EIN INTERVIEWBAND MIT DER LEBENSGESCHICHTE DER SCHWESTERN HILDE UND ROSE BERGER
Die Inschrift auf dem Stolperstein vor dem Hauseingang der Mariannenstraße 34 in Kreuzberg ist stark abgenutzt. Erinnert wird an Nathan Berger, der in dem Haus eine Schneiderei betrieb und dort mit seiner Familie wohnte. Die Nazis vertrieben die Bergers 1939 nach Polen. Nathan Berger, seine Frau Sara, Tochter Regine und Sohn Hans wurden von den Nazis ermordet. Nur die Töchter Hilde und Rose überlebten das NS-Regime und emigrierten nach 1945 in die USA.
Nun hat der Gießener Psychosozial-Verlag einen Interviewband mit der Lebensgeschichte der mittlerweile verstorbenen Hilde und Rose Berger veröffentlicht. Der Band enthält mehrere Interviews, die die Geschwister zwischen 1978 und 1997 in den USA gaben, sowie einen von Hilde Berger 1980 verfassten Bericht über ihr Leben in Berlin.
Schon früh befanden sich die Geschwister in Opposition zum streng religiösen Vater und zum deutschnationalen Klima an ihrer Schule. Zunächst engagierten sie sich in einer zionistischen Jugendorganisation. Dann wurden Rose, Hilde und Hans Mitglieder der Kommunistischen Jugendorganisation, gerieten aber in Opposition zu deren autoritären Organisationsstrukturen.
Nach ihrem Ausschluss aus der KP-Jugend engagierten sich die drei Geschwister mit FreundInnen in einer trotzkistischen Organisation und bauten nach 1933 deren illegale Organisationsstrukturen in Berlin auf. Hans Berger wurde 1936 verhaftet und nach der Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe in Auschwitz ermordet. Regina Berger konnte nach Frankreich fliehen und überlebte die deutsche Besatzung in der Illegalität.
Ihre Schwester musste im KZ Plaszow als Schreibkraft Oskar Schindlers berühmt gewordene Liste abtippen und konnte sich und einigen FreundInnen das Leben retten. Als die Rote Armee näher rückte, bekam sie eine Unterhaltung von SS-Männern mit, nach der die dort aufgelisteten Gefangenen in den tschechoslowakischen Ort Brünnlitz gebracht werden sollten. „Mir wurde klar, dass dieser Brünnlitz-Transport bessere Überlebenschancen hatte als die anderen Transporte. Deshalb trug ich mich und einige Freunde auf diese Transportliste ein“, erinnert sich Hilde Berger.
Die Homepage der Kulturabteilung der iranischen Botschaft bewirbt eine Veranstaltung mit dem Titel „Palästina – Frieden auf Basis von Gerechtigkeit“ am 16. August in der Urania. Doch sie wird dort nicht stattfinden: Urania-Direktor Ulrich Bleyer hat sie im Rahmen seines Sonderkündigungsrechts abgesagt. Als Begründung verweist er auf das Programm und die ReferentInnenliste. „Danach ist davon auszugehen, dass gegen die Urania-Ziele der Völkerverständigung verstoßen wird, weil das Existenzrecht Israels infrage gestellt oder Terror gegen Israel als Widerstand gegen eine Besatzungsmacht legitimiert wird“, erklärte Bleyer.
Zufrieden mit der Ausladung zeigte sich Michael Spaney von der Initiative Stop the Bomb, die seit Jahren gegen die Verharmlosung der Politik des iranischen Regimes kämpft. Im Vorfeld der Veranstaltung hatte die Initiative in einem offenen Brief die Absage gefordert.
Die Kulturabteilung der Botschaft bemühe sich, durch solche Veranstaltungen Zugang zu Universitäten oder Bildungseinrichtungen zu bekommen, begründet Spaney den Protest. „Auf den ersten Blick erscheinen einige Veranstaltungstitel harmlos, letztendlich geht es jedoch immer darum, Akzeptanz für die islamistische, antisemitische und frauenfeindliche Diktatur zu schaffen“, so Spaney zur taz. Zudem verdeutliche die Todesfatwa gegen Salman Rushdie von 1989 und den in Deutschland lebenden Musiker Shahin Najafi von 2012 das Kulturverständnis des iranischen Regimes.
„Es gibt bestimmte Kreise, die eine künstliche Islamophobie und Iranophobie entstehen lassen“, erklärte der Kulturrat der iranischen Botschaft, Mahdi Imanipour, gegenüber der taz. Ein Ausweichort werde noch gesucht.
Auschwitz, Treblinka, Sobibor, die Namen dieser deutschen Vernichtungslager im von der Wehrmacht besetzten Polen sind in einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Das 40 Kilometer südlich von Zamoscz errichtete Vernichtungslager Belzec hingegen war lange Zeit weitgehend vergessen. Dabei sind dort zwischen Februar und Dezember bis zu einer halben Million Juden sowie Sinti undm Roma ermordet worden. Danach wurde das Lager aufgelöst und die Täter pflanzten Pflanzen und Gras über der Todesstätte. Jetzt hat Berliner Metropol-Verlag die erste deutschsprachige Untersuchung zu Belzec herausgegeben. Autor ist der polnische Historiker Robert Kuwalek, der Mitarbeiter des Staatlichen Museums Majdanek in Lublin ist und von 2004 bis 2009 die Gedenkstätte Belzec leitete.
Kuwalek versteht es in seinem Buch detaillierte Informationen so darzustellen, dass sie auch für historische Laien gut nachvollziehbar sind. In den ersten beiden Kapiteln fasst der aktuellen Forschungsstand zu den Entscheidungsprozessen unter den NS-Eliten zusammen, die zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung führte. Dabei weist er nach, dass die als T4-Aktion bekannten Morde an als Geisteskrank erklärten Menschen der Probelauf für die Shoah war.
Anders als die anderen Vernichtungslager lag Belzec nicht abseits im Wald sondern an einer zentralen Bahnlinie. Daher widmete sich Kuwalek ausführlich der Frage, was darüber bekannt war. Die Bewohner der Umgebung waren über die Massenmorde informiert. Dafür sorgte schon der süßliche Geruch über dem Areal. Kuwalek zitiert auch aus Berichten von Zugpassagieren, die damals aufgefordert wurden, die Fenster in ihren Abteilen zu schließen. Es gab allerdings vor allem unter den NS-Chargen auch einen Holocaust-Tourismus. Sie berichten darüber auch ihren Familien. Nach 1945 wollten natürlich alle nichts gewusst haben. Auch bei den aus ganz Polen und der heutigen Ukraine nach Belzec deportierten Juden sprach sich bald rum, dass es sich dabei nicht um eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Osten handelte, wie die NS-Propaganda den Opfern anfangs vorgaukelte. Später verzichteten sie auf diese Camouflage. In mehreren dokumentierten Berichten wird die Brutalität deutlich, mit denen die deutschen Täter und ihre ukrainischen Helfer schon beim Transport mit den Juden umgingen. Ein großer Teil war schon tot, als sie in Belzec ankamen.
Sehr kritisch geht Kuwalek auch mit polnischen Geschichtsmythen in Polen um. So widerlegt er Berichte über Tausende in Belzec umgekommenen Polen. Zudem hätten Bewohner der umliegenden Dörfer noch bis Ende der 40 Jahre auf der Suche nach Wertgegenständen die Leichen ausgegraben. Mit Chaim Hirszman ist einer der wenigen Überlebenden von Belzec am 19. März 1946 von rechten Untergrundgruppen, die gegen die entstehende Volksrepublik Polen kämpften, in seiner Wohnung ermordet wurden. Wenige Stunden zuvor hatte er vor einer historischen Kommission über seine Erlebnisse in Belzec berichtet. Hirszman war schon in den 30er Jahren in der sozialistischen Jugendbewegung aktiv. Ein eigenes Kapitel widmet Kuwalek dem christlichen SS-Mann Kurt Gerstein, der nach einen Besuch in Belzec über die Zustände so erschüttert war, dass er Diplomaten informierte, um die Weltöffentlichkeit wachzurütteln. Vergeblich, Gerstein starb in französischer Haft, wo er mit NS-Tätern in eine Zelle gesperrt war. Die für die Morde in Belzec Verantwortlichen hingegen wurden bis auf ganz wenige Ausnahmen nie bestraft.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/815526.eine-halbe-million.html
Peter Nowak
Robert Kuwalek, Das Vernichtungslager Belzec, Aus dem Polnischen übersetzt von Steffen Hänschen, Metropol Verlag, Berlin, 2012, SBN: 978-3-86331-089-0, 392 Seiten, 24,– Euro
Eine Trilogie erinnert an die braune Zeit in Berlin – ein Beitrag zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ mit dem 2013 an mehrere Jahrestage des Nazi-Terrors erinnert wird.
„Wer die Vergangenheit verstehen will, muss die zeitgenössischen Quellen im Original lesen. Nur so lässt sich direkt nachvollziehen, wie die Situation im jeweiligen Moment einer Entscheidung wahrnehmbar war, wie die Beteiligten die Situation subjektiv verstanden und mitgestalteten.“ Diese Sätze schrieb der Historiker Sven Felix Kellerhoff in der Einleitung des im Berlin Story Verlag erschienen Dokumentenbands „Das braune Berlin“.
Der Freitag-Herausgeber und Journalist wird vom Simon-Wiesenthal-Center unter den Top Ten „Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs“ geführt
Jakob Augstein hat einen Karrieresprung hinter sich, auf den er wohl gerne verzichtet hätte. Er wurde vom Simon-Wiesenthal-Center vor einigen Tagen auf Platz 9 der 2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs – was mit „antiisraelischen Beschimpfungen“ übersetzt werden kann – gesetzt. Augstein teilt diese zweifelhafte Auszeichnung mit der in Ägypten aktuell herrschenden Regierungspartei, dem iranischen Regime, rechten Fußballfans und Politikern faschistischer Parteien aus Ungarn, der Ukraine und Griechenland.
Als Begründung für Augsteins Aufnahme in die antisemitische Top Ten führt das Simon-Wiesenthal-Zentrum mehrere Kolumnen auf SpiegelOnline an, in denen sich der Journalist mit Israel befasst. Besonders nachdem Günther Grass mit seinem antiisraelischen Gedicht „Was gesagt werden muss“ für Aufsehen gesorgt hatte, bekam er von Augstein glühende Unterstützung. Der Kolumnist verschärfte die Israelkritik des Schriftstellers sogar noch:
„Es ist dieser eine Satz, hinter den wir künftig nicht mehr zurückkommen: ‚Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.‘ Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist. Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen. Ein überfälliges Gespräch hat begonnen.“
Die Simon-Wiesenthal-Stiftung hat darüber hinaus noch die folgende Passage aus Augsteins Kolumne als Begründung für die „Auszeichnung“ des Journalisten angeführt:
„Mit der ganzen Rückendeckung aus den USA, wo ein Präsident sich vor den Wahlen immer noch die Unterstützung der jüdischen Lobbygruppen sichern muss, und aus Deutschland, wo Geschichtsbewältigung inzwischen eine militärische Komponente hat, führt die Regierung Netanjahu die ganze Welt am Gängelband eines anschwellenden Kriegsgesangs.“
Alles nur Diffamierung?
Die Reaktion darauf beschränkt Augstein auf eine knappe Erklärung auf seiner Facebook-Seite:
„Das SWC ist eine wichtige, international anerkannte Einrichtung. Für die Auseinandersetzung mit dem und den Kampf gegen den Antisemitismus hat das SWC meinen ganzen Respekt. Umso betrüblicher ist es, wenn dieser Kampf geschwächt wird. Das ist zwangsläufig der Fall, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert wird.“
Damit wiederholt Augstein nur etwas diplomatischer, was er bereits im Zusammenhang mit der Debatte um die Adorno-Preisverleihung an Judith Butler auf SpiegelOnline in einer Kolumne geschrieben hat. Der Beitrag liest sich schon deshalb wie eine Vorwegverteidigung in eigener Sache, weil Augstein darauf verweist, via Facebook als Antisemit bezeichnet worden zu sein.
„Jeder Kritiker Israels muss damit rechnen, als Antisemit beschimpft zu werden. Das ist ein gefährlicher Missbrauch des Begriffs. Im Schatten solch falscher Debatten blüht der echte Antisemitismus“, so Augsteins Vorwurf in dem Beitrag, in dem er den Freunden Israels vorwirft, mit dem Antisemitismusvorwurf vor allem politische Interessen zu verfolgen. Nun ist man gerade in Deutschland schnell mit der Denunzierung von Interessenvertretungen bei der Hand. Da werden immer hehre Werte vorgeschoben, die sich angeblich nicht damit in Übereinstimmung bringen lassen.
Kein Zweifel, viele derjenigen, die Augstein Antisemitismus vorwerfen, werden das Interesse haben, das Land Israel, manche auch die gegenwärtige Regierung, zu verteidigen. Dagegen kann man polemisieren und argumentieren, aber dieses Interesse sollte anerkannt und nicht per se denunziert werden. Gleichzeitig müsste auch die Frage gestellt werden, ob Augstein mit seiner Israelkritik nicht auch selbst Interessen verfolgt. Schließlich sollte man sich auch die Mühe machen, die Begründungen des Simon-Wiesenthal-Zentrums für die Aufnahme in die Top Ten nachzuvollziehen.
Regressive Israelkritik
Tatsächlich muss die ganze Argumentation Augsteins in seiner Grass-Verteidigung verwundern. Schließlich ist der Schriftsteller vielleicht der bekannteste, aber bei weiten nicht der erste Deutsche mit der Mitgliedschaft in einer NS-Organisation, der sich besonders für befähigt hält, Israel zu kritisieren. Zudem kann man an vielen Passagen in Augsteins Beitrag deutlich machen, wie eine Kritik an der israelischen Regierung, die so legitim ist wie die Kritik an jeder anderen Regierung dieser Welt, umschlägt in eine regressive Israelkritik, deren Abgrenzung zu antisemitischen Bildern oft sehr dünn ist.
Wenn Augstein schreibt, dass die israelische Regierung die ganze Welt am Gängelband führt, müsste ihm bewusst sein, dass man daraus das Bild von der jüdischen Weltgefahr herauslesen kann. Wenn er dann auch noch von „jüdischen Lobbygruppen“ in den USA spricht, die angeblich dafür verantwortlich sind, dass die USA so fest auf Seiten Israels steht, bedient er ebensolche Klischees.
Natürlich gibt es israelische Lobbygruppen in den USA, die aber längst nicht alle jüdisch sind. Dafür kritisieren viele jüdische Organisationen die gegenwärtige israelische Politik. Auch wenn Augstein den Gazastreifen als ein Lager bezeichnet, in dem Israel „seine Gegner ausbrütet“, eine Wortwahl, die das Simon-Wiesenthal-Center moniert, unterschlägt er vollständig die Rolle der islamistischen Gruppen wie der Hamas, die den Gazastreifen beherrschen. Die palästinensischen Bewohner werden allein als Opfer der israelischen Politik betrachtet.
Es ist in den letzten Jahrzehnten einiges publiziert worden über den Unterschied zwischen der Kritik an der israelischen Regierungspolitik und antiisraelischen Ressentiments. Die bisherigen Beiträge von Augstein und seiner Unterstützer lassen nicht erkennen, dass sich der Publizist und seine Verteidiger die Mühe gemacht haben, sich damit auseinander zu setzen.
Vielleicht wäre eine solche Debatte einfacher, wenn auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum mehr differenzieren würde. Denn in eine Reihe mit dem iranischen Regime sowie europäischen Faschisten gehört Augstein nun wirklich nicht. Warum führt das Simon-Wiesenthal-Zentrum nicht eine eigene Liste ein, auf der ausschließlich regressive Israelkritik bewertet wird? Die kann ja durchaus von offen antisemitischen Positionen unterschieden werden, wie sie bei mehreren der Organisationen und Personen zu finden ist, die mit Augstein auf der Liste stehen. Damit würde das SWZ auch einen wichtigen Beitrag für eine solche Debatte leisten und es den Kritikern schwerer machen.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153463
Peter Nowak
—————————— Replik auf diesen Artikel in der jungen Welt
http://www.jungewelt.de/2013/01-05/003.php
Der Schwarze Kanal: Schleichende Aggression
Von Werner Pirker
Das von den Zionisten und ihren Claqueuren angestimmte Antisemitismusgeschrei sprengt alle Maßstäbe der Vernunft und des Anstandes. So hat das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) den Freitag-Herausgeber und Spiegel-Kolumnisten Jakob Augstein unter den „2012 Top Ten Antisemitic/Anti Israel Slurs“ an neunter Stelle gereiht. Israel-Kritik mit Antisemitismus gleichzusetzen und damit eigentlich zu kriminalisieren, ist eine unter den (falschen) Freunden Israels bereits bestens eingespielte Verleumdungsmethode. Obwohl es dann immer wieder heißt, daß Kritik an Israel natürlich gestattet sei und nirgendwo mehr Kritik an der israelischen Politik geübt werde als in Israel selbst. Zum Beispiel, wenn ein Angriffskrieg nicht so erfolgreich verlaufen ist, wie man sich das vorgestellt hatte.
Augstein hat die Politik der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung kritisiert. Nicht Israel und auch nicht den Zionismus. Das SWC wirft ihm unter anderem vor, Günter Grass, der mit seinem Israel-Gedicht ein mediales Beben ausgelöst hatte, verteidigt zu haben. Und nachdem Grass, dessen Kritik sich ausschließlich auf die friedensgefährdende Politik der Netanjahu-Regierung bezog, von der veröffentlichten Meinung in Israel und Deutschland des »Antisemitismus« überführt war, meinen Wiesenthals Erben nun auch Augsteins Parteinahme für den Dichter als »antisemitisch« verurteilen zu dürfen.
Das wollte das Gros der deutschen Journalistenschar so nicht nachvollziehen. Mit wenigen Ausnahmen, darunter ein gewisser Peter Nowak. »Einer muß der Nowak sein«, lautet ein Wiener Sprichwort. Der Mitarbeiter halblinker und pseudolinker Zeitungen, darunter Neues Deutschland, taz und Freitag, stellt im Internet-Portal Telepolis die Frage »Alles nur Diffamierung?« Und bemüht sich, diese »objektiv« zu beantworten. Die offene Auseinandersetzung ist Nowaks Sache aber nicht. Er schleicht sich lieber von hinten ran.
Der Telepolis-Autor stößt sich nicht nur daran, daß Grass von Augstein »glühende Unterstützung« erhielt. »Der Kolumnist verschärfte die Israel-Kritik sogar noch«, empört er sich. Wo die Grenzen der Israel-Kritik zu liegen haben, bestimmen Leute wie Henryk M. Broder – vom SWC als weltweit anerkannter Antisemitismusexperte gewürdigt – und dessen rechtsextreme und antideutsche (sofern es da überhaupt noch einen Unterschied macht) Kohorten. Und natürlich auch der Herr Nowak. Verschärfte Israel-Kritik gerät bei ihm zum Straftatbestand. Zur Erklärung des Kolumnisten: »Umso betrüblicher ist es, wenn dieser Kampf (gegen den Antisemitismus; W. P.) geschwächt wird. Das ist zwangsläufig der Fall, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert wird«, weiß Nowak, daß dieser Ähnliches schon bei der Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler gesagt habe. »Der Beitrag liest sich schon deshalb wie eine Vorwegverteidigung in eigener Sache, weil Augstein darauf verweist, via Facebook als Antisemit bezeichnet worden zu sein.«
Damit begibt sich Peter Nowak auf eine ganz perfide Argumentationsschiene. Zwar sieht sich Kritik an Israel, ja sogar Kritik an der aktuellen Politik der rechtsextremen Regierungskoalition sofort des Antisemitismusverdachtes ausgesetzt. Diese Tatsache zu benennen gilt aber als besonders schwerer Fall von Antisemitismus. So wie das auch Grass ergangen ist, der sich in seiner Befürchtung dann voll bestätigt sah. Und wie das Nowak gegenüber Augstein handhabt. Dessen Bemerkung, daß mit dem Antisemitismusvorwurf politische Ziele verfolgt werden, stellt sich für ihn selbstredend als antisemitische Verschwörungstheorie dar. Obwohl es offenkundig ist, daß der Antisemitismusvorwurf politisch dazu instrumentalisiert wird, alle Vorwürfe gegen Israel niederzubügeln und er sich auch selbst dieser Methode bedient.
Bei Augstein könne man beobachten, schreibt der Autor, wie »legitime Kritik an der israelischen Regierung« in »regressive Israelkritik« umschlage. Als Beispiel führt er an: »Wenn Augstein schreibt, daß die israelische Regierung die ganze Welt am Gängelband führt, müßte ihm bewußt sein, daß man daraus das Bild von der jüdischen Weltgefahr herauslesen kann.« Die antisemitischen Klischees, die die Nowaks beklagen, sind ihre eigenen. Tatsache ist, daß die Netanjahu/Lieberman-Regierung sogar die vom Westen favorisierte Zweistaatenlösung mittlerweile unmöglich gemacht hat. Und daß der Westen trotzdem seinem wichtigsten Vorposten in Nahost die Treue hält. Ebenso unbeirrbar wirft Nowak den Gegnern dieser Politik vor, zwischen Kritik an der israelischen Regierung und »antiisraelischem Ressentiment« nicht unterscheiden zu können. Doch der das nicht kann, ist er selbst.
Offiziell wird dies mit Gehorsamsverweigerung begründet, ein Zusammenhang mit dem anstehenden Gerichtsverfahren gegen Williamson wegen Holocaustleugnung ist aber nicht zu übersehen
„S.E.Bischof Richard Williamson hat sich seit mehreren Jahren von der Führung und Leitung der Priesterbruderschaft entfernt und sich geweigert, den Respekt und den Gehorsam zu bezeigen, den er seinen rechtmäßigen Oberen schuldet. Deshalb wurde er durch eine Entscheidung des Generaloberen und seines Rates am 4. Oktober 2012 als von der Bruderschaft ausgeschlossen erklärt.“
Mit diesen dürren Sätzen wurde auf der Webseite der rechtskonservativen Piusbruderschaft eine Personalentscheidung bekanntgegeben, die über das rechtskatholische Milieu hinaus von Interesse ist. Denn Richard Williamson hat dafür gesorgt, dass sich die christdemokratische Bundeskanzlerin kritisch zu einer Entscheidung des Papstes äußerte und dafür bei ihrer Parteibasis auf Unverständnis stieß.
Schließlich hat Williamson in einem TV-Interview den massenhaften Mord der Nazis an den Juden bestritten. Wörtlich sagte er damals (aus dem Englischen übersetzt):
„Ich glaube, dass die historischen Beweise gewaltig dagegen sprechen, dass sechs Millionen Juden vorsätzlich in Gaskammern vergast wurden als vorsätzliche Strategie Adolf Hitlers. (…) Ich glaube, es gab keine Gaskammern.“
Da der Papst erst kurz vor Bekanntwerden dieses Interviews die kircheninterne Aufhebung der Exkommunion des Bischofs verfügt hat, geriet auch er schnell in die Kritik – auch von Merkel. Zumal Williamson schon vor dem Interview aus seinem Holocaustrevisionismus kein Hehl gemacht hatte.
Ein neuer Gerichtstermin
Aber erst das Interview hatte für ihn Konsequenzen. Er musste Argentinien im Ende Februar 2009 verlassen, um einer Ausweisung zuvorzukommen (Argentinien wirft Bischof Williamson raus). Wegen Volksverhetzung muss er sich im kommenden Jahr erneut vor dem Regensburger Amtsgericht verantworten.
Eine erste Verurteilung des Bischofs hatte das Oberlandesgericht Nürnberg im Februar wegen Verfahrensmängeln aufgehoben. Daraufhin hatte die Staatsanwaltschaft einen überarbeiteten Strafbefehl von maximal 6.500 Euro erlassen.
Williamson hat sich störrisch gezeigt und wollte selbst aus taktischen Gründen keine Fehler zugeben. Das dürfte auch der Grund sein, dass sich die Piusbruderschaft jetzt von ihrem langjährigen Mitglied trennt. Schließlich würde sie bei dem neu aufgerollten Verfahren erneut im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Ihr Bemühen, im rechtskonservativen Milieu wieder aktiv mitzuwirken, würde damit untergraben.
Katholischer Antisemitismus
In diesem Kreisen wird durchaus weiter ein katholischer Antisemitismus praktiziert, in dem die Juden als Jesusmörder diffamiert werden – bei der Beurteilung der Shoah hält man sich aber öffentlich lieber zurück. Weil Williamson sich nicht daran gehalten hat, wird er nun genau wegen Gehorsamsverweigerung ausgeschlossen.
So umschifft man auch den für die Piusbruderschaft heiklen Punkt, zur Holocaustleugnung Stellung nehmen zu müssen, ohne die teilweise nach rechtsaußen weit offenen Mitglieder zu verprellen. Da in diesen Kreisen Autorität und Gehorsam zentrale Werte sind, wenn es um die eigene Organisation geht – der Papstkirche gegenüber hat man das ja bekanntlich anders praktiziert -, ist die Ausschlussbegründung so verfasst, dass sie in diesen Kreisen konsensfähig ist.
Lebhaft wird auf der rechtskatholischen Webseite Kreuz.net, das wegen seiner homophoben Einstellung erst kürzlich massiv in die Kritik geriet (15.000 Euro für Enttarnung der „Katholiban), über Williamsons Ausschluss debattiert. Zahlreiche Postings verbreiten wiederum antisemitische Klischees. Daher ist es fraglich, ob es der Piuskirche gelingt, mit dem Ausschluss von Williamson einer Debatte über ihre eigene Position zu entgehen.
Über die Positionen der postfeministischen Philosophin zu Israel und den Nahostkonflikt sollte diskutiert werden, nicht aber über ihre Eignung für den Adorno-Preis
Die politische Theoretikerin und Philosophin Judith Butler hat vor mehr als einem Jahrzehnt mit ihren Thesen zur Dekonstruktion der Geschlechter für viel Aufmerksamkeit gesorgt. In den letzten Jahren macht Butler mehr politische Schlagzeilen. Im vorletzten Jahr schlug sie einen Preis des Berliner CSD aus und kritisierte bei den Veranstaltern des schwullesbischen Festes verschiedene Formen von Rassismen.
Jetzt geht es um einen Preis mit einer ganz anderen Bedeutung. Der Philosophin soll in Frankfurt/Main der Adorno-Preis verliehen werden, der alle 3 Jahre an Personen gehen soll, die in der Tradition der Kritischen Theorie stehen, die der Namensgeber wesentlich begründet hat. In der Jerusalem Post heißt es, mit Butler werde eine Befürworterin des Israel-Boykotts und eine Unterstützerin der islamistischen Organisationen Hamas und Hisbollah ausgezeichnet. In einem Interview mit der Jungle World hat Butler letzterem Vorwurf schon 2010 klar widersprochen und klargestellt, dass ihre Aussagen bei einer Veranstaltung zum Krieg zwischen Israel und Libanon in Berkeley falsch interpretiert worden seien:
„Als Antwort auf eine Frage aus dem Auditorium habe ich gesagt, dass – deskriptiv gesehen – diese Bewegungen in der Linken zu verorten sind, doch wie bei jeder Bewegung muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er sie unterstützt oder nicht. Ich habe keine der genannten Bewegungen jemals unterstützt, und mein eigenes Engagement gegen Gewalt macht es unmöglich, das zu tun.“
Nun wäre auch zu fragen, warum Butler die Islamisten deskriptiv der Linken zuordnet und ob sie damit eine positive Bewertung oder vielleicht eine Kritik an der Linken impliziert. Eine politische Unterstützung zumindest will sie damit nicht verbunden wissen, allerdings begründet sie das nicht mit dem reaktionären Programm der Islamisten, sondern mit deren Gewaltbereitschaft. Den Vorwurf, einen Israel-Boykott zumindest teilweise zu unterstützen, räumt Butler ein, wehrt sich aber entschieden dagegen, hierin Antisemitismus zu sehen.
In einer in der Zeit veröffentlichten Replik auf ihre Kritiker schreibt sie:
„Es ist falsch, absurd und schmerzlich, wenn irgendjemand behauptet, dass diejenigen, die Kritik am israelischen Staat üben, antisemitisch oder, falls jüdisch, voller Selbsthass seien. … Ich bin eine Wissenschaftlerin, die durch das jüdische Denken zur Philosophie gekommen ist, und ich verstehe mich als jemand, der eine jüdische ethische Tradition verteidigt und diese im Sinne von beispielsweise Martin Buber und Hannah Arendt fortführt.“
Zwei unterschiedliche Lesarten des Judentums
Den entscheidenden Hinweis zu ihrem Verständnis des Judentums liefert sie mit diesen Satz: „Während meiner Einweisung ins Judentum habe ich auf Schritt und Tritt gelernt, dass es nicht hinnehmbar ist, im Angesicht von Ungerechtigkeiten zu schweigen.“ Dieses Credo prägt viele der Jüdinnen und Juden, die aktuell die israelische Politik im Umgang mit den Arabern im Land und den besetzten Gebieten kritisieren. Für sie heißt die Konsequenz aus den antisemitischen Verfolgungen, die in der Shoah kulminierten, alles zu tun, damit nie mehr Menschen diskriminiert werden.
Etwas anders lautet die Schlussfolgerung der Gründer und Politiker des Staates Israel. Für sie ist die Konsequenz aus antisemitischer Verfolgung und Vernichtung, alles zu tun, damit Jüdinnen und Juden nie wieder schwach sind. Sie argumentieren mit der Geschichte nach der Gründung Israels, den Überfall der arabischen Staaten auf das Land, die teilweise kritiklose Übernahme antisemitischer Verschwörungstheorien in arabischen Medien, schließlich das Aufkommen des Dschihadismus, was den israelischen Politikern keine andere Wahl lassen würde, als Stärke zu zeigen.
Die Debatte wird seit Jahren mit großer Heftigkeit geführt und beide Seiten haben wichtige Argumente. Nur ist Butler keine Politikern, sondern eine Intellektuelle, die mit einem Preis ausgezeichnet werden soll, der den Namen eines Mannes trägt, der für eine entschiedene Kritik an der Herrschaft steht. Daher ist die Aufregung nicht zu verstehen. Man kann ihr den Adorno-Preis verleihen und trotzdem über ihre Positionen in der Sache hart streiten.
In diesem Sinne hat der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, der seine Einsprüche gegen alle Formen der regressiven Israel-Kritik, auch unter linksdeutschen Vorzeichen, mit einem Plädoyer für eine innerjüdische Kontroverse auch über den Zionismus kombiniert, bereits vor einigen Wochen zum neuen Streit um Butler und den Adorno-Preis alles Notwendige geschrieben. Nachdem er Butler in Bezug auf manche ihrer Positionen zum Nahostkonflikt bestenfalls Naivität bescheinigte, kommt er in Hinblick auf die Preisverleihung zu dem Fazit:
„So bleibt nur Nachsicht: Auch Theodor W. Adorno, nach dem der Preis, der Butler allemal gebührt, benannt ist, äußerte sich nicht immer auf der Höhe seines Niveaus, was an seinen Auslassungen zum Jazz sattsam demonstriert worden ist. Wer aber Judith Butler, ihr Denken zu Israel und zum Judentum dort kennen lernen will, wo es wirklich stark ist, sei auf ihren Aufsatz „Is Judaism Zionism?“ verwiesen, der 2011 in einem Band über „The Power of Religion in the Public Sphere“ publiziert wurde. Dort plädiert sie mit Blick auf die ungebrochene israelische Siedlungspolitik mit Martin Buber und Hannah Arendt realistisch für ein neues Nachdenken über einen föderalen oder binationalen Staat von jüdischen Israelis und Palästinensern.“
http://www.heise.de/tp/blogs/6/152687
Peter Nowak
Die christliche Friedensorganisation Pax Christi will darauf aufmerksam machen, „dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt“
„Handeln im Geist von Frieden und Völkerverständigung“, heißt es auf der Website, auf der die christliche Friedensorganisation Pax Christi für die Obsttüten-Aktion „Besatzung schmeckt bitter“ wirbt. Auf der einen Seite der Homepage findet sich das Foto eines ökumenischen Zusammentreffens vor der Sicherheitsmauer zum Westjordanland, auf der anderen Seite sieht man bunt gemaltes Obst vor der düster grauen Mauer.
In diesem naiven Szenario wirkt der Text etwas deplaziert, der das eigentliche Anliegen der Obsttütenaktion ist: „Mit der bundesweiten Aktion ‚Besatzung schmeckt bitter‘ möchte die Nahostkommission von pax christi Verbraucher/innen darauf aufmerksam machen, dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt.“
Auf der Linkliste der Kampagnenhomepage wird auch die Kampagne „Keine Waren aus israelischen Siedlungen in den Warenkorb“ beworben. Das Motto erinnert semantisch doch sehr stark an einen Warenboykott gegen Israel und so war eine heftige Debatte um die als Verbraucherschutz und Konsumentenkritik firmierende Papiertüten-Aktion absehbar und vielleicht sogar eingeplant.
Kein Israelboykott?
Die Debatte entzündete sich an der Person des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters von Jena. Albrecht Schröter gehört neben bekannten jüdischen Oppositionellen zu den Unterstützern des Aufrufs und geriet daher im In- und Ausland heftig in die Kritik. Die Jerusalem Post schrieb:
„Führende deutsche Nichtregierungsorganisationen klagten den Sozialdemokratischen Bürgermeister von Jena im Bundesland Thüringen, Albrecht Schröter, wegen der Unterstützung des Boykotts israelischer Produkte an, der so aggressiv ist, dass er die Nazi-Kampagne „Kauf nicht bei Juden“ wiederholt und zur Delegitimierung des jüdischen Staates beiträgt.“
Damit wurde die Obsttüten-Aktion mit Aufrufen kurz geschlossen, die einen Boykott von Waren aus Israel fordern. Dagegen stellte Schröter klar: „Einen generellen Boykott von Waren aus Israel halte ich nicht für richtig.“ Diese Differenzierung drang allerdings nicht so richtig durch.
Ein Grund liegt wohl an der Aktion selber. .“Der Aufruf ist wegen seiner Fehlinterpretierbarkeit und seiner Undifferenziertheit sehr umstritten und fand in Thüringen keine weiteren Unterzeichner“, heißt es selbst in einem Text, der Schröter verteidigt und manche seiner Kritiker recht unreflektiert als Strippenzieher bezeichnet .
Allerdings haben natürlich auch die Schröter-Kritiker politische Interessen. So zählt der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft Erfurt, Kevin Zdiara, ebenso dazu wie die nach rechts offene ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die polemisch fragt, ob der OB Jena judenwarenrein halten wolle.
Gemeinsamkeiten im Kampf gegen rechts?
Wie öfter in der letzten Zeit, vor allem seit den islamistischen Anschlägen vom 11.9. in den USA, hat sich auch gegen Schöters Unterschrift eine Allianz gebildet, die von Rechtskonservativen bis zu israelsolidarischen Ex-Linken reicht, die die Antisemiten heute vor allem in den unterschiedlichen Spielarten der Linken und bei den Nichtregierungsorganisationen sehen. Schröter taugt für manche Rechtskonservativen schon deshalb zum Feindbild, weil er als einer der wenigen Politiker in Regierungsverantwortung für die Blockaden des Neonaziaufmarsches in Dresden eingetreten ist und dabei auch keine Berührungsängste zur außerparlamentarischen Linken hatte.
Etwas beruhigt hat sich mittlerweile der Streit durch eine „Gemeinsame Erklärung“, die Schröter mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Erfurt und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen unterzeichnet hat. Die Unterzeichner betonen bei allen Differenzen zu der Obsttüten-Aktion, dass es keine persönlichen Diffamierungen geben dürfe und dass die Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Rechts weiterhin überwiegen.
Die Debatte um den Umgang mit dem Piratenmitglied Bodo Thiesen, der zumindest in der Geschichtspolitik rechte Thesen vertritt und wegen eines Formfehlers nicht ausgeschlossen werden konnte, hat sich in den letzten Tagen ausgeweitet.
Jetzt geht es nicht mehr nur um Thiesen sondern um die Frage, ob sich die Partei eindeutig gegen rechts positionieren soll oder nicht. Mittlerweile haben Piratenmitglieder eine Erklärung verabschiedet, in der eine klare Trennungslinie zu Rassismus, Sexismus und anderen Unterdrückungsverhältnissen gefordert wird. Die Verfasser des Aufrufs beziehen sich auf einen Offenen Brief der Jungen Piraten, der schon vor der aktuellen Entwicklung im Fall Bodo Thiesen verfasst worden ist und deutlich macht, dass es sich bei ihm nicht um einen Einzelfall handelt. .
„Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf“, heißt es in dem Brief. Mittlerweile hat die politische Geschäftsführerin der Piraten Marina Weisband zu einer schärferen Abgrenzung gegen rechte Mitglieder in ihrer Partei aufgerufen.
Der Berliner Parteivorsitzende Hartmut Semken wiederum hatte mit dieser Abgrenzung ein generelles Problem und sieht sich seitdem in- und außerhalb der Partei mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Lob kommt dagegen von der rechtskonservativen Jungen Freiheit, die von einem Abgrenzungswahn spricht. Der erst vor wenigen Wochen zum Berliner Parteivorsitzende gewählte Semken will vorerst im Amt bleiben.
Auch gegenüber dem Bielefelder Mandatsträger Robin Fermann, der von der Linken zur Piratenpartei übergetreten ist, gibt es Ausschlussforderungen. Fermann wird vorgeworfen, sich in seinen Texten antisemitischer Klischees bedient zu haben.
Wie die Grünen in den 80er Jahren?
Die aktuelle Debatte erinnert an ähnliche Auseinandersetzungen bei den Grünen Anfang der 1980er Jahre. Damals waren auch Exponenten rechter und ökofaschistischer Positionen in der Partei vertreten. Teilweise wurden in den ersten Jahren grüne Wahlerlisten von offen rechten Personen gegründet. Wie heute die Piraten gingen auch die jungen Grünen mit der Parole „Wir sind nicht rechts und nichts links sondern vorn“ in die Wahlkämpfe.
Spätestens Mitte der 1980er Jahre waren führende Exponenten der rechten Strömungen bei den Grünen entweder aus der Partei ausgetreten oder politisch isoliert. Das war vor allem dem Druck linker Gruppen in- und außerhalb der Partei geschuldet. Hier endet allerdings der Vergleich zur aktuellen Situation bei den Piraten. Denn weder gibt es dort einen relevanten linken Flügel, wie bei den frühen Grünen, noch eine starke außerparlamentarische Linke, die Druck ausüben könnte. Das zeigt sich schon daran, dass über Konzepte eines auf dem Internet basierenden Sozialismus des 21. Jahrhunderts seit Jahren sehr kontroves diskutiert wird. Nur bei der Internetpartei Piraten scheint die Auseinandersetzung nicht stattzufinden.
Wenn sich die Piraten jetzt mit dem Thema beschäftigten, ist dies vor allem der Angst geschuldet, gesellschaftlich marginalisiert zu werden, wenn sie rechte Positionen nicht sanktionieren. Sollten sich allerdings die aktuellen Umfragen bewahrheiten und die Piraten bei den anstehenden Landtagswahlen große Stimmengewinne erzielen, könnten sich auch die Positionen durchsetzen, die unter der Parole „Wir sind anders als die anderen“ vor allem verstehen, sich keinem antifaschistischen Dogma zu beugen und auch gegenüber Israel zu „sagen, was gesagt werden muss“.
Schließlich wollen auch manche Männerrechtler bei den Piraten dem angeblichen feministischen Zeitgeist trotzen. Sollte sich diese Strömung durchsetzen, würden die Piraten allerdings zu einer rechten Partei neuen Typs, wie ihn sich Junge Freiheit und Co. schon lange wünschen. Im Mai will die Piratenpartei auf einen Kongress in Berlin den Umgang mit Rassismus, Antisemitismus und extrem rechter Ideologie debattieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151844
Peter Nowak
Weil Gauck die Prager Erklärung unterschrieben hat, wird Kritik an seinem Geschichtsverständnis laut
Normalerweise wird eine Bundespräsidentenwahl in Israel und den USA nicht besonders zur Kenntnis genommen. Doch ausgerechnet um die Personalie Gauck hat sich dort eine in Deutschland kaum zur Kenntnis genommene Kritik entzündet. Der israelische Historiker Efraim Zuroff hat lange Zeit in den USA gelebt und war der erste Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers. Er hat in einem jetzt von der taz nachgedruckten Artikel heftige Kritik an dem neuen Bundespräsidenten geübt und dort die Befürchtung vor einem Rollback in der deutschen Erinnerungspolitik geäußert.
Der Anlass für die heftige Kritik Zuroffs ist Gaucks Unterschrift unter der Prager Erklärung mit dem Untertitel „Europas Gewissen und der Totalitarismus“, die zu einer Entschließung des EU-Parlaments am 2. April 2009 führte. Darin wird die Notwendigkeit formuliert, die „Verbrechen der totalitären Systeme“ des National- und Realsozialismus aufzuarbeiten und zu verurteilen.
Für Zuroff wirft die Unterstützung der Erklärung „mehr als alles andere einen Schatten auf die Kandidatur von Joachim Gauck“ und lässt bei ihm „ernsthafte Zweifel an dessen Eignung für dieses repräsentative Amt aufkommen“.
Dabei unterstützt der Historiker Zuroff ausdrücklich die Intention, auch die Verbrechen im nominalsozialistischen Herrschaftsbereich aufzudecken. Seine Hauptkritik richtet sich gegen die Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus. Die entscheidenden Unterschiede beider Ideologien, so Zuroff, würden ignoriert:
„Die behauptete Austauschbarkeit beider Phänomene übersieht den präzedenzlosen Charakter des Holocaust und erhöht die kommunistischen Verbrechen in ihrer tatsächlichen historischen Bedeutung.“
Zuroff sieht in der in Deutschland weitgehend ausgebliebenen Kritik an der Prager Erklärung ein Indiz für eine „merkliche Holocaust-Ermüdung“ in Deutschland. Obwohl das „Wissen um die Judenvernichtung und die Sensibilität dafür unverkennbar zugenommen“ hätte, würden „die Stimmen derer, die die deutschen Opfer im und nach dem Krieg betonen, (…) kühner und lauter“, diagnostiziert der Historiker. Einige Kommentare scheinen die Befürchtung zu bestätigen.
Auch wenn diese Kritik in Deutschland kaum wahrgenommen wurde, macht sie doch deutlich, dass in manchen Ländern gewisse Zungenschläge zu historischen Themen deutscher Politiker sehr genau analysiert werden und nicht überall die deutsche Geschichte mit dem Mauerfall beginnt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151636
Peter Nowak
DEMO Verschiedene Gruppen organisieren Proteste gegen islamistische Al-Quds-Demonstration
Es ist wieder so weit: Wie jedes Jahr mobilisieren islamistische Gruppen „im Zeichen der islamischen Befreiungsbewegungen in der arabischen Welt“ zur Demonstration am Al-Quds-Tag am Samstag. „Gemeinsam gegen Zionismus und Antisemitismus“, heißt es auf der Homepage. Dass sich die Organisatoren inzwischen zumindest verbal von offenem Judenhass abgrenzen, entspringt für Jörg Fischer Aharon vom Bildungsverein haKadima eher taktischen Erwägungen. So würden TeilnehmerInnen des Al-Quds-Tags KritikerInnen den Hitlergruß zeigen und offen zur Vernichtung Israels aufrufen.
Fischer Aharon ist Anmelder einer Kundgebung am Joachimstaler Platz, mit der ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen am Samstag gegen den islamistischen Aufmarsch protestieren will. Zu den UnterstützerInnen gehören auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Jüdische Gemeinde Berlin, die Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin und Potsdam und der Bund der Verfolgten des Naziregimes Berlins. Das Bündnis fordert ein Ende der wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit Iran, die Reduzierung der diplomatischen Kontakte auf ein Minimum und die Unterstützung der demokratischen Opposition im Iran.
Mit einem eigenen Aufruf mobilisieren antifaschistische Gruppen zum Wittenbergplatz. Es handele sich aber um keine Konkurrenzveranstaltung, betont Fischer Aharon. Zu den Grundlagen beider Gruppen gehöre nebem dem Kampf gegen den Islamismus auch die Solidarität mit Israel. In der Vergangenheit hatten iranische Oppositionsgruppen öfter Kritik an dieser Verknüpfung geübt. Für Fischer Aharon stellt sich der Zusammenhang jedoch dadurch her, dass sich der Al-Quds-Tag explizit gegen Israel richtet. Dennoch hätten die einzelnen Gruppen zur israelischen Politik sehr unterschiedliche Ansichten. „Sie eint das Bekenntnis zum Existenzrecht und dem Recht auf Selbstverteidigung des israelischen Staates“, betont Fischer Aharon.
Viele der am Bündnis gegen den Al-Quds-Tag beteiligten Gruppen wollen sich auch an Protesten gegen Veranstaltungen von Parteien wie „Die Freiheit“ oder der „Pro-Bewegung“, den bekanntesten Exponenten einer rechten Islamkritik, beteiligen.
Kein Al-Quds-Tag! Gegen Antisemitismus und Islamismus, Samstag, 12 Uhr, Wittenbergplatz; sowie Kundgebung 14.30 Uhr, Ecke Joachimstaler Str./Kurfürstendamm
Peter Ullrich über die Antisemitismus-Diskussion in der LINKEN
Der Soziologe Peter Ullrich arbeitet an der Abteilung für medizinische Psychologie und medizinische Soziologie der Leipziger Universität und ist Verfasser des im Dietz-Verlag erschienenen Buches »Die Linke, Israel und Palästina«.
ND: Sie haben über den Antisemitismus in der Linken geforscht. Kommt die aktuelle Debatte in der Linkspartei für Sie überraschend?
Ullrich: Nein, diese Debatte ist ja nicht neu. Sie wiederholt sich in bestimmten Zyklen: bei gedenkpolitischen Anlässen oder Ereignissen im Nahen Osten. Neu ist allerdings die Verknüpfung der Debatte mit der Frage der politischen Legitimität der Linkspartei und ihrer Regierungsfähigkeit, wie sie in der aus wissenschaftlicher Sicht höchst kritikwürdigen Studie des Gießener Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn und des Leipziger Historikers Sebastian Voigt angestrengt wird.
Was ist ihre Hauptkritik an dieser Studie?
Einzelne Negativbeispiele werden unzulässig generalisiert, was nur durch Auslassung wichtiger Kontextinformationen gelingt. Zudem sind zentrale historische Prämissen falsch. So wird der Eindruck erweckt, mit der LINKEN würde erstmals in der Nachkriegszeit eine Partei mit antisemitischen Positionen regierungsfähig werden. Damit werden die zahlreichen Politiker mit NSDAP-Vergangenheit sowie antisemitische Ausfälle von Politikern aller Parteien in der Nachkriegszeit relativiert und der Antisemitismus einseitig in der LINKEN verortet.
Warum konnte die Diskussion dann jetzt in der Partei eine solche Bedeutung bekommen?
Die Linkspartei hat sich die Debatte nicht ausgesucht. Die Berichterstattung der letzten Wochen war geprägt durch teilweise perfide Unterstellungen. Zudem ist die Diskussion eng mit den innerparteilichen Strömungskonflikten verknüpft. So müssen die regierungswilligen Reformer viel stärker unter Beweis stellen, dass sie auch in dieser Frage staatstragend sind als die Vertreter des linken Flügels.
Aber Sie bestreiten ja nicht, dass es dort Antisemitismus gibt?
Antisemitische Positionen unter Linken sind meist die Folge einer Überidentifikation mit den Palästinensern im Nahost-Konflikt. Bei manchen Linken ist sie mit einer völligen Ignoranz gegenüber den Interessen der israelischen Seite in dem Konflikt verbunden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Forderung nach einem binationalen Staat im Nahen Ost ist von einer menschenrechts-universalistischen Perspektive nicht zu beanstanden. Problematisch wird es aber, wenn die reale Problematik antisemitischer Gruppierungen wie der Hamas ebenso ausgeblendet wird wie der Wunsch vieler Juden nach den Erfahrungen der Shoah, in einem eigenen Staat zu leben.
Wurde die Debatte über den linken Antisemitismus nicht eher in Kreisen der außerparlamentarischen Linken als der Partei die LINKE geführt?
Ja, denn der inhaltliche Kern der Partei ist nicht der Nahost-Konflikt. Es geht ja eher um Fragen sozialer Gerechtigkeit oder die Anerkennung von DDR-Biografien. Die große Mehrheit der Mitglieder unterstützt intuitiv die Palästinenser, aber das Thema steht bei ihnen nicht im Vordergrund. Eine bedingungslose Identifikation mit einer Seite im Nahost-Konflikt wurde eher von kleineren, aber sehr ideologisierten Gruppen praktiziert.
Ist es nicht positiv zu werten, dass jetzt über Antisemitismus in der LINKEN diskutiert wird?
Diese Hoffnung hatte ich auch. Eine solche Debatte müsste die Sensibilität dafür stärken, wo propalästinensische Positionen an antisemitischen Einstellungen anschlussfähig sind. Da wirkt der Beschluss der Bundestagsfraktion allerdings kontraproduktiv, weil er die alten Frontstellungen zementiert. Das zeigen sämtliche Reaktionen. Hier wird versucht, mit administrativen Mitteln eine notwendige Debatte zu ersetzen.
Sehen Sie noch einen Ausweg?
Notwendig wäre eine Positionierung gegen jede Form von Antisemitismus und genauso deutlich gegen die israelische Besatzung. Ausgewogenere Akteure wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten bei der Formulierung einer solchen nichtidentitären Politik eine wichtige Rolle spielen.
Noch immer müssen ehemalige Arbeiter aus den Ghettos der NS-Zeit um ihre Rente kämpfen.
Mitte April hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen, um die soziale Lage der in Deutschland ansässigen Holocaust-Überlebenden aus der ehemaligen Sowjetunion zu verbessern, von denen viele
bis heute nicht als NS-Verfolgte anerkannt sind und von Sozialhilfe leben müssen. In diesem Zusammenhang ist auch der schäbige Umgang deutscher Einrichtungen mit denjenigen Überlebenden thematisiert worden, die in den Ghettos im von der Wehrmacht besetzten Europa für Hungerlöhne geschuftet haben und die noch immer um ihre Rente kämpfen.
»Gesucht werden: 2–3 gelernte Spengler (ev.umgeschult), ein Schmied, 2–4 Metalldreher, 2– 3 elektro und autogen. Schweißer, ferner Fachleute, die im Stande sind, aus Stroh Fußabstreifer und Flechtschuhe herzustellen. Curricula vitae werden sofort an die Wirtschaftabteilung Produktion gesandt werden.« Dieser Tagesbefehl des Ältestenrats des Ghettos Theresienstadt aus dem Jahr 1942 ist eines der wenigen erhalten gebliebenen Dokumente über Formen der freiwilligen Beschäftigung, die neben der Zwangsarbeit in den Ghettos des von der Wehrmacht besetzten Europas existierte. In der historischen Forschung wurden diese Arbeitsverhältnisse erst in den letzten Jahren in den Blick genommen. Wobei der Begriff der Freiwilligkeit unter den Bedingungen eines durch Hunger und Krankheit geprägten Ghettoalltags ein Euphemismus ist.
»Sie müssen sich das als eine riesige Fabrik von fast 120.000 um ihr Leben arbeitenden Menschen vorstellen, die eine letzte Hoffnung hatten, wie das der Ghettovorsitzende Rumskovskij auch immer wieder fast beschwörend sagte: Überleben durch Arbeit, beschrieb Jan-Robert von Renesse, Richter am Essener Landessozialgericht, die Situation der Ghettoarbeiter von Lodz. Die Arbeit befreite sie nicht vom Hunger und der alltäglichen Willkür der SS. Doch wer Arbeit hatte, bekam in aller Regel etwas Geld oder größere Essensrationen. Eine Überlebensgarantie war die Schufterei keineswegs.
Für die meisten Arbeiter führte der Weg vom Ghetto direkt in die Vernichtungslager. Die wenigen Überlebenden müssen noch immer um eine Rente kämpfen. Die deutschen Rentenversicherer entwickelten viel Kreativität bei ihrem Bemühen, die Bearbeitung der Anträge der hochbetagten Menschen zu verschleppen.
Dabei hatte der Bundestag 2002 einstimmig ein »Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus der Beschäftigung in einem Ghetto (ZRGB)« mit dem erklärten Anspruch beschlossen, schnell und unbürokratisch diesbezügliche Defizite des geltenden Entschädigungsgesetzes auszugleichen. Die Praxis aber war eine Zumutung für die Antragssteller. Denn sie mußten nun vor deutschen Bürokraten den Nachweis antreten, daß sie freiwillig im Ghetto gearbeitet hatten und der zusätzliche Teller Suppe oder eine Scheibe Brot Bestandteil der Entlohnung gewesen waren. Nur dann hatten sie Anspruch auf Rentenleistungen. Für die Versicherungsträger aber hatte es im Ghetto nur Zwangsarbeiter gegeben, für die die Rentenkassen nicht zuständig waren. Sie lehnten die Rentenanträge ab. In keinem anderen Entschädigungsbereich gab es eine so hohe Ablehnungsquote wie bei den Ghettorenten.
In keinem anderen Bereich gibt es so wenige Entschädigungen wie bei den Ghettoarbeitern
Für Michael Teupen ist eine Ablehnungsquote von über 90 Prozent ein ausgemachter Skandal. »Das Ghettorenten-Gesetz erweist sich in seiner Umsetzung durch die Rententräger eher als Verhinderungsgesetz«, moniert der Leiter der Beratungsabteilung des Bundesverbands Information und Beratung für NS-Verfolgte. »Das Besondere an diesem Gesetz war daß sehr intensiv dafür geworben wurde, auch von seiten der Bundesregierung und der Rententräger, Anträge zu stellen, daß aber fast alle Anträge abgelehnt wurden. Das hat es früher in der Rechtsgeschichte so nie gegeben«, meinte der Jurist Jan-Robert von Renesse. Er nahm die offizielle Intention des Gesetzes ernst, fuhr mit einem Richterkollegen nach Israel und in die USA, besuchte die Antragssteller und ließ über 100 Gutachten zur Situation in den Ghettos erstellen. Damit unterschied er sich von dem Großteil seiner Kollegen, die ca. 70.000 Rentenanträge nach Aktenlage ablehnten: »Sie haben die Möglichkeit, Historiker zu fragen, gar nicht wahrgenommen, sondern sich nur auf ganz wenige Quellen wie Wikipedia gestützt, die natürlich alles andere als seriös oder ausreichend sind, um eine ordentliche Entscheidung fällen zu können«, kritisiert von Renesse die Praxis der deutschen Rentenkassen, Tausende Ghettorentner auf Grund von veralteten Dokumenten und Fragebögen zu Zwangsarbeitern zu erklären, die keine Ansprüche auf Zahlungen aus der Rentenkasse haben. Die auf von Renesse zurückgehenden Gutachten konnten hingegen nachweisen, daß jene von ihrem geringen Lohn Abgaben an die Rentenkasse leisten mußten und geleistet hatten. Da war die deutsche Bürokratie gründlich. Die Arbeit des Richters blieb nicht ganz erfolglos. »Nach meiner Einschätzung haben diese Gutachten nicht nur für die Fälle von Herrn von Renesse, sondern auch für die Beurteilung der tatsächlichen Lage in den Ghettos eine große Bedeutung gehabt. Ich habe begründeten Anlaß zu vermuten, daß sie deswegen auch eine wesentliche Bedeutung für die Kehrtwende der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hatten«, sagt der Bochumer Rechtsprofessor Wolfgang Meyer. Er bezieht sich damit auf ein Urteil des BSG vom Juli 2009, das die Durchsetzung der Rentenansprüche der Ghettoarbeiter erleichtert.
Geklagt hat der Holocaust-Überlebende Joseph Haber, dem die Rentenversicherung Rheinland-Pfalz diese Ansprüche jahrelang verweigert hatte. Ihm muß die Rente rückwirkend bis 1997 nachgezahlt werden. In ihrer Urteilsbegründung formulierten die BSG-Richter einige Leitlinien im Umgang mit den Rentenanträgen.
So wurde klargestellt, daß »Entgelt« für die Arbeit im Ghetto jegliche Entlohnung, ob in Geld oder Naturalien, sein könne. Auch ob
es direkt an den Betroffenen oder einen Dritten floß, sei unerheblich für den Rentenanspruch. Für sein Engagement bekam von Renesse viel Anerkennung. Der Präsident des Internationalen Ausschwitz-Komitees, Noah Flug, sagte über ihn: »Für die Überlebenden hat von Renesse viel Positives gemacht. Wir möchten, daß alle das anerkennen.« Davon kann zumindest
bei seinen Vorgesetzten keine Rede sein. Schon 2008 verfügte der damalige Vorsitzende der 8. Kammer des Landessozialgerichts in
NRW, Ulrich Freudenberg von Renesses Beweisanordnungen aufzuheben, als dieser einige Tage erkrankt war. Danach ordnete Freudenberg an, daß von Renesse ihn über jede Beweisanordnung vorher informieren müsse. Ein Richterkollege schrieb in einem Leserbrief an den »Spiegel«, die Verhältnisse in den Ghettos seien auch ohne von Renesses Gutachten bekannt gewesen, was bei Historikern und Überlebenden für Erstaunen sorgte. Schließlich wurde von Renesse an einen anderen Senat versetzt, wo er nicht mehr für die Ghettorentner zuständig ist. Seine Bewerbung um den Senatsvorsitz wurde abgelehnt.
In den sechziger Jahren hat der Jurist Fritz Bauer, der gegen den Widerstand der großen Mehrheit seiner Zunft den Auschwitz-Prozeß durchgesetzt hat, einmal gesagt, daß er Feindesland betritt, wenn er sein Büro verläßt. Mehr als 40 Jahre später feiert sich Deutschland gern als Weltmeister in Sachen Aufklärung der eigenen Vergangenheit. Doch wenn es um die Abwehr der Ansprüche von Menschen geht, die die deutsche Vernichtungspolitik überlebt haben und sich erdreisten, Anträge an die deutsche
Rentenkasse zu stellen, reagieren die Verantwortlichen wie zu Bauers Zeiten.
Peter Nowak schrieb in KONKRET 8/10 über die Forderung nach einer Gedenkstätte auf dem Gelände
des Flughafens Tegel
In der iranischen Opposition ist ein Streit über die Haltung zum Nahostkonflikt ausgebrochen
Wie hältst Du es mit Israel und mit Palästina? Diese Frage sorgt nicht nur in Deutschland immer wieder für viel Aufregung. Auch in der iranischen Opposition ist wegen der Nahostfrage ein großer Streit ausgebrochen. Auslöser war eine Erklärung führender Aktivisten der Grünen Bewegung, der zentralen Opposition gegen das iranische Regime, zum Sturm auf die sogenannte Gaza-Flotte, die die israelische Blockade gegen den Gazastreifen brechen wollte.
Nach dem Sturm der israelischen Armee auf die Flotte, bei dem 9 Menschen starben, schrieben die 75 Oppositionellen, das Vorgehen der israelischen Armee gleiche den Maßnahmen des iranischen Regimes gegen Oppositionelle. Pathetisch heißt es dann in dem Schreiben, dass die Grüne Bewegung „Schulter an Schulter mit dem Widerstand der Palästinenser“ und überhaupt mit allen „freiheitsliebenden Bewegungen dieser Welt“ dieser Welt stehe. Viele der Unterzeichner gehörten der linken Opposition gegen das Schahregime an und wurden von dem Mullahregime abermals in die Gefängnisse geworfen oder ins Exil getrieben. Sie haben noch nicht vergessen, dass das Schahregime, das es bei der Verletzung der Menschenrechte den Mullahs ein Vorbild war, gute Beziehungen zu Israel unterhalten hat.
Eine jüngere Generation in der iranischen Opposition, die mit der permanenten antiisraelischen Propaganda des islamischen Regimes aufgewachsen war, widerspricht der pro-palästinensischen Erklärung der Grünen Bewegung. In einer von 27 Aktivisten unterzeichneten Erklärung wird darauf verwiesen, dass die Grüne Bewegung im Iran im Gegensatz zur palästinensischen Bewegung gewaltfrei agiert habe. Die Parole der iranischen Opposition habe „Nicht Gaza, nicht Libanon – mein Leben für Iran!“ gelautet. Deswegen sei die pro-palästinensische Erklärung nicht repräsentativ für die gesamte iranische Opposition.
Saeed Ghaseminejad, Sprecher der Liberalen Studenten Irans und Direktor des Centre Iranien d’etudes du Liberalisme charakterisierte in einem Interview die Unterzeichner des Gegenbriefes so: „Fast alle sind jung, die meisten sind Studenten. Sie sind die Kinder der islamischen Revolution und aufgewachsen unter der Islamischen Republik. In dieser Generation findet man so viele Gruppen und Individuen, die an Frieden im Nahen Osten glauben, die nicht antisemitisch denken, die glauben, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser ein Recht auf ein eigenes Land haben und in Frieden zusammen leben können – also Leute, die nicht glauben, dass Israel unser Feind ist.“
Für einen nichtinstrumentellen Umgang mit Jüdinnen und Juden !!!
Dass die Aufführung von Warum Israel in Hamburg verhindert wurde, ist für mich ein Ausdruck von Zensur. Die Deutschen, ob linksradikal oder nicht, haben sich wie Herren aufgespielt. Diese Rolle dürfen sie nie wieder spielen.“
Der französische Filmregisseur Claude Lanzmann in einem Interview zur Verhinderung der Präsentation seines Films „Warum Israel“ durch israelkritische Hamburger Linke . Weitere Texte zu diesem Thema siehe die Ausgabe 12-09
Wer oder was ist eigentlich links in Hamburg?
Streiflichter über/aus einen/m abgründigen Konflikt
„Ich wusste aber immer, dass die internationale Linke solidarisch hinter uns steht. Ich wusste immer, dass ich von linken internationalen Bewegungen nicht nur Zustimmung und moralische Unterstützung erwarten kann, sondern ganz reale Unterstützung …Wenn ihr Euch die Mühe gegeben habt, bis hierhin zu lesen, wird Euch der Schock, den ich bei meinem letzten Deutschland-Besuch erlebte, nicht überraschen. Da wurde mir nämlich klar, dass es in der deutschen Linken eine lautstarke Gruppe gibt, die die Solidarität mit meinem Kampf als antisemitisch bezeichnet und mich selber als einen mit Selbsthass infizierten Juden.“
Aus einem Brief des israelische Friedensaktivisten Yossi Wolfson an die deutsche Linke
Die politischen Ansichten von Yossi Wolfson und Claude Lanzmann dürften, gerade was die Haltung zu Israel und dem Nahostkonflikt betrifft, sehr weit auseinanderliegen. Doch beide eint eins: Sie sind Juden, die von links sich verstehenden nichtjüdischen Deutschen auf unterschiedliche Weise angefeindet, beschimpft, behindert wurden.
Die von uns eindeutig verurteilte Verhinderung des Films „Warum Israel“ Ende Oktober in Hamburg ist der wohl bekannteste, aber nicht der einzige Fall, wo Linke in Deutschland gegen jüdische Menschen und ihre Arbeit vorgegangen sind. Es ist mittlerweile zur Regel geworden, dass Juden, die sich positiv zu Israel verhalten, von israelkritischen Linken in Deutschland zumindest mit Misstrauen begegnet wird. So sollte, um nur ein aktuelles Beispiel zu erwähnen, der Wiener Publizist Karl Pfeiffer erstmal eine Erklärung über seine Rolle im israelischen Unabhängigkeitskampf abgeben, um in einem autonomen Zentrum in Bielefeld als Redner auftreten zu dürfen.
Auch von israelsolidarischen Kreisen wiederum wird in unterschiedlichem Maße Druck auf Jüdinnen und Juden ausgeübt, die sich kritisch zur israelischen Politik äußern. Erinnert sei nur an die Kampagne gegen Felicia Langer im Sommer 2009, nachdem sie das Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Daran haben sich neben rechten Gruppen auch israelsolidarische Linke beteiligt.
Es ist eine Schande, dass ausgerechnet in Deutschland jüdische Menschen daran gehindert werden, ihre politischen Ansichten zum Nahostkonflikt zu vertreten und dass Filme von jüdischen Künstlern verhindert werden. Dabei ist es egal, wie die jüdischen Menschen zu Israel stehen und wie sie den Nahostkonflikt beurteilen.
Henryk M. Broder hat genauso das Recht, seine Lesart des Nahostkonfliktes zu verbreiten, ohne einer Kampagne ausgesetzt zu sein, wie Michel Friedman und Felicia Langer. Es ist völlig normal, dass unter Juden – wie zu vielen anderen Themen – auch zur israelischen Politik unterschiedliche Ansichten bestehen. Damit stehen sie in einer guten Tradition. Es hat unter Juden immer pro, – nicht-, und antizionistische Positionen gegeben.
Ein auch polemisch ausgetragener Streit darum, ist das Normalste auf der Welt. Antisemitische Töne bekommt die Auseinandersetzung dann, wenn den Personen ihr Judentum vorgehalten oder abgesprochen wird. Dazu gehört die Vorstellung, ein Jude müsse die israelische Politik verteidigen, ebenso wie das umgekehrte Ansinnen, er müsse sie kritisieren oder sich überhaupt dazu äußern.
In Teilen der propalästinensischen deutschen Linken war und ist es üblich, sich Kritik an der israelischen Politik durch jüdische Stimmen beglaubigen zu lassen. Das ist genauso abzulehnen, wie der Versuch von Israel-Verteidigern zurückgewiesen werden muss, verbal gegen Juden vorzugehen, die eine kritische Sicht auf Israel haben.
Vor 20 Jahren, als in kleinen Gruppen der Linken die Auseinandersetzung mit dem linken Antisemitismus begann, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass einige der dort ausgetauschten Argumente einmal von deutschen Linken dazu benutzt werden könnten, um Juden klarzumachen, wie sie sich zu Israel zu positionieren haben.
Die Nachkommen der deutschen Volksgemeinschaft, vor nunmehr 65 Jahren erst durch die Alliierten am weiteren Judenmorden gehindert, sollten die letzten sein, die in dieser Debatte Zensuren verteilen. Auch jede Instrumentalisierung der unterschiedlichen jüdischen Ansichten zu Israel für den innerlinken Meinungskampf in Deutschland ist abzulehnen.
Die nichtjüdischen Deutschen – israelkritisch, solidarisch oder was immer – sollten in dieser Debatte einfach nur mal das Maul halten.
Antonin Dick, als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten in England geboren
Peter Nowak, Journalist, Berlin
Bernhard Schmid, Journalist, Paris