums auch Vermieter eine weitere Präsenz fordern könnten.

Unterstützung finden die Mieterbeiräte dagegen bei Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft: „Wir begrüßen es sehr, wenn MieterInnen direkte Beteiligung einfordern“, so Oellerich. „Eine Konkurrenz zu den Verbänden sehen wir darin nicht.“
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F02%2F28%2Fa0167&cHash=3ecb294569c898f22bb1c72db49316a7
Peter Nowak

Tarsap – der sanfte Sanierer?

Während die Kritik an der Neuköllner Immobilienfirma nicht abreißt, betont das Unternehmen seine soziale Ader

„Liebe potenzielle Käufer, wenn ihr schon die Möglichkeit habt, euch eine Eigentumswohnung zu leisten, seid doch so fair und anständig, eine leere zu kaufen. Hier wohnen bereits Menschen. Bitte nehmt ihnen nicht ihr Zuhause.“ Diese Zeilen waren mehrere Tage im Eingangsbereich der Allerstraße 37 in Neukölln zu lesen. Adressiert waren sie an die zahlreichen Interessenten von Eigentumswohnungen, die in letzter Zeit häufig im Gebäude anzutreffen sind.
„Der Ausverkauf hat begonnen“, kommentiert die Mieterin Katharina Achenbach* die Situation im Haus. Sie hat sich mit anderen Mieter/innen zusammengeschlossen, um mit Unterstützung durch eine Stadtteilinitiative an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch einen Blog haben die Mieter/innen eingerichtet, der über das im Nord-Neuköllner Schillerkiez gelegene Miethaus informiert. Nach dem Tod des früheren Eigentümers kaufte die Immobilienfirma Tarsap GmbH im letzten Jahr das Haus und machte Termine mit den Mieter/innen. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass es bereits bei diesen sogenannten „Kennenlerngesprächen“ um die Vorbereitung von Wohnungsverkäufen gegangen sei, so die Mieterin gegenüber dem MieterEcho. Einige der Wohnungsbesuche seien erfolgt, bevor der neue Eigentümer im Grundbuch eingetragen war. Die Mieter/innen stellten bei einem Besuch beim Grundbuchamt fest, dass die Wohnungen bereits 1998 in Wohneigentum umgewandelt worden waren. Für Altmieter/innen ist eine Wohnungsumwandlung mit drei Jahren Kündigungsschutz ab dem ersten Verkauf verbunden. Allerdings sind die meisten Mieter/innen erst nach der Umwandlung eingezogen und können aufgrund von Eigenbedarf mit der vertraglich vereinbarten, meist dreimonatigen Kündigungsfrist gekündigt werden. Auch die Ergotherapiepraxis im Erdgeschoss musste nach 15 Jahren Mietdauer ihre Räume aufgeben.

Streit um Videokamera

Ein Konflikt zwischen Eigentümer und Mieter/innen entwickelte sich um die anfangs zitierte Ansprache an potenzielle Wohnungskäufer im Eingangsbereich des Hauses. Für den Vertretungsbevollmächtigten der Tarsap, Uwe Andreas Piehler, handelt es sich dabei um einen klaren Fall von Sachbeschädigung. Gegen eine Mieterin sei Anzeige erstattet worden. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Im Mieterblog heißt es dagegen, die Bewohnerin werde beschuldigt, die Urheberin des Graffitos zu sein, weil ein Plakat mit einem ähnlichen Text in ihrer Wohnung hänge. Zudem sei ihr fristlos gekündigt worden und sie habe eine Rechnung von 425 Euro für die Entfernung des Textes bekommen. Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Mieter/innen und der Tarsap war die Installation einer Videokamera im Hauseingang. Sie sei ohne Vorankündigung und ohne die Erlaubnis aller betroffenen Mieter/innen angebracht worden, so die Bewohner/innen. Dagegen behauptet eine Mitarbeiterin der Tarsap, es habe sich um eine Kameraattrappe gehandelt, die nach dem Anbringen der Parolen zur Abschreckung montiert und mit einem Aushang angekündigt worden sei. Piehler betont, dass sein Unternehmen eine soziale Ader habe und verweist auf die Unterstützung von Sportvereinen in Neukölln. Doch nicht alle Bewohner/innen im Kiez sehen die Tarsap in einem solch positiven Licht (siehe auch MieterEcho Nr. 344 / Dezember 2010). In letzter Zeit tauchten in der Nähe des Tarsap-Büros in Neukölln Parolen gegen die Vertreibung von Mieter/innen auf. „Wir müssen damit leben, als die bösen Spekulanten hingestellt zu werden, die wir definitiv nicht sind“, kommentierte Piehler gegenüber MieterEcho solche Aktionen. Er verweist auf Verträge, die denjenigen Mieter/innen, die seit Jahrzehnten in der Allerstraße 37 wohnen und teilweise dort geboren sind, garantieren sollen, dass sie bleiben können. Was Piehler allerdings dabei nicht erwähnt, ist der gesetzlich geregelte Mieterschutz für diese Minderheit der Bewohner/innen, die bereits vor der Umwandlung der Wohnungen im Haus lebten. Auch für die anderen fühle sich seine Firma verantwortlich, meint Piehler. So habe man einem Mieter bei der Wohnungssuche geholfen, ihn zu Ämtern begleitet und sogar bei der Begleichung der Kaution für die neue Wohnung geholfen.
Weitere Infos:
http://allerstr37.wordpress.com
www.nk44.blogsport.com
Peter Nowak

aus: Mieterecho 358
http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2013/me-single/article/tarsap-der-sanfte-sanierer.html

»Migranten sind besonders betroffen«

Mit der Kampagne gegen Zwangsräumungen hat die Mieterbewegung in Berlin neuen Schwung bekommen. Von den steigenden Mieten in den innenstädtischen Bezirken sind Migranten und Migrantinnen besonders häufig betroffen, und auch an den Protesten haben sie einen bedeutenden Anteil. Die Jungle World sprach mit der in Berlin lebenden Soziologin Ceren Türkmen über den Zusammenhang von Armut, Gentrifizierung und Migration.

In Berlin haben die Mieterproteste in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. Wie lässt sich das erklären?

Wenn wir uns die Zahlen angucken, sehen wir, dass zum Beispiel im Berliner Stadtteil Neukölln die Mieten innerhalb der letzten vier Jahre um 34,5 Prozent gestiegen sind. Die Löhne und die Einkommen in Arbeiterhaushalten oder bei prekär Beschäftigten dagegen sinken. Von diesem Widerspruch sind verschiedene soziale Gruppen betroffen, nicht zuletzt Migrantinnen und Migranten mit geringen Einkommen. Durch den Widerstand gegen Zwangsräumungen wird der daraus resultierende Verdrängungsprozess jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Unbekannt dagegen bleiben die vielen Räumungen, die freiwillig verlaufen. Manche Menschen ziehen einfach aus, andere versuchen sich zu arrangieren, indem sie versuchen, mit dem Geld, das nach Abzug der Miete übrig bleibt, irgendwie klarzukommen oder noch mehr zu lohnarbeiten.

Unter den Mieteraktivisten finden sich auffallend viele Menschen, die vor Jahrzehnten als Arbeitsmigranten nach Berlin gekommen sind. Ist diese Gruppe von den Mieterhöhungen besonders betroffen?

In Kreuzberg und Neukölln sind migrantische Menschen in einer besonderen Form von Gentrifizierung und Neuordnungen im Kiez betroffen, weil der Stadterneuerungsprozess nicht nur ein ökonomischer Vorgang ist. Häuser werden nicht nur verkauft, saniert und teurer vermietet, um mit Hilfe neuer Gesetze vermögenden Menschen zu mehr Rendite zu verhelfen. Es kommen bei diesem Prozess der Gentrifizierung auch soziale, kulturelle und ideologische Verhältnisse zur Geltung. Migrantische Familien, die sich dagegen wehren, in die Randbezirke verdrängt zu werden, wissen aus langer Erfahrung, dass sich ihre Situation in Deutschland auch in der Schule, der Stadt und am Arbeitsplatz verschlechtert. Die liberale Illusion der Chancengleichheit und Gerechtigkeit wirkt bei ihnen schon lange nicht mehr. Zudem verfestigt sich in Zeiten von Niedriglohn- und Leiharbeit eine ethnisierte Arbeitsteilung. Hier fallen Klassenunterdrückung und Rassismus zusammen.

Was bedeutet das in der Praxis – mal abgesehen von Mieterhöhungen?

Ich persönlich kenne viele Rentner, die freiwillig in die Türkei zurückkehren, weil sie sich das ­Leben in Deutschland nicht mehr leisten können, obwohl sie lange in den Fabriken geschuftet haben. Das ist eine Art spurenlose Rückkehrpolitik.

Es ist auffällig, dass der Mieterwiderstand vor allem im Stadtteil Kreuzberg gewachsen ist. Ist das rebellische Kreuzberg vielleicht doch kein Mythos?

Das rebellische Kreuzberg als Mythos ist eine Erfindung der Angst und der Begierde des Bürgertums. Heute hat die linke Subkultur diesen Mythos wahrscheinlich selbst verinnerlicht. Pier Paolo Pasolini sagte einmal, die Bourgeoisie liebe es, sich mit ihren eigenen Händen zu strafen.

Die autonome Geschichte des Stadtteils spielt bei dem derzeitigen Widerstand doch aber ­sicher auch eine Rolle, oder?

Ich denke, die autonome Geschichte des Stadtteils muss neu geschrieben werden. Die Mieter­bewegung, die Mietstreiks und der Aufbau der Kieze wären ohne die Bewegung, das Wissen, die Kampfbereitschaft, die Selbstorganisation und die Kämpfe der Migrantinnen und Migranten nicht möglich gewesen. An diese heterogene Geschichte knüpfen die derzeitigen Kämpfe doch an, indem sie auf die positiven Erfahrungen und Gefühle sowie auf das produzierte Wissen zurückgreifen. Es ist allerdings wichtig, nicht nur an die kleinen Erfolge anzuknüpfen, auch die Niederlagen müssen kollektiv verarbeitet werden. Dazu gehört für mich auch die kommunitaristische Identitätspolitik im Kiez – auf allen Seiten.

Sie haben in einem ihrer Texte Kritik an einer Linken geübt, die sich von Klassenverhältnissen und der Welt der Arbeit zugunsten einer Politik der Lebensstile verabschiedet habe. Ist die aktuelle Mieterbewegung nicht ein Indiz dafür, dass das Soziale wieder eine stärkere Rolle in der Linken spielt?

Bei dem Text handelte es sich um eine kritische Auseinandersetzung mit der Identitätspolitik von autonomen und postautonomen Gruppen. Es ging um die Frage, was linke außerparlamen­tarische Gesellschaftspolitik heute eigentlich noch bedeutet.

Zur Organisierung von Mieterprotesten bedarf es notwendigerweise eines Kontaktes zur Nachbarschaft. Neue mythische Subjekte der Revolution lassen sich dort nicht finden, dafür aber die Akteure der aktuellen Mieterbewegung. Ich sehe genau hier Chancen und Möglichkeiten, die soziale Frage neu zu formulieren und für migrantische Menschen, Frauen, Queers und Lohnabhänge wieder zum Thema zu machen.

Die Krise der Klassenanalyse ist nicht überwunden, wir verdrängen sie nur kollektiv, weil sie zu schwierig ist. Wir wissen nicht so recht, wie wir über Klassen nachdenken sollen, ohne in die Haupt- und Nebenwiderspruchsthematik zu verfallen. Doch ohne Klassenanalyse verstehen wir Rassismus oder Gentrifizierung nur partiell, und umgekehrt ist es genauso.

Die hohen Mieten sind ja nur ein Thema, und sie sind auch wegen des boomenden Niedriglohnsektors zu einem Problem geworden. Sehen Sie Ansätze, den Widerstand gegen hohe Mieten mit Kämpfen am Arbeitsplatz oder im Jobcenter zu verbinden?

Ja,immerhin haben bereits in den siebziger Jahren die Kämpfe von Migranten, kritische Linksgewerkschafter und antirassistische Bündnisse zu einer Neuorganisierung der sozialen Bewegungen beigetragen und Themen wie Arbeit und Leben verknüpft. Für eine ähnliche Bewegung heute müssten eine Verbindung von Kämpfen gedacht, neue Konflikte artikuliert und neue Sprachen gefunden werden. In den USA etwa werden Kämpfe gegen Abschiebungen in einen engen Zusammenhang mit Kämpfen für Arbeitsrechte gestellt. So etwas ist ja prinzipiell auch hier denkbar. Der Niedriglohnsektor hierzulande betrifft vor allem Migrantinnen und Migranten, Frauen sowie geringqualifizierte Männer, und steigende Mieten treffen wiederum vor allem arme Menschen. Da erscheint eine Verbindung dieser Themen sehr dringlich. Ali Gülbol hat es selbst nach der Zwangsräumung gesagt: »Der Kampf beginnt erst jetzt.«

http://jungle-world.com/artikel/2013/08/47181.html
Interview: Peter Nowak

Widerstand gegen Legalisierung der Videoüberwachung in Berlin wächst

Kritiker fürchten, dass mit der Videoüberwachung von Demonstrationen die Versammlungsfreiheit in Gefahr gerät

Da in Berlin fast täglich Demonstrationen stattfinden, kann es auf den ersten Blick erstaunen, dass sich ausgerechnet dort kürzlich ein „Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit“ gegründet hat.

Neben Einzelpersonen arbeiten dort Vertreter der drei Oppositionsparteien Linke, Piraten und Grüne im Abgeordnetenhaus, die Dienstleistungsgewerkschaft verdi und zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen vor allem aus dem Datenschutzbereich mit. Den Initiatoren geht es um Datenschutz auch auf Demonstrationen.

Der Protest des Bündnisses richtet sich gegen eine Gesetzesvorlage der in Berlin regierenden Koalition aus SPD und CDU, die den Titel trägt: „Gesetz zu Übersichtaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Demonstrationen und Aufzügen. Hintergrund dieser Gesetzesvorlage, über die demnächst entschieden werden soll, ist ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes von 2010. Danach erfolgt die Verwendung von Videoaufnahmen der Polizei ohne Rechtsgrundlage und ist daher rechtswidrig. Mit der Gesetzesvorlage wollen nun die Regierungsparteien eine solche Rechtsgrundlage schaffen und die Praxis der Videoaufnahmen legalisieren. Der Verzicht auf diese Maßnahme sei „wegen der Bedeutung des Instrumentariums für eine erfolgreiche Einsatzbewältigung nicht hinnehmbar“, heißt es zur Begründung.

Werden Demonstranten abgeschreckt?

Die Kritiker monieren hingegen, dass es dem Senat bei dem Gesetz weniger um Übersichtsaufnahmen als um die konkrete Bespitzelung von Versammlungsteilnehmern geht. Schließlich werde in der Gesetzesvorlage von einem Kamera-Wagen gesprochen, aus dem keine Übersichtsaufnahmen angefertigt können. Die Berliner Polizei habe solche Aufnahmen bereits in der Vergangenheit ohne gesetzliche Grundlage angefertigt.

Das Bündnis verweist auf den Abschreckungswirkung für potentielle Versammlungsteilnehmer durch die Videoüberwachung und beruft sich dabei auf das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts:

„Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.“

Daher sieht das Bündnis die Versammlungsfreiheit in Gefahr, sollten die Pläne der Berliner Regierungskoalition in Kraft treten. Die will eine schnelle Entscheidung herbeiführen, sodass bereits in wenigen Monaten in Berlin Versammlungen wieder mit einer Rechtsgrundlage von der Polizei gefilmt werden könnten. Ob die aber Bestand hat, dürfte wieder eine Frage der Justiz sein. Das Bündnis hat schon weitere Klagen angekündigt, sollte die Landesregierung nicht doch noch der erstarken Protestbewegung nachgeben und ihre Pläne auf Eis legen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153757
Peter Nowak

BP-Konzern sponsort Protestforscher

Das Institut für Demokratieforschung an der Göttinger Universität ist eine wichtige Institution, wenn es um die wissenschaftliche Protestforschung in Deutschland geht. Nachdem kürzlich bekannt wurde, dass der Energiekonzern BP eine Studie des Instituts zu aktuellen Bürgerprotesten in Auftrag gegeben hat, ist die Einrichtung allerdings in die Kritik geraten. Institutsleiter Franz Walter warnt vor einer Verdachtskultur und betont, dass die Forschungsergebnisse nicht von BP beeinflusst gewesen seien. Freilich hat diesen Vorwurf auch niemand erhoben. Die NGO LobbyControl monierte allerdings, dass die teilnehmenden Protestgruppen nicht von Anfang an über den Auftraggeber der Studie informiert gewesen seien. Zudem dürfte das Interesse von BP an einer Studie über Umweltbewegungen nicht nur theoretischer Natur gewesen sein. Der Kontakt zwischen BP und dem Institut lief über das kmw outrage Management, das es sich laut Selbstdarstellung zur Aufgabe macht, Krisen und Risiken für das Unternehmen im Vorfeld zu erkennen und zu minimieren. Bürgerinitiativen, die gegen Projekte des Konzerns protestieren, gehören zu diesen Risiken.

Das Göttinger Demokratieindustrie hat die neueren Protestbewegungen unter den Oberbegriff Wutbürger gefasst und das Bild von nörgelnden egoistischen Rentnern gezeichnet, die die Forderung nach direkter Demokratie oft nur aus taktischen Gründen verwendet würden. Nun soll nicht behauptet werden, dass ein solches Bild von den Protestgruppen, das dem Auftraggeber BP gefallen wird, durch direkte Einflussnahme des Konzerns zustande gekommen ist. Eine direkte Einflussnahme ist auch gar nicht nötig, wenn Forscher wissen, wer ihre Studie bezahlt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/812963.bp-konzern-sponsort-protestforscher.html
Peter Nowak