nicht die Existenz dieses Staates. Dieser Appell findet sich in einem neuen Band, in dem sich zwei linken Juden mit dem Antisemitismus auseinandersetzen.
»Mit Faschisten kann man nicht reden, die muss man schlagen.« Dieses Statement kommt nicht etwa von einem jungen autonomen Antifaaktivisten. Es ist der 1947 geborene Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, Wolfgang Seibert, der sich nicht nur in Worten so klar positioniert. Für den langjährigen Aktivisten, ist es selbstverständlich, bei Demonstrationen in den vorderen Reihen zu stehen. Und doch hatte sich Seibert mehrere Jahre ganz von der politischen Arbeit zurückgezogen. Der Grund: die Israelfeindlichkeit großer Teile der Linken in Deutschland, die für Seibert teils antisemitische Züge hatte.
Wie dumm Zensur im Online-Zeitalter ist, zeigt sich wieder einmal am Beispiel des Dokumentarfilms "Auserwählt und ausgegrenzt. Der Hass auf Juden in Europa". Ausgerechnet die Bildzeitung[1] kann sich als aufklärerisches Medium gerieren, indem es den Film für 24 Stunden online stellt[2] (auch auf YouTube[3]).
Der WDR hatte die Dokumentation in Auftrag gegeben[4] und redaktionell betreut, die Erstaustrahlung war bei Arte vorgesehen. Beide Sender wollen den Film aber nicht zeigen[5]. Dass Bild als Medium der Aufklärung daherkommt und der linksliberale Sender Arte als Zensor, hat sich letzterer aber auch selber zuzuschreiben. Das wird auch noch bei der kurzen Reaktion auf die Veröffentlichung deutlich. So heißt[6] es dort:
Israel: Der Außenminister tritt als Lehrmeister auf und wird von Netanjahu nicht empfangen – Ein Kommentar
Eigentlich war es eine peinliche Abfuhr, die Bundesaußenminister Gabriel in Israel erlebte. Der wichtigste Termin mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Netanjahu fiel aus. Der hatte kurzfristig ein Treffen mit Gabriel storniert, weil der sich mit in Israel äußerst umstrittenen Nichtregierungsorganisationen getroffen hat.
Es handelt sich um die 2004 von Exsoldaten gegründete Organisation Breaking the Silence[1], die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kriegsverbrechen in der israelischen Armee aufzuklären. Wer die Arbeiten liest, kann sich einer gewissen Beklemmung nicht entziehen. Hier berichten junge Soldatinnen und Soldaten, die oft sehr jung in den besetzten Gebieten Militärdienst ableisten mussten und in Situationen gekommen sind, in denen sie palästinensischen Familien gegenüberstanden, denen sie Freiheits- und Menschenrechte beschnitten.
Es spricht für diese Soldatinnen und Soldaten, dass sie sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben und mit Gleichgesinnten ihre Erlebnisse öffentlich machen. Natürlich sind sie einseitig und subjektiv. Es gibt aber keinen Grund, ihren Wahrheitsgehalt in Zweifel zu ziehen. Auch die Nichtregierungsorganisation [2] widmet sich den Menschenrechten in den besetzten Gebieten. Auch sie ist dabei nicht ausgewogen, sondern radikal subjektiv.
Umgang mit Nichtregierungsorganisationen wie Putin
Solche Organisationen sind ein Lackmuspapier für praktizierte Demokratie. Es wurde daher von vielen israelischen Liberalen Alarm geschlagen, als die israelische Rechtsregierung immer häufiger die Nichtregierungsorganisationen attackierte und sie nach dem Vorbild von Russlands Präsident Putin in die Nähe ausländischer Agenten rückte[3].
Es gibt auch erklärte Verteidiger der israelischen Regierung, die die israelische Linke als naiv beschreiben und daher froh sind, dass diese aktuell keine Machtoption hat. Doch auch sie setzen sich dafür ein, dass diese israelische Linke als kleine NGO ihre Arbeit machen kann, auch wenn sie, und das liegt in der Natur der Sache, der israelischen Regierung und dem Militär nicht passt.
Diese Nichtregierungsorganisationen sind eine Art Frühwarnsystem vor autoritären Tendenzen, vor denen keine Regierung und keine Herrschaft gefeit ist, schon gar nicht eine Herrschaft, die so vielen Herausforderungen ausgesetzt ist wie die israelische bürgerliche Demokratie aktuell.
Hier kommen wir zu einem Aspekt der israelischen Politik, der gerne übersehen wird, wenn mal wieder das Bild einer autoritären israelischen Regierung gezeichnet wird, der sich deutsche Politiker mit großem Mut entgegenstellen. Doch so groß der Respekt vor den israelischen NGOs ist, so misstrauisch sollten wir sein, wenn ausgerechnet der deutsche Außenminister als „Schutzherr“ dieser NGO auftritt. Diese Instrumentalisierung haben sie nicht verdient.
Die israelische Gesellschaft ist komplizierter, als es Gruppen wie Breaking the Silence vermitteln. Bei all den islamistischen Anschlägen, mit denen die israelische Gesellschaft in den letzten Jahren immer wieder konfrontiert war – die Messerattentate sind die aktuellste Form -, hat die israelische Demokratie einen Großteil ihrer Grundsätze bewahrt. Das wurde gerade in der Zeit deutlich, als Mitglieder rassistischer Kleingruppen am Rande der Siedlerbewegung das Gesetz in die eigene Hand nehmen wollten und Terror gegen Palästinenser verbreiteten.
In dieser Situation gab es einen Aufschrei in der israelischen Gesellschaft, auch Politiker von israelischen Rechtsparteien verurteilten ganz eindeutig diese Ansätze einer rechten Bewegung und sorgten so dafür, dass sich rechter Terror in Israel nicht ausbreiten konnte. Bei aller berechtigten Kritik, die von israelischen NGOs geübt wird, darf genau diese weiterhin bestehende demokratische Erdung der israelischen Gesellschaft nicht vergessen werden.
So ist auch zu erklären, warum sich führende israelische Politiker nicht wie Vertreter eines Landes behandeln lassen wollen, das in Sachen Menschenrechte noch Nachholbedarf haben soll und unter ständiger Kontrolle steht. Gerade die ständigen Mahnungen und Warnungen von Organen der EU und der UN haben in Israel mittlerweile zu Gegenreaktionen geführt. Viele auch durchaus regierungskritische Israelis fragen sich, warum bei all den vielen Konflikten in aller Welt manche gerade immer in Israel den Weltfrieden und die Demokratie gefährdet sehen.
Israelis wollen keine Einmischung
Deshalb kann der israelische Premier Netanjahu durchaus auf Unterstützung in Israel bauen, wenn er Politiker wie Gabriel vor die Wahl stellt, sich entweder mit ihm oder mit den Nichtregierungsorganisationen zu treffen. In Israel ist die Vorstellung weit verbreitet, dass ausländische Politiker ins Land kommen, denen es vor allem darum geht, genau die in Israel minoritären Positionen bestimmter NGOs aufzuwerten.
Dabei hat Netanjahu schon vor einigen Monaten deutlich gemacht, dass er den Druck auf die Politiker verschärfen will, die sich weiterhin mit den NGOs treffen wollen. So sorgte im Februar ein Besuch des belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel bei Breaking the Silence und B‘ tselem für große Verstimmung in der israelischen Regierung[4]. Netanjahu stellte Michels Besuchsprogramm auch in den Kontext der israelkritischen Haltung der EU. Ein Gegenpol scheint aktuell die Nahost-Politik der Trump-Administration zu sein.
Netanjahu-Bashing zahlt sich auch in Deutschland aus
Mit Rückendeckung der USA kann Israel auch viel selbstbewusster gegenüber Politikern aus EU-Ländern auftreten, die den Eindruck erwecken, sie wollen der israelischen Regierung Kurse in Demokratie und Zivilgesellschaft verabreichen. Genau so ist auch Gabriel aufgetreten, der sogar im Vorfeld gewarnt wurde, es nicht auf eine Eskalation mit Netanjahu ankommen zu lassen.
Doch Gabriel ignorierte die Warnungen und erklärte auch unumwunden, dass es für ihn kein Problem sei, dass das Treffen mit Netanjahu nicht zustande kam. Das ist allerdings eine bemerkenswerte Realitätsverweigerung. Wenn ein amtierender Außenminister bei einem Staatsbesuch vom Ministerpräsidenten ausgeladen wird, ist das bestimmt keine Petitesse. Gabriel spekuliert allerdings darauf, dass sich das Netanjahu-Bashing in Deutschland allemal auszahlt.
Schließlich hat nicht nur der deutsche Nobelpreisträger Günther Grass mit letzter Tinte Israel zur Gefahr für den Weltfrieden erklärt. So denken viele quer durch alle Parteien und gerade bei den Linken will man sich vom Menschenrecht auf Israelkritik keineswegs abbringen lassen. Angesichts einer solchen Stimmungslage kann sich Gabriel in Deutschland immer als Held feiern lassen, der gegenüber Netanjahu nicht kleinbeigegeben hat. „Das Ende der Leisetreterei“ titelte[5] Taz-Kommentator Martin Reeh und forderte dass Deutschland jetzt auch in Israel den Kampf gegen die US-Administration führen soll.
Wenn die USA den Israelis signalisieren, dass eine Verständigung mit den Palästinensern nicht mehr vordringlich sei, müssen die Europäer und auch die Deutschen deutlicher in ihrer Kritik an der Jerusalemer Politik werden.
Martin Reeh
Ganz politisch korrekt beginnt der Kommentator bei Deutschlands besonderer Verantwortung, um dann ganz schnell zu Deutschlands besonderen Interessen in Israel zu kommen.
Deutschland hat eine besondere Verantwortung für Israel. Sie beinhaltet nicht nur ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, sondern auch die Verpflichtung, dem Land bei einem Angriff von außen zu helfen. Das bedeutet aber nicht, gegenüber der israelischen Regierung Leisetreterei betreiben zu müssen, wie es Deutschland gegenüber Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu lange getan hat. So hielt die Bundesregierung noch lange an der Sprachregelung fest, man müsse den Friedensprozess voranbringen, als längst deutlich war, dass dieser politisch tot ist. Sigmar Gabriel hat jetzt diese Politik beendet.
Martin Reeh
Nun reiht sich Gabriels Verhalten in eine ganze Reihe ähnlicher Vorkommnisse in der letzten Zeit ein. Die angebliche deutsche Leisetreterei gegenüber der israelischen Regierung ist ein Popanz, der von ganz unterschiedlichen politischen Spektren gerne aufgebaut wird.
Es ist noch nicht lange her, als der damalige EU-Kommissar Martin Schulz bei einem Israel-Besuch auch keineswegs leise getreten ist[6] und so nebenher die Mär vom israelischen Brunnenvergifter tradierte[7]. Damals verließ ein Teil der israelischen Regierung die Knesset während der Rede von Schulz.
71 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz
Übrigens dürfte die zeitliche Nähe von Gabriels Befreiung von der Leisetreterei in Israel zum 71ten Jahrestag der Befreiung der Vernichtungslager Auschwitz in Deutschland kaum jemand wahrgenommen haben. Erwähnt wurde die zeitliche Nähe jedenfalls kaum. Am 24. April gedachten Millionen in Israel dieser Befreiung. Der Deutschlandfunk berichtete:
Im ganzen Land heulten heute früh zwei Minuten die Sirenen. Das öffentliche Leben kam zum Erliegen, die Menschen verharrten in stillem Gedenken. Anschließend begann eine Gedenkfeier in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Dort wird am Nachmittag auch Bundesaußenminister Gabriel einen Kranz niederlegen.
Deutschlandfunk[8]
Es mag in Israel tatsächlich noch Menschen geben, die von einem deutschen Außenminister gerade angesichts dieses Gedenkens eine andere Reaktion erwartet haben als die eines deutschen Lehrmeisters, der den Israelis mal eben eine Lektion in Demokratie beibringt.
Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Gabriel-und-die-selbstbewusste-Nation-3695912.html
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.breakingthesilence.org.il/
[2] http://www.btselem.org
[3] https://www.heise.de/tp/news/Lobbycontrol-oder-Reglementierung-a-la-Putin-3056973.html
[4] http://www.jewishpress.com/news/breaking-news/pm-netanyahu-tells-belgian-pm-charles-michel-that-israel-protects-europe-from-terror/2017/02/07/
[5] http://www.taz.de/!5399964/
[6] https://haolam.de/Deutschland/artikel_16604.html
[7] http://www.spiegel.de/politik/ausland/martin-schulz-und-der-streit-ums-wasser-zwischen-israel-und-palaestina-a-953203.html
[8] http://www.deutschlandfunk.de/holocaust-gedenken-in-israel-und-polen.2932.de.html?drn:news_id=737078
GEDENKEN Werner Gutsche hat sein Leben lang zum antifaschistischen Widerstand in Neukölln geforscht. Nun ist ein Buch über ihn erschienen. Ein Gespräch mit dem Herausgeber Matthias Heisig
taz: Sie gehören zu den Mitherausgebern des Buches über Werner Gutsche. Was interessiert Sie an ihm?
Matthias Heisig: Ich habe ihn in der politischen Arbeit zur Zwangsarbeit beim Bau des Flughafens Tempelhof in der Nazizeit näher kennengelernt. Es war eine der vielen Initiativen, in denen Werner Gutsche in seinem langen politischen Leben aktiv war. Er war damals bereits 85 Jahre alt, doch man merkte ihm sein Alter nicht an.
Wie entstand die Idee zu dem Buch über Werner Gutsche?
Sie wurde von Freunden und Genossen bei seiner Beerdigung geboren. Wir wollten mit ihm einen Mann ehren, der über Jahrzehnte bis an sein Lebensende an zahlreichen politischen Aktionen beteiligt war. Neben dem Kampf gegen die Aufrüstung war der Antifaschismus ein roter Faden seines politischen Lebens. Werner Gutsche war Initiator von Forschungen und Ausstellungen über Widerstand und NS-Verfolgung im Bezirk Neukölln. Dafür wurde er 2004 mit der Neuköllner Ehrennadel geehrt.
Wie sind Sie bei den Forschungen zu dem Buch vorgegangen?
Für das Buch haben wir knapp vier Jahre ohne jegliche finanzielle Unterstützung geforscht. Werner Gutsche hatte keine Angehörigen und lebte allein. Doch er hatte langjährige Weggefährten und Freunde, die indem Buch zu Wort kommen. Ein wichtiger Schwerpunkt dabei ist die Geschichte des NS-Unrechts und des antifaschistischen Widerstands in Neukölln. Das war das große Thema in Werner Gutsches Leben. Er wollte das NS-Unrecht aufdecken, seien es die in Neukölln lange verschwiegenen Zwangsarbeitslager, die vergessenen SA-Folterstätten oder das verschmähte Erinnern an
den kommunistischen Widerstand.
Können Sie ein Beispiel für Gutsches Arbeiten nennen?
Im Buch ist ein Beitrag über Zwangsarbeit bei der Neuköllner Fabrik National Krupp zu finden. Es stammt aus Gutsches Nachlass und ist das Manuskript eines Textes, den er bei einer Berliner Friedens-Fahrrad-Tour im Jahr 2003 gehalten hat. Ein weiterer großer Schwerpunkt von Werner Gutsches Arbeit war die Erforschung der antifaschistischen Widerstands gruppe an der Rütli-Schule.
Spielte für Sie auch eine Rolle, dass Antifaschismus auch in Neukölln kein historisches Thema ist? Schließlich gab es in den letzten Monaten eine Serie von rechten Anschlägen gegen linke Einrichtungen und bekannte AntifaschistInnen.
Davon sind mit Claudia und Christian von Gelieu auch zwei der AutorInnen des Buches betroffen. Sie sind MitarbeiterInnen der Galerie Olga Benario die 1984 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen gegründet wurde. Sie forschen zum antifaschistischen Widerstand. Dieser Neonaziterror zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, an Menschen wie Werner Gutsche zu erinnern und seine Arbeit gegen alte und neue Nazis fortzusetzen.
Interview. PETER NOWAK
Matthias Heisig
60, ist freier Historiker. Das Buch: „Da müsst ihr euch mal drum kümmern“, Werner Gutsche (1923–2012) und Neukölln, Spuren, Erinnerungen, Anregungen, Metropol Verlag
Trumps Vorstoß könnte Chancen für eine Lösung im Konflikt zwischen Israel und Palästina eröffnen
Wie bei vielem, was zurzeit über die Trump-Administration berichtet wird, ist auch die Diskussion um die Zweistaatenlösung im Konflikt Israel-Palästina mit viel Alarmismus verknüpft. Tatsächlich hat Trump erklärt, nicht mehr auf einer Zweistaatenlösung zu bestehen, sondern die Konfliktparteien ohne vorherige Festlegung eine Lösung finden zu lassen.
Diese Position klingt doch erst einmal ganz vernünftig. Schließlich hat die Festlegung auf diese Zweistaatenlösung nicht zum Friedensprozess beigetragen. Die Festlegung stammt noch aus der Zeit, als mit dem Osloer Abkommen eine Friedenslösung auf der Grundlage von zwei Staaten in absehbarer Zeit möglich erschien. Seitdem wird das Mantra der Zweistaatenlösung immer wieder hoch gehalten und jede Seite wirft der anderen vor, dagegen verstoßen zu haben.
Wer hat gegen die Zweistaatenlösung verstoßen?
So wird Israels Siedlungspolitik immer als größtes Hindernis für diese Zweistaatenlösung bezeichnet. Israels Ministerpräsident lenkt demgegenüber den Fokus auf die Aktivitäten verschiedener bewaffneter Gruppen unter den Palästinensern, auf ihre Verbindungen zur Hamas, aber auch zur Abbas-Regierung, die sich eigentlich längst hätte Wahlen stellen müssen. Wegen des Dauerkonflikts zwischen der PLO und der Hamas wurden die immer wieder abgesagt.
Genauso waren die verschiedenen Versuche, Hamas und PLO wieder zu einer Einheitsregierung zu bringen, nur Show. Dass sie nicht funktioniert, zeigt auch die Schwäche einer palästinensischen Staatlichkeit. Es fehlt einfach eine bürgerliche Schicht, die der Kitt für einen solchen Staatsaufbau ist. Selbst das gemeinsame Feindbild Israel hat es nicht vermocht, Hamas und PLO an einen Regierungstisch zu bringen. Im Gegenteil, beide haben sich einen blutigen und brutalen Krieg geliefert. Propagandistisch versuchen beide Seiten natürlich Israel die Schuld zu geben, dass es zu keiner Einigung kommt. Damit wird der Frage ausgewichen, warum nicht mal die Gegnerschaft zu Israel dieses Staatsbewusstsein schafft.
Es gab eine Zeit. als die israelische Arbeiterpartei an der Regierung war, und auch in den letzten Jahren der Scharon-Regierung, wo eine Zweistaatenlösung große Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wenn auf palästinensischer Seite Gesprächspartner vorhanden gewesen wären, die gangbare Wege dazu aufgezeigt und auch der israelischen Seite das Vertrauen gegeben hätten, dass sie sich damit nicht nur neue Raketenabschussbasen an ihrer Grenze einhandeln.
Es wird bei der schon rituellen Schuldzuweisung an Israel bei der Frage nach dem Scheitern der Zweistaatenlösung vergessen, dass diese Raketenangriffe sowie die Selbstmordattentate ein wesentlicher Grund dafür waren, dass große Teile der israelischen Gesellschaft von der Zweistaatenlösung keine Konfliktlösung erwarten. Dieser Rechtsruck drückt sich natürlich in der Zusammensetzung der israelischen Regierung aus.
Doch von palästinensischer Seite gab es zu der Zeit, als Israel bereit für eine solche Lösung war, keinerlei taktische Überlegungen, diese moderaten Kräfte zu stärken. Im Gegenteil, Attentate und Raketenangriffe haben im Vorfeld von Wahlen die Rechten gefördert und das Vertrauen in eine Zweistaatenlösung minimiert.
Zudem gibt es die Erfahrung mit dem einseitigen Rückzug Israels aus dem Gazastreifen unter der Regierung von Scharon, der als Ultrarechter begann und sich zur Mitte bewegte. Dort hätte eine palästinensische Staatlichkeit in Miniaturform entstehen und daran gezeigt werden können, dass sie in der Praxis möglich und gewollt ist.
Doch bereits wenige Stunden nach dem Abzug machten islamistische Kräfte Tabula rasa, zerstörten die Häuser und Synagogen, die nach dem Rückzug noch vorhanden waren, bauten den Gazastreifen zur Abschussrampe für Raketen aus, Tunnel wurden gegraben und schließlich etablierte sich das Hamastan, das wir jetzt kennen und manchen Palästinenser insgeheim nach den Zeiten der israelischen Besatzung nachtrauern lässt. Die Willkür ist heute größer.
Ein Modell für eine Zweistaatenlösung im großen Maßstab ist also der Gazarückzug nicht geworden. Mittlerweile sind viele Israelins der Meinung, wenn es kein Übereinkommen gibt, dann wird der Konflikt einfach eingefroren. Das nutzen natürlich ideologisch motivierte Gruppen, die den Siedlungsausbau vorantreiben und damit auch faktisch die Grundlage für eine Zweistaatenlösung schmälern. Denn die Vorstellung, tausende Siedler ließen sich nach einer Vereinbarung räumen, ist naiv.
Warum muss ein Palästinenserstaat judenfrei sein?
Andererseits wird eine Frage zu wenig gestellt. Warum wird vorausgesetzt, dass ein zu gründender palästinensischer Staat judenfrei sein muss? Warum wird nicht an ein Szenario gedacht, dass eben ein solcher Staat genauso multiethnisch wie Israel sein kann. Dort leben neben Juden auch Palästinenser und andere Araber und haben bei Diskriminierungen in bestimmten Bereichen insgesamt mehr Rechte als die Menschen in den meisten umliegenden arabischen Staaten, die nicht mal bürgerliche Demokratien genannt werden können.
Wenn man sich einen solchen palästinensischen Staat als judenfrei denken kann, geht man auch davon aus, dass der Konflikt nicht gelöst, nicht einmal befriedet, sondern nur auf eine staatliche Ebene geschoben würde. Das hätte aber möglicherweise fatale Konsequenzen. Kriegerische Konflikte sind immer möglich, und auch unterhalb dieser Schwelle würde ein permanenter kalter Krieg toben. Von einer Politik der Kooperation könnte dann kaum die Rede sein.
In einem solchen Klima gedeiht auch regressiv antizionistische und antisemitische Propaganda, wie sie heute auch in palästinensischen Schulbüchern und Medien nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordan verbreitet wird. Auf israelischer Seite würde eine solche Perpetuierung des Konflikts auch jene ultrarechten Kräfte[1] stärken, die sich an vorderster Front in einem weltweiten Krieg gegen den Islam wähnen. Ultrarechte in Europa haben daher mittlerweile ihren Antisemitismus taktisch gezügelt und wollen ein Bündnis mit Israel im Kampf gegen den Islam[2]. Sie haben in Israel Ansprechpartner. Doch die Mehrheit der Israelis ist zu solchen Positionen bisher nicht bereit
Trumps Position eröffnet vielleicht sogar eine Chance
Auch wenn Israels Rechte darüber jubelte[3], dass die US-Administration die Zweistaatenlösung nicht mehr als einzige Grundlage für Verhandlungen anerkennt, so kommt auch von anderer Seite Unterstützung. Linke arabische Abgeordnete haben schon mal angekündigt, dass sie in einem Jahrzehnt für die israelische Präsidentschaft kandidieren wollen und sich Chancen ausrechnen.
Der Hintergrund ist die demografische Entwicklung, die auch der Grund war, warum Konservative wie Scharon die Zwei-Staaten-Lösung favorisierten. Sie wollten verhindern, dass in einem gemeinsamen Staat die Juden in der Minderheit sind. Denn nach den Erfahrungen der Shoa wurde Israel als jüdischer Staat zu einem Schutzraum für diese von Antisemitismus in aller Welt bedrohten Menschen.
Das war auch der Grund, warum die Einstaatenlösung, die immer von linken Gruppen in Palästina und Israel gefordert wurde, von israelsolidarischen Kreisen vehement abgelehnt wurde. Es wurde gesagt, dass damit eben die Existenz von Israel als jüdischer Staat infrage gestellt würde.
Tatsächlich würde eine Einstaatenlösung die Frage aufwerfen, wie die unterschiedlichen Ethnien zusammen oder zumindest miteinander leben. Ein Abrücken vom Besatzungsstatus und das Prinzip einer gleichen und geheimen Wahl wären dafür die Grundlagen. Hier aber könnte sich ein Vorteil gegenüber der Zweistaatenlösung auszahlen. Die Menschen leben in einem Staat, haben auch gemeinsame Probleme und Interessen, beispielsweise am Arbeitsplatz oder bei anderen Situationen im Lebensalltag. Dadurch könnte die ausschließlich ethnische Zuordnung aufgeweicht werden.
Dass solche Prozesse auch heute schon in Israel von statten gehen, aber hierzulande kaum wahrgenommen werden, zeigt eine Meldung[4] vom letzten Jahr, dass die israelische Regierung mehr arabische Menschen in den Staatsapparat und die Verwaltung integrieren möchte. Das kann ein Schritt für ein gemeinsames binationales Bewusstsein sein.
Im Gegensatz zur Zweistaatenlösung, wo die gegenseitige Abgrenzung fast schon zum Nationbuildung mit seinen Ausschlüssen gehört, könnte eine anvisierte Einstaatenlösung also tatsächlich auf mittlere Frist eine Kooperation fördern. Dabei könnten die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Israel eine wichtige Rolle spielen. Daher ist es umso fataler, dass Teile der gegenwärtigen Regierung in diesen Organisationen ein Feindbild sehen und mit Schwarzen Listen und ähnlichen Mitteln ein Klima der Einschüchterung gegen eine kritische Szene entfalten wollen.
Dabei haben viele dieser Organisationen Erfahrungen in der Kooperation von Palästinensern, Juden und Menschen, die sich in diesen Kategorien nicht definieren. Wenn eine Einstaatenlösung zumindest nicht mehr undenkbar ist, könnten diese Organisationen eine wichtige Rolle spielen. Denn eine wichtige Voraussetzung wäre dann auf palästinensischer Seite die Zurückdrängung der islamistischen und antisemitischen Kräfte und auf israelischer Seite die Isolierung einer Rechten, die das Land als Vorposten im Kampf gegen den Islamismus begreifen.
Israelsolidarische Kreise haben die Einstaatenlösung immer vehement abgelehnt, weil sie eben mit der Gefahr verbunden ist, dass Israel seinen Charakter als jüdischer Staat verliert. Allerdings hat sich etwa der Sozialwissenschaftler Micha Brumlik in letzter Zeit positiv auf die Einstaatenlösung bezogen[5]. Tatsächlich könnte sich die Diskussion auch in der israelsolidarischen Linken verändern, wenn die Zweistaatenlösung nicht mehr als alleiniger Lösungsansatz verhandelt wird.
Dass und wie sich die Diskussion um Antisemitismus und Antizionismus wandelt, wenn sich das politische Koordinatensystem ändert, hat die Sozialwissenschaftler Sina Arnold[6] in ihrem kürzlich in der Hamburger Edition erschienenen Buch „Das unsichtbare Vorurteil“[7] nachgezeichnet, in dem sie sich mit den Antisemitismusdiskursen der US-Linken befasst.
Anders als der Titel vermuten lässt, beginnt Arnold mit ihrer Analyse schon vor dem 1. Weltkrieg. Die Autorin weist auf regressiv antizionistische und auch offen antisemitische Diskurse in Teilen der US-Linken hin. Doch sie skizziert immer den gesellschaftlichen Kontext, in dem diese Diskurse entstehen konnten und zeigt auch, wie und warum sich die Diskurse über Israel und Antisemitismus in den USA wandeln. In der alten Linken war jeglicher Bezug auf ethnische, nationale und religiöse Besonderheiten verpönt.
Linke Jüdinnen und Juden sahen sich als Kosmopoliten und wollten ihre Herkunft nicht thematisieren. In der Neuen Linken hingegen bekamen ethnische, religiöse und nationale Besonderheiten eine Bedeutung, wenn es sich um Angehörige von unterdrückten Minderheiten handelte. Doch Jüdinnen und Juden gehörten nicht zu dieser Gruppe. Sie wurden und werden in großen Teilen der US-Linken nicht als Opfer, sondern als Täter gesehen.
Dafür führt Arnold unterschiedliche Erklärungsansätze an. So war offener Antisemitismus in den 1950er Jahren in der USA nur in wenigen rechten Refugien zu finden. Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 galt Israel für viele Aktivisten der Neuen Linken als Vorposten der USA im Nahen Osten und wurde bekämpft. Ähnliche Entwicklungen gab es zeitlich auch in der außerparlamentarischen Bewegung der BRD und Westberlin.
Arnold zeichnet kritisch nach, welche Auswirkungen das Wachsen des Dschihadismus, die islamistischen Anschläge vom 11. September und die staatlichen Reaktionen auf den Antisemitismusdiskurs in den USA hatten. Vielleicht könnte in einigen Jahren Forschungsarbeit im Sinne von Sina Arnold eruieren, wie sich die Haltung zu Israel und die Debatte über Antisemitismus verändern, wenn die Zweistaatenlösung nicht mehr als der einzige Weg zur Lösung des Nahostkonflikts dargestellt wird.
Die Autorin Sina Arnold setzt mit ihrer Untersuchung Maßstäbe für eine differenzierte Auseinandersetzung
»Wie ist es zu erklären«, fragt sich die in Berlin und Manchester lehrende Politologin und Erziehungswissenschaftlerin Sina Arnold, »dass eine selbst ernannte Streiterin für eine rassismus- und diskriminierungsfreie Gesellschaft stolz darauf ist, als antisemitisch bezeichnet zu werden?«
Diese Frage steht am Anfang ihrer Studie »Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11«, die kürzlich in der Edition Hamburg erschienen ist. Für die Autorin ist der verstörende T-Shirt-Aufdruck ein Ausdruck für das ambivalente Verhältnis, welches linke soziale Bewegungen in den USA zum Antisemitismus haben und welches Gegenstand der vorliegenden Studie ist.
Auf 450 Seiten beschäftigt sich Arnold mit der Frage, ob und wo antisemitische Argumentationsmuster bei den sozialen Bewegungen in den USA zu finden sind.
Dabei ist die im Titel ausgedrückte zeitliche Begrenzung auf die US-Linke nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 eigentlich untertrieben. Denn im ersten Teil des Buches gibt Arnold einen knappen aber prägnanten Überblick über die Antisemitismusdiskurse der US-Linken vom Ende des 19.Jahrhunderts bis zur Bürgerrechtsbewegung. Dabei arbeitet sie den Unterschied zwischen der alten, an der Arbeiterbewegung orientierten kommunistischen und anarchistischen Linken gegenüber der »Neuen Linken«, die im Aufbruch der späten 1960er Jahre entstanden ist, gut heraus.
Die »Old Left« war durchdrungen von Universalismus, Kosmopolitismus und einem positiven Bezug auf die Moderne. Sie sah sich selbst im Erbe der westlichen Zivilisation. »Genau dieses Erbe wurde von einer wachsenden Zahl von Studierenden nun als Problem betrachtet«, so Arnold.
Diese Veränderungen hatten wiederum gravierende Auswirkungen auf den Antisemitismusdiskurs. In der alten Linken war jeglicher Bezug auf ethnische, nationale und religiöse Besonderheiten verpönt. Linke Jüdinnen und Juden sahen sich als Kosmopoliten und wollten ihre Herkunft nicht thematisieren. In der »Neuen Linken« hingegen bekamen ethnische, religiöse und nationale Besonderheiten eine Bedeutung, zumindest dann, wenn es sich um Angehörige von unterdrückten Minderheiten handelte.
Jüdinnen und Juden wurden dieser Gruppe nicht zugerechnet. Vielmehr wurden und werden sie in großen Teilen der US-Linken nicht als Opfer sondern als Täter gesehen. Hierfür führt Arnold unterschiedliche Erklärungsansätze an. So war offener Antisemitismus in den 1950er Jahren in der USA nur in wenigen rechten Refugien zu finden. Das änderte sich nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967. Nun galt Israel für viele Aktivisten der »Neuen Linken« als Vorposten der USA im Nahen Osten. Der Staat wurde bekämpft.
Ähnliche Entwicklungen gab es auch in der außerparlamentarischen Bewegung der BRD und Westberlins. Liberale Intellektuelle warnten bereits Ende der 1960er Jahre vor einem neuen Antisemitismus der Linken. Es gab auch kurzzeitige Versuche von linken jüdischen Aktivisten, den Zionismus als progressive nationale Befreiungsbewegung zu interpretieren. Die Sichtweise setzte sich allerdings nicht durch.
Auch während der Occupy-Proteste wurde die Warnung vor einem neuen Antisemitismus wieder laut. In den 30 Interviews, die Arnold mit Aktivisten der außerparlamentarischen Linken in den USA kürzlich führte, finden sich Argumentationselemente, die für den Antisemitismus anschlussfähig sind.
Doch die Autorin zieht in ihrer sehr um Differenzierung bemühten Analyse das Fazit, dass in der US-Linken kaum manifester Antisemitismus anzutreffen ist – dafür häufig eine einseitige Kritik an Israel wiewohl eine Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit gegenüber dem Antisemitismus und seinen Opfern.
Arnold hat mit ihrem Buch auch Maßstäbe für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Antisemitismusdiskursen hierzulande gesetzt.
Sina Arnold: Das unsichtbare Vorurteil. Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11, 2016, 487 S., geb., 38,00 €
Fulda – Geldstrafe für Internet-Hetzer wegen Verleumdung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano.
Das Landgericht Fulda verurteilte am 9. Februar Marcus B. wegen Verleumdung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen in der Höhe von 30 Euro. Im Anschluss an ein antifaschistisches Konzert im April 2015, in dem Esther Bejarano gemeinsam mit der RAP-Gruppe „Microphone Mafia“ in Fulda aufgetreten war, postete B. unter dem Namen Sucram Relhärb: „Die große ‚Esther-Bejarano-Show’, Lesungen, Vorträge und zum Schluss noch ein Konzert…. Komischerweise werden überall in der Welt alte Menschen für ‚Beihilfe zum Massenmord’ angeklagt und verurteilt, weil sie mit dem Nazi-Regime kollaboriert hatten. Und nichts anderes hat diese Frau, die ‘um ihr Leben gesungen‘ hat, getan, sie hat andere mit einem lachenden Auge in den Tod gehen lassen, in dem sie sich mit anderen FREIWILLIG zur Bildung eines Lagerchors gemeldet hat!! Die schöne Welt der scheinheiligen Doppelmoral…“
„Es ist schon unerträglich, dass meine Lesung über meine Erlebnisse unter dem Nazi-Regime als „Esther-Bejarano-Show“ tituliert wird, dass dieser Herr B. dann aber auch noch mich als Täterin bezeichnet und mich der „Beihilfe zum Massenmord“ beschuldigt, ist eine Täter-Opfer-Umkehrung sondergleichen,“ schrieb die 92-jährige Esther Bejarano in ihrer Anzeige. Auch das Auschwitzkomitee hatte gegen B. geklagt. Nach zweijähriger Ermittlung verurteilte ihn das Landgericht jetzt zu einer Geldstrafe. B., der als Feuerwehrmann im Landkreis Fulda arbeitet, entschuldigte sich vor Gericht wegen der Verleumdung.
Nach Angaben eines Mitglieds der Initiative „Fulda stellt sich quer“, der seinen Namen nicht veröffentlichen will, sei B. bereits in der Vergangenheit mit rechten Postings auf verschiedenen Internetseiten bekannt geworden. Auch das zivilgesellschaftliche Bündnis sei von ihm mehrmals angegriffen worden. In der letzten Zeit kam es mehrmals zur Bedrohung von Mitarbeitern dieses Bündnisses.
Alfred J. Noll demaskiert den rechten Werkmeister aus dem Schwarzwald: Martin Heidegger
Martin Heidegger war ein durch und durch reaktionär-faschistischer Denker, von seinen neoscholastisch-theologischen Anfängen bis zu seinem Schlussschluchzer.« Die Haltung des Wiener Soziologen Alfred E. Noll ist klar. Er gehört nicht zu jenen, die Heideggers Sympathie für den Nationalsozialismus relativieren. In seinem Buch wird der Rektor der Freiburger Universität schonungslos demontiert.
Noll belegt sein Urteil anhand von Zitaten, teils aus einer Zeit, als es die NSDAP noch nicht gab. So schrieb der Philosoph bereits 1916 an eine Freundin: »Die Verjudung unsrer Kultur und Universität ist allerdings schreckerregend und ich meine, die deutsche Rasse sollte soviel innere Kraft aufbringen, um in die Höhe zu kommen.« Als dann 1933 der »nationale Aufbruch« marschierte und sich die KZ und Folterkeller der Gestapo füllten, belehrte er eine andere Freundin: »Wenn sie sich die grauenhafte Arbeit des Kommunismus in den letzten Jahren ansehen, dann werden sie sich über die Art des heutigen Ansturms nicht wundern. An uns ist es jetzt, dem Aufbau beizustehen, zu reinigen und zu klären, die Ziele und Maßstäbe wirksam zu machen.« Noll findet aber auch in Heideggers philosophischen Werken Belege für dessen zutiefst reaktionäres Denken. Seine ausdrückliche Orientierung auf das Ländlich-Provinzielle gegen das Industrielle, Städtisch-Urbane habe der nazistischen Blut-und-Boden-Ideologie zugearbeitet.
Natürlich studierte Noll auch die »Schwarzen Hefte«, jene Tagebücher, die Heidegger 1931 bis 1978 führte und die erst kürzlich veröffentlicht wurden. Sie haben in der Heidegger-Gemeinde für große Verwirrung gesorgt, weil dort deutlich wurde, dass jener auch nach seinem Rücktritt als Rektor der Freiburger Universität NS-Ideologie vertrat und sogar noch nach 1945 am »geistigen Nationalsozialismus« festhielt. Bis an sein Lebensende, auch dies verrät die Lektüre der »Schwarzen Hefte«, blieb Heidegger ein Antisemit. Vereinzelte Angriffe von NS-Philosophen auf dessen Werk wertet der Autor als Auseinandersetzung innerhalb der völkischen Bewegung.
Den Juden warf Heidegger vor, selber an ihrer Vernichtung Schuld zu sein. Für das Nachkriegsdeutschland hatte er kein gutes Wort übrig. Nach 1945 erging er sich wie so viele Deutsche, die das NS-System mitgetragen haben, in Selbstmitleid. Es waren die wenigen aktiven Nazigegner, die schon früh das wahre Gesicht des rechten Werkmeister aus dem Schwarzwald entlarvten. In dieser Tradition steht dieses Buch, das Noll einem Philosophen und Hegelforscher widmete, der sich dereinst auf die Seite der DDR gestellt hatte – seinem Lehrer Raimund Beyer: »Seine provozierenden und despektierlichen Heidegger-Kritiken sind, ignoriert von allen, bis heute ungeachtet ihres rüden und oftmals der Zeit des Kalten Krieges geschuldeten Tonfalls trefflicher als alles, was sonst über Heidegger geschrieben wurde.«
Alfred J. Noll: Der rechte Werkmeister. Martin Heidegger nach den Schwarzen Heften. Papyrossa. 238 S., br., 18 €.
Die AfD hatte dieses Jahr einen handfesten Antisemitismusstreit. Ausgelöst wurde er durch die Schriften des mittlerweile zurückgetretenen AfD-Landtagsabgeordneten von Baden-Württemberg Wolfgang Gedeon. Für den hatte u. a. der Chefredakteur der Monatszeitschrift »Compact« Partei ergriffen – mit einem »Appell an die Einheit der AfD«: »Schließt keine Personen aus, deren Ausschluss der politische Gegner fordert, sondern stellt Euch gerade hinter solche Angegriffenen, auch wenn sie in der Vergangenheit politische Fehler gemacht haben.«
»Compact« habe sich innerhalb kurzer Zeit zu einem der relevantesten Querfrontorgane im deutschsprachigen Raum entwickelt, betonen die Sozialwissenschaftler Kevin Culina und Jonas Fedders. Vor allem Jürgen Elsässer wiederhole dort gebetsmühlenartig, Rechte und Linke sollten gemeinsam für »die Souveränität Deutschlands« kämpfen. Gegen wen? Washington, Brüssel – und »die Juden«. Culina/Fedders interessierten sich vor allem für den codierten Antisemitismus des Magazins. »Während der offen neonazistische Antisemitismus bisweilen aus politischen Diskursen ausgegrenzt wird, haben sich gewisse Artikulationsformen für antisemitische Ressentiments herausgebildet, welche zwar auf das starke Fortbestehen von antisemitischen Positionen in der Gesellschaft verweisen, aber nicht immer als solche (an)erkannt werden und daher bis weit in die selbst ernannte bürgerliche ›Mitte‹ hineinreichen.« Der codierte Antisemitismus sei de facto der kleinste gemeinsame Nenner.
Offen antisemitische Äußerungen wie sie von Gedeon zu lesen sind, wird man in »Compact« kaum finden. Es wird mit Metaphern und Bildern gearbeitet, die der Leser zu deuten versteht. Das offenbaren einige im Band nachgedruckte Leserbriefe, in denen »Compact« als letzter Verteidiger des freien Wortes hochgelobt wird. »Für den judenfeindlichen Gehalt einer Aussage über die ›Rockefellers‹ oder die ›Rothschilds‹ ist deren tatsächliche Religionszugehörigkeit von keinerlei Bedeutung, solange in einem breiteren Rezipient_innenkreis die Auffassung vorherrscht, es handele sich um einflussreiche Familien mit jüdischen Wurzeln. Adorno schrieb einst sehr treffend, der Antisemitismus sei ›das Gerücht über die Juden‹«, heißt es bei Culina/Fedders. Zum Schluss gehen sie noch auf die Kontroversen um die Friedensmahnwachen ein und mahnen, dass der Gefahr von »Compact« »viel mehr Widerspruch entgegengestellt werden muss«.
Kevin Culina/Jonas Fedders: Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift »Compact«. Edition Assemblage, Münster 2016. 96 S., br., 9,80 €.
Kevin Culina und Jan Fedders untersuchen den Antisemitismus und regressiven Antizionismus in einer wichtigen Publikation der neuen Rechten
Die AfD hat seit Wochen einen handfesten Antisemitismusstreit. Ausgelöst wurde er durch antisemitische Schriften des mittlerweile zurückgetretenen AfD-Landtagsabgeordneten von Baden Württemberg Wolfgang Gedeon. Sofort hatte sich auch der Chefredakteur der Monatszeitschrift Compact in diese Angelegenheit zu Wort gemeldet. Unter dem Titel »Appell an die Einheit der AfD« ergriff er Partei für Gedeon. »Schließt keine Personen aus, deren Ausschluss der politische Gegner fordert, sondern stellt Euch gerade hinter solche Angegriffenen, auch wenn sie in der Vergangenheit politische Fehler gemacht haben.« Diese Parteinahme von Compact ist nicht verwunderlich, wenn man ein kürzlich im Verlag Edition Assemblage unter dem Titel »Im Feindbild vereint« erschienenes Buch zur Grundlage nimmt. Auf knapp 100 Seiten untersuchen die Sozialwissenschaftler Kevin Culina und Jonas Fedders den Stellenwert des Antisemitismus bei dem Monatsmagazin Compact.
Die Zeitschrift habe sich innerhalb kurzer Zeit zu einem der relevantesten Querfrontorgane im deutschsprachigen Raum entwickelt, begründen die Autoren ihr Interesse an dieser Publikation. Zudem betonten sie, dass Compact sich von den anderen rechten Medien dadurch unterscheidet, dass dort immer wieder versucht wird, Brücken zu Teilen der Linken zu bauen. Elsässer hat wiederholt dazu aufgerufen, Rechte und Linke sollten gemeinsam für die Souveränität Deutschlands kämpfen. In den beiden ersten Kapiteln geben die Autoren einen kurzen Überblick über die wissenschaftlichen Diskussionen zu Querfront und zum Antisemitismus. Dabei stellen sie dem codierten Antisemitismus in den Mittelpunkt ihre Überlegungen. »Während also der offen neonazistische Antisemitismus bisweilen aus politischen Diskursen ausgegrenzt wird, haben sich gewisse Artikulationsformen für antisemitische Ressentiments herausgebildet, welche zwar auf das starke Fortbestehen von antisemitischen Positionen in der Gesellschaft verweisen, aber nicht immer als solche (an)erkannt werden und daher bis weit in die selbst ernannte bürgerliche ‘Mitte’ hineinreichen«, schreiben die Sozialwissenschaftler. Anhand der sehr detaillierten Analyse verschiedener Compact-Artikel zeigten Culina und Fedders auf, der ein codierter Antisemitismus einen zentralen Stellenwert in der Compact-Berichterstattung hat. Die Autoren sprechen sogar davon, dass er der kleinste gemeinsame Nenner ist, auf den sich die Leser einigen können. Dabei wird man offen antisemitische Äußerungen wie sie in den Schriften Gedeons in der Compact kaum finden. Dafür wird mit Metaphern und Bildern gearbeitet, der die Leser durchaus entsprechend zu deuten wissen. Das zeigt sich an einigen abgedruckten Leserbriefen, in denen die Zeitschrift als letzte Verteidigerin des freien Wortes hochgelobt wird.
»Für den judenfeindlichen Gehalt einer Aussage über die ‘Rockefellers’ oder die ‘Rothschilds’ ist deren tatsächliche Religionszugehörigkeit von keinerlei Bedeutung, solange in einem breiteren Rezipient_innenkreis die Auffassung vorherrscht, es handele sich um einflussreiche Familien mit jüdischen Wurzeln. Adorno schrieb einst sehr treffend, der Antisemitismus sei ‘das Gerücht über die Juden’«, schreiben die Herausgeber. Am Schluss des Buches gehen sie auch auf die kontroverse Debatte um die Friedensmahnwachen ein, die heute weitgehend vergessen ist. Das Buch soll eine kritische Debatte um den Umgang mit Compact anregen. »Denn von der Compact geht eine Gefahr aus, dem viel mehr Widerspruch entgegengestellt werden muss«, so der Wunsch der beiden Herausgeber.
Kevin Culina / Jonas Fedders
Im Feindbild vereint: Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact 2016, Edition Assemblage, 96 Seiten, 9,80 Euro
ISBN 978–3-96042–004-0 | WG 973
Ein aktuelles Urteil zeigt, dass die Justiz die Antisemitismusforschung zur Kenntnis nehmen sollte
Am 28. Juni hat das Amtsgericht Prenzlau den AfD-Kreisvorsitzenden der Uckermark Jan-Ulrich Weiß vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen [1]. Weiß hatte 2014 auf Facebook eine Karikatur des Investmentbankers Rothschild verbreitet, der dort mit antisemitischen Attributen dargestellt wurde.
Die Collage zeigt Mr. Burns aus der Zeichentrick-Serie „Die Simpsons“ und ist mit dem Text versehen. „Hallo, mein Name ist Jacob Rothschild“. Im weiteren Text wird der Familie Rothschild unterstellt, weltweit Regierungen und Zentralbanken zu steuern und für Kriege verantwortlich zu sein. In der Antisemitismusforschung wird schon lange nachgewiesen, dass es sich dabei um antisemitische Topoi handelt. Doch das Prenzlauer Gericht sah in der Karikatur keinen antisemitischen Bezug und sprach Weiß vom Vorwurf der Volksverhetzung frei. Der Staatsanwalt hatte eine Geldstrafe von 5.000 Euro gefordert.
Der Freispruch dürfte noch zu Streit in der AfD führen. Die Brandenburger AfD hatte die Karikatur als antisemitisch bezeichnet und wollte Weiß im Eilverfahren aus der Partei ausschließen [2]. Zu den Befürwortern eines schnellen Austritts hatte sich auch der Brandenburger AFD-Vorsitzende Alexander Gauland gemacht. Doch er scheiterte. Zuletzt auch an der AfD Uckermark, die Weiß unterstützt.
Das Szenario erinnert an den Fall des AfD-Landtagsabgeordneten von Baden Württemberg, Gedeon, der mit antisemitischen Schriften auffiel [3]. Auch in seinem Fall scheiterte der AFD-Vorstand mit der Forderung nach einem schnellen Austritt. Während dort als Kompromiss die Einschaltung einer Untersuchungskommission beschlossen wurde, hatte man sich AfD-intern in der Causa Weiß darauf geeinigt, das Gerichtsverfahren abzuwarten.
Nicht nur in der AfD, sondern auch bei der rechtspopulistischen Webseite PI-News, die sich als israelfreundlich bezeichnet, ist der Streit entbrannt. Während einige eine klare Abgrenzung zu Politkern wie Gideon und Weiß fordern, meldeten sich auch entschiedene Verteidiger der beiden Politiker zu Wort.
Weiß sieht sich nach dem Freispruch gestärkt und fordert von Gauland eine Entschuldigung dafür, dass er ihn als Antisemiten bezeichnet hat. Während inzwischen mehrere AfD-Landespolitiker von der Austrittsforderung abrücken, will Gauland bisher noch daran festhalten. Kann er sich damit nicht durchsetzen, könne ihn Weiß im nächsten Jahr im Brandenburger Landtag beerben. Weiß steht auf Platz eins der Nachrücker auf der AfD-Liste. Wenn Gauland bei den nächsten Bundestagswahlen wie beabsichtigt für den Bundestag kandiert und sein Landtagsmandat aufgibt, würde Weiß für ihn nachrücken.
Wenn der Antisemitismus von der Justiz nicht erkannt wird
Das Urteil und die Reaktionen darauf werfen erneut die Fragen auf, ob die deutsche Justiz Antisemitismus erkennt, wenn er nicht in den klassisch neonazistischen Formen auftritt. Die neuere Antisemitismusforschung zeigt einen anderen Erkenntnisstand an als den, den das Gericht in Prenzlau seinem Urteil zugrunde legte.
„Während also der offen neonazistische Antisemitismus bisweilen aus politischen Diskursen ausgegrenzt wird, haben sich gewisse Artikulationsformen für antisemitische Ressentiments herausgebildet, welche zwar auf das starke Fortbestehen von antisemitischen Positionen in der Gesellschaft verweisen, aber nicht immer als solche (an)erkannt werden und daher bis weit in die selbst ernannte bürgerliche ‚Mitte‘ hineinreichen“, schreiben die Sozialwissenschaftler Kevin Culina und Jonas Fedders in ihrem aktuellen Buch Im Feindbild vereint [4].
Dort wird detailliert der codierte Antisemitismus einer Publikation untersucht, die in den letzten zwei Jahren einen erstaunlichem Aufschwung genommen hat. Der Herausgeber Jürgen Elsässer hätte die Forschungsergebnisse von Culina und Fedders vor 15 Jahren sicher noch mit einen Vorwort belobigt. Schließlich war er einer der schärfsten Kritiker des Antisemitismus auch in der Linken, bevor er Deutschland zur Zielgruppe erklärte. Das Buch nähert sich auf knapp 90 Seiten dem Magazin Compactn mit einer an der Frankfurter Schule geübten Analysemethode.
Rothschild oder das Gerücht über die Juden
So hätten die beiden Autoren auch für die Richter, die über die Karikatur eines Jan-Ulrich Weiß entscheiden mussten, eine gute Orientierungshilfe geboten: „Für den judenfeindlichen Gehalt einer Aussage über die ‚Rockefellers’oder die ‚Rothschilds‘ ist deren tatsächliche Religionszugehörigkeit von keinerlei Bedeutung, solange in einem breiteren Rezipient_innenkreis die Auffassung vorherrscht, es handele sich um einflussreiche Familien mit jüdischen Wurzeln. Adorno schrieb einst sehr treffend, der Antisemitismus sei ‚das Gerücht über die Juden‘.“
Die Richter in Prenzlau konnten das Buch allerdings noch gar nicht kennen. Es könnte aber noch Einfluss auf die Rechtsprechung haben. Ein Grund für die Entstehung des Buches ist die erfolgreiche Klage von Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer gegen die Publizistin Jutta Ditfurth, nachdem die ihn als glühenden Antisemiten bezeichnet [5] hatte. Ditfurth legte Verfassungsbeschwerde [6] ein. Der Fall liegt jetzt beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Die Richter werden wohl vor einer Entscheidung die sehr detaillierte Analyse der Compact-Artikel studieren, mit denen Fedders und Culina ihre vorher im Buch vorgestellte Analysemethode praktisch anwenden. Die beiden Autoren gehen besonders auf das Konstrukt einer Weltregierung ein, die nach Meinung vieler Compact-Autoren die Souveränität Deutschlands eingrenzt und zeigen daran den codierten Antisemitismus auf. Die von den Autoren angeführten Heuschrecken-Metaphern für die Beschreibung von ökonomischen Prozessen machen deutlich, warum es oft so schwer ist, codierten Antisemitismus zu erkennen.
Schließlich wurde die Heuschrecke als Symbol für das Finanzkapital bei Sozialdemokraten und Gewerkschaften benutzt [7]. Der Erfolg von Zeitungen wie Compact könnte so gerade darin liegen, dass sie hier so gut an den Mainstream anknüpfen können. Das Buch könnte so nicht nur eine wichtige Information über Compact und dessen politisches Umfeld bieten. Es könnte auch sensibilisieren für antisemitische Strukturen in der berühmten Mitte der Gesellschaft. Dazu könnte beitragen, dass die Autoren die Schrift streng analytisch angelegt haben und auf moralischen Furor verzichten.
Freispruch von AfD-Politiker könnte für neuen Zwist in der AfD sorgen
Am gestrigen Dienstag hat das Amtsgericht Prenzlau den AfD-Kreisvorsitzenden der Uckermark Jan-Ulrich Weiß vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Weiß hatte 2014 auf Facebook eine Karikatur des Investmentbankers Rothschild verbreitet, der dort mit antisemitischen Attributen dargestellt wurde. Die Collage zeigt Mr. Burns aus der Zeichentrick-Serie „Die Simpsons“ und ist mit der Zeile versehen: „Hallo, mein Name ist Jacob Rothschild“. Im weiteren Text wird der Familie Rothschild unterstellt, weltweit Regierungen und Zentralbanken zu steuern und für Kriege verantwortlich zu sein.
In der Antisemitismusforschung wird nachgewiesen, dass es sich dabei um antisemitische Topoi handelt. Doch das Prenzlauer Gericht sah in der Karikatur keinen antisemitischen Bezug und sprach Weiß vom Vorwurf der Volksverhetzung frei. Der Staatsanwalt hatte eine Geldstrafe von 5000 Euro gefordert.
Der Freispruch dürfte wohl noch zum Streit in der AfD führen. Die Brandenburger AfD hatte die Karikatur als antisemitisch bezeichnet und wollte Weiß im Eilverfahren aus der Partei ausschließen. Zu den Befürwortern eines schnellen Ausschlusses zählte auch der Brandenburger AfD-Chef Alexander Gauland. Doch er scheiterte in zwei Instanzen. Von der AfD-Uckermark wird Weiß unterstützt. Das Szenario erinnert an den Fall des baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der mit antisemitischen Schriften bekannt wurde. Auch in diesem Fall war die AfD-Führung jüngst mit einem schnellen Ausschluss gescheitert. (bnr.de berichtete)
Platz eins der Nachrücker auf der AfD-Liste für den Landtag
Während in Stuttgart als Kompromiss die Einschaltung einer Untersuchungskommission beschlossen wurde, hatte man sich AfD-intern in der Causa Weiß darauf geeinigt, das Gerichtsverfahren abzuwarten. Nicht nur in der AfD, auch auf der islamfeindlichen Webseite „PI-News“, die sich explizit als israelfreundlich bezeichnet, ist der Streit entbrannt. Während einige eine klare Abgrenzung zu Politkern wie Gideon und Weiß fordern, meldeten sich auch entschiedene Verteidiger der Politiker zu Wort.
Weiß sieht sich nach dem Freispruch gestärkt und fordert von Gauland eine Entschuldigung dafür, dass der ihn als Antisemit bezeichnet habe. Während inzwischen mehrere AfD-Landespolitiker von der Austrittsforderung abrücken, will Gauland bisher daran festhalten. Kann er sich damit nicht durchsetzen, könnte ihn Weiß im nächsten Jahr im Brandenburger Landtag beerben. Weiß steht auf Platz eins der Nachrücker auf der AfD-Liste. Wenn Gauland bei der nächsten Bundestagswahl, wie beabsichtigt, für den Bundestag kandiert und sein Landtagsmandat aufgibt, würde Weiß für ihn nachrücken. Allerdings ermittelt die Justiz auch wegen Steuerhinterziehung und Zigarettenschmuggels gegen den AfD-Politiker.
Wie es der Ultrarechten gelingt, Teil von Protestbewegungen zu werden, konnte man am Wochenende in Dresden sehen
Wochenlang (Bilderberg-Konferenz: Führungsspitze von CDU und SPD eingeladen[1]) sorgte die Bilderberg-Konferenz[2], die am vergangenen Wochenende in Dresden tagte, für Diskussionen (Bilderberg-Konferenz: Prekariat soll Thema sein[3]). Unterschiedliche Gruppen hatten zu Protesten aufgerufen. Am Ende äußerten sich Polizei und Veranstalter zufrieden.
Das diesjährige Treffen wird allen Teilnehmern in sehr guter Erinnerung bleiben“, sagte Chairman Henri de Castries. Er lobte „die einzigartige Dresdner Kulisse, die hochprofessionelle Organisation der lokalen Behörden und die ganz besondere Gastfreundschaft“. Rund 400 Polizisten sicherten das Areal täglich ab. „Ich habe selten einen so entspannten und ruhigen Einsatz bei einem Ereignis dieser Bedeutung erlebt“, bilanzierte[4] Polizeidirektor Renè Demmler gegenüber der Presse.
Tummelplatz von Rechten jeglicher Couleur
Die Dresdner Neuesten Nachrichten vermeldeten, dass die angekündigten Proteste gegen die Konferenz weitgehend ausgeblieben seien[5]. Nur nebenbei wurde erwähnt, dass gegen einen Redner wegen Holocaust-Leugnung ermittelt wird. Ermittelt wird auch gegen eine Gruppe, die einen Mosleminfostand mit Schweinefleisch beworfen haben soll. Die beiden Aktionen, die in den Medien ohne einen politischen Kontext vermeldet wurde, waren eigentlich folgerichtig.
Schließlich zog die Bilderberg-Konferenz Rechte der unterschiedlichen Couleur an. Wenn die angekündigten Großproteste auch nicht zustande gekommen sind, so können die Proteste gegen die Bilderberg-Konferenz für die Rechte durchaus als Erfolg verbucht werden. Denn sie müssen nicht mehr als geschlossene Gruppe zu Aktionen aufrufen, was in der Regel zu Gegenprotesten führt und dafür sorgt, dass die marginalisierten rechten Gruppen isoliert blieben. Da lohnt ein Blick in die jüngere Vergangenheit.
So kündigten Neonazis 2007 an, sich an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zu beteiligen. Das rief bei den übrigen Globalisierungskritikern große Ablehnung hervor. Es war schnell klar, dass die Rechten in Mecklenburg-Vorpommern kein Bein auf den Boden kriegen würden. Während sich ein großer Teil der linken Globalisierungsgegner sich an den Gipfelprotesten beteiligte, hatte sich eine kleine Gruppe von Rechten in Berlin am Brandenburger Tor versammelt. Bei anderen Großprotesten blieb es oft bei den Ankündigungen der Rechten, die nicht in der Lage waren, ihre Pläne umzusetzen.
Doch die Zeiten scheinen vorbei, in denen Ultrarechte keine Bündnispartner in Protestbewegungen sein konnten. Diesen Eindruck konnte man in Dresden ganz eindeutig gewinnen. Da gab es die harten Neonazis, die vom immer noch besetzten Deutschland schwadronierten und „Volksverrätern“ mit Rache drohen. Dort fand sich auch ein Zuhörer, der auf seinem T-Shirt den Neonazibarden Frank Rennecke als „Sänger für Deutschland“ abfeierte und auf der Rückseite noch Hitlers Geburtsdatum spazieren trug.
Nur wenige Meter weiter hatten sich Reste der sogenannten Friedensmahnwachen versammelt. Dort wurden eifrig die rechten Publikationen Junge Freiheit und Compact gelesen und auf Schildern wurde die Neue Weltordnung oft auch in der Kurzform NWO angeprangert. Vom Aussehen hätte man die dort versammelten auch als Attac-Anhänger betrachten können.
Rechtsoffene Lovestorm-People zwischen Campact und Compact
In der Nähe der Frauenkirche hatte eine Bewegung ihr Lager aufgeschlagen, die wie Späthippies daherkamen. Sie nannten sich Lovestorm People[6] und auf ihrer Homepage ist ein Potpourri von Aufklebern und Stickern zu sehen, die lange Zeichen Kennzeichen der Alternativkultur war.
Auch auf den Platz fanden sich Jugendliche mit Campact-Fahnen neben einen Demonstranten, der auf selbstgemalten Schildern ein Titelblatt der rechten Zeitschrift Compact geklebt hat. Eifrig wurde weißer Stoff mit Parolen gegen die Neue Weltordnung bemalt. Auf einen anderem selbstgemachten Schild hatte ein junger Mann neben Parolen gegen den Zionismus und die Neue Weltordnung den Aufkleber einer Neonazikameradschaft platziert, auf dem ein „Deutscher Sozialismus“ propagiert wurde. Er trug diese Insignien so, dass sie gut sichtbar waren.
Kritische Nachfragen oder gar offene Ablehnung brauchte er bei dem rechtsoffenen Lovestorm nicht zu befürchten. Schließlich hatte eine Rednerin vor dem Mikrophon die Zustimmung der kleinen Zuhörerschaft, als sie erklärte, es gehe nicht um rechts und links, sondern um unten gegen oben.
Zumindest am vergangen Samstag konnte man in Dresden rechte Ideologieelemente der unterschiedlichsten Varianten beobachten. Es gab am Samstag auch den Versuch, die Bilderkonferenz einer rationalen Kritik unterziehen und sich ganz klar von dem deutschen Lovestorm zu distanzieren, der dort als Bilderbergkritiker aufgezogen war. Unter dem Motto „Gegen jeden Antisemitismus“ zogen ca. 80 Menschen am Samstagnachmittag von Dresden-Neustadt zum Neumarkt.
Droht bei Protestbewegungen eine rechte Hegemonie?
Das Dresdner Szenario könnte ein Blick in die Zukunft sein, wo es vermehrt rechtsoffene Protestbewegungen geben wird. Sicher fällt es den unterschiedlichen Rechten bei der Bilderberg-Konferenz besonders leicht, sich zu positionieren. Sie scheint wie geschaffen für Verschwörungstheorien und regressive Kapitalismuskritik.
Doch längst gibt es auch bei vielen anderen Protestbewegungen vom Kampf gegen TTIP bis zu Demonstrationen für gesunde Ernährung rechte Positionen. Manchmal machen Ultrarechte ihre Teilnahme an größeren Bündnisaktionen selber öffentlich. Die offene Rechte muss dann gar nicht mehr zu eigenen Aktionen aufrufen, wenn es ihr gelingt, Elemente ihrer Propaganda in größere Kreise einzuspeisen. Dann würde es ihr auch gelingen, eine Hegemonie herzustellen.
Da kann die Friedenstaube mit den Aufklebern einer rechten Kameradschaft koexistieren und ein Aufruf gegen weitere Privatisierungen wird mit einem Plakat gegen die NWO kombiniert. Lange Zeit gab es bei größeren Protestbewegungen eine linke Hegemonie. Das bedeutete nicht, dass alle Teilnehmer sich als Linke verstanden. Sie wählten aber Motive und Symbole, die aus dem linken Diskursumfeld kamen. Nun könnte sich eine Protestbewegung etablieren, in der rechte Zeichen und Symbole ganz offen getragen und kombiniert werden.
Diese Gefahr einer rechten Hegemonie auf Protestbewegungen wird bisher auch in antifaschistischen Kreisen noch wenig diskutiert. Das verhindert natürlich auch die Debatte über Gegenstrukturen. Der Fokus der Versuche, eine antifaschistische Praxis neu zu begründen, liegt im Kampf gegen die AfD[7]. Da wird selbst in außerparlamentarischen Kreisen dem Rechtsruck in den Parlamenten ein wesentlich größerer Stellenwert zugeschrieben, als einer möglichen rechten Hegemonie bei vielen Protestbewegungen.
Zudem wird ziemlich inflationär mit dem Begriff Querfront agiert und suggeriert, es gebe hier eine Kooperation zwischen rechts und links. Doch das ist eher ein Wunschbild verschiedener rechter Gruppen als die Realität. Daher wäre es viel sinnvoller von einer rechtsoffenen Protestszene und Protesten mit einer rechen Hegemonie zu sprechen.
Martin Hohmann sieht die Zeit für ein Comeback gekommen.
Der langjährige CDU-Rechtsaußen Martin Hohmann kandiert auf Platz eins der Kreistagsliste der AfD in Fulda. Um den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten aus Osthessen war es still geworden. 2003 hatte er mit einer Rede unter dem Motto »Gerechtigkeit für Deutschland« auch in den USA und Israel für Empörung gesorgt. Hohmanns These lautete: Wenn Deutschland wegen der NS-Verbrechen zum Tätervolk gestempelt werden müsse, gelte das auch für die Juden. Ausdrücklich benannte er die Rolle jüdischer Kommunisten in der Oktoberrevolution und bei anderen revolutionären Prozessen. In der Rede bezog sich Hohmann positiv auf die antisemitische Schrift des US-Autokönigs Henry Ford »Das Internationale Judentum«, die auch bei den Nazis hoch im Kurs stand.
Nachdem Hohmann aus der CDU ausgeschlossen worden war, blieb er bis zum Ende der Legislaturperiode 2005 als parteiloser Abgeordneter im Bundestag. Bei der Bundestagswahl 2005 kandierte er als Unabhängiger unter dem Motto »Gott, Familie, Vaterland«. Dass er in seinem osthessischen Wahlkreis 39 000 Stimmen erhielt, zeigt, dass er nach wie vor Unterstützer in der Region hat.
Nach seinem Parteiausschluss wurde Hohmann von Gruppierungen rechts der Union umworben. Er nahm als Beobachter an mehreren Zusammenkünften teil, war aber nicht zu einem Beitritt bereit. Er betonte häufig, dass er sich weiterhin als Christdemokrat verstehe. Mehrere Jahre kämpfte er juristisch vergeblich um die Wiederaufnahme in die CDU.
Dass Hohmann gerade jetzt auf der AfD-Liste kandidiert, kann auch als Rache an der Merkel-CDU gewertet werden, die seinen Parteiausschluss betrieb. Große Teile der Union sind über Merkels Agieren in der Flüchtlingskrise verunsichert, manche drohen gar mit offener Rebellion. Darauf spielt Hohmann an, wenn er gegenüber den Osthessen-News seinen Wiedereinstieg in die aktive Politik so begründet: »Die aktuelle Politik ist befremdlich und stellt Defizite dar. Ich kann da nicht einfach auf dem Sofa sitzen bleiben – das ist nicht meine Art«.